Fördert Kaugummikauen die kognitive Leistungsfähigkeit - Mythos oder Wahrheit?

Darstellung und Beurteilung aktueller Studien


Bachelorarbeit, 2011

63 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung der Ankerstudie
1.2 Entscheidungen mit Blick auf die Recherche ergänzender Studien

2 Die ausgewählten Studien im Überblick
2.1 Gemeinsames und Spezifisches in den Problem- bzw. Zielstellungen
2.2 Der theoretische Kontext der Studien
2.3 Design – Methoden - Instrumente
2.4 Die Ergebnisse
2.5 Diskussion und Vorschläge

3 Integrative Betrachtung der Ergebnisse und kritische Würdigung der Studien

4 Schlussbetrachtungen und Ausblick

5 Literaturverzeichnis

6 Anhang
6.1 Fachbegriffsverzeichnis und Erläuterungen
6.2 Vergleichstabelle der Studien
6.3 Studien

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

1.1 Problemstellung der Ankerstudie

Wer trinkt nicht Kaffee, raucht eine Zigarette oder verwendet andere Hilfsmittel, um beim Lernen seine Aufmerksamkeit zu stärken bzw. um sich wach zu halten? Solche gängigen Aufputschmittel, um die kognitive Leistungsfähigkeit zu steigern, werden oft verwendet (vgl. Herrmann, Raybeck & Gruneberg, 2002, S. 62). Gerade der zunehmende Leistungsdruck, welcher bereits in den ersten Schuljahren auftritt und sich in der Ausbildung oder dem Studium fortsetzt, sowie die „raschen Veränderungen von Inhaltswissen“ und die zunehmende Überforderung im Beruf (Herrmann u. a., 2002, S. 4; Wiegand, 2004, S. 9) lassen die nachfolgenden Generationen, die der neuen Herausforderung einer immer größeren Informationsmenge und Berufsanforderungen gegenüberstehen, anfällig werden für Produkte bzw. Strategien, um die „best physical and mental condition“ zu erhalten, die der kognitiven Leistungsfähigkeit zugutekommen sollen (vgl. Artel & Moschner, 2005, S. 7; Herrmann u. a., 2002, S. 3 - 5). Somit kam es in den letzten Jahren zu einer steigenden Anzahl von Ratgebern und Produkten, die dazu dienen sollten, diesen „rapiden Wissenswandel zu bewältigen“ (Artel & Moschner, 2005, S. 7). Als ein Bsp. ist hier der so genannte „Mozart-Effekt“ zu nennen, welchem die Annahme zugrunde liegt, „dass das Hören einer Mozart-Sonate die räumliche Intelligenz […](1)[1] verbessert“ (Jansen-Osmann, 2006, S. 1 - 2), worüber zahlreiche Bücher und CDs im Internet zu finden sind. Diese „plötzliche(n) Popularität eines Effektes“ (Jansen-Osmann, 2006, S. 2) basiert meist auf mangelhaften empirischen(2) Studien, an deren methodischen Kritikpunkten viele weitere Studien ansetzen (vgl. Artel & Moschner, 2005, S. 7). Eines dieser aufgegriffenen und diskutierten Themen bzw. einer der postulierten Effekte ist die aktuell in der Ernährungswissenschaft (s. Zeitschrift „Appetite“) immer wieder in Studien untersuchte Wirkungshypothese(3) kognitiver Leistungsförderung durch Kaugummikauen. Auch in der Ankerstudie „Steigert Kaugummikauen das kognitive Leistungsvermögen?“ von Rost, Wirthwein, Frey & Becker (2010, S. 39 - 42) dreht sich die Problemstellung um Studien, in denen die Autoren davon ausgehen, dass diese methodisch verbesserungsbedürftig sind, wonach Kaugummikauen sich positiv auf Lernleistung und Konzentration(4) auswirken würde. Dabei sprechen sie auch verwendete Diagnostikverfahren und die Generalisierbarkeit von Befunden in den entsprechenden Studien und Arbeiten an, welche oft in zahlreichen Studien zu hinterfragen sind (vgl. Artel & Moschner, 2005, S. 7 - 11). So blieben bspw. verwendete Messverfahren, Signifikanzniveaus(5) sowie Effektstärken(6) unbekannt (vgl. Rost u. a., 2010, S. 40). Besonders kritisch stehen die Autoren der relativ geringen Stichprobengröße(7) gegenüber. Daher greifen diese weit zurückliegende Vorstellungen und Versuche auf, die die Intelligenz und das Lernvermögen steigern könnten.

Ausgangspunkt der Kritik stellt die Behauptung von Lehrl (1999, S. 6 - 7) dar, welche besagt, dass durch bloßes Kaugummikauen die Intelligenz zu erhöhen ist, obwohl dies nicht einmal umfangreich angelegte Trainingsprogramme bewirken würden, da diesen gem. Rost u. a. (2010, S. 40) bestenfalls mittelfristige Erfolge auf die „Förderung des induktive(n) Denken(s)“(8) (Wippich, 1984, S. 51) aufgrund „mangels einschlägiger Studien“ zu langfristigen Effekten zugeschrieben werden können. Trotz der Ungewissheit über die Wirkungshypothese von Kaugummikauen liegen nicht nur Studien, sondern auch bereits Erklärungsansätze hierzu vor. Rost u. a. (2010, 39 - 42) gehen auf einige Beispiele ein und verdeutlichen deren methodische Schwächen und fraglichen Auslegungen der Befunde. So führen sie u. a. eine Studie von Allen, Galvis und Katz (2004) auf, die in Form eines Abstracts veröffentlicht wurde und deren Qualität, gem. Rost u. a. (2010, S. 41), nicht bewertet werden könne. Auch machen die Autoren der Ankerstudie deutlich, dass „(zahn-)medizinisch-biologische Arbeiten“, die den möglichen „Effekt des Kaugummikauens auf physiologische Parameter untersuchen“ (Rost u. a., 2010, S. 41) (z. B. Herzfrequenz, Gehirndurchblutung etc.) nicht für die vorliegende Fragestellung relevant sind. In Form der Herzrate werden diese z. B. in der Studie von Wilkinson, Scholey & Wesnes (2002,S. 235 - 236) aufgegriffen, deren Befunde eine Kontroverse über die vermeintlich positiven Effekte von Kaugummikauen auf die kognitive Leistungsfähigkeit in der Forschungszeitschrift „Appetite“ angefacht haben, da diese als Erste versuchten, einen empirischen Nachweis für den allgemeinen Glauben, dass Kaugummikauen die mentale Performanz, wie Konzentration, erhöhen würde, zu erbringen (vgl. Miles & Johnson, 2007, S. 154). Dies erfolgte in ihrer Studie „Chewing gum selectively improves aspects of memory in healthy volunteers“ anhand einer Stichprobe von 27 Erwachsenen. Die Probanden wurden randomisiert, d. h. zufällig(9) den drei unterschiedlichen Bedingungen „chewing“, „sham chewing“ und „quiet control“ zugeteilt. Zentral waren hier die Variablen Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis und Langzeitgedächtnis. Zusätzlich wurde dabei die Herzrate gemessen, um einen Rückschluss auf die Behauptung zu ziehen, dass Kauen die Gehirndurchblutung verbessern würde (vgl. Seasay, Tanaka, Ueno, Lecaroz & De Beaufort, 2000, S. 128). Gem. Wilkinson u. a. (2002, S. 236) führt Kaugummikauen zu verbesserten kognitiven Leistungen im Arbeitsgedächtnis sowie bei sofortigem und verzögertem Abruf von zuvor gelernten Wortlisten. Für die Förderung von Aufmerksamkeit konnte jedoch kein signifikanter(10) Befund gezeigt werden (vgl. Wilkinson u. a., 2002, S. 235 - 236). Kritikpunkte von Rost u. a. (2010, S. 42) sind hierbei die „viel zu geringe“ Versuchspersonenanzahl, mangelnde Berücksichtigung der „Auswirkungen einer α-Fehler-Kumulierung“(11) sowie eine nicht ausreichenden Beschreibung der Variablen. Des Weiteren werden die nicht mitgeteilte Art des Kaugummis und die Kaudauer genannt (vgl. Rost u. a., 2010, S. 42). In gleicher Weise wird die Studie von Baker, Bezance, Zellaby, Aggleton (2004, S. 207 - 210; Rost u. a., 2010, S. 42) kritisiert.

