Theodor Storms "Schimmelreiter". Eine unheimliche Erzählung?


Hausarbeit, 2011

13 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Das Unheimliche – Was ist unheimlich?

3. Die Erzählung
3.1. Erzählsituation
3.2. „Unheimliche“ (Vor)zeichen
3.3. Hauke Haien

4. Schlussbetrachtung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Jetzt aber kam auf dem Deiche etwas gegen mich heran; ich hörte nicht; aber immer deutlicher, wenn der halbe Mond ein karges Licht herabließ, glaubte ich eine dunkle Gestalt zu erkennen, und bald, da sie näher kam, sah ich es, sie saß auf einem Pferde, einem hochbeinigen hageren Schimmel; ein dunkler Mantel flatterte um ihre Schultern, und im Vorbeifliegen sahen mich zwei brennende Augen aus einem bleichen Antlitz an. Wer war daß? Was wollte der? – Und jetzt fiel mir bei, ich hatte keinen Hufschlag, kein Keuchen des Pferdes vernommen; und Ross und Reiter waren doch hart an mir vorbeigefahren![1]

Die folgende Arbeit befasst sich mit dem Schimmelreiter von Theodor Storm (1817 – 1888), woraus auch dieser Textausschnitt stammt, welcher das erste Auftauchen der Figur des Schimmelreiters beschreibt. Der erste Eindruck vermittelt eine düstere, mystische, unheimliche Gestalt. Diese Arbeit soll sich genau mit diesem Eindruck befassen, welchen die Novelle beim Rezipienten hinterlässt. Einen Anspruch auf Vollständigkeit kann diese Arbeit allerdings nicht stellen, da dies deren Umfang sprengen würde. Besonderes Augenmerk soll somit auf die prägnanten, unheimlichen Elemente fallen, die immer wieder im Text auftauchen. Diese Elemente sollen herausgearbeitet und analysiert werden. Machen sie die Novelle aber tatsächlich zu einer „unheimlichen“ Erzählung? Was trägt zu einem unheimlichen Eindruck bei? Was ist überhaupt unheimlich? Diesen Fragen soll in dieser Arbeit nachgegangen werden. Dabei soll vor allem textnah gearbeitet werden, da der Text das Element ist, welches primär vom Rezipienten wahrgenommen wird und somit als wichtigster Referenzwert gelten sollte.

2. Das Unheimliche – Was ist unheimlich?

[...] Ein solches ist das >Unheimliche<. Kein Zweifel, dass es zum Schreckhaften, Angst- und Grauenerregenden gehört, und ebenso sicher ist es, dass dies Wort nicht immer in einem scharf zu bestimmenden Sinne gebraucht wird, so dass es eben meist mit dem Angsterregenden überhaupt zusammenfällt.[2]

Recht zu Beginn seines Aufsatzes über das Unheimliche gibt Sigmund Freud diesen Definitionsversuch. Im Laufe seines Aufsatzes entwickelt er seine Position gegenüber dem Begriff des Unheimlichen und gibt diesem unterschiedliche Facetten und Ausgangspunkte. Freud beginnt seine Analyse damit, dass er auf der einen Seite die Sprachentwicklung des Wortes „unheimlich“ unter die Lupe nimmt und auf der anderen Seite beobachtet, „was an Personen und Dingen, Sinneseindrücken das Gefühl des Unheimlichen in uns wachruft“[3]. Die Etymologie des Wortes „heimlich“ zeigt eine Ambivalenz in der Semantik auf. Freud, der bisher angenommen hatte, dass „unheimlich“ der Gegensatz zu „heimlich“ sei, findet eine Bedeutungsüberschneidung beider Worte. Wo „unheimlich“ noch als Gegenpol zu „heimlich“ gleich „heimisch“, „vertraut“ und „behaglich“ zu erkennen ist, fließen die Grenzen bei „heimlich“ gleich „versteckt“, „verborgen“ und „geheim“ ineinander. Für Freud ist „unheimlich“ erstmal „irgendwie eine Art von heimlich.“[4] Anhand von E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann findet er weitere Erklärungen für das, was „unheimlich“ ist. Zuerst wäre da die Kastrationsangst zu nennen, welche sich im Sandmann durch die Angst, die Augen zu verlieren, konkretisiert.[5] Außerdem nennt er die Unheimlichkeit des „Doppelgängertums“, die Ich-Teilung, wo der verdrängte Teil des Ichs Schrecken auslöst.[6] Auch findet Freud, die „unbeabsichtigte Wiederholung“ hat unheimlichen Charakter. Nämlich dann, wenn einer Person zum Beispiel die Zahl 62 mehrmals am Tag begegnet.[7] Das nächste Prinzip benennt Freud als „die Allmacht der Gedanken“, den Animismus. Als Beispiel hierfür nennt Freud die Angst vor dem „bösen Blick“ oder auch den Glaube an Menschengeister und Magie.[8] Aufgrund dieser Erkenntnisse erklärt Freud folgende Zusammenfassung einer Definition des Unheimlichen:

Erstens, wenn die psychoanalytische Theorie in der Behauptung recht hat, dass jeder Affekt einer Gefühlsregung, gleichgültig von welcher Art, durch die Verdrängung in Angst verwandelt wird, so muß es unter den Fällen des Ängstlichen eine Gruppe geben, in der sich zeigen läßt, dass dies Ängstliche etwas wiederkehrendes Verdrängtes ist. Diese Art des Ängstlichen wäre eben das Unheimliche und dabei muß es gleichgültig sein, ob es ursprünglich selbst ängstlich war oder von einem anderen Affekt getragen. Zweitens, wenn dies wirklich die geheime Natur des Unheimlichen ist, so verstehen wir, dass der Sprachgebrauch das Heimliche in seinen Gegensatz, das Unheimliche übergehen läßt (S. 242 f.), denn dies Unheimliche ist wirklich nichts Neues oder Fremdes, sondern etwas dem Seelenleben von alters her Vertrautes, das ihm nur durch den Prozeß der Verdrängung entfremdet worden ist.[9]

Seiner Meinung nach bedarf es nur noch weniger Ergänzungen. In sehr hohem Grad als „unheimlich“ erscheint vielen Mensche was mit dem Tod, mit Geistern und Gespenstern, mit Leichen und mit der Wiederkehr der Toten, zusammenhängt.[10] Außerdem können auch noch lebende Menschen „unheimlich“ wirken, wenn man ihnen böse Absichten zutraut, welche allerdings mit Hilfe besonderer Kräfte verwirklicht werden. Der Ursprung der unheimlichen Wirkung des Wahnsinns, der Fallsucht ist ähnlich. Früher wurden diese Erscheinungen auf die Wirkung von Dämonen zurückgeführt.[11]

Freud trennt allerdings klar zwischen dem Unheimlichen des Erlebens und der Unheimlichkeit der Fiktion, der Dichtung. Der Dichter kann die Welt seiner Darstellung, ob beispielsweise Märchen oder Realität, frei wählen, so dass die Leser für ihn lenkbar werden.[12] Die Unheimlichkeit „des Erlebens kommt zustande, wenn verdrängte infantile Komplexe durch einen Eindruck wieder belebt werden, oder wenn überwundene primitive Überzeugungen wieder bestätigt scheinen.“[13] Für die Dichtung hingegen gilt, dass „ vieles nicht unheimlich ist, was unheimlich wäre, wenn es sich im Leben ereignete, und dass in der Dichtung viele Möglichkeiten bestehen, unheimliche Wirkungen zu erzielen, die fürs Leben wegfallen.“[14]

3. Die Erzählung

Die 1888 veröffentlichte Novelle Der Schimmelreiter, das letzte vollendete epische Werk Theodor Storms, wird durchzogen von Elementen des Unheimlichen, Mystischen und des Aberglaubens. Für Storm haben Sagen und Märchen schon in seiner frühesten Kindheit eine wichtige Rolle gespielt und auf sein ganzes Leben hindurch eine große Faszination ausgeübt, wenn sie ihm in Erzählungen aus dem Volksmund begegneten.[15] Auch als Student war Storm schon ein eifriger Sammler von Sagen, Märchen und dergleichen. Seit

[...]


[1] Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Durchgesehene Ausgabe. Stuttgart: Reclam 2001. S. 5.

[2] Freud, Sigmund: Das Unheimliche. In: Sigmund Freud. Das Unheimliche. Aufsätze zur Literatur. Hrsg. v. Klaus Wagenbach. Hamburg: Fischer 1963. S. 45.

[3] Ebd. S.46.

[4] Vgl. Ebd. S. 51 – 53.

[5] Vgl. Ebd. S. 59 – 61.

[6] Vgl. Ebd. S. 62 – 65.

[7] Vgl. Ebd. S. 66

[8] Vgl. Ebd. S. 67 – 70.

[9] Ebd. S. 70.

[10] Vgl. Ebd. S. 71.

[11] Vgl. Ebd. S. 72 – 73.

[12] Vgl. Ebd. S. 83.

[13] Ebd. S. 80.

[14] Ebd. S. 80.

[15] Vgl. Holander, Reimer Kay: Der Schimmelreiter – Dichtung und Wirklichkeit. Kommentar und Dokumentation zur Novelle „Der Schimmelreiter“ von Theodor Storm. Neue, verbesserte und aktualisierte Ausgabe. Bräist/Bredstedt: Verlag Nordfriisk Institut 2003. S. 23.

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Details

Titel
Theodor Storms "Schimmelreiter". Eine unheimliche Erzählung?
Autor
Jahr
2011
Seiten
13
Katalognummer
V176343
ISBN (eBook)
9783668756304
Dateigröße
490 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
theodor, storms, schimmelreiter, eine, erzählung
Arbeit zitieren
Dennis Zimprich (Autor:in), 2011, Theodor Storms "Schimmelreiter". Eine unheimliche Erzählung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/176343

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