Der Anfang von Vielem

Die Theorie von der Entwicklung einer Vertrauenskultur in Unternehmen nach Reinhard K. Sprenger und deren Bedeutung für freie Träger der Jugendhilfe nach SGB VIII


Seminararbeit, 2011

95 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Fragestellung
1.2 Inhaltliche Vorgehen
1.3 Vorbemerkungen

2. Zur Person: Reinhard K. Sprenger

3. Das Entscheidung für Vertrauen
3.1 Der individuelle Vertrauensbegriff
3.2 Varianten, Gestalten und Formen von Vertrauen
3.2.1 Urvertrauen
3.2.2 Gesellschaftliche Konvention
3.2.3 Kompetenz
3.2.4 Entscheidung
3.2.5 Kooperation
3.3 Vertrauen im Wandel
3.4 Grenzen des Vertrauens
3.4.1 Bewusstes Vertrauen
3.4.2 Vertrauen und Misstrauen
3.4.3 Vertrauen und Kontrolle
3.4.4 Blindes Vertrauen
3.4.5 Vertrauen im Mischungsverhältnis
3.4.6 Vertrauen und Gefühle
3.4.7 Das gute Vertrauen
3.5 Eine Definition

4. Vorteile durch Vertrauen
4.1 Die grundsätzliche Notwendigkeit
4.2 Flexibilität und Schnelligkeit
4.3 Bindung von Mitarbeitern und Kunden
4.4 Kreativität und Innovation
4.5 Wissenstransfer und Unternehmertum
4.6 Kostenersparnis
4.7 Eine erfolgreiche Führung

5. Vertrauen als Steuerungsinstrument
5.1 Schwache vertrauensbildende Maßnahmen
5.2 Der implizite Vertrag
5.3 Der Weg des Vertrauens
5.4 Wesentliche Faktoren des Vertrauensmechanismus
5.4.1 Die Verwundbarkeit
5.4.2 Die Wahrhaftigkeit
5.4.3 Die Misstrauensspirale
5.4.4 Die Wahlfreiheit
5.4.5 Die Macht
5.4.6 Der Wettbewerb
5.4.7 Die Kooperation

6. Basics für Vertrauen
6.1 Selbstvertrauen und Mut
6.2 Vertrauensbruch und zweite Chance
6.3 Vertrauen in das Vertrauen
6.4 Das Recht auf Vertrauen

7. Kritische Betrachtung der Theorie
7.1 Vielfaches Vertrauen
7.2 Das Vertrauensverhältnis zwischen Führung und Mitarbeiter
7.3 Tit for Tat
7.4 Kontrolle und Misstrauen
7.5 Die Kostenfrage
7.6 Freiräume und Delegation
7.7 Eigenschaften einer Führung
7.7.1 Fehltritte und Meinungsänderungen
7.7.2 Die Geradlinigkeit unmittelbarer Führungskräfte
7.7.3 Ungeschönt und ungefragt
7.8 Flache Hierarchien
7.9 Standards und Normierungen
7.10 Wissenschaftlichkeit

8. Die Bedeutung von Vertrauen bei einem freien Träger der Jugendhilfe
8.1 Management versus Profession
8.2 Der dringende Vertrauenswunsch
8.3 Hohe Werte
8.4 Verantwortung und Delegation

9. Vertrauen ist der Anfang von Vielem

Abbildungsverzeichnis

Anhang

Präsentation

Handout zur Präsentation

Literaturverzeichnis

Dank

1. Einleitung

1.1 Fragestellung

Vertrauen ist eine wichtige Komponente in unserem Alltag. Tagtäglich schenken wir Freunden, Bekannten, Kollegen, dem Partner oder uns selbst immer wieder in der einen oder anderen Situation unser Vertrauen. Zudem sind wir in der Lage, auch wildfremden Menschen immer wieder zu vertrauen. – So vertrauen wir beispielsweise darauf, dass die vielen unbekannten Menschen bei der Post unseren soeben eingeworfenen Brief weiterbefördern; dass das bei Ebay erworbene und vorbezahlte Buch verschickt wird; dass der LKW, den wir auf der Autobahn überholen nicht plötzlich ebenfalls zum Überholen ansetzt; dass die Spielzeuge unserer Kinder giftfrei sind; dass unsere Gehaltszahlungen nach erbrachter Arbeit auf dem Konto eingehen. – Überall vertrauen wir. Überall begegnen wir Vertrauen.

