Besonderheiten des Schriftspracherwerbs bei Lese-Rechtschreibschwäche


Hausarbeit, 2003

47 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Zum Begriff LRS

2. LRS als Teilleistungsschwäche
2.1 „Jedes Kind hat seine eigene LRS“
2.2 Vorschullalter
2.3 In den ersten Grundschulklassen
2.3.1 Optisch-graphomotorischer Bereich
2.3.2 Akustisch-phonematischer Bereich
2.3.3 Kinästhetischer Bereich
2.3.4 Rhythmischer Bereich
2.3.5 Melodischer Bereich

3. Feststellung der Lese-Rechtschreibschwäche

4. Der Prozess des Rechtschreibenlernens
4.1 Die erste Phase – Schreiben ist „Logos“ kennen
4.2 Die zweite Phase- Schreiben ist Zuordnen von Laut und Zeichen
4.3 Die dritte Phase – Schreiben ist Kennen von Bausteinen und Regeln
4.4 Die Wechselbeziehung der Rechtschreibstrategien
4.5 Worauf Eltern und Lehrer achten können hinsichtlich der Stufen der Rechtschreibentwicklung

5 Methoden des Schreib- und Leselernprozesses bei lese-rechtschreib-schwachen Schülern
5.1 LRS-Klassen an sächsischen Grundschulen
5.1.1 Aufnahme in LRS-Klassen
5.1.2 Arbeitsgrundsätze in den LRS-Klassen
5.1.3 Didaktisch-methodische Gestaltung des Unterrichts in Klasse 3/I
5.1.4 Besonderheiten der Förderung in Klasse 3/II
5.1.5 Förderprogramme und Fördergutachten
5.1.6 Der Übergang in Klasse
5.1.7 Leistungsermittlung und Leistungsbeurteilung
5.2 Das Konzept des Lehrinstitutes für Orthographie und Schreibtechnik (L.O.S.) als Therapie bei Lese-Rechtschreibschwachen Kindern
5.2.1 Überblick
5.2.2 Die Diagnostik
5.2.3 Die Therapie
5.2.4 Dauer

6 Zusammenfassung

Literatur

Anhang

1 Zum Begriff LRS

Schon im Jahre 1916 wurde das Problem der „isolierten Lese-Rechtschreib-Schwäche“ von dem Psychiater Paul Ranschburg beschrieben und mit dem Begriff „Legasthenie“ benannt.

In Deutschland wurden Schulpsychologen allerdings erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg auf dieses Phänomen aufmerksam. Vorher galt ein Kind mit LRS schlichtweg als dumm und wurde durch diese Abgrenzung oft in eine Sonderschule für Lernbehinderte abgeschoben.

Eine ganze Zeit lang war die Trennung einer Lese-Rechtschreib-Schwäche von einer allgemeinen Minderbegabung umstritten, was aber für die Schulpraxis notwendig erscheint.

In den 70er und 80er Jahren gab es einen wissenschaftlichen Streit um die Ursachenzuschreibung. Während die eine Seite allein das Milieu als Verursacher akzeptierte, bestand die andere Seite auf neurobiologische Wurzeln, wie Erbfaktoren oder Geburtsrisiken.

Mittlerweile bestätigt der Stand in der LRS-Forschung, dass die neurobiologischen Ursachen grundlegend sind und dem Milieu erst zusätzlich Bedeutung zukommt.

Im amtlichen Sprachgebrauch wurde der Begriff „Legasthenie“ mit dem Erlass der Kultusministerkonferenz 1978 abgeschafft und durch die Umschreibung „Besondere Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und des Rechtschreibens“ ersetzt und wurde bis heute beibehalten.

Dennoch findet man in der Literatur häufig noch verschiedene Begriffe, beispielsweise:

- Lese-Rechtschreib-Schwäche/Schwierigkeiten (kurz: LRS)
- Legasthenie
- Teilleistungsstörung/-schwäche
- Minimale Cerebrale Dysfunktion
- Wahrnehmungs- und Integrationsstörung
- Dyslexie

In den folgenden Ausführungen verwenden wir den Begriff Lese-Rechtschreib-Schwäche/Schwierigkeit (LRS) und meinen damit in Anlehnung an den Beschluss der Kultusministerkonferenz von 1978: „Schüler mit besonderen Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und des Rechtschreibens“1).

