Zur Bedeutung Benoît Mandelbrots auf die moderne Finanzmarktanalyse


Bachelorarbeit, 2011

76 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Symbolverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Benoît Mandelbrot: Kritik, Modell und Fraktale
1.2 Danksagung

2 Das Leben von Benoît Mandelbrot
2.1 Kindheit, Jugend und Ausbildung zum Mathematiker
2.2 Die Zeit bei IBM
2.3 Nach dem Ausscheiden bei IBM
2.4 Akademische Auszeichnungen und bedeutendste Publikationen

3 Die Entwicklung der modernen Finanzmarkttheorie
3.1 Louis Bachelier und der Random Walk
3.2 Die Portfoliotheorie von Harry Markowitz
3.3 Weiterentwicklung der Thesen von Bachelier
3.4 Optionsbewertung nach Black-Scholes
3.5 Klassische GARCH(p, q)-Modelle

4 Problematische Annahmen der modernen Finanzmarkttheorie
4.1 Modelltheorie
4.2 Effizienzmarkthypothese (EMH)
4.3 Stylized Empirical Facts

5 Die Entstehung eines multifraktalen Marktmodells
5.1 Diskontinuität und Fat Tails
5.2 Langzeitgedächtnis von Kursreihen
5.3 Multifraktale Handelszeit

6 Multifraktale Modelle
6.1 Multifractal Model of Asset Returns (MMAR)
6.2 Parameterschätzung im MMAR
6.3 Markov Switching Multifractal Model (MSM)
6.4 Fraktale Markthypothese (FMH)
6.5 Vergleich mit integrierten GARCH-Prozessen

7 Zusammenfassung

Anhang
A Fraktale Geometrie
A.1 Begriffsdefinitionen
A.2 Selbstähnlichkeit
A.3 Fraktale5 Strukturen am Beispiel der Julia- und Mandelbrotmenge
A.4 Stochastische Fraktale
A.5 Multifraktale Strukturen
A.6 Selbstähnliche Prozesse
B Levy-stabile Verteilungen
C Hurst-Parameter
C.1 R/S-Analyse nach Mandelbrot und Wallis
C.2 Die statistische Signifikanz der R/S-Analyse

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Symbolverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabellenverzeichnis

4.3.1 Jarque-Bera-Test

4.3.2 Extreme Tagesrenditen im Zeitraum von 26.11.1990 bis 26.04.2011

4.3.3 Ljuang-Box-Test

5.1.1 Schätzung der Pareto-Tails am Beispiel der DAX30-Renditen

5.2.1 Teststatistik Vn bei Variation von q

6.5.1 Test auf Langzeitabhängigkeit des GARCH(1,1)-Prozesses

A.1 Exemplarische Skalierungsfunktionen

C.1 Quantile der Verteilungsfunktion der Teststatistik Vn

Abbildungsverzeichnis

1.0.1 DAX30

2.0.1 Benoît Mandelbrot im Alter von 73 Jahren

3.5.1 Renditen des Standard-Wiener-Prozesses und eines GARCH(1,1)-Modells

4.3.1 DAX30 vom 26.11.1990 bis 26.04.2011

4.3.2 Empirische Dichte und Normal-Quantil-Plot der DAX30-Renditen

4.3.3 Abklingverhalten der Autokorrelationsfunktion der gewöhnlichen und der absolu ten Renditen des DAX30

4.3.4 Rolling-Varianz-Plot

5.1.1 Log-Log-Plot der logarithmierten Preisänderungen gegen deren Wahrscheinlichkeit

5.1.2 Pareto-Dichtefunktion

5.1.3 Lévy-stabile Verteilungen in Abhängigkeit vom Tail-Index

5.1.4 Gegenüberstellung Standard-Wiener-Prozess und Lévy-stabiler Prozess

5.2.1 Simulationen des fraktalen Gaußschen Rauschens

5.2.2 Empirische Ergebnisse für den Hurst-Exponenten

5.2.3 R/S-Schätzung graphisch

5.3.1 Vergleich der logarithmierte Renditen der Brownschen Bewegung und des DAX30

5.3.2 Simulation eines multifraktalen Maßes

6.2.1 Entwicklung des Wechselkurses DM/EUR vom 1.06.1973 bis zum 31.12.1996

6.2.2 Plot der Datenfrequenz Δt gegen die Partitionsfunktion S(q, Δt)

6.2.3 Vergrößerter Ausschitt des linearen Approximationsbereiches

6.2.5 Skalierungsfunktion in Abhängigkeit von q

6.2.6 Simulation des Multifractal Model of Asset Returns

6.2.7 Renditesimulation im Multifractal Model of Asset Returns

6.3.1 Renditesimulation im Markov Switching Multifractal Model

6.3.2 Konstruktion eines MSM-Prozesses

6.3.3 Simulation einer Trajektorie der logarithmierten Renditen und Kurse im MSM

6.5.1 Renditen und Rolling-Varianz Plot des GARCH(1, 1)-Modells

A.1 Julia-Menge für fc (z) = z2 − 0 .2 + 0 .8i

A.2 Mandelbrot-Menge für fc (z) = z2 + c

A.3 Mini-Mandelbrot-Menge für fc (z) = z2 + c

A.4 Mandelbrot-Menge mit Störterm

A.5 Cantor-Fläche

A.6 Konstruktion des Binominalmaßes durch multiplikative Kaskaden

A.7 Der Aufbau einer Cantor-Menge mit µk = (1/2)n

A.8 Ungleiche Aufteilung der Intervalle der Cantor-Menge

Einleitung

Das Geschehen an den globalen Finanzmärkten ist äußerst komplex, undurchsichtig und gleichzeitig für viele Menschen faszinierend. Während es auf Außenstehende wie bloßer Voodoo-Zauber wirkt, stellt das Auf und Ab der Börsen für Ökonomen, Händler und Investoren ein vielschichtiges Forschungsgebiet dar.

Die simultanen Interaktionen der vielen Millionen Marktteilneh- mer macht es unmöglich, das Marktgeschehen über deterministi- sche Funktionen zu beschreiben und zu zukünftige Entwicklun- gen zu prognostizieren. Dennoch wurden in den letzten 110 Jah- ren seit Entwicklung der modernen Finanztheorie von vielen Öko- nomen, Mathematikern, Natur- und Sozialwissenschaftlern enorme Anstrengungen unternommen, adäquate stochastische Marktmodel- le zu entwickeln. Diese sollen das reale Verhalten der Kurse mög- lichst exakt nachbilden, um Risiken und Preise zu quantifizie- ren.

Eine Vielzahl der existierenden Modelle geht von Annahmen aus, die Abbildung 1.0.1: DAX30

sich bei empirischen Untersuchungen realer Kursreihen als fehlerhaft Quelle: Evertsz (1995)

erweisen. Dieses Problem verstärkt sich, da spätere Finanzmarktmo delle auf früheren Ansätzen aufbauen und diese weiterentwickeln. Diese Marktmodelle versagen regelmäßig in extremem Marktsituationen, da sie oftmals nicht in der Lage sind, diese Zustände korrekt darzustellen.

Ziel dieser Arbeit ist es, die konventionellen Finanzmarktmodelle kritisch zu beleuchten und anhand von Benoît Mandelbrots fraktaler Geometrie alternative Modelle aufzuzeigen. Hierzu wird sowohl die umfangreiche Grundlagenforschung Mandelbrots aufgezeigt, als auch hierauf aufbauende Marktmodelle vorgestellt.

1.1 Benoît Mandelbrot: Kritik, Modell und Fraktale

Im Jahre 1961 beschäftigte sich der Mathematiker und Naturwissenschaftler Benoît Mandelbrot erstmals mit ökonomischen Zeitreihen. Er versuchte über Selbstähnlichkeit und Skalierungsgeset- ze einen geometrisch geprägten Weg einen alternativen Zugang zum Finanzmarkt herzustellen. Er entdeckte zu Beginn seiner Arbeit viele Eigenschaften finanzwirtschaftlicher Zeitreihen, die heute zu den Stylized Empirical Facts gezählt werden. Ebenso musste er feststellen, dass eben diese Eigenschaften von klassischen Ansätzen nur unzureichend berücksichtigt werden und häuf ig als Irregularitäten abgetan werden.