Doch dem noch nicht genug. Wir werden sogar zu Wiederholungstätern in Sachen Vertrauen. Wie ließe es sich sonst erklären, dass wir immer wieder Briefe zur Post bringen, obwohl wir vielleicht ein- oder zweimal die Erfahrung machen mussten, dass eine Sendung nicht beim Adressaten ankam? Wie kämen wir ohne erneutes Vertrauen dazu, einen weiteren Artikel im Internet zu ersteigern, wenn ein anderer trotz Bezahlung niemals geliefert wurde? Warum überholen wir weiterhin andere Fahrzeuge auf der Autobahn, obwohl wir bereits mehrmals beim Überholen geschnitten oder zu einer Vollbremsung gezwungen wurden? Wieso kaufen wir weiterhin Kinderspielzeug, obgleich wir bereits mehrere mit schädlichen Weichmachern entsorgen mussten? Weshalb vertrauen wir trotz gelegentlicher unregelmäßiger Zahlungen darauf, dass uns unser Arbeitgeber das Gehalt überweisen wird?

Immer wieder bringen wir Vertrauen auf. – Selbst dort, wo wir einmal enttäuscht wurden oder wir die Erfahrung machen mussten, dass jemand unser Vertrauen ausnutzte, neigen wir nicht selten dazu, erneut zu vertrauen statt zu misstrauen.

Im direkten Umgang mit anderen Menschen neigen wir oftmals dazu, uns mit unserem Vertrauen zunächst zurückzuhalten. Möglicherweise warten wir darauf, dass der andere den ersten Schritt tut oder sich irgendwie als vertrauenswürdig erweist. Gerne greifen wir auch auf die Zeit zurück und begründen unser mangelndes Vertrauen damit, dass ein solches wachsen muss, sich nicht von vornherein ergibt und man sich erst einmal kennenlernen sollte.

Trotz solcher oder ähnlicher Einschränkungen unserer Vertrauensbemühungen wird deutlich, dass wir Vertrauen brauchen und erstreben. Ohne Vertrauen geht es nicht. Jeder von uns braucht einen anderen, dem er vertraut, dem er sein Vertrauen ausspricht und der ihm sein Vertrauen schenkt.

Die Arbeitswelt unterscheidet sich diesbezüglich kaum vom Alltagsgeschehen. Auch in einem Unternehmen bildet das Vertrauen zwischen den dort beschäftigten Menschen eine wichtige und wesentliche Komponente. Dies betrifft alle Hierarchieebenen sowohl untereinander als auch miteinander. Vor allem die Unternehmensführung hat sich bewusst zu machen, dass Vertrauen in die Mitarbeiterschaft einen hohen Wert darstellen kann, den es zu zeigen, zu fördern und zu nutzen gilt.

Reinhard K. Sprenger geht davon aus, dass ein Unternehmen in der heutigen Zeit nur dann schnell auf Anforderungen reagieren kann, wenn das Management in der Lage ist, seinen Mitarbeitern zu vertrauen. In seinem Buch „Vertrauen führt – Worauf es im Unternehmen wirklich ankommt“ vertritt er die These, dass Vertrauen die Essenz einer kompetenten Führung und die Garantie für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens darstellen kann.

Die Investition in das Führungsprinzip Vertrauen ist für Manager nicht einfach. Sie müssen Macht und Kontrolle abgeben bzw. einschränken oder gar unterlassen können. Sprenger vertritt die Ansicht, dass es zu gegenseitigem Vertrauen in einem Unternehmen keine Alternative gibt. Nur Manager, die sich auf das Abenteuer Vertrauen einlassen, können auch die entscheidenden Wettbewerbsvorteile, wie Kostenminimierung, Schnelligkeit und Innovation, für zukünftige Erfolge erzielen.

Die hier vorliegende Arbeit stellt wesentliche Thesen und Inhalte aus Reinhard K. Sprengers Buch „Vertrauen führt – Worauf es im Unternehmen wirklich ankommt“ vor und zeigt auf, welche Bedeutung Vertrauen als Führungsprinzip eines Managers für das Unternehmen und dessen Mitarbeiter haben kann. Zudem wird mit Hilfe von Sprengers Theorien und Ansätzen der Frage nachgegangen, wie und in welcher Form ein Management Vertrauen in sein Unternehmen implementieren und welche Bedeutung das Führungsprinzip Vertrauen für die Unternehmensstrukturen eines freien Träger der Jugendhilfe nach SGB VIII besitzen kann.

