Missionsarbeit, Rassentheorie und Geschlechterbeziehungen; Eine Annäherung an das Thema


Seminararbeit, 2003

39 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Rahmenbedingungen der Missionsarbeit und Verhältnis zur Kolonialmacht

3. Theoretische Positionen
3.1 Wilhelm Schmidt (1868 – 1954)
3.2 Viktor Lebzelter (1889 – 1936)
3.3 Sixta (Maria) Kasbauer (1888 – 1973)

4. Die einheimische Bevölkerung in den Berichten deutscher und österreichischer Missionsschwestern
4.1 Berichte deutscher Franziskanerinnen aus South Dakota 1886 – 1900
4.2 Berichte deutschsprachiger Steyler Missionsschwestern in der Zeitschrift „Missionsgrüße“ 1923 – 1939
4.3 Berichte österreichischer Missionsschwestern der Kongregation „Königin der Apostel“ aus Indien 1927 – 1939
4.3.1 Exkurs: Zur Entstehungsgeschichte der Kongregation
4.3.2 Die Berichte

5. Resümee

Quellen und Literatur
1. Gedruckte Quellen
2. Sekundärliteratur

1. Einleitung

Die ursprüngliche Intention bei der Abfassung dieser Arbeit war, anhand einiger Fallbeispiele aus der Missionspraxis und -theorie die Beziehung zwischen Missionsarbeit, Rassentheorien und „Gender“-Fragen zu untersuchen. Sehr bald erwies sich das Thema jedoch als äußerst komplex.

Obwohl zweifellos zwischen Missionsarbeit und Kolonialismus, global gesehen, nicht nur viele Verbindungen bestanden, sondern auch oft eine enge, für die Betroffenen verhängnisvolle Zusammenarbeit gegeben war – dazu existieren bereits zahlreiche Veröffentlichungen –, wirft doch das Verhältnis Mission/Kolonialisierung auch Fragen auf. Eines der grundsätzlichen Probleme, die mich bereits bei der Durchsicht der Literatur beschäftigten, war die Frage, ob die Überzeugung von der Überlegenheit der weißen Rasse ohne weiteres mit dem christlichen Missionsgedanken parallel gesetzt werden kann. Gerade an der Basis der Missionsarbeit – im konkreten Fall in den Berichten der Missionsschwestern aus der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – stößt man immer wieder auf die naive, heute kaum mehr nachzuvollziehende Überzeugung von der unbedingten Notwendigkeit der Taufe für das Heil oder Glück des einzelnen Menschen. Diese Überzeugung stimmte mit der offiziellen Lehre der katholischen Kirche überein, und viele dieser Ordensfrauen bewältigten das Leid, dass sie kranke Kinder der einheimischen Bevölkerung trotz aller Bemühungen nicht vor dem Tod retten konnten, mit dem Gedanken, sie wenigstens durch die Taufe „für das ewige Leben gerettet“ zu haben.

Auf sozialpolitischem Gebiet bringt auch der Vergleich mit der späteren „Entwicklungshilfe“ eine gewisse Verunsicherung mit sich. Hygiene, medizinische und krankenpflegerische Versorgung, der Kampf gegen die weibliche Beschneidung – dies sind Beispiele von Bereichen, in der sich die heutige Praxis von den Grundsätzen her wenig von der Art unterscheidet, in der Missionärinnen und Missionare mit diesen Problemen umgegangen sind.

Verwirrend ist auch die Vielfalt der Spielarten, in denen Missionierung aufgetreten ist. Die konfessionelle Verschiedenheit der Missionsgesellschaften ist dabei nur ein Aspekt. Andere Gesichtspunkte sind zeitlicher, geographischer oder politischer Natur. Inwieweit kann man generelle Aussagen über die Missionierung im 15. und im 20. Jahrhundert, in Afrika, Nordamerika, Indien, China oder Polynesien machen? In vielen Fällen arbeiteten Missionsgenossenschaften im offiziellen oder inoffiziellen Auftrag der Kolonialmacht, in anderen befand sich die Kolonialmacht mit dem Heimatland der Missionare im Krieg. Und was war mit Ländern wie Österreich, die keinen eigenen Kolonialbesitz hatten?[1] Es gab Gruppen von Missionaren, deren Aufgabe ausschließlich in der Betreuung der europäischen Auswanderer bestand.[2] Und es gab im von Italien besetzten Äthiopien Missionare, die vor der paradoxen Aufgabe standen, eine zum Großteil bereits christliche Bevölkerung „christianisieren“ zu sollen, womit gemeint war, sie zum katholischen Glauben und wohl auch zur Akzeptanz der italienischen Herrschaft zu überreden. In dieser Situation kam es u. a. zu einer Reihe von Konflikten innerhalb des katholischen Klerus.[3]