Vor diesem Hintergrund konstatieren Rost u. a. (2010, S. 42), dass „solide , d. h. methodisch sorgfältig angelegte und auf hinreichend großen Stichproben basierende empirische Untersuchungen über die Auswirkungen des Kaugummikauens auf die kognitive Leistungsfähigkeit von Schülern […] noch nicht veröffentlicht worden“ sind. Die Autoren fordern daher „ökologisch valide und pädagogisch-psychologisch relevant(e)“ Studien, die „unter schulalltäglichen Bedingungen […] positive Kaueffekte“ (Rost u. a. 2010, S. 42) belegen können und versuchen dabei, mit ihrer Studie „Steigert Kaugummikauen das kognitive Leistungsvermögen?“ auf die vielen Studien und ihre fraglichen Behauptungen einzugehen sowie eine abschließende Revision der vermeintlich lernförderlichen Effekte von Kaugummikauen durchzuführen (vgl. Rost u. a., 2010, S. 39 - 42).

1.2 Entscheidungen mit Blick auf die Recherche ergänzender Studien

Gerade bei solch stark diskutierten Themen, wie den positiven Wirkungen von Kaugummikauen auf die kognitive Leistungsfähigkeit, gibt es zahlreiche Berichte in den Medien. Dies macht es schwierig, wissenschaftlich fundierte Quellen zu Rate zu ziehen und ein Verständnis hinsichtlich der bisher geführten Konversationspunkte zu schaffen. Daher wurde mit folgendem Auswahlkriterium für die ergänzenden Studien gearbeitet: Die hinzugezogenen Studien sollen helfen, einen umfangreichen Überblick über die bisher geführte Kontroverse hinsichtlich des Themas der Ankerstudie zu geben. Ausgangspunkt der Recherche nach adäquaten Studien stellten die Datenbanken DBIS, PsyContent, Fachportal Pädagogik, EZB der Universität Mannheim, ERIC und ZPID dar. Über die Datenbank PsyContent fand sich das Abstract der Ankerstudie „Steigert Kaugummikauen das kognitive Leistungsvermögen?“ von Rost u. a. (2010), dessen Überschrift und seine Schlüsselwörter sollten als Orientierungspunkte für das weitere Vorgehen dienen. Doch konnten zunächst mit den Suchbegriffen Kaugummikauen bzw. chewing gum und kognitives Leistungsvermögen sowie der Wortkombination Kaugummi und Aufmerksamkeit bzw. Konzentration keine passenden Suchtreffer in PsyContent, der EZB der Universität Mannheim, dem Fachportal Pädagogik und der DBIS gefunden werden. Auch in der Fachzeitschrift für Pädagogische Psychologie, aus der die Ankerstudie stammt, gab es keine weiteren passenden, ergänzenden Studien. Erst die Datenbank ZPID mit dem Suchbegriff „chewing gum“ führte zur Studie „Chewing gum differentially affects aspects of attention in healthy subjects“ von Tucha, Mecklinger, Maier, Hammerl & Lange (2004), publiziert in der Zeitschrift „Appetite“. Im Suchportal ScienceDirect, in dem die veröffentlichten Berichte von „Appetite“ zu finden sind, ließen sich nicht nur die ergänzenden Studien, sondern auch die Ausgangsstudien (z. B. Wilkinson u. a., 2002; Rost u. a., 2010, S. 41) der Ankerstudie (wieder-)finden. Nach gründlicher Durchsicht der aufgelisteten Schriften wurde schließlich die finale Auswahl mit der Studie „Chewing gum and context-dependent memory effects: A re-examination“ von Miles & Johnson (2007) und der bereits oben genannten Studie von Tucha u. a. (2004) getroffen.

Ein Grund, diese Abhandlungen auszuwählen, ist, dass sie sich, wie die Ankerstudie von Rost u. a. (2010, S. 41), auf die Ausgangsstudie von Wilkinson u. a. (2002) beziehen (vgl. Tucha u. a., 2004, S. 327; Miles & Johnson, 2007, S. 154), um sich die Diskussion um das „robuste Phänomen“, dass die Gedächtnisleistung durch Kaugummikauen erhöht werden könne (vgl. Scholey, 2004a, S. 215), ausgebreitet hat. Im Wesentlichen wird die Debatte in der Zeitschrift „Appetite“ geführt und in einigen Berichten sind Versuche zur Ordnung der zahlreichen Studien zu erkennen. Anhand einzelner Darlegungen ist es folglich möglich, die Diskussion zwischen den Forschern zu verfolgen. Bereits in dem Schreiben „Effects of gum chewing: on memory and attention: reply to Scholey (2004)” gehen Tucha, Mecklinger, Hammerl & Lange (2004, S. 219 - 220) auf die Argumente von Scholey (2004a, S. 215 - 216) ein, der wiederum ein Antwortschreiben (2004b, S. 221 - 223) an Tucha u. a. (2004) veröffentlichen lässt.

Die beiden ausgewählten Studien schaffen zusammen mit der Ankerstudie einen guten Überblick über die bereits aufgeführten Diskussionspunkte. Die Untersuchung von Tucha u. a. (2004, S. 327) soll den Anfang der aufkommenden Diskussion rund um die Hypothese von Wilkinson u. a. (2002, S. 235), dass „chew gum […] increases aspects of mental performance, including concentration“, verdeutlichen. Tucha u. a. (2004, S. 329) versuchten bereits auf die fraglichen methodologischen Aspekte (d. h. within-subjects Design, fehlende „baseline assessment“) in der Studie von Wilkinson u. a. (2002) einzugehen und mahnten zur Vorsicht gegenüber den Behauptungen bzgl. der Effekte von Kaugummikauen auf die kognitive Leistungsfähigkeit. Die Studie von Miles & Johnson (2007, S. 154) geht bereits weiter in ihrer Kritik an der vorangegangenen Studie von Wilkinson u. a. (2002) und greift zusätzlich die Erklärungsversuche der Studie von Baker u. a. (2004) auf, die einen weiteren wichtigen Punkt in der Diskussion markiert. So dient als Ausgangsbasis der Studie von Miles & Johnson (2007, S. 154) der von Baker u. a. (2002, S. 207) aufgebrachte Erklärungsversuch für den vermeintlichen Effekt des Kaugummikauens als kontextabhängiger Gedächtniseffekt[2]. Darüber hinaus gehen Miles & Johnson (2007, S. 154) erneut auf die ergänzende Studie von Tucha u. a. (2004) ein und zeigen deren Bezug zur Studie von Baker u. a. (2004). Den chronologischen Schlusspunkt markiert die Studie von Rost u. a. (2010, S. 39 - 42), die allumfassend erneut die oben genannten Befunde und weitere Vorgängerstudien aufgreift. Zudem werden die Thematiken der beiden ergänzenden Studien Aufmerksamkeit und Gedächtniseffekte in der Ankerstudie von Rost u. a. (2010, S. 44 - 46) aufs Neue in seinem zweiten Experiment aufgegriffen und runden damit das Gesamtbild der Bachelor Thesis ab. Des Weiteren sind die drei Studien in ihrem Aufbau recht ähnlich, da sie alle Replikationen (12) darstellen und sowohl umfangreich methodisch als auch sorgfältig gestaltet sind, was eine gute Vergleichbarkeit garantiert.

2 Die ausgewählten Studien im Überblick

2.1 Gemeinsames und Spezifisches in den Problem- bzw. Zielstellungen

Jede Studie bzw. jedes Experiment benötigt eine zu untersuchende Problem- bzw. Zielstellung, deren Grundlage idealerweise eine Theorie bildet, welche aus einzelnen Hypothesen besteht (vgl. Sternberg, 1999, S. 514). Auch die vermeintlichen positiven Effekte von Kaugummikauen auf die kognitive Leistungsfähigkeit oder -parameter stellen solche Hypothesen dar, deren Überprüfung die Zielsetzung aller drei Studien ist. Sowohl die Ankerstudie von Rost u. a. (2010, S. 41) als auch die beiden ergänzenden Studien von Tucha u. a. (2004, S. 327) und Miles & Johnson (2007, S. 154) gehen kritisch auf die Studie von Wilkinson u. a. (2002) ein, die den Ausgangspunkt der Debatte über die Wirkungshypothese von Kaugummikauen darstellt (vgl. Miles & Johnson, 2007, S. 154). Die Zielsetzung der Studie von Wilkinson u. a. (2002, S. 235 - 236) bzgl. einer Untersuchung des möglichen Effekts von Kaugummikauen auf die Aufmerksamkeit sowie das Arbeits- und das Langezeitgedächtnis wird somit von allen drei Studien aufgegriffen.