1.2 Inhaltliches Vorgehen

Nach einer Vorstellung der Person Reinhard K. Sprengers erfolgt zunächst eine Annäherung an den Vertrauensbegriff. Neben einer Definition wird u. a. aufgezeigt, welchem Wandel Vertrauen im Laufe der Zeit unterworfen ist, welche Varianten und Gestalten von Vertrauen derzeit auszumachen sind und wo die Grenzen von Vertrauen liegen können. In der Folge werden wesentliche Vorteile benannt, die sich für ein Unternehmen ergeben können, dessen Management Vertrauen in seine Mitarbeiter und Kunden investiert. Darauf aufbauend erfolgt eine Darstellung des Vertrauens als Steuerungselement unter Berücksichtigung wesentlicher Faktoren des Vertrauens-mechanismus. Dem schließt sich die kritische Betrachtung einiger essentieller Thesen Reinhard K. Sprengers an. Den Abschluss der hier vorliegenden Arbeit bildet ein Übertrag ausgewählter Ansätze Sprengers auf die Strukturen eines Dienstleistungsunternehmens in der Jugendhilfe nach dem SGB VIII. Konkret geschieht hier eine Erörterung der Bedeutung von Vertrauen für Führungskräfte und pädagogische Fachkräfte eines freien Trägers, der in der sozialpädagogischen Familienhilfe und im Erziehungsbeistand tätig ist.

1.3 Vorbemerkungen

Im nachfolgenden Textverlauf erfolgt zur Gewährleistung einer flüssigen Lesbarkeit die Schreibweise ausschließlich in maskuliner Form.

Alle im Text befindlichen Abbildungen sind chronologisch im Abbildungsverzeichnis aufgelistet.

Im Anhang befindet sich ein Beispiel für die Vorstellung bzw. Präsentation wesentlicher Inhalte der hier vorliegenden Arbeit. Desweiteren findet sich hier auch der Entwurf eines sich auf die Präsentation beziehenden „Handouts“.

2. Zur Person: Reinhard K. Sprenger

Dr. Reinhard K. Sprenger, geboren 1953 in Essen, studierte an der Ruhr-Universität Bochum und an der Freien Universität Berlin Philosophie, Psychologie, Betriebswirtschaft, Geschichte und Sport. Er lebt heute in Zürich und Santa Fe.

Sprenger gilt als der profilierteste Managementberater und einer der einflussreichsten Managementdenker in Deutschland. Nach eigenen Angaben gehörten und gehören diverse internationale Konzerne und nahezu alle DAX-100-Unternehmen zu seinen Kunden. Neben seiner Autorentätigkeit begleitet Sprenger Vorstände im Rahmen von Einzel- und Gruppencoachings. Er leitet Führungsseminare und berät Unternehmen bei der Entwicklung von Personalsystemen

Der Verlag Campus (Campus informiert, k. A.) gibt an, dass alle Bücher Sprengers ausnahmslos Bestseller wurden und in etlichen Sprachen vorliegen. Die Werke „Mythos Motivation“, „Das Prinzip Selbstverantwortung“, „Aufstand des Individuums“ und „Vertrauen führt“, so Campus, hätten das Führungsverständnis vieler Manager nachhaltig verändert. Das Buch „Die Entscheidung liegt bei dir! Wege aus der alltäglichen Unzufriedenheit“ wurde auch von zahlreichen privaten Personen gelesen.

In den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellt Sprenger stets die Selbstmotivation und Selbstverantwortung des Einzelnen, dessen Freiheit und dessen Verpflichtung. Dabei entspringen die Ideen und Hypothesen einem vertrauensbasierten Humanismus. Sprenger orientiert sich in seiner Führungsphilosophie an dem Menschen als freiem Wesen. (Campus informiert, k. A.)

3. Die Entscheidung für Vertrauen

Was ist eigentlich Vertrauen? Wo kommt es her? Welche Formen kann Vertrauen haben? Wie baut es sich auf? Wie kann es (wieder) verloren gehen? Gibt es so etwas wie Vertrauenskennzeichen? Ist Vertrauen ein individuelles, von jedem Menschen unterschiedlich akzentuiertes erlebtes und praktiziertes Ereignis? Oder eher eine bewusste Entscheidung? Gibt es einen allgemeingültigen Vertrauensbegriff? Wenn ja, wie sieht er aus?

Die Beantwortung dieser Fragen steht im Mittelpunkt der nachfolgenden Ausführungen. Zunächst soll mit Hilfe einiger subjektiver Gedanken ein erster Einblick in die Vielfältigkeit von Vertrauen gegeben werden.

3.1 Der individuelle Vertrauensbegriff

Im Vorfeld der Erstellung der hier vorliegenden Arbeit befragte deren Verfasser willkürlich insgesamt 20 Personen (10 Frauen und 10 Männer) unterschiedlichen Alters nach deren individueller Definition von „Vertrauen“. Die Gedanken sollten in einem Satz schriftlich und anonym festgehalten werden. 75 % der angesprochenen Personen legten innerhalb des angesetzten Erhebungszeitraums ihre Ergebnisse in schriftlicher Form vor.

