Risiko, Unsicherheit und Ambiguität

(Risk, Uncertainty and Ambiguity)


Seminararbeit, 2011

72 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract (Deutsch)

Abstract (English)

Abkürzungsverzeichnis

Verzeichnis verwendeter Variablen

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Beispielverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Gang der Untersuchung

2 Geschichtliche Entwicklung des Ungewissheitsproblems
2.1 Philosophische und mathematische Ansätze bis 1900
2.2 Die Ignoranz der Neoklassischen Wirtschaftstheorie

3 Moderne ökonomische Ansätze zur Berücksichtigung von Ungewissheit
3.1 Knight´sche Ungewissheit
3.1.1 Abgrenzung verschiedener Ungewissheitsgrade
3.1.1.1 Risiko
3.1.1.1.1 Fallbeispiel einer aprioristischen Wahrscheinlichkeitszuordnung
3.1.1.1.2 Fallbeispiel einer statistischen Wahrscheinlichkeitszuordnung
3.1.1.2 Knight´sche Unsicherheit
3.1.1.2.1 Fallbeispiel einer Situation unter Knight´scher Unsicherheit
3.2 Keynesianische Unsicherheit
3.3 Gegenüberstellung des Knight´schen und Keynes´schen Ansatzes der Unsicherheit und deren ökonomischen Implikationen

4 Ambiguität
4.1 Begriffsdefinition
4.2 Die Ambiguität als Zwischenstadium von Risiko und Unsicherheit
4.3 Ambiguitätsaversion am Beispiel des Ellsberg-Paradoxons
4.4 Die Nichtadditivität komplementärer Wahrscheinlichkeiten als zentrale Eigenschaft ambiger Entscheidungen

5 Fazit

Anhang

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Verzeichnis verwendeter Variablen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Knight´sche Klassifizierung von Wahrscheinlichkeiten

Abb. 2: Der Zuverlässigkeitsgrad der zugeordneten Wahrscheinlichkeiten

Abb. 3: Keynesianische Faktoren der Entscheidungsfindung

Abb. 4: Ambiguität als dritte Dimension des Entscheidungsproblems

Abb. 5: Ambiguität als Zwischenstadium von Unsicherheit und Risiko

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Topologie von Wahrscheinlichkeiten

Tab. 2: Schematische Klassifizierung prominenter Ansätze zur Erklärung von Wahrscheinlichkeit und Unsicherheit in der ökonomischen Analyse

Beispielverzeichnis

Bsp. 1: Das Nichtwissen nach Lao-tse

Bsp. 2: Paccioli´s » Gioco di Balla « als Geburtsstunde der Quantifizierung von Ungewissheit

Bsp. 3: Fermatsche „Liste“ zur Lösung des » Gioco di Balla «

Bsp. 4: Pascalsche Rückwärtsinduktion zur Lösung des » Gioco di Balla «

Bsp. 5: Pascalsche Wette als Ausgangspunkt der Entscheidungsfindungstheorie .

Bsp. 6: Die Dominanz des Gottglaubens i. S. d. Pascalschen Wette

Bsp. 7: Jevons universelle Anwendbarkeit des Messens

Bsp. 8: Knight´sche Dichotomie zw. Risiko und Unsicherheit

Bsp. 9: Keynesianische Unsicherheit

Bsp. 10: Der Umgang Keynes mit der Neoklassischen Wirtschaftstheorie

Bsp. 11: Das Ellsberg-Paradox

Bsp. 12: Die axiomatische Definition der Wahrscheinlichkeit durch Kolmogorov

Bsp. 13: Die Nichtadditivität ambiger Entscheidungen am Beispiel des Ellsberg- Paradox

Risiko, Unsicherheit und Ambiguität

(Risk, Uncertainty and Ambiguity)

Abstract (Deutsch)

Entscheidungen werden von Menschen aufgrund von Informationsunvollkommenheiten und der begrenzten kognitiven Fähigkeit ihrer Verarbeitung häufig ohne die genaue Kenntnis ihrer implizierten Konsequenzen getroffen. Dies bewegte Philosophen und Wissenschaftler bereits seit den frühesten Menschenzeitaltern dazu, sich i. R. ihrer Entscheidungsfindung mit dem Phänomen der Ungewissheit zu befassen. Nichtsdestotrotz erhielt die Auseinandersetzung mit der Ungewissheit erst Anfang der Zwanzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts Einzug in die ökonomische Theorie. Nur wenige Jahre zuvor wurde jene von der Neoklassischen Wirtschaftstheorie im Zusammenhang mit der übersimplifizierenden Annahme des sog. homunculus oeconomicus neoclassicus noch vollständig und ignorant ausgeblendet und damit ein Stabilität garantierendes, risikofreies System unterstellt.