Bei der Studie von Tucha u. a. (2004, S. 327) geht es zentral um die Komponente Aufmerksamkeit, deren positive Beeinflussung durch Kaugummikauen in der Studie von Wilkinson u. a. (2002, S. 235) jedoch nicht bestätigt werden konnte. Darüber hinaus werden mögliche Gedächtniseffekte untersucht. Daher ist hier die Zielsetzung die Untersuchung möglicher Auswirkungen von Kaugummikauen auf Gedächtnis und zahlreiche Aufmerksamkeitsfunktionen. Im Unterschied zu der Ankerstudie und der zweiten ergänzenden Studie von Miles & Johnson (2007) ist die erste ergänzende Studie von Tucha u. a. (2004) am stärksten an der Studie von Wilkinson u. a. (2002) und deren Befunden ausgerichtet. Dies zeigt sich schon an der Zielsetzung, die sich aus den Ergebnissen der Studie von Wilkinson u. a. (2002, S. 235 - 236) ableiten lässt. So untersuchen Tucha u. a. (2004, S. 328) nicht nur im Allgemeinen die Aufmerksamkeit (vgl. Wilkinson u. a., 2002, S. 235), sondern auch einzelne Aufmerksamkeitsaspekte (z. B. „divided“(13) und „selectiv attention“(14)).

Auch in der zweiten ergänzenden Studie (Miles & Johnson, 2007, S. 154) bilden die Vorgehensweise und die Befunde von Wilkinson u. a. (2002, S. 235 - 236) den Ausgangspunkt. Hier wird jedoch verstärkt auf die Studie von Baker u. a. (2004, S. 207) eingegangen, die einen Versuch darstellt, die Befunde von Wilkinson u. a. (2002) aufgrund möglicher kontextabhängiger Gedächtniseffekte zu erklären. Gerade dieser Bezug zu möglichen kontextabhängigen Auswirkungen differenziert die Studie von Miles & Johnson (2007, S. 154 - 158) von der Ankerstudie (Rost u. a., 2010, S. 39 - 49) und von Tucha u. a. (2004, S. 327 - 329). Untersucht werden soll bei Miles & Johnson (2007) folglich, ob Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit nicht primär eine Ursache des Kaugummikauens sind, sondern einen kontextabhängigen Effekt darstellen. Des Weiteren nehmen Miles & Johnson (2007, S. 154) sowohl auf Baker u. a. (2004) als auch auf Tucha u. a. (2004) Bezug, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen und schlagen Erklärungsansätze für diese Befunddiskrepanzen vor. Insbesondere Unterschiede im Design („between-subjects“(15) Design bei Baker u. a., 2002, S. 208; „within-subjects“(16) Design bei Tucha u. a., 2004, S. 329) werden als Erklärungsmöglichkeiten genannt, an denen Miles & Johnson („between-subjects“ Design; 2007, S. 155) anknüpfen. Diese könnten gemäß Miles & Johnson („between-subjects“ Design; 2007, S. 154) „ceiling-effects“(17) hervorgebracht und so zur Bestätigung kontextabhängiger Effekte bei Baker u. a. (2004) geführt haben.

In der Ankerstudie (vgl. Rost u. a., 2010, S. 44 - 46) werden die beiden oben behandelten Themen Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung erneut aufgegriffen und unter Berücksichtigung der vorhergehenden Befunde wird das Gesamtkonzept von Kaugummikauen kritisch reflektiert. Des Weiteren wurde als relativ zeitlich stabile kognitive Variable die Intelligenz(18) miteinbezogen (vgl. Rost u. a., 2010, S. 42 - 43). Somit ist bei Rost u. a. (2010, S. 42) die zusätzliche Zielsetzung die Überprüfung der Wirkung von Kaugummikauen auf die Intelligenz und es wird verstärkt, im Gegensatz zu den Studien von Miles & Johnson (2007) sowie Tucha u. a. (2004), auf die methodologischen Mängel der einzelnen Studien eingegangen. Daher ist das Ziel der Studie von Rost u. a. (2010, S. 42) die Untersuchung der Effekte von Kaugummikauen auf die kognitive Leistungsfähigkeit mit Hilfe einer „methodisch sorgfältig angelegte“ und auf einer „hinreichend großen Stichprobe(n) basierende empirische Studie“ (Rost u. a., 2010, S. 42).

2.2 Der theoretische Kontext der Studien

Die Wissenschaft soll für alle verständlich sein und ihre Begrifflichkeiten daher explizit definieren, um Missverständnisse zu vermeiden. Gerade dies unterscheidet sie vom „gesunden Menschenverstand“, der durch die teilweise mehrdeutige „Alltagssprache“ gekennzeichnet ist (vgl. Rost, 2007, S. 35 - 36). Dies hebt die Bedeutung des Kriteriums der „Darstellung der theoretischen Konstrukte/des theoretischen Kontextes/des theoretischen Hintergrunds“ (Ebner & Lehmann, 2009, S. 2) für wissenschaftliche Arbeiten, hervor, um daraus eine gewisse Begriffseindeutigkeit zu erhalten, sowie eine „ immerwährende Korrektur “ des bisherigen Wissenstands zu ermöglichen (vgl. Rost, 2007, S. 36). Daher soll im Folgenden auf den zugrunde liegenden theoretischen Hintergrund eingegangen werden. In den drei Studien sind Bestandteil des theoretischen Hintergrunds Hypothesen bzw. Annahmen und Befunde aus vorhergehenden Untersuchungen. Alle drei Abhandlungen beziehen sich auf die Ausgangstudie von Wilkinson u. a. (2002, S. 235), deren theoretischer Kontext auf den allgemeinen Glauben, dass Kaugummikauen die kognitive Leistungsfähigkeit fördern könnte, zurückgeht (vgl. Tucha u. a., 2004, S. 327; Miles & Johnson, 2007, S. 154; Rost u. a., 2010, S. 41 - 42). Folglich behandeln alle drei Studien die Begriffe Lernen und Gedächtnis sowie deren Förderung durch das Kaugummikauen, woraus sich ein psychologischer Hintergrund ablesen lässt. Aus psychologischer Sicht ist Lernen eine überdauernde Verhaltensänderung, „also ein Ergebnis, das man sehen, erfragen oder beobachten kann“ (Mackowiak, Lauth & Spieß, 2008, S. 13). „Eine einheitliche Rahmentheorie des Gedächtnisses gibt es derzeit nicht“ (Penner, Reijinen & Opwis, 2006, S. 34). Dies zeigt sich in den umfangreichen Themengebieten der Gedächtnisforschung, die sich verstärkt auch auf neuromedizinisch-biologische Befunde bezieht, um mögliche Annahmen über das Gedächtnis zu erklären (vgl. Penner u. a., 2006, S. 34). Solch ein neuromedizinisch-biologischer Bezug wird auch bei Tucha u. a. (2004, S. 328) durch die Messung der Pulsrate zu schaffen versucht, welche als Surrogate zur gemessenen Herzrate in der Studie von Wilkinson u. a. (2002, S. 235) dienen soll.

