Zum Islambild in ausgewählten deutschen Marokkoreiseberichten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts


Masterarbeit, 2009

90 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einführung

I. Historische Einleitung
1. Zum Islambild des Mittelalters
2. Die Orientrezeption
3. Marokko als Reiseziel; Imperialistische Tendenzen

II. Zum Islambild Marokkos
1. Die Wahrnehmung einer islamischen Region
2. Erster Ort der Anschauung
3. Die Moscheen
4. Die Religiosität der Marokkaner
5. Heiligenverehrung

III. Der Islam in Stereotypen
1. Stereotyp der Ausdehnung des Islam in Nordafrika: Feuer und Schwert
2. Fanatismus
3. Stellung der marokkanischen Frau: Stereotyp der Unterdrückung
4. Der Islam als Hindernis

IV. Schlussfolgerung

Literaturverzeichnis

Einführung:

In der vorliegenden Arbeit möchte ich mich mit einigen ausgewählten Reiseberichten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts auseinandersetzen. Ich habe die Reiseberichte von Ferdinand Freiherr von Augustin (1807-1861), Wilhelm zu Löwenstein, Heinrich Barth (1821-1865), Gerhard Rohlfs (1831-1896), Ludwig Pietsch (1824-1911), Oskar Lenz (1848­1925), Victor J. Horowitz, Paul Mohr, Adalbert Graf Sternberg (1868-1930), Siegfried Genthe (1870-1904) u. a. gewählt, da sie sowohl qualitativ als auch quantitativ von großer Bedeutung sind. Die Idee zu diesem Thema ist mir bei der Auseinandersetzung mit der Analyse von Passagen aus Reiseberichten im Seminar von Herrn Prof. Dr. Khalid Lazaare eingefallen. Zahlreiche Reisende haben ausführlich über Marokko berichtet und die Religiosität der Marokkaner dargestellt. Die besondere Lage Marokkos an der Küste des Mittelmeers hat zwar das Interesse der großen Mächte auf sich gezogen, aber diese Interessen waren auch durch den Reisebericht, den Wegbereiter auf diesem Sektor, bedingt. Die Reisenden sind das Risiko eingegangen und sie sind in das — ihrer Meinung nach — verschlossene Land eingedrungen, um über Land und Leute zu berichten. Der Akzent wurde in den meisten Fällen auf die islamische Perspektive gelegt.

Sie haben ihren Reiseschilderungen zahlreiche Passagen gewidmet, die über die Religion und die Moral der Marokkaner berichten. Mit einer starken Begierde nach Forschung und Entdeckung einer fremden und „exotischen“ Welt haben die Reisenden dem deutschen Leser bestimmte Informationen über Marokko vermittelt. Informationen, die man zwar als Tatsachen und Begebenheiten betrachten kann, aber auch als klischeehafte Bilder.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Islamwahrnehmung der Marokkoreisenden. Dabei soll erkennbar gemacht werden, ob die Reisenden ein positives oder ein negatives Bild vom Islam übermittelt haben. Die Geschichte ist von Belang, da sie vor allem dazu dient, die Gegenwart zu verstehen. Deshalb wird zunächst im ersten Abschnitt eine prägnante historische Darstellung über das Islambild im Mittelalter gegeben. Der Islam war für die christliche Welt am Anfang seiner Erscheinung ein Problem. Er stellte das Christentum in Frage und führte eine Krise herbei, für die die Theologen keine Lösung finden konnten. Aufgrund der Ignoranz und der Entfremdung entstand ein falsches Bild vom Islam, vom Propheten und von den Arabern im Allgemeinen. Man bezeichnete den Islam als Häresie und Teufelwerk. Der Prophet wurde als Antichrist, Intrigant, Heuchler, Lügenprophet, Umstürzler, Unruhe- und als Sektenstifter gesehen. Und die Araber seien Heiden, Barbaren, Hirten und fanatische Krieger. In diesem Abschnitt wird es auch unter Berücksichtigung des darin vorkommenden

Islambildes über die Orientrezeption und über Marokko als Reiseziel kurz gesprochen. Der zweite Abschnitt liefert eine Veranschaulichung des Islambildes in Marokko. Es kommt dem ersten Moment der Begegnung mit der Fremde eine besondere Rolle zu. Tanger war meist der Ort der ersten Anschauung, deshalb beschäftige ich mich damit, um die Betrachtungsweise der Reisenden herauszunehmen. Später werde ich mich mit Marokko als islamischer Region, mit den Moscheen, mit den Aspekten der Religiosität der Marokkaner und mit der Heiligenverehrung auseinandersetzen. Darauf folgend werden im dritten Abschnitt die Stereotype über den Islam untersucht und besonders in Marokko.

Was sind die klischeehaft dargestellten Bilder über den Islam in Marokko? Sind die Einstellungen der Reisenden zu dem Islam aus einer genauen Kenntnis desselben und aus einem engen Kontakt mit den Landleuten entstanden oder sind sie nur ur-alte wiederholte, pauschale Vorurteile?

Das Ziel meiner Arbeit ist, anhand von konkreten Beispielen, das entworfene Bild über Marokko und über die Religiosität der Marokkaner in Einzelheiten zu untersuchen, es objektiv zu analysieren und zu kommentieren. Die Aufdeckung der Stereotypisierung und Vorurteile gegenüber der marokkanischen Bevölkerung ist auch Ziel dieser Arbeit.

1. Das Islambild im Mittelalter:

Die Erscheinung des Islam war für die christliche Welt von Anfang an ein Problem. Manche Orientalismus- und Geschichtswissenschaftler (u.a. Edward Said, Henri Pirenne, Bassam Tibbi) gehen sogar davon aus, dass Europa als zivilisatorische und kulturelle Einheit aus dem Konflikt mit dem Islam quasi „geboren“ wurde. Die schnelle Ausbreitung des Islam zieht das Konzept des Christentums in Zweifel, da er das Christentum zwar als monotheistische Religion anerkannte aber stark kritisierte. Der Islam erklärt sich als eine Religion, die an den einen, einzigen Gott glaubt, er leugnet jedoch, dass dieser Gott in seiner Einheit eine Dreifaltigkeit ist: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Der Prophet des Islam ist für die ganze Menschheit und stammt auch aus Abraham. Er akzeptierte die Bibel als eines der Bücher Gottes, bezeichnete sie aber als eine verfälschte Bibel, die durch das Unrecht des Menschen entstellt wurde. Der Islam behauptet auch, dass Jesus nicht am Kreuz gestorben ist und dass die Menschen keinen Vermittler zwischen sich und Gott brauchen, denn jeder trägt seine eigene Last, und keiner trägt die Last anderer. Zwar anerkannte der Islam Jesus und seine jungfraüliche Geburt, aber er zeichnete ihn als Propheten und nicht als Gott oder Gottessohn, und er weist darüber hinaus den christlichen Glauben an seinen Glauben zurück. Die Muslime fühlen sich den Christen sehr nahe und zugleich sehr fern. Diese Lage entspricht den verschiedenen Koranversen über die Christen. Man kann die Informationen des Korans in diesem Zusammenhang wie folgt zusammenfassen. Für den Koran gibt es zwei Kategorien von Christen: Die Christen, die dem Islam ziemlich nahe stehen. Und dagegen gibt es Christen, die sich von der wahren Botschaft Christi entfernt haben; sie verdienen daher Tadel und Verurteilung. Dagegen bekamen diejenigen, die sich in der Nachfolge Christi besonders ausgezeichnet haben, ein hohes Lob:

„Hierauf ließen Wir auf ihren Spuren Unsere Gesandten folgen; und wir ließen Isa, den Sohn Maryams, folgen und gaben ihm das Evangelium. Und Wir setzten in die Herzen derjenigen, die ihm folgen, Mitleid und Barmherzigkeit, und (auch) Mönchtum, das sie erfanden- Wir haben es ihnen nicht vorgeschrieben-, (dies) nur im Trachten nach Allahs Wohlgefallen. Sie beachteten es jedoch nicht, wie es ihm zusteht. Und so gaben Wir denjenigen von ihnen, die glauben, ihren Lohn.

Aber viele von ihnen waren Frevler. “1 (Der edle Qur’an 57: 27, Übersetzung: Scheich Abdullah as-Samit, Frank Budenheim und Dr. Nadeem Elyas.2004)

Die islamische Zivilisation im Mittelalter war den Europäern auf der intellektuellen, sozialen und kulturellen Ebene überlegen. Um zu zeigen, dass sich die islamische Gesellschaft so sehr von der europäischen unterschied, schreibt Richard William Southern in seinem Werk: „ Das Islambild des Mittelalters“:

Für nahezu die ganze Epoche des Mittelalters gilt: Der Westen war eine vorwiegend agrarische, feudale und klösterliche Gesellschaft, während die islamische Welt sich durch große Städte, reiche Höfe und effektive Kommunikationswege auszeichnete. Während der Westen eine klerikale Gesellschaft ausgebildet hatte, in der das Zölibat und eine hierarchische Ordnung zu den zentralen Werten gehörten, war der Islam von Toleranz, Sinnlichkeit und Denkfreiheit geprägt.[1] [2]

Der Islam stellte sogar die Christen und ihre Institutionen unter den Schutz der islamischen Gemeinschaften in allen Ländern des Islam. Er war offen und zeigte sich bereit zu gelassenen religiösen Debatten. Diese Bereitschaft zum Dialog ist eine im Koran verwurzelte Disziplin: „Sag: O Leute der Schrift, kommt her zu einem zwischen uns und euch gleichen Wort: dass wir niemandem dienen, außer Allah und Ihm nichts beigesellen und sich nicht die einen von uns die anderen zu Herren außer Allah nehmen. Doch wenn sie sich abkehren, dann sagt: Bezeugt, dass wir (Allah) ergeben (Muslime) sind. “ (Der edle Qur’an 3:64)[3]

Dieser Koranvers ist nicht nur eine Forderung zum Dialog, sondern auch ein Einigungsangebot an die Leute der Schrift. Ein Angebot, das auf einem gleichen Wort basiert. Nämlich: Niemandem außer Allah dienen.

Ziauddin Sardar erklärte in seinem Werk: „Der fremde Orient, Geschichte eines Vorurteils“, dass das mittelalterliche Christentum zu dieser Auseinandersetzung nicht bereit war:

Der Islam hatte kein Problem mit dem Christentum, er hielt seine Türen offen und gewährte ihm und seinen Institutionen in muslimischen Ländern Schutz. Das Christentum seinerseits war zu solch einer ökumenischen Höflichkeit nicht bereit.[4]

Durch die schnelle Ausbreitung des Islam, der verschiedene Völker in seinen Bannkreis gezogen hat, sah sich das Christentum sehr bedroht. Anstatt den Islam zu erforschen, hat sich das Christentum abgegrenzt und gegen die Einflüsse der islamischen Welt abgeschlossen:

Es rang in Europa um eine orthodoxe Lehre und pochte auf die Einzigartigkeit der christlichen Botschaft und Kirche, einer Kirche zumal, die für sich in Anspruch nahm, der Leib Christi zu sein und Gottes Vorsehung auf Erden zu erfüllen.[5] Das Christentum fühlte sich gezwungen, dieser Herausforderung zu begegnen. Um dem Islam entgegenzusetzen, erfand man viele Methoden, nämlich: die Kreuzzüge und missionarische Kampagnen. Die Beziehung nahm sogar den Weg des Zusammenlebens und des Handels und der geistigen Auseinandersetzung.

In der Theologie stellte der Islam das Christentum in Frage und führte eine Krise herbei, für die die Theologen eine Lösung finden mussten. Man fragte, ob der Islam ein Zeichen der Stunde des Gerichts und der Auferstehung ist. Ist er eine Häresie, ein Teufelwerk oder wirklich eine neue Religion, die den Respekt und die wissenschaftliche Forschung verdiente? Richard William Southern erklärte, dass es für das Christentum und für das westliche Wesen im Allgemeinen sehr schwer war, den Islam kennen zu lernen und auf alle diese heiklen Fragen eine Antwort zu finden. Bevor man die Wahl trifft, diese Fragen zu beantworten, war es unbedingt den Islam authentisch kennen zu lernen. Aber das war nicht leicht. Es entstand eine historische Problematik, die ihre Lösung ohne die notwendigen Sprachkenntnisse und ohne das Kennen der islamischen Kultur unmöglich war. Zu dieser Situation vermischten sich Angstgefühl, Vorurteile und der Wunsch auf die Erforschung des Islam zu verzichten.[6] Die Theologen des Christentums waren plötzlich mit einer neuen Religion konfrontiert, die die Prinzipien der Christenheit in Frage stellte. Sie gerieten in Angst und Zweifel, dass die Möglichkeit einer sachlichen Wahrnehmung unmöglich wurde. R. W. Southern zitiert ein

