Die Deutsche Wiedervereinigung als Katalysator der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion?


Diplomarbeit, 2010

75 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt:

1. Einleitung
1.1 Fragestellung und Forschungsinteresse
1.2 Aufbau der Arbeit
1.3 Begriffsdefinition von Integration
1.4 Zum Begriff der Wirtschafts- und Währungsunion

2. Die klassischen integrationstheoretischen Paradigmen
2.1 Integrationsprämissen
2.1.1 Allgemeine Integrationsprämissen
2.1.2 Europa-spezifische Integrationsprämissen
2.2 Realismus
2.3 (Neo-) Funktionalismus
2.4 Föderalismus
2.5 Intergouvernementalismus

3. Die Integrationsgeschichte bis zur Deutschen Wiedervereinigung
3.1 Historische Entwicklung bis zur Wiedervereinigung
3.1.1 Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
3.1.2 Römischen Verträge
3.1.3 Fusionsvertrag der Europäischen Gemeinschaft
3.1.4 Werner Plan
3.1.5 Die Einheitliche Europäische Akte
3.1.6 Delors-Bericht und der Drei-Stufen-Plan
3.2 Stand der Europäischen Integration vor dem Vertrag von Maastricht

4. Der Prozess der Europäischen Integration am Beispiel der Währungsunion; vor dem Hintergrund der Deutschen Wiedervereinigung
4.1 Bedingungen der Siegermächte für die Deutsche Wiedervereinigung: Die Zwei-Plus­Vier Gespräche
4.2 Helmut Kohl und die Situation der Bundesrepublik Deutschland
4.3 Die Positionen der sonstigen EG-Länder
4.4 Auf dem Weg nach Maastricht: Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion

5. Ausblick und Fazit

„Die Wirtschafts- und Währungsunion stellt in der Integrationsdynamik das Bindeglied zwi- schen dem einheitlichen Binnenmarkt und der Politischen Union dar. Aufgrund des umfangreichen Souveränitätsverzichtes, den sie den Nationalstaaten abverlangt, ist die WWU aufs engste mit dem Projekt der Politischen Union verbunden. Die Frage der Realisierbarkeit der WWU wird damit zum zentralen Prüfstein für die Entwicklungsdynamik des Integrationspro- zesses insgesamt.“

- Klaus Busch -[1]

1. Einleitung

Der Gedanke zur europäischen Integration ist tief in der Geistesgeschichte dieses Kon­tinents verwurzelt. Dieser aus dem Griechischen stammende Begriff Europa[2] bezieht sich nicht ausschließlich auf die geographische oder politische Situation. Viel mehr sind damit ge­meinsame humanistische Werte gemeint, welche bei der Betrachtung der geschichtlichen Epo­chen Europas immer wieder festgestellt werden können. Bei allen Veränderungen zwischen der Zeit des Römischen Reiches über das Mittelalter bis in die Gegenwart lässt sich eine ge­wisse geistige und politische Gemeinsamkeit der Völker Europas bei aller Vielfalt nachwei- sen.[3] Die Unterschiede zwischen den beiden Hälften der europäischen Geschichte im 20. Jahr­hundert könnten hingegen kaum größer sein. Die ersten 50 Jahre waren noch von Konfrontati­on, Krieg und Gewalt geprägt. Wirtschaftliche Stabilität oder Prosperität waren selten und nur von kurzer Dauer. Versuche der zwischenstaatlichen Kooperation waren kaum vorhanden und erfolglos. Das politische Verhältnis zwischen den Staaten war vom Streit um Macht und Terri­torium geprägt und zusätzlich vom Drang nach nationaler Größe belastet. Angesichts der so­zialen und politischen Stabilität im westlichen Europa kann die zweite Hälfte des 20. Jahrhun­derts als Kontrast zur ersten gesehen werden. Ein dichtes Netz multilateraler Kooperationen entstand im Laufe der Nachkriegsjahrzehnte. Die Beziehungen zwischen den Staaten Westeu­ropas wurden zunehmend von gemeinsam geschaffenen Institutionen geregelt. Der Europarat und die Europäische Gemeinschaft förderten die Einführung überstaatlichen Rechts.[4] Diese Entwicklung wirft die Frage auf, wie es von einem Nebeneinander oder sogar Gegeneinander von Staaten zu der Entstehung eines regionalen Integrationsverbundes kommen konnte. Un­mittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden bereits eine Reihe von Vorschlägen zur Schaffung einer einheitlichen europäischen Währungsordnung in Fachkreisen diskutiert. Diese wurden zu Anfang der fünfziger Jahre intensiv erörtert, waren allerdings aufgrund der umfangreichen politischen und auch wirtschaftlichen Folgeschäden des Krieges vorerst nicht umzusetzen. Stattdessen gründete man 1948 in Paris die Organisation für Europäische Wirt­schaftliche Zusammenarbeit (OEEC). Ihre Hauptaufgabe bestand in der wirkungsvollen Allo ­kation der amerikanischen Wirtschafts- und Finanzhilfen im Rahmen des Marshallplans. Ein weiteres Ziel dieses Wiederaufbauprogramms sah die Konvention für wirtschaftliche Zusam­menarbeit die Herstellung zumindest der Ausländerkonvertibilität der Teilnehmerwährungen, um eine Neueingliederung in einen liberalisierten Welthandel zu ermöglichen.[5] Auf die wei­terführenden zeitgeschichtlichen Ereignisse gehe ich im dritten Abschnitt dieser Arbeit ein.

Die Lektüre zur Europäischen Union zeigt auf, dass die die Begriffe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (Im Folgenden auch EWWU) und Europäischen Wirt­schaftsunion oft als untereinander austauschbare Begriffe verwendet werden. An dieser Stelle ist die Überlegung wichtig, welche wechselseitigen Beziehungen zwischen den beiden ge­nannten Zusammenschlüssen bestehen. So ist davon auszugehen, dass eine Wirtschaftsunion existieren kann, ohne gleichzeitig eine Währungsunion anzustreben. Der umgekehrte Fall ei­ner Währungsunion ohne Absprachen und Koordination im Bereich der Wirtschaftspolitik scheintjedoch nicht möglich. Näheres dazu in Abschnitt 1.4 zum Begriff der Wirtschafts- und Währungsunion.[6] Im Zentrum der Integrationsforschung stand lange Zeit eine von der Theorie geleitete Debatte, über die Entwicklung und das Zustandekommen des europäischen Integrati­onsprozesses. Dabei wurde hauptsächlich der Frage nachgegangen, welche Ursachen der Un­tersuchungsprozess hatte und welchen Verlauf er genommen hatte.[7] Die Auswirkungen eines Beitritts zu einer Wirtschafts- und Währungsunion auf die nationale Handlungs- und Steuerfä­higkeiten der Staaten ist in der politikwissenschaftlichen und ökonomischen Literatur bislang nur wenig thematisiert, sind für diese Arbeitjedoch auch nicht von zentraler Bedeutung. Für gewisse Teilbereiche wie etwa die Gewerkschaften sind die Folgen eines EWWU Beitritts be­reits besser untersucht.[8]