In der Untersuchung von Miles & Johnson (2007, S. 154) ist, neben dem Bezug auf die Studie von Wilkinson u. a. (2002), ebenfalls ein Rekurrieren auf die erste ergänzende Studie von Tucha u. a. (2004) sowie auf Baker u. a. (2004) zu erkennen. Aus den Ergebnis- und methodologischen Unterschieden im Design dieser beiden Studien von Tucha u. a. (2004) und Baker u. a. (2004) leiten, wie bereits erläutert, Miles & Johnson (2007, S. 154 - 155) ihre Problem- bzw. Zielstellung bzgl. einer Replikation der Studie von Baker u. a. (2004) ab. Es erfolgt, wie bei Baker u. a. (2004, S. 208), eine Verwendung von Wortlisten in den Abhandlungen von Tucha u. a. (2004, S. 327) sowie bei Miles & Johnson (2007, S. 155). Die Verwendung von Wortlisten weist auf einen gedächtnispsychologischen Hintergrund hin, da Wort- bzw. Zahlenlisten sehr häufig in der Gedächtnispsychologie (19) sowie der kognitiven Psychologie (20) (vgl. Sternberg, 1999, S. 155) in experimentellen Studien angewandt werden. Diese Art von Lernparadigma ist dadurch gekennzeichnet, dass den Probanden eine bestimmte Liste von Items (Wörtern, Silben, Zahlen etc.) in zufälliger Reihenfolge präsentiert wird, die sie in einer vorgegebenen Zeit sich einprägen sollen. Outcomevariablen stellen hierbei die korrekt wiedergegebenen Items in der darauf folgenden Abrufphase dar. Diese Phase wird auch als Reproduktionsphase bezeichnet, die zu einer „ seriellen “ Wiedergabe der Items führen soll, d. h. Itemnennung in der dargebotenen Reihenfolge (vgl. Penner u. a., 2006, S. 34). Im Gegensatz dazu steht die freie Reproduzierung, die eine Wiedergabe der Items in beliebiger Reihenfolge erlaubt (vgl. Penner u. a., 2006, S. 34 - 35). Diese Art von Abrufphase wird in der Studie von Miles & Johnson (2007, S. 155) verwendet. Die Erfassung von Aufmerksamkeits- sowie von Vigilanzfunktionen(21), operationalisiert(22) nach Parasuraman (1984, S. 3 f.), deutet bei Tucha u. a. (2004, S. 328) ebenfalls auf einen kognitionspsychologischen Kontext hin. Als „selective attention“ wird der „concentrated focus of attention“ bezeichnet, in dem sich ein Individuum nur einem ausgewählten Reiz zuwendet und die anderen Reize ignoriert (vgl. Sternberg, 1999, S. 81). Dagegen wird im Zustand der „divided attention“ die Aufmerksamkeit auf mehrere Reize gleichzeitig verteilt (vgl. Sternberg, 1999, S. 81). Die Wachsamkeit bzw. Vigilanz(20) wird allgemein in der kognitiven Psychologie als „the ongoing alert watchfulness for the appearance of an unpredictable stimulus, which may be sensed through any of the sensory modalities” (Sternberg, 1999, S. 524) verstanden. Zudem stellen die Begriffe Lern- und Abrufphase einen festen Bestandteil in der psychologischen Gedächtnisforschung dar, welche in den beiden oben genannten Studien verwendet wurden (vgl. Tucha u. a., 2004, S. 327 - 329; Miles & Johnson, 2007, S. 155). In der Untersuchung von Miles & Johnson (2007, S. 155) wurde zudem explizit auf die Konsolidierungsphase eingegangen, in der die Probanden das Eingeprägte behalten sollten. Es wird zwischen den „zeitlich aufeinander folgenden Phasen“ Lernen, Konsolidierung und Abruf unterschieden, welche sich auf „das Einprägen, das Behalten und das Erinnern von Information“ beziehen. Die erste Phase namens Enkodierungs- bzw. Einprägungsphase, die in den Studien als Lernphase bezeichnet wird, dient der Informationsaufnahme. Die langfristige „Speicherung und die Verfügbarkeit“ der zuvor aufgenommenen Information wird als Behalten bezeichnet (vgl. Penner u. a., 2006, S. 33). Dies dient einer späteren Wiedergabe und Nutzung der erworbenen Information in der Abrufphase (vgl. Penner u. a., 2006, S. 33).

Nach Miles & Johnson (2007, S. 154) könne die Studie von Wilkinson u. a. (2002) einen möglichen kontextabhängigen Effekt nicht ausschließen, da das Kaugummikauen in der Lern- sowie in der Abrufphase erfolgte. Deshalb führten Baker u. a. (2004, S. 208) eine Studie auf der Basis eines „between-subjects“ Designs durch, bei dem die Probanden 15 Wörter lernen und wiedergeben sollten (sofort und nach 24 Stunden), mit dem entscheidenden Unterschied, dass Kaugummikauen bzw. kein Kaugummikauen in der Lern- und Abrufphase variiert wurden (s. Anhang: Vergleichstabelle). Baker u. a. (2004, S. 209) interpretieren ihre Ergebnisse hinsichtlich eines überlegenen Abrufs unter Kaugummikauen für „delayed recall“ (nicht aber für „immediate recall“) unter Kaugummikauen in Lern- und Abrufphase, im Sinne des Vorliegens eines kontextabhängigen Gedächtniseffekts. Um dem Anspruch einer „re-eximination“ der Studie Baker u. a. (2004) gerecht zu werden, wird bei Miles & Johnson (2007, S. 327), rekurrierend auf Baker u. a. (2004), die Erklärungshypothese, basierend auf der Theorie kontextabhängiger Gedächtniseffekte (vgl. Miles & Johnson, 2007, S. 327), welche auf Godden & Baddeley (1975, S. 325 - 331) zurückgeht, untersucht. In der Studie „context-dependent memory in two natural environments: on land and underwater“ wird dieser wie folgt definiert: „[…] what is learnt in a given environment is best recalled in that environment“ (Godden & Baddeley, 1975, S. 325). Zusammenfassend können kontextabhängige Gedächtniseffekte als „the finding that memory benefits when the spatio-temporal, mood, physiological, or cognitive context at retrieval matches that present at encoding” (Baddeley, Eysenck & Anderson, 2009, S. 176) bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang wird „Retrieval” (dt.: Abruf) als Wiedergabe von Items aus dem Gedächtnis in das Bewusstsein unter Einfluss von Hinweisreizen verstanden (vgl. Baddeley u. a., 2009, S. 165). Dieses Konzept der kontextabhängigen Gedächtniseffekte ist Teil der Gedächtnispsychologie (vgl. Wippich, 1984, S. 25).

Auch bei Rost u. a. (2010, S. 41 - 42) werden die Studien von Wilkinson u. a. (2002) und Baker u. a. (2004) aufgegriffen, aber hier werden vermehrt deren methodologisch fraglichen experimentellen Designs thematisiert. Darüber hinaus gehen Rost u. a. (2010, S. 39 - 41) auch auf Trainingsprogramme sowie biologische Befunde über einen angeblichen Zusammenhang ein, dass sich zwischen „motorische(n) Bewegungen […] über eine Erhöhung der Gehirndurchblutung die kognitive Leistungsfähigkeit“ steigern lassen würde. Alle aufgeworfenen Themen und postulierten lernförderlichen Effekte (z. B. „Mozart-Effekt“; vgl. Rost u. a., 2010, S. 46) drehen sich primär um Lernen und dessen Förderung sowie die hierfür notwendige sorgfältige Überprüfung der entwickelten Maßnahmen. In der Studie von Rost u. a. (2010, S. 46) liegt somit ein pädagogisch-psychologischer Hintergrund vor: Die Pädagogische Psychologie dient als Unterdisziplin der Psychologie (vgl. Krapp & Weidenmann, 2006a, S. 3 - 31) zur Überprüfung von aufgeworfenen Behauptungen und neuen Maßnahmen zur Förderung praktischen Handelns im pädagogischen Alltag. Zudem hat sie „die Aufgabe, handlungsrelevante Einflussfaktoren zu analysieren […] oder Wirkungen und Effekte pädagogischer Maßnahmen bzw. die Ursachen möglicher Störungen und Fehlentwicklungen festzustellen“ (Krapp & Wiedemann, 2006a, S. 29). Auf diese Aufgabe der Pädagogischen Psychologie berufen sich die Autoren Rost u. a. (2010, S. 46) und heben ihre zunehmende Bedeutsamkeit hinsichtlich der „Evaluation von Behauptungen über die Effektivität von Maßnahmen und Programmen, […] zur Optimierung der kognitiven Leistungsfähigkeit und der Lernleistung“, die „(vorschnell) offeriert werden“ hervor. Auch die Studie von Rost u. a. (2010, S. 46) überprüft die Wirkungshypothese des Kaugummikauens. Im Unterschied zu den Ergänzungsstudien sind zusätzlich unterschiedliche Intelligenzfacetten (schlussfolgerndes Denken(23), Geschwindigkeit und Präzision bei einfachen arithmetischen Aufgaben, Sprachverständnis, Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit) und ein Gesamtwert „allgemeine Intelligenz“ Komponenten im ersten Experiment von Rost u. a. berücksichtigt worden (vgl. 2010, S. 42 - 43). Für Intelligenz selbst liegt bisher zwar keine einheitliche Definition vor (Kellogg, 1995, S. 395 - 397), doch lässt sich die „Hirnleistung“ in die Komponenten Gedächtnis, Vigilanz, Aufmerksamkeit, Sprache, Flexibilität(24) und geistiges Tempo gliedern (vgl. Wiegand, 2004, S. 14). Derartige Messungen von Personenmerkmalen, wie Intelligenz und deren Veränderungen, werden ebenfalls in der Pädagogischen Psychologie untersucht (vgl. Krapp & Wiedemann, 2006c, 101 - 115).

Im Gegensatz zu den beiden Ergänzungsstudien kommen bei Rost u. a. (2010, S. 42 - 45) spezifische Leistungs- und Konzentrationstests (z. B. ZVT(25)) zum Einsatz. In deren Untertests werden jedoch auch Aufmerksamkeit sowie Konzentration bzw. Gedächtnis erfasst und dabei teilweise so genannten „recall-tests“ (z. B. Lernen von Zahlenpaaren und deren Wiedergabe) verwendet (vgl. Rost u. a., 2010, S. 44 - 46).