Die Wegbereiter des modernen ökonomischen Ansatzes hinsichtlich des Umgangs mit der Ungewissheit sind in den Wirtschaftswissenschaftlern Frank Knight und John Maynard Keynes zu identifizieren. Die ihrerseits geleistete definitorische und konzeptionelle Auseinandersetzung mit den bestimmten Graden von Ungewissheit gilt bis in die gegenwärtige Zeit als bestimmende Forschungsgrundlage. Gestützt von den katastrophalen Auswirkungen des Ersten Weltkriegs erwiesen sich sowohl Knight als auch Keynes als Antagonisten der Vorstellung einer universellen Anwendbarkeit des Messens, welche etwa im Viktorianischen Zeitalter von William Stanley Jevons enthusiastisch proklamiert wurde. Das aus der Vergangenheit gesammelte Erfahrungswissen und daraus abgeleitete Wahrscheinlichkeitsüberlegungen sollen in der modernen ökonomischen Theorie nicht grds. ausreichend sein, um im Sinne eines nutzenmaximierenden Permanentkalkulators jeglichen Ausgang von Entscheidungen voraussagen zu können.

Stellvertretend zu erwähnen ist diesbezüglich insbesondere die von Frank Knight im Jahre 1916 aufgestellte kategorische Unterscheidung der Topoi „Risiko“ und „Unsicherheit“, welche eine Kontroverse über die Anwendbarkeit und Aussagekraft der Wahrscheinlichkeitsrechnung loslöste. Während Risiken eine Kalkulierbarkeit gemäß der Wahrscheinlichkeitsrechnung zugutegehalten wird und diese damit im Umkehrschluss überhaupt keine Ungewissheit, sondern vielmehr „apodiktische Gewissheit“ abbilden, ist die Knight´sche Unsicherheit aufgrund ausschließlich partiellen Wissens nicht in die Zukunft projizierbar und kann durch keinerlei Apriori-Denken umgangen werden. Diese pessimistische, geradezu zynische Betrachtung der menschlichen Natur steht in demonstrativem Widerspruch zum neoklassischen Konstrukt des homunculus oeconomicus neoclassicus und soll genauer betrachtet werden.

Hinsichtlich des pessimistischen Menschenbildes der Neoklassik und dem fehlenden Einverständnis ggü. der generellen Anwendbarkeit traditioneller Wahrscheinlichkeitsrechnungen war John Maynard Keynes mit Frank Knight einer Auffassung. So verspottete Keynes höhnisch das von Jakob I. Bernoulli benannte „Gesetz der Großen Zahlen“, das sinnvolle Entscheidungen auf Basis von relativen Häufigkeiten vergangener Vorkommnisse erlaubt. Dies gelte im Besonderen für die Ökonomie, welche einen fluktuierenden Zukunftsprozess darstelle. Keynes folgte dabei zwar nicht der Knight´schen Kategorisierung in Risiken und Unsicherheiten, widersprach aber ebenso deutlich der aufgestellten Hypothese, probabilistisches Risiko und Unsicherheit seien Synonyme. Darüber hinaus differenzierte er verschiedene Arten der Unsicherheit: Neben der fundamentalen Unsicherheit, die durch keinerlei wissenschaftliche Basis oder kalkulierbare Wahrscheinlichkeit messbar ist, existieren Fälle geringerer Unsicherheit. Diese sind gekennzeichnet durch die begrenzte Möglichkeit der Reihung oder Abschätzbarkeit von Eintrittswahrscheinlichkeiten.