Wort von Samuel Johnson anlässlich seines Gesprächs mit einem Mann namens Murray. Samuel Johnson beschrieb genau die Gründe der verlegenen mittelalterlichen Debatten über den Islam: wenn man nichts zu verlieren hat, berücksichtigt man die besonderen Interessen des Anderen. Es ist dagegen aber normal wütend gegen jemanden zu sein, der scharf meinen tief verankerten Standpunkt kritisiert. Jeder der meine Überzeugung angreift, beeinträchtigt gewissermaßen auch meinen Glauben und bringt mich somit in geistiger Verwirrung.[7] Diese Aussage von Samuel Johnson, der nach William Shakespeare der meistzitierte englische Autor ist, zeigt die durch den Islam verursachte Verlegenheit, wodurch das Christentum nicht weiß, wie es sich verhalten soll. Aber diese Lage hat die Christenheit dazu angeregt, sachlich den Islam in seinem Ursprung zu erforschen. Zwar gab es schon früh christliche „Kampfschriften“ gegen den Islam. Aber solche Schriften entstanden nur aus der Suche in den alten lateinischen Texten und sind keine vorurteilslosen Betrachtungen. Niemand nahm auf, den religiösen Grundtext der anderen Seite wirklich kennen zu lernen. Erst fünf Jahrhunderte nach dem Beginn des Islam entstand die erste Übersetzung des Korans ins Lateinische. In einer anderen Aussage bringt R. W. Southern zum Ausdruck, dass die Ursachen der Unwissenheit über den Islam nicht nur im Mangel an den Sprachkenntnissen liegen, sondern auch darin, dass man einfach den Islam nicht mehr erforschen wollte:

Die Männer, die diese Sichtweise entwickelten, schreiben auf Grund eigener Erfahrungen - und diese Erfahrungen bezogen auf die einzige feste Grundlage, die ihnen zur Verfügung stand: die Bibel. Dass sie nichts vom Islam wussten, lag nicht daran, dass er ihnen so fern lag wie noch den karolingischen Gelehrten, sondern ganz im Gegenteil an der Tatsache, dass sie inmitten des Islam lebten.

Wenn sie wenig von dem begriffen, was um sie herum geschah und sie sich im Islam nicht auskannten, dann deshalb, weil sie es nicht wollten.[8] Aufgrund dieser absichtlichen Ignoranz entstand natürlich ein falsches Islambild, das immer noch existiert: der Islam sei eine finstere Verschwörung gegen das Christentum. Man kannte den Propheten Mohammed in dieser Zeit nur als den Antichristen, Intriganten, Heuchler, Lügenpropheten, Umstürzler, Unruhe- und Sektenstifter. Dieses Bild der Phantasie dauerte sehr lange. Nachdem das Trugbild sowie ein starker Haß gegen den Islam verankert wurden, entwickelte sich eine starke Bewegung, die gegen die Ausbreitung des Islam eingesetzt wurde. Die Idee der Kreuzzüge war geboren. Im 12. und im 13. Jahrhundert forderten die

Päpste zu den Kreuzzügen nach dem Orient auf. Das „Ziel“ war, das heilige Land von den „wilden Heiden“ zu befreien. Um einen durchschlagenden Erfolg zu haben und die Truppen zu motivieren, vermischte man die Idee der Kreuzfahrt mit der Lehre von der guten Tat und der Pilgerfahrt. Aber das zentrale Ziel der Kreuzzüge, d.h.: das heilige Land von den wilden Heiden zu befreien, war nicht total begründet. Es gab eigentlich andere Motive, die man nicht zum Ausdruck bringt. Die Kreuzzüge waren auch mit dem religiösen Antrieb und mit den kolonialen Perspektiven verbunden. Man nannte die Kreuzzüge sogar als eine bewaffnete Wallfahrt. Es handelte sich um eine Propaganda, die die Prediger geschickt und schnell verbreiteten:

A travers tout l’Occident, des milliers de fidèles allaient prendre la croix. Les hommes firent l’expérience de la force de persuasion d’une propagande habilement et assidûment menée. En plus des exhortations orales faites par les prêtres et prédicateurs, on trouvait toutes sortes de petites brochures qui traitaient en détail du comportement odieux des Musulmans.[9] „Durch den ganzen Okzident griffen Millionen von Gläubigern nach dem Kreuz. Die Männer erlebten die Wirkung der Überzeugungskraft von einer Propaganda, die man geschickt und beharrlich verbreitete. Innerhalb der mündlichen Ermahnungen der Priester und der Prediger fand man alle Arten von kleinen Broschüren, die die Grausamkeit der Muslime ins Detail beschrieben. „ (Eigene Übers.)

Nachdem das Bild der Muslime verdüstert wurde, erweiterten die Prediger, dass die Gegner von Gott verworfene, grausame und barbarische „Heiden“ sind, die entweder getauft oder umgebracht werden sollen. In dieser Hinsicht ist es von großer Bedeutung, die Bilder der Muslime, die in den mittelalterlichen Werken auftauchen, zu behandeln. Hierzu kommen die Wörter „Heid“ und „Sarazene“ zum Ausdruck.

Aus mhd. (mittelhochdeutsch) heide (bes. Sarazene). (...). Lat. papanus "Heide"

(ital. pagano, frz. païen) kommt in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts auf, nachdem durch Konstantin und seine Söhne das Christentum Staatsreligion geworden und die alte Religion aus den Städten auf das Land zurückgedrängt worden war.[10]

So ist dadurch klar, dass das mittelhochdeutsche Wort "heide" mit dem Wort "Sarazene" identisch ist und bezeichnet die Angehörigen der dritten von den damals in Europa bekannten Weltreligionen, nämlich die Muslime. (Es ist dabei notwendig zu beachten, dass das neuhochdeutsche Wort „Heide“ etwas Anderes bedeutet, nämlich gottlose Menschen oder die Anhänger einer eher einfachen Naturreligion.). Neben den Bedeutungen, Araber oder Muslime bedeutet das Wort Sarazene auch einen fanatischen Krieger:

Les successeurs de Constantin sur le trône de Byzance avaient eu à combattre toutes sortes d’envahisseurs asiatiques ; les Byzantins les avaient appelés sarakenos, « orientaux », si bien que le mot «sarrasin » en vint à désigner un guerrier fanatique.[11]

„Die Nachfolger von Konstantin auf den Thron von Byzanz mussten alle asiatischen Eindringlinge der Zeit bekämpfen; die Byzantiner nannten sie sarakenos, « Orientalen ». Somit bezeichnet das Wort «sarrasin» einen fanatischen Krieger.“ (Eigene Übers.

Mit der Pilgerreise können die Teilnehmer ihre Sünden büßen. Durch die Teilnahme an dem Kreuzzug und besonders durch den Tod im Kampf gegen die Muslime wird man das Seelenheil beziehungsweise die ewige Seligkeit erlangen.

