Gesellschaft und gesellschaftliche Ordnung bei Talcott Parsons und Ralf Dahrendorf

Eine Gegenüberstellung


Exzerpt, 2008

3 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Daniel Belling

Gesellschaft und gesellschaftliche Ordnung bei Talcott Parsons und Ralf Dahrendorf

Talcott Parsons gilt als Begründer der strukturfunktionalistischen Theorie - für ihn ist Gesellschaft ein System, welches seinen Zweck in seiner Selbsterhaltung wahmimmt. Dahrendorf untersucht die implizierten Postulate der Parsons'schen Theorie, entwickelt dazu einen diametralen Entwurf und bemüht sich anschließend um ein synthetisches Modell, indem die Bedeutung des sozialen Konflikts in angemessener Weise zum Tragen kommt.

Auf der Grundlage der am Ende aufgeführten Literatur möchte ich im vorliegenden Text die beiden Gesellschaftsauffassungen beschreiben und die Bedeutung des sozialen Wandels und der sozialen Konflikte heraus­steilen.

Das soziale System bei In seiner morphologischen Analyse der Systemstrukturen definiert

Talcott Parsons Parsons das soziale System in seinem Außenverhältnis als „offenes“

System, welches mit den Systemen die es umgeben (darunter ebenso andere soziale Systeme) in mehr oder weniger stark ausgeprägten Austauschprozessen steht. Die innere Gliederung des sozialen Systems ist "sowohl funktional als auch hinsichtlich des Grades der Spezifizie­rung und Segmentierung [in ihre] Einheiten differenziert“ (Parsons 1969, S. 36). Nach seiner Aussage ist dies für die Erhaltung der Struktur des Systems auch dringend erforderlich:

Wie oben bereits erwähnt, besteht die oberste Maxime in der Aufrecht­erhaltung des Systems - als „funktional“ werden somit all jene Aspekte bezeichnet, die diesem Zweck dienlich sind. Den vier grundlegenden und zur Existenz benötigten Funktionen, die Parsons ausmacht, nehmen sich innerhalb des sozialen Systems vier Subsysteme an: das Kultursystem dient der Erhaltung der Institutionen, indem es Systemwerte kreiert und implementiert; das soziale System wirkt durch die Vermittlung allgemei­ner Normen integrativ auf den Einzelnen ein; die Zielverfolgung basiert auf individuellen Motivationen, welche ihren Ursprung in den Persön­lichkeitssystemen haben; und schließlich muss das System - als eine Art Organismus - seine Fähigkeiten zur Adaption an geänderte Umwelt­bedingungen einsetzen.

Gleichgewicht und In Parsons „dynamischer“ Analyse der Systemprozesse unterscheidet er Strukturwandel die Perspektive der Gleichgewichtsanalyse von der Perspektive des Strukturwandels. „Die erstere nimmt bestimmte Strukturen als gegeben an; die letztere versucht den Wandel solcher Strukturen selbst zu erklä­ren“ (ebd.). Kommt es innerhalb eines Subsystems zu einem Konflikt, wirken die vier funktionalen Aspekte in der Weise, dass sie den ursprüng­lichen Zustand wieder hersteilen wollen - Parsons weist hierbei Kontroll- mechanismen (wie Geld und Macht), sowie gesellschaftlichen Ressourcen (wie z.B. die Kontrolle über Güter- und Informationsflüsse) eine besondere Rolle zu, da durch sie die Struktur erhaltenden Prozesse zusätzlich verstärkt werden.

