Hunnen als Exempel aus chinesischer und westlicher Sicht


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

21 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Die Hsiung-nu
2.1 Die chinesischen Quellen

3. Die europäischen Hunnen
3.1 Die europäischen Quellen

4. Nachwort

5. Literaturverzeichnis

1. Vorwort

Zwischen den Grenzen der antiken europäisch-vorderasiatischen und der alt-chinesischen Welt erstreckt sich die mittelasiatische Steppen- und Wüstenregion. Sowohl im Westen wie im Osten musste man sich mit den aus der Steppe in die Kulturlandschaft eindringenden Nomaden auseinandersetzen. Diese Auseinandersetzung fand nicht nur kriegerisch oder wirtschaftlich statt, auch Historiographen, religiöse Kommentatoren und andere „Sinnstifter“ sahen sich genötigt, den ganz anderen, nicht mit sesshaften Völkern gleichsetzbaren Eindringlingen ihren Platz in der Weltgeschichte zuzuweisen.

Die Arbeit soll untersuchen, wie die Hunnen in Ost und West wahrgenommen wurden, in welchen Punkten sich die Beschreibungen gleichen und unterscheiden und in wie weit die Aussagen der antiken Autoren durch die Ergebnisse archäologischer Forschungen gedeckt sind. Vor diesem Hintergrund können dann Vermutungen über die Gründe von Fehleinschätzungen angestellt werden. Dabei soll die durchaus strittige Frage der Gleichsetzung der Hsiung-nu[1] mit den Hunnen irrelevant sein: so wie „die Hunnen“ ein Exempel in Ost und West sein konnten, ist der Konflikt zwischen sesshafter und nomadischer Welt an ihnen exemplarisch zu erkennen.

2. Die Hsiung-nu

Die Hsiung-nu sind den Chinesen seit Beginn ihrer Geschichte bekannt. Zunächst Hu, Hiun-yu oder im 9.-8. Jh. v. Chr. Hien-yün genannt, erhalten sie den Namen Hsiung-nu erst ab dem 3. Jh. v. Chr. Das Wort Hu bezeichnete dabei in seiner Grundbedeutung die „Bartträger“, also alle Ausländer bzw. Barbaren, hatte allerdings auch eine ganze Anzahl von abfälligen, „barbarisches“ Verhalten kennzeichnenden Nebenbedeutungen. Auch der ihnen schließlich zugewiesene Name ist eine Kombination aus der Transkription ihres Ethnonyms ins Chinesische (Hsiung) und der abwertenden Bezeichnung nu (Sklave)[2].

Ähnlich der Entwicklung ihrer Benennung durch Chinesen scheint sich ihre Genese zu einem Volk verhalten zu haben: von unbedeutenden Nomaden-Barbaren, die im Ordosgebiet und der Gobi lebten, zu einer geeinten und starken Nation in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts vor Christus. Ihre Überfälle sind dabei nicht ohne Wirkung auf die chinesische Zivilisation geblieben. Die chinesischen Könige, die den Angriffen der berittenen Krieger widerstehen mussten, sattelten wortwörtlich um und übernahmen die Kavallerie und weitere militärische Eigenarten und Techniken und man begann mit dem Bau dessen, was später einmal die große Mauer werden sollte. Aber erst mit der Einigung begannen die nunmehr Hsiung-nu genannten eine ernste Bedrohung für das durch die Ch’in-Dynastie (256-207 v. Chr.) vereinigte China zu werden, das sie gegen 214 aus dem Ordosgebiet vertrieben hatte. Diese Vertreibung scheint der Auslöser für Angriffe der Hsiung-nu gegen die in der Provinz Kansu ansässigen Yüeh-chih gewesen zu sein, die sie nun ihrerseits nach Westen abdrängten und damit zur stärksten Macht in der inneren Mongolei wurden. Von hier aus führten sie zwischen 170 und 140 v.Chr. immer wieder Razzien bis tief in chinesisches Territorium durch[3].