Solche propagandistische Überzeugungen liegen den meisten Schriften der Zeit zugrunde. Zahlreiche Werke propagieren deutlich und direkt den Kampf gegen die Muslime:

Die Greuelpropaganda nutzte dabei bewusst das fehlende Wissen über den Islam und verzerrten das falsche Bild sogar noch mehr, um die Kreuzzüge propagandistisch zu unterstützen.[12]

Im Rahmen dieser wissenschaftlichen Darstellung ist es nicht möglich, auf alle Details der Geschichte der Kreuzzüge einzugehen. Außer dem kriegerischen Kontakt zwischen dem Islam und dem Christentum ist es in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung, einen Hinweis auf die geistige Auseinandersetzung zu geben.

Die geistige Auseinandersetzung:

Zwischen dem arabisch- islamischen Orient und dem christlichen Westen existieren seit den frühesten Zeiten bis heute rege Verbindungen. Auch innerhalb der Kriegszeiten gab es immer Kontakte. Die Formen dieser Kontakte zeigen sich im Handel, in der Kultur und in der Wissenschaft usw. Aber die Kenntnis des Christentums vom Islam war - wie schon erläutert- durch viele Vorurteile geprägt. Zwar hinderte diese Situation nicht, dass die Kontakte mit dem Orient (die Kultur von al-Andalus) aufgenommen wurden. Aber diese Vorurteile verursachten ein verzerrtes Bild des Islam. An erster Stelle wurde es kühn behauptet, dass der Einfluss des Morgenlands auf das Abendland viel älter ist als der umgekehrte, da die Kultur des Ostens viel älter als die Kultur des Westens ist. Es ist ja bekannt, dass die kulturelle Neigung zum Osten groß war. Was die Handelsbeziehungen anbetrifft, weckte der Orient stets das Interesse der Kaufleute, die nach Reichtum suchten. Damals war der Orient ein Symbol für Reichtum und Wohlstand:

Ein Blick in mittelalterliche Romane zeigt (und Literatur ist in solchen Dingen immer ein deutlicher Indikator), dass nach damaliger Meinung fast alles, was gut ist, teuer, raffiniert und luxuriös war, aus dem Orient stammte, nämlich aus den arabischen Ländern, aus Persien, der indischen Halbinsel oder gar dem fernen Osten. Eine Zwischenstation die seit der römischen Antike begehrten Waren des Ostens, wie Stoffe (Seide!), Edelstein, Gewürze, Parfums und allerhand Wohlgerüche (...), ferner Waffen und verschiedene Luxusgegenstände nach Europa. Dessen im Orient begehrte Waren waren damals Wolle, Tuche, Pelze, Bernstein und Eisen, darunter auch für militärische Verwendung.[13] Die geistige Auseinandersetzung mit dem islamischen Orient war nicht ohne Vorurteile. Man hat eine Anzahl von entstellten Bildern entwickelt, die sich allmählich verbreiteten. Durch das ununterbrochene Reisen der Pilger und Kreuzfahrer nach dem Orient hat sich ein Schrifttum entwickelt, das Bilder aus dem islamischen Orient enthält. Aber nicht das ganze produzierte Schrifttum kann als echte geistige Auseinandersetzung gesehen werden, denn die Erzählungen der Zeit sind nur bloße Phantasmagorien. Zum Beispiel vermittelten die Kreuzfahrer wegen des Mangels an Wissen kein echtes Bild über den Islam, sondern nur märchenhafte Geschichten, die keinen Sinn haben:

Auch die Kreuzfahrer brachten kein neues Wissen mit nach Hause, sondern lediglich Märchengeschichten über die Herrscher im Heiligen Land. Mohammed wurde zum Zauberer degradiert, der die Kirche in Afrika und im Osten zerstört habe. Sein Lockmittel sei die Aussicht auf Promiskuität gewesen, an der er schließlich selbst zu Grunde gegangen sei, als er mit einer Herde Schweine zugange war. Bei seinem Tod sei ein weißer Stier erschienen, um seinen Anhängern Angst einzuflößen, und habe Mohammeds Gesetze auf den Hörnern fortgetragen.[14]

Laut Ziauddin Sardar modifizierte man die entstellten Bilder und die ideologischen Begründungen für die Kreuzzüge, um die Kreuzfahrer zu motivieren. Es handelte sich um ein dauerhaftes Engagement, womit man die Kreuzfahrer für den Krieg gegen den Islam sammelte. Die Gründe der Entwicklung dieser Phantasmagorien über den Islam lagen darin, dass man die Distanz zwischen dem Islam und dem Christentum beabsichtigte. Eine Distanz, die von verzerrten Bildern, Unwissenheit und Ignoranz „ernährt“ wurde:

Außerdem sorgte man dafür, daß sich die Christen, die sich im Mittleren Osten niedergelassen hatten, nicht mit der örtlichen Bevölkerung vermischten. Vom Islam entwarf man bewußt ein verzerrtes Bild, um einen engeren Kontakt und ein besseres Verständnis zwischen den beiden Religionen zu verhindern.[15] Einer der Gründe der Begrenzung und Distanzierung des Christentums liegt auch im Überlegenheitsgefühl. Die lateinischen Christen fühlten sich überlegen, und zwar in Bezug auf ihren Glauben. Sie glauben, dass sie die einzige „richtige“ Religion, das richtige Christentum besitzen. Ein Überlegenheitsgefühl, das nicht nur dem Islam gegenüber empfunden wird, sondern auch gegenüber den Juden und allen anderen Religionen. Das christliche Überlegenheitsgefühl hatte eine enge Verbindung mit der alten Vorstellung der „Barbaren“. Der erste Europäer, d.h. der Grieche und dann der Römer nannten die Anderen, d.h. die unverständlich sprechenden Menschen Barbaren (lat. barbarus griech. bárbaros). Dieser Begriff zeigt ein kulturelles und zivilisatori­sches Überlegenheitsgefühl, das an Hochmut grenzte.

Was die Literatur des Mittelalters anbetrifft und bezüglich der geistigen Auseinandersetzung mit dem Islam, behauptet Ulrich Müller in einer seiner Vorlesungen über das Thema, dass der Orient als Thema in allen mittelalterlichen Gattungen der Literatur vorkommt und zwar: In der Epik, in der Lyrik und im damaligen Theater. Ulrich Müller lässt in dieser Hinsicht vier Gruppierungen unterscheiden:

(1) epische und lyrische Werke, in denen für einen Kampf gegen die Muslime Propaganda und Agitation betrieben wird; (2) lyrische Werke, die das spezielle Thema „Abschied des Krieges“ (Ritters) für einen Kreuzzug behandeln; (3) Werke, in denen der Orient und die muslimische Welt den Raum für Abenteuer bilden; (4) sowie schließlich Werke, in denen die Realität und dann auch die Ideologie der christlichen Kreuzzüge und Kämpfe kritisch hinterfragt und direkt kritisiert werden.[16]