Letztendlich kam er zu dem Schluss, dass dem Finanzmarkt, wie der Natur selbst, fraktale Strukturen inhärent innewohnen und charakteristische Eigenschaften durch eine Änderung der Zeitskala unverändert bleiben (vgl. Nemtsev, 2006, S. 3). Abbildung 1.0.1 zeigt drei Kursreihen, deren zeitliche Skalierung ohne Angabe des Maßstabes nicht festzustellen ist1. Er entwickelte schließlich auf Basis seiner Beobachtungen ein multifraktales Marktmodell zur Beschreibung von Renditeprozessen. Multifraktale Strukturen erlauben, viele der von ihm selbst festgestellten Irregularitäten zu charakterisieren und entsprechend zu messen.

Die Arbeit beginnt mit einer kurzen biographischen Darstellung von Benoît Mandelbrots Leben. Sie wurde nach Lebensabschnitten gegliedert und verfolgt das Ziel, dem Leser den Werdegang von einem der bedeutendsten Mathematiker der letzten 50 Jahre näher zu bringen.

In Kapitel 3 werden einige der wichtigsten Meilensteine in der Entwicklung der klassischen F inanzmarkttheorie vorgestellt. Das Kapitel wurde chronologisch aufgebaut, so dass der Leser einen Überblick über Entstehung und Entwicklung der modernen Finanztheorie erhält.

Das anschließende Kapitel führt die Annahmen der klassischen Modelle weiter aus und vergleicht diese Annahmen mit einer eigenen Auswahl an empirisch nachweisbaren Stylized Facts. Im Zen- trum dieser Analyse steht die Normalverteilungsannahme, auf der die Mehrzahl der klassischen Ansätze aufbaut. Diese werden anhand eines realen Datensatzes ,des DAX30, überprüft. Ferner wird die Hypothese der effizienten Märkte grob vorgestellt und deren Annahmen kritisch be- leuchtet.

Die wesentlichen Kritikpunkte von Benoît Mandelbrot an der klassischen Finanztheorie werden im Kapitel 5 dargestellt. Dazu zählen insbesondere die schweren Ränder der Renditeverteilung, das Langzeitgedächtnis der Renditen und die Bildung von Volatilitätsclustern. Ferner werden die Mandelbrotschen Alternativen detailliert beschrieben und deren Plausibilität anhand realer Kursdaten gezeigt. Zusätzlich wird dem Leser die fraktale Markthypothese als Alternative zur Effizienzmarkthypothese dargelegt.

Mandelbrots Forschungsaktivitäten führten zum ersten multifraktalen Marktmodell, dem Mul- tifractal Model of Asset Returns, welches in Kapitel 6 beschrieben wird. Ferner wird dessen konkrete Anwendung anhand einer empirischen Studie zum Wechselkurs D-Mark/USD aufge- zeigt. Zusätzlich beinhaltet dieses Kapitel die Darstellung eines weiteren multifraktalen Modells. Es wurde von Benoît Mandelbrots ehemaligen Doktoranden Adlai Fisher und Laurent Calvet konstruiert und trägt den Namen Markov Switching Multifractal Model. Es stellt eine Weiterent- wicklung von Mandelbrots multifraktalen Grundmodell dar. Abschließend werden die Vorzüge multifraktaler Modelle zu GARCH-Modellen aufgezeigt.

Zum Abschluss der Arbeit werden die Ergebnisse in Kürze resümiert und ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen gegeben.

Um die Lesbarkeit im Hauptteil der Arbeit zu verbessern, wurden längere mathematische und statistische Ausführungen in den Anhang verlagert. Hier finden sich unter anderem grundlegende Schilderungen über die fraktale Geometrie, lévy-stabile Verteilungen, den Hurst-Exponenten und multifrakale Wahrscheinlichkeitsmaße. Ganz im Sinne Mandelbrots wurde versucht, möglichst viele Sachverhalte graphisch darzustellen. Auf mathematische Beweise wurde im Rahmen dieser Arbeit gänzlich verzichtet.

1.2 Danksagung

Hiermit bedanke ich mich herzlich bei Prof. Dr. Ralph Friedmann und Dipl.-Vw. Sven Wagner für die Vergabe dieses doch sehr spannenden und faszinierenden Themas. Es stellt eine Bereichung für meinen weiteren Werdegang dar und gewährte mir neue Einblicke und Erkenntnisse in mathematische und statistische Probleme.

Ebenso möchte ich mich bei meinen Korrekturlesern und Freunden Alexander Michel und Nathalie Neu bedanken. Durch ihre Unterstützung konnten einige sprachliche und logische Unstimmigkeiten vermieden werden. Besonderer Dank gebührt Dr. Klaus Schindler für seine Vorlesung Mathematik D: Derivative Finanzinstrumente im Wintersemester 2010/2011, ohne die diese Arbeit sicherlich nicht in dieser Form zustande gekommen wäre.

2. Das Leben von Benoît Mandelbrot

Benoît B. Mandelbrot1 gehört sicherlich zu den bedeutendsten Ma- thematikern des 20. Jahrhunderts. Sein Lebenswerk, die fraktale Geo- metrie, hat inzwischen zahlreiche und umfassende Anwendungsfelder in den Natur- und Gesellschaftswissenschaften gefunden. Aus diesem Grund und zu Ehren Benoît Mandelbrots stellt dieses Kapital sein Leben biographisch dar2.

2.1 Kindheit, Jugend und Ausbildung zum Mathematiker

Benoît Mandelbrot wurde am 20. November 1924 als Sohn jüdisch-

litauischer Eltern in Warschau geboren. Seine Mutter war Ärztin, sein Vater Kleinhändler in der Textilbranche. Da seine Mutter Angst vor Seuchen hatte, besuchte Benoît Mandelbrot in seiner Kindheit die Schule in Polen nur unregelmäßig und wurde von zu Hause von seinem Onkel Szolem Mandelbrojt, der am Collège de France Mathematik lehrte, unterrichtet. Eigenen Angaben zufolge verdankt Mandelbrot seinen späteren Erfolg zu einem großen Teil dieser unkonventionellen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.0.1: Benoît Mandelbrot

Quelle:

http://users.math.yale. edu/mandelbrot

Lernmethode. Sie erlaubte ihm, in Bahnen zu denken, die nur schwer nachvollziehbar von jemandem mit konventioneller Erziehung sind. Es war ihm so auch möglich, sich auf einem sehr geometrischen Weg der Mathematik zu nähern. Diese geometrische Intuition gestattete ihm einzigartige Einblicke in mathematische Probleme.

1936 emigrierte die Familie aufgrund sich verschlechternder Lebensumstände nach Paris, wo Mandelbrots Onkel Szolem Mandelbrojt als Professor für Mathematik tätig war. Mandelbrot besuchte in der französischen Hauptstadt das Lycée Rolin. Während dieser Zeit verstärkte sich die Beziehung zu seinem Onkel Szolem Mandelbrojt, von dem Benoît Mandelbrot später be- hauptete, dass er von niemand anderem mehr gelernt hat und beeinflusst worden war.

Bei Ausbruch des 2. Weltkrieges im Jahre 1939 zog die Familie in das zentralfranzösische Tulle.

Die unsicheren und chaotischen Zustände während der Kriegs- und Besatzungszeit verhinderten die Fortführung einer geregelten Schulausbildung. Von 1939 bis 1943 besuchte Mandelbrot das Lycée Edmond Perrier in Tulle. Kriegsbedingt zog er 1944 nach Lyon und besuchte das Lycée du Parc. Als die Alliierten am 25. August 1944 Paris befreiten, beschloss Mandelbrot seine Studien in der französischen Hauptstadt fortzusetzen.

Dort schrieb er sich zunächst an der École Normale Supérieur ein. Er wurde angenommen, brach aber nach eigenen Angaben das Studium nach nur 2 Tagen ab, um stattdessen an der École Poly- technique seine Studien fortzusetzen. Diese Entscheidung wurde von vielen seiner Freude damals missbilligt, da Mandelbrots Wahluniversität einen schlechteren Ruf hatte als die École Normale. An der École Polytechnique besuchte er Vorlesungen in Differenzialgeometrie bei Gaston Julia3 und in Analysis bei Paul Lévy4. Beide Professoren prägten neben seinem Onkel Benoît Man- delbrots späteren Werdegang maßgeblich, da er viele ihrer Theorien in späteren Werken aufgriff und ausbaute.