Ingrid Naegele definiert die Lese-Rechtschreib-Schwäche ebenfalls in diesem Kontext und charakterisiert sie als:

„Sammelbegriff für eine Vielzahl von Schwierigkeiten, die Schülerinnen und Schüler beim Erlernen des Lesens und Schreibens oder später auch bei deren Gebrauch haben. Schulische und unterrichtsspezifische Belastungen, ungünstige individuelle Lernvoraussetzungen, wie z.B. sprachliche Auffälligkeiten, die familiäre Situation, motivationale und emotionale Vorgänge, u.a. können sowohl Ursachen für schriftsprachliche Probleme als auch Folge von Beeinträchtigungen der schrifsprachlichen Prozesse sein. Die entstandenen Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb führen, falls nicht frühzeitig Hilfe angeboten wird, unweigerlich zu schulischen Misserfolgen, Frustrationen und zur Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls und weiten sich auch auf andere Fächer aus. Lang andauernde und schwerwiegende Lese- Rechtschreibschwierigkeiten sind also kein isoliertes Teilversagen, das durch reines Lese- und Rechtschreibtraining zu beheben ist.“9)

2 LRS als Teilleistungsschwäche

2.1 „Jedes Kind hat seine eigene LRS“

Lesen und Schreiben sind komplexe Leistungen des menschlichen Gehirns. Durch unterschiedliche Teilleistungsschwächen in der Wahrnehmung, in der Motorik und in der Integration zwischen diesen Bereichen können diese in ihrem Aufbau gestört werden. Demzufolge ergeben sich auch unterschiedliche Erscheinungsbilder. Bei jedem Kind fällt die LRS ein wenig anders aus und je nach Schweregrad, Veranlagung und Erkennungszeitpunkt verläuft sie auch anders.

Im Umgang mit Kinder, die Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten haben sind deshalb pädagogische, psychologische und sprachwissenschaftliche Vorkenntnisse erforderlich.

Wichtig dabei ist die Tatsache, dass es sich um eine Teilleistungsschwäche handelt. Unter diesem Begriff versteht man nicht komplexe Erscheinungen wie Sprache, Lesen, Rechnen oder Zeichnen. Bei einer Teilleistungsschwäche sind nur einige Teilfunktionen (Wahrnehmung, Sprache, Motorik oder Informationsverarbeitung) betroffen, bei sonst normal erhaltener Intelligenz. Im Ablauf der komplexen Funktionen kommt diesen allerdings oft eine Schlüsselrolle zu.

Den Erscheinungsbildern obliegt dennoch die Gemeinsamkeit, dass ein mehr oder minder großes Missverhältnis zwischen den Leistungen im Lesen/Rechtschreiben und den intellektuellen Leistungen besteht.

In den Schulleistungen zeigen diese Diskrepanzen sich beispielsweise häufig in Mathematiknoten von 2 oder 3 bei mangelhaften bis unzureichenden Noten in Deutsch. In Diktaten oder Lesekontrollen erreichen die Schüler nicht selten Noten im Bereich 4 bis 6.

Auch ein deutlich besseres Leseverständnis im Gegensatz zur fehlerhaften Lesetechnik oder inhaltlich gute Ergebnisse im Aufsatz gegenüber vielen Rechtschreibfehlern sind für Leistungen dieser Schüler charakteristisch.

Durch eine Intelligenztest, der nur von Schulpsychologen oder einem ausgebildeten Diagnostiklehrer durchgeführt werden darf, sind solche Unstimmigkeiten zu erkennen. Im Schulalltag werden diese Diskrepanzen nicht immer gleich augenscheinlich, denn wird eine Lese-Rechtschreib-Schwäche nicht rechtzeitig erkannt und das Kind nicht zusätzlich gefördert, geht den Kindern der Spaß an der Schule schnell verloren. Sie halten sich für dumm und verlieren den Mut zum Lernen, entwickeln Angst vor Misserfolg und es treten zunehmend Verhaltensauffälligkeiten zutage, welche die Diskrepanzen in den Schulleistungen häufig verwischen lassen.

2.2 Vorschulalter

Eine Lese-Rechtschreib-Schwäche kann bereits im Vorschulalter beobachtet werden, die aber nicht mit Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität verwechselt werden darf, die später auch oft mit der LRS einhergehen.

