Blumenbeet und Bürgermeister. Die hybride Medienplattform myheimat


Masterarbeit, 2010

104 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Forschungsgegenstand
2.1 Lokaljournalismus
2.1.1 Überblick über lokale Massenmedien in Deutschland
2.1.2 Themen, Akteure und Defizite in lokalen Printmedien
2.2 Das Web 2.0
2.2.1 Entstehung des Web
2.2.2 Prinzipien und Anwendungen des Web 2.0
2.2.3 Prosumenten und Produtzer
2.3 Partizipativer Journalismus
2.4 Die hybride Medienplattform myheimat.de
2.5 Zwischenfazit

3 Theoretischer Rahmen
3.1 Gatekeeperforschung
3.1.1 Gatekeeping durch Journalisten und Medieninstitutionen
3.1.2 Gatewatching durch Produtzer
3.2 Nachrichtenwertforschung
3.2.1 Ursprünge der Nachrichtenwerttheorie
3.2.2 Etablierung durch Galtung und Ruge
3.2.3 Weiterentwicklung der europäischen Nachrichtenwertforschung
3.2.4 Nachrichtenfaktoren als allgemeine Relevanzkriterien
3.2.5 Befunde zur Wirkung von Nachrichtenfaktoren
3.2.5.1 Wirkung auf Produzentenseite
3.2.5.2 Wirkung auf Rezipientenseite
3.2.6 Anwendbarkeit von Nachrichtenfaktoren auf lokale - und Online-Inhalte
3.3 Zwischenfazit

4 Forschungsfrage und Hypothesen

5 Inhaltsanalyse
5.1 Methode
5.2 Operationalisierung
5.2.1 Operationalisierung formaler Merkmale
5.2.2 Operationalisierung der Nachrichtenfaktoren
5.2.3 Operationalisierung anderer inhaltlicher Merkmale
5.3 Grundgesamtheit und Stichprobe
5.4 Durchführung
5.5 Reliabilitätstest

6 Ergebnisse
6.1 Merkmale der Grundgesamtheit
6.2 Merkmale der Stichprobe
6.2.1 Formale Merkmale
6.2.2 Themen und Akteure
6.3 Auswirkungen der Nachrichtenfaktoren
6.3.1 Auswirkungen der Nachrichtenfaktoren auf die Republizierung
6.3.2 Zusammenhang von Nachrichtenfaktoren, formalen Merkmalen und Republizierung
6.4 Zusammenfassung der Ergebnisse

7 Diskussion
7.1 Interpretation der Ergebnisse
7.1.1 Geografische Verteilung
7.1.2 Themen und Akteure
7.1.3 Nachrichtenfaktoren
7.2 Einordnung der Ergebnisse
7.2.1 Vergleich mit Befunden zur produzentenseitigen Nachrichtenwertforschung
7.2.2 Vergleich mit Befunden zur rezipientenseitigen Nachrichtenwertforschung
7.3 Kritik und Ausblick
7.4 Fazit

8 Literaturverzeichnis

9 Anhang

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Charakteristika des Web 2.0. Darstellung nach O'Reilly (2005), Kilian et al. (2008)

Tabelle 2: Die "11 Layers of Citizen Journalism" (nach Outing 2005: o.S.)

Tabelle 3: Kategorien professionell-partizipativer Nachrichtensites (aus Engesser 2008: S. 117)

Tabelle 4: Charakterisierung von myheimat (nach Engesser 2005)

Tabelle 5: Bedeutende Nachrichtenfaktoren auf Produzentenseite

Tabelle 6: Bedeutende Nachrichtenfaktoren auf Rezipientenseite (nach Weisgerber 2008: S. 43)

Tabelle 7: Anzahl der Beiträge nach PLZ-Gebiet

Tabelle 8: Merkmale der Grundgesamtheit

Tabelle 9: Verteilung der Beiträge 2009 auf myheimat-Autoren

Tabelle 10: Rubriken der Beiträge

Tabelle 11: Merkmale der Stichprobe

Tabelle 12: Rubriken der Stichprobe

Tabelle 13: Relative Häufigkeit der Nachrichtenfaktoren (Vorkommen)

Tabelle 14: Auswirkung der Nachrichtenfaktoren auf die Republizierung (einfacher t-Test)

Tabelle 15: Auswirkung der Nachrichtenfaktoren auf die Republizierung (lineare Regression)

Tabelle 16: Einfluss der Nachrichtenfaktoren ( -Gewichte und Signifikanzniveau)

Tabelle 17: Auswirkung formaler Merkmale auf die Republizierung

Tabelle 18: Als wirksam identifizierte Nachrichtenfaktoren - Vergleich mit ausgewählten Studien

Tabelle 19: Wirkung ausgewählter Nachrichtenfaktoren - Vergleich mit ausgewählten Studien

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Themen in der Lokalpresse (nach Jonscher 1989: S. 130)

Abbildung 2: Akteure in der Lokalpresse (nach Jonscher 1989: S. 130)

Abbildung 3: Entstehung des Web 2.0 (aus Klein, Thal 2009: S. 941)

Abbildung 4: Website von myheimat (Quelle: www.myheimat.de/augsburg; Abruf am 18.08.2010)

Abbildung 5: Weitere Funktionalitäten (Quelle: www.myheimat.de/beitrag/681307; Abruf am 18.08.2010)

Abbildung 6: Gatekeeper-Nachrichtenprozess (aus Bruns 2009b: S. 109)

Abbildung 7: Gatewatcher-Nachrichtenprozess (aus Bruns 2009b: S. 114)

Abbildung 8: Bedeutende Weiterentwicklungen der Nachrichtenfaktoren bis 1990 (nach Otto 2005: S. 8)

Abbildung 9: Nachrichtenfaktoren bei Eilders und deren Begründung (nach Eilders 1997: S. 105)

Abbildung 10: Verteilung der myheimat-Beiträge 2009 (eigene Darstellung / Karte: Wikimedia 2010)

Abbildung 11: Geografische Verteilung der Stichprobe (eigene Darstellung / Karte: Wikimedia 2010)

Abbildung 12: Sachgebiete der Stichprobe

Abbildung 13: Handlungsträger der Stichprobe

Abbildung 14: Anzahl der Nachrichtenfaktoren pro Beitrag

1 Einleitung

Geschätzte 99 Prozent aller Blogger zeigen keine Ambition, die Rolle von Journalisten zuübernehmen - ungefähr so wenig, wie sich die tratschende Nachbarin als Lokalreporterin versteht.“ (Reiter 2010: S. 64)

Als eine der wohl bedeutendsten Entwicklungen des aufkommenden 21. Jahrhunderts kann das Web 2.0, also ein Internet, dessen Inhalte von seinen Nutzern kollaborativ generiert werden, angesehen werden. „Diese Kernidee des Web 2.0, den Konsumenten Raum zu geben, sich zu präsentieren und miteinander zu kommunizieren, erfreut sich sowohl nutzer-, als auch angebotsseitig zunehmender Beliebtheit“ (Kilian et al. 2008: S. 4). So fehlen Funktionalitäten wie Social Bookmarking, Meta-Blogs und Diskussionsforen auch bei kaum einem Onlineangebot von Tageszeitungen und Zeitschriften. Ganze Paradigmenwechsel werden durch den Einzug des Web 2.0 postuliert, etwa der vom klassischen Gatekeeping der Medienschaffenden hin zum Gatewatching einer auf hohem Niveau partizipierenden Netzgesellschaft. Jedoch ist der Schritt, Nutzer in die Produktion von Inhalten einzubeziehen und zu Produtzern zu machen, bei den meisten journalistischen Angeboten nicht erkennbar: „Nutzer sind hingegen so gut wie nie als Verfasser von Beiträgen genannt […]. Eine Interaktion mit den Verfassern selbst scheint […] nicht in dem Maße möglich, wie dies Apologeten eines interaktiven, demokratischen’ Journalismus gefordert haben“ (Quandt 2008: S. 151).