Freilich sind die Ergebnisse der Befragung nicht repräsentativ und sicherlich genügt die Erhebung an sich keinem wissenschaftlichen Anspruch. Darauf zielte sie auch nicht ab. Die Befragung sollte in erster Linie einen Eindruck darüber vermitteln, wie vielfältig Vertrauen verstanden und praktiziert wird. Die Unterschiedlichkeit der eingegangenen Sätze belegt dies. Hier die Ergebnisse.

- „Vertrauen ist Arbeit; wenn es verloren geht, ist es schwer wieder aufzubauen.“
- „Vertrauen findet seinen Anfang in einer positiven Grundhaltung zu einem anderen und zu mir selbst.“
- „Vertrauen steht in Verbindung mit Respekt und Akzeptanz.“
- „Vertrauen heißt, sich in einem gewissen geschützten Bereich öffnen zu können.“
- „Vertrauen beinhaltet das Wissen, nicht belogen oder betrogen zu werden.“
- „Vertrauen bedeutet, nichts prüfen zu müssen und Sicherheit zu haben.“
- „Vertrauen setzt sich aus Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit zusammen.“
- „Vertrauen bedeutet, sich auf sich selbst und andere verlassen zu können.“
- „Vertrauen ist auf einzelne Bereiche eingegrenzt und nicht bedingungslos auf andere Bereiche übertragbar.“
- „Vertrauen heißt, einer Sache, einer Idee oder einer Person Glauben zu schenken.“
- „Vertrauen ist eine Art Geschenk, das mit Bedacht und Überlegung einzusetzen ist.“
- „Vertrauen bewegt sich vorwiegend auf der Gefühlsebene und ist nicht immer eine Sache der Ratio.“
- „Vertrauen ist ein Wagnis ohne Rückversicherung.“
- „Vertrauen öffnet Türen und ist die Grundlage für die positive Gestaltung menschlicher Beziehungen.“
- „Vertrauen braucht persönliche Stärke.“

In der Gesamtbetrachtung der Äußerungen wird deutlich, dass Vertrauen im Allgemeinen als ein hohes, wertvolles und gewinnbringendes Gut betrachtet wird.

Allem Anschein nach ist die Existenz von Vertrauen dennoch keine Selbstverständlichkeit. Vertrauen entwickelt sich wohl nicht von allein, sondern erst mit Hilfe menschlichen Engagements und Investments.

Vertrauen scheint zudem in verschiedenen Formen und Gestalten auftreten zu können und von diversen Einflüssen, Umständen oder Wirksamkeiten abhängig zu sein. Demnach ist Vertrauen offenbar nicht grenzenlos, vermutlich jedoch in allen Kontexten, in denen sich Menschen befinden können, denk- und auffindbar.

Somit wäre auch im Arbeitskontext – sprich: in einem Betrieb, einer Firma, in einem Unternehmen oder einer Organisation – Vertrauen zwischen den Menschen möglich und nötig.

Wie kann hier (mehr) Vertrauen entstehen? Welche Anteile und Möglichkeiten hat hier das Management?

Wenn Vertrauen einen hohen Wert besitzt und als gewinnbringend betrachtet werden kann, welche Rückschlüsse lassen sich daraus für ein Unternehmen ziehen? Würde die Existenz von Vertrauen in einem Unternehmen nicht auch eine Verbesserung des Betriebsklimas nach sich ziehen? Wären möglicherweise dadurch sogar Mitarbeiter langfristig zu binden? Hätte dies nicht auch eine intensivere und längerfristige Kundenbindung zur Folge? Könnte nicht so dann auch eine Gewinnsteigerung erzielt und (Werbe-) Kosten gesenkt werden und Innovation schneller und effektiver vorangebracht werden?

Reinhard K. Sprenger geht davon aus, dass dies alles möglich wäre, wenn in einem Unternehmen auf den einzelnen Hierarchieebenen, zwischen den Ebenen und vor allem auf und von der Ebene des Managements mehr in Vertrauen zu den Mitarbeitern und untereinander investiert und somit mehr Vertrauen „praktiziert“ werden würde. Die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme ergibt sich schon allein aus dem individuellen Wunsch eines jeden Menschen nach Vertrauen, aus dessen Vorstellungen von Vertrauen und aus seinen Fähigkeiten zu vertrauen. (vgl. Sprenger 2007, S. 7ff.)