Nach dem Abschluss seiner Studien an der École Polytechnique im Jahre 1947 erhielt er ein Auslandsstipendium am California Institute of Technology in den Vereinigten Staaten, welches er 1949 mit einem Master in Aeronautik abschließen konnte. Mit diesem Abschluss kehrte er an die Universität von Paris zurück, um dort zu promovieren. Während seiner Suche nach einem geeignetem Thema für seine Dissertation kam Mandelbrot mit der 1949 erschienenen Arbeit Human Behavior and the Principle of Least Effort von George Zipf in Berührung, die die sta- tistische Wortverteilung in unserer Sprache untersucht. Zipfs Arbeit hatte ebenfalls erheblichen Einfluss auf Mandelbrots spätere Werke, da es ihm gelungen ist, die Erkenntnisse von George Zipf auf andere Wissenschaften zu übertragen.

Seine Doktorarbeit schrieb er in angewandter Mathematik und sie trägt den Titel Mathematical Theories of Games of Communication. Sie vereint Ideen der Thermodynamik, der Kybernetik und der Spieltheorie5. Mandelbrot sagte später, dass sie schlecht geschrieben und gegliedert war, sie aber erste wichtige Ansätze zu den später von ihm entwickelten Skalierungseigenschaften und der Skaleninvarianz beinhaltete.

In den beiden Folgejahren 1953-1954 erhielt er von John von Neumann ein Stipendium für das Institute for Advanced Study in Princeton. Dort wurde er aufmerksam auf Ansätze zu ver- allgemeinerten Dimensionsbegriffen, die viele seiner späteren Arbeiten prägen. 1954 kehrte er nach Paris zurück und wurde Mitarbeiter am Institut Henri Poincaré der Universität von Pa- ris. 1955 heiratete er die Biologin Ailette Kagan und lehrte von 1957-1958 an der Universität von Genua. Er wurde Juniorprofessor für angewandte Mathematik an der Universität in Lille und unterrichtete an seinem früheren Studienort der École Polytechnique. Zu seinen Unguns ten divergierten jedoch seine eigenen Interessen und die französische Mathematik zunehmend. Mandelbrots Forschungen waren insbesondere auf dynamische Systeme gerichtet, welche zur damaligen Zeit in Frankreich wenig Anklang fanden. Aus diesem Grund zog er 1958 endgültig in die USA. Dort wurde er am IBM-Forschungsinstitut von Yorktown Heights im Alter von 34 Jahren im US-Bundesstaat New York angenommen.

2.2 Die Zeit bei IBM

Bei IBM fand Mandelbrot ein Umfeld vor, welches ihm ermöglichte, einer großen Vielfalt von unterschiedlichen Ideen nachzugehen. Er selbst sprach davon, dass ihm IBM die Möglichkeit gab, seine Forschungsrichtung einzuschlagen, was ihm keine universitäre Stelle jemals ermög- licht hätte.

Zu Beginn seiner Arbeit beschäftigte sich Mandelbrot mit mathematischer Linguistik sowie spieltheoretischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen. 1961 untersuchte er das Verhalten von Baumwollpreisen und deren Renditeverteilung. Diese Arbeit, deren Ergebnisse er im Artikel The variation of certain speculative prices im Jahre 1963 veröffentlichte, stellt noch heute klassische ökonomische Modelle in Frage und legte den Grundstein für seine späteren Arbeiten im Bereich der Ökonomie. Die grundlegenden Ergebnisse werden im Verlauf dieser Arbeit, insbesondere in Kapitel 5, vorgestellt. 1974 wurde Benoît Mandelbrot zum IBM Fellow ernannt, was ihm weitreichenden Spielraum für seine Forschungsarbeit gewährte.

Während der langjährigen Forschungsarbeit bei IBM beschäftigte sich Mandelbrot intensiv mit komplexen geometrischen Gebilden, die er Fraktale nannte und auf der Grundlage der Vorar- beiten von Gaston Julia nun computergestützt darstellen konnte. Er weckte das Interesse von Öffentlichkeit und Wissenschaft an fraktalen Mustern, die er überall in der Natur nachweisen konnte. 1980 entdeckte er die nach ihm benannte fraktale Mandelbrot-Menge, welche als das for- menreichste geometrische Gebilde gilt und für die Entwicklung der mathematischen Chaostheorie eine zentrale Bedeutung hatte6. Die Theorie der fraktalen Geometrie stellte die Mathematik auf eine ähnlich neue Grundlage, wie dies einst Euklid durch seine Geometrie tat. Mittlerweile fin- den fraktale Strukturen und Modelle in vielen Wissenschaften wie beispielsweise in der Medizin, der Physik oder der Bildverarbeitung Anwendung. Im Jahre 1987 verließ Mandelbrot IBM nach 35 Jahren, da IBM aus Kostengründen seine Forschungsabteilung schließen wollte.

2.3 Nach dem Ausscheiden bei IBM

Nach dem Ausscheiden bei IBM trat Benoît Mandelbrot an der Yale University im Jahre 1999 im Alter von 75 Jahren seine erste ordentliche Professur an. Als er 2005 emeritierte, war er Sterling Professor für Mathematik. Seine letzte Anstellung war 2005 am Pacific Northwest Na- tional Laboratory. Am 14. Oktober 2010 verstarb Benoît Mandelbrot in einem Krankenhaus in Cambridge, Massachusetts, im Alter von 85 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Der Mathematiker Heinz-Otto Peitgen würdigte Mandelbrot anlässlich seines Todes als eine der wichtigsten Persönlichkeiten der letzten 50 Jahre für die Mathematik.

2.4 Akademische Auszeichnungen und bedeutendste Publikationen

Mandelbrot wurde durch zahlreiche akademische Auszeichnungen für seine Forschung geehrt. Im Jahr 1986 erhielt er die Franklin Medaille, 1987 den Alexander von Humboldt Preis. 1989 wurde er in die französische Ehrenlegion aufgenommen. 1991 verlieh man ihm die Nevada Medal und 1993 wurde ihm der Wolf-Preis für Physik zugesprochen. Im Juni 1999 wurde Mandelbrot mit der Ehrendoktorwürde der University of St. Andrews ausgezeichnet. 2003 erhielt er den Japan Prize for Science and Technology, im Mai 2010 folgte die Ehrendoktorwürde der Johns Hopkins University.

Im Laufe seines Lebens veröffentlichte Benoît Mandelbrot eine Vielzahl an akademischen Schriften, Büchern und Essays. Seine grundlegenden Arbeiten veröffentlichte er in den Jahren 1975 mit Les objets fractals: Forme, hasard et dimension und 1982 mit The fractal Geometry of Nature. Großes Aufsehen erregte das zusammen mit Journalisten Richard L. Hudson populärwissenschaftliche Werk Fraktale und Finanzen: Märkte zwischen Risiko, Rendite und Ruin, in dem Mandelbrot seine Sichtweise bezüglich des Finanzmarktes beschreibt.

3 Die Entwicklung der modernen F inanzmarkttheorie

Dieses Kapitel skizziert die Meilensteine der Entwicklung der modernen Finanzmarkttheorie. Hierbei sollen insbesondere die Prämissen und Entwicklung der Modelle sowie deren Zusam- menhänge untereinander dargestellt werden. Sämtliche in diesem Kapitel vorgestellten Modelle und Theorien beruhen auf nahezu identischen, aber empirisch nicht feststellbaren Annahmen.

3.1 Louis Bachelier und der Random Walk

Der Grundstein zur modernen Finanzmarkttheorie wurde vom französischen Mathematiker Louis Bachelier im Jahre 1900 mit seiner Dissertationsschrift Théorie de la Spéculation gelegt. Zu dieser Zeit wurde das Geschehen am Finanzmarkt als funktionaler, mehr oder minder deter- ministischer Zusammenhang zwischen Ursachen und Wirkungen gedeutet (vgl. Mandelbrot und Hudson, 2009, 86-87). Er versuchte Kursveränderungen von Wertpapieren, insbesondere französi- scher Staatsanleihen, mit mathematischen Modellen darzustellen und erste Optionspreisformeln zu entwickeln.

Dabei entwickelte er das Modell des Random Walk. Bachelier behauptete, dass sich Kurse am Kapitalmarkt wie ein Betrunkener bewegen (vgl. Bachelier, 1900). Dieser bewegt sich ziellos in alle Richtungen, wobei die Richtung Xt+1 von der vorherigen Richtung Xt unabhängig ist. Dies führte zu einem stochastischen Prozess (Xt)t∈T der Form (vgl. Franke u. a., 2007, S. 53)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wird nun eine driftlose Bewegung, also µ = 0, angenommen, so ergibt sich Louis Bacheliers Grundmodell des arithmetischen Random Walks. Im Mittel wird sich der Betrunkene somit nir- gendwohin bewegen, also auf seinem jetzigen Standpunkt verweilen. Er folgerte daraus, dass die beste Prognose für den Kurs von morgen der Kurs von heute ist (vgl. Bachelier, 1900).

