Assessment Center als modernes Personalauswahlverfahren. Chancen und Risiken


Diplomarbeit, 2003

62 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Das Assessment Center: Allgemeines
2.1. Begriffsdefinition und Entstehungsgeschichte
2.2. Zielsetzung und Einsatzmöglichkeiten
2.3. Ablauf und Gestaltung, Verfahren
2.3.1. Ablauf und Gestaltung
2.3.2. Verfahren

3. Assessment Center: Anforderungsanalyse und Anforderungsprofil, Beobachtungs- und Beurteilungsaspekte
3.1. Anforderungsanalyse und Anforderungsprofil
3.2. Beobachtungs- und Beurteilungsaspekte

4. Assessment Center: Chancen und Risiken, Alternativen
4.1. Vorteile und Chancen
4.2. Probleme und Risiken
4.2.1. Beobachtungs- und Beurteilungsfehler
4.2.2. „Gewinner“- und „Verlierer“-Problematik
4.2.3. Unkompetente Handhabung
4.2.4. Unrealistische Übungen
4.2.5. Tabuisierte Verfahren
4.3. Alternativen und Weiterentwicklungen
4.3.1. Lernpotenzial-AC
4.3.2. Dynamisierung
4.3.3. Einbindung psychologischer Tests
4.3.4. Multimedia im AC
4.3.5. Single-Assessment-Center

5. Schlusswort

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Wer nicht lächeln kann, soll keinen Laden aufmachen.“

So lautet ein altes chinesisches Sprichwort. Jeder Einzelne trägt mit seiner Kompetenz bzw. Nichtkompetenz zum Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens bei, für das er arbeitet. Das ein nettes Lächeln dafür in den meisten Fällen nicht ausreicht, wissen wohl auch die Chinesen. Jedes Unternehmen und jede Organisation wünscht sich Fach- und Führungskräfte, die sowohl fachlich und unternehmerisch als auch sozial kompetent sind. Ihre Rekrutierung vom externen oder internen Arbeitsmarkt vergleicht Scholz mit einer „größeren Investitionsentscheidung“[1], stellen doch Fehlbesetzungen oftmals ein gewaltiges finanzielles Desaster dar.

Deshalb wird heutzutage in zunehmendem Maße nach ausgeprägten Führungspersönlichkeiten gesucht, „die durch viele mitgebrachte und entwickelbare Verhaltensweisen in möglichst vielen Führungsrollen angemessen handeln können.“ Das bedeutet, es werden Menschen gebraucht, die „Erkennen und Tun, Wissen und Praxis, Training und Anwendung, Überblick und Spezialwissen, aber auch Wirtschaft und Kultur, lebens-, berufs- und unternehmensbezogen miteinander verbinden“[2] können.

Um diesen hohen Anforderungen gerecht zu werden, müssen sich die Personalentscheider überlegen, welche Art und Weise der Rekrutierung von Arbeitskräften die für sie geeignetste und effektivste ist.

Immer mehr Unternehmen und Organisationen bedienen sich seit geraumer Zeit einem aufwendigen eignungsdiagnostischen Verfahren, dem Assessment Center (AC). Die Methode ist dazu geeignet, sowohl für die Personalauswahl als auch für die Personalentwicklung von Fach- und Führungskräften eingesetzt zu werden.

In Anbetracht des hohen Aufwands, welcher mit der Methode verbunden ist, kommt es allerdings vorwiegend bei internen Besetzungsentscheidungen im Führungskräftebereich zum Einsatz, wurde und wird aber auch bei Verkäufern, Auszubildenden, Beamten, Polizisten und anderen Berufsgruppen eingesetzt.

Das Assessment Center hat in der täglichen Praxis an enormer Bedeutung hinzugewonnen sowohl bei denjenigen, die sich auf dem Arbeitsmarkt bewerben als auch bei den Unternehmen und Organisationen, da der langfristige volkswirtschaftliche Erfolg von einer Optimierung des Faktors ‚menschliche Arbeitsleistung’ abhängig ist. Doch kann es den Anforderungen auch genügen, die Personalentscheider und Anwender an diese Methode stellen? Ist es ein faires und gerechtes Verfahren? Welche Fehlerquellen bringt es mit sich und ist sein Einsatz überhaupt vorteilhaft? Von diesen Gedanken getrieben war und ist die Frage nach seiner Legitimation und der Bestimmung und Optimierung der prognostischen Validität, der Vorhersagezuverlässigkeit, von Assessment Centern Inhalt zahlloser Untersuchungen.[3]

In der vorliegenden Arbeit soll es vorrangig jedoch nicht um eine detaillierte Untersuchung der inhaltlichen und prognostischen Validität der Assessment Center-Methode gehen. Vielmehr sollen das grundlegende Konzept, die Besonderheiten des Verfahrens, Chancen und Probleme, Vor- und Nachteile für Anwender und Teilnehmer untersucht und dargestellt werden.

