Fichtes "Anweisung zum seligen Leben" vor dem Hintergrund von Kants praktischer Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Postulatenlehre


Magisterarbeit, 1995

150 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

Kapitel 1 Die praktische Philosophie Kants als Hintergrund für Fichtes Religionslehre
1.1 Kants Anspruch an eine Moralphilosophie
1.2 Kants Pflichtbegriff
1.3 Der kategorische Imperativ
1.4 Die Korrelation von Freiheit und Sittlichkeit
1.4.1 Das Faktum der Vernunft
1.4.2 Der Mensch als Bürger zweier Welten: Die Begriffe "intelligibler" und "empirischer" Charakter
1.5 Die Postulatenlehre
1.5.1 Die Konzeption des höchsten Gutes: Ist die Einheit von Tugend und Glückseligkeit möglich?
1.5.2 Die Antinomie der praktischen Vernunft
1.5.3 Die Postulate der Unsterblichkeit der Seele und der Existenz Gottes: Garanten des höchsten Gutes?
1.5.4 Das Postulat der Freiheit
1.5.5 Schlußbetrachtung zur Postulatenlehre

Kapitel 2 Der transzendentale Fragehorizont bei Kant und Fichte
2.1 Kant und Fichte: Die Frage nach der Einheit der Erkenntnis
2.2 Synthesis und Transzendentalphilosophie
2.3 Die "Ding an sich"-Problematik
2.4 Fichtes Entwicklung der Transzendentalphilosophie
2.4.1 Fichte und Spinoza

Kapitel 3 Der transzendentale Aufbau der Religionslehre
3.1 Der Aufstieg zum Absoluten: Die "Anweisung zum seligen Leben" aus der Perspektive der Wissenschaftslehre von 1804
3.2 Das "in sich geschlossene Singulum"
3.3 Die Differenz des Absoluten zum absoluten Wissen: Das Gesetz der Projektion
3.3.1 Der Begriff der absoluten Liebe als höchstes Einheits- und Spaltungsprinzip
3.3.2 Das Gesetz der Reflexion
3.4 Das Schema der Fünffachheit
3.4.1 Der Standpunkt der Sinnlichkeit
3.4.2 Die Stufe der Legalität
3.4.3 Der Standpunkt der Moralität
3.4.4 Der Standpunkt der Religion
3.4.5 Der Standpunkt der Wissenschaft

Kapitel 4 Die Kantischen Postulate aus der Perspektive von Fichtes Religionslehre
4.1 Die Glückseligkeit "jenseits des Grabes":
Die Unsterblichkeit der Seele in der Religionslehre
4.2 Freiheit als unerläßliche Bedingung der Sittlichkeit - Kants Freiheitspostulat im Lichte der Anweisung
4.3 "Es ist, außer Gott, gar nichts wahrhaftig"

Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Das Studium von Kants Kritik der praktischen Vernunft spielte für Fichtes philo­sophische Entwicklung eine entscheidende Rolle, wie seine Aussage dar­über be­legt: "Ich lebe in einer neuen Welt, seitdem ich die Kritik der prakti­schen Ver­nunft gelesen habe" (GAIII,I,167).[1] Die Kritik der reinen Vernunft dürfte gleichermaßen zu Fichtes Sinneswandel beigetragen haben, da sie Voraussetzung zum Verständnis der zweiten Kritik ist. Kants philosophischer Einfluß auf Fichte war so entscheidend, daß dieser sich vom Determinismus ab­wandte. Hatte Fichte zuvor die Ansicht vertreten, jede menschliche Hand­lung erfolge mit Notwen­digkeit aus einem Ursache-Wirkungs-Prinzip, so über­zeugte ihn das Stu­dium der Kantischen Kritiken von der Freiheit der Vernunft.[2] Die Konzeption eines un­bedingten Sollens in der Formulierung des kategori­schen Imperativs sowie die der Korrelation von Freiheit und Sittengesetz be­wirkten eine "kopernikanische Wende" in Fichtes Denken hin zur selbstbestim­menden Ver­nunft. Dies ließ ihn in einem Brief schreiben, er sei jetzt "gänzlich überzeugt, daß der menschliche Wille frei sei, und daß Glückseligkeit nicht der Zweck unseres Daseins sei, sondern Glückswürdigkeit." (GAIII;1,171) Den­noch kritisierte Fichte die Grund­lagen der Kantischen Ethik in der Anweisung zum seligen Leben scharf, und grenzte sich in seiner mit der Religionsphi­losophie einhergehenden ethi­schen Konzeption expressis verbis von Kant ab.

Da Philosophieren immer in einem Verhältnis von Philosophen zueinan­der geschieht, das Gemeinsamkeiten bestätigt oder Unterschiede und konkrete Ge­gensätze herausarbeitet, ist die Vorgehensweise der vorliegenden Arbeit, sich nicht von einer Interpretation Fichte gegen Kant oder vice versa leiten zu lassen, sondern die Aufmerksamkeit auf strukturelle Gemeinsamkeiten im vermeintli­chen oder behaupteten Unterschied zu richten. Die Kritik Fichtes an den Grundla­gen der Moraltheorie Kants gab den Anstoß, die Leitbegriffe der praktischen Philosophie Kants textnah und im Zu­sammenhang darzustellen, so daß es möglich ist, im Anschluß seine Kritik zu relativieren.

Die Arbeitsgrundlage ist der Anspruch, zwei großen Philosophen gerecht zu werden. Deshalb bemüht sich die Darstellung von Kants ethischer Theorie und Fichtes Religionsphilosophie um die Nähe zum Text und versucht doch, in kritischer Di­stanz zu einem eige­nen Standpunkt zu kommen.

Die praktische Philosophie Kants und seine Postulatenlehre ist Thema des ersten Kapitels. Sie bilden den Ausgangspunkt für Fichtes Moralbegrün­dung in der Religionslehre. Weil Fichte darin einen anderen Weg als Kant ein­schlug, wird der Lehre von den Postulaten besondere Aufmerksamkeit gewid­met. Zielsetzung ihrer Darstellung ist der Versuch, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob das Kernstück in der "Dialektik" der Kritik der prak­tischen Ver­nunft, nämlich der Begriff des "höchsten Gutes" und die Postulate "Gott", "Freiheit" und "Unsterblichkeit der Seele", nach­weislich eine Inkonsequenz Kants im System der praktischen wie theoretischen Ver­nunft widerspiegelt.

Weil Fichtes Reflexionsniveau in der Anweisung den methodischen Ort seiner philosophi­schen Theorie impliziert und für die­se die transzen­dentale Fragestellung Kants Bedingung ist, wird im zweiten Kapitel die Antwort Kants und Fichtes auf die Frage, "Was kann ich wissen?" kurz beleuchtet. Eine Skiz­ze ihrer Methodik in der theoretischen Philosophie soll gemeinsame Ansätze und unterschiedliche Weiterführungen andeuten, so daß die Struktur ihres transzen­dentalen Fragens in ihren konstitutiven Schwerpunkten ausgelotet wird.

Im Anschluß daran wird im Rekurs auf den zweiten Vortrag der Wissen­schaftslehre von 1804 der methodische Weg Fichtes zum Absoluten skizziert, da Fichtes Religionslehre von 1806, Die Anweisung zum seligen Leben, die in der Wissenschaftslehre von 1804 systematisch erarbeitete höchste Einheit von Sein und Denken zum Ausgangspunkt hat. Dieses Vorge­hen soll den Bo­den bereiten für die dann folgende syste­matische Darstel­lung von Fichtes Re­ligionslehre. Der Exkurs zur Wissenschaftslehre erscheint ange­bracht, um aus ihrer Perspektive von 1804 die Anweisung in den Zu­sammen­hang von Fich­tes philosophischer Kon­zeption zu integrieren.

Die Aufgabe, die Anweisung in ihrer leitmotivischen Aussage "Es ist, außer Gott, gar nichts wahrhaftig" aus dem Kontext der praktischen Philoso­phie Kants zu beleuchten, wird sich besonders Fichtes Antwort auf die Fragen "Was soll ich tun?" und "Was darf ich hoffen?" zuwenden, um seine Mo­ralbe­gründung darzustellen.

Das vierte Kapitel betrachtet die Postulatenlehre im Spiegel der Religionslehre Fichtes. Eine Schlußbetrachtung faßt die Ergebnisse dieser Arbeit noch einmal zusammen.

Kapitel 1 Die praktische Philosophie Kants als Hintergrund für Fichtes Religionslehre

1.1 Kants Anspruch an eine Moralphilosophie

Alle Philosophie, deren Lehren auf apriorischen Prinzipien ruhen, nennt Kant zu Beginn der Grundlegung der Metaphysik der Sitten"reine Philoso­phie", die in Logik und Metaphysik unterschieden wird (BAIIIff)[3] ; die Metaphysik wie­derum wird noch­mals in zwei Gebiete geteilt: Die "Metaphysik der Na­tur" und die "Metaphysik der Sitten" (GMS;BAVIf). In der Metaphysik der Sitten, auch Ethik genannt, findet sich ein empirischer und ein rationaler Aspekt, wobei der empirische als "praktische Anthropologie", der rationale dagegen mit dem Be­griff "Moral" be­zeichnet werden kann. Kant stellt sich in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten die Auf­gabe, eine reine Moralphilosophie zu begründen, die keinerlei empirische Elemente enthält. Wären empirische Elemente in einer Moralphiloso­phie anzutreffen, müßte diese de facto der praktischen Anthropo­logie zugeordnet werden. Um aber die oberste Norm in der Be­urteilung der Sitten festzusetzen, muß eine Meta­physik der Sitten den Ur­sprung der a priori in der Vernunft liegen­den prakti­schen Grundsätze erfor­schen. Mit Hilfe dieser Grundsätze entwickelt Kant einen Leitfaden, der die Metaphy­sik der Sitten von jeglichen empirischen Elementen befreit. Denn er bemüht sich, seinem An­spruch gerecht zu wer­den, nach dem eine reine Moralphilosophie ihr Augen­merk ausschließlich auf Prinzi­pien a priori richtet, die den Wil­len be­stimmen. Dieser kann des­halb ein reiner Wille genannt werden (vgl.GMS;BAXIIf.). Aus diesem Grun­de untersucht eine Me­ta­physik der Sitten - im Gegen­satz zur Psy­chologie - "die Idee und die Prin­zipien eines mögli­chen reinen Wil­lens ..., und nicht die Hand­lungen und Be­dingungen des menschlichen Wollens überhaupt." (ebd.)

Das praktische Vermögen der Vernunft sieht Kant als die Möglich­keit, auf den Willen Einfluß zu nehmen. Ihre wahre Bestimmung charakte­risiert er so, daß sie "einen, nicht etwa in anderer Absicht als Mittel, sondern an sich selbst guten Willen" hervorbringen muß (GMS;BA6f). In dieser Bestimmung folgt Kant dem programmatischen Satz des ersten Abschnitts der Grundlegung:

"Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer der­sel­ben zu den­ken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehal­ten wer­den, als allein ein gu­ter Wille." (GMS;BA1,2)

In diesem provokativ klingenden Satz kann die Aufforderung an den Men­schen gesehen werden, sich in seinem Denken und Handeln die Frage vorzu­legen, ob seine Absichten "gut" sind. Dabei ist nicht relevant, in welchem Zusammen­hang sich der Wille äu­ßert; er ist nicht in einer Beziehung gut und in der an­de­ren schlecht: "Er ist, kurz ge­sagt, gut ohne Einschränkung oder besondere Be­stim­mung oder Vor­be­halt."[4] Kant vertritt die Auffassung, daß ein an sich selbst guter Wille durchaus im na­türlichen gesunden Ver­stand vorgefunden wird und deshalb nicht gelehrt, sondern vielmehr aufge­klärt werden müsse. Doch wenn der Begriff eines an sich selbst guten Wil­lens als Bedin­gung aller moralischen Handlungen gelten soll, muß ihm eine Analyse des Pflichtbegriffes vorausge­hen, da dieser den Begriff eines guten Willens, wenn auch "unter gewissen subjektiven Einschrän­kungen und Hin­dernis­sen enthält ...," die ihn aber um so mehr hervortreten lassen (GMS;BA8).