In den Fällen, in denen Laien tatsächlich Redaktionen mit Inhalten beliefern, geschieht dies meist durch Laienjournalisten oder Bürgerreporter. Diese weisen unterschiedliche Rollenbilder auf: Teils sind sie nur Lieferanten von Hinweisen oder Fotos zur Aufarbeitung durch professionelle Redakteure, teils sind sie aber auch Verfasser eigener Beiträge, die - mehr oder weniger unverändert - von Redaktionen veröffentlicht werden. Letzteres geschieht vielfach auf der so genannten hybriden Medienplattformen myheimat. Dabei handelt es sich um ein Portal für lokale Nachrichten von Bürgerreportern. Auf der Online-Plattform kann jeder Nutzer eigene Beiträge verfassen, die dort augenblicklich veröffentlicht werden. Jeder Nutzer kann jeden erschienenen Beitrag lesen, kommentieren und weiterempfehlen. In einigen Städten und Gemeinden erscheinen zusätzlich Print-Produkte mit ausgewählten myheimat-Beiträgen, die kostenlos an Haushalte verteilt werden. Auf der Online-Plattform steht im Prinzip unendlich viel Platz für neue Beiträge zur Verfügung. Das Einstellen eines Beitrags durch einen Nutzer verursacht verschwindend geringe Kosten für den Betreiber. In einem gedruckten Magazin hingegen ist der Platz sehr begrenzt und jede gedruckte Seite ist mit vergleichsweise hohen Kosten verbunden. Daher muss zwangsläufig eine Selektion von Beiträgen stattfinden, die es wert sind, diese Kosten zu verursachen. Als Indikator bei dieser Beitragsauswahl dient laut Betreiber das Lese- und Kommentierverhalten der Nutzer - also die „Weisheit der Vielen“ (vgl. Bruns 2009a: S. 3). Fraglich ist dabei, ob sich hinter dieser vermeintlichen Weisheit ein Muster verbirgt. Bei einem potenziell großen und nicht komplett zu erfassenden Angebot an online verfügbaren Beiträgen besteht für Nutzer zwangsläufig die Notwendigkeit, bestimmte Beiträge zu selektieren und andere zu ignorieren. Die Vermutung liegt nahe, dass diejenigen Beiträge, die selektiert werden, Merkmale aufweisen, die bei anderen Beiträgen nicht vorhanden oder schwächer ausgeprägt sind. Welche myheimat-Beiträge in gedruckter Form erscheinen und wie intensiv einzelne Beiträge genutzt werden, lässt sich leicht erheben, da diese Daten und die Beiträge selbst in elektronischer Form auf der myheimat-Plattform jederzeit frei verfügbar sind. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die folgende Frage:

Welche Kriterien unterscheiden myheimat-Beiträge, die gedruckt werden, von solchen, die nicht gedruckt werden?

Warum bestimmte Inhalte selektiert werden, ist eine der klassischen Fragestellungen der Publizistik. Es existieren verschiedene theoretische Ansätze, um dieser auf den Grund zu gehen. Als der empirisch am gründlichsten belegte kann der der Nachrichtenwertforschung gelten. Hierbei wird davon ausgegangen, dass über ein Ereignis desto wahrscheinlicher durch Journalisten berichtet wird, je mehr so genannte Nachrichtenfaktoren es enthält. Letztere geben zum Beispiel an, ob und wie einflussreich und bekannt die handelnden Personen sind oder wie kontrovers ein Thema ist. Auch ist die Ansicht weit verbreitet, dass Rezipienten eine Botschaft desto eher selektieren, je mehr Nachrichtenfaktoren diese enthält und je ausgeprägter diese sind (vgl. Rauchenzauner 2008: S. 45). Da Nachrichtenfaktoren nach heutigem Kenntnisstand als „allgemein-menschliche Selektionskriterien“ (Eilders 1997: S. 263) gelten, scheint es angebracht, die oben genannte Fragestellung mithilfe dieses theoretischen Konstrukts anzugehen.

Da sich zahlreiche Studien zur Nachrichtenwertforschung zum Vergleich anbieten, ergibt sich hierdurch die Chance, zu überprüfen, ob für Beiträge, die durch journalistische Laien auf einer Online-Plattform verfasst wurden, dieselben Selektionskriterien gelten wie für professionelle journalistische Produkte. Hierbei ist auch die Besonderheit zu beachten, dass es sich bei myheimat um ein Portal für lokale Nachrichten handelt, während die Nachrichtenwertforschung sich mehrheitlich mit politischen Nachrichten und Weltnachrichten in Massenmedien beschäftigt.

An myheimat wird bemängelt, dass kritische Berichterstattung nicht stattfindet und stattdessen nur positive Nachrichten vorzufinden sind (vgl. Höhnke 2008: o.S.). Festzustellen, ob tatsächlich eine positivistische Tendenz in der Berichterstattung auszumachen ist, dürfte daher mehr als nur einen Randaspekt darstellen.

Diese Arbeit ist als quantitative Inhaltsanalyse angelegt. Zunächst soll jedoch der soeben kurz angerissene Forschungsgegenstand im Detail vorgestellt werden (Kapitel 2). Darauf folgen eine Auseinandersetzung mit dem theoretischen Rahmen und eine Darstellung des Forschungsstands (Kapitel 3). Darauf aufbauend können schließlich die Fragestellung spezifiziert, die entsprechenden Hypothesen aufgestellt (Kapitel 4) und das methodische Vorgehen beschrieben werden (Kapitel 5). Nach der Darstellung der Ergebnisse (Kapitel 6) werden diese interpretiert und in Beziehung zu vorhandenen Erkenntnissen gesetzt (Kapitel 7). Die Arbeit endet mit einer reflexiven Kritik und dem persönlichen Fazit des Autors.

2 Forschungsgegenstand

Um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der eben geschilderten Fragestellung zu ermöglichen, sollen in diesem Kapitel zentrale Begriffe veranschaulicht werden. Zunächst erfolgt eine Übersicht über Formen und Besonderheiten des Lokaljournalismus in Deutschland. Anschließend sollen Prinzipien und Anwendungen des Web 2.0 erläutert werden. Es folgt eine Auseinandersetzung mit dem Begriff des partizipativen Journalismus. Vor diesem Hintergrund kann schließlich der Forschungsgegenstand, die Plattform myheimat.de, beschrieben und eingeordnet werden.

2.1 Lokaljournalismus

Das Lokale macht einen beachtlichen Teil der Medienberichterstattung aus. Laut einer repräsentativen Befragung unter Journalisten in Deutschland arbeitet mehr als jeder vierte Journalist im Ressort „Lokales/Regionales“; bei etwa 60% der in Deutschland erscheinenden Zeitungen handelt es sich um „mittlere und kleine Regionalzeitungen“ mit einer Auflage von unter 100.000 Exemplaren. (vgl. Weischenberg et al. 2006: S. 351; S. 347). Im Folgenden soll ein Überblick über lokale Massenmedien in Deutschland gegeben werden. Es folgt eine Darstellung der Besonderheiten der Lokalberichterstattung von Printmedien hinsichtlich Themen, Akteuren, Stilformen und Recherchepraktiken.