3.2 Varianten, Gestalten und Formen von Vertrauen

3.2.1 Urvertrauen

Der Mensch ist ab der ersten Sekunde seines Lebens auf andere Menschen angewiesen. Ohne die Pflege anderer und ohne deren Sorge könnte er nicht aufwachsen. Ein Neugeborenes muss einerseits lernen, zwischen sich selbst und seiner Umwelt zu unterscheiden und andererseits Vertrauen in seine Eltern als die Personen zu entwickeln, die sein Überleben sichern. Dieses „Urvertrauen“ ist eine Grunderfahrung. Es beinhaltet neben Vertrauen in die Eltern auch das Vertrauen in die Beständigkeit der Welt und das Vertrauen in den eigenen Körper, in den Herzschlag, in die Wundheilung, in das Aufwachen am Morgen.

Im Vertrauen zwischen Kindern und Eltern liegt aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Ursache dafür, dass es im zwischenmenschlichen Bereich immer auch ein tief gefühltes Bedürfnis nach nie endendem Vertrauen gibt.

Im Verlauf seines Lebens stellt der Mensch immer wieder fest, dass er sich unlösbar in einer realen Abhängigkeit zu anderen Menschen befindet. Kein Mensch kann alles, was er benötigt, selbst produzieren (z. B. Kleidung, Nahrungsmittel etc.) oder aus sich allein gewinnen (z. B. Zuneigung oder Liebe).

Der Mensch verdankt seine Existenz und deren Sicherung somit vom ersten Atemzug an immer auch anderen. Vertrauen ist demzufolge nicht nur eine Grunderfahrung sondern auch eine Selbstverständlichkeit im Umgang mit Menschen und Dingen. (vgl. Sprenger 2007, S. 55f.)

3.2.2 Gesellschaftliche Konvention

Vertrauen als gesellschaftliche Konvention ist ein Charakteristikum der modernen Gesellschaft. Es ersetzt mangelndes Wissen. Viele Dinge, die sich um den Menschen herum befinden und die er für wahr und rational hält, hat er persönlich nicht nachgeprüft oder nachvollzogen. Er übernimmt sie schlichtweg im Vertrauen auf andere. Da es unmöglich ist, alles in der multiplen Gesellschaft zu prüfen, benötigt der Mensch das Vertrauen in andere. So vertrauen wir beispielsweise der Technik, die uns von einem Ort zum anderen befördert, dem Computer, der unsere Daten speichert, den Produkten, die in fernen Ländern produziert wurden und dem Arzt, der uns die entzündeten Mandeln entfernt.

Das Vertrauen als gesellschaftliche Konvention ist mittlerweile jedoch brüchig geworden. Es scheint nicht mehr uneingeschränkt und unzweifelhaft zu gelten. Blindes Vertrauen ist wenig ratsam, da technische Geräte versagen, Computer Dateien verwerfen, Nahrungsmittel Giftstoffe enthalten und Ärzte gravierende Fehler machen können.

Mehr noch: Selbst in den eigenen Körper, in die Natur, in den Staat und in die Wirtschaft besteht kein uneingeschränktes Vertrauen. Warum hätten wir es sonst nötig zum Arzt zu gehen oder z.B. Wasserspeicher anzulegen, die Gewaltenteilung zu entwickeln oder eine Monopolkommission einzurichten?

All diese Sicherheitssysteme verweisen darauf, dass Vertrauen begrenzt und blindes Vertrauen riskant sein kann. (vgl. Sprenger 2007, S. 56f.)

3.2.3 Kompetenz

Vertrauen kann in der modernen Gesellschaft als eine Kompetenz betrachtet werden, die es zu erlangen gilt. Die Unmöglichkeit alles kontrollieren, nachvollziehen und nachprüfen zu können, ist durch den Menschen genauso zu kompensieren, wie die Angst davor, dies eben nicht alles zu können und auf andere angewiesen zu sein.

Vertrauen baut sich immer seltener organisch auf. Es ist in nur noch geringem Maße das Ergebnis einer langen Bekanntschaft. Der Mensch hat immer häufiger Vertrauen zu Menschen aufzubauen, die er gar nicht oder in nur geringem Maße kennt. Damit dies gelingt, ist ein gewisses Risiko einzugehen bzw. einzukalkulieren. Denn trotz des Wissens um die Gefahren in der Welt und wider der Erfahrung und Erkenntnis über die menschliche Unzuverlässigkeit ist Vertrauen ein wesentlicher Faktor der menschlichen Existenz. Es ist nötig, sich dem Risiko auszusetzen und von der Vertrauenswürdigkeit des anderen auszugehen. So wird Vertrauen zu einer persönlichen Leistung, zu einer Kompetenz. (vgl. Sprenger 2007, S. 58)

3.2.4 Entscheidung

Das „moderne“ Vertrauen ist reflektiert und kalkuliert, nicht intuitiv. Es ist nicht blind, sondern vielmehr eine Entscheidung. Der Mensch wählt freiwillig, ob und mit wem er in welcher Form mit anderen arbeitet. Ebenso verhält es sich mit dem Vertrauen. Der Mensch entscheidet aus einer gewissen Reflexion heraus, ob er jemandem (kalkuliert) vertraut. Dieses Vertrauen steht im diametralen Gegensatz zu dem Alltagsverständnis, wonach Vertrauen das Ergebnis eines langsamen (unkalkulierbarem) Wachstumsprozesses ist. (vgl. Sprenger 2007, S. 58ff.)