Beginnen möchte ich in Kapitel 2 mit der Charakteristik des Assessment Centers im Allgemeinen. Nach einer kurzen Begriffsklärung mit einem geschichtlichen Abriss der Entstehung des Assessment Centers wird der konkrete Ablauf und die einzelnen Übungen vorgestellt.

In Kapitel 3 folgt eine Beschreibung der Ermittlung der Anforderungskriterien und eine Analyse der Beobachtungs- und Beurteilungsaspekte.

Das Assessment Center ist trotz seiner großen Beliebtheit nicht ohne Kritik geblieben. Daher bildet das vierte Kapitel den ausführlichsten Teil meiner Arbeit. In diesem Kapitel wird in kritischer Auseinandersetzung das Für und Wider dieses Verfahrens gegeneinander abgewogen. Die Ansichten namhafter AC-Wissenschaftler werden erläutert und zur Diskussion gestellt. Neben den offensichtlichen Vorteilen dieses Verfahrens soll es vorrangig um die Nachteile und Probleme gehen, die bei der Entwicklung und Durchführung eines Assessment Centers auftreten können und aufgetreten sind. Welche Chancen eröffnen sich für Bewerber und Arbeitgeber durch diese Methode? Welche Risiken für beide Seiten sind damit verbunden?

Den innovativsten Teil dieser Arbeit bildet das Kapitel ‚Alternativen und Weiterentwicklungen’. Die Überschrift ist Programm: Neue Vorstellungen und Verbesserungen der existierenden AC-Konzepte werden dargestellt.

Der leichteren Lesbarkeit wegen habe ich auf die Ergänzung bestimmter Begriffe mit der weiblichen Form –in/-innen verzichtet; diese Begriffe beziehen sich generell auf Männer und Frauen.

2. Das Assessment Center: Allgemeines

2.1. Begriffsdefinition und Entstehungsgeschichte

Der Ausgangsgedanke des Assessment Centers ist trivial[4]. Um das Leistungsvermögen eines Bewerbers einschätzen zu können, wird er mehreren Situationen ausgesetzt, in denen er beweisen muss, ob er dieses Leistungsvermögen besitzt oder nicht.

Assessment-Center-Verfahren zählen zu den multiplen Testverfahren der Personalauswahl und der Personalentwicklung und bestehen aus mehreren eignungsdiagnostischen Instrumenten oder leistungsrelevanten Aufgaben.

Das heißt, verschiedene Verhaltens- und Arbeitsproben werden innerhalb eines festgelegten Zeitraums kombiniert und ausgewertet, um eine Prognose darüber treffen zu können, ob ein Bewerber für eine bestimmte Stelle geeignet ist oder nicht. Das Verfahren wird dabei gleichermaßen bei der Personalauswahl zur Rekrutierung neuer Mitarbeiter als auch in der Personalentwicklung als Förderungsinstrument bei bewährten Mitarbeitern eingesetzt.

So vielfältig wie die einzelnen Testmodule sind auch die verbreiteten Bezeichnungen für dieses Verfahren. Rastetter und Horn nennen hierfür Beispiele wie Auswahlseminar, Qualifizierungskolleg, Beurteilungsseminar, Analyse-Entwicklungscenter[5], Personalentwicklungsseminar, Selektionsseminar[6] u.v.m.. Wörtlich übersetzt bedeutet „Assessment Center“ „Einschätzungs- / Beurteilungs-Zentrum“ und kommt aus dem englisch-amerikanischen Sprachraum. Eine einheitliche Eindeutschung des Namens fehlt bislang, genauso wie eine eindeutige Definition zu Inhalt und Ablauf.

Nach Siewert ist ein Assessment Center „ein über zwei oder mehrere Tage andauerndes Seminar, dass der Personalauswahl oder der Personalentwicklung dient“[7].

Die typischen Merkmale eines Assessment Centers sind:

- mehrere Kandidaten, etwa 6 bis 12
- mehrere geschulte Beobachter im Verhältnis 1:2 zur Zahl der Kandidaten
- eine größere Anzahl von Beobachtungssituationen, in der Regel 8 bis 12, unter Berücksichtigung mehrerer Beurteilungskriterien.