1.2 Kants Pflichtbegriff

Kants Definition von Pflicht hat nicht nur Anlaß zu den unterschiedlichsten Dis­kussionsstandpunkten gegeben, sondern auch zu mißverständlichen In­ter­pretatio­nen verleitet.[5] In der genauen Beschreibung der Pflicht versucht Kant in erster Linie, unsere Handlungen nach ihrem moralischen Wert zu unter­suchen. Er diffe­renziert dabei zwischen Handlungen, die zwar einer Neigung entsprin­gen und dennoch pflichtmäßig genannt werden können, und denjeni­gen, die ausschließlich ei­ne moralische Ma­xime zur Grundlage haben und deshalb als Pflichterfüllung gelten.

Schillers bekannte Distichen, mit denen er Kants Pflichtbegriff kriti­siert, wer­fen ein Licht auf scheinbare Implikationen im Begriff der Pflicht: Nach Schil­lers Kant-Verständnis gelten nur die Handlun­gen als moralisch, die ei­ner­seits aus Pflicht erfolgen und andererseits eine Ge­genposition zur Nei­gung ein­neh­men. Genau dies ist ein Mißverständnis, denn für Kant definie­ren sich diese Handlungen durchaus nicht als die eigentlich morali­schen, wie sich bei genaue­rer Betrachtung zeigen wird.[6] Aus der präzisen Unter­scheidung zwischen Handlungen aus Pflicht oder aus Neigung läßt sich auf Kants Absicht in seiner ethischen Konzeption schließen: er will eine von al­lem Empiris­mus freie Mo­ralphi­lo­sophie entwickeln. Deshalb bezeichnet Kant Hand­lungen als moralisch gut nur dann, wenn sie aus Pflicht, unab­hängig von je­der Neigung, die im em­pirischen Bereich ange­siedelt ist, ge­schieht. Diese Bestimmung trennt kon­se­quent zwischen pflichtmäßigen Handlungen, die sinnlichen Motivationen ent­springen, und denjenigen, die auf einem apriori­sch formu­lierten Gesetz beru­hen. Dabei geht es Kant in dieser Differenzierung im wesentlichen um den "innern Wert" und "moralischen Gehalt" einer Hand­lung (GMS;BA9). Das wiederum impli­ziert, daß der moralische Wert ei­ner Handlung schon im Den­ken bestimmt wird, denn dort wird der Entschluß zum Handeln gefaßt, und die sich hinter ihm ver­bergende Absicht kann gut oder schlecht sein. Im Denken soll bereits die Ent­scheidung für das unbedingt Gute fallen, entgegen al­len subjektiven Wünschen und äußeren Bedingungen. Der moralische Wert einer Handlung liegt deshalb auch nicht in der daraus erwarteten Wirkung, son­dern im Wil­len eines vernünfti­gen Wesen, in dem das Gute präsent ist. Kant charak­teri­siert das Gute "als die Vorstel­lung des Gesetzes an sich selbst, die freilich nur im vernünftigen Wesen stattfin­det ..." (GMS;BA15,16). Mit dieser Defini­tion be­schreibt er als Bestim­mungsgrund des Willens ein "Selbstverhältnis" der Vernunft:[7] In­dem der Mensch reflektiert, erschließt er sich das morali­sche Ge­setz als Vorstellung. Deshalb ist diese Vorstel­lung des Gesetzes in der Vernunft zu­gleich objektiver Grund und Anstoß seines Willens und steht auf einer Wer­tes­kala über je­der Art von äuße­rer Motivation für eine Hand­lung. Nur diese be­schriebene Innengesetz­lichkeit als Hand­lungsgrund kann "Gegenstand der Ach­tung" sein, welche kein dunkles, un­bestimmtes Gefühl ist, das von außen affi­ziert wurde, sondern aus der Ver­nunft selbst ent­springt:

"Was ich unmittelbar als Gesetz für mich erkenne, erkenne ich mit Ach­tung, welche bloß das Bewußtsein der Unterordnung meines Willens unter einem Gesetze, ohne Vermittelung ande­rer Einflüsse auf meinen Sinn, bedeu­tet." (GMS; BA17,Anm.)

Aus diesem Grunde verhält sich zwar das Gefühl der Achtung analog zu Nei­gung und Furcht, hat aber als seinen Gegenstand nur das Gesetz, das der Mensch sich selbst auferlegt, weshalb es nicht durch einen Einfluß empfangen, sondern durch Vernunft selbst gewirkt ist (vgl.GMS;ebd.). Dabei ergibt sich die Frage, wie dieses Gesetz be­schaf­fen sein muß, um eine reine Achtung zu er­zeugen. Denn diese reine Achtung soll frei von Emotionalität und daraus fol­genden Neigungen sein. Die Antwort Kants lautet: Das Gesetz muß den An­spruch eines all­ge­mein­gültigen Charakters in allen Handlungen erfüllen und als Prinzip des Wil­lens gelten. Jede subjektive Entschei­dung sollte des­halb die Frage, ob ih­re Ma­xime jederzeit ein für alle Menschen gültiges Ge­setz sein könnte, ein­deutig bejahen können (vgl.GMS;BA17). Wenn eine Maxime als eine be­son­dere Art von Prinzip zu verstehen ist, kann sie als das subjektive Prinzip des Handelns definiert werden.[8] Da das Wort "Prinzip" wört­lich "Anfang" bedeutet, in der Übersetzung des griechischen Wortes arch, von dem es sich ableitet, darf es genaugenommen keinen höhe­ren Grund haben. Somit wäre das Grund-Folge-Verhältnis für den idealtypi­schen Fall, in dem Handlungen aus Gesetzen abgeleitet werden: Das Gesetz wird aus einem ver­nünftigen Denken erzeugt, welches eine Fähigkeit des Menschen ist; aus Ach­tung für das Gesetz trifft das Vernunftdenken ei­ne subjek­tive Entschei­dung, die dem objektiv erkann­ten Gesetz entspricht, und in der seiner Maß­gabe folgen­den Han­dlung erfüllt der Mensch seine Pflicht. In der Konse­quenz kann nach Kant nur diese reine Gesetz­mäßig­keit als Prinzip des Wil­lens zugrundege­legt werden, "wenn Pflicht nicht überall ein leerer Wahn und chimärischer Begriff sein soll" (GMS;BA17). Ein "vollkommen guter Wille" befolgt also das all­gemeingültige, ob­jektive Ge­setz nur durch die Vorstellung des Guten (GMS;BA38). Die im Denken erkann­te Notwendigkeit, die in der Folge die Handlung bestimmt, entspricht dem Begriff der Pflicht: Es ist "die Notwendig­keit meiner Handlungen aus reiner Ach­tung fürs prakti­sche Ge­setz ..., was die Pflicht ausmacht" (GMS;BA20). Kant impli­ziert also, daß je­der Mensch weiß, was er zu tun habe, um ehrlich und gut zu sein. Er räumt deshalb dem prakti­schen Urteilsvermögen gegenüber einem theoretischen Gebrauch der Vernunft eine höhere Kompetenz ein. Denn ent­sprechend der Kritik der reinen Vernunft verliert sich die theoretische Ver­nunft in Widersprüche, wenn sie den gesicher­ten Boden der Erfahrung ver­läßt; die praktische Vernunft hin­ge­gen gewinnt erst dann an Ur­teilskraft, wenn sie alle sinnli­chen Motivatio­nen aus­schließt.

Kants hoher An­spruch an Moral läßt gleichwohl den Schluß nicht zu, daß er infolge mangelnder Menschenkenntnis den Menschen über­schätzt habe. Er wußte, daß der Mensch "in sich selbst ein mächtiges Ge­gengewicht gegen alle Gebote der Pflicht" fühlt, das entgegen aller Vernunft ge­wissen Neigun­gen und Bedürfnissen nachzugeben versucht, um so ver­meintlich "Glückseligkeit" zu er­reichen (GMS;BA23). Aus diesem Grun­de muß nach Kants Aussage eine "gemeine Menschenvernunft" unterrichtet werden, um zu wirklich sittlichem Han­deln zu reifen (GMS;BA23f.). In der Kultivie­rung der Vernunft kann sie dann aber die "natürliche Dialek­tik" überwinden, die einen Hang er­zeugt, gegen die strengen Gesetze der Pflicht zu "vernünfteln" (GMS;BA23). Anders formuliert heißt das, daß Menschen auf die eine oder andere Weise ihre Handlun­gen immer rechtferti­gen, da dies ihrem Be­dürfnis entspringt, ihren Nei­gungen nachzugeben, obwohl sie dem in ih­rer Vernunft angelegten Wissen über richtiges und falsches Handeln Folge leisten wollen. Deshalb hat die Philosophie die Aufgabe, den gesunden Menschenverstand mit Hilfe der Wissenschaft, die das System der Sitten voll­ständig erfaßt, über ein natürlich morali­sches Handeln hinauszuführen. Das bedeu­tet, daß sittliches Handeln bewußt gemacht werden muß, indem das Wissen im Re­kurs auf die philosophische Wis­senschaft erweitert und gefe­stigt wird, um sich den strengen Gesetzen der Pflicht annähern zu können (ebd.). Kant ist sich der psychischen Dispositionen des Menschen durchaus bewußt, und er weiß, daß sein Pflicht­gebot, mit dem er den Maßstab für den moralischen Wert von Hand­lung vor­gibt, häufig mit egozentrischen Zwecken in Konflikt gerät:

"Ich will aus Menschenliebe einräumen, daß noch die meisten un­se­rer Handlungen pflichtmäßig seien; sieht man aber ihr Tichten und Trach­ten nä­her an, so stößt man allenthalben auf das liebe Selbst, was immer hervor­sticht, worauf, und nicht auf das strenge Gebot der Pflicht, welches mehrma­len Selbstver­leugnung erfor­dern würde, sich ihre Absicht stützet." (GMS; BA 28).

Diese Aussage gipfelt darin, daß die "Vernunft für sich selbst und unab­hän­gig von allen Erscheinungen gebiete, was geschehen soll ... " (GMS;BA28) und daß die Ideen der Pflicht nicht aufgegeben werden dürfen. Jedoch schließt er nicht aus, daß es in der Welt womöglich noch keine Handlung gab, die die­sen - von allen empirischen Motivationen freien - morali­schen Anspruch erfüllte.

Wie kann Kant dann entgegen aller Erfahrung, sozusagen wider besseres Wissen, darauf dringen, ein apodiktisches Gesetz der Pflicht zu fordern? Die Ant­wort auf diese Frage gibt er in der Grundlegung zur Meta­physik der Sit­ten, indem er der reinen Vorstellung der Pflicht und des sittli­chen Gesetzes den größten Ein­fluß auf den Men­schen einräumt (GMS;BA34). Da die apriorischen sittlichen Begriffe in der Vernunft zu finden sind, müs­sen sie nach Kants Auf­fassung for­muliert werden, um moralische Ge­setze auf die Gemein­schaft der Menschen an­wenden zu können. Ziel die­ses mo­ralischen Anspruchs ist es, "reine morali­sche Gesinnungen zu bewir­ken und zum höchsten Weltbesten den Gemütern einzu­pfropfen." (GMS;BA35) Weil nur vernünftige Wesen die Fä­higkeit besitzen, nach einer Vorstellung der Ge­setze zu handeln, jedoch der Wille dieser Wesen nicht immer der Ver­nunft entspricht, müssen die Gesetzes­vor­stellungen in Form von Imperativen for­muliert werden. Ein Imperativ, das heißt, die Vorstellung eines objektiven Prinzips, die sich durch ein Sollen ar­ti­kuliert, zeigt die Relation zwi­schen einem objektiven Gesetz der Vernunft und dem subjektiven Willen, wobei diese jedoch häufig divergieren.