3.2.5 Kooperation

Der Vertrauensbegriff setzt sich aus zwei zentralen Komponenten zusammen: Der Wechselwirksamkeit und der Verhaltensunsicherheit.

Die Wechselwirksamkeit besagt, dass Vertrauen auf einer Kooperation zwischen den Beteiligten basiert, die dadurch geprägt ist, dass die jeweiligen Ziele einer Person nur mit Hilfe der anderen Person erreicht werden können.

Die Zusammenarbeit zwischen zwei Partnern sollte immer Handlungsspielräume für beide eröffnen. Solche Handlungsspielräume bewirken allerdings Verhaltensunsicherheiten auf beiden Seiten. Die Partner können sich niemals vollständig sicher sein, ob der jeweils andere wunschgemäß handelt. Wunschgemäßes Handeln ist eine Option, die gewählt werden kann, von der man aber zunächst nicht weiß, ob sie vom Partner gewählt wurde.

Vertrauen setzt demnach eine Risikosituation voraus. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein Partner dem anderen nicht bekannt ist oder Unwissenheit darüber besteht, ob der andere eine Kooperation eingehen kann und will. Vertrauen kann daher auch als eine Art Vorschussleistung in der Zusammenarbeit betrachtet werden, deren Gegenleistung zeitlich versetzt erfolgt.

Erst besteht also das Risiko, dann das Vertrauen – aber durchaus auch das Misstrauen. Risikoreiche Situationen stellen einen Menschen vor die Wahl zu vertrauen oder zu misstrauen. Vertrauen ist dabei die bewusste Entscheidung gegen das Misstrauen und signalisiert die Bereitschaft, auf Kontrolle zu verzichten, weil die Erwartung besteht, dass der andere kompetent, integer und wohlwollend ist. Überdies wird an Verrat nicht geglaubt. Dieser wird zwar als möglich betrachtet, jedoch als unwahrscheinlich erachtet. (vgl. Sprenger 2007, S. 60 ff.)

3.3 Vertrauen im Wandel

In der heutigen Gesellschaft funktioniert das Alltagsverständnis von Vertrauen nur noch sehr begrenzt und vorwiegend im privaten Rahmen. Dort, wo Menschen beruflich miteinander zu tun haben, ist Vertrauen nur noch in seltenen Fällen eine Belohnung, die ihre Basis im redlichen Verhalten findet und auf guten Absichten und moralischen Verbindlichkeiten beruht. Hier reicht es nicht mehr aus, Vertrauen erst dann zu entwickeln, wenn es sich der andere über einen undefiniert langen Zeitraum verdient hat. Ein Vertrauen, das sich auf positiven gemeinsamen Erfahrungen gründet, erscheint nach Ansicht Reinhard K. Sprengers wenig zukunftsweisend.

Zudem, so Sprenger, ist Vertrauen mehr als ein von selbst auftretendes Ergebnis oder das Nebenprodukt einer langfristigen, bewährten und guten Beziehung. Es ist ein Ereignis, das sich durch eine explizit vollzogene Entscheidung direkt, aktiv und schnell herbeiführen lässt und somit steuerbar ist. (vgl. Sprenger 2002, S. 28f.)

3.4 Grenzen des Vertrauens

3.4.1 Bewusstes Vertrauen

Menschen vertrauen sich in unterschiedlichen Kontexten auf unterschiedliche Weise. Häufig ist Vertrauen dabei auf einen ganz bestimmten Bereich begrenzt. Dabei ist den Beteiligten in nur geringem Maße bewusst, dass sie einander vertrauen. Erst dann, wenn einer den anderen enttäuscht hat, wird bewusst, dass man einander Vertrauen schenkte und dass dies nun abhandengekommen ist. Vertrauen wird also erst dann bewusst, wenn es nicht mehr da ist. Allein die Frage „Kann ich ihm vertrauen?“ suggeriert, dass es sich bei Vertrauen um einen Zustand handelt, der sich nur verschlechtern kann. Wenn in einem Unternehmen Vertrauen aufgebaut werden soll, dann sollte es bewusst gemacht werden. Dies ist eine wesentliche Aufgabe der Unternehmensführung. Denn nur durch ein Bewusstmachen steht Vertrauen auch zur Wahl. Nur dann kann der andere entscheiden, ob er dieses Vertrauen erwidert oder nicht. Die Führung eines Unternehmens hat dies zu steuern, in dem sie von sich aus einen Vorschuss an Vertrauen in die Mitarbeiterschaft oder an einen einzelnen Mitarbeiter sendet. Dabei sollte die Überzeugung zugrunde liegen, dass der andere, sprich: der Mitarbeiter, nicht betrügt, obwohl davon auszugehen ist, dass er es könnte. (vgl. Sprenger 2007, S. 67ff.)