Es können allerdings nicht alle Störfaktoren durch die regulierende Wir­kung der Systemfunktionen eliminiert werden. An dieser Stelle nimmt Parsons die Perspektive des Strukturwandels ein und erläutert: „Struktur­wandel kann man als das Gegenteil der Ausgleichs- und Gleich­gewichtsprozesse ansehen; diese Unterscheidung bestimmt sich danach, ob die „Grenzen“ des Systems aufrecht erhalten werden oder nicht.“ (ebd.) Diese Grenzen sind also jener wunde Punkt eines Systems, an dem seine innere Struktur den Störfaktor weder isolieren noch abfan­gen kann, sodass dieser daraufhin seine ganze Wirkungskraft entfaltet. Das System ist dann zu einer Transformation seiner Struktur genötigt. Es gilt festzuhalten, dass sich bei Parsons exogene Einflüsse in gleicher Weise im sozialen System als Störfaktoren bemerkbar machen können.

Doch auf die zentrale Frage, die sich im Anschluss an diese Erklärung stellt, bleibt Parsons Modell unbefriedigend: Wie kann es überhaupt zu solchen Störfaktoren kommen, wo es doch so scheint, als würden sich alle Elemente des Systems zu einem harmonischen Ganzen fügen[I] ? Viele Kritiken des Parsons'schen Modells setzen an eben dieser Stelle an.

Der britisch-deutsche Soziologe Ralf Dahrendorf beklagt: „Der struktu­rell-funktionale Ansatz hat für solche Fälle ein bequemes Etikett: sie sind „dysfunktionale“ Organisationen, Institutionen oder Prozesse. Aber diese Bezeichnung sagt uns weniger als nichts.“ (Dahrendorf 1969, S. 112) Und dennoch testiert Dahrendorf, dass „die Kritik an der Unbrauchbar­keit der strukturell-funktionalen Theorie für die Analyse von Konflikt und Wandel sich nur gegen den Allgemeinanspruch dieser Theorie wen­den kann (...)“ (ebd., S.113).

Ein erklärtes Ziel muss es sein, die scheinbaren Antagonismen von Stabi­lität und Wandel, von Integration und Konflikt durch die Einführung neuer Modelle zu überbrücken. Der Ansatz Talcott Parsons betrachtet vorrangig das Problem der Stabilität, vernachlässigt jedoch die Rolle der sozialen Konflikte. So entwirft Dahrendorf ein antithetisches Modell des sozialen Wandels, indem er sich an Parsons implizierten Postulaten orien­tiert (vgl. Dahrendorf 1969, S. 112):

1. Die Gesellschaft ist nun nicht mehr länger ein stabiles Gefüge, son­dern zujedem Zeitpunkt im Wandel begriffen;
2. Dies impliziert, dass der Konflikt als Motor des Wandels in allen Bereichen der Gesellschaft zu finden ist;
3. Daraus folgt, dass die Elemente des Systems nun nicht mehr zum Funktionieren, sondern zur Veränderung der Gesellschaft beitragen;
4. Statt eines Konsenses beruht die Gesellschaft auf Zwängen, welche zwischen den Mitgliedern vorherrschen.

Es ist leicht einzusehen, dass auch dieses Modell für sich allein genom­men ebenso unvollkommen ist. Der Unterschied ist, dass sich hier keine stabilen und integrativen Momente, sondern Situationen der Unsicherheit reproduzieren. Die gesellschaftliche Wirklichkeit - soviel ist sicher - beinhaltet gewisse Aspekte beider Modelle. Hierin zeigt sich das Doppel­gesicht der Gesellschaft. Dennoch ist es „unmöglich, mit den Mitteln der empirischen Forschung zu entscheiden, welches der beiden Modelle rich­tiger ist; die Postulate sind keine Hypothesen (...)“ (ebd., S.113).

Weiter heißt es: „Möglicherweise ist eine allgemeine Theorie denkbar, die die Koexistenz des Unvereinbaren, die Gleich-Gültigkeit der beiden Modelle auf höherer Ebene aufhebt“ (ebd.). Bevor esjedoch soweit kom­men kann, muss sich primär eine wissenschaftliche Theorie des sozialen Konflikts etablieren. Basierend auf den oben umrissenen Postulaten und unter Verwendung ähnlicher Kategorien wie bei der Integrationstheorie, muss sie dem Wissenschaftler operationalisierbare Anhaltspunkte geben können, damit dieser anhand empirischen Materials soziale Phänomene auf strukturelle Bedingungen zurückführen kann.