1.1 Fragestellung und Forschungsinteresse

Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion zielte, neben der Einführung einer gemeinsamen Währung, darauf ab die jeweiligen nationalen Wirtschaftspolitiken zu koordi­nieren und endgültig zu einer Vollendung des einheitlichen europäischen Binnenmarktes zu gelangen. In meiner Diplomarbeit werde ich speziell auf die Entstehungsgeschichte der EWWU eingehen, um darstellen zu können in welchem Stadium sich der Planungsprozess ei­nes gemeinsamen europäischen Währungsraumes zum Zeitpunkt der Deutschen Wiederverei­nigung befand. In diesem Kontext ist die Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich für meine Untersuchungen von besonderem Interesse, weil die Interaktion dieser beiden Nationen großen Einfluss auf den Werdegang der EWWU hatte. Dies wird insbesondere im historischen Abschnitt dieser Arbeit, sowie in dem Punkt 4.1 deutlich. Dabei nimmt die Deutsche Wieder­vereinigung in meiner Arbeit eine zentrale Rolle ein, weil an Hand der politischen Ereignisse dieser Zeit untersucht werden soll, ob die Wiedervereinigung eine Katalysatorfunktion für den Integrationsprozess der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion hatte. An dieser Stelle muss deutlich festgehalten werden, dass ich in dieser Arbeit ausschließlich Ereignisse untersu­chen und analysieren kann, welche tatsächlich stattgefunden haben. Eine spekulative Beant­wortung der Frage „Was wäre, wenn die Wiedervereinigung nie stattgefunden hätte?“ kann nicht Ziel dieser wissenschaftlichen Arbeit sein.

Mit dieser Fragestellung zeigt sich, dass diese Arbeit von interdisziplinärer Natur ist. Sie liegt an der Schnittstelle zwischen Wirtschafts-, Geschichts- und Politikwissenschaft. Um die Forschungsfrage, nach dem Einfluss der Deutschen Wiedervereinigung auf die EWWU, zu beantworten, wird es nötig sein die spezifischen Elemente der genannten Disziplinen zu betrachten. Diese sind zum ersten die Währungspolitik, zum zweiten die Zeitgeschichte und abschließend die Integrationspolitik. Das Gesamtkonzept des europäischen Integrationspro­zess ist etwas historisch Neuartiges und ein bislang einmaliger Vorgang, der eine intensive

Betrachtung der gängigen Theorien erfordert.[9] Dabei liegt der Schwerpunkt der Arbeit im Be­reich der Integrationstheorien, also dem politikwissenschaftlichen Bereich.

1.2 Aufbau der Arbeit

Diese Arbeit besteht aus drei Hauptteilen. Zum ersten einen theoretischen Teil, dann einen historischen Abschnitt und drittens einer Analyse der Wiedervereinigungsphase. Ausge­hend von der diskutierten Fragestellung folgt auf die Einleitung zunächst eine Begriffsdefini­tion. Dabei ist es entscheidend festzulegen, was unter dem Begriff Integration in diesem Kon­text zu verstehen ist. Der deutsche Politologe Dieter Nohlen definiert Integration (lat. Integra- tío = Einbeziehung) als Entstehung einer Einheit aus einzelnen Elementen, deren Zusammen­halt auf der Basis von gemeinsam geteilten Werten und Normen sichergestellt wird. Außer­dem wird angenommen, dass diese entstandene Einheit mehr als nur die Summe ihrer verein­ten Teile ist.[10] An dieser Stelle muss der Begriff Integration auf die EWWU angewandt wer­den, um eine klare Arbeitsgrundlage für die Untersuchung herzustellen. Daraufhin werde ich den aktuellen Forschungsstand zu den europäischen Integrationstheorien im Allgemeinen und den Ansätzen zur EWWU im Speziellen darstellen. Dies dient der genaueren Einordnung der EWWU in die Integrationstheorien, welche im zweiten Teil der Arbeit vorgestellt werden.

Der Punkt 2.1 „Integrationsprämissen“ ist insofern von Bedeutung, dass Staaten sich - explizit oder implizit - auf gewisse Prämissen einigen müssen, um den jeweiligen Integrati­onsprozess erfolgreich zu gestalten. Im Rahmen der EWWU sind vor allem Punkte wie die Überwindung des wirtschaftlichen Nationalismus, die Voraussetzung der Solidarität sowie die grundsätzliche politische Gleichheit der Staaten von Bedeutung, damit der Integrationsprozess als egalitäres Vorhaben angesehen werden kann.[11]

Der zweite Teil der Arbeit bildet den theoretischen Kern. Dieser untersucht die gängi­gen Integrationstheorien des Realismus, (Neo-)Funktionalismus, Föderalismus und Intergou- vernementalismus. Die Darstellung der Theorien ist jeweils auf eine kurze Abhandlung be­schränkt. Weitergehende Ausführungen der Theorien finden nur unter der Voraussetzung statt, dass sie sich auf den Prozess der EWWU anwenden lassen und zu Erkenntnissen hinsichtlich der Forschungsfrage führen.

Der dritte Abschnitt dieser Arbeit stellt die historischen Ereignisse der Europäischen Integrationsgeschichte vor, die den Weg für eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungsuni­on geebnet haben. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erhielten die europäischen Staa­ten ihre erste Lektion im Bereich wirtschaftliche Zusammenarbeit durch die Umsetzung des Marshallplans. Dieser Plan umfasste Hilfestellungen für den Aufbau der durch den Krieg schwer beschädigten europäischen Wirtschaft. Schon zu diesem Zeitpunkt wurde sehr deutlich wie schnell der Wunsch nach internationaler Koordinierung der Wirtschaftspolitik in einen Konflikt mit nationalstaatlichen Interessen geraten konnte.[12] Die Untersuchung führt an den wichtigen historischen Eckpunkten, wie der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), den Römischen Verträgen, dem Fusionsvertrag der Europäischen Gemeinschaften und der Einheitlichen Europäischen Akte entlang bis zum Delors-Bericht und der Deutschen Wiedervereinigung. In diesem Kontext liegt der Untersuchungsschwerpunkt der jeweiligen Ereignisse auf den Auswirkungen für die EWWU. Auch Hindernisse und Fehlschläge für das Ziel eines gemeinsamen Währungsraumes, wie etwa das Festkurssystem von Bretton-Woods oder der Werner-Plan, des damaligen luxemburgischen Ministerpräsidenten Pierre Werner, werden in diesem Abschnitt thematisiert.