3.4.2 Vertrauen und Misstrauen

Im Alltagsverständnis bildet Vertrauen einen Gegenpol zu Misstrauen. Hier scheint Vertrauen etwas Absolutes zu sein, das es nur in Gänze gibt. Entweder vertraut man einander – oder eben nicht. Aus dieser Perspektive betrachtet, scheint Vertrauen unbedingt zu sein. Es wäre demnach nicht an Bedingungen geknüpft und stände im Widerspruch zum Misstrauen.

Vertrauen ist aber an Bedingungen geknüpft. Zur Erklärung: Jede Idee hat und verlangt ihre Grenzen. So auch die Idee des Vertrauens. Alles, was dem Menschen am Vertrauen wichtig ist, kann er „nur im Rahmen des Wissens und unter der Voraussetzung relativer Sicherheit bekommen“ (Sprenger 2007, S. 70).

Wissen an sich ist jedoch begrenzt und vollständige Sicherheit unmöglich. Somit ist beides durch Vertrauen zu ergänzen. Daraus abgeleitet sind „Wissen“ und „Sicherheit“ nicht zwangsläufig oder notwendig als „Misstrauen“ zu bezeichnen. Sie sind eher die Basis, auf die sich Vertrauen beziehen kann.

„Das Wissen ist die verordnete Idee – diejenige Idee, die in Kraft treten muss, bevor von Vertrauen die Rede sein kann.“ (Sprenger 2007, S. 70)

Demnach existiert zwischen Vertrauen und Misstrauen auch kein Widerspruch. Vertrauen und Misstrauen sind aufeinander bezogen und bilden ein „Fließgleichgewicht“. Zwischen beiden ist ein Maß zu finden. (Sprenger 2007, S. 69f.)

Die nachfolgende Abbildung veranschaulicht die gegenseitige Bezogenheit von Vertrauen und Misstrauen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Bezogenheit von Vertrauen und Misstrauen

(Quelle: Sprenger 2007, S. 70)

3.4.3 Vertrauen und Kontrolle

Vertrauen und Kontrolle sind keine Widersprüche. Kontrolle ist die Basis des Vertrauens. Sie kann im Hinblick auf Vertrauen unterstützend wirken. Dabei ist allerdings zu beachten, dass es sich bei Vertrauen, wie bereits dargestellt, um einen Relationsbegriff handelt, der ein „mehr“ oder „weniger“ beschreibt - je nach dem, welches Maß zwischen vollständigem Misstrauen und vollständigem Vertrauen gewählt wurde (vgl. Abbildung 1).

Je größer das Vertrauen ist, umso mehr kann Kontrolle eine unterstützende Wirkung haben. Je mehr Misstrauen besteht, umso einengender wirkt Kontrolle möglicherweise auf den anderen. Ein genauer Punkt, wo die unterstützende Wirkung der Kontrolle einer einengenden Wirkung weicht, ist nicht auszumachen. Die Schwelle ist überall unterschiedlich.

Kontrolle um der Kontrolle willen – oder Kontrolle, die aus Misstrauen resultiert, ist eigennützig und dem Vertrauen schädlich. Wird aber Kontrolle als Ziel- oder Vereinbarungsüberprüfung eingesetzt, dann geschieht sie nicht aus dem Misstrauen heraus. Dies ist vor allem dann nicht der Fall wenn der eine dem anderen das Vertrauen schenkt, den Weg zum Ziel bzw. zur Erfüllung der Vereinbarung selbst bestimmen zu können.

Vertrauen funktioniert nicht ohne Kontrolle und Kontrolle nicht ohne Vertrauen. Auch hier ist wieder das gewählte Maß bzw. das Verhältnis entscheidend. (vgl. Sprenger 2007, S. 70ff.)