Andere Fragen und Probleme hängen mit dem Begriff „Rasse“ zusammen. Kann man (im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts) jede Beschäftigung mit Rassentheorien bereits mit Rassismus gleichsetzen? Welche Rolle spielt dabei die Entwicklung der Anthropologie als Wissenschaft? Wie spielt die Eugenik hinein, die dann im Nationalsozialismus in eine so unheilvolle Verbindung mit den Rassentheorien gebracht wurde?[4] Welche Rolle kam dem Antisemitismus zu? Kann man die heutigen Kriterien für „Rassismus“ auf das damalige Denken und Handeln anwenden? Wo ist der „schmale Grat zwischen Wahrnehmung ethnischer Unterschiede und Rassismus“[5] anzusetzen?

Beim Thema Geschlechterbeziehungen stand die Frage im Vordergrund, ob zwischen der Art, in der Angehörige außereuropäischer Völker von den Missionaren und Missionärinnen behandelt wurden, und der Beziehung zwischen den Geschlechtern bei Missionierenden und Missionierten Zusammenhänge bestehen. Wahrscheinlich wäre, dass Frauen aus der einheimischen Bevölkerung die unterste Statusposition eingenommen haben. Eine weitere Frage wäre, ob sich die Haltung der Missionärinnen der einheimischen Bevölkerung gegenüber von jener der Missionare unterschied.[6]

Eine nur einigermaßen gründliche Bearbeitung des Themas hätte des Arbeitsaufwandes einer Dissertation bedurft. Deshalb ist diese Seminararbeit nur als eine gewisse Annäherung an das Thema zu betrachten. Sie ist in drei Abschnitte gegliedert. Der erste Teil befasst sich mit einigen Rahmenbedingungen der Missionsarbeit. Im zweiten Teil werden die Arbeiten dreier Personen aus dem deutschsprachigen Raum, die im Missionsbereich tätig waren oder ihm nahe standen, untersucht, um theoretische Positionen aufzuzeigen. Es handelt sich dabei um zwei Männer und eine Frau. Mit dem letzten Abschnitt ist ein Blick auf die Missionspraxis beabsichtigt, wie sie sich in den Berichten deutschsprachiger Missionsschwestern aus drei verschiedenen Orden widerspiegelt. Bei den Fallbeispielen sowohl aus dem theoretischen wie aus dem praktischen Bereich war für mich der österreichische Kontext von besonderem Interesse.

2. Rahmenbedingungen der Missionsarbeit und Verhältnis zur Kolonialmacht

Man kann zwei Hauptphasen der Kolonialisierungs- wie der Missionierungsbestrebungen unterscheiden. Eine erste Phase wurde seit dem 15. Jahrhundert im Zuge der Eroberungen der Portugiesen und Spanier zunächst von katholischer Seite getragen; ab dem 16. Jahrhundert kamen Holland, England, Dänemark und andere Staaten hinzu und damit auch die protestantische Mission. Die zweite Phase ist jene des Hochimperialismus (1880 – 1914); in dieser Periode beteiligte sich auch Deutschland an der Kolonialisierung. Die Missionsinitiativen erhielten nach einer Periode des Abflauens jetzt wieder neuen Auftrieb, viele neue Missionsgenossenschaften wurden gegründet. Bereits dieser zeitliche Zusammenhang weist auf die vielfachen Verknüpfungen zwischen Kolonialismus und Missionierung hin.