Diese Keynes´sche Abgrenzung kann auch als verknüpfendes Element zur schließlich beleuchteten Problematik der Ambiguität als Zwischenstadium von Risiko und Unsicherheit betrachtet werden. Sie stellt i. e. S. die „Unsicherheit der Unsicherheit“, die auf subjektiven Wahrscheinlichkeitseinschätzungen beruht, dar. Illustriert werden sollen Faktoren, welche diese Unwegsamkeit verstärken resp. vermindern. Herausgearbeitet wird die Widerstandsfähigkeit der Knight´schen Unsicherheit ggü. jüngerer Theorien, welche versuchten, Unsicherheit modelltheoretisch abzubilden. Prägnant nachgewiesen werden kann dies am Beispiel des Ellsberg-Paradoxons, das zeigt, dass die menschliche Aversion hinsichtlich ambiger Entscheidungen zur Verkehrung der (subjektiven) Erwartungsnutzentheorie führen kann.

Risk, Uncertainty and Ambiguity

(Risiko, Unsicherheit und Ambiguität)

Abstract (English)

When people make a decision they are often not fully aware of the consequences implied. This is due to the human's limited cognitive ability to process information and because he does not have the entity of essential information available. Philosophers and scientists have been dealing with the phenomenon of uncertainty in the decision-making process ever since the dawn of mankind. However, it was not until the early 1920s when the examination of uncertainty found its way into economic theory. Few years before it had been completely omitted by Neoclassical Economics in the context of the oversimplistic assumption by the so called homunculus oeconomicus neoclassicus - an ignorant way that resulted in the presumption of a riskless, stability-ensuring system.

Regarding the examination of uncertainty, the econimists Frank Knight and John Maynard Keynes have to be seen as trailblazers for the modern economic approach. Their definitional and conceptional work with determined levels of uncertainty has still been the dominating scientific basis. Being confirmed by the disastrous impact of World War I, both Knight and Keynes proved to be antagonists to the idea of an universal applicability of measuring - an idea which had been enthustiastically proclaimed in the Victorian era by William Stanley Jevons, to name only one. In modern economics, experiential knowledge and the probability considerations inferred thereof are generally not to be adequate to predict every possible consequence of decisions in the sense of a utility-maximized permanent calculator.

In this context the categoric differenciation of the topoi risk and uncertainty has to be mentioned representatively: Set up by Frank Knight in 1916, it triggered a controversy on applicability and informative value of the probability theory. The advantage of risks is their calculability in terms of probability. This consequently means that they are not an uncertainty at all but rather an apodictic certainty which is. In contrast, Knight’s uncertainty cannot be projected because the knowledge is solely partial. This can neither be evaded through a-priori- thinking. This pessimistic, almost cynical consideration of human nature is contradictory to the neoclassical construct of homunculus oeconomicus neoclassicus and shall be regarded in- depth.

Regarding the pessimistic idea of man in the neoclassic era and the lack of approval for the applicability of traditional probability theories, John Maynard Keynes and Frank Knight shared the same view. Keynes, for instance, ridiculed the „Law of large numbers“ (a term which was created by Jakob Bernoulli I.), a frequency-based theorem which allows reasonable decisions in consideration of past events. This is in particular valid for an economy which represents a fluctuating future process. In this case Keynes did not follow Knight’s classification in the categories of risk and uncertainty, but on the other hand he also contradicted the hypothesis which regards probabilistic risk and uncertainty as synonymous. Moreover he differentiated between various kinds of uncertainty: Beside the fundamental uncertainty which is not measureable on any scientific basis, there are cases of less uncertainty. These are characterized by their limited potential to be estimated with help of occurrence probability.

This distinction can also be seen as linking element to the difficulty of ambiguity as a intermediary stage between risk and uncertainty. It exhibits the “uncertainty of uncertainty“ which depends on subjective probability estimations. Factors which amplify or diminish this impassibility shall be illustrated. The resilience of Knight’s concept of uncertainty compared to newer theories which try to show uncertainties in model theories shall be elaborated. This can be demonstrated concisely with the example of the Ellsberg paradox which shows that human aversion regarding ambiguous decisions may result in the reversal of the (subjective) expected utility theory.