Solche Auffälligkeiten können sein:

- Sauerstoffmangel oder Gelbsucht bei der Geburt des Kindes
- spätes Sprechenlernen des Kindes
- längere Wörter konnte es nicht richtig nachsprechen
- zu Beginn des Schulalters sprach es oft noch wie ein Kleinkind
- Lispeln
- Tollpatschigkeit, häufiges Hinfallen, Abneigung gegen das Balancieren und gegen das Roller fahren
- Probleme beim Schleifenbinden
- Unsicherheit im Nachsingen einfacher Melodien
- das Kind malte nicht gern
- es machte ungern Puzzles

Diese Beobachtungen gelten allerdings nur als Risikofaktoren, die zu einer LRS führen können, sind aber nicht unweigerlich gleich Hinweise auf eine sichere Diagnose.

2.3 In den ersten Grundschulklassen

2.3.1 Optisch-graphomotorischer Bereich

Als Folge des nicht richtigen Erfassens und Wiedergebens von graphischen Zeichen kommt es zu Beeinträchtigungen beim Lesen und Schreiben. Sowohl bei der Druck- als auch bei der Schreibschrift werden kleine Unterschiede im Schriftbild mangelhaft wahrgenommen (z.B. m-n / f-t / i-l). Die Form eines Buchstabens, einer Zahl oder eines Rechenzeichens können sich Kinder mit LRS oft nicht einprägen.

Die Buchstaben b-p / b-d / g-d / M-W / u-n / m-n / l-t ... werden oft verwechselt, da sie ähnlich aussehen. (Vgl. Anhang 1.) So kommt es auch zu Abschreibfehlern. Die Verwechslungen beziehen sich auch auf ähnliche Zahlen (z.B. 7 und 1) und auf Rechenzeichen.

Auch die Groß- und Kleinschreibung bereitet ihnen oft ein Leben lang Schwierigkeiten. So kommt es zu Fehlern wie „HausMann“ statt „Hausmann“. ( Vgl. Anhang 2.) Störungen im graphomotorischen Bereich führen auch zu einer schlechten Handschrift. Dies begründet sich in der Raumlagelabilität. Aufgrund des gestörten Verhältnisses zur Raumlage sind sie teilweise Jahre lang nicht in der Lage oben und unten, links und rechts, vorn und hinten auseinander zu halten.

Dies führt dazu, dass sie Himmelsrichtungen sich nicht merken können und auch nur sehr schwer die Uhrzeit erlernen. Das Unvermögen willkürliche Reihungen von Raum und Zeit zu behalten, lösen Probleme beim Behalten der Wochentagen, der Monatsnamen, des Alphabets und des Einmaleins aus.

In das Gebiet der Raumlageschwäche gliedert sich auch die sogenannte Rechenschwäche.

2.3.2 Akustisch-phonematischer Bereich

Um den Inhalt eines Wortes zu erfassen, bedarf es der Fähigkeit, Laute innerhalb eines Wortes genau herauszuhören.

Bei phonematischen Fehlleistungen verwechselt das Kind verschiedene Laute, die aber gleich klingen (e-i / ö-ü / o-u / a-ei.

So hören Kinder mit LRS statt „Lüge“ „Liege“. Sogenannte Stoppkonsonanten wie d, b, p, k bereiten große Probleme beim Unterscheiden, als auch Schärfungen, wie ck und ss.

Die Differenz zwischen kurzen und langen Lauten kann von den Kindern nicht hinreichend wahrgenommen werden, wie bei den Wörtern „kann“ und „Kahn“. In den Bereich der akustischen Erfassungsschwäche fällt auch das Weglassen der Endungen, da sie nicht gehört werden (Vgl. Anhang 2).

2.3.3 Kinästhetischer Bereich

Aufgrund der unzureichenden Entwicklung der automatisierten Sprech- und Schreibbewegungsvorstellungen treten Mängel im sprechmotorischen Vollzug auf. So sagt der Schüler beispielsweise „demacht“ statt „gemacht“ oder „desagt“ statt „gesagt“. Auffällig sind bezogen auf den Bereich der Sprechmotorik ein häufig undeutliches, leises und unsicheres Sprechen, ein unbeweglicher Sprechapparat und insgesamt auch ein langsameres Sprechen. Da das innere Sprechen falsch erfolgt, kommt es zu immer wiederkehrenden Rechtschreibfehlern, Vertauschen und Auslassen von Lauten, Verwechseln von r-ch und k-t. (Vgl. Anhang 3)

Das Kind schreibt ungleichmäßig und zeigt erhöhtes Ungeschick beim Basteln, Schneiden und Kleben. Im Sportunterricht wirkt es unsicher und tollpatschig.