2.1.1 Überblick über lokale Massenmedien in Deutschland

Unter den lokalen Massenmedien sind die Tageszeitungen diejenigen, die auf die längste Geschichte zurückblicken können und auch heute noch die größte Rolle spielen. (vgl. Kretzschmar et al. 2009: S. 71). Tageszeitungen sind „alle Periodika […], die mindestens zweimal wöchentlich erscheinen und einen aktuellen politischen Teil mit inhaltlich unbegrenzter (universeller) Nachrichtenvermittlung enthalten“ (Schütz 2009: S. 454). Viele Tageszeitungen weisen verschiedene Lokalausgaben auf. Der so genannte Mantel, der für alle Ausgaben gleiche aktuelle politische Teil, wird dabei um Lokalteile ergänzt, die in der Regel eigenständige, herausnehmbare Zeitungsteile sind. In einigen Tageszeitungen werden zudem an bestimmten Wochentagen zusätzliche Stadtteilzeitungen beigelegt. (vgl. Kretzschmar et al. 2009: S. 72) Anhand der sich unterscheidenden Lokalteile und -beilagen (sowie weiterer differierender inhaltlicher Besonderheiten) können Zeitungsausgaben, die kleinste publizistischen Zähleinheiten, differenziert werden (vgl. Wilke 2004: S. 426). Im Jahr 2008 erschienen in Deutschland insgesamt 1.525 Ausgaben von 353 Verlagen bei einer Gesamtauflage von 20 Millionen Exemplaren. Ausgaben, die denselben Mantel (auch bei verschiedenen Titeln) aufweisen, werden zu publizistischen Einheiten zusammengefasst. Hiervon wurden 135 gezählt (vgl. Schütz 2009, S. 455). Die Zahl der publizistischen Einheiten, der Ausgaben und der verkauften Auflage ist seit 1993 rückläufig. Neben den Tageszeitungen sind seit den Siebzigerjahren Anzeigenblätter ein bedeutender Bestandteil lokaler Berichterstattung. Dabei handelt es sich um „periodisch erscheinende »Werbedrucksachen«, die unentgeltlich und unbestellt allen Haushalten eines begrenzten Bezirks zugestellt werden und neben einem gestreuten Anzeigenteil auch redaktionelle - im Wesentlichen ortsbezogene - Beiträge enthalten“ (Jonscher 1995: S. 70) Anzeigenblätter ermöglichen es lokalen Werbekunden, bei der Platzierung von Anzeigen niedrigere Streuverluste und dadurch niedrigere Preise für ihre Anzeigen zu erzielen als dies in großen Tageszeitungen der Fall wäre. Im Gegensatz zu den Tageszeitungen sind Anzahl der Titel und Auflage der Anzeigenblätter laut Angaben des Verbands Deutscher Anzeigenblätter relativ konstant und erreichten 2009 mit 1.414 Titeln bei 91,9 Millionen Exemplaren sogar Höchststände (vgl. BVDA 2009a: o.S.). Bis auf wenige Ausnahmen erscheinen Anzeigenblätter wöchentlich, am häufigsten mittwochs (52%), gefolgt von sonntags (19%), donnerstags (15%) und samstags (12%). Die meisten (60%) der wöchentlich erscheinenden Anzeigenblätter weisen eine Auflage von unter 50.000 Exemplaren auf (vgl. BVDA 2009b: o.S.). Die Themen der redaktionellen Teile der Anzeigenblätter gleichen meist denen der Lokalteile der Tageszeitungen, allerdings sind „Aufbereitung und Qualität der Beiträge […] inhaltlich häufig nicht mit gestandenen Lokaltiteln gleichzusetzen“ (Kretzschmar et al. 2009: S. 73). Dass Anzeigenblätter im Gegensatz zu Tageszeitungen kostenlos verteilt werden, ist dann wettbewerbswidrig, wenn die redaktionelle Berichterstattung mehr als ein Drittel des Gesamtumfangs ausmacht und der Anzeigenblatt-Charakter dadurch verloren geht. Eine Variante der Anzeigenblätter stellen die Offertenblätter dar, die ausschließlich aus privaten Kleinanzeigen bestehen. Meist werden Offertenblätter gegen ein Entgelt verkauft (vgl. Jonscher 1995: S. 72).

In Deutschland arbeiten im Jahr 2005 rund 2.800 Journalisten (ca. 6% aller Journalisten) bei Anzeigenblättern; der mit rund 17.000 Journalisten größte Teil (ca. 35%) arbeitete bei Zeitungen (vgl. Weischenberg et al. 2009: S. 350).

Neben Zeitungen und Anzeigenblättern existieren im Lokalen weitere Presseprodukte, allerdings von eher geringer Bedeutung. Jonscher (1995, S. 72ff.) nennt lokale Wochenblätter, die im Gegensatz zu Anzeigenblätter und Tageszeitungen nicht auf Gewinnerzielung ausgelegt sind und nur in geringem Umfang produziert und verkauft werden, sublokale Blätter, die oft im Selbstverlag erscheinen und lokal oder thematisch sehr begrenzte Spektren abdecken, sowie alternative Blätter, zu denen unter anderem Stadtmagazine mit lokalen kulturellen Informationen zählen. Amtsblätter, Gemeindebriefe, Vereins- und Parteiblätter, Schülerzeitungen und ähnliche Veröffentlichungen runden das lokale Printmedienangebot ab, wobei diese Veröffentlichungen meist nicht „an Pressegesetze - und somit an die journalistische Sorgfalts- und Wahrheitspflicht - gebunden sind“ (Jonscher 1995: S. 69). Wegen der geringen Bedeutung als Werbeträger und wegen der unterschiedlichen Vertriebsund Unternehmensformen sind keine verlässlichen bundesweiten Zahlen für die hier genannten Print-Produkte bekannt (Kretzschmar et al. 2009: S. 74).

Seit in den Achtzigerjahren das duale Rundfunksystem eingeführt wurde, existieren auch lokale Radio- und Fernsehsender. Da für deren Lizenzierung die Länder zuständig sind, ist deren Verbreitung je nach Bundesland unterschiedlich; in Niedersachsen etwa sind kommerzielle lokale Hörfunkanbieter unzulässig, während sich in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg kommerzieller lokaler Hörfunk großer Beliebtheit erfreut. Die Arbeitsgemeinschaft der Landesmediengesellschaften zählte für das Jahr 2008 insgesamt 159 private, lokale UKW-Hörfunksender in acht Bundesländern - mehr als zweimal so viele wie die 74 landesweit und bundesweit verbreiteten private UKW- Hörfunkanbieter und dreimal so viel wie die 55 landesweit und bundesweit ausgestrahlten öffentlich-rechtlichen UKW-Hörfunksender. (vgl. ALM 2009: S. 173). Analog zu den Anzeigenblättern bietet sich auch hier der wirtschaftliche Vorteil, mit geringeren Streuverlusten werben zu können.

Die Gesetzgebung für privates Lokal-Fernsehen unterscheidet sich ebenfalls je nach Bundesland. 2008 waren 216 lokale Fernsehsender in elf Bundesländern - vor allem in den neuen - auf Sendung. Vor allem in den alten Bundesländern kommen hierzu lokale und regionale Fenster in privaten und öffentlich-rechtlichen, landesweit ausgestrahlten Fernsehprogrammen (vgl. ALM 2009: S. 120).

Neben öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk und Fernsehen existieren in allen Bundesländern Offene Kanäle1. Diese wurden meist mit dem privaten Hörfunk und Fernsehen eingeführt und haben - je nach beaufsichtigender Landesmedienanstalt - Aufgaben wie die Förderung der Medienkompetenz, Verbreitung von lokalen Informationen und die Gewährung des ungehinderten Zugangs zu den Medien für alle Bürger. Offene Kanäle bieten meist ein auf lokale Themen oder besondere Interessengruppen ausgerichtetes Programm an, das meist unter der Betreuung von wenigen professionellen Journalisten oder Medienpädagogen von interessierten Bürgern auf freiwilliger Basis gestaltet wird. Die Reichweite solcher Programme kann sich jedoch meist nicht mit derjenigen der privaten oder öffentlich- rechtlichen Hörfunkanbieter messen; für die technische und publizistische Qualität gilt oft ähnliches (vgl. Mathes, Donsbach 2004: S. 579). Unter unterschiedlichen Bezeichnungen führt die ALM im Jahr 2008 rund 125 Offene Kanäle, die Hörfunk-, Fernseh- oder beide Programme anbieten (vgl. ALM 2009: S. 324ff.). Von den Offenen Kanälen abzugrenzen ist, trotz Ähnlichkeit, der nicht-kommerzielle lokale Hörfunk. Dieser ist ein Begriff, der „die Werbefreiheit des Programms und den lokalen Bezug […] festlegt, jedoch inhaltlich- konzeptionell unbestimmt - aber auch gestaltbar - bleibt“ (ALM 2009: S. 327). Hier besteht die Möglichkeit, ein alternatives Programm anzubieten, ohne medienpädagogische oder integrative Verpflichtungen einzugehen. Im Jahr 2008 existierten etwa 30 nicht-kommerzielle lokale Hörfunksender, die vor allem in Süddeutschland angesiedelt waren (vgl. ebd.).