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Bereits der altgriechische Philosoph Aristoteles erkannte, dass der Mensch bei den meisten realen Sachverhalten, die Entscheidungen erforderlich machen, alternativen Moglichkeiten gegenubersteht.1 Aufgrund von Informationsunvollkommenheiten und einer begrenzten kognitiven Fahigkeit der Informationsverarbeitung werden die Alternativen haufig ohne die genaue Kenntnis ihrer implizierten Konsequenzen getroffen.2 Obwohl das Phanomen der Ungewissheit bereits seit den fruhesten Menschenzeitaltern konstatiert3 und analysiert wurde, erhielt die Auseinandersetzung mit derselben erst in den Zwanzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts Einzug in die okonomische Theorie.4 Die Wirtschaftswissenschaftler Frank Hyneman Knight5 sowie John Maynard Keynes6 zeichnen sich als die mafigeblichen Wegbereiter des modernen okonomischen Ansatzes hinsichtlich des Umgangs mit der Problematik der Ungewissheit verantwortlich.7 Deren auf der pessimistischen, teilweise geradezu zynischen Anschauungsweise der menschlichen Natur grundende Fiktion8, die in demonstrativem Widerspruch zur Neoklassischen Wirtschaftstheorie und deren Idealtyp des homunculus oeceonomicus neoclassicus steht, bildet die Grundlage fur das heutige Verstandnis der Topoi „Risiko und „Unsicherheit und die damit zusammenhangende Forschung.9

1.2 Zielsetzung und Gang der Untersuchung

Ziel dieser Ausarbeitung ist eine anschauliche Untersuchung und Darstellung der Bedeutung und Entwicklung der entscheidungstheoretischen Begrifflichkeiten Unsicherheit, Risiko und Ambiguitat. Gewahrleistet werden soll einerseits die Generierung eines intuitiven Verstandnisses und die damit einhergehende Sensibilisierung hinsichtlich der o. g. Begrifflichkeiten sowie andererseits reflektierende Einblicke in deren praktische Relevanz und in die heuristischen Anstrengungen der okonomischen Theorie, welche versuchten, diese Phanomene einzubetten.

Konzeptionell ist die vorliegende Arbeit in funf Kap. kategorisiert. Wahrend die Problemstellung bereits im ersten Kapitel beleuchtet wurde und daruber hinaus eine Deklaration der Untersuchungsziele erfolgte, wird im folgenden, zweiten Kap. mit Hilfe eines kurzen Ruckblicks in die Geschichte zum Thema hingefuhrt. Die Beschaftigung mit der Vergangenheit ist, wie bereits Spinoza10 vorbrachte, notwendig, um die Fehler dieser in der Gegenwart und Zukunft nicht zu wiederholen.11 Verdeutlicht werden soll, dass die Ungewissheitsproblematik i. R. d. Bildung von Entscheidungen von Philosophen und Wissenschaftlern zwar seit den fruhesten Menschenzeitaltern konstatiert und analysiert wurde, jedoch lange Zeit keinen Einzug in die theoretische Okonomie fand. Unterstrichen wird dies mit der ubersimplifizierenden Herangehensweise der noch relativ jungen Neoklassischen Wirtschaftstheorie.

Im Anschluss daran beginnt im dritten Kapitel der Hauptteil dieser Ausarbeitung. Dieser besteht in der Darlegung der in den fruhen 1920er-Jahren entwickelten, bahnbrechenden okonomischen Neukonzeptionen im Hinblick der Ungewissheitsthematik, die in direktem Widerspruch zur Neoklassik stehen. Im Fokus der Diskussion und kritischen Auseinandersetzung wird dabei die von Frank Knight im Jahr 1916 veroffentlichte Unterscheidung von Risiko und Unsicherheit stehen, ehe die Perspektive John Maynard Keynes' ausgiebig gewurdigt wird. Erkennbar werden wird das grofie Ausmafi an Pessimismus bzw. sogar Zynismus, mit welchem der nun nicht mehr rational geltende Mensch observiert wird. Die Analyse wird konzeptorientiert erfolgen, wahrend auf die historische Rekonstruktion dieser Autoren nur beilaufig eingegangen wird.