Die Hsiung-nu orientierten sich in dieser Zeit an der Staatsorganisation der Chinesen, man holte chinesische Handwerker, Bauern, Schreiber und Militärberater ins Land und ihr Herrscher ließ sich wie der chinesische Kaiser als „Sohn des Himmels“ (Chan-yü) titulieren. China versuchte indes, die Beziehungen zu den Hsiung-nu durch Tributzahlungen, Verheiratungen chinesischer Prinzessinnen mit dem Chan-yü und diplomatische Verträge weitgehend friedlich zu erhalten.[4]

Eine aktive Politik gegen die Hsiung-nu begann erst nach der Thronbesteigung des Han-Kaisers Wu-ti (140-87). In einer Reihe von Feldzügen gelang es, die Hsiung-nu aus Kansu zu vertreiben (121) und durch Kolonisation und Militärstützpunkte sowohl diese Provinz, als auch das Ordosgebiet dauerhaft zu sichern und die Hsiung-nu bis in die Obere Mongolei zurückzuwerfen. Gegen 60 v. Chr., als die Hsiung-nu wegen Bürgerkriegen um den Titel des Chan-yü geschwächt waren, gelang es China, die Kontrolle über die Seidenstraße bis Turfan zu gewinnen, den einen der beiden Prätendenten, Hu-han-yeh, zum Vasallen zu nehmen und seinen Konkurrenten Chih-chih mit einem Teil der Hsiung-nu Richtung Westen zu verdrängen (nach 49 v. Chr.)[5]. Für den nach Westen auswandernden Teil der Hsiung-nu beginnt nun eine quasi geschichtslose Zeit, da sie erst im 4. Jahrhundert wieder mit einer sesshaften, geschichtsschreibenden Zivilisation, der griechisch-römischen, in Kontakt kommen, während die Geschichte der Hsiung-nu mit den Chinesen noch einige Jahrhunderte weitergeht. Diese soll aber nicht weiter verfolgt werden, weil die wesentlichen Geschichtswerke, die Auskunft über die chinesische Sichtweise der Hsiung-nu/Hunnen geben, in dieser Zeit der Trennung von westlichen und östlichen Hsiung-nu verfasst wurden oder bereits verfasst worden waren.

2.1 Die chinesischen Quellen

Die „Shih-chih“ (Historische Schriften) von Ssuma Ch’ien (ca. 145-85 v. Chr.) ist das erste der Geschichtswerke, die systematisierend biographisch-annalistische Berichte über einzelne Herrscher liefern und in erster Linie der Legitimation der herrschenden Dynastie dienen sollten. Im Rahmen dieser Biographien werden ethnographische Exkurse geliefert, die sich unter anderem auf die Hsiung-nu erstrecken. Die Shih-chih wurden in den Jahren 104-87 zusammengestellt und decken den Zeitraum vom legendären Gelben Kaiser bis zum Jahr 95 v. Chr. ab[6]. Ssuma Ch’ien führte damit das Werk seines Vaters, des Hofastronomen und Historikers Ssuma T’an (gest. 110 v. Chr.) weiter, indem er die historischen Schriften und Überlieferungen sammelte, anordnete und mit eigenen Kommentaren und Überlegungen in Beziehung setzte. Im Zusammenhang mit seiner Verteidigung des Li Ling, der während einer Strafexpedition gegen die Hsiung-nu vernichtend geschlagen worden war, fiel Ssuma Ch’ien beim Kaiser in Ungnade, wurde entmannt und eingekerkert. Sein Werk kam daher erst einige Jahrzehnte nach seinem Tod in Umlauf, wurde aber schon bald wegen seiner Klarheit im Umgang mit Quellen und seines Bemühens, Informationen aus erster Hand zu bieten, von zeitgenössischen Historikern als maßgeblich anerkannt[7]. Die Darstellung der Hsiung-nu in den Shih-chih wurde von Pan Ku (32-92 n. Chr.) in seiner „Ch’ien Han-shu“ (Geschichte der vorangehenden Han-Dynastie) aufgegriffen und bis ins Jahr 24 n. Chr. erweitert.

