Die Natur als Spiegel der Charaktere in Adalbert Stifters „Brigitta“


Seminararbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1.Einleitung

2. Die Natur als Charakterlandschaft
2.1 Brigitta und die Wüste
2.2 Die Augen Brigittas und ihre Entsprechung in der Natur
2.3 Stephan Murai – zwischen Steppe und Vulkan

3. Cultura Agri und Cultura Animi - die Natur als therapeutisches Programm
3.1 Brigittas naturgebundene Selbstbearbeitung
3.2 Stephans Kultivierung nach dem Vorbild Brigittas

4. Die Gegensätze in der Natur als Reflexion der Charaktere und der Handlung

5. Die Leidenschaft in Gestalt der Wölfe als Bedrohung der Idylle

6. Die Erzählperspektive als Instrument der Landschaftsmetaphorik
6.1 Die subjektive Wahrnehmung des Erzählers
6.2 Täuschungen des Landschaftsbildes als Spiegelung von Schein und Sein

7.Fazit

8. Literaturverzeichnis
8.1 Primärliteratur
8.2 Sekundärliteratur

1.Einleitung

Adalbert Stifters Werke standen aufgrund ihrer äußerst detailreichen und ausgiebigen Landschaftsbeschreibungen oftmals im Feuer der Kritik. Dem Literaten wurde vorgeworfen den Figuren in seinen Erzählungen eine völlig unbedeutende Rolle inmitten der extensiven Naturschilderung zuzuteilen, da er sich angeblich auf den Menschen nicht verstand. Sehr bezeichnend ist in diesem Zusammenhang eine Äußerung Friedrich Hebbels, der einer seiner schärfsten Kritiker war: „Wißt ihr, warum euch die Käfer, die Butterblumen so glücken? Weil ihr die Menschen nicht kennt, weil ihr die Sterne nicht seht.[1]

Darüber hinaus wurde er als harmloser Seelentröster rezipiert, dessen Schreibweise eine biedere Moral, die mit den Richtlinien des Biedermeiergenres konform gehe, immanent sei. So titulierte beispielsweise Thomas Bernhard Stifters Schreibweise als langweilige und „unerträgliche provinzielle Zeigefingerprosa“, von „kleinbürgerlicher Sentimentalität.“[2]

Doch wer solche Urteile über ihn fällt, hat nicht erkannt, dass Stifters Naturdarstellung keine selbstgenügsame Kulisse und auch nicht unabhängig von der Handlung ist, sondern dass sie ganz im Gegenteil den Menschen und das Geschehen in subtiler Form abbildet und durchdringt. Denn Stifter ist kein Landschaftsschilderer, sondern ein Darsteller der Menschen.[3] In seinen Werken sind vielschichtige Verstehensgrade verborgen[4], welche in der Naturbeschreibung zum Tragen kommen. Die Natur dient ihm als Spiegel für den Menschen und den Hergang der Dinge und erhält auf diese Weise eine metaphorische Funktion. Hinter den ausgedehnten Landschaftschilderungen verbirgt sich eine „schrecklich schöne Welt“[5], und nur wer diese erkennt, versteht auch Gehalt und Bedeutung der Novelle. Stifter spricht nicht alles aus, sondern es ist Aufgabe des Lesers dies mittels sinnerfüllter Bilder zu erraten.

Dass diese Methodik in hohem Maße auch bei Stifters Novelle „Brigitta“ zu entdecken ist, möchte ich im Laufe meiner Seminararbeit verdeutlichen. Dabei soll nicht nur aufgezeigt werden, wie die Charaktere und die innere Handlung zwischen Stephan und Brigitta durch die Darstellung der Natur Bedeutung gewinnen, sondern auch, wie die gesamte Erzählung und deren verborgener Kerngedanke auf diese Weise abgebildet wird.