Punkt vier thematisiert die Forderungen der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges zur Umsetzung der Wiedervereinigung in Deutschland. Ein besonderer Fokus liegt auf Frank­reichs Forderung zum Fortschritt der Integration, da bereits im Juli 1989 Frankreichs Staats­präsident François Mitterrand, die Zustimmung seiner Nation zur Wiedervereinigung mit dem Einigungsprozess in Europa verband. Er bekräftigte diese Forderung 1990, als in Deutschland die Währungsunion mit der Deutschen Demokratischen Republik konkrete Formen annahm.[13] An dieser Stelle muss die Position der Bundesrepublik Deutschland unter Bundeskanzler Hel­mut Kohl berücksichtigt werden. Anschließend werden einige wichtige Standpunkte weiterer Partner der EWWU erläutert, um einen klaren Blick auf die Gesamtsituation der zukünftigen Währungsunion zu erhalten. Bevor das Fazit und die Beantwortung der Forschungsfrage dar­gestellt wird, müssen die Ereignisse um den Abschluss des Vertrages von Maastricht unter­sucht werden. Der Delors-Bericht, welcher von einer Verwirklichung der EWWU in drei Stu­fen ausging, wurde fast unverändert in den Vertrag von Maastricht übernommen. Hier gilt es die Zusammenhänge zwischen dem Fall der Mauer und einer zunehmenden Beschleunigung in den deutschen Vorbereitungen auf die EWWU ab Herbst 1990 zu untersuchen.[14] Dies ist entscheidend, um herauszufinden welchen Einfluss die Deutsche Wiedervereinigung schlus­sendlich aufEntstehung der EWWU hatte.

1.3 Begriffsdefinition von Integration

Die Studie der Lektüre zum Thema Integrationstheorien zeigt auf, dass der Begriff In­tegration durchaus verschieden ausgelegt werden kann. Die Übersetzung des Wortes integrare aus dem Lateinischen bedeutet etwa wiederherstellen oder auch einrenken. Die zuletzt ge­nannten Bedeutung erinnert an den ursprüngliche Kerngedanken der EGKS, nämlich der Ver­meidung weitere feindseliger Auseinandersetzungen innerhalb Europas und somit die Absicht den zerstrittenen Kontinent wieder „einzurenken“. Darauf deuten auch Art.1 des EU-Vertrages[15] und die Präambel des EG-Vertrages[16] hin. Dieses Thema diskutiere ich im historischen Ab­schnitt dieser Arbeit intensiver.[17] Ganz allgemein bedeutet Integration die Verbindung einzel­ner Elemente zu einem Ganzen oder deren bereits abgeschlossene Verbindung zu einem Gan­zen. Dem zufolge kann man zwischen dem Prozess der Integration und dem Zustand der Inte­gration unterscheiden. Es existiert ein dynamischer und statischer Teil. Diese Erkenntnis wird in Punkt 2 der Arbeit an Hand der EWWU diskutiert.[18] Es spielt durchaus eine Rolle aus wel­cher Perspektive der Begriff der Integration untersucht wird. Im Bezug auf die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion stammt der BegriffIntegration tendenziell eher aus der Öko­nomie. Genau aus der noch relativ jungen Theorie der internationalen Wirtschaftsbeziehun­gen. Ohne zu tief in die Theorien der Wirtschaftswissenschaften einzudringen, ist an dieser Stelle ein kurzer Exkurs zu rechtfertigen, um den Hintergrund der Integration zu beleuchten.

Die neo-klassische Wirtschaftstheorie in ihrer einfachsten Form geht davon aus, dass Produzenten und Konsumenten als Wirtschaftssubjekte auf dem Markt kommunizieren und ihre Güter oder Dienstleistungen austauschen. Dabei ist wichtig, dass der ideale Markt voll in­tegriert seien sollte und nur Produktionskosten und die jeweiligen Präferenzen eine Rolle spielen. Dieser Markt existiert real nicht. Die verschiedenen Wirtschaftssubjekte sind räum­lich verteilt und in politisch-sozialen Verbänden organisiert. Aus der räumlichen Beschrän­kung ergeben sich natürliche Handelshemmnisse, wie Entfernungen zwischen Standorten oder geographische Besonderheiten, wie Gebirge oder Gewässer. Hier kann Integration durch tech­nischen Fortschritt im Transport- oder Kommunikationssektor erreicht werden. Der Bereich der politisch-sozialen Handelshemmnisse ist für die Untersuchung der Forschungsfrage inter­essanter. Der Abbau kann hier durch Lernprozesse und interkulturelle Kommunikation statt­finden. Vor allemjedoch durch den Abbau der politisch bedingten Hemmnisse. Integration ist eine Bewegung auf den hypothetischen Punktmarkt[19] zu, mit dem Ziel die Handelsbeschrän­kungen zu reduzieren. Bei der Analyse der Handelshemmnisse werden in der Regel nur die künstlichen Handelsbeschränkungen und Maßnahmen zur Abschaffung betrachtet. Also jene, die mit Hilfe politischer Koordination überwunden werden können.[20]

Zurück zur Definition des Begriffs. Eine simple Definition von Integration lautet, dass Teile in einer Art und Weise zusammengeführt werden, dass etwas qualitativ Neues dabei ent­steht. Bei dieser Ansichtsweise kann Währungsintegration als eine Zusammenführung von ei­ner oder mehreren Währungen verstanden werden. Somit ist im Folgendem mit dem Begriff Währungsintegration immer die Herbeiführung einer einheitlichen Währung gemeint. Diese Definition lässt den Schluss zu, dass Integration stets eine dynamische und eine statische Seite besitzt. Dabei ist die Währungsunion in diesem Zusammenhang das finale Ziel und die Her­stellung der neuen Währung oder Währungsunion die dynamische Komponente. Im nächsten Abschnitt werde ich genauer auf diese Unterscheidung eingehen.[21]

1.4 Zum Begriff der Wirtschafts- und Währungsunion

„Unter einer Wirtschafts- und Währungsunion versteht man ganz allgemein den Zusammenschluss der Volkswirtschaften mehrerer Staaten zu einem Wirtschaftsraum mit einer gemeinsamen Währungsowie einer einheitlichen Wirtschafts- und Währungspolitik“.