Der stochastische Prozess, den Bachelier verwendete, entspricht dem klassischen Gaußschen Rau- schen1. Mit diesem einfachen Grundmodell wurde die Basis der modernen Finanzmarkttheorie gelegt, aus der eine Vielzahl unterschiedlicher Modelle und Prozesse entwickelt wurden.

Wird dieser zeitdiskrete Prozess durch Grenzübergang [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]verstetigt, entsteht der Standard- Wiener-Prozess2 Wt (vgl. Franke u. a., 2007, S. 57-60). Dieser stochastische Grundprozess genügt der Form

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

wobei der Ausdruck dWt als stochastische Integralgleichung aufzufassen ist. Das Differential dWt ist nicht existent, da fast alle Pfade eines Wiener Prozesses stetig, jedoch nicht differenzier- bar sind. Da Differentialgleichungen jedoch intuitiv leichter zugänglich als Integralgleichungen sind, wird in der Literatur häufig diese Schreibweise stellvertretend für die Integraldarstellung verwendet.

3.2 Die Portfoliotheorie von Harry Markowitz

Ein weiterer wichtiger Beitrag zur modernen Finanztheorie wurde im Jahre 1954 durch Harry Markowitz Portfoliotheorie erbracht (vgl. Markowitz, 1952). Diese beschäftigt sich mit der Frage, aus welchen Wertpapieren ein effizientes Portfolio zusammengestellt ist. Dabei traf er für sein Modell folgende Annahmen (vgl. Külcür, 2009, S. 17-18):

- Der Anlagehorizont der Investoren ist homogen und beläuft sich in Markowitz Grundmo- dell auf ein Jahr. Nach dessen Ablauf wird das Portfolio liquidiert.
- Es liegt ein vollkommener Kapitalmarkt vor (vgl. Rudolph, 2006, S. 28-30). Dies bedeutet im Wesentlichen, dass alle Marktteilnehmer den selben Informationsstand haben und neue Informationen rational mit dem Ziel der eigenen Nutzenmaximierung verwenden3. Soll- und Habenzinssätze sind identisch wobei Kredite und Investitionen beliebig teilbar und in unbegrenzter Höhe zu Verfügung stehen. Auf vollkommenen Märkten existieren weder Transaktions-, noch Informationsbeschaffungskosten oder Steuern4.
- Das Maß für die erwartete Rendite des Wertpapiers i beträgt µi, das Risiko wird gemessen in Standardabweichungen σ der Rendite. Diese folgen einer Normalverteilung.
- Es liegen homogene Erwartungen der Marktteilnehmer vor, d.h. sie haben gleiche Erwar- tungen hinsichtlich Rendite, Schwankungsverhalten und Kovarianzen der einzelnen Titel.

Betrachtet wird nun ein Portfolio P, das aus n Assetklassen besteht. Die erwartete Rendite des Portfolios µP wird dann durch die Gleichung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

beschrieben, wobei ωi die Gewichtung der i-ten Assetklasse angibt5. Die Standardabweichung das Portfolios ergibt sich nun als

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wie zu erkennen ist, ist das Schwankungsverhalten des gesamten Portfolios umso geringer, je geringer die Kovarianz der Assetklassen zueinander ist. Die von Markowitz angewendete MeanVariance-Portfoliooptimierung besagt nun, dass ein Investor bei gegebener erwarteter Rendite sich immer für das Portfolio entscheiden wird, welches eine minimale Varianz aufweist. Es wird als effizient bezeichnet (vgl. Söhnholz u. a., 2010a, S. 73-74). Die Annahme der Normalverteilung der Renditen impliziert auch die Normalverteilung der Gesamtporfoliorendite µP , da sich diese als Linearkombination der einzelnen Assetklassen zusammensetzt.

Mit Hilfe dieser Theorie konnte Markowitz zeigen, dass sich durch Portfoliodiversifizierung das unsystematische Risiko minimieren lässt, ohne auf Rendite verzichten zu müssen. Das systema- tische Marktrisiko lässt sich nicht beseitigen. Der Portfoliotheorie von Markowitz kommt eine besondere Bedeutung zu, da sie das Basismodell für weiterführende Modelle darstellt. Hierzu werden exemplarisch das Tobins Two-Fund-Theorem (TTFT) und das Capital Asset Pricing Model (CAPM) vorgestellt:

- Tobins Two-Funds-Theorem (TTFT)

James Tobin 1958 dem Grundmodell von Markowitz eine risikolose Assetklasse zu, deren Rendite deterministisch ist (vgl. Tobin, 1958). Er konnte zeigen, dass sich ein neues effizi- entes Marktportfolio ergibt, welches sich als Linearkombination aus risikolosem Asset und risikobehaftetem Portfolio zusammensetzt, wobei sich alle Investoren für ein identisches Risikoportfolio entscheiden (vgl. Söhnholz u. a., 2010b, S. 78). Die konkrete Gewichtung von risikolosen und risikobehafteten Bestandteilen ist abhängig von der individuellen Ri- sikoaversion.

- Capital Asset Pricing Model (CAPM)

Das CAPM wurde von William F. Sharpe, John Lintner und Jan Mossin in den 60er Jahren unabhängig voneinander entwickelt. Es soll erklären, wie risikobehaftete Vermögenswerte zu bewerten sind, wenn sich der Markt in einem Gleichgewichtszustand befindet (vgl. Külcür, 2009, S. 19). Das Modell baut inhaltlich auf dem TTFT auf. Da alle Investoren ein effizientes Marktportfolio M besitzen6, kann nun der marginale Risikobeitrag einer einzelnen Positionen βi am Marktportfolio bestimmt werden. Dieser errechnet sich als

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

und wird Betafaktor genannt und kann durch lineare Regression ermittelt werden. Er misst das durch Diversifikation nicht eliminierbare unternehmensspezifische Risiko der Position (vgl. Kunath, S. 52). Die erwartete Rendite eines einzelnen Vermögensgegenstandes wird durch die Gleichung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

beschrieben, wobei rf den risikolosen Zinssatz und µM die erwartete Marktrendite des Portfolios darstellt (vgl. Söhnholz u. a., 2010b, S. 79). Diese Gleichung zeigt dass Investoren nur bereit sind, ein Wertpapier i mit hohem βi zu erwerben, wenn es eine entsprechend hohe zukünftige Rendite µi erwarten lässt.

Diese Grundmodelle und deren Weiterentwicklungen finden in der betrieblichen Praxis vieler Unternehmen rege Anwendung (vgl. Külcür, 2009, S. 25), da sie leicht für beliebige Investitionsobjekte verallgemeinert werden können.

3.3 Weiterentwicklung der Thesen von Bachelier

Erst in den späten 50er Jahren wurden die Ideen von Bachelier weiter ausgearbeitet. Im Jahre 1953 wurde die Theorie zufallsbedingter Wertpapierkurse vom Ökonomen Maurice Kendall mit statistischen Tests unterlegt (vgl. Kendall und Hill, 1953). Sie blieb jedoch eine These, bis Paul

A. Samuelson im Jahre 1965 der entsprechende Beweis mit Hilfe Paul P. Lévys Martingal-Theorie gelang (vgl. Samuelson, 1965). Samuelson konnte zeigen, dass Futurepreise unter risikoneutraler Bewertung Martingale bilden. Das Vorliegen eines solchen Martingals wird oft im Zusammenhang mit der Hypothese effizienter Märkte gesehen. Diese besagt grob, dass alle verfügbaren Informationen in der derzeitigen Informationsmenge Ft eingepreist sind. Die Effizienzmarkhypothese wird in Kapitel 4.2 auf Seite 15 in ihren Grundzügen vorgestellt.