2. Die Natur als Charakterlandschaft

„Das Schicksal des Menschen ist in dieser Erzählung nur bedeutsam, soweit es durch die Welt, in der er lebt, seine besondere Prägung erhält.“[6]

2.1 Brigitta und die Wüste

Stifter hat die ungarische Pußta nicht willkürlich als Geschehensort gewählt. Die öde und urspüngliche Steppe bildet in vielerlei Hinsicht den idealen Schauplatz für seine Novelle.

Zum einen spiegelt sie die Hauptgestalten in ihrem „Frühstadium“ wider, insbesondere Brigitta. Die Wüste (wobei Stifter die Begriffe Wüste, Steppe, Steinwüste und öde Haide synonym verwendet), ist das für Brigitta gewählte Sinnbild. „So ward die Wüste immer größer“[7] heißt es im Hinblick auf ihre Kindheit, in welcher sie keine familiäre Zuneigung oder Wärme empfangen hatte. Sowohl Brigittas Vereinsamung und Isolation als auch ihr Verlangen nach Liebe werden in diesem Satz ausgedrückt. Gleichzeitig wird durch die Wüstenmetapher deutlich, dass sich in Brigitta eine innere Schönheit verbirgt. Denn analog dazu heißt es in der Einleitung zu der Schilderung der Jugend Brigittas, dass die Schönheit oft nicht gesehen wird, „weil sie in der Wüste ist“[8]. So wie Brigittas innere Schönheit erst entdeckt werden muß, so tritt gleichermaßen die Schönheit der ungarischen Steppe erst durch eine Kultivierung zu Tage. „Dieses Land, sich selbst überlassen, ist genau wie die junge Brigitta: einsam, groß und ursprünglich, seine innere Schönheit nur dem offenbarend, der den Sinn dafür hat. Nach seiner Kultivierung wird es wie die reife Frau: kraftvoll, klar, frisch und reich, ohne den ursprünglichen Character der Glut, Herbe und Unscheinbarkeit im Ganzen einzubüßen“[9] Brigittas Schönheit muß folglich genauso aufgenommen, gepflegt und erhalten werden wie die Schönheit dieser ungarischen Landschaft, in „welcher der feurige Fluß des Weines schläft“[10]. (Auf die Kultivierung der inneren und der äußeren Natur werde ich später in dieser Seminararbeit noch eingehen.)

Die Steinwüste der ungarischen Steppe wird also bewusst als Spiegel für die innere Wüste in Brigitta eingesetzt. Seelenlandschaft und Naturlandschaft entsprechen sich. Das Vokabular, welches Stifter bezüglich Brigitta verwendet, unterstreicht zusätzlich die Parallelen zur Natur: „[...] daß die kleinen Würzlein, als sie einst den warmen Boden der Mutterliebe suchten und nicht fanden, in den Fels des eigenen Herzens schlagen mußten, und da trotzten.“ „Als die Mädchen in das Jungfrauenalter getreten waren, stand sie wie eine fremde Pflanze unter ihnen.“[11] Brigitta verschmilzt gewissermaßen mit der geheimnisvollen Öde und Weite der ungarischen Steppe, die sie umgibt, man könnte fast sagen, dass sie mit diesem Land identisch ist.

2.2 Die Augen Brigittas und ihre Entsprechung in der Natur

Wirft man einen Blick auf die Metaphorik des Auges in Stifters Erzählung, so verdichtet sich das Netz der Sinnparallelen zwischen Brigitta und der Landschaft. Das Auge, als Grenze zwischen Innen und Außen und vor allem als Spiegel der Seele, spielt eine gewichtige Rolle innerhalb der Novelle.