- Wolfgang Harbrecht -[22]

Gemäß diesem Zitat von Wolfgang Harbrecht stellt eine Wirtschafts- und Währungsu­nion die stärkste und auch umfangreichste Form der wirtschaftlichen Integration dar. Weitere mögliche Formen wirtschaftlicher Integration sind beispielsweise Freihandelszonen, Zollunio­nen oder gemeinsame Märkte.

Im Folgenden werden die einzelnen Stufen der Entwicklung hin zu einer Wirtschafts­und Währungsunion kurz dargestellt und unter geldpolitischen Gesichtspunkten näher erläu­tert. Dies dient dem Verständnis der Entstehungsgeschichte einer Wirtschafts- und Währungs­union. Eine Freihandelszone liegt vor, wenn innerhalb einer bestimmten Zone die Zölle und quantitativen Handelsbeschränkungen aufgehoben sind. Dabei behältjeder Mitgliedsstaat der Freihandelszone seine nationalen Zölle gegenüber Nichtmitgliedsstaaten bei. Im Unterschied dazu hat eine Zollunion nicht nur die Abschaffung der inneren Zölle und quantitativen Han­delsbeschränkung zum Ziel, sondern besitzt auch einen einheitlichen Zolltarif gegenüber Drittstaaten. Der Unterschied besteht demnach nur nach außen und lässt die politischen Ver­hältnisse innerhalb der Zone zunächst unberührt. Die Einführung einer Zollunion fordert von den Mitgliedsstaaten nicht nur einen gemeinsamen Zolltarif, sondern mit der Zeit auch eine einheitliche Handelspolitik. Dies lässt die Zollunion, gegenüber der Freihandelszone, zu ei­nem wirtschaftlich noch stärker integrierten Objekt werden. Die nächst höhere Form interna­tionaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit stellt der gemeinsame Markt dar. In einem gemein­samen Markt werden nicht nur alle Handelsrestriktionen beseitigt, sondern er ermöglicht auch noch die Freizügigkeit der Produktionsfaktoren innerhalb der Mitgliedsstaaten. Demnach ist ein gemeinsamer Markt durch die Freiheit der Produktionsfaktoren und den Freihandel im In­neren gekennzeichnet. Eine Wirtschaftsunion, als nächster Entwicklungsschritt, zeichnet sich gegenüber dem gemeinsamen Markt dadurch aus, dass innerhalb ihrer Grenzen nicht nur ein freier Verkehr von Gütern und Dienstleistungen, sowie Freizügigkeit von Produktionsfaktoren möglich ist, sondern eine Harmonisierung der nationalen Wirtschaftspolitiken angestrebt wird. Dies geschieht um eine wirtschaftliche Diskriminierung eines oder mehrerer Mitglieder auf­grund divergierender Wirtschaftspolitiken zu verhindern. Eine Währungsunion lässt sich nicht so einfach nach dem Grad der internationalen wirtschaftlichen Integration eingliedern. Die Währungsunion stellt, wie die anderen genannten Integrationsformen auch eine wirtschaftli­che Teilintegration dar, nämlich auf monetärem Gebiet. Dazu zählt ein völlig freier und vor allem uneingeschränkter Kapital- und Zahlungsverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten zu fes­ten, unveränderlichen Kursen. Des Weiteren sind eine gemeinsame Geldpolitik innerhalb der

Union und eine einheitliche Währungspolitik nach außen Teil der Währungsunion.

Es ist durchaus möglich eine Währungsunion isoliert oder kombiniert mit anderen For­men der wirtschaftlichen Teilintegration zu realisieren, wobei eine kombinierte Realisierung der Wirtschafts- und Währungsunion die stärkste Form internationaler wirtschaftlicher Zu­sammenarbeit darstellt. Das Wirtschaftsgebiet einer Wirtschafts- und Währungsunion unter­scheidet sich nicht mehr von dem einen einheitlichen Staatsgebietes, weil es unter einer ein­heitlichen Hoheitsgewalt steht. Die Wirtschafts- und Währungspolitik muss in allen Mit­gliedsstaaten gleich sein, demnach einen gemeinsamen politischen Willen entsprechen. Für die eigentliche Funktionsfähigkeit einer solchen Wirtschafts- und Währungsunion kommt es theoretisch nicht darauf an, ob die Wirtschafts- und Währungspolitik zentral von einem supra­nationalen Organ wahrgenommen wird oder ob es auf dem Weg der zwischenstaatlichen Ko­ordinierung zu einer Einheitlichen Politik kommt. Daher sind auch verschiedene theoretische Modelle zur Umsetzung einer solchen Union denkbar. Viel wichtiger ist, dass am Ende des politischen Willensbildungsprozess nur ein einheitlicher politischer Wille erkennbar ist und innerhalb der ganzen Gemeinschaft zum Tragen kommt. Es ist allerdings nicht mit abschlie­ßender Sicherheit zu sagen, ob die bloße Koordinierung der Politik ein Ergebnis hervorbrin­gen kann, um die notwendige Einheitlichkeit sicher zu stellen.[23]

2. Die klassischen inteqrationstheoretischen Paradigmen

Dieser Abschnitt soll einen Einblick in die generellen und wichtigen Grundbegriffe und Auffassungen liefern, welche die Diskussion über die Integrationstheorien beherrschen. Dies ist besonders wichtig, weil die im Verlauf dieses Punktes vorgestellten Theorien nicht nur eine Grundlage für eine Analyse bieten, sondern viel mehr noch normative Züge aufwei­sen. Es wird nicht nur nach den Unterschieden der Theorien gefragt, sondern auch diskutiert, ob bestimmte Formen mehr oder weniger wünschenswert sind. Darüber können Meinungen selbstverständlich divergieren, jedoch ist der Nutzen einer solchen Darstellung hoch.[24]

Die gängigen wissenschaftstheoretischen Vorstellungen gehen davon aus, dass eine Theorie die Realität zu erklären vermag. Eine Theorie zur Währungsintegration und der Euro­päischen Wirtschafts- und Währungsunion müsste dementsprechend diese Phänomene erklä­ren. Währungsintegration istjedoch ein komplexes Phänomen, welches sich durch diverse er­klärungsbedürftige Aspekte auszeichnet. Man könnte beispielsweise zwischen dem Wirken der Währungsintegration und dessen Zustandekommen unterscheiden. Die wünschenswerteste Theorie wäre natürlich eine solche, die alle Aspekte der Währungsintegration erfassen und in einem Ansatz erklären könnte. Gäbe es eine solche Theorie, so könnte man sie auf jedes auf­tretende Problem der Währungsintegration anwenden. Eine solche alles erklärende Theorie für die Währungsintegration existiert bislangjedoch nicht. Die existierenden Theorien erklä­ren in Ansätzen einzelne Teilaspekte des Phänomens, vermögen es bis heute nicht einen um­fassenden Erklärungsansatz dieser Realität zu liefern.[25]