Deshalb soll der nächste Schritt in Kants "Handlungstheorie"[9] zeigen, wie man von dem formalen Begriff der Gesetzmäßigkeit, die den Willen be­stimmen soll, zu den unterschiedlichsten Pflichten und moralischen Hand­lun­gen des tägli­chen Lebens kommt. Dazu muß die Materie betrachtet wer­den, mit der dieser formale Begriff gefüllt werden soll. Die materialen menschlichen Maximen basie­ren auf Neigungen zu bestimmten Objekten. Um dem Anspruch einer autonomen Moralphilosophie zu entsprechen, müs­sen diese Maximen mit Hilfe des Prinzips der Universalität angenommen oder verworfen werden.[10] Das Prinzip der Univer­sali­tät, den allgemeingülti­gen Anspruch für alle ver­nünftigen Wesen, formuliert in der Moralphiloso­phie Kants der kategorische Imperativ.

1.3 Der kategorische Imperativ

Mit dem Begriff des Imperativs fächert Kant in drei Schritten systematisch das Gebiet der praktischen Vernunft - des menschlichen Wollens und Han­delns - auf. Der erste Schritt im vorangegangenen Kapitel zeigte die Ablei­tung des Im­perativs aus dem Pflicht­begriff. In diesem Kapitel soll im zwei­ten Schritt eine Analyse der möglichen Formen der Impera­tive Aufschluß ihrer ethischen Struktur geben und im dritten Schritt die Verbind­lichkeit des Imperativs ge­prüft werden.[11] Die allgemeine Definition eines Impera­tivs lautet nach Kant:

"Die Vorstellung eines objektiven Prinzips, sofern es für einen Wil­len nöti­gend ist, heißt ein Gebot (der Vernunft) und die For­mel des Gebots heißt Imperativ." (GMS; BA37)

Dabei ist hervorzuheben, daß Imperative ausschließlich den menschlichen Willen bestimmen, da ein gött­li­cher und demzufolge heiliger Wille das Gute wollen würde, oh­ne dazu aufge­fordert werden zu müssen.[12] Imperative sind also Gebote, die das Wollen einer Handlung für den Menschen durch das Sol­len dieser Hand­lung bestimmen. Zu ihrer genaueren Be­stimmung trifft Kant die Unterscheidung zwischen hypotheti­schen und kategorischen Impe­rativen. Die hypotheti­schen Im­pera­tive be­schreibt er in zwei möglichen Formen: Han­delt man, weil der Zweck der Handlung mög­licherweise gut ist, aber die Frage relevant ist, wie er erreicht wird, heißt diese Form des Imperativs proble­mati­scher Imperativ. Proble­matische Impera­tive können deshalb auch Imperative der Geschicklichkeit heißen (vgl.GMS;BA40f.).[13] Richtet sich die Handlung auf den Zweck, den man bei allen vernünftigen Wesen als eine Naturnotwen­digkeit voraussetzen kann, nämlich die eigene Glückse­ligkeit, wird dieser Im­perativ assertorisch genannt (vgl.GMS;BA44). Der Imperativ dagegen, dem keine "durch ein gewis­ses Ver­hal­ten zu erreichende Absicht als Bedingung" zugrun­de liegt, weil er "dieses Verhalten unmittel­bar ge­bietet", wird katego­risch ge­nannt (GMS;BA43). Das bedeutet also, daß der kate­gorische Im­perativ sich auf keine Materie der Handlung bezieht und weder Erfolg noch Mißerfolg der ausge­führten Hand­lung berücksichtigt. Er betrifft nur die Form und das Prinzip, aus dem diese Handlung er­folgen soll; entscheidend ist deshalb die Gesin­nung, aus der ge­handelt wird. Sie al­lein bestimmt auch, ob die Handlung mo­ralisch gut ist. Aus die­sem Grunde nennt Kant den kategorischen Im­perativ auch Impe­rativ der Sittlichkeit.

In dieser Differenzierung tritt Kants Absicht klar zutage: Der ka­tego­ri­sche Im­perativ soll sich in seiner Sollensforderung strikt von den hypothe­ti­schen Impe­rativen abhe­ben. Der Grund: sittliche Imperative sollen verhin­dern, daß die Men­schen unter gegebenen Umstän­den auch die Mittel zu ei­nem Zweck billigend in Kauf nehmen oder ihre Hand­lungen durch einen vorgege­benen Zweck bestimmen lassen. Kategori­sche Imperative sind somit unbedingt und frei von materialen In­halten allein dem für alle vernünftigen Wesen gel­tenden Sittengesetz verpflichtet.

Im nächsten Schritt klärt Kant die Struktur des kategorischen Impera­tivs und gibt eine Antwort auf die implizite Frage, wie diese Imperative möglich sind, so­fern sie den Wil­len in ihrem Sinne nötigen (vgl . GMS;BA44,45). Für die Imperative der Ge­schick­lichkeit oder pragmati­sche Imperative steht das nach Kants Ansicht außer Frage, denn wer ein bestimmtes Objekt als Ziel sei­ner Handlung will, denkt sich verursachend und bezieht den Gebrauch der Mittel gedanklich mit ein. Dieser Imperativ ist ein analyti­scher Satz, denn der pragmatische Imperativ erschließt sich den Begriff notwen­diger Handlungen zu einem bestimmten Zweck bereits aus dem Begriff des Wollens dieses Zweckes. Der kategorische Impe­rativ dagegen ist nach sei­ner Definition "ein synthe­tisch-prak­tischer Satz a priori" (GMS;BA50,51). In der Strukturbeschreibung des kategorischen Imperativs als synthetisch-apriori­scher Satz ergibt sich allerdings die Schwierigkeit, die Frage zu beantworten, wie in der praktischen Philoso­phie synthetische Sätze a priori möglich sind, da dies schon im Bereich theore­tischer Erkenntnisse mit Problemen ver­bunden ist. Die Kritik der reinen Ver­nunf t formuliert als eigentliche Aufgabe der reinen Vernunft die Frage: "Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?" (KrV;B18ff.). Alle synthetisch-apriorischen Sätze der theoretischen Vernunft müs­sen, um diese Aufgabe zu lösen, zu den Anschauungen der sinnlichen Welt "Begriffe des Verstandes, die für sich selbst nichts als gesetzliche Form überhaupt bedeuten" hinzufügen, auf denen dann "alle Erkenntnis einer Natur beruht" (GMS;BA111). Diese knappe Aussage der Grundlegung geht auf die bereits in der Kritik der reinen Vernunft gegebene Auflösung der Frage zurück (vgl.KrV;B73).

Um die Problematik darzustellen, die Kant in der praktischen Philoso­phie in der Vermittlung von Freiheits- und Naturgesetzen zu lösen hat, er­scheint ein Ex­kurs in die theoretische Philosophie angezeigt, der zeigen soll, wie Kant die Mög­lichkeit synthetisch-apriorischer Sätze aus der theoreti­schen Perspektive der Ver­nunft konzipiert hat.

Die Frage ist, wie die Erkenntnis der Natur unter der Voraussetzung syn­thetisch-apriorischer Sätze zustande kommt. Eine Synthesis im Ver­stande ent­steht, weil in den uns innewohnenden reinen Anschauungen a priori - Raum und Zeit - das angetroffen wird, was nicht im Begriff, aber in der Anschauung, die ihm ent­spricht, a priori zu finden ist und mit jenem synthetisch verbunden werden kann, weshalb aber die Urteile "nie weiter, als auf Gegenstände der Sinne reichen und nur für Objekte möglicher Erfah­rung gelten können" (KrV;B73). Das heißt, um von den in der Anschauung gegebenen komplexen, noch unstrukturierten Empfin­dungen, die sich in Raum und Zeit ausbreiten, zur Erkenntnis eines objektiven Gegenstandes zu gelangen, muß es das verbin­dende Element des Begriffes geben, das wie­derum unabhängig von der sinnli­chen Anschauung ist. Die Synthesis wird also aufgrund von Begriffen geleistet, die diese Empfindun­gen zu einer Einheit zusammenfügen und sie benennen. Da die Begriffe nicht aus den Empfindungen stammen, muß ihnen auch ein synthetisieren­des Moment zugrunde liegen, das sie in Anwendung bringt und welches deshalb auf einer höheren Stufe der Einheit stehen muß. Diese ein­heitsstif­tende Verbindung kann nur im Subjekt aufgefunden werden, weil sie vor aller empirischer und begrifflich-kategorialer Verknüpfung liegt. Kant nennt diese nicht mehr hintergehbare Vorstellung die "ursprüngliche Apperzep­tion", die spontan im Actus des "Ich denke", welches "alle meine Vorstel­lun­gen begleiten können" muß, das allem Bewußtsein zugrun­de liegende Selbst­bewußtsein beschreibt (KrV;B132f.). Aus diesem Grunde hat die reine oder auch ursprüngliche Apperzeption den Status einer transzendentalen Einheit, weil sie "in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist" (KrV;B132). Als diese Ein­heit leistet sie nicht das konkrete Zusammenfassen der Kom­plexität der Vor­stellungen unter einen reinen oder empirischen Begriff, sondern sie ist die Be­dingung der Möglichkeit für das erscheinende Moment des "Ich denke" in ei­nem transzendentalen Bewußtsein. Da also der metho­dische Ort des "Ich denke" vor aller Erfahrung liegt und mit dem empirisch-psychologischen Ich nichts ge­mein hat, muß es als allem Bewußtsein und Selbstbewußtsein zu­grunde liegend gedacht werden.[14] Kant fand so in der transzendentalen Apper­zeption den obersten Grundsatz, "um die Möglich­keit der Erkenntnis a priori aus ihr zu bezeichnen." (KrV;B132f.) Nach seiner theoretischen Konzeption sind synthetische Urteile a priori in der Wissen­schaft dann möglich, wenn die formalen Bedingungen der An­schauung a priori, die Synthesis der Einbil­dungskraft, und die notwendige Einheit der­selben in einer transzendentalen Apperzeption auf die Möglichkeit einer Erfah­rungserkenntnis bezogen werden. Daraus folgt, daß "die Bedingungen der Mög­lichkeit der Erfahrung überhaupt... zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung ... " sind und "darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Ur­teile a priori" erhalten (KrV;B197f,A158f.).

Worauf sich wiederum die transzendentale Apperzeption gründet, ließ Kant unbeantwortet. Diese fehlende Antwort war dann für Fichte Antrieb, die Frage nach einem höher liegenden Einheitspunkt zu stellen, aus dem sich in der Konse­quenz das Bewußtsein in der Form von Denken und Han­deln oder Ver­stand und Wille als etwas Sekundäres ableiten läßt.[15]

Soweit der Exkurs in Kants theoretische Philosophie. Analog zu den eben dargestellten synthetisch apriorischen Sätzen der theoretischen Ver­nunft soll in der praktischen Vernunft das kategorische Sollen des synthe­tisch-praktischen Sat­zes in der Formulierung des kategori­schen Imperatives die Kluft zwi­schen menschlichem Wollen und Sollen überbrücken. Das heißt, daß in einer morali­schen Handlung der Wille ohne eine Bedingung aus irgendeiner Neigung und die aus dem Sollensgebot folgende Tat a priori, damit not­wendig verknüpft wird. Der Imperativ fordert also zum Handeln auf, und der Mensch verbindet im Vollzug dieser Aufforderung, die seiner Vernunft entspringt, Denken mit Tun. Aus diesem Grunde ist der kategori­sche Impe­rativ

"ein praktischer Satz, der das Wollen einer Handlung nicht aus ei­nem ande­ren schon vorausgesetzten analytisch ableitet ..., sondern mit dem Begriffe des Willens als ei­nes vernünftigen Wesens un­mit­telbar, als etwas, das in ihm nicht enthalten ist, ver­knüpft." (GMS;BA50, Anm.)