Als sich der Islam als politische Macht konsolidiert hatte, begannen sowohl die Umajjaden- als auch die Abbasiden- Kalifen Wissenschaft und Kultur zu fördern. Die Muslime machten auf ihre Art und Weise das Erbe der Antike fruchtbar und überlieferten es den Ländern des Westens. Sie brachten aus den fernen Ländern des Ostens, was die Griechen und die Römer nicht gekannt hatten:

Der abbasidische Islam sog das Wissen der Welt in sich auf, verleibte es sich durch Übersetzungen ein und machte es durch die neue Universalsprache Arabisch universal zugänglich.[17]

In Spanien forderten die Muslime unter den Umajjaden das kulturelle Leben. Unter Abdu - rahmân erlebte die Wissenschaft ihre Blütezeit. Die islamischen Hochschulen: In Cordoba, Sevilla, Granada und in Toledo waren die berühmtesten und meist besuchten Universitäten der Welt. (Diese wurden von vielen Gelehrten und Studenten aus vielen europäischen Ländern besucht.) In dieser Zeit feierte man die Leistungen der arabischen Hochkultur in der Mathematik, Geographie und Medizin, im Bildungswesen, in der Krankenfürsorge und in der Schiffbaukunst.

Die hervorragenden Wissenschaftler, die das europäische Mittelalter auf höchster Stufe beeinflussten, waren zahlreich. Ibn Sinâ. war als Avicenna bekannt. Im 12. Jahrhundert übersetzte man fast ausnahmslos seine Schriften ins Lateinische. Seine hervorragenden

Werke galten als Grundlagen des Unterrichts. Man nennt auch Ibn Ruschd (lateinisch Averroes), den Mediziner und Astronomen Ibn al- Haitam und viele andere.[18] Nach der wissenschaftlichen Akademie Bait al- Hikma [19] in Bagdad wird Toledo durch Übersetzungen das wichtigste internationale Zentrum der Wissensbewahrung und Wissensweitergabe. Dort wurde der Koran zum ersten Mal ins Lateinische übersetzt:

Doch übersetzte man nicht nur Werke aus Wissenschaft und Philosophie, sondern auch Grundwerke des Islam. Der Koran wurde gar zweimal ins Lateinische übersetzt. 1134 beauftragte Petrus Venerabilis, der berühmte Abt von Cluny, den Engländer Robert von Chester damit, nach Spanien zu reisen und erstmals den Koran ins Lateinische zu übersetzen. (...); berühmt wurde er aber durch seine Koran- Übersetzung, die jahrhundertlang das Bild des Islam in Europa geprägt hat. Zwei Generationen später machte sich ein Toledaner erneut an diese Aufgabe;(...). Erklärter Zweck dieser Übung war natürlich die Widerlegung des islamischen Glaubens: Man wollte den Feind nicht nur mit « körperlichen Waffen », sondern auch geistig überwinden und so dem christlichen Glauben zum Siege verhelfen.[20]

Diese erste Übersetzung des Korans spielte eine entscheidende Rolle bei der geistigen Auseinandersetzung zwischen Muslimen und Christen. Da Martin Luther diese Koran­Übersetzung gutachtete, empfahl der evangelische Theologe Bibliander, sie zu drucken.

Im Jahre 1543 wurde diese Übersetzung den gebildeten Lesern in Basel zugänglich gemacht. Diese Übersetzung war aber mit Mängeln behaftet, deshalb nannte man sie eher eine Paraphrase des Korans als eine richtige Übertragung.[21]

Zwar wurden in der Zeit des Mittelalters auch ernste Versuche der Annäherung zu den Muslimen gewagt; man nannte zum Beispiel Nikolaus von Cusa. Eifrig studierte er viele Religionen und zeigte viel Verständnis und Toleranz. Die Ergebnisse seiner theologischen Überlegungen fuhren ihn dazu, nach einem positiven Dialog zwischen den Muslimen und den

Christen zu spähen. Aber trotzdem blieben diese Annäherungsversuche ohne einen besonderen Erfolg.

Anlässlich der Belagerung von Wien durch die Türken unter Suleiman im Jahre 1529 entstand eine Schrift von Martin Luther gegen die Türken. „Heerpredigt wider die Türken“. Durch diese Schrift ermahnt Martin Luther die Deutschen dazu, den Kampf gegen die Türken aufzunehmen. Luther sprach von den Türken und meinte damit stets die Muslime. Laut ihm sind Muslime Werkzeuge des Zornes Gottes gegen die unchristlichen Christen.[22]

Die Gelegenheit kommt Luther auf den Islam zu sprechen, Muhammad ist für ihn der Apostel des Teufels und der Koran ein faul schendlich buch .[23] Außer den Schriften von M. Luther zeigte die Literatur dieser Zeit eine Fülle von Schriften, in denen sich der Schrecken vor den Türken, d.h. vor den Muslimen, widerspiegelt.[24] Die so genannte „Türkengefahr“ stellte eine Zweiteilung: Türken (Muslime) gegen die Christen her. Das vermittelte Bild des Moslems sei ein Bild eines fanatischen Antichristen, der Europa „den letzten Hort der Christenheit“ erobern wollte:

Ganz im allgemeinen stand das Abendland dem Islam vom 7. bis Ende des 17. Jahrhunderts, also während rund eines Jahrtausends, feindlich gegenüber. Erst mit dem Ende des 17. Jahrhunderts bahnte sich allmählich eine Wende an. Die zahllosen kriegerischen Auseinandersetzungen ließen keine vorurteilslose Betrachtungsweise aufkommen.[25]

Die Wissenschaftler des Mittelalters, die sich mit der islamischen Frage auseinandergesetzt hatten, konnten keine praktischen Alternativen geben, um von der Klemme der Zeit einen Ausgang zu finden.[26]

2. Die Orientrezeption:

Ziauddin Sardar behauptet in seinem Werk: „der fremde Orient“, dass der Westen den Orientalismus erfand, um der Herausforderung gegenüber dem Islam zu begegnen:

Erschwerend kam hinzu, daß die muslimische Zivilisation der europäischen auf intellektuellem, sozialem und kulturellem Gebiet überlegen war. Um dieser Herausforderung zu begegnen, erfand man den Orientalismus.[27] Der islamische Orient hat die Bildung des Menschengeschlechts bestimmt. Deshalb hat er die Aufmerksamkeit der Kulturländer in höchster Stufe auf sich gelenkt. Schon frühzeitig fing die römisch- katholische Kirche an, Missionare nach dem Orient zu senden, um die Muslime zu bekehren. Seit jener Zeit datiert eine wichtige geistige Beziehung zwischen dem Morgenland und dem Abendland. Die Missionare brauchten natürlich für ihre Versuche der Bekehrung die Bibel in arabischen Drucken. Damit erwachte das Studium der orientalischen Sprachen (Es kommen drei Sprachen in Betracht, das Türkische, das Arabische und das Persische.). Zunächst beschäftigte man sich mit dem Arabischen. Man sandte Gelehrten und Studenten zum Orient, druckte und übersetzte arabische Texte, die Wissenschaft und Glaubenslehre der Muslime beinhalten. Das 17. Jahrhundert brachte eine Reihe von vortrefflichen Orientalisten wie J. H. Hottinger, Samuel Bochart und Ludolf Krehl, die sich mit dem Vergleich der semitischen Sprachen beschäftigten. Auch Frankreich und England leisteten in dieser Hinsicht Hervorragendes.[28]