Nach Hesse/Schrader und der Definition von Jeserich ist ein Assessment Center ein „systematisches Verfahren zur qualifizierten Feststellung von Verhaltensleistungen bzw. Verhaltensdefiziten, das von mehreren Beobachtern gleichzeitig für mehrere Teilnehmer in bezug auf vorher definierte Anforderungen angewandt wurde“. Die „qualifizierte Feststellung“ definiert Jeserich dabei als den „Einsatz verschiedenartiger eignungsdiagnostischer Verfahren, die Beurtei-lung derselben Anforderungsmerkmale in verschiedenen Feststellungsverfahren und die realitätsnahe Ausrichtung der eignungsdiagnostischen Instrumente.“[8]

In der Regel sind die Beobachtungsübungen auf zukünftige realistische Arbeitssituationen ausgerichtet und sollen Verhaltensleistungen und -defizite des Bewerbers in den jeweiligen Situationen sichtbar machen, seine Eignung für die Position herausstellen. Um es noch einmal zu verdeutlichen: Ziel des Assessment Centers ist es vorrangig nicht, die Fachkompetenz eines Bewerbers zu beurteilen, sondern viel mehr Führungskompetenz und Schlüsselqualifikationen sind zu ermitteln.

Im Einzelnen: Wer die Eignung eines Bewerbers für eine Stelle herausfinden will, muss zielbezogene Anforderungskriterien festlegen. Welche Leistungen, welches Verhalten und welche Ergebnisse werden erwartet? Welche Eigenschaften sollte der Bewerber mitbringen, um das angestrebte Ergebnis, die gewünschte Leistung, zu erzielen?

Schuler & Funke treffen den Punkt recht gut. Sie verstehen unter Eignung allgemein „die Übereinstimmung von Anforderungen des Arbeitsplatzes und der weiteren Arbeitsumgebung mit den Leistungsvoraussetzungen der Person.“[9] Die Eigenschaften einer Person in Bezug auf Persönlichkeit, Leistungsmotivation und Kompetenz sollten demnach idealerweise mit den Tätigkeitsanforderungen des zukünftigen Arbeitsplatzes übereinstimmen. Bei Persönlichkeit geht es vorrangig um Merkmale wie Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit usw., mit Leistungsmotivation ist regelmäßig das Engagement und die Identifizierung mit der künftigen Position gemeint. Die Kompetenz zielt auf fachliche Erfahrungen, Kenntnisse und Eigenschaften ab.

Die Eignung einer Person festzustellen, umfasst die Aufgabe, Regeln und Instrumente zu entwickeln, die dazu geeignet sind, Aussagen über die zu untersuchenden relevanten Persönlichkeits- und Tätigkeitsmerkmale zu treffen. Die gewonnenen Erkenntnisse „können als Grundlage für nachfolgende Entscheidungen dienen“, so Jäger[10]. Das ist erklärtes Ziel der Eignungsdiagnostik. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden verschiedene Instrumente entwickelt, z.B. Arbeitsproben, Verhaltensproben, Wissenstests.

Das Assessment Center bedient sich gleich mehrerer solcher Instrumente. Der zu beurteilende Mensch wird durch facettenreiche Tests „quasi als Apparat betrachtet, in dem Leistungsfaktoren automatisch wirksam werden“[11], so Rastetter. Ausführliche Erläuterungen zu den Instrumenten und Testverfahren finden sich in Kapitel 2.3.2..

Das ideale und gewünschte Resultat für den künftigen Arbeitgeber liegt meines Erachtens darin, das dieser Antworten auf die Frage erhält, ob ein Bewerber, der sich für einen bestimmten Arbeitsplatz bewirbt, auf diesem Arbeitsplatz die Unternehmensziele möglichst optimal umsetzen wird oder nicht. Der Arbeitgeber möchte eine möglichst präzise Vorhersage darüber, wie jemand in bestimmten Situationen reagiert.

Da Assessment Center erfahrungsgemäß eine relativ kostspielige und zeitaufwändige Angelegenheit sind, finden Sie vor allem dann statt, wenn Fehleinstellungen, die wiederum hohe Kosten verursachen würden, vermieden werden sollen. Dies spielt vor allem sowohl bei der externen als auch bei der internen Auswahl von Führungskräften eine große Rolle. Es soll eine Bestenauslese auf höchstem Niveau stattfinden. So die Idealvorstellung vieler Unternehmen. Wie aussagekräftig und zuverlässig solche Ausleseverfahren und deren Prognosequalität sind, ist unter den Fachleuten umstritten. Holzwarth bezieht zu dieser Problematik wie folgt Stellung: „Aufgrund von Beobachtungs- und Beurteilungsproblemen ist es kaum möglich, einen direkten Zusammenhang zwischen Aufgabenanforderungen und individuellem Leistungsverhalten herzustellen. (...) So ist es etwa bislang nicht gelungen, eine eindeutige Beziehung zwischen bestimmten Verhaltensweisen bzw. Persönlichkeitseigenschaften und dem Berufs- bzw. Führungserfolg festzustellen“.[12] Auch andere Wissenschaftler sehen Probleme mit der Beurteilung. Auf diese Problematik wird in Kapitel 4 näher eingegangen.