Abbildung 2 positioniert dieses Maß in abstrakter Form in die Darstellung von Abbildung 1.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Das Maß an Kontrolle

(Quelle: Sprenger 2007, S. 74)

3.4.4 Blindes Vertrauen

Wer vertraut verzichtet nicht zeitgleich auch völlig auf Vorsicht, Sicherheit und Kontrolle. Denn: Unterschiedliche Bereiche und Aufgaben erfordern unterschiedliche Vertrauens-spannen. Vertrauen geschieht immer in Bezug auf etwas. Es ist niemals blind und allumfassend. Blindes Vertrauen lässt die Möglichkeit der Enttäuschung außer Acht und kalkuliert sie nicht mit ein. Somit wird der andere als Vertrauensnehmer nicht als vertrauenswürdig geehrt. Er scheint nichts Besonderes zu sein – einer von vielen. Er muss sich auch nicht entscheiden, ob er das Vertrauen erwidert. Es ist ja eh immer da. Was gibt es da zu wählen?

Blindes Vertrauen reduziert sogar die Vertrauensbereitschaft der Menschen. Täuschung und Enttäuschung werden im Zusammenhang mit blindem Vertrauen permanent erlebt. Extremes oder blindes Vertrauen zerstört also mitunter die Grundlagen für die künftige Existenz von Vertrauen an sich. Somit ist ein gewisses Maß an selektivem Misstrauen nötig, um Vertrauen wertvoll zu machen und dauerhaft zu ermöglichen.

Es ist ein Beleg für permanentes Misstrauen, wenn eine Führungskraft ihren Mitarbeitern unentwegt bei der Arbeit über die Schulter schaut, um sich zu vergewissern, dass diese ihre Arbeit im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel korrekt verrichten.

Selektives Misstrauen gepaart mit einem gesunden Maß an Vertrauen, dem ein Vertrauensvorschuss seitens einer Führungskraft zugrunde liegt, kann für die Vertrauenskultur in einem Unternehmen enorm wichtig sein. So sieht es Reinhard K. Sprenger. Vertrauen, dass ab und zu durch erzielte und kontrollierte Ergebnisse gerechtfertigt und somit auch erwidert wird, erneuert sich seiner Ansicht nach immer wieder selbst und erhält sich langfristig. Blindes Vertrauen blockiert diese Erneuerung, da es zumeist auf „Kontrollpunkte“ verzichtet. (vgl. Sprenger 2007, S. 74ff.)

Noch problematischer als blindes Vertrauen ist das blinde Misstrauen seitens des Managements oder der Führungskräfte eines Unternehmens. Blindes Misstrauen bremst die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens nahezu völlig aus. Es besteht die Gefahr der übermäßigen Kontrolle, der Vermeidung von Risiken und der Lähmung der Abläufe. Überall werden zunehmend mehr Sicherheitsmaßnahmen installiert, Erfassungssysteme integriert, Normierungen nach DIN vorgenommen und andere Kontrollmechanismen eingebaut. Die Folge sind standardisierte Abläufe, enge Arbeitsfelder und geringe Kreativräume. Im Handeln des anderen wird immer ein Fehler entdeckt. Perfekt ist anscheinend nur die Spitze, die nur sich allein zutraut, bestimmte Aufgaben erfüllen zu können. Daraus resultierend werden die Mitarbeiter grundsätzlich als defizitär betrachtet. Unscharfe, wachsende und praktikable Lösungen erscheinen undenkbar.

Grundsätzlich ist festzuhalten: Sowohl Vertrauen, als auch Misstrauen, müssen konstruktiv bleiben, dürfen nicht blind machen und sollten unter keinen Umständen bedingungslos sein. Es ist ein Fehler allen oder keinem zu trauen. Es ist möglich, zu wenig zu vertrauen – also ist es auch möglich zu sehr zu vertrauen. (vgl. Sprenger 2007, S. 75f.)

[...]

Ende der Leseprobe aus 95 Seiten

Details

Titel
Der Anfang von Vielem
Untertitel
Die Theorie von der Entwicklung einer Vertrauenskultur in Unternehmen nach Reinhard K. Sprenger und deren Bedeutung für freie Träger der Jugendhilfe nach SGB VIII
Hochschule
Evangelische Hochschule Darmstadt, ehem. Evangelische Fachhochschule Darmstadt
Veranstaltung
Strategisches Management
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
95
Katalognummer
V176676
ISBN (eBook)
9783640980727
ISBN (Buch)
9783640980956
Dateigröße
801 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
reinhard sprenger, Vertrauen, Vertrauenskultur, Träger, Jugendhilfe, Sozialpädagogische Familienhilfe, SGB VIII, Jugendamt, Management, Unternehmensführung, Kundenbindung, Unternehmertum, Mitarbeiter, Steuerung, Steuerungsinstrument, Wettbewerb, Hierarchie
Arbeit zitieren
Oliver Hülsermann (Autor:in), 2011, Der Anfang von Vielem, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/176676

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