Damit ist eine Analyse der Struktur der Imperative geleistet. Es bleibt aber noch die tranzendental-philosophische Frage offen, wie der kategorische Impe­rativ als ein sittlich synthetischer Satz a priori aus reiner Vernunft möglich sein soll.[16] Nach Kant ist der kategorische Imperativ möglich, weil er als Gesetz der Freiheit in der Synthesis den Inhalt der Maximen mit ei­nem unbedingten Sol­len ver­knüpft.[17] In dieser Funktion spiegelt der kate­gorische Imperativ "die synthetische Struktur der Freiheit als intelligibles Vermögen"[18] wider, "eine Reihe von sukzes­siven Dingen oder Zuständen von selbst anzufangen" (KrV;B476,A448), womit Kant in der dritten An­tinomie der Kritik der reinen Vernunft die Frage nach der Freiheit des Wil­lens stellt. Da die Welt der Er­scheinungen kausaldeterminiert ist, sind dem­zufolge alle Handlungen des Men­schen unfrei. Aus der Sicht der theore­tis­chen Vernunft ist zwar "eine wider­spruchslose Einigung von Freiheit und Kau­salität der menschlichen Natur denkmöglich, aber als objektiver Real­vorgang theoretisch prinzipiell unerkenn­bar".[19]

In der Kritik der praktischen Vernunft ist es Kants Absicht, die Frei­heit als Wirklichkeit aufzuweisen. Das geschieht, indem er das moralische Gesetz in der Formulierung des kategorischen Imperativs zur "ratio cogno­scendi" der Freiheit erklärt, weshalb diese in der Grund-Folge-Relation die "ratio essendi" des katego­rischen Imperativ sein muß (KpV;5). Allerdings läßt die Begrün­dung der Freiheit aufgrund des Bewußtseins eines morali­schen Gesetzes die Frage offen, worauf sich nun die Freiheit selbst gründet. Die Antwort auf die Frage nach dem Grund der Freiheit könnte in der trans­zendentalen Apperzep­tion liegen, wäre diese von Kant als konstitutives Moment schlechthin gedacht worden. Da Kant diese Kon­sequenz nicht ge­zogen hat, kann die Freiheit in ih­rer Charakteristik in seiner phi­losophischen Konzeption nur aus der Ambiva­lenz der theoretischen und prakti­schen Per­spektive bestimmt werden.[20]

Deshalb wird der Status des Menschen in der praktischen Vernunft durch seine Zugehörigkeit zur intelligiblen Welt wie auch der sinnlichen Welt defi­niert. Als Glied der übersinnlichen Welt versetzt ihn die Idee der Freiheit in die Lage, autonom und dem moralischen Gesetz entsprechend, das er erkennt, weil er frei ist, seine Entscheidungen zu treffen. Da er zu­gleich ein Mitglied der sinnlichen Welt ist, vermag er durch seine Handlun­gen diese beiden Bereiche miteinander zu verknüpfen. Sofern der menschli­che Wille auch durch empiri­sche Momente be­stimmt werden kann, sollen diese in den Einzelhandlungen aufgrund der mo­ralischen Forde­rung in Form des kategorischen Imperativs überwunden wer­den. Wenn das kategorische Sol­len in der Handlung erfüllt wird, erhält der sitt­liche Imperativ objek­tive Realität. Diese Argumentation führt Kant zu der Aus­sage, daß der Wille in ei­nem synthetisch-prakti­schen Satz a priori, das heißt ohne Bedingungen aus dem empi­ri­schen Bereich, mit dem konkreten Tun ver­knüpft wird. Das Sol­len der Handlung wird also nicht aus Seinstatsachen abge­leitet, sondern "die moralische Selbsterfahrung des prakti­schen Vernunftwe­sens ... ",[21] spiegelt sich in der Handlung wider, in denen das Wollen derselben sich unmittelbar mit seinem Willen als ein ver­nünftiges We­sen verbindet (GMS;BA50,Anm.). Deshalb ist ein "naturalistischer" oder "Sein-Sollens"-Fehlschluß nicht gegeben.[22] Kant zeigt somit in der praktischen Philosophie, daß Handeln aus reiner Vernunft möglich ist, obwohl der Mensch sowohl der intelligiblen Welt als auch der sinnlichen Welt angehört. Indem wir moralisch handeln, können wir uns über die kausaldeterminierte Welt der Er­schei­nungen erheben und Einfluß auf sie nehmen. So leistet in Kants ethischem Modell der kategorische Im­perativ als synthetischer Satz a priori die Synthesis dieser un­terschiedlichen Standpunkte des Menschen. Mit dem kategorischen Imperativ be­antwortet Kant die Aufgaben­stellung einer reinen praktischen Vernunft, in wel­cher diese ein unmittelbarer Bestimmungsgrund des Willens "als eines frei­en Willens" in der Formulierung eines allgemeingül­tigen Geset­zes sein soll (KpV;78). Die Formalisie­rung der Willensbestimmung ermöglicht ein für alle vernünftige Wesen geltendes Gesetz. Dieses bestimmt den Willen frei von sinnli­chen Motivationen und betrifft den Menschen als Vernunftwesen, als "Zweck an sich selbst" (GMS;BA65). Diese Vernunftbestimmung zeich­net den Menschen als Person aus, im Gegensatz zu vernunftlosen Wesen, die als Mittel benutzt werden und demzufolge als Sache gekennzeichnet sind. Das be­deutet, daß die Verwirkli­chung der menschlichen Vernunft in der Natur Zweck allen Handelns sein soll und Vernunftwesen nie als Mittel, sondern jederzeit im Hinblick auf ihre Ver­nunftbestimmung angesehen wer­den sollen.

Wenn Kants Aussage in der Kritik der reinen Vernunft: "Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind" (KrV; B76,77,A52) unter einem handlungstheoretischen Gesichtspunkt abgewandelt wird zu: "Prinzipien ohne Anwendung sind leer"[23], muß sich der allgemeine Charak­ter des Moralge­setzes nach Anwendungsprozessen auf konkrete Sachver­halte hin untersuchen lassen.[24] Diese Bedingung ist in Kants Moralphiloso­phie insofern erfüllt, als die Kausalität in ihrer Tätigkeit von der praktischen Vernunft er­kannt werden muß, da sie sonst keine Tat vollbringen könnte. Die Vernunft bewirkt durch das moralische Gesetz eine praktische Bedeu­tung des Kausali­tätsbegriffs, "da nämlich die Idee des Ge­setzes einer Kau­salität (des Willens) selbst Kausalität hat, oder ihr Bestim­mungsgrund ist." (KpV;87) Das heißt, daß die Verantwor­tung für das Handeln bereits in der gedanklichen Formulie­rung der Gründe beginnt, die dann den Wil­len zur jeweiligen Handlung be­stim­men.[25] In der Relation von Gedanke und Tat hebt Kant zwar die Bedeutung der Gesinnung hervor, die zu einer Handlung führt, indem er betont, daß es "auf die Willens­bestimmung und den Be­stimmungsgrund der Maxime dessel­ben, als eines frei­en Willens" und "nicht auf den Erfolg" an­kommt (KpV;79). Dies darf aber nicht zu dem Schluß verleiten, daß die Tat selbst nicht mehr ver­ant­wortet wer­den müsse, sobald sie über das Denken hinausrei­che.[26] Das Ver­hältnis von Denken und Handeln ergibt sich also aus Kants Mo­ralkriterium des allgemein­gültigen Gesetzes, das der ausschließliche Bestim­mungsgrund des menschli­chen Willens sein soll, und seine Formulierung im kate­gorischen Im­perativ. Die­ser hat die Funktion eines synthetisch-praktischen Satzes a priori und ver­mittelt in der moralischen Aufforderung zur Tat zwischen Denken und Han­deln. Kants ethische Konzeption sieht allerdings nicht vor, jede erdenkli­che Handlung bereits im Vorfeld auf ihre Moralität hin zu untersuchen. Die hand­lungstheoretische Vorgabe seiner Ethik ist, das im menschlichen Denken vor­ge­fundene Moralprinzip in Lebensgrundsätze in ethisch relevanten Situationen umzusetzen.[27]

Fichte sah in der Spannung zwi­schen Ge­danke und Tat in Kants An­satz die Gefahr, daß die moralische Relevanz in einen reinen Bestim­mungsgrund aufgelöst werden könnte[28], was in seiner Rezension von 1793 des Buchs von Leonhard Creuzer: "Skeptische Betrachtungen über die Frei­heit des Willens mit Hinsicht auf die neuesten Theorien über dieselbe" zum Ausdruck kommt. Hier differenziert Fichte zwi­schen dem "Tatcharakter der Handlung"[29] als "Äußerung der abso­luten Selbsttä­tigkeit im Bestimmen des Willens ..." (SWVIII;413)[30], welcher nicht er­scheint, weil er der rein geistigen, also intelli­giblen, Welt zugeordnet bleibt, und der bestimmten, "nur auf Eine Art be­stimmbaren Form, welche als Sittenge­setz erscheint." (SWVIII;413) Nur der sich selbst be­stimmende Wille, der ein "übersinnliches Vermögen" ist (SWVIII;414), kann als frei angenom­men werden. Sobald der selbstbestimmte Wille erscheint und als Ursache der Er­scheinung des Bestimmtseins angenom­men wird, sieht Fichte das als den Versuch, Intelligibles in die Reihe der Na­turursachen herabzuziehen und es so zu etwas Gegebenen zu machen, womit es kein Intelligibles wäre (SWVIII;414). Nach Fichtes Interpreta­tion hat Kant deshalb bereits gefor­dert, die Kausalität der Natur als auch die Kau­salität der Freiheit in einem höheren Gesetz zu vereinen, denn nur dann sei die Möglich­keit gegeben, "gleichsam in einer vorherbestimmten Harmonie der Be­stim­mungen durch Freiheit mit denen durchs Naturgesetz" auch eine moralische Weltordnung anzunehmen (SWVIII;415). Zu dieser Deutung sieht sich Fichte berechtigt, weil Kant zwar zwischen einem empirischen und einem intelligiblen Cha­rakter des Menschen unterscheidet und dennoch die Zweckmäßigkeit als Prinzip der reflektierenden Urteilskraft aufstellt, welche die Kausalität aus Freiheit und die Kausalität der Natur miteinander verknüpft. Diese Zweck­mä­ßigkeit läßt sich nach Fichtes Folgerung nur durch eine höhere, dritte Ge­setz­gebung denken (SWVIII;415).

Fichtes Dif­fe­renzierung zeigt, daß sich seine Reflexion schon zu die­ser Zeit oberhalb des Dualismus von theoretischer und praktischer Vernunft be­wegt. Er hat sehr früh auf seinem philosophischen Weg "nach der von Kant oft erwähnten ge­meinschaftlichen Wurzel der sinn­lichen und über­sinnlichen Welt, d.h. nach dem ontologischen Einheitsgrund der theoretis­chen und der prakti­schen Vernunft, der Natur und der Frei­heit"[31] gesucht. Sein Ansatz in der Kant-Rezeption führt über das disjunktive Verhältnis von nou­menaler und phäno­menaler Welt hinaus und läßt ihn nach einer dritten Sphäre forschen, die den Gegensatz die­ses dualistischen Bildes in sich ein­schließt und aufhebt. Es ist dieses "Grenzgebiet zwischen Frei­heit und Na­tur, der noumenalen und der phäno­menalen Welt, der reinen Vernunft der Philosophie und dem em­pirischen Umkreis menschlicher Handlungen in der Geschichte und Gesell­schaft ..., was im Brennpunkte des philosophischen Interes­ses Fichtes von Anbeginn steht."[32] Er beabsichtigt deshalb den Über­gang vom Frei­heitsbegriff der rei­nen Form zu den konkreten Gegebenheiten des sozia­len Lebens, des Rechts und der Politik zu schaffen. Die Begriffe von Pflicht und Sit­tengesetz sollen in Fichtes Pro­gramm ihren rein formel­len Charak­ter verlieren, in­dem sie sich nicht nur auf ei­ne aus­schließlich geistige Bestimmung des Menschen beziehen, sondern sich auch auf seine bestimmte Aufgabe in der em­pirischen Welt konzentrieren. Theo­retische und praktische Vernunft, Den­ken und Handeln sollen in der Ein­heit eines ihnen übergeord­neten Bereiches aufgewiesen werden.