In der Literatur gibt es Abweichungen, was die Geburtsstunde des Assessment-Center-Verfahrens angeht. Hesse/Schrader gehen davon aus, dass die Wurzeln in den 30er Jahren liegen und das Verfahren auf die Deutsche Wehrmachtspsychologie zurückgeht.[13] Diese Aussage deckt sich mit den Angaben von Schuler/Stehle und Kompa, die die Vorläufer des Assessment Centers der Weimarer Republik zuordnen.[14] Beitz/Loch vermuten, dass derartige Auswahlverfahren bereits im 17. Jahrhundert eingesetzt worden seien und zu Beginn des vorigen Jahrhunderts wieder entdeckt und perfektioniert wurden.[15] Einig sind sich die Autoren allerdings darüber, dass das Verfahren ursprünglich eingesetzt wurde, um Offiziersnachwuchs zu rekrutieren. Die Auswahl von Offizieren sollte sich nicht mehr (nur) nach sozialem Hintergrund, sondern vor allem nach der Befähigung richten. Aus diesem Grund wurden Prüfverfahren entwickelt, die eine ganzheitliche Messung von als relevant angesehenen Merkmalen zuließen.

Ein Name, der eng mit der Entwicklung solcher Verfahren für die Offiziersauslese verbunden ist, ist der von Prof. Rieffert. 1920 gründete er im Auftrag des Reichswehrministeriums an der Universität Berlin ein psychologisches Forschungszentrum. Von diesem Zeitpunkt an bis 1931 war er zuständig für die Heerespsychotechnik. Rieffert entwickelte und verbesserte die Auswahlmethoden für Offiziersanwärter. Sein Ziel war, „die praktische Menschenkenntnis so zu objektivieren, dass Aussagen über Eignung und Bewährung gemacht werden konnten.“[16] Dazu zählten unter anderem eine Lebenslaufanalyse, eine Ausdrucksanalyse, Geistesanalyse, eine Handlungsanalyse und eine Führungsprobe.

Während der Nazi-Herrschaft wurde diese Auswahlpraxis indessen nicht angewandt. Offiziere sollten nicht nach objektiven psychologischen Anhaltspunkten beurteilt werden, sondern nach ihrer Rasse und politischen Gesinnung. Ab 1942 wurde deshalb das von Rieffert entwickelte Verfahren ausschließlich bei der Marine eingesetzt und mit Ende des zweiten Weltkrieges wurde dessen Entwicklung in Deutschland zunächst nicht weiter verfolgt.

Vorangetrieben wurde die Entwicklung in den 40er Jahren von Murray, einem Psychologen der Washingtoner Universität. Er war es auch, der ‚dem Kind’ erstmals den Namen „Assessment Center“ gab. Eingesetzt wurde es zu dieser Zeit von den USA, um geeignete Bewerber für den Geheimdienst auszuwählen.

Das weiterentwickelte Verfahren wurde in den 50er und 60er Jahren in den USA regelmäßig bei der Personalauswahl großer Wirtschaftsunternehmen angewandt. Auch in Deutschland wurde seit 1957 zunächst im Bereich der Bundeswehr-verwaltung wieder auf die Erfahrungen der Auswahlverfahren während der 30er Jahre zurückgegriffen und nach den Vorgaben früherer Assessment Center ein Auswahlverfahren für Offiziersanwärter beim Personalstammamt in Köln entwickelt. 1969 stieg die deutsche Wirtschaft erstmals in das Assessment Center ein, als Vorreiter zu nennen ist hier IBM Deutschland.