Die Erzählungen von „Tausendundeiner Nacht“ hatten die Welt am Anfang des 18. Jahrhunderts „erobert“. Durch die Übersetzung des französischen Orientalisten Jean Antoine Galland (1704-1715) wurden die Erzählungen von tausendundeiner Nacht einem großen europäischen Publikum bekannt. Gleich danach erschienen die Übersetzungen in den wichtigsten europäischen Sprachen. Die erste deutsche Übersetzung erschien bereits 1781­1785 durch den berühmten Klassiker Johann Heinrich Voß. J. W. von Goethe beschäftigte sich sein Leben lang mit den Erzählungen aus tausendundeiner Nacht; bereits als Knabe lernte er diese orientalischen Geschichten von seiner Mutter und seiner Großmutter kennen. Goethes Inspirationen aus 1001 Nacht finden sich in Hülle und Fülle in seinem literarischen

Schaffen.[29] Die deutsche Turkologin, Autorin und Professorin Ursula Spuler-Stegemann schrieb in einem "Spiegeľ’-Artikel, dass die Geschichte des Islam in Deutschland mit dem Kalifen Harun al - Raschid beginnt:

Die Geschichte des Islam in Deutschland beginnt wahrscheinlich mit dem Kalifen

Harun al - Raschid. Von ihm berichten die Märchen aus „Tausendundeiner

Nacht“, wie er als Kaufmann verkleidet durch die nächtlichen Straßen von

Bagdad wandelte, um die Bedürfnisse seiner Untertanen kennenzulernen.[30] Diese Aussage zeigt, wie tief die Erzählungen aus 1001 Nacht die deutsche Wahrnehmung des Orients beeinflussten. In den Märchen von tausendundeiner Nacht tauchten u. a. die folgenden Themen auf: der Fanatismus der muslimischen Herrscher, die üppigen

Haremsdamen, die nächtlichen Orgien, die sexuelle Lust der Araber usw. Die Erzählungen der1001 Nacht trugen zusammen mit den Reiseberichten und Forschungen zu einem ausgeprägten westlichen Orientbild bei.

Die Ära des Humanismus zeichnete sich durch einen starken Austausch von den kulturellen und geistigen Werten. Toleranz ist in dieser Hinsicht zu einer der wichtigsten humanistischen Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens geworden. Zwar strebte der Humanismus im Verhältnis zur Religion nach einer universalen Religiosität, die auf Toleranz basiert. Aber diesem Ziel bietet man keine besondere Leistung. Als Beispiel des humanistischen Denkens nenne ich das Werk von Gotthold Ephraim Lessing: „ Nathan der Weise“. Lessing berichtet mit seiner berühmten Ringsparabel über das Verhältnis der Religionen zueinander. Er setzt mit seinem Werk, das in die Literaturgeschichte eingegangen ist, auf eine universale Idee der Menschheit.

Im Zeitalter der Aufklärung wendet man sich gegen Aberglauben, Vorurteile und Autoritätsdenken. Im europäischen Denken begann eine regelrechte Änderung. Zum ersten Mal wurde der Andere mit einer großen Intensität untersucht. Aber die Vorurteile existieren trotzdem immer noch:

Die Zeit der Aufklärung brachte ihrerseits zwar ins Abendland die Befreiung von der Unterordnung unter religiöse Zwecke, doch Vorurteile gegenüber dem Islam blieben bestehen.[31]

Man denkt immer noch, dass die Muslime zumeist wilde und rohe Heiden sind. Z.B. der französische Aufklärer Voltaire bezeichnete den Propheten in seiner Schmähschrift: „Le fanatisme ou Muhammed le prophète“ als einen blutdürstigen, revolutionären Umstürzler und als betrügerischen und scheinheiligen Tyrannen. Damals feierte das Vorurteil von Voltaire längst seine Triumphe. Das Bild des Propheten Mohammed als Betrüger erschien auch bei Pierre Bayle in seinem „Dictionnaire Historique“. Die positive Wende in der Beurteilung des Propheten erschien erst im Jahre 1705 durch einen holländischen Gelehrten namens Hadrian Reland: „de religione Mohammedica.“ und durch die Koran- Übersetzung von Georg Sale im Jahre 1734.[32]

Durch die gründlichen, eifrigen Studien Goethes über den Propheten und nachdem er alle ihm zugängliche Literatur darüber gelesen hatte, entwickelte er eine positive Einstellung zum Islam und zu dem Propheten. Dank seiner sprachlichen Empfindung fühlte er den verbreiteten Mangel an Respekt vor dem Propheten und wusste, dass der Prophet Mohammed die edelste Natur der Weltgeschichte ist. Goethe war daher der Wegbereiter eines neuen Verhältnisses zur arabischen Welt. Durch seine intensive und fruchtbare Beschäftigung mit dem Orient: z. B. „Der West-östliche Diwan“ machte er möglich, dass ein neues Bild vom Orient, und besonders vom Islam, durchgesetzt wurde.

Was den Reisebericht und die Reisebeschreibungen angeht, kommt dem Zeitalter der Aufklärung eine entscheidende Rolle zu:

Im 18. Jahrhundert, der Epoche der Aufklärung, bricht sicht schließlich eine wissenschaftliche Erforschung und Aneignung der Welt Bahn; es entwickelt sich nicht nur ein neuer Typ der Reise, sondern auch eine neue Form des Reiseberichts: die primär wissenschaftliche Reise und ein entsprechender Bericht, der vor allem die wissenschaftlichen Ergebnisse einem Fachpublikum mitteilen will.[33]

Diese Periode schließt die Epoche der „Wildheit“ ab und eröffnet die Epoche der Neuzeit. Eine neue Sprache und ein neues Vokabular tauchen auf. Diese sind: universale Wissenschaft, Weltliteratur, Weltregierung und Weltbürger. Zwar forderte Goethe die Künstler und Denker auf, die Grenzen ihrer Kultur bzw. ihrer Nation zu überschreiten. Aber die Wissenschaftler z. T. taten dies für das Interesse der Kolonialherrschaft Europas. Diese Zeit datiert den großen Aufbruch Europas, die Welt zu erforschen, um sie zu erobern. Europa sandte seine Forscher, seine Kaufleute und seine Missionare, um die weit entfernten, „verschlossenen“ Länder zu erkunden. Die Anthropologie als neuer Zweig der Soziologie widmete sich dem Anderen als Forschungsgebiet. Unter Anlehnung an diesen anthropologischen Forschungen wird zwar der Begriff „Wild“ weiterhin verwendet, aber er wird mit dem Adjektiv „gut“ versehen - d.h. der gute Wilde.[34] Unter dem Vorwand, den Unkultivierten die Zivilisation zu vermitteln, - man spricht nicht von Kolonialismus, sondern von einer zivilisatorischen Mission- wurden die Länder erobert.