Die Shih-chih beschreiben die Hsiung-nu im Kapitel 110 mit folgenden Worten:

„Bereits vor T'ang und gab es Dzong der Berge, Hien-un und Hun-ok, die unter den Man des Nordens wohnten und mit den Herden hin und her wanderten. Ihr Viehbestand setzt sich größtenteils aus Pferden, Rindern und Schafen zusammen. Seltenere Haustiere sind t'ok-t'o, »Sack-kamele«, Esel und Maulesel, Kut-fi, to-tu und to-hi. Wasser und Pflanzen suchend, wandern sie hin und her. Sie haben keine ummauerten Städte oder festen Wohnorte, noch treiben sie Acker­bau, aber dennoch besitzt jeder einen Teil des Bodens. Eine Schrift besitzen sie nicht. Vereinbarungen werden mündlich ge­macht. Die Kinder können Hammel oder Schafe reiten, spannen Bogen und schießen Vögel, Wiesel und Ratten; größer geworden schießen sie Füchse und Hasen, die zur Ernährung dienen. Die Kraft der Krieger liegt in ihrer Gewandtheit im Spannen der Bogen. Sie sind alle gepanzerte Reiter. Und was die Sitten und Bräuche anbetrifft, so wandert man in ruhigen Zeiten mit dem Vieh herum, erschießt dabei Vögel und Vierfüßler und findet so den Lebensunterhalt. Sobald Gefahren drohen, üben sich die Männer für den Krieg. Mit stürmender Hand Einfälle machen und angreifen, das liegt in ihrer Natur. Ihre langen Waffen sind Bogen und Pfeile, ihre kurzen Waffen Schwerter und Speere. Wo sie im Vorteil sind, da stoßen sie vor; sind sie aber im Nachteil, dann ziehen sie sich zurück und scheuen sich sogar nicht vor einem fluchtartigen Rück­zug, und zwar dorthin, wo sich eine günstige Stellung einnehmen läßt.

Von li, »vorschriftsmäßigen Lebensregeln«, und i, »Lebens­pflichten«, wissen sie nichts. Sowohl Fürsten und Prinzen als Untertanen essen das Fleisch der Haustiere und kleiden sich mit den Häuten, über die sie sich noch eine Pelzjacke anziehen. Die jungen Männer essen die fetten und guten Speisen, während die alten nur die Überreste be­kommen; somit werden die jungen und kräftigen wertgeschätzt, die alten und schwachen dagegen für minderwertig erachtet. Wenn ein Vater stirbt, dann heiraten seine Söhne ihre Mütter, welche er nach ihrer eigenen Mutter geheiratet hatte. Stirbt ein Bruder, dann nehmen seine Brüder dessen Frauen in Besitz und heiraten sie.

Das gemeine Volk trägt Personennamen (ming), aber diese werden nicht (wie in China) aus Ehrfurcht verschwiegen. Geschlechtsnamen (sing) und zweite Namen (tse) gibt es nicht.“[8]