Louis Bachelier ging seinerzeit davon aus, dass der Aktienkurs St einem arithmetischen WienerProzess gehorcht, der im Allgemeinen durch die Gleichung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

beschrieben wird (vgl. Bachelier, 2006, S. 33ff.). Hierbei bezeichnet µ die Drift und σ die Stan- dardabweichung. Hier wirkt nachteilig, dass der arithmetische Prozess zum einen negative Werte zulässt, zum anderen nicht niveauabhängig ist. Samuelson hingegen postulierte, dass der Ak- tienkurs einem geometrischen Wiener-Prozess genügt, der diese für Wertpapiere unlogischen Eigenschaften nicht aufweist (vgl. Campbell u. a., 1996, S.31-33). Er lässt sich durch die Glei- chung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

beschreiben und stellt eine wesentliche Verbesserung des Preisprozesses im Vergleich zu Bacheliers Grundmodell dar. Der Aktienkurs St folgt dann einer log-Normalverteilung.

3.4 Optionsbewertung nach Black-Scholes

Bis zum Jahre 1973 existierte kein einheitliches Modell, um den Wert einer Option zu bestim- men. Erst durch die Arbeit von Fischer Black, Myron S. Scholes und Robert C. Merton wurde dies ermöglicht7 (vgl. Black und Scholes, 1973; Merton, 1973). Das nach ihnen benannte Black- Scholes-Modell hatte einen immensen Einfluss auf die Finanzmärkte und war mitverantwortlich für das neu aufkommende Financial Engineering und dessen Erfolg (vgl. Hull, 1999, S. 237).

Neben den klassischen Voraussetzungen der Arbitragefreiheit und des effizienten Kapitalmarktes wurde angenommen, dass der Aktienkurs St einem allgemeinen Itô-Prozess genügt, der eine Verallgemeinerung von Samuelsons geometrischer Brownscher Bewegung darstellt. Ein Itô-Prozess genügt der stochastischen Differenzialgleichung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

wobei α(St) die Risikopräferenz und β(St) die Schwankungsintensität in Abhängigkeit vom Ak- tienkurs St näher beschreiben. Die Idee bestand nun darin, eine Option künstlich durch originäre Wertpapiere, also insbesondere Aktien und Anleihen, nachzubilden. Hierbei muss sichergestellt werden, dass die Option als auch das nachgebildete Portfolio jederzeit einen identischen Wert aufweisen und den gleichen Cash-Flow generieren (vgl. Grohmann, 2008, S. 4). Durch Anwen- dung des Lemmas von Itô gelang es ihnen, die Black-Scholes-Differenzialgleichung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

für den Wert Vt des Duplikationsportfolios und damit auch für den Optionspreis zum Zeitpunkt t herzuleiten8. Diese führt für den Fall von europäischen Optionen zur berühmten Black-Scholes- Formel (vgl. Franke u. a., 2007, S. 73-82).

3.5 Klassische GARCH(p, q)-Modelle

Die Ansätze von Samuelson und Black/Scholes verwenden in ihren Modellen die geometrische Brownsche Bewegung bzw. Itô-Prozesse, um die Renditen dSt darzustellen. Empirisch gilt es als erwiesen, dass diese Annahme unzutreffend ist, da reale finanzwirtschaftliche Kursreihen nicht einem allgemeinen Itô-Prozess folgen.

Die Zeitreihenanalyse beschäftigt sich mit der realitätsnahen Modellierung zeitabhängiger Prozesse. Im Rahmen dieses Forschungsfeldes wurde von Robert F. Engle 1982 das Autoregressive Conditional Heteroskedasticity Model (ARCH)(p) entwickelt (vgl. Engle, 1982). Das Modell stellt Wertpapierrenditen durch die Gleichung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

dar, wobei ϵt nicht notwendigerweise normalverteilt sein muss. Die Varianz σ2 t derRenditenin

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Periode t ist abhängig von der Vorperiode und damit nicht konstant. Sie genügt im ARCH(p) der Gleichung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das ARCH(p) benötigt jedoch zur realistischen Darstellung der Varianz eine hohe Ordnung p, weshalb viele Parameter zu schätzen sind (vgl. Sack, 2007, S. 40). Auf dieser Grundlage aufbau- end verallgemeinerte Tim Bollerslev 1986 das ARCH(p) zum Generalised AutoRegressive Con- ditional Heteroskedasticity Model (GARCH)(p, q), welches durch Verwendung der historischen Varianzen mit einer geringeren Anzahl zu schätzender Parameter auskommt (vgl. Bollerslev, 1986). Die bedingte Varianz wird im GARCH(p, q)-Modell durch die Gleichung (vgl. Kreiß und Neuhaus, 2006, S. 298-303)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

als Linearkombination aus den historischen bedingten Varianzen und den historischen quadrierten Renditen beschrieben.

Renditen des Standard−Wiener−Prozesses Renditen eines GARCH(1,1)−Prozesses

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3.5.1: Renditen des Standard-Wiener-Prozesses und eines GARCH(1,1)-Modells Quelle: eigene Berechnung

Abbildung 3.5.1 die Renditesimulation einer Brownschen Bewegung und eines GARCH(1,1)- Prozesses. Es sind deutliche Unterschieden hinsichtlich des Schwankungsverhaltens zu erken- nen9. GARCH-Modelle zeigen eine relativ gute Anpassung an reale Kursreihen, obwohl sie nicht sämtliche Stylized Empirical Facts, die in Kapitel 4.3 beschrieben werden, abbilden können (vgl. ?, S. 249-251).

Im nun folgenden Kapitel wird exemplarisch eine Auswahl der kritischen Annahmen klassischer Marktmodelle konkretisiert und anhand realer DAX30-Daten überprüft.

4 Problematische Annahmen der modernen F inanzmarkttheorie

In Kapitel 3 wurden die wichtigsten finanztheoretischen Modelle kurz vorgestellt. Hierbei wur- de deutlich, dass die dargestellten Modelle ähnliche Prämissen verwenden und teilweise stark aufeinander aufbauen. Dies gilt insbesondere für das Grundkonzept von Bachelier und dessen Weiterentwicklung durch Samuelson. Die kritischen Modellannahmen der klassischen Theorien, insbesondere die Annahme unabhängig, identisch normalverteilter Renditen, werden in diesem Kapitel näher beleuchtet und deren Unvereinbarkeit mit realen Kursreihen aufgezeigt. Diese Unvereinbarkeit ist letztlich Benoît Mandelbrots Motivation, ein vollkommen neues Modellie- rungskonzept zu entwickeln, dass nicht auf unhaltbaren Annahmen beruht.

4.1 Modelltheorie

Modelle dienen im Allgemeinen als vereinfachte Beschreibung der Wirklichkeit. Nach Herbert Stachowiak ist ein Modell durch folgende Merkmale gekennzeichnet (vgl. Frankenberger u. a., 1998, S. 3-11):

- Abbildung

Ein Modell ist immer ein Abbild von etwas, das selbst wieder ein Modell sein könnte.

- Verkürzung

Ein Modell erfasst nicht alle Eigenschaften des Originals, sondern nur diejenigen, die dem Modellschaffer bzw. Modellnutzer relevant erscheinen. Ein nicht verkürztes Modell wäre das Original.

- Pragmatismus

Durch die Verwendung eines Modells sollen pragmatische Erkenntnisse über das Original erschlossen werden. Was pragmatisch genau bedeutet, hängt von der jeweiligen Zielsetzung ab.

- Validität

Dieses Merkmal wird von Stachowiak wird zwar nicht explizit erwähnt, aber implizit vorausgesetzt. Ein Modell muss valide sein, da es sonst falsche Erkenntnisse über die Realität liefert und damit den pragmatischen Zweck verfehlt.

Benoît Mandelbrots Kritik an den derzeit vorherrschenden Modellen setzt insbesondere am letz- ten Punkt dieser Auflistung an. Beruht ein Modell auf fehlerhaften Annahmen, so wird es zu Schlussfolgerungen führen, die den realen Sachverhalt nicht korrekt darstellen. Der folgende Abschnitt beschreibt diejenigen Prämissen klassischer Modelle, die aufgrund empirischer Un- tersuchungen am Finanzmarkt sich als unzutreffend herausgestellt haben (vgl. Mandelbrot und Hudson, 2009, S. 127-134). Hierdurch verlieren klassische Ansätze teilweise ihre Validität.