Die Rezension des Buches von Creuzer zeigt, daß Fichte schon 1793 Über­legungen nach einem gemeinsamen Grund von noumenaler und sinnli­cher Welt anstellt, die damit auch theoretische und praktische Aspekte der Philoso­phie auf eine Ebene transponieren, die beide in sich einschließt. In seinen Ge­danken ist die Tendenz zu erkennen, die Synthesis von intelligi­bler und sinnli­cher Welt nicht erst zu leisten, sondern sie in der reinen Tä­tigkeit des Geistes - in einer Einheit von Denken und Handeln - vorzufinden. Fichte wendet sich gegen einen Dualismus von Geist und Materie, Sittlich­keit und Sinnlichkeit. Indem er nach der Verbin­dung zwischen sittlichem und sinnlichen Leben fragt, kritisiert er an Kants Moral­philosophie, den "reinen Willen in Gegensatz zum natürlichen Triebleben ..."[33] zu stellen, was den konkreten Gehalt sittlichen Le­bens negiere. Deshalb beabsich­tigt seine ethische Konzeption, das Sinnliche und die Materie in die Frei­heitsphäre des Menschen mit einzubeziehen und als Mittel zur sittlichen Vervollkommnung zu werten.[34] Diese Idee einer konkreten Ethik bereitet den Boden für die spätere Kritik an Kants praktischer Philoso­phie, wie sie in der Anweisung zum seligen Leben explizit zum Ausdruck kommt. Wie Fichte seine ethische Konzeption konkretisiert, wird im Kapitel über seine Religionslehre dargestellt.

Kehren wir zurück zu Kants Grundlegung der Moralphilosophie. Kant leitet Denken und Handeln nicht aus einem einheitlichen Prinzip ab, wie das Fichtes Bestreben ist. Der Leitbegriff seiner transzendentalen Methode in sei­ner Er­kenntnis- und Handlungstheorie ist die Synthesis von Denken und Sein, Freiheit und Natur, weil er die Trennung zwischen sittlicher und sinn­licher Welt schon voraussetzt.[35] Doch wird in der Frage nach der Möglichkeit einer Kausalität aus Freiheit bereits in der Kritik der praktischen Vernunft deutlich, daß Kant das Problem einer gemeinschaftlichen Wurzel, einer hypothetischen Einheit der noumenalen und phänomenalen Welt antizipiert. Darin reicht "ihre theoretische Struktur weit über den ethischen Horizont ... " hinaus.[36]

Wie gezeigt, soll die Synthesis in der prak­tischen Philosophie in der Formulierung des kategorischen Imperativs den Gegensatz von sittlicher und sinnlicher Welt aufheben. Das Steuerungsmo­ment für ein Vernunftwesen in der Konstellation von Pflicht und Neigung ist der sittliche Imperativ, der prüft, ob die Absichten moralisch sind. Eine Synthesis des sinnlichen und übersinnli­chen Be­reiches wird erzielt, weil der kategori­sche Imperativ ein Sollen ist, das einer ver­nunftmäßigen Ordnung entspringt. Wenn wir auf unsere innere Stimme hö­ren, die der Forderung Nachdruck verleiht, können wir den Konflikt zwischen einer mora­lischen Entscheidung oder dem subjektiv Angenehmen, aber Unmo­ralischen zum Guten lösen. Das bedeutet auch, daß die strenge Verallgemeine­rung des ka­tegori­schen Imperativs sich auf moralisch relevante Entscheidungen bezieht und nicht in jeder Einzelhandlung zu Rate gezogen werden muß.[37] Aber nur dann, wenn dem kategorischen Sollen der Vernunft Folge geleistet wird, kann in der empirischen Welt sittliches Handeln erscheinen.

Zu individuellen und moralisch guten Handlungen kommt es, weil sich der kategorische Imperativ als objektives Gesetz auf "subjektive Grün­de der Hand­lungen" (KrV;B840f,A812f) von endlichen Vernunftwesen bezieht. Damit stellt Kant in nur sehr knapper Form dar, wie die empirischen Bedin­gungen der Vernunftwesen nach dem sittlichen Anspruch eines schlechthin Guten bestimmt werden sollen: da die Absichten und Handlungen im Leben ei­nes Menschen sehr vielfältig sind, muß es subjektive Prinzipien für das Indivi­duum geben, die leitmotivisch seine Le­bensentscheidungen bestim­men. Des­halb bezieht sich der kategorische Imperativ auf Maximen, die "praktische Grundsätze sind ..., welche eine allgemeine Be­stimmung des Willens enthalten, die mehrere praktische Regeln unter sich hat." (KpV;35,§1) Diese "sind sub­jektiv, oder Maximen, wenn die Bedingung nur als für den Willen des Subjekts gültig von ihm angesehen wird ... " (ebd.). Wenn der Mensch nach seinen sub­jek­tiven Maximen handelt, bedeutet das nicht, daß diese Handlungen notwen­dig auch moralisch sind. Nur wenn in den unterschiedlichen Ent­scheidungen des einzelnen Subjekts die Grund­sätze, nach denen es sein Leben führt, in ei­nem idealen Sinn in Überein­stimmung mit dem Sittengesetz sind, kön­nen seine Ein­zelhandlungen mora­lisch gut sein. In diesem Fall handelt der Mensch nach ob­jektiven oder praktischen Gesetzen (vgl.KpV;35,§1). Maximen sind dennoch nicht mit Imperativen zu verwechseln, da die subjektiven Grund­sätze, auch wenn sie den allgemeingültigen Status des Sittengesetzes zum Aus­druck brin­gen, "nur den Willen" bestimmen (KpV;37). Das heißt, daß nur in ei­nem ideal­typischen Fall die Lebensgrundsätze, die eine konkrete Handlung initiie­ren, in Übereinstimmung mit dem praktischen Gesetz sind. Beliebigkeit der sub­jekti­ven Grund­sätze wie auch außerge­setzliche Inhalte sind ausgeschlossen, denn die Frage "Was soll ich tun?" initiiert in reflexivem Selbstbezug die subjektive Maxime, die dem allgemeinen, für alle vernünftigen Wesen gel­tenden Gesetz ent­spricht und die dann in der Antwort für das Individuum in eine mo­ralische Ent­scheidung münden kann. Die im Sittengesetz enthaltene Auffor­derung, mo­ralisch, d.h. allgemeingültig zu handeln, muß aber nicht zwangsläufig auch eine morali­sche Handlung nach sich ziehen, wie es sich in der Unter­suchung des Frei­heits­aspekts noch zeigen wird. Unter der Maß­gabe des kategorischen Impe­rativs kön­nen Maximen als "Grundhaltungen, die einer Vielzahl, auch Vielfalt konkreter Absichten und Handlungen ihre gemeinsame Richtung geben",[38] be­zeichnet wer­den. Sie spiegeln Lebenshal­tungen unter einem sittlichen Aspekt wieder, die sich in Handlungen kon­kretisieren, weil sie als Beurteilungsprinzi­pien in den Situatio­nen dienen, welche moralische Entscheidungen erfordern.

Die praktische Ver­nunft kann den Schritt vom Denken zum Han­deln als reine Vernunft, d.h. frei von allen empirischen Motivationen, nur dann vollzie­hen, wenn der Mensch seine subjektiven Maximen nach dem katego­rischen Imperativ ausrichtet. In der Folge kann er durch moralisches Han­deln aufgrund einer ver­nünftigen Einsicht der Vernunft "objektive, obgleich nur praktische Realität" ge­ben (KpV;83). Kants Streben richtet sich mit der Möglichkeit eines synthetisch-praktischen Satzes a priori auf eine "begründbare Vereinbarkeit" von einer "in un­serer Welt möglichen Frei­heitskausalität mit der in unserer Welt durchgängigen Naturkausalität" und dem grundlegenden Problem, ob der Mensch in seinem "Wollen und Handeln" frei sein kann.[39]

Deshalb ist der Freiheitsbegriff für Kant "der Schlüssel zur Erklärung der Autonomie des Willens" (GMS;BA97). Seine Aussage begründet er damit, daß der Wille als "eine Art von Kausalität lebender Wesen, so fern sie vernünf­tig sind" definiert wird, und dieser das Attribut der Freiheit trägt, aufgrund des­sen er unab­hängig von heteronomen Bestimmungsfaktoren agieren kann (ebd.). Diese Erklä­rung beschreibt zwar nur den negativen Begriff von Freiheit, der aber durch den Kausalitätsbegriff in Kants Darle­gung ein positives Element enthält: denn nach dem Grund-Folge-Verhältnis folgt aus der Freiheit als Ei­genschaft des Kausali­tätsbegriffs das Vermögen des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein, das wieder­um Allgemeingültig­keit zum Gegenstand hat (vgl.KpV;BA97). Da es unmöglich ist, eine Vernunft zu den­ken, die im Be­wußtsein ihrer selbst andere Antriebe für ihre Ur­teile gelten ließe, muß sie sich nach Definition "als Urheberin ihrer Prinzipien" ansehen (GMS;BA101). Aus diesem Grund muß die Vernunft in ihrer Funktion als praktische Vernunft oder als Wille eines Vernunftwesens sich selbst als frei betrachten. Der Wille eines vernünftigen Wesens kann also "nur unter der Idee der Freiheit ein eigener Wille sein, und muß also in praktischer Absicht allen ver­nünftigen Wesen bei­gelegt werden" (GMS;BA101).

In dieser Beweisführung Kants wird vor allem deutlich, daß das Vermö­gen, frei zu handeln, nicht in einem empirisch-psychologischen Sinne gefaßt wird. Wenn die Überzeugung, die zum Handeln veranlaßt, aus ver­nünftiger Einsicht ge­schieht, ist sie im "praktischen Sinn" frei, wenn sie hingegen ohne vorhergehende kausale Faktoren eine Handlung bestimmt, ist sie sogar im "transzendentalen Sinne" frei:[40] Denn die Freiheit ist im letzte­ren Sinne die Bedingung der Möglich­keit, den Willen zu bestimmen und Handlungen daraus folgen zu lassen, und muß deshalb unbedingt und "schlechthin Grund ihrer selbst" sein.[41] Aufgrund der Frei­heit wird der Wille also a priori durch die ob­jektive Form eines Gesetzes be­stimmt, das sich als synthetisch-praktischer Satz dem Bewußtsein aufdrängt. Das Bewußtsein dieses Grundgesetzes, durch das der Mensch einen epistemischen Zu­gang zur Freiheit hat, nennt Kant deshalb "ein Faktum der Vernunft" (KpV;55f.), das "unleugbar" ist (KpV;57).[42] In der Freiheit und Autonomie des Willens findet sich dann das Prinzip der Sittlich­keit, das in der Formel des kategori­schen Impe­rativs das Sein dem Sollen an­gleicht, wenn der Mensch nicht durch Vernunft al­lein bestimmt wird (vgl.GMS;BA97f. u. KpV;37). Um das moralische Gesetz an sich oder in der Formulierung eines Imperativs in der Handlung Realität werden zu lassen, ist die conditio sine qua non, den Men­schen als frei zu denken. Denn der Gedanke "einer frei handelnden Ursache" (KpV;84) kann aus der Sicht der praktischen Vernunft nur in der Verbin­dung von Freiheit und Sittengesetz "unbezweifelte Realität" (KpV;86) erhal­ten. Wenn sich daraus auch ei­ne Dialektik der Ver­nunft ergibt, da in der Betrachtung des Willens

"die ihm beigelegte Freiheit mit der Naturnotwendigkeit im Wi­derspruch zu ste­hen scheint ... , so ist doch in praktischer Absicht der Fußsteig der Frei­heit der einzi­ge, auf wel­chem es möglich ist, von seiner Vernunft bei unse­rem Tun und Lassen Ge­brauch zu machen ..." (GMS; BA114).

In der praktischen Ausrichtung der Vernunft auf das Handeln muß sich also zei­gen, wie sich in der konkreten Handlung Freiheit und Sittlichkeit wech­sel­seitig bedingen.