2.1.2 Themen, Akteure und Defizite in lokalen Printmedien

Jonscher (1989: S. 129f.) hat in einer Inhaltsanalyse unter Anderem die Sachgebiete in lokalen Beiträgen von Tageszeitungen erhoben. Politische Themen fanden sich dabei mit 8,3% Häufigkeit erst an dritter Stelle, wesentlich häufiger kamen Kultur und Bildung (19,1%) sowie Gesundheit und Soziales (18,2%) vor. Abbildung 1 gibt einen Überblick über seine Befunde. Ebenfalls erhoben wurden Handlungsträger in lokalen Beiträgen. In jedem zweiten untersuchten Beitrag (49,4%) waren Kommunale Behörden, Parteien und Fraktionen, Interessenverbände, Künstler, Sport- und Freizeitvereine oder Kirchen zentral agierend. In Abbildung 2 sind weitere Handlungsträger aufgeführt. Dies alles sind Gruppen und Institutionen, die in der Regel über „pressewirksame Mitteleilungsmittel“ verfügen - „entsprechend tauchen außerhalb von Unfällen und Unglücken selten einzelne, namentlich genannte Bürger in der Presse auf, hat der einzelne Bürger kaum Artikulationschancen“ (Kretzschmar et al. 2009: S. 55).

Fritsch (1983) erhob die Bearbeitungsgrade lokaler Nachrichten bei der Rheinischen Post. Die meisten angelieferten Pressemitteilungen und ähnliches Material (28,8%) wurden dabei lediglich korrigiert, bei rund einem Viertel (25,7%) wurden aufwändigere Redigierarbeiten durchgeführt. Erst mit dem nächsten Schritt ist auch Recherche ein Bestandteil des Bearbeitungsgrads: bei immerhin 21,5% des Materials wurde bei der Quelle rückgefragt, bei 14,9% wurde intensiv nachrecherchiert, also etwa weitere Quellen hinzugezogen. Aus Eigeninitiative recherchierte Beiträge fanden sich zu 9% (nach Jonscher 1995: S. 293f.). Auch in anderen Untersuchungen wurde ähnliche Rechercheausmaße konstatiert, wodurch der Vorwurf des „Verlautbarungsjournalismus“ genährt wird, der sich zum „Sprachrohr der kommunalen Exekutive und der lokalen Eliten“ macht (Kretzschmar et al. 2009: S. 113).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Themen in der Lokalpresse (nach Jonscher 1989: S. 130)

In seiner umfangreichen Inhaltsanalyse der Lokalberichterstattung in Tageszeitungen konnte Jonscher (1989) weitere Hypothesen zu Arbeitsweise und Themenspektrum der Lokalpresse bestätigen:

- Die Verfasser der Beiträge sind überwiegend freie Mitarbeiter und Pressestellen, der Lokalteil wird also überwiegend nicht durch redaktionelle Leistungen gefüllt;
- Die Quellen sind in den Beiträgen oft nicht erkennbar;
- Als Stil- oder Darstellungsformen finden sich zum größten Teil die Nachricht und der Bericht; aufwändigere Formen wie das Feature und insbesondere Meinungsformen wie Kommentar und Glosse werden vernachlässigt;
- Die lokale Berichterstattung ist überwiegend erfolgsorientiert-positiv, während Misserfolge seltener thematisiert werden - es entsteht der Eindruck einer „heilen Welt“
- Die inhaltliche Struktur von Beiträgen gleicht oft einer protokollarischen Wiedergabe von Ereignissen und Äußerungen - Meinungen, die nicht explizit geäußert werden, tauchen hingegen nicht auf;
- Lokale Berichterstattung ist vor allem Ereignisorientiert - Veranstaltungskalender bestimmen die Themen in Lokalredaktionen;
- Es existiert kein vielfältiges Themenangebot - insbesondere nicht ereignisorientierte Themen kommen selten vor (Jonscher 1989: S. 146ff.).

Insbesondere zu Fragestellungen der Themen in der lokalen Presse existieren zahlreiche weitere Untersuchungen mit recht heterogenen Befunden. Allerdings sind die Schwerpunkte „Lokalpolitik, Stadtentwicklung, Veranstaltungen, Soziales und Kultur sowie Kriminalität und Unfälle“ (Kretzschmar et al. 2009: S. 53) auszumachen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Akteure in der Lokalpresse (nach Jonscher 1989: S. 130)

Die Kritikpunkte Jonschers haben nichtsdestotrotz auch heute nicht an Gültigkeit verloren - die Kritik der Lokalkommunikationsforschung zeigt eine klare Tendenz: „Lokaljournalismus

ist gekennzeichnet durch einen starken Ereignisbezug […], mangelnde

Hintergrundinformationen […], zu wenig politische Informationen […], die Dominanz von darstellenden, referierenden Inhalten (Vorwurf des „Verlautbarungsjournalismus“), eine sich täglich wiederholende Routine gleicher Themenzusammensetzungen, eine hochpersonalisierte Berichterstattung, die sich […] weniger an Sachthemen orientiert, eine Überrepräsentation der lokalen Elite und Kritiklosigkeit und -hemmung, insbesondere gegenüber lokalen Honorationen (Vorwurf der „Hofberichterstattung“)“ (Kretzschmar et al. 2009: S. 54).

2.2 Das Web 2.0

Der Begriff Web 2.0 wurde in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends bekannt und ist heute in aller Munde. Dabei ist seine Bedeutung immer noch strittig. Selbst einer seiner Vordenker und Namensgeber, Tim O’Reilly, merkt an, dass das Web 2.0 nicht eindeutig zu definieren sei: „Like many important concepts, Web 2.0 doesn't have a hard boundary, but rather, a gravitational core.“ (O’Reilly 2005: o.S.) Teilweise wird der Begriff als nichts sagendes Marketing-Schlagwort verspottet, teilweise aber auch als die neue Konvention des Internet bezeichnet (Kilian et al. 2008: S. 5). Laut Alpar et al. (2008: S.4) kennzeichnet der Begriff Web 2.0 „Anwendungen und Dienste, die das World Wide Web als technische Plattform nutzen, auf der die Programme und die benutzergenerierten Inhalte zur Verfügung gestellt werden. Die gemeinsame Nutzung der Inhalte und gegenseitige Bezüge begründen Beziehungen zwischen den Benutzern.“

Im Folgenden soll erst einmal auf die Entstehung des „klassischen“ Webs eingegangen werden, um abgrenzend davon das Web 2.0 näher zu umreißen.

2.2.1 Entstehung des Web

Das Internet ist, technisch gesehen, eine Ansammlung von Protokollen, die es lokalen Computernetzwerken ermöglicht, untereinander zu kommunizieren und so ein globales Netzwerk zu bilden. Die Begriffe Internet und Web werden allerdings auch synonym für das World Wide Web (nachfolgend Web) verwendet. Diese von dem CERN-Mitarbeiter Tim Berners-Lee im Jahre 1991 vorgestellte, auf dem Internet basierende Anwendung beinhaltet das Anzeigen von Hypertext-Dokumenten in speziellen Programmen (Web-Browsern) und die Verknüpfung von verschiedenen Hypertext-Dokumenten durch Hyperlinks, denen mit Mausklicks gefolgt werden kann. Die Dokumente sind dabei auf zentralen Rechnern (Server) hinterlegt und können von jedem vernetzten Rechner (Client) abgerufen werden. (vgl. Tanenbaum 2003: S 74f.; S. 664ff.) Die Entwicklung des Webs stellte einen Sprung in der Nutzerfreundlichkeit des Internets dar, dessen Anwendungen bis dato im Wesentlichen auf der Eingabe von Text-Befehlen basierten. Bis dahin eher von Forschungseinrichtungen und einzelnen technikbegeisterten Pionieren genutzt, wurde das Internet daher auch für eine breite Masse von Privatpersonen als Nutzer und Unternehmen und Institutionen als Anbieter interessant.