3. Marokko als Reiseziel; Imperialistische Tendenzen :

Mit den durch die kolonialen Eroberungen gestärkten Interessen am schwarzen Erdteil und mit der Eroberung von Algerien durch Frankreich 1830 richteten die europäischen Mächte ihr kolonialistisches Augenmerk auf das noch verschlossene dunkle Stückchen des schwarzen Kontinents - auf Marokko, ein reiches Land, das wegen seiner Lage am Eingang des Mittelmeeres mit einem Hafen wie Tanger den Kampf der europäischen Mächte erregte. So schrieb Paul Mohr:

Dieses Land in der Nordwestspitze des dunklen Erdteils gelegen, umspült von den Wogen des Mittelländischen Meeres und des atlantischen Oceans, in Seenähe der Südwestspitze Europas, ist vielleicht das dunkelste Stückchen des schwarzen Kontinents geblieben, ein afrikanisches China.[35] Diese Behauptung der Verschlossenheit Marokkos von P. Mohr aus dem Jahr 1902 ähnelt gewissermaßen einer anderen Aussage von Maltzan (1863), die besagt, dass Marokko ein verschlossenes Buch sei. Schon die Behauptung von Maltzan stimmt nicht, denn Marokko wurde schon vorher bereist. Man nennt J. Drummond-Hay, Freiherr von Augustin, Prinz Wilhelm von Löwenstein und August von Baeumen.[36]

Um das „unbekannte“ Marokko zu erforschen, sandte Europa die Forscher. Mit der Zeit und mit dem gesteigerten Interesse an Marokko geht eine Literatur über Marokko Hand in Hand. Die französischen „Explorateurs“ u.a. Eugène Aubin und Charles de Foucauld leisteten in dieser Hinsicht vortreffliche Literatur. Unter den deutschen Reisenden waren Ethnologen, Geographen und Geologen usw. Die deutschen Forscher haben sich der „wissenschaftlichen“ Erforschung gewidmet. So war O. Lenz Naturwissenschaftler und Geologe, H. Barth studierte Altertumskunde, er reiste als Sprachwissenschaftler und Geograph, M. Quedenfeldt war Naturwissenschaftler, G. Rohlfs war Forscher und A. Conring bereiste Marokko im Auftrag eines Großindustriellen.[37]

Der Reisebericht als literarische Gattung gewann im 19. Jahrhundert an Bedeutung und Beliebtheit. Er erfüllte nämlich den Wunsch, die entlegen Winkeln der Erde wissenschaftlich zu erforschen. Auch das einfache Publikum liebte die Reisebeschreibung aus der exotischen Fremde, da es daran Gefallen fand. Das Publikum d.h. die „Daheimgebliebenen“ hatte ein großes Interesse an den Reiseerzählungen, denn der Reisende scheint durch seine Erfahrung über die „wahren“ Begebenheiten in fremden Ländern „authentisch“ informieren zu können. Zu den Gründen des Erfolgs des Reiseberichts im 19. Jahrhundert schrieb K. Lazaare:

Für den Erfolg der Gattung werden vornehmlich zwei Gründe genannt: Zuerst einmal brauchte der einfache Bürger sich nur mit realen Reisenden zu identifizieren, um die Illusion zu haben, daß er auch reist und wandert, erforscht und entdeckt. So ersetzte die Lektüre eines Reiseberichtes das Reisen und kompensierte das Nichtreisen. Diese Illusion wurde durch die Ich-Form der Reiseberichte verstärkt. Zum anderen ist festzustellen, daß nicht nur das Reisen selbst, sondern insbesondere auch die Reiseliteratur zu einem Instrument geworden war, Bildungsergebnisse zu gewinnen.[38] Die entstehenden Reiseberichte informieren etwa nicht nur von der geographischen, ethnologischen, geologischen, gesellschaftlichen bzw. politischen Lage Marokkos. Es gab auch strategisch- militärische Studien. Als Beispiel nenne ich die Werke von Max Hübner: „Militärische und militärgeografische Betrachtungen über Marokko“ (1905), „Unbekannte Gebiete Marokkos“ (1905) und das Werk von F. Emmanuel: „Marokko eine militärische und wirtschaftliche Frage unserer Zeit“ (1903). Von diesem letzten zitiere ich eine Feststellung von F. Emmanuel, die einen kolonialistischen maßlosen Wunsch veranschaulicht:

Ganz anderes liegen die Verhältnisse in Marokko. Hier herrscht weder ein Abglanz eigentümlicher Halbkultur, noch Kraft, noch Einheitsgefühl, noch Selbstbewußtsein. Ein roher Barbarenstaat, lose zusammengehalten durch den glühenden Fanatismus des Islam, ragt es wie ein Stück frühen Mittelalters aus der Zeit der weltstürmenden Lehre Mohameds in die Welt unserer Tage hinein, als ein merkwürdiger Rest einer geschichtlichen Vergangenheit, vor welcher wir sinnend halt machen und uns staunend fragen, wie ein solches Zerrbild von Staat dicht vor den Pforten Europas sein Dasein bis in unsere Zeit hinein fortschleppen konnte und noch heute unangetastet steht.[39]

[...]


[1] Der edle Qur’an und die Übersetzung seiner Bedeutung in die deutsche Sprache. Sure 57 Verse 27. König-Fahd-Komplex zum Druck vom Qur’an (Hrg.). Übersetzung: Scheich Abdullah as-Samit, Frank Budenheim und Dr. Nadeem Elyas. Al madina al- Munauwara, 2004, S. 541.

[2] Richard William Southern, zitiert nach Ziauddin Sardar: Der fremde Orient, Geschichte eines Vorurteils. F. die Dt. Ausgabe: Verlag Klaus Wagenbach. Berlin, 2002, S. 37.

[3] Die von mir benutzte Koranübersetzung ist aus der gleichen Quelle.

[4] Ebenda, S. 36.

[5] Ebenda, S.36.

[6] Vgl. Richard William Southern: Das Islambild des Mittelalters. Übers. ins Arabische durch Ridwan al-Said. 2.Auflage. Bayrut, 2006, S.37.