1.4 Die Korrelation von Freiheit und Sittlichkeit

Wie sich gezeigt hat, formuliert Kants handlungstheoretische These einen ana­lytischen Zusam­menhang von Freiheit und Moral. Das moralische Gesetz exi­stiert "als die Vorstellung des Gesetzes an sich selbst ... freilich nur im vernünf­tigen Wesen ..." (GMS; BA15), und nur wenn es von uns erkannt und an­er­kannt wird, im Sin­ne der "Achtung für dieses praktische Gesetz", kön­nen wir daraus auf unsere Freiheit schließen (ebd.). Deshalb ist das mo­ralische Ge­setz als In­nengesetzlichkeit im Menschen der Erkenntnisgrund (ratio co­gno­scendi) der Freiheit, diese aber wiederum der Seinsgrund (ratio essendi) für dieses Ge­setz (KpV;5). Das bedeutet, daß die Freiheit ihren Status für uns in der Aner­ken­nung des moralischen Gesetzes gewinnt, aus der wir sie für uns erschließen. Es bedeutet nicht, daß wir das Sitten­gesetz als ratio cognoscendi der Freiheit nur kennen müssen, um daraus zu fol­gern, daß wir frei sind: So weisen also "Freiheit und unbedingtes praktisches Gesetz ... wechselweise auf einander zu­rück" (KpV;53), indem der Mensch ur­teilt,

"daß er etwas kann, darum weil er sich bewußt ist, daß er es soll, und erkennt in sich die Freiheit, die ihm sonst ohne das moralische Gesetz unbekannt geblieben wäre." (KpV;54)

Ein freies Wesen, das sich von der Vernunft leiten läßt, hat demnach im Sitten­ge­setz, das im kategorischen Sollen seinen Ausdruck findet, ein Mo­tiv, dieses Ge­setz zu befolgen.[43] In­sofern sein Wille kausal aus seiner selbstgesetzge­ben­den Funktion be­stimmt wird, ist der Mensch unabhängig von äußeren Ursachen und handelt auto­nom und damit frei, denn mit "der Idee der Freiheit ist nun der Begriff der Autonomie unzertrennlich verbunden (GMS;BA108).

Wenn Kant diese Verknüpfung von Freiheit und Moral in der Bezie­hung auf moralische Handlungen aufweist, drängt sich die Frage auf, ob auch unmo­rali­sche Handlungen auf die Freiheit des Menschen zurückge­führt werden kön­nen. Sind Handlungen frei, obwohl sie der Vernunft wider­sprechen und deshalb unmoralisch oder nicht erlaubt sind? Kants Freiheits­konzeption impliziert nicht, daß nur Handlungen, die dem Verall­gemeine­rungsprinzip des Sittenge­setzes entsprechen, frei sind. Denn der subjektive Grund, der eine Handlung bestimmt,

"muß aber immer wiederum selbst ein Actus der Freiheit sein (denn sonst könnte der Ge­brauch, oder Mißbrauch der Willkür des Men­schen, in Ansehung des sittlichen Gesetzes ihm nicht zuge­rechnet werden, und das Gute oder Böse in ihm nicht moralisch heißen)." (REL;BA7)

Das heißt, daß alle Handlungen gerade aufgrund des morali­schen Gesetzes frei sind, weil dieses das Beurteilungskriterium ist, wel­ches die Handlungen als gut oder böse einschätzt. Auch der Grund des Bösen liegt nach Kant nur im Ge­brauch der Freiheit, d.i. in einer Maxime, wo­durch unmo­ralische oder uner­laubte Handlungen aufgrund von Reiz-Reakti­onsmechanismen des Naturtriebes ausgeschlossen sind. Die Konsequenz des Kantischen Freiheits­begriffs ist des­halb, daß der Mensch "allgemein als Mensch" durch seine Maxi­men "zugleich den Charakter seiner Gattung ausdrückt" (REL;B8) und Urheber seiner Hand­lungen ist. Deshalb ist eine Schuldzuweisung an die Natur nicht möglich. Hier spricht Kant von einer meta-empirischen Ebene, die vor einem zeitlichen Akt liegt, in dem die Naturkausalität noch nicht gilt. Innerhalb der Zeitreihe ist al­lerdings die Möglichkeit einer heteronomen Bestimmung der Handlungen ge­geben. Das hat die Konsequenz, daß es unmoralisches Handeln infolge über­mächtiger Neigungen geben kann - z. B. alle Handlungen, die auf­grund einer patholo­gischen psychischen Disposition erfolgen, oder jegliche Art von Sucht­ver­halten, die deshalb nicht frei genannt werden können. Nach Kants These ist aber auch das Böse "von Natur" in der Freiheit gegründet, denn dieser Hang muß "nicht als Naturanlage, sondern als etwas, was dem Menschen zuge­rechnet werden kann, betrachtet werden" (REL;B27). Die Menschheit als Gattung ist also auch frei darin, als obersten - in einem transzendentalen Sinn - subjekti­ven Grund aller Maximen das Böse zu wählen. Diese Konse­quenz aus dem Frei­heitsbegriff Kants impliziert, daß wir keine Opfer nega­tiver Umstände oder der Erziehung sind, sondern die Verantwortung für das Gute wie das Böse un­serer Handlungen tragen. Wesentlich ist der Moralphi­losophie Kants, daß der Mensch in seiner Freiheit das moralische Gesetz er­kennen und anerkennen an, wodurch er den "Keim des Guten" wiederher­stellen kann (REL;B51f). Dies bestätigt seine Lehre vom "Faktum der Ver­nunft".

1.4.1 Das Faktum der Vernunft

Die Erkenntnis der wechselseitigen Bestimmung von Freiheit und unbeding­tem praktischem Gesetz führt Kant zu der Frage, wie dem Menschen das morali­sche Gesetz zugänglich ist, durch welches er wiederum erkennen kann, daß er frei ist (KpV;53). Kant formuliert das Bewußtsein dieser Verpflichtung für den Menschen als das

"Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft:

Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip ei­ner all­gemeinen Gesetzgebung gelten könne." (KpV;54)

Daraus folgt, daß mit dieser unbedingten praktischen Regel der Wille ob­jektiv und kategorisch bestimmt wird. Deshalb ist die reine Vernunft "unmittelbar ge­setzge­bend" (KpV;55) - obwohl Kant einräumt, daß ein apriorischer Gedanke einer mögli­chen allgemeinen Geset­zgebung, ohne Anleihen an Erfahrung oder eine äußere Ge­setzmäßigkeit zu machen, zwar als ein Gebot gelten kann, aber dennoch be­fremdlich bleibt. Kant differen­ziert im Anschluß zwi­schen einer Vorschrift, nach der Handlungen gesche­hen sollen, und einer Regel, die den Willen a priori be­stimmt, und hebt her­vor, daß dieses Gesetz, das die subjek­tive Form der Grund­sätze "durch die objektive Form eines Ge­setzes überhaupt" be­stimmt, zumindest denkbar ist (KpV;55). Er nennt das Bewußtsein dieses Grundgesetzes der prakti­schen Vernunft

"ein Faktum der Vernunft, weil man es nicht aus vorhergehen­den Datis der Ver­nunft, z.B. dem Bewußtsein der Freiheit (denn dieses ist uns nicht vorher gegeben), herausvernünfteln kann, sondern weil es sich für sich selbst uns aufdringt als syn­thetischer Satz a priori, der auf keiner weder reinen noch em­pirischen Anschauung gegrün­det ist ... " (KpV;56f.).

Entscheidend ist die Aussage, daß dieses Faktum der Vernunft weder aus einer reinen noch auf einer der Empirie entnommenen Anschauung stammt und da­durch aus der reinen Vernunft als gesetzgebend folgt. Es ist "kein auf Affek­tion, auf Rezeptivität der Sinnlichkeit gegründetes Faktum"[44] und ist somit "kein empiri­sches, sondern das einzige Faktum der reinen Ver­nunft ..., die sich dadurch als ur­sprünglich gesetzgebend (sic volo, sic iubeo) ankündigt" (KpV;57). Interpretiert man nach dieser Aussage "Faktum" im lateinischen Wortsinne als "Tat" oder "zuschreibbare Handlung" und nicht als die im Deut­schen synonymisch verwen­dete "Tatsache"[45], so leitet sich das Tätige der Ver­nunft, die das Ge­setz erzeugt, schlüssig her: Faktum ist keine Tatsache als et­was Gegebenes, sondern die Aktivi­tät der Vernunft, die ihre konkrete Tat be­stimmt. Das Faktum der Vernunft ist somit nichts, auf das der Mensch als eine bereits vorliegende Tatsache zurück­greift - das Ge­setz wird von ihm im kon­kreten Vollzug erkannt. Das heißt, wenn er han­deln muß, greift er fragend: ("Was soll ich tun?") auf seine Vernunft zurück, die in ihm aktiv das allge­meine Ge­setz er­zeugt, das dann als Form seiner subjektiven Grundsätze dient, aus der sich die konkreten Handlungen herlei­ten.[46] Eine reine praktische Ver­nunft muß also auch nicht in ihrem reinen Vermögen kritisiert wer­den, wenn geprüft wer­den soll, ob sie dieses nicht in Analogie zur spekulativen Vernunft in ihren Mög­lichkei­ten überschreite:

"Denn wenn sie, als reine Vernunft, wirklich praktisch ist, so be­weiset sie ih­re und ihrer Begriffe Realität durch die Tat, und alles Vernünfteln wider die Möglichkeit, es zu sein, ist ver­geblich." (KpV;3)

Indem die reine Vernunft im Menschen das Sittengesetz erzeugt, ist die Mög­lich­keit gegeben, eine vernünftige Handlung zu initiieren. Das allge­meine Ge­setz des Bewußtseins wird erst durch die Tat der Vernunft als ein von ihr "Gemachtes" zum "Faktum". Damit liegt die Betonung auf der Ak­tivität und der Spontaneität der Vernunft: das Sittengesetz wird nicht fak­tisch vorgefun­den, son­dern ist im Vollzug vernünftigen Denkens geschaffen worden. Im Be­wußtsein des Mo­ralgesetzes artikuliert sich der Anspruch der moralisch-prakti­schen Vernunft an den Menschen, und dieser sittliche Ver­nunftanspruch "läßt sich als Her­ausfor­derung des Menschen an sich selbst"[47], als eines endlichen, aber mit Vernunft be­gabten Wesens, verste­hen. In seiner Chance, diesem An­spruch zu folgen und damit seine Selbst­bestimmung zu erreichen, liegt seine Frei­heit. Weder ein göttli­ches noch ein ausschließlich kausal determiniertes We­sen könnten unter dem An­spruch des Sittengesetzes stehen: Ein göttli­ches Wesen hätte einen vollkommenen Willen und wäre deshalb keinem Sollen aus­gesetzt; andererseits hätte ein Wesen, das der Not­wen­digkeit unterworfen ist, nicht die Freiheit, autonom zu handeln. Gerade weil der Mensch den Status ei­nes endlichen Wesens einnimmt, das ver­nunftbegabt ist und doch heteronomen Bestimmungen unterliegt, kann er die Aufforderung der Vernunft vernehmen.[48] Die ihm da­durch gebotene Chance nicht zu er­greifen, würde den Menschen seiner "Persönlichkeit"[49] berauben.

Kant zeigt mit der Beschreibung dieser Tätigkeit der Vernunft, die ein freies Handeln motiviert, daß sich daraus das Bewußtsein der Freiheit für den Menschen ergibt. Aus diesem Grund kann das Faktum der Vernunft nicht aus vorgegeben Daten der Vernunft, wie einem Bewußtsein der Frei­heit "herausvernünftelt" werden (KpV;55). Indem Kant den analytischen Zusam­men­hang von Freiheit und Moral zeigt, sichert er die Gültigkeit des Sittengese­tzes als Ergebnis der Autonomie der Vernunft. Und durch den Akt der Selbst­gesetzge­bung, in der sich der Tatcharakter der Vernunft zeigt, wird auch der mögliche Vorwurf einer Zirkelstruktur zurückgewiesen: die Freiheit konstitu­iert sich je­weils neu, weil eine Handlung unmittelbar da­durch bestimmt wird, daß das Sit­tengesetz nicht als Tat-Sache, sondern we­sentlich als Tat der Ver­nunft anerkannt wird.[50] Aufgrund dessen "sieht Kant im Bereich der Prakti­schen ... die reine Ver­nunft als real erwiesen", und "reine praktische Vernunft, die Moralität, erscheint nicht länger als ein lebens­fremdes Sollen, sondern als eine Wirklichkeit, die wir immer schon anerken­nen".[51] Somit läßt jede ver­nünftige Handlung den betreffenden Menschen in sei­ner Entscheidung für das moralisch Rich­tige auch seine Freiheit erkennen.