Politikwissenschaftler untersuchen seit dem Ende der fünfziger Jahre die Ursachen für Dynamik und Beendigung regionaler Integrationsprozesse. Seither waren die Großmodelle des Föderalismus, Intergouvernementalismus und Neofunktionalismus diskussionsleitend. Ihre große Bedeutung gewann vor allem der Neofunktionalismus und Intergouvernementalis­mus dadurch, dass sie an die Großtheorien der Internationalen Beziehungen, den Idealismus bzw. Realismus, anknüpften. Dieser Abschnitt stellt neben den genannten Integrationstheorien auch eine Reihe von Integrationsprämissen vor. Diese bilden grundlegende Voraussetzungen ohne die ein Integrationsprozess nicht möglich erscheint. Diese Darstellung der Integrations­forschung mit ihren Theorien dient dem bessern Verständnis und der Einordnung der Ereignis­se, welche im Abschnitt drei untersucht werden.

Ab der Mitte der siebziger Jahre kam die bis dahin intensiv geführte integrationstheo­retische Debatte zum erliegen. Dieses zurückgehende Interesse zeigte sich sowohl an der mangelnden öffentlichen Wahrnehmung der Europäischen Gemeinschaft, als auch an der deutlichen Abnahme der Zahl der wissenschaftlichen Analysen dieser Zeit. Dies änderte sich erst am Ende der 1980er Jahre, als im Rahmen des neuen Integrationsschubes auch die theore­tische Diskussion um die EG-Systementwicklung wieder aufgenommen wurde. Ab diesem Zeitpunkt wurden, neben den klassischen Theorien, vor allem neuere theoretische Modelle und Perspektiven wie dem Mehrebenenansatz, der Policy-Analyse und dem Netzwerkansatz diskutiert. Diesen Ansätzen war die gemeinsame Herkunft aus der Vergleichenden Regie­rungslehre gemein. Sie sollen in dieser Arbeit allerdings keine wichtige Rolle spielen.[26]

Der CDU-Politiker und Jurist Walter Hallstein warnte Anfang der sechziger Jahre da­vor, den Integrationsprozess in Europa zu sehr mit theoretischen Zielvorgaben zu belasten. Seiner Meinung nach sei die Europäische Gemeinschaft ein Prozess sui generis. Aus der Sicht eines handelnden und aktiven Politikers habe das Denken in Analogien und theoretischen Mo­dellen für die politische Praxis nur geringen Wert.

Damit wollte Hallenstein die wechselseitige Beziehung Zwischen Geisteswissenschaf­ten und Politik nicht hinterfragen, sondern vielmehr dagegen angehen, dass die Theorie ge­wisse Prognose und Handlungsanweisungen für die Zukunft des Europäischen Systems be­reitstellte. Die politischen Theorien zum Thema Integration boten damals bereits ein sehr un­übersichtliches Bild und erlangten interessanter Weise erst, nachdem die wichtigsten politi­schen Entscheidungen des Integrationsprozesses getroffen wurden, ihre Hochphase. Vor dieser Phase war der Begriff der Integration vergleichsweise unbekannt. In der Politikwissenschaft etablierte der Integrationsbegriff sich erst in den fünfziger Jahren und erfuhr daraufhin einen raschen Bedeutungszuwachs. Er wird mit einer Reihe weiterer Theorien, wie etwa der Frie­densforschung oder dem Funktionalismus und Föderalismus in Verbindung gebracht. Die bei­den zuletzt genannten Theorien sollen auch gestand der intensiveren Diskussion zu Integrati­onstheorien in Abschnitt 2.3 und 2.4 sein. Während diese Denkrichtungen den Begriff der In­tegration zunächst nicht kannten, war er in anderen Bereichen wie etwa dem Völkerrecht, dem Verfassungsrecht, der Nationalökonomie oder auch der Lehre der internationalen Beziehun­gen bereits geläufig.[27] Trotz der anfänglichen Skepsis Hallensteins und weiterer aktiver Politi­ker hat das EU-System eine Vielzahl von wissenschaftlichen Ansätzen, die versuchen es theo­retisch zu erfassen und zu erklären. Insbesondere die ständigen geographischen und politi­schen Veränderungen innerhalb der Europäischen Union und ihrer Vorgänger machen eine kontinuierliche Überprüfung der Theorien notwendig. Bei der Theoriebildung ist es wesent­lich, die Entstehung und Entwicklung der Politik- und Systemgestaltungsprozesse zu erklären. Die Integrationstheorien dienen prinzipiell dazu, die diversen Prozesse zu ordnen und die Komplexität des Systems zu reduzieren.[28]

Es muss geklärt werden, welchen Beitrag die Theorie zum Prozess der Europäisierung leisten kann. Die Politologen Claus Giering und Almut Metz definieren Integration als die friedliche und freiwillige Annäherung von Gesellschaften, Staaten und Volkswirtschaften über bislang bestehende Grenzen hinweg. Dabei bezieht sich Integration sowohl auf den aktuellen Zustand als auch auf den Prozess. Die Theorie der Integration soll dabei folgende fundamen­tale Fragen klären:

- Warum findet regionale Integration statt?
- Wie kommt es zu einer Vertiefung oder Ausweitung regionaler Integration?
- Wer sind die zentralen Akteure im Integrationsprozess?
- Wie funktioniert das europäische politische System?
- Wohin soll die regionale Integration führen?

Seit Beginn der Debatte über europäische Integrationstheorien haben vor allem drei „Grand Theories“ eine zentrale Rolle gespielt: Der (Neo-)Funktionalismus, der Föderalismus und der Intergouvernementalismus.[29] Bevor diese Theorien in den Abschnitten 2.3 bis 2.5 dis­kutiert werden folgen noch einige Überlegungen zum Begriff der Integration und der histori­schen Entwicklung der Integrationstheorien.