1977 bildete sich in Deutschland der „Arbeitskreis Assessment-Center e.V.“, dem eine Handvoll Großunternehmen angehörten, die „einen intensiven Gedanken- und Erfahrungsaustausch begannen“[17] und dieses Verfahren der Personalauswahl und -entwicklung in Deutschland salonfähig machten. 1979 fand der erste deutsche Assessment-Center-Kongreß statt, der in der Folgezeit circa alle vier Jahre stattfand. 1983 ergab eine eigene Umfrage unter 120 großen und mittleren Unternehmen, dass 7 große und 23 kleine Unternehmen diese Methode bei Führungskräften einsetzten.[18] 1995 waren es weit über 100 Anwender, immer mehr Unternehmen und Institutionen greifen mittlerweile als ihr Standardauswahlverfahren darauf zurück. Schließlich geht es darum, für das eigene Unternehmen die besten und patentesten Köpfe zu gewinnen.

2.1. Zielsetzung und Einsatzmöglichkeiten

Die klassischen Methoden der Personalauswahl wie die Auswertung von Bewerbungsunterlagen, biographische Fragebögen oder einfache Bewerbungsgespräche können ausschließlich subjektive Aussagen über die Vergangenheit liefern. Assessment Center hingegen sollen nach herrschender Meinung eine objektivere und zuverlässigere Bewerbereinschätzung zulassen. Die Übungen sollen Rückschlüsse auf zukünftiges Verhalten ermöglichen. Merkmale wie Dialogbereitschaft und Entscheidungsfähigkeit können direkt bewertet werden.

Der erste Bestandteil des Begriffes Assessment Center drückt bereits die Zielsetzung dieses Verfahrens aus. Es geht, wie bereits gesagt, um Beurteilung, Einschätzung und Prüfung. Unabhängig von der wörtlichen Übersetzung des Begriffes kann im weitesten Sinne auch von Laufbahnplanung, Potenzialsuche, Bewerberauswahl, Erfolgskontrolle, Arbeitsplatzgestaltung, Personalentwicklung und ähnlichen Zielsetzungen gesprochen werden.18

Die Fülle der denkbaren Einsatzmöglichkeiten eines Assessment Centers ist somit beeindruckend. Die Anwender versprechen sich davon in den meisten Fällen eine größere Vorhersagegenauigkeit der beruflichen Bewährung eines (zukünftigen) Mitarbeiters. Ferner geht es nach Ansicht Schuler/Stehles auch um die Verschaffung eines „Überblicks über den Nachwuchs, über den Leistungsstand und Defizite im Unternehmen (und zwar nicht nur im Hinblick auf Personen, sondern auch auf Organisationseinheiten, Programme, Führungsstile etc.), in der Gelegenheit zu verhaltensbezogenen Formulierungen von Anforderungen und Leistungsniveaus, in der Betonung der Bedeutung der Personalplanung und Personalentwicklung, der Möglichkeit, Aspekte der ‚Unternehmenskultur’ zu diskutieren und zu inszenieren, die Teilnehmer mit den Anforderungen – auch sozialpsychologischer Art – einer Führungstätigkeit vertraut zu machen, ihre Selbsteinschätzung zu verbessern und ihnen die Gelegenheit zum sozialen Vergleich zu bieten.“[19]

Kompa bezweifelt jedoch, das die „zur Schau gelegte Vielfalt“ und der deklarierte hohe „Gebrauchswert des Instruments“ möglicherweise täuschen könnten.[20] Thornton & Byham schätzen nämlich den Einsatz des AC zur Auswahl und Förderung von Führungskräften auf ca. 95%.[21] Kompa selbst fand nach eigenen Angaben „nur ganz wenige Anwendungsfälle (...), in dem das AC ausschließlich für Personalentwicklungszwecke eingesetzt wird. Wunsch und Wirklichkeit klaffen offenbar weit auseinander.“[22]

Das Assessment Center als Auswahlinstrument soll der Ermittlung überfachlicher Eigenschaften potenzieller Nachwuchskräfte dienen. Dabei bilden die genau festgelegten Erwartungen des künftigen Arbeitgebers das Anforderungsprofil, aus dem sich die Beurteilungskriterien ableiten.

Für Kompa sieht der typische Anwendungsfall eines Assessment Centers folgendermaßen aus: „Das AC dient zur gezielten Erkennung von geeignetem internen Führungsnachwuchs. Für die Auserwählten werden dabei noch besondere Fördermaßnahmen bestimmt, die sie zur Übernahme von Führungsverantwortung qualifizieren sollen.“

Den AC-Versagern hingegen soll das AC ein „individuelles Schwächenprofil liefern, an dem sie erkennen können, auf welchem Gebiet sie an sich arbeiten müssen, um sich Chancen zu einem Aufstieg nicht endgültig zu verbauen.“22 Kompa scheint es allerdings fraglich und zweifelhaft, ob diesen Personen jemals eine zweite Gelegenheit zur Teilnahme an einem AC eingeräumt werde.