2.2.2 Prinzipien und Anwendungen des Web 2.0

Rein technisch gesehen stellt das Web 2.0 keine revolutionäre Neu- oder Weiterentwicklung des Webs dar; die grundlegenden Protokolle und Funktionsprinzipien sind unverändert. Der Unterschied, der dazu führt, dass trotzdem eine neue Version des Webs ausgerufen wurde, besteht in der Art der Angebote, die im Web 2.0 vorzufinden sind sowie in den veränderten Nutzungs- und Kommunikationsarten seiner Anwender (vgl. Kilian et al. 2008: S. 8). Die klassischen Web-Anwendungen entsprachen auch in ihrer Philosophie der Client-Server- Architektur: an vergleichsweise wenigen zentralen Stelle werden Inhalte von Anbietern zur Verfügung gestellt, die von vielen Nutzern abgerufen werden können. Wenn Nutzer eigene Inhalte bereitstellen wollten, konnten sie dies tun, indem sie eine eigene Website erstellten.

Dies setzte jedoch meist gewisse technische Fähigkeiten voraus und war oftmals, insbesondere wenn große Datenmengen bereitgestellt werden sollten, mit Kosten verbunden. Die Kommunikation zwischen Nutzern geschah über Email, Chatrooms oder Instant Messenger2. Die Kosten für einen privaten Internetzugang waren, verglichen mit heutigen Maßstäben, hoch und die Geschwindigkeit niedrig. Abbildung 3 veranschaulicht die Verbreitung von Breitbandanschlüssen in Deutschland bei gleichzeitig aufkommenden Web- Technologien.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Entstehung des Web 2.0 (aus Klein, Thal 2009: S. 941)

Das Web 2.0 löst diese Konventionen ab. Es basiert auf „Internet-Anwendungen und - Plattformen, die die Nutzer aktiv in die Wertschöpfung integrieren“ sowie auf den Prinzipien „Interaktivität, Dezentralität und Dynamik“ (Kilian et al. 2008: S.7). Auch die Begriffe „Interaktion, Partizipation, Kooperation und Klassifikation“ werden als „für eine Beschreibung des Wandels zum Web 2.0 hilfreich“ (Niedermaier 2008: S. 60) genannt. Um dies zu konkretisieren und zum von O’Reilly angesprochenen Kern vorzudringen, soll anhand einiger Beispiele aufgezeigt werden, welche Merkmale typische Web 2.0- Anwendungn aufweisen. Kilian et al. (2008: S. 14) nennen als wesentliche Anwendungen des Web 2.0 „Weblogs (themenspezifische Communities), Social Networking Communities (privat oder geschäftlich), File Sharing Communities, Knowledge Communities (inkl. Wikis), Consumer Communities sowie Game Communities.“

Weblogs oder Blogs sind „mit Hilfe von Software automatisch generierte Webseiten […], die aus individuell erstellten, periodischen Einträgen bestehen, welche in umgekehrt chronologischer Reihenfolge dargestellt, häufig aktualisiert werden sowie in der Regel für jeden Nutzer frei zugänglich sind“ (Weisgerber 2009: S. 11). Inhalte sind meist Texte, es kann sich aber auch um Bilder, Videos und andere multimediale Inhalte handeln. In der Regel besteht für Blog-Leser die Möglichkeit, Kommentare zu einzelnen Beiträgen zu verfassen, die wiederum in umgekehrt chronologischer Reihenfolge dargestellt werden. Häufig enthalten Blogs Verweise auf weitere Blogs. Die Gesamtheit aller Blogs wird als Blogosphäre bezeichnet (vgl. Sauers 2006, S. 1ff; Weisgerber 2009: S. 11ff.).

Social Networks oder soziale Online-Netzwerke dienen dazu, „Kontakte mit bestehenden Bekannten zu pflegen, neue Kontakte im Netz aufzubauen, eigene Bilder oder sonstige Inhalte den weiteren Mitgliedern zu präsentieren oder die Beiträge andere Mitglieder zu lesen und zu betrachten“ (Maurer et al. 2008: S. 209). Typischerweise kann jeder Benutzer ein Profil in einem sozialen Online-Netzwerk anlegen, in dem er persönliche Daten, Bilder und weitere Informationen über sich hinterlegen kann. Andere Nutzer können dieses Profil betrachten und das ihre damit verknüpfen („sich befreunden“). Ohne eigenes Profil sind die meisten Funktionen in der Regel nicht verfügbar. Sozial Online-Netzwerke erfreuen sich in Deutschland stetig wachsender Beliebtheit und scheinen andere Kommunikationsformen wie Email abzulösen (vgl. Busemann, Gscheidle 2009: S. 358ff.). Beispiele für soziale OnlineNetzwerke sind XING, StudiVZ, MySpace und Facebook.

Mittels File Sharing Communities können Nutzer Audio-, Video-, Bild- und andere Daten einstellen, tauschen, kommentieren, mit Schlagwörtern (Tags) versehen und weiterempfehlen (vgl. Kilian et al. 2008: S. 13). Betreiber solcher Plattformen stellen den Speicherplatz hierfür meist kostenlos zur Verfügung. Beispiele hierfür sind flickr (Bilder/Fotos) und YouTube (Videos). Problematisch ist bei File Sharing Communities, dass Nutzer auch urheberrechtlich geschütztes Material einstellen können: „Die Träger der entsprechenden Onlinedienste agieren damit rechtlich in einer Grauzone und müssen befürchten, sich gegenüber den Inhabern der Urheberrechte Schadensersatzpflichtig zu machen“ (Kilian et al. 2008: S. 13). Das prominenteste Beispiel für Knowledge Communities ist Wikipedia. Die so genannte „freie Enzyklopädie“ ist zugleich das prominenteste Beispiel für Wikis. Diese sind „eine (meist Web-basierte) Plattform für die kollaborative Bearbeitung von Hypertext-Dokumenten. Charakteristisch für die meisten Wikis ist ein niedrigschwelliger Zugang, der es allen Nutzern erlaubt, die angebotenen Texte nicht nur zu lesen, sondern auch zu ändern. […] Dies geschieht häufig anonym, d. h. ohne vorherige Anmeldung am System.“ (Stein, Hess 2008: S. 109) Im Falle von Wikipedia handelt es sich bei den Hypertext-Dokumenten um enzyklopädische Artikel, die von jedermann verfasst, geändert und gelöscht werden können. Eine redaktionelle Aufarbeitung durch fachkundige Experten ist nicht vorgesehen. Die Qualität der Wikipedia-Einträge wurde und wird vielfach diskutiert, in Frage gestellt und erhoben. Die nicht zu garantierende Korrektheit, teilweise fehlende Quellen und große Unterschiede in Umfang und Niveau tun ihrem Erfolg allerdings keinen Abbruch (vgl. Lessig 2006: S. 243ff.). Laut ARD/ZDF-Onlinestudie nutzen zwei von drei Online-Nutzern in Deutschland Wikipedia gelegentlich, über ein Viertel nutzt es regelmäßig - damit ist dies die populärste Anwendung des Web 2.0 in Deutschland (vgl. Busemann, Gscheidle 2009: S. 358). Als Consumer Communities werden Nutzerportale bezeichnet, die dem Verkauf, der Vermittlung, der Bewertung und dem Vergleich von Waren und Dienstleistungen dienen. Sie gingen aus bereits im klassischen Web vorhandenen Angeboten wie amazon oder ebay hervor. Hier waren Bewertung und Weiterempfehlung von Waren oder Anbietern seit jeher prägend. Kilian et al. (2008: S. 11) sehen daher hier die Wurzeln des Web 2.0. Neben den oben genannten Beispielen existiert heute eine Vielzahl von Consumer Communities. Viele dienen dabei nicht dem Verkauf oder der Vermittlung von Waren oder Dienstleistungen, sondern nur dem Erfahrungsaustausch zwischen Nutzern und der Bewertung von Waren und Dienstleistungen; ein Beispiel hierfür ist Ciao.

Game Communities beinhalten Massive Multiplayer Online Games (MMOG) oder Massive Multiplayer Online Role-Play Games (MMORPG) wie zum Beispiel World of Warcraft. Spieler sind mit anderen Spielern weltweit vernetzt, zum Teil weisen Online-Rollenspiele mehrere Millionen Mitspieler auf. Entscheidend ist, wie bei anderen Angeboten des Web 2.0, auch hier der Gemeinschaftsgedanke: „Auf Programmebene ist das Spiel darauf ausgelegt, dass viele Ziele des Spiels nur im Zusammen spiel der Figuren mehrerer Spieler zu meistern sind […]. Dieser Umstand befördert Zusammenschlüsse der Spieler in Gruppen, die gemeinsam kämpfen und Aufgaben lösen.“ (Müller 2008: S. 213) In dem MMOG Second Life fehlt eine Spielhandlung, diese ergibt sich allein aus der Interaktion der virtuellen Mitspieler.