1.4.2 Der Mensch als Bürger zweier Welten: Die Begriffe "intelligibler" und "empirischer" Charakter

Die Problematik des transzendentalen Freiheitsaspekts ergibt sich in der the­o­reti­schen wie auch der praktischen Philosophie Kants wesentlich aus seiner Konzep­tion des intelligiblen und empirischen Charakters[52] des Men­schen: der Mensch ist als intelligibles oder noumenales Wesen frei und zugleich in einer und derselben Handlung der empirischen Welt der Phäno­mene und ihrer Na­turkausalität unter­worfen. Die Frage, wie ein Mensch in der Ent­scheidung zu einer Handlung frei sein kann und dennoch in der Wirklich­keit dem empiri­schen Ursache-Wirkungs-Prinzip ausgesetzt ist, soll die Be­deutung der Begrif­fe "intelligibel" und "empirisch" innerhalb der von Kant beschriebenen Gesetz­lich­keit klären.

Kants strikte Trennung zwischen der Welt der Nou­mena und der Welt der Phänomena zieht die Antinomie von Freiheit und Notwendigkeit auch aus hand­lungstheoretischer Perspektive nach sich. Denn es stellt sich vor allem die Frage nach der Zurechenbarkeit der Handlungen eines Menschen, wenn man ihn als Bürger zweier Welten ansieht. Aus dieser Problematik ergeben sich Fragen, die zumindest erwähnt werden sollen: Kann der Mensch noch als frei gedacht und an­gesehen werden, wenn er in der sinnli­chen Welt der Naturkau­salität unterworfen ist? Wie hat der Mensch Hand­lungen, die gegen das Sollen­sprinzip verstoßen, unter dem Imputabili­tätsaspekt zu beurteilen? Menschliche Zurechnungen für Handlungen ande­rer können allerdings nie direkt auf die Gesinnung und Handlungspontanei­tät - damit auf seine konkrete Moralität im Gegensatz von bloßer Legalität - bezo­gen werden. Zurechnung aus der menschlichen Gemeinschaftsperspektive kann sich deshalb nur "an Gegeben­heiten des empirischen Charakters in seinen gleichfalls empirischen Äußerun­gen halten".[53]

Die Freiheit des Menschen nachzuweisen, ist allein Aufgabe der prakti­schen Vernunft. Sie betrachtet den Menschen aus seiner Denk- und Hand­lungsper­spektive in seiner Spontaneität aus Freiheit, in der dieser un­abhängig von Zeitbe­dingungen agiert. Darin unterliegt sie nicht dem Fehler eines theore­tischen Blick­punktes, der sich in der Freiheitsfrage in Begriffs­analy­sen verlie­ren kann, denen kein korrespondierender Gegenstand in der An­schauung ent­spricht (KrV;B76f.,A52). Kant gesteht der praktischen Vernunft aus diesem Grunde den Pri­mat in ihrer Verbindung mit der spekulativen Vernunft zu (vgl.KpV;215,216ff.). Bereits in der Kritik der reinen Ver­nunft räumt er in der Auf­lösung der dritten Antinomie die Möglichkeit der Kausalität durch Freiheit ein. Das bedeutet, das dasjenige, was in der Sin­nenwelt, der Welt der Phä­no­mena, als Erscheinung angesehen werden muß, dennoch an sich selbst zugleich ein Vermögen hat, das nicht Gegenstand der sinnlichen Anschau­ung ist und mit dem es Erscheinungen verursachen kann:

"So kann man die Kausalität dieses Wesens auf zwei Seiten be­trachten, als intelligi­bel nach ihrer Handlung, als eines Din­ges an sich selbst, und als sen­sibel, nach den Wirkungen der­selben, als ei­ner Erscheinung der Sinnenwelt." (KrV;B566f,A538f)

Dieser doppelten Betrachtung entsprechend weist Kant einem Subjekt er­stens ei­nen "empirischen Charakter" zu, dessen Handlungen als Erscheinun­gen kon­ti­nierlich mit Naturgesetzen in Zusammenhang stehen; zweitens räumt er ihm einen "intelligiblen Charakter" ein, der zwar die Ursache dieser Handlungen als Er­scheinung ist, jedoch selbst unter keinen sinnlichen Be­dingungen, damit auch un­ter keinen Zeitbedingungen steht und deshalb frei ist (KrV;B568,A540). Der intelligible Charakter kann vom Subjekt nie unmittel­bar erkannt wer­den, da er ein Noumenon, ein Ding-an-sich, bleibt, und der Mensch nur wahrnehmen kann, was erscheint. Dennoch muß er in Analogie zum empiri­schen Charakter gedacht werden, da im Denken für die Erschei­nun­gen im­mer ein transzendentaler Gegenstand als Grund ihres Erscheinens ange­nommen werden muß, wenn dieser auch niemals als das, was er wirk­lich ist, erfaßt werden kann (KrV;B568;A540). Nach seinem intelligiblen Charak­ter steht das handelnde Subjekt unter keinerlei Zeitbedingung, d.h. es würde "in ihm keine Handlung entstehen, oder vergehen" (ebd.). Es fängt also seine Wir­kungen in der empirischen Welt "von selbst" an, "ohne daß die Hand­lung in ihm selbst anfängt" (KrV;B569,A541). Somit steht seine intellektuel­le Kau­sali­tät nicht in der Reihe empirischer Bedingungen, die Grund aller Ereignisse in der Sinnenwelt sind. Weil dieses Noumenon, dieser intelligible Charakter nicht einer Zeitreihe unterliegt und in einer Spannung zu Verän­derung und Be­geben­heiten steht, darf es aber nicht als etwas Statisches oder Dingliches ge­dacht werden. "Der intelligible Charakter ist also nichts Stehendes und Blei­bendes im Sinne ei­nes statischen Ansichseins (und Ge­wordenseins). Sondern er ist "Selbstand... im Tun: er bildet ständig am empirischen Charakter!"[54] Wenn Handlungen des Menschen unter die beiden ge­nannten Gesetzmäßigkeiten fal­len, stellt sich die Frage, wie diese Ambiva­lenz des menschlichen Charakters konkret nachvollzogen werden soll.

[...]


[1] Fichtes Briefe werden zitiert nach der J.G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Hrsg. v. R. Lauth, H. Jacob u. H. Gliwitzky. Stuttgart-Bad Cannstatt 1962ff. Die röm. Zahl nennt die Reihe, die erste arabische den Band, die zweite die Seite.

Alle Hervorhebungen in den gesamten Zitaten dieser Arbeit stammen aus den zitierten Schriften. Eigene Hervorhebungen sind kenntlich gemacht.

[2] Vgl. Wilhelm G. Jacobs, Johann Gottlieb Fichte, S. 21ff.

[3] Kants Werke werden zitiert nach: Immanuel Kant. Werke in zehn Bänden. Hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1968.

[4] H.J. Paton, Der kategorische Imperativ, Eine Untersuchung über Kants Moralphiloso­phie, Ber­lin 1962, S.22f.

[5] Eines der frühesten und bekanntesten Mißverständnisse zeigen Schillers Distichen: "Gewissenskrupel: Gerne dien' ich den Freunden, doch tu' ich es leider mit Neigung, Und so wurmt es mich oft, daß ich nicht tugendhaft bin. / Entscheidung: Da ist kein anderer Rat! Du mußt suchen, sie zu verachten, Und mit Ab­scheu alsdann tun, wie die Pflicht dir gebeut." Friedrich Schiller, Die Philosophen. Zitiert nach: Schillers Werke in fünf Bänden. Hrsg. von Benno von Wiese, Bd. 4, S. 141.

[6] Vgl. Prauss, Kant über Freiheit als Autonomie, S. 242.

[7] Prauss, Kant über Freiheit als Autonomie, S. 13. Mit der Auf­gabe, "das Handeln des Subjekts auf Willensfreiheit als ein Selbstverhältnis seiner Sub­jektivität zu­rückzuführen ...", nimmt Kant nach Prauss "etwas ganz Außerordentli­ches in Angriff", nämlich auch "das Wollen noch als eine Sache der Vernunft des Menschen - nicht nur zu verstehen, sondern auch in diesem Sinn als eine Wirk­lichkeit noch nach­zuweisen". Kant hat sich nach der Beurteilung von Prauss diese Aufgabe selbst wieder verstellt. Das Selbstverhältnis der Vernunft wird im Abschnitt über das Faktum der Ver­nunft näher betrachtet.

[8] Vgl. Paton, Der kategorische Imperativ, S. 57. Paton verweist auf die Definition von Prin­zip in Kants Logik, Bd. 5, S. 541, § 34, A172.

[9] Marcus Willaschek, Praktische Vernunft, Handlungstheorie und Moralbegründung bei Kant, Stuttgart 1992, S.13. Der Ausdruck "Handlungstheorie" ist Willascheks Arbeit entnommen, der die Ausgangsthese vertritt, daß das Thema "Handlung" von Kant in einem systematischen Ent­wurf bearbeitet wurde. "Die einzelnen Teilstücke dieser Handlungstheorie finden sich bei Kant", so Willaschek, "im Kontext ganz unterschiedlicher Themen: von der Kosmologie über die Moral bis zur Religion". Dennoch sind sie "Teile eines systematischen Entwurfs".

[10] Vgl. Paton, Der kategorische Imperativ, S. 75. Paton begegnet der Formalismuskritik an Kant mit dem Hinweis, daß Kant sich in der Grundlegung der Metaphysik der Sitten mit dem obersten Prinzip der Mo­ralität befaßt: "Er behandelt den apriorischen Teil der Ethik im Abstrakten und betrachtet die Form der moralischen Handlung unabhängig vom Gegenstand." Dieser konse­quent durchge­führte Ansatz Kants mache es schwer einsehbar, "weshalb man ihn tadelt, weil er sich an sein Thema hält und Unwesentliches ausschaltet", S.77f. Dem ist zuzustimmen. Vgl. auch: Julius Ebbinghaus, Gesammelte Schriften (Bd.1), Bonn 1986, Deutung und Mißdeutung des kategori­schen Imperativs, S. 279-295: Ebbinghaus betont, die Formalität des Imperativs bedeute nicht, daß er kei­nen Inhalt ha­be, sondern daß der formale Charakter der Ethik Kants "statt einer Materie des Willens die bloße Form der Maximen (d. i. der subjektiven Grund­sätze unserer Will­kür) ... als dasjenige an­gibt, wodurch die Pflicht ihrer Form nach be­stimmt wird." (S.283f.)

[11] Peter Reisinger. Imperative, kategorischer Imperativ. In: Hist. Wörterbuch der Philosophie, Darmstadt 1980, Bd. 4, S. 242.

[12] Vgl. Paton, Der kategorische Imperativ, S.130f.: Paton betont in diesem Zusammenhang, daß es wichtig sei, "einen Unterschied zwischen Notwendigkeit (necessitas) und Nötigung (necessitatio) zu ma­chen", da "ein vollkommen guter Wille sich notwendig, wenn auch spontan in guten Handlun­gen manife­stieren" würde. Einem unvollkommenem guten Willen dagegen scheint "die gute Hand­lung, selbst wenn wir sie ausführen, ... nicht notwendig, sondern abgenötigt zu sein".

[13] Vgl. Paton, Der kategorische Imperativ, S. 133. Nach Paton weist Kant in der Einleitung zur Kritik der Urteilskraft selbst darauf hin, daß der Ausdruck eines "problematischen Impera­tivs" ein Wider­spruch in sich ist und der richtige Begriff dafür "technischer Imperativ" oder "Imperativ der Ge­schick­lichkeit" ist: KU, Bd.8, S. 178, Erste Einleitung, H 7, Anm.