4.2 Effizienzmarkthypothese (EMH)

Die Modelle der modernen Finanzmarkttheorie setzen fast ausschließlich die Hypothese der effizienten Märkte (EMH) nach Eugene Fama voraus1 (vgl. Schwarzer, 2003, S. 12). Diese besagt, dass rationale Anleger auf einem effizienten Markt agieren. Systematische Über- bzw. Unterbewertungen, also Blasenbildung, ist damit ebenso ausgeschlossen wie die Erzielung von Überrenditen durch die Nutzung eines Informationsvorsprungs. Eugene Fama unterscheidet dabei drei Arten der Informationseffizienz (vgl. Fama, 1970):

- Die schwache Form besagt, dass aus historischen Kursverläufen nicht auf zukünftige ge- schlossen werden kann. Zukünftige Wertpapierkurse sind somit nicht prognostizierbar.
- Nach der mittelstarken Informationseffizienz sind alle öffentlich verfügbaren Informationen in den aktuellen Kursen eingepreist.
- Die starke Form der Informationseffizienz postuliert sogar, dass selbst nicht öffentlich- zugängliche Informationen in den gegenwärtigen Kursen eingepreist sind. Somit wären selbst die gesetzlich untersagten Insidergeschäfte nicht gewinnbringend2.

Diese Ansätze sind in der wissenschaftlichen Literatur nicht unumstritten. Während die strenge Informationseffizienz überwiegend abgelehnt wird, finden sich zur Gültigkeit der schwachen und mittelstrengen Informationseffizienz in der Literatur kontroverse Diskussionen (vgl. Steiner und Bruns, 2002, S. 44 ff.). Im Folgenden wird auf die Prämissen Rationalität und homogene Erwartungen näher eingegangen:

1. Rationalität der Wirtschaftssubjekte

Das Postulat des rational handelnden Menschen, dem homo oeconomicus, der monetäre Nutzenmaximierung anstrebt, ist in einer Vielzahl ökonomischer Modelle tief verankert (vgl. Heun, 2007, S. 17). Der homo oeconomicus ist grob gesprochen vollkommen informiert und in der Lage, sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Informationen mit unendlicher Geschwindigkeit entsprechend nutzenmaximierend anzuwenden3.

In der Realität ist diese Modellvorstellung jedoch unzutreffend (vgl. Mandelbrot und Hud- son, 2009, S. 128-129). Menschen sind emotional und sie handeln nicht immer nach dem ökonomischen Prinzip des größtmöglichen Nutzens. Ferner stehen ihnen keine vollständigen Informationen zur Verfügung und sie haben keine unendlich schnelle Reaktionsgeschwindigkeit4. Durch Fehlbewertungen von Informationen sind in allen Märkten Überreaktionen feststellbar, die nicht unmittelbar durch Arbitragegeschäfte ausgeglichen werden.

2. Homogene Erwartungen

Wird rationales Verhalten aller Marktteilnehmer vorausgesetzt impliziert dies homogene Zukunftserwartungen. Da alle Investoren über identische Informationsmengen verfügen treffen sie identische Entscheidungen und verfolgen gleiche Anlageziele. Sie haben identische Erwartungen hinsichtlich Renditen, Standardabweichungen und Kovarianzen für sämtliche Investitionsobjekte.

Reale Anleger haben unterschiedliche Anlageziele und Zeithorizonte sowie differenzierte Zukunftserwartungen und verarbeiten Informationen individuell. Im Jahre 2003 haben Grimaldi und de Grauwe einen Markt mit nur 2 Gruppen, deren Anlageziele heterogen waren, computergestützt simuliert (vgl. Grimaldi und Grauwe, 2003). Das Zusammenspiel von kurzfristig orientierten Chartisten und den langfristig motivierten Fundamentalisten resultierte in chaotischem Marktverhalten, obwohl nur zwei verschiedene Meinungen ver- treten waren.

4.3 Stylized Empirical Facts

Die Stylized Facts gelten als empirisch festgestellte Beobachtungen, die so signifikant sind, dass sie als Tatsachen allgemein akzeptiert werden (vgl. Sewell, 2011, S. 1). Eine Auswahl dieser Stylized Facts des Finanzmarktes wird im Folgenden vorgestellt und anhand realer Kursdaten des DAX30 dargelegt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4.3.1: DAX30 vom 26.11.1990 bis 26.04.2011

Quelle: http: // Finance. yahoo. com/ q/ hp? s= ^GDAXI+ Historical+ Prices

1. Normalverteilung der Renditen

Eine Vielzahl klassischer Modelle nimmt Renditen als normalverteilt bzw. log-normalverteilt an. Der Ausgangspunkt für diese Verteilungsannahme ergibt sich durch Anwendung des zentralen Grenzwertsatzes, nach dem die Summe von identisch, unabhängig verteilten Zu- fallsvariablen mit existentem ersten und zweiten Moment asymptotisch gegen die Nor- malverteilung konvergieren (vgl. Steiner und Uhlir, 2000, S. 132). Zur Überprüfung dieser Annahme wird der Datensatz zunächst graphisch anhand der empirischen Dichte und ei- nes Normal-Quantil-Plots in Abbildung 4.3.2 dargestellt. Die empirische Dichte offenbart

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Abbildung 4.3.2: Empirische Dichte und Normal-Quantil-Plot der DAX30-Renditen Quelle: eigene Berechnung deutliche Abweichungen von der Normalverteilung hinsichtlich der Kurtosis κ(X), welche ein Maß für die Spitzgipfligkeit einer Verteilung ist. Die empirische Kurtosis errechnet sich als

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wobei s die empirische Standardabweichung darstellt. Liegt eine Normalverteilung der Renditen zugrunde, sollte sich ein Wert für die Kurtosis κ(X) von annähernd drei ergeben. Tatsächlich ergibt sich ein Wert von 5,211786 für die Kurtosis der Renditeverteilung, der auf eine leptokurtische Verteilung schließen lässt. Der Normal-Quantil-Plot in Abbildung 4.3.2 zeigt ebenso Abweichungen von der Normalverteilung, insbesondere in den Randbereichen der empirischen Verteilung. Dies impliziert weitaus mehr extreme Wertveränderungen als bei unterstellter Normalverteilung.

Somit entsteht die Vermutung, dass die betrachtete Stichprobe keiner Normalverteilung gehorcht. Der Jarque-Bera-Test ist ein geeignetes Testverfahren, um die Hypothesen

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zu überprüfen (Jarque und Bera, 1980). Die Teststatistik lautet

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wobei µ3 bzw. µ4 das dritte bzw. vierte zentrierte Moment der Stichprobe darstellen5. Der

Test liefert die Ergebnisse aus Tabelle 4.3.1.

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Tabelle 4.3.1: Jarque-Bera-Test Quelle: eigene Berechnung

Die Nullhypothese kann somit hoch signifikant zur Irrtumswahrscheinlichkeit von α = 0, 01 abgelehnt werden. Demnach folgen die Renditen keiner Normalverteilung.

2. Häufiges Auftreten von Extremwerten

Der Normal-Qunatil-Plot in Abbildung 4.3.2 zeigt, dass extreme Wertveränderungen öfter eintreten, als dies eine Normalverteilung erwarten ließe. Tabelle 4.3.2 zeigt jeweils die 3 größten Tagesgewinne und Tagesverluste im Betrachtungszeitraum.

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Tabelle 4.3.2: Extreme Tagesrenditen im Zeitraum von 26.11.1990 bis 26.04.2011 Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/DAX

Die Wahrscheinlichkeit, dass der DAX30 sich an einem Handelstag um mehr als 8% bei unterstellter Normalverteilung ändert, beträgt

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Dies bedeutet, dass etwa alle 1825 Handelstage ein täglicher Kursgewinn von über 8% eintreten soll. Der Datensatz zeigt jedoch ein wesentlich häufigeres Auftreten von Ex- tremwerten als dies bei einer Normalverteilung zu erwarten wäre. Diese Eigenschaft realer Zeitreihen wird auch Fat-Tail-Verhalten genannt, da ein höherer Anteil der statistischen Masse in den Randbereichen der Wahrscheinlichkeitsverteilung liegt als dies bei einer Nor- malverteilung der Fall ist.

3. Kontinuierliche Trajektorie der Kurse

Ein allgemeiner Wiener-Prozess der Form

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

ist fast sicher überall stetig, aber fast sicher an keiner Stelle differenzierbar6 (vgl. Franke u. a., 2007, S. 59). Damit wären Kursänderungen, bei denen die Zwischenwerte nicht angenommen werden, ausgeschlossen.