Volkmann folgende Ziele der Assessment Center-Methode herausgestellt:

- „Das Assessment Center liefert differenzierte, anforderungsorientierte Aussagen über das Kommunikations- und Führungsverhalten in prognostisch relevanten Situationen.
- Aufgrund der Vielfalt der Beobachtung in unterschiedlich strukturierten Anforderungssituationen ergibt das Assessment Center eine fundierte Informationsbasis für Eignungsaussagen, insbesondere im Hinblick auf Führung.
- In den unterschiedlichen Anforderungssituationen wird deutlich, ob der Kandidat über das entsprechende Verhaltensspektrum verfügt bzw. welcher individuelle Entwicklungsbedarf noch gedeckt werden muß.“[23]

2.3. Ablauf und Gestaltung, Verfahren

2.3.1. Ablauf und Gestaltung

Zimmer/Brake vergleichen die Entwicklung und Gestaltung eines Assessment Centers mit dem Bau eines Hauses. Das Fundament bilden demzufolge die Anforderungen, die in der Zielposition erfüllt werden müssen. Die Hausmauern stellen die Simulationen und das Beobachtungs- und Bewertungssystem dar. Die Decke bildet das individuelle Kompetenz-Profil jedes einzelnen Teilnehmers. Das Dach stellen letztlich die Entwicklungsmaßnahmen und Konsequenzen aus dem Assessment Center dar, ohne die Zimmer/Brake zufolge das Haus „Assessment Center“ einer Ruine gleichen würde, die sehr schnell zum Abbruch führen würde.[24]

Abb. 1: Die Elemente des Assessment Centers

Quelle : Grafik entnommen aus Zimmer/Brake, 1993, S. 100

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im Folgenden wird der wesentliche Ablauf und die Gestaltung eines Assessment Centers detailliert erläutert, so wie ihn Jeserich[25] beschreibt.

Der Durchführungsprozess eines Assessment Centers ist in mehrere Einzelschritte gegliedert. Als erster Schritt müssen Ziele und Zielgruppen festgelegt werden. Als Ziel wird in erster Linie die Besetzung offener Stellen zu nennen sein, häufig aber auch die Feststellung des individuellen Personalentwicklungsbedarfs. Darüber hinaus seltener die bereits weiter oben genannten Ziele. Als Zielgruppe dienen zumeist Führungsnachwuchskräfte.

In einem zweiten Schritt erfolgt die Beobachterauswahl. Als Beobachter und Mitentscheider werden in der Regel je zur Hälfte Führungskräfte des Unternehmens oder der Organisation ausgewählt sowie Personalmitarbeiter. Horn begründet diese Handhabung mit dem Versuch der Erreichung der größtmöglichen „Akzeptanz des potentiellen Führungsnachwuchses beim gegenwärtigen Management.“[26] Zum Zweiten bietet das Assessment Center den Beobachtern selbst auch die Möglichkeit, ihre eigene „Fähigkeit zur Wahrnehmung menschlicher Verhaltensweisen“[27] zu schärfen.

Die Möglichkeit zur Teilnahme als Beobachter wird daher bei Vorgesetzten und Personalmitarbeitern allgemein sehr geschätzt.

Anschließend wird mit den Beobachtern gemeinsam in einer Art Workshop an der Erstellung des Anforderungsprofils für die Zielgruppe gearbeitet. Das Anforderungsprofil basiert dabei zu einem großen Teil auf der Analyse der speziellen Verhaltensanforderungen der zu besetzenden Stelle. Verhaltensanforderungen werden in bestimmten Anforderungsdimensionen definiert und zusammengestellt und dienen als Maßstab für die späteren Leistungen der Kandidaten. Der genaue Ablauf bei der Erstellung eines Anforderungsprofils wird in Kapitel 3.1. beschrieben.

Ist das Anforderungsprofil klar, geht es in einem nächsten Schritt um die inhaltliche Komponente, das Auswählen und Zusammenstellen der konkreten Übungen und Aufgaben. Die Übungen des Assessment Centers sollten idealerweise so gestaltet werden, das der Berufsalltag der zukünftigen Stelle möglichst realistisch nachempfunden werden kann.

Typische Assessment Center-Übungen sind die Präsentation, die Postkorbübung, Gruppendiskussion, Stressinterview u.a. Bei der Ausarbeitung der Übungen werden die Anforderungsdimensionen mit einbezogen. Die Übungen sollen eine möglichst präzise Messmöglichkeit der gesetzten Anforderungen gewährleisten. In Kapitel 2.3.2. werden die meist verwendeten Übungen detailliert dargestellt.