Schlussfolgernd lässt sich somit sagen, dass der theoretische Kontext aller drei Studien ein gedächtnispsychologischer bzw. kognitiv-psychologischer ist. Es geht daher primär um das Gedächtnis, welches die Grundvoraussetzung des Lernens ist (d. h. es dient als „informationsverarbeitende Struktur[en] und entsprechende Speicherungskapazität“; Bodenmann, Perrez, Schär & Trepp, 2004, S. 25), in dem „psychische[n] Zustände jeder Art, Empfindungen, Gefühle, Vorstellungen, die irgendwann einmal vorhanden waren und dann dem Bewusstsein entschwanden“ (Ebbinghaus, 1985, S. 1) für einen späteren Abruf gespeichert werden. Es hat also die Funktionen der Informationsaufnahme, -enkodierung, -modifizierung und des -abrufs (vgl. Bodenmann u. a., 2004, S. 25). Auch unterstützen alle drei Studien in Form einer Art Überprüfung von vorhergehenden Befunden (vgl. Tucha u. a., 2004, S. 156; Miles & Johnson, 2007, S. 158) die Pädagogische Psychologie in ihrer Aufgabe der „Evaluation von Behauptungen“, die Einfluss auf zukünftige pädagogische Lehr- und Lernmaßnahmen haben können (Rost u. a, 2010, S. 46).

2.3 Design – Methoden – Instrumente

Für die kritische Beurteilung einer Studie und der aus ihren Befunden abgeleiteten Schlussfolgerungen ist es wichtig, sich gründlich mit den ausgewählten Designs auseinanderzusetzen, da gerade diese „den Grad an Gewissheit, mit dem die Frage nach dem Zusammenhang zwischen […] Ursache und Wirkung […] beantwortet werden kann“ (Schnell, Hill & Esser, 2008, S. 211), beeinflusst. Diese beinhalten die Ausgestaltung der Datenerfassung, d. h. „wann, wo, wie und wie oft die empirischen Indikatoren an welchen Objekten“ (Schnell u. a., 2008, S. 211) erfasst werden sollen. Daher müssen die Vor- sowie Nachteile einzelner Methoden und die mit ihnen verbundene begrenzte Aussagefähigkeit bekannt sein (vgl. Krapp & Weidenmann, 2006b, S. 77).

In jeder der drei dargestellten Studien werden daher je zwei Experimente(26) durchgeführt, welche im Einzelnen nun hinsichtlich ihres Designs, Instrumentariums und ihrer Methodik erläutert werden sollen. Im ersten Experiment der Studie von Tucha u. a. (2004, S. 327) bestand die Stichprobe aus 29 Frauen und 29 Männern (mittleres Alter: M = 22,9 Jahre). Am zweiten Experiment nahmen neu rekrutierte 29 Frauen und 29 Männer (M = 22,2 Jahre) teil. Das erste Experiment von Miles & Johnson (2007, S. 155) umfasste Studenten der Psychologie auf freiwilliger Basis, worunter 21 Frauen und 3 Männer waren (M = 20 Jahre und 11 Monate). Im zweiten Experiment bestand die Stichprobe aus 20 weiblichen und 4 männlichen Psychologiestudenten (M = 20 Jahren und 6 Monaten), die nicht am ersten Experiment teilgenommen hatten (vgl. Miles & Johnson, 2007, S. 156). Die vollständige Teilnahme wurde in jedem der beiden Experimente mit Kurspunkten belohnt (vgl. Miles & Johnson, 2007, S. 155 - 156). Die Ankerstudie (Rost u. a., 2010, S.42) umfasste bei der ersten Untersuchung anfänglich eine Stichprobe von 275 weiblichen und 273 männlichen Schülern der 5. (n = 286) und 6. (n = 253) hessischen Realschul-/Gymnasialklassen (M = 11,0 Jahre; S = 0,8). Verwendet wurde ein bereinigter Stichprobenumfang von N = 544 (Ausschlusskriterien: unvollständig ausgefüllte Untertests und/oder Verdacht auf absichtliche Fehlbearbeitung). Die Stichprobe im zweiten Experiment wurde aus zwei hessischen Gesamtschulen und einer Grundschule mit Förderschule erhoben und um n = 18 bereinigt (Kriterium: unvollständig ausgefüllte Bögen), sodass die Auswertung sich auf „mindestens N = 486 Datensätze“ (Rost u. a., 2010, S. 44) bezog.

Die experimentellen Bedingungen in beiden Experimenten von Tucha u. a. (2004, S. 327 - 328) stellten (1) kein Kauen (quiet condition), (2) „mimicking chewing movements“ (mimicking condition), (3) Kauen eines zuckerfreien, geschmacklosen Kaugummis (neutrale condition) und (4) Kauen eines zuckerfreien Pfefferminz-Kaugummis (spearmint condition) dar. Bei Miles & Johnson (2007, S. 155) gab es vier experimentelle Bedingungen, charakterisiert durch die unterschiedliche Kombination der zwei Faktoren (1) Lernbedingung (Kaugummi vs. kein Kaugummi) und (2) Abrufbedingung (Kaugummi vs. kein Kaugummi): (1) No gum – no gum (NgNg; alle Phasen ohne Kaugummi und Kaubewegung), (2) No gum – gum (NgG; während der Konsolidierungs- und Abrufphase Kaugummi und Kaubewegung, aber nicht während der Lernphase), (3) Gum – no gum (GNg; Kaugummikauen eine Minute vor der Lernphase und während der gesamten Lernphase, aber nicht während der Konsolidierungs- und Abrufphase) und (4) Gum – gum (GG; Kaugummikauen eine Minute vor der Lernphase und während der gesamten Lernphase; jeweils neuer Kaugummi in der Konsolidierungs- und Abrufphase). In den Experimenten von Rost u. a. (2010, S. 43) wurden die Schüler aus jeder Schulklasse nur auf zwei experimentelle Bedingungen (pro Schulklasse eine Gruppe Kauer [EG] und eine Gruppe Nichtkauer [KG]) randomisiert verteilt.

Die von Tucha u. a. (2004, S. 327) verwendeten Kaugummis mit jeweils gleicher Konsistenz wurden von Dandy Sakiz Ve Sekerleme San. A.S. Company (Istanbul, Türkei) hergestellt. Bei Miles & Johnson (2007, S. 155) wurde die Kaugummisorte Wrigley’s Extra Spearmint sugar free eingesetzt. Auch bei Rost u. a. (2010, S. 43) sollte „zuckerfreier“ Kaugummi gekaut werden.