Empirisch ist diese Forderung nicht haltbar. Börsenmakler runden Kursnotizen und lassen Zwischenwerte wegfallen, insbesondere wenn eine ad-hoc-Meldung am Markt antrifft. Ebenso sieht das Börsengesetz vor, dass der Handel im Falle extremer Preisschwankungen für eine bestimmte Zeit ausgesetzt werden kann7. Die Kursfeststellung setzt dann zu einem späteren Zeitpunkte wieder mit einem Startkurs ein, der oftmals vom letzten festgestellten Kurs abweicht, so dass Kurssprünge entstehen. Die üblichen Chartpublikationen zeigen keine solchen Sprungstellen, da hier die vom Makler festgestellten Kurse interpoliert werden, so dass der Eindruck der Stetigkeit entsteht.

4. Unkorrelierte, abhängige Renditen

Die Unkorreliertheit der Renditen ist eine direkte Implikation der schwachen Form der Effizienzmarkthypothese Eugene Famas, da zukünftige Kurse im Falle ihrer Gültigkeit nicht prognostiziert werden können (vgl. Damrau, 2003, S. 200). Als Maß für statistische Abhängigkeit wird bei stationären Zeitreihen die Autokovarianzfunktion γX (k) bzw. Autokorrelationsfunktion ρX (k) verwendet.

Diese erfasst jedoch keine nicht-linearen Abhängigkeiten. Abbildung 4.3.3 vergleicht hierzu die Autokovarianzfunktion der gewöhnlichen Renditen rt und der absoluten Renditen |rt| miteinander (vgl. Cont, 2001, S. 230). Es ist deutlich zu erkennen, dass sich bei Betrachtung der absoluten Renditen eine sehr viel längere Nachwirkung ergibt, als dies bei den gewöhnlichen Renditen der Fall ist. Die Abklingrate der absoluten Renditen ist nicht geometrisch, sondern hyperbolisch.

Die Autokorrelation weist für die absoluten Renditen |rt|q mit q = 1 das langsamste Abklingverhalten auf. Diese Eigenschaft wird nach ihrem Entdecker Stephen Taylor auch Taylor-Effekt genannt (vgl. Taylor, 1986). Weiterhin ist anzumerken, dass der Rückgang der Autokorrelation nahezu unabhängig von der Wahl der Zeitskala erfolgt. Diverse empirischen Studien belegen diesen Sachverhalt (vgl. Ding u. a., 1993).

Die Autokorrelation der gewöhnlichen Renditen fällt zwar rasch ab, es bleibt jedoch frag-

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4.3.3: Abklingverhalten der Autokorrelation der gewöhnlichen und der absoluten Renditen des DAX30 Quelle: eigene Berechnung lich, ob sie im Unendlichen gänzlich verschwindet. Dieses Phänomen wird Langzeitgedächtnis genannt und in Kapitel 5.2 auf Seite 26 näher beschrieben. Ebenso werden dort Methoden vorgestellt, die dies aufzudecken versuchen.

5. Heteroskedastie der Volatilität als Konsequenz abhängiger Renditen

Standardmodelle der klassischen Finanztheorie gehen von eine homoskedastischen Volatilität der Renditen aus. Diese Annahme verringert die Komplexität der Modelle erheblich, weicht jedoch stark von empirischen Beobachtungen ab. Das Schwankungsverhalten der Wertpapierrenditen ist im Zeitverlauf keinesfalls als konstant anzusehen.

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Abbildung 4.3.4: Rolling-Varianz-Plot Quelle: eigene Berechnung

Der Rolling-Varianz-Plot in Abbildung 4.3.4 zeigt die Stichprobenvarianz der DAX30- Renditen im Zeitverlauf, wobei jeweils 50 aufeinander folgende Werte für eine Berechnung herangezogen wurden. Das Zeitfenster wurde mit jeder Berechnung um eine Beobachtung nach vorne verschoben. Die Volatilität σ der Renditen ist deutlich heteroskedastisch und gruppiert sich zu Phasen hoher und niedriger Volatilität. Betrachtet man Abbildung 4.3.1 auf Seite 16 genauer, so zeigen reale Kursreihen ebenfalls Volatilitätscluster, wobei sich diese asymmetrisch ausbilden (vgl. Cont, 2001, S. 229-231).

Diese Clusterbildung ist auf eine heteroskedastisch bedingte Varianz der Renditen zurückzuführen. Der Ljuang-Box-Test ist ein geeignetes statistisches Verfahren, um Abhängigkeitsstrukturen innerhalb der bedingten Varianz der Renditen

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aufzudecken (vgl. Busack und Kaiser, 2006, S. 357). Dieser statistische Test wurde 1978 von Greta M. Ljuang and George E. P. Box entwickelt und überprüft die Hypothesen (vgl. Ljung und Box, 1978):

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Während die Nullhypothese von Unkorreliertheit bis zum Lag k ausgeht, geht die Alterna tivhypothese von mindestens einem Korrelationskoeffizient ρi mit [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] aus, der von

Null verschieden ist. Die Teststatistik hat die Form (vgl. Tsay, 2010, S. 32)

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und kann zur Aufdeckung der Volatilitätscluster genutzt werden, wenn er auf das zweite Moment, also die quadrierten Renditen, angewendet wird (vgl. Busack und Kaiser, 2006, S.357). Die Durchführung des Tests auf die quadrierten DAX 30 -Renditen ergibt bis zum Lag k =20 die Ergebnisse aus Tabelle4.3.3.

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Tabelle 4.3.3: Ljuang-Box-Test Quelle: eigene Berechnung

Die Nullhypothese wird für alle betrachteten Werte für k bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von α = 0, 01 abgelehnt, was ein hoch signifikantes Abhängigkeitsverhältnis der quadrierten Renditen impliziert.

Klassische Modelle treffen stark vereinfachende Annahmen, wodurch ihre Validität zumindest fragwürdig erscheint. Das anschließende Kapital zeigt die Bausteine auf, die Benoît Mandelbrot bei der Konstruktion eines multifraktalen Modells verwendet hat. Dieses Modell versucht, den genannten Stylized Empirical Facts Rechnung zu tragen, um so eine bessere Anpassung an reale Finanzmarktdaten zu ermöglichen.

5. Die Entstehung eines multifraktalen Marktmodells

Die Modellierung von Kursprozessen verfolgt unter anderem das Ziel, das Risiko eines Wertpapiers zu quantifizieren und für die Marktteilnehmer bewertungsfähig zu machen. Unter dieser Prämisse kann die Preisfindung von Wertpapieren durch Quantifizierung des Schwankungsverhaltens der Renditen erfolgen. Klassische Modelle versagen regelmäßig in extremen Marktszenarien, in denen die Volatilität schnell ansteigt. Fraktale Modellen sind nun bestrebt, solche irregulären Marktphasen adäquat zu beschreiben und einzubinden. Hierdurch wird eine gerechtere Preisfingung, insbesondere für Derivate, möglich. Die fraktale Geometrie versucht solche Irregularitäten zu beschreiben. Daher können auf ihrer Grundlage leistungsfähige Modelle im F inanzsektor entwickelt werden (vgl. Mandelbrot, 1986, S. 213-216).

5.1 Diskontinuität und Fat Tails

Benoît Mandelbrot befasste sich erstmals 1961 mit finanzwirtschaftlichen Aspekten. Zu dieser Zeit war er bei IBM in der Forschung tätig und wurde damit beauftragt, Baumwollpreise zu untersuchen. Seine Ergebnisse veröffentlichte er 1963 in seiner Arbeit The Variation of Certain Speculative Price (vgl. Mandelbrot, 1963). Bei der Auswertung der historischen Baumwollpreise stelle Mandelbrot fest, dass die Varianz der Renditen ein heteroskedastisches Verhalten zeigt. Er vermutete, dass die Verteilung der Renditen in Zusammenhang mit einer Exponentialverteilung stehen könnte.

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Abbildung 5.1.1: Log-Log-Plot der logarithmierten Preisänderungen gegen deren Wahrscheinlichkeit Quelle: Mandelbrot (1963, S. 405)

Hierzu stellte er die logarithmierten positiven und negativen Preisänderungen jeweils getrennt voneinander gegen deren Eintrittswahrscheinlichkeiten in einem Diagramm dar (vgl. Mandel- brot, 1963). Als Skalierung wählte Mandelbrot sowohl für die Abszisse als auch für die Ordinate einen logarithmischen Maßstab. Abbildung 5.1.1 zeigt Mandelbrots Resultate, wobei sich die Kurven auf verschiedene Perioden und verschiedene Zeitskalen beziehen. Die a-Kurven entspre- chen den täglichen Renditen von 1900-1904, die b-Kurven beziehen sich auf tägliche Kursdaten von 1944-1958, während die c-Kurven monatliche Kursveränderungen von 1880-1940 repräsen- tieren. Die durchgezogene mittlere Linie stellt Mandelbrots Schätzung dar (vgl. Mandelbrot, 1963, S. 404).