[14] Vgl. Otfried Höffe, Immanuel Kant, München 1983, 3. Aufl. 1992, S. 97-100.

[15] Vgl. Siemek, Die Idee des Transzendentalismus bei Fichte und Kant, S. 104.

[16] Vgl. Peter Reisinger, Imperative, kategorischer Imperativ. In: Hist. Wörterburch der Philoso­phie, S. 247.

[17] Reisinger, S. 247.

[18] Reisinger, S. 247.

[19] Reisinger, S. 248.

[20] Vgl. dazu: Wilhelm G. Jacobs, Trieb als sittliches Phänomen, Bonn 1976, S. 32-47.

[21] Höffe, Immanuel Kant, S. 207.

[22] Vgl. Willaschek, Praktische Vernunft, S. 80.

Vgl. auch: Höffe, Immanuel Kant. S.206 Der auf den britischen Moralphilosophen G.E. Moore (Principia Ethica, 1903) zurückgehende na­turalistische Fehlschluß ist Kant, so Höffe, nicht vor­zuwerfen. Auch der auf Hume (Treatise on Human Nature) basierende Sein-Sollens-Fehlschluß liegt, wie im Text gezeigt, nicht vor.

[23] Gerhard Pfafferott; Praktische Vernunft und Lebenswelt. In: Realität und Begriff, Festschrift für Jakob Barion,Würzburg, 1993, S. 63.

[24] Vgl. Gerhard Pfafferott, Praktische Vernunft und Lebenswelt, S. 49-64. Pfafferott spricht sich in seinem Aufsatz gegen eine deontologische Ethik aus, in der seiner Ansicht nach "der Hia­tus zwi­schen Sein und Sollen ... auch bei der selbstgesetzten Norm, bei der Selbstverpflichtungn, nicht zu überbrücken" ist. S.61. Ein Sittengesetz, das sich aus der Vernunft ableitet, bleibt für ihn le­dig­lich Ideal. Er fordert, daß Freiheit und Sittlichkeit sich in einem größeren Kontext aufweisen lassen müssen, nämlich in der Lebenswelt des Menschen. Dieser Standpunkt übersieht aber, daß Kant die Würde des Menschen und damit sein eigentliches Selbst darin gründet, daß das Sitten­gesetz ihn "als Zweck an sich selbst auszeichnet" (GMS;BA84). Erst in der An­erkennung des apriorischen moralischen Gesetzes wird der Mensch zur "Person" und die Folge daraus ist die konkrete moralische Handlung in seiner Lebenswelt (GMS;BA65).

Vgl. dazu: Höffe, Immanuel Kant, S. 201: Höffe betont in diesem Zusammenhang zu Recht, der Sinn einer Maximenethik liege darin, "daß sie das Moralprinzip nicht direkt auf Ein­zel­handlun­gen, nicht einmal auf Handlungsregeln, sondern auf gewachsene und bewährte Le­bensgrundsätze bezieht ...".

[25] Klaus Hammacher, Das Fundament der Ethik. Zur Bestimmung des Gewissens. In: Phil. Jahrbuch (76), Freiburg/München, S. 249.

[26] Klaus Hammacher, S. 250.

[27] Vgl. Höffe, S. 201.

[28] Vgl. Klaus Hammacher, S. 251.

[29] Hammacher, S. 251: Hammacher bezieht sich in seinem Aufsatz auf Fichtes Rezension über das Buch von Leonhard Creuzer: "Skeptische Betrach­tungen über die Freiheit des Willens mit Hin­sicht auf die neueste Theorie über diesel­be, Gießen 1793", In: Jenaer Allgem. Litera­tur-Zeitung, 1793, Nr. 303.

[30] Fichtes Schriften I-VIII werden zitiert nach: Johann Gottlieb Fichte. Sämtliche Werke. 8 Bde., Hrsg. v. I.H. Fichte, Berlin 1845-1846. Sie werden zitiert als SWI-VIII, nach der röm. Ziffer folgt die Seitenzahl. SWIX-XI werden zitiert nach: Johann Gottlieb Fichte. Nachgelassene Werke. Hrsg. von I. H. Fichte. Bonn 1835-1835.

[31] Siemek, Die Idee des Transzendentalismus bei Fichte und Kant, Hamburg 1984, S. 90.

[32] Siemek, S. 86.

[33] Vgl. Heimsoeth, Fichte, S. 154.

[34] Vgl. Heimsoeth, Fichte, S. 155.

[35] Vgl. Heimsoeth, Fichte, S. 111.

[36] Siemek, Die Idee des Transzendentalismus bei Fichte und Kant, S.89.

[37] Vgl. Höffe, Immanuel Kant, S. 201: Es ist eine falsche Vorstellung, so Höffe, daß Kants Idee der Autonomie und überhaupt der Moralität zu einer "Übermoralisierung" führe, "nach der man jeden Handgriff auf seine Moralität hin zu befragen habe".

[38] Otfried Höffe, Immanuel Kant, S. 186f. Höffe plädiert für eine Maximenethik, die sich ent­gegen einer Regel- oder Normenethik zwar auf gleichbleibende Beurtei­lungsprinzipien grün­det, aber unterschiedliche Regeln oder Normen zuläßt, die den wech­selnden Bedingungen des Lebens und den individuellen Fähigkeiten der Handelnden ange­paßt werden. Maximen sind nach Höffes Ansicht weit mehr der Gegenstand für Fragen der "moralischen Identität" und im Zusammenhang damit "für Fragen der moralischen Erziehung und Beurteilung von Men­schen" als die Normen. S.188f.

[39] Hans Wagner, Kants Auflösung der dritten Antinomie. In: Realität und Begriff, Festschrift für Jakob Barion, S. 226.

[40] Marcus Willaschek, Praktische Vernunft, S. 95.

[41] Wilhelm G. Jacobs, Trieb als sittliches Phänomen, Eine Untersuchung zur Grundlegung der Philosophie nach Kant und Fichte, Bonn 1967, S. 42.

[42] Marcus Willaschek, Praktische Vernunft, S. 227f. Willaschek erörtert die Frage, ob die unbe­dingte Geltung des Sittengesetzes als Ergebnis eines "Faktums der Vernunft" im Gegensatz zur Freiheit die ei­gentliche Basis der Moralbegründung bei Kant sei. Er kommt zu dem Schluß, daß der Mensch aus der "Anerkennung" des Sittengesetzes seine Freiheit erschließt, die seine Morali­tät begründet. Der Mensch ist, wenn er selbständig und frei handelt, immer auf die Geltung des Sittengesetzes festgelegt, das deshalb unleugbar und in sich nicht mehr begründbar ist.

[43] Vgl. Willaschek, Praktische Vernunft, S. 238.

[44] Reisinger, Imperative, Kategorischer Imperativ. In: Hist. Wörterbuch der Phil., S. 247.

[45] Willaschek, Praktische Vernunft, S. 177-183. Willaschek analysiert die Bedeu­tung des Wor­tes "Faktum" in seiner metaphorischen wie auch in seiner wörtlichen Bedeutung an den un­terschied­lichsten Textstellen Kants und kommt zu dem Schluß, daß Faktum als "Tat" über­setzt werden muß, wenn es auch eine Doppeldeutigkeit in diesem Begriff gibt. Den Zusam­menhang von Tat und Tat­sache der Ver­nunft erschließt Willaschek so, daß es sich beim Factum der Ver­nunf t "um eine Tat und zu­gleich um eine Tat­sache handeln kann - allerdings nicht um eine Tatsache als et­was bloß Gegebenes (datum), sondern um eine Tat-Sache als das Ergebnis einer Tat (factum)". S. 181.

[46] Prauss, Kant über Freiheit als Autonomie, S. 62-70. Prauss kritisiert, daß das Faktum der Vernunft mit dem das Moralgesetz der Freiheit aufgewiesen werden soll, eine "Verzweiflungstat" und "Selbstüberredung" Kants sei, wozu er veranlaßt wurde, weil es ihm nicht gelungen sei, eine eigentümliche Gesetzlichkeit aufzuwei­sen, "an der die Freiheit posi­tiv als ein Vermögen eigener Kausalität erkennbar und damit als eine Wirklichkeit deduzier­bar wäre ..." (S. 67). Da Kant je­doch mit dem Faktum der Vernunft die Selbsttätigkeit der Vernunft beschreibt, mit der er seinem Anspruch nachkommt, ein Gesetz a priori, das nicht deduziert werden kann, aufzuweisen, ist die Kritik von Prauss gegenstandslos. Das Faktum der Vernunft läuft somit nicht auf ein "Unding" hinaus, wie Prauss behauptet (S. 68).

[47] Klaus Konhardt, Faktum der Vernunft? - Zu Kants Frage nach dem "eigentlichen Selbst" des Menschen, in: Handlungstheorie und Transzendentalphilosophie, Frankfurt am Main, 1986,

S. 181.

[48] Vgl. auch: Konhardt, Faktum der Vernunft?, S. 172-183. In seinem Aufsatz vertritt Konhardt die Rahmen­these, daß sich ein moralneutraler Begriff menschlichen Handelns philosophisch nicht zureichend begründen läßt, womit er sich vor allem gegen die Interpretation von Prauss wendet, die nach Konhardts Ansicht die Moralität an die Peripherie des Kantischen Systems verdrängt. Konhardt argumentiert dafür, daß gerade die Moralität eine zentrale Posi­tion in Kants System einnimmt. Letzterem ist zuzustimmen, wenn Kant auch die moralindif­ferenten Handlungen be­rücksichtigt.

Siehe dazu auch: Willaschek, Praktische Vernunft, S. 326, Anmerkung 1 zu Kapitel IV, und

S. 340, Anmerkung 34 zu Kapitel IV: Willaschek wiederum rechnet Konhardt zu den Auto­ren, wel­che die Auffassung vertreten, Kant reduziere die Menge der freien Handlun­gen entwe­der auf die Menge der moralisch guten oder die der moralisch relevanten Hand­lungen und über­sehe, daß Kant auch den moralunabhängigen Aspekten des Handelns Rechnung trägt.

[49] Vgl. Konhardt, Faktum der Vernunft?, S. 182. Konhardt zitiert mit "Persönlichkeit" Kants Religionslehre, B18, A16.

[50] Vgl. Willaschek, Praktische Vernunft, S. 191ff.

[51] Otfried Höffe, Immanual Kant, München 1983, S. 204.

[52] Vgl. Heimsoeth, Transzendentale Dialektik II, Berlin-New York 1967, S. 346: Der Terminus "Charakter" darf nicht im Sinne menschlich-personaler Haltung und Verfassung verstanden wer­den, sondern im Sinne von Unterscheidungsmerkmal, Unterscheidungszeichen. - Vgl. auch: Willaschek, Praktische Vernunft, S. 118.

[53] Heimsoeth, Transzendentale Dialektik II, S. 372.

[54] Heimsoeth, Transzendentale Dialektik II, S. 40. So verstanden weist der "intelligible Cha­rakter" Kants die Merkmale des Fichteschen Ich als absolute Tätigkeit auf.

Ende der Leseprobe aus 150 Seiten

Details

Titel
Fichtes "Anweisung zum seligen Leben" vor dem Hintergrund von Kants praktischer Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Postulatenlehre
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Phil. Fakultät)
Note
1.0
Autor
Jahr
1995
Seiten
150
Katalognummer
V177743
ISBN (eBook)
9783640994748
ISBN (Buch)
9783640995998
Dateigröße
964 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gott, fichtes, anweisung, leben, hintergrund, philosophie, berücksichtigung, postulatenlehre, ethik, kants theoretische philosophie, kants praktische philosophie, wissenschaftslehre fichtes, fichtes kosmologie, fichtes ethik, vergleichende arbeit kant und fichte, faktum der vernunft, kategorischer imperativ
Arbeit zitieren
Sigrid Eckold (Autor:in), 1995, Fichtes "Anweisung zum seligen Leben" vor dem Hintergrund von Kants praktischer Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Postulatenlehre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/177743

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