Als Outcomevariablen wurden „immediate recall“ und „delayed recall“ in der Studie von Miles & Johnson (2007, S. 155 - 156) sowie bei Tucha u. a. (2004, S. 327) berücksichtig, welche die Gedächtnisleistung operationalisieren sollten. Bei Miles & Johnson (2007, S. 155 - 156) wurde jedoch die Variable „delayed recall“ (d. h. nach 24 Stunden) nur im zweiten Experiment erfasst (Miles & Johnson, 2007, S. 156). Tucha u. a. (2004, S. 327) erfassten im ersten und zweiten Experiment die Gedächtnisleistung anhand eines sofortigen und eines um 40 min verzögerten Wortwiedergabetests nach der Präsentation von 15 Substantiven. Zudem wurden die Wortlisten auf „frequency, age-of-acquisition, imagery and familiarity“(27) (Morrison, Chapell & Ellis, 1997 zit. nach Miles & Johnson, 2007, S. 155) abgestimmt. In den Experimenten von Miles & Johnson (2007, S. 155 - 156) wurde anhand zweiminütiger schriftlicher „free-recall-tasks“(28) nach einer einminütigen Konsolidierungsphase die Abrufleistung gemessen. Des Weiteren wurden bei Tucha u. a. (2004, S. 327) die Aufmerksamkeit in Form von „tonic“(29) und phasic alterness“(30), „divided attention“, „selective attention“, „visual scanning“(31) sowie „flexibility“ durch einen weiteren Test (nähere Beschreibung in Zimmermann & Fimm, 2011) erfassbar gemacht. Im zweiten Experiment erfolgte dagegen, neben der Erfassung von „tonic and phasic alterness“ zwischen dem „immediate word recall“ und der „visual vigilance task“(32) , die Messung von Vigilanz anhand einer „visual vigilance task for a period of 40 min” zwischen der Lern- und Abrufphase und von nachhaltiger Aufmerksamkeit (engl. „sustained attention“(33)) über ipsative Skalen, indem für jeden Probanden ein Differenzwert zwischen seiner Leistung „during the last 5 min of the task“ und „during the first 5 min“ Tucha u. a., 2004, S. 327 - 328) gebildet wurde. Die Outcomevariablen „ Aufmerksamkeits- bzw. Konzentrations- sowie kurzfristige Gedächtnisleistungen (numerisch, verbal, figural)“ wurden in der Studie von Rost u. a. (2010, S. 44 - 46) im zweiten Experiment durch die zwei folgenden Testarten erfasst: Der „Aufmerksamkeits- und Belastungstest“ (d2) wurde für die kurzfristige Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistung eingesetzt (vgl. Brickenkamp, 2002, S. 6 f.). Zusätzlich wurden „die Subtests «Zeichenlernen» (ZL1; ein aus einer Zeichnung herausgenommenes Zeichen soll gelernt werden, zwei Minuten Bearbeitungszeit), «Wörterfeld» (WF1; vorher vorgegebene Wörter sollen in einem Feld aus vielen Wörtern entdeckt werden, drei Minuten Bearbeitungszeit) sowie «Zahlenpaare» (ZP1; Lernen von zusammengehörigen Zahlenpaaren, zwei Minuten Bearbeitungszeit (jeweils 15 Aufgaben) aus dem „kombinierten Lern- und Intelligenztest für 4. und 5. Klassen“ (KLI 4+(34)) von Schröder (2005, S. 7 f.) verwendet (vgl. Rost u. a., 2010, S. 44 - 45). Die bisher noch nicht von den beiden ergänzenden Studien aufgegriffene „distale“ Variable Intelligenz, die gem. Rost u. a. (2010, S. 44) relativ zeitstabil und daher nicht so leicht beeinflussbar ist, wurde anhand folgender vier Intelligenzfacetten operationalisiert und anhand von (Sub-)Tests erfasst: (1) Schlussfolgerndes Denken (reasoning) wurde mit Hilfe des Subtests 3 (Matrizen) aus Grundintelligenztest Skala 2 (CFT-20, Teil 1; Weiß, 1998, S. 8 - 15), welcher fluide Intelligenz(35) misst und zur Identifikation der Leistungsdefizite dient (vgl. Cattell, 1987; 12 Aufgaben; Dauer 3 min) sowie dem Untertest 4 (Diskriminieren) aus Prüfsystem für Schul- und Bildungsberatung (vgl. PSB; Horn, 1969, S. 12 ff.; 40 Aufgaben; Dauer 6 min) wahrgenommen. Mit dem Subtest 9 aus PSB (vgl. Horn, 1969; 60 Aufgaben; Dauer 5 min) wurde die Intelligenzfacette (2) Geschwindigkeit und Präzision bei einfachen arithmetischen Aufgaben (number) gemessen. Um das (3) Sprachverständnis (verbal comprehension) zu analysieren, wurde der Untertest 3 (Wortbedeutung) aus dem Bildungs-Beratungs-Test eingesetzt (vgl. BBT 4-6(36); Ingenkamp, Knapp & Wolf, 1977; 15 Aufgaben; Dauer 5 min). Für die vierte Intelligenzfacette (4) Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit verwendeten Rost u. a. (2010, S. 42 - 43) den ZVT(24) (vgl. Oswald & Roth, 1987, S. 5; 4 Aufgabenmatrizen; je Matrize 30 sek), anhand dessen «Verarbeitungsgeschwindigkeit»(37) (Rost & Hanses, 1993; Vernon, 1983; Vernon & Weese, 1993 zit. nach Rost u. a., 2010, S. 42 - 43) und die «konzentrierte Aufmerksamkeit» (Schmidt-Atzert, Bühner & Enders, 2006 zit. nach Rost u. a., 2010, S. 42 - 43) erhoben wurden. In der Abrufphase des zweiten Experiments von Rost u. a. (2010, S. 45) hatten die Schüler zur Reproduktion für „ZL1 und ZP1 jeweils eine Minute, 30 Sekunden“ und für „WF1 zwei Minuten, 30 Sekunden“ Zeit. Im Anschluss an d2 wurde „ein weiterer Behaltenstest (BT)“ mit den gleichen Subtests (ZL2, WF2, ZP2), wie oben aufgelistet, durchgeführt, wobei die Reproduktionszeit 1 Minute betrug (vgl. Rost u. a., 2010, S. 45). „Zusätzlich […] wurde(n) (die) faktoranalytisch(38) gebildete(n) übergeordnete(n) Kennwert(e) «allgemeine Intelligenz»“ und «allgemeines Gedächtnis» ausgewertet, bei denen alle Intelligenz- bzw. Gedächtniskomponenten gleichgewichtig in den übergeordneten Kennwert eingingen (Ladungen: s. Rost u. a., 2010, S. 43 f.). Die Studie von Tucha u. a. (2004, S. 328) unterscheidet sich zudem durch die Messung der Subvariablen Reaktionszeit und „number of omission errors and/or commission errors“ (dt.: Auslassungsfehler(39) und/oder Aktionsfehler(40)). Des Weiteren wurde die Pulsrate der einzelnen Probanden und die durchschnittlichen Pulsratenwerte je Versuchsbedingung, „as a total of three times for a periode of 1 min“ (Tucha u. a., 2004, S. 328), gemessen.

Die Erhebung der Testdaten für die zwei Gruppen EG und KG in der Studie von Rost u. a. (2010, S. 43) wurde in zwei unterschiedlichen Räumen für jede Klasse (d. h. natürliche Umgebung) durchgeführt. Bei Miles & Johnson (2007, S. 155) fand hingegen die Testdurchführung in einem schalldichten Labor statt. Der Durchführungsraum im zweiten Experiment war zudem dunkel und duftfrei, damit nur der Computerbildschirm als weiterer Hinweisreiz neben dem Kaugummikauen gewertet werden konnte (vgl. Miles & Johnson, 2007, S. 156). Auch bei Tucha u. a. („laboratory measures“; 2004, S. 329) fand ein Laborexperiment (d. h. in keiner natürlichen Umgebung) statt.

Die je 15 Wörter wurden den Probanden in der Studie von Tucha u. a. (2004, S. 327) nur einmal vorgelesen und sollten sofort und nach 24 Stunden wiedergeben werden. Im Gegensatz dazu erfolgte die Präsentation der Wortlisten bei Miles & Johnson (2007, S. 155) auf einem Computerbildschirm in einem 1 sek Intervall und nicht in Blockform, sondern sequenziell, um eine mögliche künstliche Begünstigung der Wiedergabewerte zu verhindern. Die jeweilige Wortliste wurde zweimal in einem 5 sek Intervall zwischen den Präsentationen in der Lernphase gezeigt (vgl. Miles & Hardman, 1998 zit. nach Miles & Johnson, 2007, S. 155).

Sowohl Tucha u. a. („ individuelly in four sessions on alternate days “; 2004, S. 328) wie auch Miles & Johnson (2007, S. 155) testeten die Probanden individuell. Im Unterschied zu Tucha u. a. (2004, S. 328) durchliefen in den Experimenten von Miles & Johnson (2007, S. 155) die Probanden alle vier Bedingungen an einem Tag. Dabei gab es zwischen den Bedingungen je zwei Minuten Pause, in denen die Teilnehmer Wasser trinken sollten, um einen möglichen anhaltenden Kaugummigeschmack zu neutralisieren (vgl. Miles & Johnson, 2007, S. 155). Im Gegensatz zu den beiden anderen Studien wurde bei Rost u. a. (2010, S. 43) klassenweise getestet anhand eines vorgeschriebenen «Drehbuchs», das dem Durchführungspersonal (drei Diplomandinnen der Psychologie) ausgehändigt wurde, das explizit für die Testung der Schüler geschult wurde. Der dadurch erzeugte Standardisierungsgrad diente dem Ausschalten von Störfaktoren (vgl. Rost u. a., 2010, S. 43). Des Weiteren wurden durch einen ausgeglichenen Einsatz der Diplomandinnen in der Versuchs- und Kontrollgruppe versucht, personale Störfaktoren, wie unterschiedliche physische Attraktivität, zu reduzieren (vgl. Rost u. a., 2010, S. 43). Die drei geschulten Diplomandinnen der Psychologie sprachen mit den Schülerinnen und Schülern vor jedem Untertest eine Beispielaufgabe durch und gingen dabei schrittweise nach dem „Drehbuch“ der Untersuchung vor (vgl. Rost u. a., 2010, S. 43). Bei Miles & Johnson (2007, S. 155) erhielten die Probanden vor der Testdurchführung eine Beschreibung des Experiments und eine schriftliche Instruktion.