Der Begriff Integration lässt sich, wie bereits festgestellt, in einen dynamischen und einen statischen Teil zerlegen. Im Hinblick auf die Fragestellung der Arbeit werfen wir zuerst einen Blick auf den statischen Teil der Integration. Dabei ist es unstrittig, dass die Währungs­union das Ziel des Integrationsprozesses ist. Einzige diskutable Ausnahmen könnten die exter­ne Einbettung und die interne Konstruktion der Währungsunion sein. Dies ändert im Gesamt­kontext nichts an der finalen Zielsetzung. Die dynamische Komponente der Währungsintegra­tion, der eigentliche Prozess der Herstellung einer Währungsunion, ist innerhalb der europäi­schen Integration ein sehr umstrittenes Thema.[30] Die für diese Arbeit zentrale monetäre Inte­gration stellt sowohl in der statischen als auch in der dynamischen Dimension einen Prozess dar, von dem sich die teilnehmenden Nationen in einer bestimmen Art und Weise einen (wirt­schaftlichen) Vorteil versprechen. Der hier genannte Vorgang der monetären Integration for­dert ein Subjekt, das den Prozess initiiert, organisiert und zum Abschluss bringt. Es kann also gesagt werden, dass die monetäre Integration einen Prozess darstellt, welchen von Menschen gewünscht und angetrieben wurde. Damit unterscheidet sich dieser organisierte Vorgang von einem evolutionären Vorgang, welcher - im Sinne von Friedrich August von Hayek[31] - eher durch eine nicht bewusst beeinflussbare Entwicklungsform gekennzeichnet ist.[32]

Die Entwicklungsgeschichte der verschiedenen Varianten der Integrationstheorien zeigt demnach, dass es ab Mitte der vierziger Jahre bis in die siebziger Jahre hinein eine rege Diskussion um die verschiedenen theoretischen Ansätze gab. Ab Mitte der siebziger Jahre führte die mangelnde Aussagekraft aller Theorievarianten, in Bezug auf die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft (EG), zu einer plötzlichen Verminderung der wissenschaftlichen Theoriedebatte.[33]

Bevor die Integrationsprämissen, als Grundvoraussetzungen zur Integration in Punkt 2.1 diskutiert werden, gehe ich an dieser Stelle noch kurz auf die Frage ein, warum Integrati­on aus ökonomischer Sicht überhaupt erstrebenswert ist. Der erste Gedanke dazu ist ein klas­sisches Modell der Ökonomen Adam Smith (1723-1790) und David Ricardo (1772-1823). Demnach führen Arbeitsteilung und Spezialisierung der teilnehmenden Nationen, unter der Voraussetzung der Ausnutzung von komparativen Kostenvorteilen im Handel, im Endeffekt zur höchstmöglichen Wohlfahrtssteigerung. Welche Rolle der Staat in diesem Zusammenhang spielt wird an Hand der später folgenden Theorien näher erläutert.[34]

2.1 Integrationsprämissen

Der Integrationsprozess in Europa ist nicht voraussetzungslos. Die beteiligten Staaten müssen sich auf Prämissen einigen, um einen tragfähigen Prozess zu gestalten. Die Integrati­onsprämissen sind keine Spielregeln im eigentlichen Sinne, weil sie dafür zu allgemein for­muliert sind. Vielmehr sind es Eingaben um den Integrationsprozess in Gang zu bringen und zu strukturieren. Sie dürfen auf nicht mit den Zielen des Prozesses verwechselt werden, wel­che erst im Laufe der Zeit erreicht werden können.[35] Das europäische Projekt kann weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart ausschließlich mit allgemeinen politischen Motiven erklärt werden. Der Volkswirtschaftsprofessor[36] Prof. Wolfgang Harbrecht nennt sechs allge­meine politische Motive, die helfen können einen Begründungszusammenhang zu erkennen: 1.) militärische Unsicherheit, 2.) der Wunsch nach Unabhängigkeit von anderen Mächten, 3.) die Erwartung ökonomischer Vorteile, 4.) geographische Nachbarschaft, 5.) ähnliche politi­sche Systeme und 6.) ein schon vorher bestehendes Assoziationsverhältnis zwischen Staaten.[37] Bei der Betrachtung dieser aufgezählten Kriterien lassen sich schnell Zusammenhänge zwi­schen der deutsch-französischen Beziehung erkennen, welche im Abschnitt vier untersucht werden. Die folgenden beiden Unterpunkte stellen die allgemeinen und Europa spezifischen Prämissen vor und schließen den Punkt der Integrationsprämissen ab. Dabei ist festzuhalten, dass in den Integrationsprozess allgemeine und spezifische Integrationsprämissen eingehen. Hierbei bestimmen die allgemeinen Prämissen diejeweiligen Integrationsstadien und die spe­zifischen den Verlauf.

2.1.1 Allgemeine Integrationsprämissen

Die folgenden beiden Unterpunkte 2.1.1 und 2.1.2 beruhen zum Großteil auf den Er­kenntnissen des ersten Kapitels der Monografie „Europäische Währungsintegration. Von der Zahlungsunion zur Währungsunion“ von Werner Polster aus dem Jahr 2002. Das Buch stellt in einer detaillierten Weise die notwendigen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Integra­tionsverlauf dar und diskutiert anschaulich die zu bewältigenden Schwierigkeiten. Integration stellt zunächst ein Ideal dar, ein Zusammenspiel von Werteprämissen, welche sich historisch aus den wirtschaftlichen und militärischen Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhun­derts ergeben haben. Des Weiteren muss festgehalten werden, dass in den fünfziger Jahren kein Zielwechsel des Integrationsbegriffs in Richtung Wirtschaftsgemeinschaft ergeben hat, sondern weiterhin ein Projekt zur politischen Union gemeint war. Gerade weil das europäi­sche Integrationsprojekt ökonomisch angelegt war, muss es von seinen Anfängen an als ein politisches Vorhaben verstanden werden. Jeder Vorgang der wirtschaftlichen Integration, der über eine Freihandelszone hinausgeht, lässt sich auch nur durch politische Motive begründen.

Für die internationale Integration ist es zunächst einmal entscheidend den wirtschaftli­chen Nationalismus der beteiligten Staaten zu überwinden. Daraus ergeben sich zwei Notwen­digkeiten. Zum einen der Abbau von Schutzmaßnahmen, welche ein Teil der nationalen Inte­gration waren. Zum anderen ist die Bereitschaft wirtschaftspolitische Kompetenzen auf eine supranationale Ebene zu verlagern und demnach an direkten Einfluss zu verlieren. Im Hin­blick auf die Aufhebung der nationalen Schutzmaßnahmen, etwa in Form von Importzöllen, konnten die Gemeinschaftsländer bereits in den fünfziger Jahren einige wegweisende Schritte vorzeigen. Das Übertragen der wirtschaftspolitischen Kompetenzen auf die europäische Ebe­ne stellte sich allerdings als ein langwieriger Prozess heraus. Das Dilemma in dem sich der Prozess der monetären Integration befand, lag darin begründet, dass der monetäre Souveräni­tätsverzicht die größte Hürde der wirtschaftlichen Integration darstellte. Dieser Prozess schritt nur sehr langsam voran. Insbesondere in der Anfangszeit der Integration stieß die Überwin­dung des wirtschaftlichen Nationalismus auf zwei grundlegende Probleme. Zum einen der ge­fühlten Bedrohung der nationalen durch die internationale Integration. Zum anderen eilten der internationalen Integration der Ruf voraus, eine abstrakte Utopie zu sein. Das erste Problem bestand darin, dass die Solidaritätsbasis derjeweiligen Wohlfahrtstaaten auf den Nationalstaat beschränkt war und sich auf außenwirtschaftliche Absicherung gründete. Somit stellte der na­tionale Wohlfahrtsstaat über einen langen Zeitraum ein Hindernis für die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft dar. Das zweite Problem musste mit der Überwindung der Angst vor Umsetzungsschwierigkeiten und vermeintlichen Nationalismen gemeistert werden.