Bevor es jedoch soweit ist, müssen die Beobachter des Assessment Centers über die Ziele und Rahmenbedingungen der Veranstaltung in Kenntnis gesetzt werden. Dazu findet im Vorfeld oder zu Anfang des Assessment Centers ein sogenanntes Beobachtertraining mit den ausgesuchten Beobachtern statt. Hier sollen die Beobachter durch Training gezielt Grundlagen des Beobachtens, Beschreibens und Bewertens erlernen und sich vorab mit den diversen AC-Übungen vertraut machen können. Wichtig ist, dass eine einheitliche Beobachtersprache benutzt wird, die für den reibungslosen Ablauf des Assessment Centers unbedingt notwendig ist, damit es nicht zu Missverständnissen und qualitativ unterschiedlichen Bewertungen kommen kann. Diese Vorbereitung kann einige Stunden bis einige Tage in Anspruch nehmen. Ein wichtiger Bestandteil des Beobachterseminars ist das Training zur Vermeidung von Beobachterfehlern und zur optimalen Ausnutzung der Bewertungsskalen. Trotz der intensiven Vorbereitung kann es gelegentlich oder häufiger zu Beurteilungsfehlern kommen. Die Gründe dafür sind vielfältig und ihre Vermeidung immer wieder Thema unter den Experten. Mehr dazu in Kapitel 4. Auf die detailliertere Beschreibung des Beobachtertrainings soll an dieser Stelle verzichtet werden.

Nach der Begrüßung der Kandidaten erhalten diese ausführliche Informationen zum Ablauf des Assessment Centers und zu den Bewertungskriterien.

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde beginnt die Konfrontation der Kandidaten mit den einzelnen Übungen. Sie werden dabei ununterbrochen von den Beobachtern beobachtet. Diese sollen eine möglichst objektive, vollständige und wertfreie Beschreibung der individuellen Verhaltensweisen der Kandidaten liefern.

Um Sympathie- oder Antipathieeffekte und den Aufbau von sozialen Beziehungen zwischen Beobachtern und Kandidaten zu minimieren, soll jeder Kandidat von jedem Beobachter möglichst einmal beobachtet werden, jedoch nicht zu häufig oder zu wenig von der selben Person. Garantieren soll dies ein Rotationssystem. Obermann und Jeserich empfehlen zudem den „Einsatz eines Moderatoren, der (einem Conferencier ähnlich) für ein angenehmes Klima und eine ethisch vertretbare Durchführung sorgen soll.“[28]

Während und unmittelbar nach den Übungen tragen die Beobachter ihre Erkenntnisse für sich allein auf Beobachtungsskalen der einzelnen Anforderungsdimensionen ein und werten diese aus. Währenddessen darf kein Gespräch oder Austausch der Beobachter über die Kandidaten untereinander stattfinden, um die objektive Urteilsbildung nicht zu verfälschen.

Erst nach Abschluss der letzten Übung findet eine Auswertungsrunde, die sogenannte Beobachterkonferenz, statt, bei der die einzelnen Befunde miteinander verglichen und auf ein gemeinsames wertendes Urteil harmonisiert und zusammengefügt werden. Es entsteht ein Stärken-/Schwächen-Profil jedes Kandidaten auf Grundlage des vorgegebenen Anforderungsprofils.

Jeserich gibt zu bedenken, dass dabei gewährleistet sein müsse, dass die Befunde selbst keinerlei wertenden Charakter haben dürfen und sich das Urteil eindeutig aus ihnen ableiten müsse. Die Bewertung würde anderenfalls zu einer reinen Spekulation, was negative Auswirkungen auf die Qualität des Gutachtens haben könne.[29]

Des Weiteren dürfte nach Horn nur das Verhalten beurteilt werden, das auch in den Übungen gezeigt werde. Ereignisse oder Gespräche während der Pausen dürften nicht mit in die Beobachtung und spätere Bewertung einbezogen werden.[30]

Anhand der gewonnenen Ergebnisse aus der Beobachterkonferenz über die Eignung der Kandidaten wird dann im Allgemeinen die Entscheidung über die Besetzung der Stelle mit dem geeignetsten Kandidaten getroffen.

Dies ergibt sich für Horn aus der Tatsache, das „sich die Assessoren aus dem Kreis der oberen Führungskräfte der Organisation rekrutieren“ und den Gutachten somit generell eine „hohe Verbindlichkeit und Akzeptanz zugeordnet“[31] wird.

In der Personalentwicklung kann über entsprechende Fördermaßnahmen anhand des erstellten Stärken-/ Schwächen-Profils der einzelnen Kandidaten beraten werden.