Bereits vor Durchführung der Untersuchung von Rost u. a. (2010, S. 43) bekamen die Kinder zwei Kaugummis und ihnen wurde aufgetragen, sofort mit dem Kauen zu beginnen. Ähnlich dazu erfolgte bei Miles & Johnson (2007, S. 155) die Anweisung, dass die Kinder schon vor den entsprechenden Phasen eine Minute lang Kaugummi kauen sollten, um eine gewisse Vertrautheit mit der Kaubedingung zu erhalten, damit keine Effekte aufgrund der Neuartigkeit des Kaugummis die Daten verzerren konnten. Um Beständigkeit in den beiden Phasen zu gewährleisten, wurde zudem jeweils ein neuer Kaugummi vor der Konsolidierungsphase ausgeteilt (vgl. Miles & Johnson, 2007, S. 155). Die Teilnehmer der Studie von Tucha u. a. (2004, S. 328) wurden angewiesen, unter den Bedingungen (3) und (4) natürlich sowie konstant zu kauen (s. Vergleichstabelle der Studien).

Eine Gemeinsamkeit der Studie von Tucha u. a. (2004, S. 329) zu der Studie von Miles & Johnson (2007, S. 155) besteht in der Verwendung eines within-subjects Designs, um mögliche Effekte auf die Messwerte, hervorgerufen durch Unterschiede zwischen den Gruppen, zu vermeiden. In beiden Studien wurden die Messungen also erneut an den gleichen Probanden durchgeführt (vgl. Miles & Johnson, 2007, S. 155; Tucha u. a., 2004, S. 329). Im Unterschied dazu wurde bei Rost u. a. (2010, S. 43) ein so genanntes „between-subjects “ Design in Form eines „randomisierte[n] Zwei-Gruppenplan[s] ohne Vortest mit Behandlung und Nachtest“(43) angewandt. Hierbei erfolgte die Randomisierung innerhalb jeder Klasse auf eine der zwei Bedingungen EG und KG (vgl. Rost u. a., 2010, S. 43). Bei Tucha u. a. (2004, S. 327 - 328) wurde hingegen die Abfolge der Bedingungen sowie die Testreihenfolge über die Probanden hinweg zufällig verteilt. Bei Miles & Johnson (2007, S. 155) erfolgte dies dadurch, dass die Probanden jeweils andere Wortlisten in den vier zu durchlaufenden Lernphasen erhielten und per Ausbalancierung (42) der unterschiedlichen Kombinationen von Lern- und Abrufphase über die Teilnehmenden hinweg sowie der „presentation of the word list pairs […] across experimental combinations“. Als Auswertungsinstrument bzw. zur statistischen Analyse wurden von Tucha u. a. (2004, S. 329) der Friedman-Test(43) verwendet. In den Post-Hoc-Vergleichen (d. h. nach dem Friedmann-Test), unter Verwendung des Wilcoxon-Tests(44), beschränkten sich die Autoren auf den Vergleich der „quiet condition“ jeweils mit der „neutrale, spearmint and mimicking condition“ (Tucha u. a., 2004, S. 329). Es wurden nichtparametrische(45), anstatt parametrischer Tests verwendet, aufgrund des Mangels an normalverteilten(46) Daten für Reaktionszeit und „rare events such as errors in healthy individuals“ (Tucha u. a., 2004, S. 329). Bei Miles & Johnson (2007, S. 156) erfolgte die Auswertung der „immediate correct recall data“ durch eine zweifaktorielle „within-subjects“ Varianzanalyse, bei der die Daten hinsichtlich der Beeinflussung der abhängigen Variable (Gedächtnisleistung) durch die zwei unabhängigen Variablen an ein und derselben Zufallsstichprobe (vgl. Bortz, 1977, S. 353 f.; Bortz, Lienert & Boehnke, 1990, S. 27) in den vier Bedingungen gemessen wurden [Faktoren: (1) die Lernbedingung (Kauen vs. Nichtkauen) und (2) Abrufbedingung (Kauen vs. Nichtkauen)]. Zudem wurden die Daten aus den verzögerten Wiedergabetests mit einer „exploratory 2-factor (4 x 2) within-subjects ANOVA (dt.: Varianzanalyse) […], comparing recall for lists in each gum condition and whether participants received gum on day 2“ (Miles & Johnson, 2007, S. 156) analysiert.

Bei Rost u. a. (2010, S. 43) setzten sich die Mitglieder der Experimental- und Kontrollgruppe für die Auswertung aus den einzelnen EG- und KG-Gruppen (je 50 % Jungen) aus den unterschiedlichen Klassen zusammen. Die multivariate(47) zweifaktoriell-zweigestufte Varianzanalyse(48) basiert auf den Gruppierungsvariablen «Kaubedingung» und «Geschlecht» (Stufen sind hier Kauen vs. Nichtkauen und weiblich vs. männlich) und den abhängigen Variablen (vier Intelligenzsubtests und ZVT). Der Faktor «Geschlecht» sollte jedoch nur als „Blockbildung zur Erhöhung der statistischen Teststärke bei der Überprüfung des Kaugummifaktors“ (Rost u. a., 2010, S. 43) dienen. Hinsichtlich des Gesamtwertes «allgemeine Intelligenz» diente eine „analog(e) zweigestufte[n] (univariate(49)) ANOVA“ (Rost u. a., 2010, S. 43) zur Analyse. Für die Indikatoren der Aufmerksamkeit bzw. Konzentration im zweiten Experiment verwendeten Rost u. a. (2010) die folgenden „(z-standardisierten(50)) Kennwerte“ aus dem d2: «GZ» (Tempo), «F%» (Fehlerprozent) und «KL» (Konzentrationsleistung). Zudem wurden die Subtests zur Erfassung der Gedächtnisleistung in drei Komponenten faktoranalytisch zusammengefasst (Komponente I (Zahlenpaare), Komponente II (Wörterfeld), Komponente III (Zeichenlernen), wobei die Basis für die Auswertung jeder Gedächtnisvariablen Faktorwerte waren. Diese wurden analog zu Experiment 1 multivariat sowie «allgemeines Gedächtnis» univariat ausgewertet (vgl. Rost u. a., 2010, S. 45).

Ein Signifikanzniveau als Grundlage der Bewertung der Ergebnisse wurde in den Studien von Tucha u. a. (α = 0,05, α = 0,01; 2004, S. 328) sowie Rost u. a. (2010, S. 42 - 45) explizit angegeben. Wobei bei Rost u. a. (2010, S. 43) das Signifikanzniveau auf α = 0,05 explizit festgesetzt und eine zweiseitige Testung begründet wird. Miles & Johnson (2007) hingegen geben kein Signifikanzniveau an (eigene Annahme: gängiges Niveau: α = 0,05, α = 0,01). Des Weiteren liegen nur in den Studien von Tucha u. a. (2004) sowie Rost u. a. (2010) Angaben über die p-Werte (51) (vgl. Tucha u. a., 2004, S. 328; Rost u. a., 2010, S. 43 - 45 ) und nur bei Rost u. a. (2010, S. 43 - 46) über die Effektstärken vor.

2.4 Die Ergebnisse

Damit die Experimente einen Beitrag zu dem heutigen Wissensstand in der Wissenschaft leisten können, müssen die Ergebnisse sorgfältig dokumentiert werden. Erst dadurch lassen sich sinngemäße Schlussfolgerungen aus den Befunden ziehen. Die Ergebnisse aller drei Studien sollen nun im Einzelnen dargelegt und deren entsprechende statistische Signifikanz aufgezeigt werden. Die Befunde von Tucha u. a. (vgl. Tabelle 1, 2004, S. 328 - 329) können wie folgt zusammengefasst werden. Die Unterschiede unter Kaubedingung vs. keine Kaubedingung waren bei „immediate recall“ und „delayed recall“, „divided attention, selective attention, visual scanning or vigilance“ sowie in der Pulsrate nicht signifikant. Es lagen sogar längere Reaktionszeiten in der „tonic alertness task“ und vermehrte „commission errors“ in „flexibility task“ unter den drei Kaubedingungen, im Vergleich zu keiner Kaubewegung („quiet condition“), vor. Dagegen wurden beim Vergleich der experimentellen Bedingungen signifikante Unterschiede in „sustained attention, flexibility and in both tonic and phasic alertness“ festgestellt. Im zweiten Experiment gab es zudem in der Reaktionszeit der „phasic alertness task“ signifikante Unterschiede zwischen „quiet condition and both the neutral and mimicking conditions“ und kam es zu einem vergleichsweise kleineren Anstieg der Reaktionszeit in der „spearmint condition“ gegenüber der „quiet condition“ (vgl. Tucha u. a., 2004, S. 329). Auch die Ergebnisse von Miles & Johnson (vgl. Figur 1, 2a und 2b; 2007, S. 156 - 157) zeigten keine Signifikanz für die „immediate recall“ und „delayed recall“ (insignifikante Effekte auf Lern- und Abrufphase (sowie deren Interaktion). Insgesamt wurde „kein Effekt der Kaubedingung“ (eigene Übersetzung; Miles & Johnson, 2007, S. 156) nachgewiesen. In ähnlicher Weise waren die erhobenen Daten der Ankerstudie von Rost u. a. (2010, S. 45 - 46) für die Faktoren «allgemeines Gedächtnis», «allgemeine Intelligenz» und die Interaktion «Kaugummibedingung x Geschlecht» für beide Experimente sowie «Kaubedingung» für das erste Experiment nicht statistisch signifikant. Die als statistisch ausgewiesenen Gruppenunterschiede von «Kaubedingung» im zweiten Experiment zeigten nach weiteren univariaten Varianzanalysen, dass nur „ zugunsten der Nichtkauer “ ein statistisch bedeutsamer signifikanter Effekt, der „in der Konzentrationsleistung «KL», im Tempo-Wert «GZ»“ sowie im Zeichenlernen «ZL» (Rost u. a., 2010, S. 46) vorlag. Der Faktor «Geschlecht» erwies sich als signifikant bei der Gedächtnisleistung und bei der Intelligenz (dies interessiert jedoch laut Rost u. a. (2010, S. 44 - 46) hier nicht; vgl. Tabelle 1 und 2; Rost, 2010, S. 44 - 45).