Auch Solidarität gilt als essentiell, weil die Integration nicht ausschließlich auf der Ar­gumentation der gegenseitigen ökonomischen Vorteile basieren kann. Eine rein von Interessen geleitet Integration kann dazu führen, dass Erfolge gering ausfallen oder sehr lange Zeit benö­tigen um sich einzustellen. Die Bereitschaft zu Solidarität stellt, genau wie der Souveränitäts­verzicht, eine materielle Hürde für die Integration dar. Insbesondere die großen Volkswirt­schaften sind gefordert Großzügigkeit zu zeigen, diese Bereitschaft wird um so stärker strapa­ziert, je größer der Wohlstandsunterschied zwischen den teilnehmenden Nationen ist. Diese Unterschiede waren im Falle Europas anfangs gering. Im Laufe der Zeit führten unterschiedli­che Entwicklungsgeschwindigkeiten in den Ursprungsländern und späteren Beitrittsländern dazu, dass eine heterogene Gemeinschaft entstand. Dies bedeutet, dass auch Umverteilungen innerhalb der Gemeinschaft notwendig wurden.[38] Integration fordert die Überwindung des Wettbewerbs zwischen den einzelnen Integrationsteilnehmern und die Schaffung eine Solida­ritätsgemeinschaft auf einer supranationalen Basis. Das finale Ziel der monetären Integration, die eigentliche Währungsunion, beendet den Währungswettbewerb innerhalb des neu geschaf­fenen Währungsraumes. Diese Union führt mit ihrem einheitlichen Geldwesen schlussendlich zu einer Solidaritätsgemeinschaft.

Im Rahmen einer geschichtlichen Betrachtung der Integration in Europa kann man einen positiven Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Wachstum und politischer Integra­tion feststellen. In dieser Phase herrschte ein expansives Klima. Der Integrationserfolg in den beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg war ungleich größer als der Fortschritt in den siebziger und achtziger Jahren, in denen Europa wirtschaftliche Schwierigkeiten hatte und unter den Ölkrisen litt. Ein neuer Integrationsimpuls ab Mitte der achtziger Jahre kann zwar nicht direkt auf die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage zurückgeführt werden, aber die re­lative Stabilität dieser Zeit war für die Integrationsbemühungen sicherlich hilfreich.

Schließlich muss die politische Gleichheit der teilnehmenden Nationen als grundlegen­de Prämisse für den Prozess der Integration betrachtet werden. Unabhängig von militärischer Stärke, Bevölkerungsgröße oder wirtschaftlicher Kapazität muss der Prozess als egalitäres Vorhaben angelegt werden. Diese Gleichheit muss sich in den Verträgen, den erschaffenen In­stitutionen und auch dem Handeln der Mitglieder widerspiegeln. Egalität aufrecht zu erhalten ist, vor dem Hintergrund, dass die EU nach wie vor einen starken ökonomischen Funktionszu­sammenhang besitzt, kein einfaches Unterfangen. Nach der Darstellung der allgemeinen Inte­grationsprämissen beschreibt der nächste Unterpunkt die spezifisch europäischen Integrati­onsprämissen.[39]

2.1.2 Europa-spezifische Inteqrationsprämissen

Abgesehen von den allgemeinen Integrationsprämissen fließen im Fall der monetären Integration noch drei weitere Prämissen als unabhängige Variablen in den Prozess mit ein. Diese sind auf die besondere historische Konstellation während der Entstehungsphase der Eu­ropäischen Gemeinschaften zurückzuführen. Dabei handelt es sich erstens um die Prämisse der nationalstaatlichen Steuerung des Integrationsprozesses, zweitens um den Vorrang real­wirtschaftlicher Integrationsmaßnahmen und drittens um eine aus den beiden zuvor genannten Prämissen abgeleitete Integrationshierarchie.

Der Zweite Weltkrieg hatte die Staaten Europas sowohl wirtschaftlich als auch poli­tisch geschwächt. Dies führte zu der Vorstellung, dass das Konzept des Nationalstaates über­lebt habe.

[...]


[1] Busch, Klaus: Spill-over-Dynamik und Spill-back-Potential in der europäischen Währungsintegration - ein BeitragzurIntegrationstheorie. In: Jachtenfuchs, Markus und Kohler-Koch, Beate (Hrsg.): Europäische Integration. Opladen, Leska+ Budrich, 1996, S. 281.

[2] Übersetzung aus dem Griechischen: Weit und Sicht, oft übersetzt als „die [Frau] mit der weiten Sicht“

[3] Vgl. Koenig, Christian und Pechstein, Matthias: Die Europäische Union. Der Vertrag von Maastricht. Tübingen, J.C.B. Mohr, 1995, S. 17.

[4] Vgl. Kohler-Koch, Beate/ Conzelmann, Thomas/Knodt, Michéle: Europäische Integration - Europäisches Regieren , VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2004, S 25 f.

[5] Vgl. Galahn, Gunbrtitt: Die Deutsche Bundesbank im Prozeß der europäischen Währungsintegration. Berlin undNewYork, Walterde Gruyter, 1996, S. 14.

[6] Vgl. Zapka, Klaus: Europäische Wirtschaftspolitik, Göttingen, Cuvillier Verlag, 2007, S. 171.

[7] Vgl. Friedrich, Holger. Reformen durch Europa - Zur Transformation der politischen Handlungsfähigkeit in der Europäischen Währungsunion. In Weidenfeld, Werner. Münchner Beiträge zur Europäischen Einigung.

Bonn, EuropaUnion Verlag, 2004, S. 24 ff.

[8] Vgl. Enderlein, Henrik: Nationale Wirtschaftspolitik in der europäischen Währungsunion. Frankfurt am Main/ New York, Campus Verlag, 2004. S. 25 f.