Zunächst werden zwei Hsiung-nu Stämme in das geographische Weltbild der Chinesen der Han-Zeit eingeordnet: um die Chiu chou (die 9 Provinzen = China) siedeln, in der Reihenfolge ihrer Bereitschaft, die chinesische, bäuerliche Lebensform anzunehmen, shu („gekochte“, zivilisierte) und sheng (hier Dzong; „rohe“, unzivilisierte) Barbaren, die gemeinsam den Kreis der nei (inneren) Barbaren bilden, an den sich die wai (äußeren) Barbaren anschließen. Dieses idealtypische Bild wird komplettiert durch die Einteilung in vier Barbarengruppen gemäß der Himmelsrichtungen, so dass sich ein Sektorenmodell ergibt.[9] Damit wird die Nähe der Hsiung-nu zum chinesischen Kulturkreis (innere Barbaren) deutlich gemacht, gleichzeitig aber auch die grundsätzliche Überlegenheit der chinesischen Kultur betont. Dabei ist das „Umherziehen“ der Hsiung-nu wohl eher als Topos zu betrachten: unabhängig von ihrer tatsächlichen Lebensweise hatten die Nicht-Chinesen unstet umherstreifende Nomaden zu sein, damit der Gegensatz chinesischer Bauer – nomadisierender Barbar deutlich blieb. Dadurch, dass, wie im gleichen Zusammenhang hervorgehoben wird, der Boden in privatem Besitz ist, wird jedoch die Behauptung, Ackerbau und feste Wohnsitze seien unbekannt, kontrastiert. Stärker noch gegen die Vorstellung eines rein nomadischen Volkes spricht die überlieferte Reaktion des Chan-yüs Mao-tun (ca. 200 v. Chr.) auf die Forderungen der Ostbarbaren: Sein bestes Pferd und seine Frau überlässt er ihnen, als aber einige Minister ihn überreden wollen, die Ansprüche auf ein ohnehin nicht mehr im Machtbereich der Hsiung-nu liegendes Gebiet aufzugeben, gerät er in Wut, lässt ihnen die Köpfe abschlagen und weigert sich, den Boden als Grundlage seines Reiches abzugeben[10].

[...]


[1] Da es in der mir vorliegenden Literatur offenbar keine Konvention über die Transkription des Chinesischen in lateinische Buchstaben gibt, habe ich die am häufigsten vorkommenden Versionen übernommen. Etwaige Inkonsequenzen bitte ich deshalb zu entschuldigen.

[2] Wilkinson, E.: Chinese History. A Manual. Cambridge/London 2000, 724-725. (Künftig abgekürzt: Wilkinson: Chinese History).

[3] Grousset, R.: Die Steppenvölker. Attila – Dschingis Khan – Tamerlan. München 1970, 50-51; 68. (Künftig abgekürzt: Grousset: Steppenvölker)

[4] Eberhard, W.: Geschichte Chinas. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 1971, 85-86.

[5] Grousset: Steppenvölker, 68-70; 73-74.

[6] Wilkinson: Chinese History, 501-503.

[7] Watson, B.: Ssu-ma Ch’ien. Grand Historian of China. New York 1958, 54-56; 67; 86.

[8] Übersetzung nach: Groot, J. J. M. de: Chinesische Urkunden zur Geschichte Asiens, Bd. 1: Die Hunnen der vorchristlichen Zeit. Berlin/Leipzig 1921, 2-4. (Künftig abgekürzt: Groot: Chinesische Urkunden). T'ang und : mythische Kaiser des 23. Jahrhunderts v. Chr.

[9] Müller, C. C.: Die Herausbildung der Gegensätze: Chinesen und Barbaren in der frühen Zeit (1. Jahrtausend v. Chr. bis 220 n. Chr.), in: Bauer, Wolfgang (Hrsg.): China und die Fremden. 3000 Jahre Auseinandersetzung in Krieg und Frieden. München 1980, 43-76, 52-55. (Künftig abgekürzt: Müller: Chinesen und Barbaren).

[10] Groot: Chinesische Urkunden, 51-52; Vgl.: Müller: Chinesen und Barbaren, 72-73.

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Details

Titel
Hunnen als Exempel aus chinesischer und westlicher Sicht
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Didaktik der Geschichte)
Veranstaltung
Hauptseminar: Zur Geschichte und Kultur der eurasiatischen Steppenvölker
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2002
Seiten
21
Katalognummer
V17419
ISBN (eBook)
9783638220040
Dateigröße
505 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hunnen, Exempel, Sicht, Hauptseminar, Geschichte, Kultur, Steppenvölker
Arbeit zitieren
Christoph Osterholt (Autor:in), 2002, Hunnen als Exempel aus chinesischer und westlicher Sicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17419

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