Die an dieser Stelle angebrachte Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; je nach Auffassung davon, was das Web 2.0 beinhaltet, lässt sich diese beschränken und erweitern. So wäre es etwa denkbar, auch Podcasts, also abonnierbare Audio- oder Videodarbietungen, die automatisch auf mobile Geräte geladen werden können, oder Micro Blog-Dienste wie Twitter zu nennen.

Die Gemeinsamkeiten der hier vorgestellten Anwendungen können an den oben genannten Prinzipien gezeigt werden: Bei jeder der Anwendungen hat der Nutzer die Möglichkeit, aktiv in das Geschehen einzugreifen, anstatt lediglich Inhalte zu konsumieren (Interaktivität bzw. Interaktion). Die Angebote sind so angelegt, dass sie seitens der Anbieter nur Plattformen bieten, die erst dann einen Sinn ergeben, wenn sie von möglichst vielen, möglichst unterschiedlichen Nutzern mit Inhalten gefüllt werden (Dezentralität bzw. Partizipation).

Dabei herrschen selten Vorgaben inhaltlicher Art - das tatsächliche „Gesicht“ des jeweiligen Angebots bestimmen zu einem wesentlichen Teil seine Nutzer, weswegen dieses zu verschiedenen Zeitpunkten und aus verschiedenen Perspektiven recht unterschiedlich aussehen kann (Dynamik). Häufig besteht die Möglichkeit, mit anderen Nutzern - ob bekannt oder unbekannt, gleichzeitig oder zeitlich getrennt - gemeinsam Inhalte zu generieren (Kooperation). Die Nutzer stellen nicht nur Inhalte bereit, sondern versehen sie zugleich mit Schlagwörtern und schaffen dadurch dynamische Kategorien und Sinneinheiten (Klassifikation) (vgl. Niedermaier 2008: S. 59ff.; Kilian et al. 2008: S. 18f.). Diese Prinzipien grenzen das Web 2.0 vom „klassischen“ Web ab. Tabelle 1 gibt einen kurzen Überblick über die wesentlichen Unterschiede. Es zeigt hier noch einmal deutlich, dass kaum von einem technologischen, sondern vielmehr von einem ideologischen Umbruch die Rede sein kann.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Charakteristika des Web 2.0. Darstellung nach O'Reilly (2005), Kilian et al. (2008)

2.2.3 Prosumenten und Produtzer

Die veränderte Rolle des Web-Nutzers führte zu einer Diskussion darüber, inwiefern er noch als Konsument zu erachten ist. Diese Diskussion ist allerdings wesentlich älter als das Web 2.0 - schon im Jahr 1980 postulierte Alvin Toffler die Wandlung des Konsumenten zum Prosumenten, der zusätzlich Funktionen eines Produzenten übernimmt (vgl. Blättel-Mink, Hellmann 2010: S. 14).

Toffler beschreibt Wellen des gesellschaftlichen Umbruchs. Die erste Welle beschreibt die Verbreitung der Sesshaftigkeit und der Landwirtschaft vor etwa 10.000 Jahren, die zweite die Industrielle Revolution. Mit letzterer ging eine zunehmende Trennung von unbezahlter Arbeit zur Selbstversorgung (wie etwa Hausarbeit) und bezahlter Arbeit zum Erlangen von Tauschwaren einher, welche vorher wenig bis überhaupt nicht ausgeprägt war. Als Arbeit wurde zusehends nur noch bezahlte Arbeit gegen Lohn angesehen. Dadurch wurde die Trennung von Produzenten und Konsumenten vorangetrieben. Für das Ende des 20. Jahrhunderts sah Toffler eine dritte Welle vorher, in der der Konsument wieder mehr Arbeit verrichten würde, um den eigenen Bedarf zu befriedigen, indem er in Produktionsabläufe der Produzenten eingreifen würde. Der Prosument würde eine Renaissance erleben, denn noch vor der Industriellen Revolution war das Prinzip des Prosumenten, der an Produktion und Konsumption von Waren gleichermaßen beteiligt ist, vorherrschend. Als Beispiele für die wieder erstarkende Prosumption nennt Toffler Selbsthilfegruppen und Selbstbehandlung, die Do-it-yourself-Bewegung und neue Technologien, bei denen der Prosument Einfluss aus die industrielle Produktion von Waren Einfluss nehmen kann - im Extremfall durch das simple drücken von Knöpfen daheim (vgl. Blättel-Mink, Hellmann 2010: S. 16ff.).

Nach Hellmann liege Prosumption demnach immer dann vor, „wenn zur Herstellung einer Sach- oder Dienstleistung, die vor allem für die Eigenverwendung gedacht ist und von daher ihren Gebrauchswert bezieht, ein Beitrag geleistet wird, ohne den der Herstellprozeß unabgeschlossen bleibt, unabhängig davon, ob für diese Leistung bezahlt werden soll oder nicht“ (Blättel-Mink, Hellmann 2010: S. 36). Die Unterscheidung zwischen Prosumption und Konsumption ist daher mitunter schwierig, da sie einen Grad an Passivität während der Konsumption voraussetzt, der kaum zu erreichen ist. Indem Kunden etwa bestimmte Wünsche äußern oder nur ein bestimmtes Konsumverhalten zeigen oder auch alleine dadurch, dass Produkte auf Kunden ausgerichtet sind, sind diese damit bereits ein Teil der Wertschöpfungskette der Produzenten. Alle Konsumption wäre deshalb per se als Prosumption zu bezeichnen (vgl. ebd, S. 36ff.)

Das eben beschriebene Konstrukt geht von Prosumenten aus, die individuell und voneinander unabhängig agieren. Dennoch erfreute sich mit Aufkommen des kollaborativen Web 2.0 auch der Prosumenten-Begriff wachsender Bedeutung. Bruns (2010: S. 194) weist allerdings darauf hin, dass „[d]ieser gleichzeitig produktiv und komsumptiv tätige Nutzer [des Web 2.0] […] mit Sicherheit jedoch nicht mit dem von Toffler beschriebenen knöpfedrückenden Konsumenten gleichzusetzen [ist], dem es zwar erlaubt ist, außer Geld auch wichtige Markt- und Designinformationen in den Produktionsprozeß einzugeben, der am Ende aber immer noch unbeteiligt ist an der eigentlichen physischen und intellektuellen Produktion der Konsumgüter“. Im Web 2.0 werde darüber hinaus die klassische Wertschöpfungskette aufgelöst um durch eine völlig andere ersetzt zu werden. An deren Anfang stehen bestehende Inhalte, die durch Akteure modifiziert und zu neuen Inhalten verarbeitet werden. Damit steht die Wertschöpfungskette wieder an ihrem Anfang. Die Inhalte sind dabei stets temporärer Natur und dazu bestimmt, weiterverarbeitet zu werden - dementsprechend existieren keine Endprodukte, sondern lediglich Momentaufnahmen. Die Akteure nehmen dabei eine besondere Rolle ein: „Ob Teilnehmer in dieser Kette eher als Nutzer handeln […] oder als Produzenten […], variiert im Laufe der Zeit und von Aufgabe zu Aufgabe. Insgesamt jedoch nehmen Teilnehmer eine hybride Nutzer/Produzenten-Rolle an, in der beide Formen der Beteiligung untrennbar miteinander verwoben sind. Sie werden dadurch zu Produtzern (engl. Produsers)“ (Bruns 2010: S. 199).

Die Produtzung weist dabei vier wesentliche Merkmale auf:

- Sowohl Inhaltserstellung als auch -bewertung und Qualitätskontrolle erfolgen kontinuierlich durch sämtliche Akteure;
- Es besteht keine Hierarchie, sondern eine dynamische Heterarchie mit Vordenkerrollen, die zwar existieren, aber nicht statisch vergeben werden;
- Die Inhalte werden evolutionär und iterativ erstellt und sind ständig unvollendet;
- Die Gemeinschaft operiert auf Grundlage von Verdienst und Anerkennung, nicht von Vergütung und Lohn (vgl. Bruns 2010: S. 201f.).