Als letzter Schritt bleibt die Rückmeldung der Beobachter an die Teilnehmer. Der persönlichen Rückmeldung der Beobachter an jeden einzelnen Kandidaten wird allgemein die Bedeutung einer wirkungsvollen Entwicklungsmaßnahme beigemessen. Dieses Feedback soll den Kandidaten die Wirkung ihres Verhaltens auf die Beobachter während der einzelnen AC-Übungen widerspiegeln. Dem Kandidaten werden dabei neben der Auswertung des AC-Ergebnisses in einem persönlichen Beratungsgespräch Entwicklungsempfehlungen gegeben. Hier erfahren viele Kandidaten zum ersten Mal, wie und unter welchen Gesichtspunkten und in welchen Situationen ihr soziales Verhalten überhaupt geprüft wurde.

In dieser Phase des Assessment Centers ist die eigentliche Entscheidung über eine mögliche Einstellung oder Beförderung allerdings längst gefallen und hat für den Bewerber in der Sache zumindest keine Bedeutung mehr.

Während für den externen Bewerber die Angelegenheit damit erledigt ist, ist der Imageverlust gerade bei weniger erfolgreichen internen AC-Teilnehmern enorm. Jedes Unternehmen ist an Leistung und Leistungssteigerung seiner Mitarbeiter interessiert. Wird ein interner AC-Teilnehmer durch ein AC-Gutachten zum Verlierer degradiert, kann dies nach Horns Ansicht in einer inneren oder für das Unternehmen günstigeren äußeren Kündigung enden.[32] Mehr zu dieser Problematik in Kapitel 4.2.2.

[...]


[1] Scholz, 1994, S. 1

[2] Sarges, 1996, S. 98

[3] vgl. Scholz, 1994, S. 1

[4] vgl. Zimmer 1987, Kitzmann 1990 sowie Obermann 1992, in: Zimmer/Brake, 1993, S. 97

[5] vgl. Rastetter, 1996, S. 230

[6] vgl. Horn, 1996, S. 56

[7] Siewert, 1998, S.12

[8] Jeserich, 1981, in: Kleinmann, 1997, S. 9

[9] Schuler & Funke, 1993, in: Breisig/Schulze, 1998, S. 24

[10] Jäger, 1988, in: Rastetter, 1996, S. 51

[11] Rastetter, 1996, S. 53

[12] Holzwarth 1995, in: Breisig/Schulze, 1998, S. 24/25

[13] vgl. Hesse/Schrader, 1999, S. 160

[14] vgl. Schuler/Stehle, 1992, S. 2 und Kompa, 1999, S. 26

[15] vgl. Beitz/Loch, 2001, S. 11

[16] Siewert, 1998, S. 145

[17] Beitz/Loch, 2001, S. 11

[18] vgl. Schuler/Stehle, 1992, S. 1ff.

[19] Schuler/Stehle, 1992, S. 4

[20] vgl. Kompa, 1999, S. 33f.

[21] vgl. Thornton & Byham, 1982, in: Kompa (Hrsg.), 1999, S. 34

[22] Kompa, 1999, S. 33f.

[23] Volkmann, „Assessment on the Job“, S. 438 f., in: Arbeitskreis Assessment Center (Hrsg.), Bd. 3, 1996

[24] vgl. Zimmer/Brake, 1993, S. 99f.

[25] vgl. Jeserich, 1981, in: Kleinmann (Hrsg.), 1997, S. 9ff.

[26] Horn, 1996, S. 64

[27] Zimmer/Brake, 1993, S. 106

[28] Obermann, 1992 und Jeserich, 1981, in: Horn, 1996, S. 69

[29] vgl. Jeserich, 1981, in: Horn, 1996, S. 69

[30] Horn, 1996, S. 69f.

[31] vgl. Horn, 1996, S. 69f.

[32] vgl. Horn, 1996, S. 72

Ende der Leseprobe aus 62 Seiten

Details

Titel
Assessment Center als modernes Personalauswahlverfahren. Chancen und Risiken
Hochschule
Hochschule Harz Hochschule für angewandte Wissenschaften  (Fachbereich Verwaltungswissenschaften)
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
62
Katalognummer
V17733
ISBN (eBook)
9783638222280
ISBN (Buch)
9783668104785
Dateigröße
557 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Assessment, Center, Personalauswahlverfahren, Chancen, Risiken
Arbeit zitieren
Nadine Mühlwald (Autor:in), 2003, Assessment Center als modernes Personalauswahlverfahren. Chancen und Risiken, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17733

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