In Brigittas Augen scheint stetig ihr derzeitiger Seelenzustand wider. „Das Mädchen redete nicht“[12] wird im Hinblick auf Brigittas Kindheit angemerkt. Desto mehr und wahrmehmbarer spricht sie jedoch mit ihren Augen.[13] Ihren Vater sah sie „bloß mit ihren heißen trockenen Augen an“[14], als dieser sie körperlich strafte. Ihre Augen gleichen hier folglich dem trockenen Steinfeld der ungarischen Pußta, welches sich dem Erzähler bei seiner Reise durch Ungarn darbietet. „Das ganze hob sich wunderbar von dem Steinfelde ab, das [...] in den rötlich spinnenden Strahlen heiß und trocken herein sah [...].“[15] Hier wird also nochmals die Wüste in Brigitta versinnbildlicht. Wenn es dann später im Text heißt: „Hie und da auf der öden blinden Heide schlug sich ein menschlich freies Walten wie ein schönes Auge auf “[16], dann wird die Parallele noch evidenter und veranschaulicht die positive Entwicklung in Brigitta und in der Landschaft in Ergebnis der Kultivierung. Denn die schönen Augen sind ein Charakteristikum für die Titelfigur. Die Analogie zwischen der Bewässerung des trockenen Landes und den Tränen Brigittas wird in diesem Kontext ebenfalls offensichtlich. Die rinnenden Quellen der ehemals öden Heide[17] zeigen den Prozess auf, der sich später in der geläuterten Beziehung zu Stephan Murai an Brigittas in Tränen schimmernden Augen[18] vergegenwärtigt. Darüber hinaus beschreibt Stifter im Kontext der dunklen glänzenden Augen der Rehe die Augen Brigittas als noch schwärzer und glänzender. Hier wird also die Personenspiegelung hinsichtlich der erreichten kultivierten Lebensführung nochmals hervorgehoben.[19]

Die Metapher des Auges fällt gleichermaßen in der übergreifenden Intention der Erzählung ins Gewicht.Wenn es in der Einleitung zum Kapitel Steppenvergangenheit heißt, dass die Schönheit oft nicht gesehen wird, weil sie in der Wüste ist, oder „weil das rechte Auge nicht gekommen ist“[20], so wird ein klarer Bezug zu Brigitta hergestellt. Ihre Familie besitzt nicht das „rechte Auge“ um Brigittas wahre Schönheit zu erkennen. Stephan Murai jedoch erkennt in ihren schönen schwarzen Augen ihre ebenso schöne Seele. (Signifikant ist, dass Gabrieles Augen ihre Umgebung nur reflektieren[21], aber kein Fenster zur Seele, wie bei Brigitta darstellen![22] ) Dadurch wird gleichsam augenscheinlich, dass hinsichtlich des Erkennens von Brigittas Schönheit, der Mangel bei den anderen liegt.

Folglich verknüpft die Symbolik des Auges Brigitta noch intensiver mit der sie umgebenden Landschaft.

2.3 Stephan Murai – zwischen Steppe und Vulkan

Die erste Begegnung zwischen dem Erzähler und Stephan Murai am Vesuv in Italien verdeutlicht, dass der Vulkan eines der naturhaften Sinnbilder des Majors darstellt. Das Bild des Vulkans im Kontrast zu dem „anmutigen tiefblauen Südhimmel“[23] spiegelt den augenblicklichen Zustand des Majors wider. Der Vulkan verbildlicht die „chaotisch-zerstörerische“[24] Seite sowie die ungebändigte Leidenschaft des Majors, gleichsam den „Seelenabgrund“[25], und der blaue Himmel entspricht der sanften und friedlichen Eigenschaft Murais. Es ist unverkennbar, dass der Vulkan auf Stephans Vergangenheit wie auch auf seinen gegenwärtigen Zustand hinweist. „Denn Stephans eigene Leidenschaft für Gabriele war seinerzeit wild-zerstörerisch in den Frieden und das Glück seiner ersten Ehejahre eingebrochen.“[26]

[...]


[1] Hebbel Friedrich: Die alten Naturdichter und die neuen. In: Friedrich Hebbel. Sämtliche Werke. Historisch kritische Ausgabe Bd. VI. Hrsg. von: Richard Maria Werner. Berlin: 1902. S. 349.

[2] Vgl.: Bernhard, Thomas: Alte Meister. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1985. S. 72 – 80.