Als Beispiel für die Produtzung zieht Bruns neben der Open-Source-Software-Entwicklung auch Wikipedia und den partizipativen Journalismus heran. Des weiteren weist er auf die kommerzielle Nutzbarkeit der Produtzung hin: „Die gemeinschaftlichen Prozesse des Nutzerschwarms produzieren eindeutig eine Vielzahl von […] Inhalten, welche sehr erfolgreich als Ersatz für die Produkte traditioneller industrieller Prozesse eingesetzt werden können […] und welche zum Teil sogar an bestimmten Punkten im Prozeß als stabile „Produkte“ erfasst und verpackt werden können“ (Bruns 2010: S. 197).

2.3 Partizipativer Journalismus

Während Offenen Kanäle - auch bedingt durch die entsprechende Gesetzgebung - nach wie vor zahlreich in sämtlichen Bundesländern Deutschlands vertreten sind, haben die alternativen Printmedien als Plattform für die Beteiligung von Laien an journalistischen Produkten an Bedeutung verloren. Insbesondere sind sie kaum noch ein Ausdruck von Gegenöffentlichkeit, zumal unter die Alternativpresse auch kommerzielle Produkte wie Stadtmagazine zählen (vgl. Wilke 2004: S. 455; Engesser, Wimmer 2009: S. 44; siehe auch Abschnitt 2.1.1). Im Web 2.0 sehen nicht nur Technikenthusiasten und Blogger die Chance einer „Renaissance der Gegenöffentlichkeit“ (Engesser, Wimmer 2009: S. 44). Unterschiedliche Phänomene werden unter ähnlichen Sammelbegriffen wie Laienjournalismus, Bürgerjournalismus, Peer- to-Peer-Journalismus oder partizipativer Journalismus diskutiert (ebd.: S. 47).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Die "11 Layers of Citizen Journalism" (nach Outing 2005: o.S.)

Zur Abgrenzung vom professionellen Journalismus und zur Kategorisierung existieren unterschiedliche Ansätze. Lasica zählt sechs Kategorien des partizipativen Journalismus im Web 2.0 auf: Audience participation at mainstream news outlets, Independent news an information web sites, Full-fledged participatory news sites, Collaborative an contributory media sites, Other kinds of „ thin media “ und Personal broadcasting sites (vgl. Lasica 2003: o.S.). Outing (2005) verwendet den Begriff Citizen Journalism für Formen der journalistischen Inhaltsgenerierung durch Nutzer im Web 2.0 und unternimmt eine Kategorisierung dessen in 11 sich in Faktor Nutzerbeteiligung steigernde Layer. Diese sind in Tabelle 2 aufgeführt. Dabei handelt es sich allerdings zum Teil um lediglich denkbare Modelle (wie Layer 10), für die keine konkreten Fallbeispiele angegeben sind.

Engesser verwendet den Begriff partizipativer Journalismus, um darunter möglichst die gesamte Bandbreite an Formen der Teilhabe von Bürgern an journalistischer Arbeit zusammenzufassen: „Partizipativer Journalismus beteiligt die Nutzer maßgeblich am Prozess der Inhaltsproduktion, wird außerhalb der Berufstätigkeit ausgeübt und ermöglicht die aktive Teilhabe an der Medienöffentlichkeit“ (Engesser, Wimmer 2009: S. 47). Er verwendet eine Einteilung in vier wesentliche Kategorien: Weblogs, Kollektivformate wie Wikipedia, professionell-partizipative Nachrichtensites sowie Leserreporter-Rubriken. Diese vier Kategorien verteilen sich auf drei Ebenen journalistischer Nutzerbeteiligung:

- Beitragselemente in professionellen Medienformaten

Hier liefern Nutzer lediglich Hinweise oder Ergänzungen zur professionellen Berichterstattung (z.B. „Bild Leser-Reporter“). Oftmals geschieht dies in einer gesonderten Leserreporter-Rubrik. Die Reichweite der so geschaffenen Gegenöffentlichkeit ist hoch, die Qualität der Beteiligung allerdings gering.

- Beiträge in professionellen Medienformaten

Nutzer können hier selbständig Beiträge verfassen, die in professionellen Medienformaten erscheinen, in so genannten professionell-partizipativen Mediensites. Hier lässt sich eine weitere Unterteilung vornehmen (s. u.). Die durch die Gegenöffentlichkeit erzielten Reichweiten sind hier geringer, allerdings ist die Qualität der Nutzerbeteiligung höher.

- Partizipative Medienformate

Hier schaffen Nutzer eigenständige, vollständige und selbst verwaltete Medienformate. Dabei kann es sich um Weblogs oder Kollektivformate handeln. Die Qualität der Nutzerbeteiligung ist hier am höchsten, die Reichweite der Gegenöffentlichkeit hingegen am niedrigsten (vgl. Engesser 2008: S. 113f.; Engesser, Wimmer 2009: S. 49ff.).

Professionell-partizipative Mediensites lassen sich ihrerseits in jeweils drei publizistische und ökonomische Kategorien systematisieren, die in Tabelle 3 aufgeführt sind. Die publizistischen Kategorien sind geografische Ausrichtung - der geografische Raum über den berichtet wird (hierbei dient ultralokal als Übersetzung des englischen Terminus hyperlocal - damit sind Nachrichten gemeint, die so tief auf kommunaler Ebene verwurzelt sind, dass sie von den traditionellen Medien nicht mehr berücksichtig werden), Anteil der partizipativ erstellten Beiträge und Einflussnahme der Redaktion. Bei den ökonomischen Kategorien handelt es sich um mediale Verflechtung der professionell-partizipativen Mediensite (in einem Muttermedium, also z.B. einer Tageszeitung, die Beiträge übernimmt, oder einer eigenen Printausgabe), Finanzierung und Anreizsystem für die Nutzer durch Veröffentlichung der Beiträge, Einstellung im Unternehmen oder alternative Entlohnungsmodelle wie Reduzierung von Abonnementskosten oder Beteiligung an Erlösen (vgl. Engesser 2008: S. 115ff.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 3: Kategorien professionell-partizipativer Nachrichtensites (aus Engesser 2008: S. 117)

Engesser kritisiert, dass bei professionell-partizipativen Nachrichtensites „meist nicht von gegenöffentlichen Kommunikationsprozessen in einem engeren (demokratietheoretischen)

Sinne gesprochen werden“ (Engesser, Wimmer 2009: S. 59) könne, was unter anderem an rigiden journalistischen Auflagen liege - allerdings nicht ohne Ausnahmen zu nennen. Grundsätzlich können durch alternative Kommunikationsmittel jedoch durchaus Gegenöffentlichkeiten geschaffen werden, wenn auch unterschiedlicher Qualität und Reichweite (ebd., S.60).

Ob es Nutzern ermöglicht wird, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, in dem sie alternative journalistische Beiträge verfassen ist eine Frage - ob dies überhaupt die Intention der Nutzer von professionell-partizipativen Nachrichtensites ist, eine andere. Kopp und Schönhagen (2008) haben Nutzer der Website www.opinio.de der Rheinischen Post nach ihren Themenschwerpunkten und Rollenselbstbildern befragt. Bei der Themenwahl wurden „Berichte / Anekdoten aus dem Privatleben“, „Kurzgeschichten / Gedichte“ und „Kultur“ mit Abstand am häufigsten genannt - „[d]en meisten OPINIO -Autoren geht es also nicht darum, über gesellschaftlich relevante Themen zu schreiben, sondern vielmehr darum, Dinge von persönlicher Relevanz zu artikulieren“ (Kopp, Schönhagen 2008: S. 84). Als wichtigste Gründe für das Verfassen von Beiträgen gaben die befragten Nutzer „um Gefühle/Erlebnisse/eigene Ideen festzuhalten“ und „um meine Meinung zu veröffentlichen“. Gründe wie „um Kritik an Fehlentwicklungen und Missständen zu üben“, „um über Themen zu berichten, die in anderen Medien zu kurz kommen“ oder „um andere neutral und rasch über aktuelles Geschehen zu informieren“ wurden weniger wichtig eingeschätzt. Die wichtigsten Quellen für Beiträge waren unter den Befragten „eigene Erlebnisse, Erfahrungen“ sowie „Freunde, Familie“. Als wichtigste Ziele verfolgten die Befragten „dass ich mit meinen Texten unterhalten kann“, „dass ich mit meinen Texten zu Diskussionen anregen kann“ und „dass meine Texte von vielen gelesen werden“ (ebd.: S. 87ff.). Die Rollenselbstbilder der befragten OPINIO-Autoren unterschieden sich damit deutlich von denen typischer Journalisten (vgl. Weischenberg 2006: S. 355ff.). Ohne ihre Ergebnisse verallgemeinern zu wollen, stellen Kopp und Schönhagen fest, dass die These, dass Bürgerjournalisten professionellen Journalisten „die Arbeit streitig machen könnten“, nicht bestätigt werden kann (Kopp, Schönhagen 2008.: S. 92).