[9] Vgl. Polster, Werner: Europäische Währungsintegration, Marburg, Metropolis-Verlag, 2002, S.11 f.

[10] Vgl. Nohlen, Dieterund Schultze, Rainer-Olaf: Lexikon derPolitikwissenschaftBand 1, München, C.H. Beck 2002, S. 388.

[11] Vgl. Polster, Werner: Europäische Währungsintegration, Marburg, Metropolis-Verlag, 2002, S. 33 ff.

[12] Vgl. Brunn,Gerhard: Die Europäische Einigung, Stuttgart, Reclam, 2002 S. 70.

[13] Vgl. Polster, Werner: Europäische Währungsintegration. Von der Zahlungsunion zur Währungsunion. Marburg, Metropolis-Verlag, 2002, S. 340.

[14] Vgl. Zapka, Klaus: Europäische Wirtschaftspolitik, Göttingen, Cuvillier Verlag, 2007, S. 190.

[15] Völker- undEuroparecht, TextbuchDeutschesRecht. Heidelberg, C.F. Müller Verlag, S. 566. Art. 1 EU­Vertrag, Abs. II. : “Dieser Vertrag stellt eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas dar, in der die Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden.“

[16] Ebd. S. 613. Präambel des EG-Vertrages: „In dem festen Willen, die Grundlage für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu schaffen,...“

[17] Vgl. Wagener, Hans-Jürgen/Eger, Thomas/Fritz, Heiko: Europäische Integration. Recht und Ökonomie, Geschichte undPolitik. München, Verlag Franz Vahlen, 2006, S. 22 f.

[18] Vgl. Ahbe, Martin: Europäische Währungsintegration: Konventionelle Wohlfahrtsanalyse versus politisch­ökonomische Kooperationsproblematik. Frankfurt am Main, Peter Lang, 1992, S. 5.

[19] Der Punktmarkt ist eine Modellannahme aus der Volkswirtschaftslehre und bezeichnet die räumliche Konzentration von Angebot und Nachfrage an einem Ort zur selber Zeit.

[20] Vgl. Wagener, Hans-Jürgen/Eger, Thomas/Fritz, Heiko: Europäische Integration. Recht und Ökonomie, Geschichte undPolitik. München, Verlag Franz Vahlen, 2006, S. 22 f.

[21] Vgl. Polster, Werner: Europäische Währungsintegration. Von derZahlungsunion zur Währungsunion. Marburg, Metropolis-Verlag, 2002, S. 27.

[22] Vgl. Harbrecht, Wolfgang; Europa auf dem Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion, Bern, 1981, S. 15.

[23] Vgl. Harbrecht, Wolfgang; Europa auf dem Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion, Bern, 1981,S. 15f.

[24] Vgl. Wagener, Hans-Jürgen/Eger, Thomas/Fritz, Heiko: Europäische Integration. Recht und Ökonomie, Geschichte undPolitik. München, Verlag Franz Vahlen, 2006, S. 42.

[25] Vgl. Ahbe, Martin: Europäische Währungsintegration: Konventionelle Wohlfahrtsanalyse versus politisch­ökonomische Kooperationsproblematik. Frankfurt am Main, Verlag Peter Lang, 1992, S. 23 f.

[26] Vgl. Faber, Anne: Europäischelntegration undPolitikwissenschaftliche Theoriebildung. Neofunktionalismus undlntergouvernementalismus in der Analyse. Osnabrück, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2005, S. 23 ff.

[27] Vgl. Herbst, Ludolf: Die zeitgenössische Integrationstheorie und die Anfänge der europäischen Einigung 1947-1950. In: Vierteljahreszeitschrift für Zeitgeschichte, Nr. 2, 1986, Hrsg. Bracher, Karl Dietrich und Schwarz, Hans-Peter, R. Oldenbourg Verlag, München. S. 161 ff.

[28] Vgl. Wessels, Wolfgang (Hrsg.): Europa von A bis Z, Berlin, Institut für Europäische Politik, 2009, S.276 f.

[29] Vgl. Wessels, Wolfgang (Hrsg.): Europa -von A bis Z, Berlin, Institut für Europäische Politik, 2006, S. 285 f.

[30] Vgl. Polster, Werner: Europäische Währungsintegration. Von der Zahlungsunion zur Währungsunion. Marburg, Metropolis-Verlag, 2002, S. 25 f.

[31] Vgl. Hayek, Friedrich August von, Die Irrtümer des Konstruktivismus und die Grundlagen legitimer Kritik gesellschaftlicher Gebilde. Tübingen, 1975,

[32] Vgl. Polster, Werner: Europäische Währungsintegration. Von der Zahlungsunion zur Währungsunion.

Marburg, Metropolis-Verlag, 2002, S. 26.

[33] Vgl. Nohlen, Dieterund Schultze, Rainer-Olaf, Lexikon derPolitikwissenschaftBand 1, München, C.H. Beck 2002, S. 389 ff.

[34] Vgl. Wagener, Hans-Jürgen/Eger, Thomas/Fritz, Heiko: Europäische Integration. Recht und Ökonomie, Geschichte undPolitik. München, Verlag Franz Vahlen, 2006, S. 23.

[35] Vgl. Polster, Werner: Europäische Währungsintegration. Von der Zahlungsunion zur Währungsunion >Marburg, Metropolis-Verlag, 2002, S. 33.

[36] Insbesondere für internationale Wirtschaftsbeziehungen.

[37] Vgl. Harbrecht, Wolfgang: Europa auf dem Wege zur Wirtschafts- und Währungsunion. Theoretische und politische Probleme der Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion in der Europäischen Gemeinschaft. Bern. 1981, S. 28.

[38] Als Aktuelles Beispiel des Jahres 2010 kann die Staatskrise in Griechenland genannt werden. Diese fordert die Solidarität der anderen Europäischen Staaten, um den Staatsbankrott eines Euro-Mitgliedsstaates zu verhindern.

[39] Vgl. Polster, Werner: Europäische Währungsintegration. Von der Zahlungsunion zur Währungsunion. Marburg, Metropolis-Verlag, 2002, S. 34 ff.

Ende der Leseprobe aus 75 Seiten

Details

Titel
Die Deutsche Wiedervereinigung als Katalysator der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion?
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen
Note
1,7
Autor
Jahr
2010
Seiten
75
Katalognummer
V174324
ISBN (eBook)
9783640947607
ISBN (Buch)
9783640947768
Dateigröße
881 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
deutsche, wiedervereinigung, katalysator, europäischen, wirtschafts-, währungsunion
Arbeit zitieren
Thomas Francis Helmke (Autor:in), 2010, Die Deutsche Wiedervereinigung als Katalysator der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/174324

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