Die Zeitinvarianz der Renditeverteilung wird in Abbildung 5.1.1 deutlich erkennbar, da alle Datensätze unabhängig von der gewählten Zeitskala ein identisches Muster zeigen. Dies war für Mandelbrot der erste Hinweis auf die Existenz von selbstähnlichen fraktalen Mustern in ökonomischen Zeitreihen1. Für die Verteilung der Renditen unterstellte er eine Pareto-Verteilung, die der Verteilungsfunktion

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

genügt. Der Parameter a bestimmt die Lage der Verteilung, während der Formparameter c Zen- trum und Randverhalten der Verteilung modelliert2. Die Pareto-Verteilung ist der Klasse der Exponentialverteilungen zugehörig, da für a = 1 die Pareto-Verteilung in eine Exponentialvertei- lung durch logarithmische Transformation der Zufallsvariablen X übergeht (vgl. Gumbel, 2004,

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Grafik 5.1.2 stellt Pareto-Dichtefunktionen bei Variation von c graphisch dar, wobei für die rechte Graphik eine logarithmische Skalierung der Achsen gewählt wurde.

Benoît Mandelbrot analysierte ebenso das Auftreten von extremen Wertänderungen, also die Randbereiche der Renditeverteilung (vgl. Mandelbrot, 1963). Wird der rechte Randbereich der Verteilungsfunktion als

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so gelten alle Realisationen von X, die größer als u sind, als Extremwerte. Wird diese Gleichung logarithmiert, so entsteht der affin-lineare Zusammenhang

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5.1.2: Pareto-Dichtefunktion Quelle: eigene Darstellung

Die Parameterwerte a und c können nun durch lineare Regression oder Maximum-Likelihood- Methode geschätzt werden (vgl. Rau-Bredow, 2002).

Mandelbrot schätzte den Exponenten c für die Baumwolldaten auf einen Wert von ĉ=1,7 (vgl. Mandelbrot, 1963, S. 404). Dies impliziert, dass bei diesem Wert der Erwartungswert noch existent ist, höhere Momente existieren jedoch nicht, da für Erwartungswert und Varianz der Pareto-Verteilung der Zusammenhang

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

gilt. Im Gegensatz zur klassischen Brownschen Bewegung, deren Varianz endlich ist, verwendete Mandelbrot 1963 erstmals ein Modell mit unendlicher Varianz. Er kombinierte die Skaleninvari- anz mit dem Konzept, dass die Renditen weiterhin unabhängig sind und nutzte zur Modellierung des Renditeprozesses einen Prozesse mit nicht existenter Varianz. Es liegt aus mathematischen Gründen nahe, dass sich die Verteilung von Wertpapierrenditen in allgemeiner Form mit Lévy- stabilen Verteilungen modellieren lässt3 (vgl. Mandelbrot, 1986, S. 353-356). Da sich für Vertei- lungen, die dieser Klasse angehören, oftmals keine geschlossene Verteilungsfunktion finden lässt, werden sie im Allgemeinen mit ihrer charakteristischen Funktion beschrieben4. Grafik 5.1.3 zeigt solche Verteilungen bei Variation des Formparameters α, wobei die übrigen Parameterwerte für β,γ und δ der charakteristischen Funktion jeweils vereinfachend auf Null gesetzt wurden.

Die oben bereits erwähnte Pareto-Verteilung gehört der Klasse der Lévy-stabilen Verteilungen an.

[...]


1 Die Zeitreihen beziehen sich von oben nach unten auf monatliche, wöchentliche und tägliche Indexstände, wobei jede 60 Beobachtungen enthält.

1 Das mittlere B ist selbstgewählt und steht nicht für einen zweiten Vornamen und wird im Folgenden weggelassen. 2 Die Angaben in diesem Kapitel basieren zum großen Teil auf Benoît Mandelbrots eigenen Angaben und ent- stammen der Quelle: math.yale.edu/~bbm3/web_pdfs/mavericksApprenticeship.pdf.

3 Gaston Julia beschrieb in der Arbeit Mémoire sur l´Iteration des fonctions rationelles detailliert die nach ihm benannte Julia-Menge, auf der die später von Mandelbrot entwickelten Mandelbrotmenge basiert. 4 Paul Lévy leistete große Beiträge im Bereich der Wahrscheinlichkeitsrechnung.

5 In dieser Arbeit flossen unter anderem die Ansätze von Norbert Wiener und John von Neumann zusammen.

6 Die Mandelbrotmenge wird in Kapitel A.3 auf Seite 52 im Anhang dargestellt.

1 Die Normalverteilungsannahme ist für das Vorliegen eines Random Walks ist keine notwendige Voraussetzung.

2 Der Begriff Wiener-Prozess ist ein Synonym für Brownsche Bewegung und geht auf Norbert Wiener zurück. 3 Die Informationsmengen werden mathematisch über σ-Algebren bezüglich einer Filtration Ft modelliert. 4 Ein vollkommener Kapitalmarkt impliziert weiterhin die Arbitragefreiheit des Marktes, welches weitreichende Konsequenzen für die Bewertung von Wertpapieren hat.

5 Sind Leerverkäufe ausgeschlossen, so gilt ∀i : ωi ≥ 0.

6 Es weichen lediglich die individuellen Anteile des risikobehafteten Marktportfolios am Gesamtportfolio ab.

7 In Anerkennung für ihre Arbeit wurde Robert Merton und Myron Scholes im Jahre 1997 der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften verliehen. Fischer Black war bereits 1995 verstorben.

8 Die Bestandshaltekosten werden in dieser Gleichung mit b und der Aktienkurs mit St bezeichnet.

9 Für die bedingte Verteilung der Residuen ϵt wurde hier eine Student-t-Verteilung angenommen.

1 Eugene F. Fama ist ein ehemaliger Doktorand von Benoît Mandelbrot. In seine Dissertation The Behavior of Stock Market Prices versucht er zu zeigen, dass Aktienkurse nicht vorhersehbar sind.

2 Insidergeschäfte sind nach §14 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) gesetzlich verboten.

3 Für eine umfassendere Definition des homo oeconomicus wird auf die Literatur verwiesen, z.B. Heun, 2007

4 Die These einer unendlich schnellen Reaktionsgeschwindigkeit widerspricht den Gesetzen der Einsteinschen speziellen Relativitätstheorie, nach der sich Wirkungen maximal mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten können.

5 Diese errechnen sich als [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten].

6 Dies ergibt sich aus der Überlegung, dass der Differenzenquotient [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] lichen Grenzwert besitzt, da sich Wt beim Grenzübergang Δt → 0 proportional zu Δt verhält im Gegensatz zu differenzierbaren Funktionen, die sich proportional zu Δt verhalten.

7 Diese Möglichkeit ist in §25 Börsengesetz (BörsG) gesetzlich festgehalten.

1 Diese Begriffe werden in Kapitel A auf Seite 51 des Anhangs genauer dargestellt.

2 Vilfredo Pareto untersuchte seinerzeit in der Arbeit Cours d’Économie Politique im Jahr 1897 die Verteilung von Reichtum und Armut innerhalb einer Gesellschaft. Die Klasse der Pareto-Verteilungen ist in der gesamten Ökonomie aufzufinden, z.B. im Rahmen der Versicherungsmathematik (vgl. Mandelbrot und Hudson, 2009, S.

220-222).

3 Lévy-stabile Verteilungen werden in Kapitel B auf Seite 59 im Anhang näher erörtert.

4 Charakteristische Funktionen von Zufallsvariablen werden in Kapitel B.2 auf Seite 59 in Kürze beschrieben.

Ende der Leseprobe aus 76 Seiten

Details

Titel
Zur Bedeutung Benoît Mandelbrots auf die moderne Finanzmarktanalyse
Hochschule
Universität des Saarlandes  (Lehrstuhl für Statistik und Ökonometrie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
76
Katalognummer
V175759
ISBN (eBook)
9783640969685
ISBN (Buch)
9783640969531
Dateigröße
5628 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bedeutung, mandelbrots, finanzmarktanalyse, Benoît
Arbeit zitieren
Martin Jungmann (Autor:in), 2011, Zur Bedeutung Benoît Mandelbrots auf die moderne Finanzmarktanalyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/175759

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