Im vorletzten, vierten Kap. wird das Phanomen der Ambiguitat untersucht. Der Konkretisierung der begrifflichen Aussagekraft (Abschn. 1) und der folgenden, begrifflichen Einordnung der Ambiguitat als Zwischenstadium von Unsicherheit und Risiko (Abschn. 2) folgen anwendungsbezogene Analysen. Das in Abschn. 3 skizzierte Ellsberg-Paradox soll die Rolle der menschlichen Aversion ggu. ambiger Entscheidungen prazisieren, ehe in Abschn. 4 die Nichtadditivitat als typische Eigenschaft solcher Entscheidungen herausgearbeitet wird. Pragnant zeigt das Ellsberg-Paradox die Widerstandsfahigkeit der in Kap. 3 dargelegten Theorien ggu. jungerer Rational-Choice-Ansatze des spateren 20. Jh..

Abschliefiend wird im letzten Kap. eine kurze, resumierende Zusammenschau der vorgestellten Themen vorgenommen.

2 Geschichtliche Entwicklung des Ungewissheitsproblem

2.1 Philosophische und mathematische Ansatze bis 1900

Ein bedeutender Vorlaufer der Auseinandersetzung mit der Entscheidungsfindung unter Unsicherheit sind die Uberlegungen der griechischen Philosophie.12 Sinniert wurde bereits damals uber das Moment der Wahrscheinlichkeit.13 So definierte Sokrates den Begriff »eikos«14 von der Wahrheit15 differenzierend als „Ahnlichkeit mit der Wahrheit.16 Eine Quantifizierbarkeit bzw. Kalkulierbarkeit17 der Ungewissheit scheiterte jedoch zum einen daran, dass Regularitaten als gottliches Monopol erachtet wurden und zum anderen am nicht existierenden Zahlensystem.18 Insbesondere infolge der Ausbreitung des Christentums unterwarfen sich die Menschen vielmehr mystizistisch der willkurlich die Zukunft determinierenden, gottlichen Macht.19

Ein Meilenstein fur die Mathematik und damit auch fur die eventuelle mogliche Berechnung von Ungewissheit ist die bedeutungsvolle Verbreitung des indisch-arabischen Zahlensystems in der westlichen Welt.20 Diese gelang Fibonacci21 Anfang des 13. Jh. mit seinem Werk Liber Abaci?22 Unterstutzt von Renaissance und Reformation veranderte sich nicht blofi das Verhaltnis des Menschen zu Gott, sondern in erheblichem Ausmafi auch dessen Bewusstsein hinsichtlich der Zukunft. Jene sollte nicht mehr der reinen Willkur der gottlichen Macht, sondern teilweise auch der eigenen Selbstbestimmung unterlegen sein.23

Ihre Geburtsstunde findet die Wahrscheinlichkeitsanalyse und damit die Quantifizierung von Ungewissheit schliefilich in der von Paccioli24 in seinem 1494 publizierten Meisterwerk Summa de arithmetic, geometria, proportioni et proportionalita vorgebrachten Denksportaufgabe namens »Gioco di Balla« .25 26 Dabei wird die sog. „Frage der Punkte 27 diskutiert, in welcher Weise der Spieleinsatz im Falle eines Abbruchs eines fairen Spiels unter den Teilnehmern aufzuteilen ist.28 Schliefilich dauerte es weitere 160 Jahre, bis der Debatte durch nuancierte Losungen ein Ende gesetzt werden konnte. Diese wurden von Pascal29 und de Fermat30, verschiedene Standpunkte verfolgend, erganzend erbracht und leiteten den Durchbruch der Wahrscheinlichkeitstheorie erfolgreich ein.3132

Es war ebenfalls die „French Connection33, die als Ausgangspunkt der Entscheidungsfindungstheorie34 anerkannt wird.35 Insbesondere die »Pascalsche Wette« 36 verdeutlicht anhand der Abwagung zw. Glauben und Nichtglauben an Gott anschaulich, dass Entscheidungen nicht generell und ausschliefilich auf der Basis vergangener Lebenserfahrungen oder anhand von Experimenten getroffen werden konnen.37 Aus dem Dominanzargument38 der Alternative „Gottglaube schlussfolgerte Pascal eine zweifelsfreie Losung seiner Wette.39 Nur kurze Zeit spater wurden die Leistungen Pascals in verschiedensten Bereichen zur Untersuchung von Rohdaten verwendet.

[...]