[3] Kunisch, Hermann: Adalbert Stifter. Mensch und Wirklichkeit. Studien zu seinem klassischen Stil. Berlin: Duncher & Humblot 1950. S. 103 ff.

[4] Vgl.: Nischik, Traude-Marie: Umhegter Garten und blankes Siegel. Emblematische Bildlichkeit in Adalbert Stifters Erzählungen „Brigitta“ und „Das alte Siegel“. In: Aurora. Jahrbuch der Eichendorff-Gesellschaft Bd. 38. Hrsg. von Wolfgang Frühwald, Franz Heiduk und Helmut Koopmann. Würzburg: Eichendorff-Gesellschaft 1978. S. 85.

[5] Vgl.: Doppler, Alfred: Schrecklich schöne Welt? Stifters fragwürdige Analogie von Natur- und Sittengesetz. In: Adalbert Stifters schrecklich schöne Welt. Beiträge des Internationalen Kolloquiums zur Adalbert Stifter-Ausstellung. Hrg. von Petra Göllner, Roland Duhamel, Johann Laichinger und Clemens Ruthner. Linz: Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich 1994. S. 10.

[6] Wiese, Benno von: Die deutsche Novelle von Goethe bis Kafka. Interpretationen I. Düsseldorf: August Babel Verlag 1956. S. 200.

[7] Stifter, Adalbert: Brigitta. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. 1994. S. 38.

[8] Ebd.: S. 36.

[9] Steffen, Konrad: Adalbert Stifter. Deutungen. Basel: Birkhäuser Verlag 1955. S. 105.

[10] Vgl.: Stifter, A.: Brigitta. S. 28.

[11] Ebd.: S. 38.

[12] Stifter, A.: Brigitta. S. 39.

[13] Vgl.: Hahn, Walther: Zu Stifters Konzept der Schönheit: „Brigitta“. In: Vierteljahresschrift des Adalbert-Stifter-Instituts des Landes Oberösterreich Jahrgang 19 Folge 3/4. Hrsg. von: Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich. Linz 1970. S. 153.

[14] Stifter, A.: Brigitta. S. 39.

[15] Stifter, A.: Brigitta. S. 11.

[16] Ebd.: S. 51.

[17] Vgl.: Ebd.

[18] Vgl.: Ebd.: S. 62.

[19] Vgl.: Nischik, T. : Umhegter Garten und blankes Siegel. S. 93.

[20] Stifter, A.: Brigitta. S. 36.

[21] Vgl.: Ebd.: S. 49.

[22] Vgl.: Lehmann, Jakob: Adalbert Stifter: Brigitta. In: Deutsche Novellen von Goethe bis Walser Bd.1. Hrsg. von Jakob Lehmann. Königstein/Ts.: Scriptor Verlag GmbH 1980. S. 244/245.

[23] Stifter, A.: Brigitta. S. 6.

[24] Hahn, W.: Zum Konzept der Schönheit: „Brigitta“. S. 151.

[25] Werner, Thomas: Stifters Landschaftskunst in Sprache und Malerei. Versuch einer wechselseitigen Interpretation in der Novelle „Brigitta“. In: Der Deutschunterricht. Beiträge zu seiner wissenschaftlichen Praxis und Grundlegung Heft 8. Hrsg. von Robert Ulshöfer. Stuttgart: Ernst Klett Verlag 1956. S. 18.

[26] Hahn, W.: Zum Konzept der Schönheit: „Brigitta“. S. 151.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Natur als Spiegel der Charaktere in Adalbert Stifters „Brigitta“
Hochschule
Universität Münster  (Germanistik)
Veranstaltung
Biedermeier. Kultur und Literatur einer zweigesichtigen Epoche.
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V176655
ISBN (eBook)
9783640980710
ISBN (Buch)
9783640980932
Dateigröße
495 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Adalbert Stifter, Brigitta, Biedermeier, Novelle, Natur
Arbeit zitieren
Maja Oberhollenzer (Autor:in), 2004, Die Natur als Spiegel der Charaktere in Adalbert Stifters „Brigitta“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/176655

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