2.5 Diskussion und Vorschläge

Die Autoren Tucha u. a. (2004, S. 329) stehen im Gegensatz zu den Ergebnisse von Wilkinson u. a. (2002, S. 235 - 236), die einen positiven Einfluss von Kaugummikauen auf die Gedächtnisleistung propagieren und auf die Aufmerksamkeit verneinen, da aus den Daten von Tucha u. a. (2004, S. 329) nur eine Verbesserung der nachhaltigen Aufmerksamkeit während des Kauens eines Pfefferminzkaugummis hervorgeht. Um diese unterschiedlichen Ergebnisse im Vergleich zu Wilkinson u. a. (2002, S. 235 - 236) zu erklären, werden von den Autoren folgende möglichen Ursachen aufgezählt. In der Studie von Tucha u. a. (2004, S. 329) wurden wiederholende Messungen in einem „within-subjects“ Design angewandt und nicht in einem „between-subjects“ Design, wie es bei Wilkinson u. a. (2002, S. 235) der Fall war. Des Weiteren erfolgte kein Vergleich der vorexperimentellen mit der experimentellen Bedingung bei Wilkinson u. a. (2002, S. 235 - 236). Aufgrund dieser Ergebnisse mahnen die Autoren der Studie aus dem Jahre 2004 zur Vorsicht bezüglich der Wirkungshypothese von Kaugummi auf die kognitive Leistungsfähigkeit und weisen zudem auf die begrenzte externe Validität ihrer Studie (s. Laborexperiment) und der von Wilkinson u. a. (2002) hin. Aufgrund dessen empfehlen Tucha u. a. (2004, S. 329) auch, Untersuchungen in einem natürlichen Umfeld durchzuführen (vgl. Tucha u. a., 2004, S. 329).

Zusammenfassend kommen Miles & Johnson (2007, S. 158) zum Ergebnis, dass Kaugummikauen zu keiner Verbesserung von „immediate word learning“ führt und nicht als kontextabhängiger Gedächtniseffekt wirken kann, „even when all other extraneous cues are eliminated“ (Experiment 2). Bzgl. des ersten Experiments gehen Miles & Johnson (2007, S. 156) davon aus, dass aufgrund eines Gesamtanteils von 67 % an korrekten Wortwiedergaben „a ceiling effect“ (dt.: Deckeneffekt) unwahrscheinlich ist. Weitere Kritikpunkte am ersten Experiment hinsichtlich nicht ausreichender Kontrollierung von weiteren Störfaktoren (z. B. Duft im Labor etc.), die „may act to overshadow the contextual cues due to chewing gum“, wurden gemäß Miles & Johnson (2007, S. 156) im zweiten Experiment berücksichtigt. Gegen das Vorliegen eines „carry over effects“(52) sprach die geringe durchschnittliche Rate von „instrusion errors“(53) sowie das „within-subjects counterbalanced design“, aufgrund dessen jeglicher Übertragungseffekt gleichmäßig über die Probanden verteilt wurde (Miles & Johnson, 2007, S. 157) . Des Weiteren wurde möglichen kontextabhängigen Effekten aufgrund des andauernden Minzgeschmacks zwischen den einzelnen Phasen laut den Autoren durch Trinken von Wasser entgegengewirkt (vgl. Miles & Johnson, 2007, S. 158). Miles & Johnson (2007, S. 158) beanspruchen, eine „more methodologically complete demonstration of the absence of gum induced context-dependent memory effects” geleistet zu haben, da in der Lern- und Abrufphase, im Gegensatz zu Baker u. a. (2004, S. 208) , jeweils ein frischer Kaugummi verwendet wurde, um Konsistenz- bzw. Geschmacksveränderungen des Kaugummis zu vermeiden. Trotz der gleichen Befunde für „immediate recall“ (keine Bestätigung der Effekte von Kaugummikauen) geht aus der Studie von Miles & Johnson (2007, S. 158) hervor, dass ebenfalls bei „delayed recall“ keine kontextabhängigen Effekte durch Kaugummikauen verursacht werden. Ein möglicher Grund für diese Diskrepanzen könnte gem. Miles & Johnson (2007, S. 158) in den unterschiedlichen Designs liegen (vgl. Baker u. a., 2004, S. 208: „between-subjects“ Design, anstatt „within-subjects“ Design).

Die Studie von Rost u. a. (2010, S. 46 - 47) verneint ebenfalls die positive Wirkung von Kaugummikauen auf die kognitive Leistungsfähigkeit (betont durch den relativ kleinen Varianzanteil, welcher mit der Kaugummibedingung erklärt werden kann) und geht verstärkt auf methodologische Problematiken einzelner empirischer Studien ein. Hinsichtlich ihrer eigenen Studie wurden laut Rost u. a. (2010, S. 44) mögliche Störfaktoren im ersten Experiment durch eine ausreichend große „Stichprobe […] kontrolliert“. Im Gegensatz zu Wilkinson u. a. (2002), Baker u. a. (2004) sowie Allen u. a. (2004) verneinen Rost u. a. (2010, S. 46) die förderlichen Effekte von Kaugummikauen auf die Konzentrations- bzw. Gedächtnisleistung. Selbstkritisch wird erwähnt, dass es anhand dieser Studie nicht möglich ist, Aussagen über „ subjektive Auswirkungen“ des Kaugummikauens zu treffen (vgl. Rost u. a., 2010, S. 47), da im Rahmen dieses Experiments keine Empfindungen der Probanden (z. B. Entspannungsgefühl) hinsichtlich des Kaugummikauens erfragt wurden. Auch wird eingeräumt, dass eine mögliche Interaktion «Alter x (Kaugummi-)Effekt» nicht auszuschließen ist, da in der vorliegenden Studie die Stichprobe nur aus jüngeren Schülern bestand. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Verwendung ausschließlich zuckerfreier Kaugummis. Rost u. a. (2010, S. 47) empfehlen daher eine Replikation an älteren Probanden unter Berücksichtigung des Faktors Glukosegehalt. Erneut gehen Rost u. a. (2010, S. 47) auf die Bedeutsamkeit von Replikationsstudien ein und auf die Unmöglichkeit von Leistungssteigerung „«en passant» […] durch Musikhören“ oder „durch Kaugummikauen“.

[...]


[1] f. s. Fachbegriffsverzeichnis und Erläuterungen

[2] Erläuterung s. 2.2 Der theoretische Kontext der Studien

Ende der Leseprobe aus 63 Seiten

Details

Titel
Fördert Kaugummikauen die kognitive Leistungsfähigkeit - Mythos oder Wahrheit?
Untertitel
Darstellung und Beurteilung aktueller Studien
Hochschule
Universität Mannheim
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
63
Katalognummer
V177439
ISBN (eBook)
9783640992287
ISBN (Buch)
9783640992331
Dateigröße
864 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kaugummikauen, recall, kontextabhängige Gedächtniseffekte, Effektstärke, within-subjects, between-subjects, Hilfsmittel beim Lernen, Wirkungshypothese
Arbeit zitieren
Meike Nakovics (Autor:in), 2011, Fördert Kaugummikauen die kognitive Leistungsfähigkeit - Mythos oder Wahrheit? , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/177439

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