1 ARISTOTELES [1], Poetik, in: FLASHAR (Hrsg.), Aristoteles - Poetik, Aristoteles Werke in deutscher Ubersetzung, Bd. 5, 2008, 13, Rn. 1451a38 ff .; auch zitiert in SECADES/PLIEGO/DEL CERRO [68], Maximum-Likelihood Method, JOMS 2006, Vol. 132, No. 5, 672, 672: most of the things about which we make decisions, and into which we inquire, present us with alternative possibilities.

2 KNIGHT [37], Risk, Uncertainty and Profit, 1921, 202; RUBALTELLI/RUMIATI/SLOVIC [59], Ambiguity Avoidance and Comparative Ignorance, JORAU 2010, 243, 243; siehe auch TVERSKY/FOX [77], Weighing Risk and Uncertainty, PR 1995, Vol. 102, No. 2, 269, 269; ebenso FOX/WEBER [21], Ambiguity Aversion, OBAHDP 2002, Vol. 88, No. 1, 476, 477.

3 So stellte der chinesische Philosoph Lao-tse bereits im 6. Jh. v. u. Z. fest: „Die Nichtwissenheit wissen ist das Hochste, vgl. LAO-TSE [41], Tao-Te-King, in: DEBON (Hrsg.), Lao-tse - Tao-Te-King, 2007, 2. Buch, Kap. 71, 100, Rz. 171, fur das vollstandige Kap. siehe Anhang, Bsp. 1, XXII; nur zwei Jhe. spater aufierte auch der bedeutende griechische Philosoph Sokrates seinen beruhmten Zweifel ggu. sicherem Wissen: „Ich weifi, dass ich nicht weifi; allerdings ist der s]okratische Wissensbegriff mit Vorsicht zu deuten, eine Ubersicht umfassender, kontrarer Auslegungsmoglichkeiten ist einschlagig in VLASTOS [78], Socrates' Disavowal of Knowledge, TPQ 1985, 1, 1 ff.; daruber hinaus tragt die Aussage das Paradoxon in sich, dass auch das Wissen uber das Nichtwissen ein Wissen darstellt, vgl. STOKES [75], Apology of Socrates, 1997, 18.

4 BUERGIN [6], Handeln unter Unsicherheit undRisiko, www.sefut.uni-freiburg.de/pdf/FOR27_99.pdf, 5, abgerufen am 19.12.2010.

5 Frank Hyneman Knight war ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler (* 1885, f 1972).

6 John Maynard Keynes war ein britischer Okonom, Politiker und Mathematiker (* 1883, f 1946).

7 BERNSTEIN [4], Wider die Gotter, 1997, 273.

8 BERNSTEIN [4], Wider die Gotter, 1997, 273.

9 BUERGIN [6], Handeln unter Unsicherheit und Risiko, www.sefut.uni-freiburg.de/pdf/FOR27_99.pdf, 5, abgerufen am 19.12.2010.

10 Baruch Spinoza war ein niederlandischer Philosoph (* 1632, | 1677).

11 DAVIDSON [13], Misunderstanding on uncertainty, in: SCHMIDT, Uncertainty in economic thought, 1996, 21, 21.

12 BERNSTEIN [4], Wider die Gotter, 1997, 273.

13 SAMBURSKY [60], Ancient Greece, Osiris 1956, Vol. 12, 35, 35.

14 BERNSTEIN [4], Wider die Gotter, 1997, 28.

15 Ubersetzt aus dem altgriechischen Wort dxog; eine eingehende Untersuchung alternativer Interpretationen des Begriffs ist einschlagig in KRAUS [39], Early Greek Probability Arguments, Universitat Tubingen -Philologisches Seminar, http://jakemachina.com/OSSA/pdf/500_Kraus.pdf, 2 ff., abgerufen am 28.12.2010.

16 DAVIDSON [13], Misunderstanding on uncertainty, in: SCHMIDT, Uncertainty in economic thought, 1996, 21, 21.

17 BERNSTEIN [4], Wider die Gotter, 1997, 273.

18 Wahrheit war fur die Griechen ausschliefilich das, was sich durch Logik und Axiomatik beweisen liefi. Die leidenschaftliche Beharren des Beweisens stellte die Wahrheit in einen direkten Gegensatz zum empirischen Experimentieren, vgl. BERNSTEIN [4], Wider die Gotter, 1997, 27 f..