Dahrendorf weist auf die besondere Bedeutung hierarchischer Strukturen hin. Im Gegensatz zu Parsons, der in der Ausübung von Macht einen sta­bilisierenden Kontrollmechanismus sieht, nimmt Dahrendorf Max Webers Definition von „Herrschaft“ auf und erläutert, dass (trotz des hin­zukommenden Aspektes der Legitimation) im Herrschaftsverband eine wesentliche Quelle sozialer Konflikte angesiedelt ist.

„Die Dichotomie sozialer Rollen in Herrschaftsverbänden, ihre Teilung in positive und negative Herrschaftsrollen, ist eine soziale Strukturtatsa­che. Wenn und insofern soziale Konflikte sich auf diesen Tatbestand zurückführen lassen, sind sie strukturell erklärt“ (ebd., S.116) So bilden sich nach Dahrendorf zwei Quasigruppen mit vorerst latenten, voneinan­der unterscheidbaren Interessen. In einem zweiten Schritt bewirken bestimmte soziale, technische und politische Bedingungen eine Interes­senartikulation. Folglich organisieren sie sich zu Interessengruppen.

In einer Gesellschaft muss ein großes Maß an sozialer Mobilität und effektive Regulierungsmechanismen vorhanden sein. Ist das nicht der Fall, so führen die divergierenden Interessen der beiden Gruppen zu einem Konflikt, in dem die „Systemfrage“ gestellt wird. Daraus folgt der wahrscheinlich interessanteste Aspekt in Dahrendorfs Modell: Während es den einen um die Erhaltung des Status quo geht, möchten die anderen diesen überwinden.

Kommt es zu einem Strukturwandel, so deshalb, weil die beherrschte Gruppe ein ausreichend großes Druckpotential aufgebaut hat, während die herrschende Gruppe diesem nicht mehr länger beharren kann. Nun haben sich die Herrschaftsverhältnisse umgekehrt und der soziale Wandel wurde auf theoretisch angemessene Weise beschrieben.

Literaturhinweise

Parsons, Talcott (1969): Das Problem des Strukturwandels: Eine theore­tische Skizze. In: Zapf, Wolfgang [Hrsg.]: Theorien des sozialen Wandels. 4969. Köln/Berlin: Kiepenheuer & Witsch. S.35-54

Dahrendorf, Ra]lf (1969): Zu einer Theorie des sozialen Konflikts. In: Zapf, Wolfgang [Hrsg.]: Theorien des sozialen Wandels. 4969. Köln/Berlin: Kiepenheuer& Witsch. S.108-123

[...]


[I] Nimmt man die Systemtheorie beim Wort und begreift die Welt tatsächlich als ein System, welches sich in immer weitere Subsysteme gliedern lässt, so wird deutlich, dass alle Austauschbeziehungen zwischen den Systemen einer Ebene auf höherer Ebene wieder endogene Faktoren eines integrierenden „Meta-“Systems darstellen. Die oben genannte Frage stellt sich somit auf jeder Ebene neu und bezieht daher „exogene Störfaktoren“ mit ein.

Ende der Leseprobe aus 3 Seiten

Details

Titel
Gesellschaft und gesellschaftliche Ordnung bei Talcott Parsons und Ralf Dahrendorf
Untertitel
Eine Gegenüberstellung
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Soziologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
3
Katalognummer
V173862
ISBN (eBook)
9783640941285
Dateigröße
440 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sozialer Konflikt, Sozialer Wandel, Soziologie, Talcott Parsons, Ralf Dahrendorf, Strukturfunktionalismus, Herrschaftsverbände
Arbeit zitieren
Daniel Belling (Autor:in), 2008, Gesellschaft und gesellschaftliche Ordnung bei Talcott Parsons und Ralf Dahrendorf, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/173862

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