2.4 Die hybride Medienplattform myheimat.de

Die Plattform myheimat ist laut eigenen Angaben „Betreiber des größten deutschsprachigen Bürgerreporter-Netzwerks für Lokales“ sowie „Marktführer für lokale und sublokale Mitmach-Nachrichten“ (gogol medien 2010b: o.S.). Dabei handelt es sich um eine Online- Plattform, in der Nutzer (beliebig geartete) Beiträge verfassen können, die dort sofort veröffentlicht werden. Teilweise erscheinen diese Beiträge in gedruckter Form in unterschiedlichen Printmedien (im Folgenden: werden republiziert). myheimat wurde 2005 gegründet und zählt 35.274 registrierte Bürgerreporter sowie 202.019 veröffentlichte Beiträge. In acht Regionen existieren „Printmedien mit myheimat Inhalten“ (Wießner, Baun 2010: S. 26) mit einer Gesamtauflage von ca. 1,3 Millionen Exemplaren (vgl. ebd.; Stand 31.05.2010). Betrieben wird myheimat von der in Augsburg ansässigen gogol medien GmbH & Co KG, die sich zu 33,2% im Besitz der TheMediaLab GmbH & Co KG befindet. Diese wiederum gehört zu je 50% den Verlagskonzernen Madsack und WAZ (vgl. Neuberger, Lobigs 2010: S. 185).

Nutzer können sich auf der Website www.myheimat.de mit ihrem Vor- und Zunamen, ihrer Email-Adresse und ihrer Postleitzahl registrieren. Laut gogol medien-Geschäftsführer Martin Huber registrieren sich 90-95% der Nutzer tatsächlich mit ihrem realen Namen und meist mit einem Profilfoto, das sie zeigt (vgl. Bruns 2009a: S. 5).

Registrierte Nutzer können auf der Website Beiträge, Schnappschüsse sowie Veranstaltungen veröffentlichen. Beiträge bestehen aus einem Titel mit maximal 200 Zeichen, einem beliebig langem Text und einer Kategorie (-, Kultur, Sport, Politik, Freizeit, Blaulicht, Natur, Ratgeber, Gedanken oder Wetter). Optional können dem Beitrag beliebig viele Bilder hinzugefügt werden, die jeweils mit Bildunterschriften versehen werden können. Ebenfalls optional kann der Beitrag ein vom Veröffentlichungsdatum abweichendes Datum enthalten (etwa ein in der Zukunft liegendes, um Veranstaltungen anzukündigen) sowie einen Ort. Bei letzterem handelt es sich um einen Eintrag mit einem Titel, einem Ortsnamen und einem auf dem Kartendienst Google Maps angelegten Zeiger. Außerdem kann der Beitrag mit Stichwörtern (Tags) versehen werden. Schnappschüsse sind ebenfalls Beiträge, die allerdings lediglich aus einem Titel und einem Bild, optional mit Bildunterschrift, einer Kategorie und optional einem Datum und einem Ort bestehen. Für Schnappschüsse steht ein alternatives Eingabeformular zur Verfügung. Gleiches gilt für Veranstaltungen, bei denen im Gegensatz zu regulären Beiträgen Datum und Ort obligatorisch sind.

Registrierte und unregistrierte Nutzer können jeden Beitrag lesen. Wird im Browser die Seite www.myheimat.de aufgerufen, so werden Artikel aus ganz Deutschland angezeigt. Bei Aufruf von www.myheimat.de/<ort > werden Beiträge aus dem Ort <ort>, sofern vorhanden, angezeigt. Eine Navigationsleiste führt die oben genannten Kategorien auf, nach denen durch Anklicken gefiltert werden kann. Zusätzlich vorhanden sind dort die Kategorien Veranstaltungen und Marktplatz. Unter ersterer finden sich alle als Veranstaltung erstellen Beiträge. In letzterer sollen werbliche Beiträge künftig gebündelt und es ermöglicht werden, diese als solche zu kennzeichnen (vgl. Wießner 2010: o.S:).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Website von myheimat (Quelle: www.myheimat.de/augsburg; Abruf am 18.08.2010)

Jeder Beitrag (auch Veranstaltungen und Schnappschüsse) können mit Kommentaren versehen werden - allerdings nur durch registrierte Nutzer oder unter Angabe einer Email- Adresse. Die Bilder eines Beitrags können in einer Galerieansicht dargestellt werden. Hierbei besteht die Möglichkeit, für jedes Bild Bildkommentare zu erstellen. Am Ende eines Beitrages ist vermerkt, wie viele Leser ihn als Suchmaschinenergebnis, über andere Links, über eine Weiterempfehlung und direkt auf der myheimat-Website angeklickt haben (siehe Abbildung 5). Die Website stellt außerdem die Möglichkeit bereit, Beiträge weiterzuempfehlen, in Web 2.0-Diensten zu Bookmarken und in eigene Homepages oder Blogs einzubinden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Weitere Funktionalitäten (Quelle: www.myheimat.de/beitrag/681307; Abruf am 18.08.2010)

Registrierte Nutzer können ein Profil anlegen und dieses mit anderen Profilen verknüpfen. Es besteht außerdem die Möglichkeit, in Gruppen einzutreten. Veröffentlichte Beiträge können auf diese Gruppen verweisen. Jeder registrierte Nutzer erhält Punkte für seine Aktivitäten, die zum Beispiel für das Verfassen von Beiträgen und Kommentaren vergeben werden. Die Online-Plattform enthält damit Elemente von Weblogs, Social Networks, Knowledge Communities und File Sharing Communities (vgl. Abschnitt 2.2.2).

Ausgewählte, von myheimat-Nutzern auf der myheimat-Website erstellte Beiträge werden in Druckerzeugnissen republiziert - entweder in speziellen, nur aus myheimat-Beiträgen bestehenden, magazinartigen Heften oder in den Lokalteilen der ortsansässigen Tagespresse.

[...]


1 Allerdings tragen sie nicht in jedem Bundesland die Bezeichnung „Offener Kanal“; in Niedersachsen und Bremen werden sie unter „Bürgerrundfunk“ geführt, in Nordrhein-Westfalen existiert das Modell des „NRW- Bürgerfunks im lokalen Hörfunk“. Die Unterschiede zwischen den Modellen sind jedoch marginal (vgl. ALM 2009: S. 324ff.).

2 Alle drei Anwendungen sind kein Bestandteil des Web, sondern eigenständige Dienste mit eigenen Protokollen.

Ende der Leseprobe aus 104 Seiten

Details

Titel
Blumenbeet und Bürgermeister. Die hybride Medienplattform myheimat
Hochschule
Technische Universität Berlin
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
104
Katalognummer
V176205
ISBN (eBook)
9783640974092
ISBN (Buch)
9783640974146
Dateigröße
2028 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Bürgerjournalismus, Online-Journalismus, Produser, Nachrichtenfaktoren, Lokaljournalismus, Partizipativer Journalismus
Arbeit zitieren
Benjamin Weisser (Autor:in), 2010, Blumenbeet und Bürgermeister. Die hybride Medienplattform myheimat, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/176205

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