19 So unterschied Aristoteles spater i. R. seiner Untersuchung der Dichtkunst schliefilich eikos (Wahrscheinlichkeit) von anankaion (Notwendigkeit), vgl. ARISTOTELES [1], Poetik, in: FLASHAR (Hrsg.), Aristoteles -Poetik, Aristoteles Werke in deutscher Ubersetzung, Bd. 5, 2008, 13, Rn. 1451a38 ff..

20 Das Wort stammt vom lat. Wort fur Kiesel, calculus, ab.

21 BERNSTEIN [4], Wider die Gotter, 1997, 61.

22 BERNSTEIN [4], Wider die Gotter, 1997, 33.

23 EVES [19], Great Moments before 1650, 1983, 161.

24 Kosename von Leonardo da Pisa (* um 1170, f um 1250), der als bedeutungsvollster und qualifiziertester Mathematiker des Mittelalters angesehen wird, vgl. EVES [19], Great Moments before 1650, 1983, 161.

25 BERNSTEIN [4], Wider die Gotter, 1997, 273.

26 BERNSTEIN [4], Wider die Gotter, 1997, 273.

27 BERNSTEIN [4], Wider die Gotter, 1997, 33 u. a. 56.

28 Luca Paccioli war ein italienischer Mathematiker (* 1445, f 1517).

29 Siehe Anhang, Bsp. 2, XXIII.

30 Fur die Pascalsche Losung durch Ruckwartsinduktion vgl. Anhang, Bsp. 4, XXV.

31 Fur die Fermatsche Liste zur Losung des „Gioco di Balla siehe Anhang, Bsp. 3, XXIV.

32 Die verschiedenen Standpunkte, die jedoch das gleiche Ergebnis hervorriefen, werden im Anhang in den Bsp. 3 (XXIV) und 4 (XXV) gezeigt.

33 BERNSTEIN [4], Wider die Gotter, 1997, 273.

34 BUHLMANN [7], Mathematische Paradigmen in der Finanzwirtschaft, EDM 1998, Vol. 53, 159, 160; s. a. EVES [20], Great Moments after 1650, 1983, 4.

35 BERNSTEIN [4], Wider die Gotter, 1997, 273.

36 BERNSTEIN [4], Wider die Gotter, 1997, 77 ff..

37 BERNSTEIN [4], Wider die Gotter, 1997, 92.

38 Anhang, Bsp. 6, XXVII veranschaulicht das Dominanzargument der Strategie des Gottglaubens.

39 HACKING [28], Emergence of probability, 1975, 67; der logische Fehlschluss aufgrund der nicht vollstandigen Partitionierung der Glaubensmoglichkeiten ist in diesem Kontext nicht von Relevanz.

Ende der Leseprobe aus 72 Seiten

Details

Titel
Risiko, Unsicherheit und Ambiguität
Untertitel
(Risk, Uncertainty and Ambiguity)
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Institute for Research in Economic Evolution)
Veranstaltung
Entscheidungsfindung unter Ambiguität (Decision Making Under Ambiguity)
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
72
Katalognummer
V176093
ISBN (eBook)
9783640972012
ISBN (Buch)
9783640973026
Dateigröße
850 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Abstract sowohl in deutscher als auch englischer Sprache enthalten!
Schlagworte
Risiko, Unsicherheit, Ambiguität, Ambiguity, Risk, Uncertainty, Entscheidungstheorie, Mikroökonomie, Adam, Philipp Adam, Knight, Frank Knight, Wahrscheinlichkeit, Wahrscheinlichkeitsrechnung, Ellsberg, Ellsberg-Paradox, Ellsberg-Paradoxon, Keynes, John Maynard Keynes, homo oeconomicus, homunculus oeconomicus, eikos, Wahrheit, Fibonacci, Liber Abaci, Luca Paccioli, Paccioli, Gioco di Balla, de Fermat, Pascal, Blaise Pascal, Pascalsche Wette, Bernoulli, Gauß, Jevons
Arbeit zitieren
Philipp Adam (Autor:in), 2011, Risiko, Unsicherheit und Ambiguität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/176093

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