2.3.4 Rhythmischer Bereich

Der Inhalt einer Aussage ist oft abhängig von der Betonung der einzelnen Wörter und ihrer Stellung innerhalb eines Satzes. Bei einer nicht korrekten Wahrnehmung der rhythmischen Struktur beginnen betroffene Kinder zum Beispiel beim Lautieren von „Oma“ unter Umständen mit „a“, weil der für sie zuletzt gehörte Laut am stärksten klingt und aus diesem Grund als Anfangslaut gewählt wird. Beim Reimen können sie Sprechsilben und Gesten schwer koordinieren und haben Schwierigkeiten bei der Silbentrennung.

2.3.5 Melodischer Bereich

Kann ein Kind die unterschiedliche Melodie eines Satzes nicht unterscheiden, können Widersprüchlichkeiten in Bezug seiner Reaktionen und den vom Lehrer beabsichtigten entstehen, denn wie heißt es doch „Der Ton macht die Musik“. Davon hängen Aufmerksamkeit, Konzentration und Lernerfolg des Kindes ab.

Bei Defiziten im melodischen Bereich gehen die Sinnzusammenhänge der Aussagen verloren. Demzufolge zeigen sich Auffälligkeiten im Tonfall und in der Betonung, da diese Kinder im Moment des Lesens noch nicht die Bedeutung des Wortes erfassen.

Neben den erläuterten Wahrnehmungsbereichen ist auch die Entwicklung des Gleichgewichtssystems, welches Vorraussetzung für eine geordnete Wort- und Zahlenbedeutung im Gehirn ist, ein wichtiges Kriterium. Zwei Faktoren wirken sich zusätzlich erschwerend aus: Zum Einen kann ein Kind mehrere dieser Teilleistungsschwächen haben und zum Anderen versuchen die Schüler mit LRS häufig ihre Schwächen durch Auswendiglernen des Lesetexte auszugleichen. Der Lehrer kann dies nicht immer rechtzeitig erkennen. Doch jede nicht rechtzeitig erkannte Lese-Rechtschreib-Schwäche geht zu Lasten des Kindes!

Die Wahrnehmungsbereiche, die eine Basisfunktion einnehmen, sind bei den Schulanfängern unterschiedlich entwickelt und lassen sich differenziert überprüfen.

Die Erscheinungsbilder sind daher auch einem Wandel unterzogen. Während der Grundschulzeit nehmen die Probleme im Lesen ab, wenn eine angemessene Förderung erfolgt. Die Rechtschreibprobleme treten in der dritten und vierten Klasse verstärkt in den Vordergrund.

Auch im Rechnen können zunehmend Probleme auftreten, obwohl Kinder mit LRS meistens gute Rechenleistungen und mathematisches Verständnis zeigen. Vor allem Textaufgaben bereiten ihnen Schwierigkeiten, da sie nur mühsam und teils fehlerhaft den Text erlesen können.

[...]


1) Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 20. 04.1978: Grundsätze zur Förderung von Schülern mit besonderen Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und Rechtschreibens.

2) NAEGELE, Ingrid M.: Schulversagen im Lesen und Rechtschreiben. Ursachen, Auswirkungen, Abhilfen. Weinheim und Basel: Beltz Verlag 1991, S. 35f.

Ende der Leseprobe aus 47 Seiten

Details

Titel
Besonderheiten des Schriftspracherwerbs bei Lese-Rechtschreibschwäche
Hochschule
Universität Leipzig  (Grundschuldidaktik)
Veranstaltung
Schriftspracherwerb
Note
1.0
Autoren
Jahr
2003
Seiten
47
Katalognummer
V17474
ISBN (eBook)
9783638220477
ISBN (Buch)
9783638699839
Dateigröße
582 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Besonderheiten, Schriftspracherwerbs, Lese-Rechtschreibschwäche, Schriftspracherwerb
Arbeit zitieren
Nadja Hinze (Autor:in)Frauke Lau (Autor:in), 2003, Besonderheiten des Schriftspracherwerbs bei Lese-Rechtschreibschwäche, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17474

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