[7] Vgl. Southern, Richard William: a. a. O., S. 38.

[8] Southern, R.W. zitiert nach Ziauddin Sardar: a. a. O., S.38.

[9] Fremantle, Anne : Les grandes époques de l’homme, une histoire des civilisations mondiales : l’âge de la foi. Traduit de l’anglais par Marie-France Rivière. 1966, p. 55.

[10] Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Friedrich Kluge, 4.Auflage, Strassburg.1889,S.136. http://books.google.com/books/download/Etymologisches_W__rterbuch_der_deutschen.pdf7id=C3QKAAAAIAAJ&output=pdf&sig=ACfU3U2b00lTo6WTzKLfIXrVLPeo_KFKYA&so urce=gbs_summary_r&cad=0 22.03.2009

[11] Fremantle, Anne: a. a. O., S. 54.

[12] Sardar, Ziauddin: a. a. O., S. 40.

[13] Müller, Ulrich : Orient und Okzident in der europäischen Literatur des Mittelalters- Ein Überblick. Interdisziplinäres Zentrum für Mittelalter- Studien. (En Ligne).2002, vol. 24. S.2 URL: http://www.uni-salzburg.at/pls/portal/docs/1/544379.PDF 23.03.2009

[14] Sardar, Ziauddin: a. a. O., S. 40.

[15] Ebenda, S. 40.

[16] Müller, Ulrich : a. a. O., S. 7 ff.

[17] Bossong, Georg : Das maurische Spanien: Geschichte und Kultur. München, 2007, S. 73.

[18] Vgl. Eberhard, Serauky: Im Glanze Allahs, die arabische Kulturwelt und Europa, Berlin­Brandenburg Verlag, Berlin, 2004, S. 7.

[19] Das Haus der Weisheit (arabisch: Bayt al Hikma - ^') ist eine Art Akademie, die im Jahr 825 von dem Abbasiden-Herrscher Al-Ma'mun in Bagdad gegründet wurde.

[20] Bossong, Georg: a. a. O., S. 76.

[21] Vgl. Said H. Abdel-Rahim: Goethe und der Islam .Inauguraldissertation, Augsburg,1969, S. 23.

[22] Vgl. Weber, Edmund: Die Bedeutung der Theologie Martin Luthers für die Begründung einer multikulturellen Gesellschaft. Frankfurt/ a. M. 1997, S.1. URL: http://web.uni- frankfurt.de/irenik/relkultur01.PDF. 23.04.09

[23] Said H. Abdel-Rahim: a. a. O., S. 27.

[24] Vgl. Ebermann, Richard: Die Türkenfurcht, ein Beitrag zur Geschichte der öffentlichen Meinung in Deutschland während der Reformationszeit. Inaugural - Dissertation, Halle, 1904, S.68 ff. URL: http://books.google.de/books?id=7TdiAAAAMAAJ&printsec=titlepage&dq=Ebermann,+Ric hard:+Die+T%C3%BCrkenfurcht,&source=gbs_summary_s&cad=0 24.04.2009

[25] Mommsen, Katharina: Goethe und die arabische Welt. Frankfurt/a. M. 1. Auflage, 1988.S. 159.

[26] Vgl. Southern, Richard William: a. a. O., S. 155.

[27] Sardar, Ziauddin: a. a. O., S. 36 ff.

[28] Vgl. Hermann Krüger -Westend: Goethe und der Orient. Weimar, 1903, S.8. URL: http://www.archive.org/details/goeundderorient00wesgoog23.04.09

[29] Mommsen, Katharina: a. a. O., S. 18. ff.

[30] Spuler-Stegemann, Ursula: Der Elefant des Kalifen. Wie der Islam nach Deutschland kam. In: Der Spiegel spezial 2/2008 Allah im Abendland, S.34. URL: http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.html?id=56323062&top=SPIEGEL 07.04.09

[31] Lamrani, Rachid : Toleranz als ethisches Postulat im christlich- islamischen Dialog. Die kulturell- religiöse Dimension im internationalen Verständigungsprozess. In: Alois Wierlacher und Georg Stötzel (Hrsg.) : Blickwinkel. Kulturelle Optik und interkulturelle Gegenstandskonstitution. Akten des 3. Internationalen Kongresses der Gesellschaft für Interkulturelle Germanistik, Düsseldorf 1994: iudicium. ( Publikation der Gesellschaft für Interkulturelle Germanistik, 5. Band), S. 663.

[32] Vgl. Mommsen, Katharina: a. a. O., S. 159 ff.

[33] Hupfeld, Tanja: Zur Wahrnehmung und Darstellung des Fremden in ausgewählten französischen Reiseberichten des 16. bis 18. Jahrhunderts. Dissertation. Bestand der Göttinger Elektronischen Arbeiten (Online). Göttingen, 2007, S. 23. URL: http://webdoc.sub.gwdg.de/univerlag/2007/hupfeld_book.pdf 26.04.09

[34] Vgl. Kapuscinski, Ryszard: Der Andere. Überse. aus dem Polonischen von Martin Pollack. 1. Aufl., Frankfurt am Main. 2008, S. 26.

[35] Mohr, Paul : Marokko, eine politisch - wirtschaftliche Studie. Berlin, 1902, S.1. URL: http://www.archive.org/details/marokkoeinepoli00mohrgoog 26.04.2009

[36] Vgl. Lazaare, Khalid : Marokko in deutschen Reiseberichten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Vorstudien zu deutschen Wahrnehmung einer islamischen Region. 2. Auflage. Fes, 2005, S.19.

[37] Vgl. Weidmann, Konrad : Deutsche Männer in Afrika, Lexicon der hervorragendsten deutschen Afrika - Forscher, Missionare etc. Lübeck, 1894. URL: http: //books .google. de/books ? id=PbFdT- 2NXuEC&printsec=frontcover&dq=deutsche+M%C3%A4nner+in+Afrika&lr=&hl=fr 26.04.2009

[38] Lazaare, Khalid: a. a. O., S.12.

[39] Emmanuel, F.: Marokko eine militärische und wirtschaftliche Frage unserer Zeit. Berlin, 1903, S. 3 ff.

Ende der Leseprobe aus 90 Seiten

Details

Titel
Zum Islambild in ausgewählten deutschen Marokkoreiseberichten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts
Hochschule
Université Sidi Mohamed Ben Abdellah
Autor
Jahr
2009
Seiten
90
Katalognummer
V176490
ISBN (eBook)
9783640977543
ISBN (Buch)
9783640977864
Dateigröße
791 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
islambild, marokkoreiseberichten, jahrhunderts
Arbeit zitieren
Ahmed Bensaidi (Autor:in), 2009, Zum Islambild in ausgewählten deutschen Marokkoreiseberichten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/176490

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