Beide Gruppen versuchten, die jeweils andere für ihre Interessen zu nutzen. Die Missionare sahen im Schutz der Kolonialmacht eine günstige Bedingung für ihre Arbeit („trittbrettfahrende Mission“[7] ). Der katholische Missionswissenschaftler Schmidlin drückte dies so aus: „Auf den Schwingen der Kolonialbewegung zog neuer Missionssinn in die Heimat und neuer Missionserfolg in die Kolonien.“[8] Für die Kolonialverwaltungen sollten die Missionare „das Land öffnen“, das Vertrauen der einheimischen Bevölkerung gewinnen, diese zu Loyalität, Ruhe und Ordnung motivieren sowie Bildungsarbeit übernehmen. Nach Cecil Rhodes waren Missionare „better than policemen and cheaper.“[9] Das Verhältnis zwischen weißen Siedlern und Missionaren war jedoch nicht überall ungetrübt. Im besonderen warfen die Siedler den Missionaren vor, dass die einheimische Bevölkerung infolge der ihr durch die Missionare vermittelten Bildung kritischer, aber auch zunehmend zu einer beruflichen Konkurrenz für die Siedler würde.

Meist kannten die Missionare die Landessprache gut, daher wurden ihnen häufig Vermittlungs- und Übersetzungsaufgaben zugedacht. Dabei traten sie in manchen Fällen zugunsten der einheimischen Bevölkerung auf, doch war auch der (bewussten oder unbewussten) Manipulation zugunsten der Weißen Tür und Tor geöffnet. Ein besonders krasser Fall war der Betrug, den sich Reverend Charles Daniel Helm von der London-Missionary-Society zuschulden kommen ließ. Er trat als Übersetzer und Zeuge bei der Unterzeichnung eines Vertrages zwischen den britischen Behörden und König Lobengula im Gebiet des heutigen Simbabwe auf und legte dem König, ohne ihn davon zu informieren, eine geänderte Fassung des Vertrags zur Unterschrift vor. Der König verlor dadurch letztendlich sein Land.[10]

Häufig stellten die Kolonialregierungen den Missionen Land zur Verfügung, sie bezahlten die Lehrer, auch die einheimischen, gaben Subventionen usw. und brachten damit die Missionare in ein Abhängigkeitsverhältnis. Bei drohenden Konflikten mit den Behörden traten diese dann häufig nicht energisch genug im Interesse der einheimischen Bevölkerung auf, um Vorteile nicht zu verlieren.

Gemeinsam war Kolonisten wie Missionaren der Eurozentrismus und ein Gefühl der Überlegenheit als Vertreter einer „höheren Kultur und Zivilisation“.[11] Damit folgten die Missionare nicht nur einer allgemein in Europa verbreiteten Überzeugung, sondern sie drängten auch in der Praxis Millionen von Menschen ihre eigene Kultur auf und zerstörten deren Kultur. Es muss jedoch gesagt werden, dass die Missionare die grundsätzliche Gleichheit der Menschen vertraten und daher auch in ihrer Diskriminierung kaum je so weit gingen wie manche weiße Siedler.[12] Was den Missionaren am meisten vorgeworfen werden muss, ist, dass sie sehr lange die grundsätzliche Frage nach der Berechtigung der Kolonialisierung nicht gestellt haben und sich auch später mit dieser Problematik nur sehr zögernd beschäftigten.[13] Durch ihr Wirken haben sie nicht nur zum Erfolg, sondern auch nicht unwesentlich zur Legitimierung der Kolonialherrschaft beigetragen.[14]

Obwohl die sogenannten „Kongoakten“ der Berliner Konferenz des Jahres 1884, auf der sich die europäischen Mächte Afrika in koloniale Interessenssphären aufteilten, allen Nationen das Missionsrecht in Afrika zuerkannten[15], bevorzugten die Kolonialmächte im allgemeinen Missionsgemeinschaften ihrer eigenen Nationalität.[16] Diese verstanden sich dann häufig auch als Verbreiter der eigenen nationalen Kultur. Die Österreicher, die keine eigenen Kolonien besaßen, hielten sich dabei entweder an die „gemeinsame deutsche Kultur“ oder sahen sich als die „besseren Deutschen“, weil sie angeblich „ganz selbstlos“ handelten. Zur Zeit des österreichischen „Ständestaats“ schrieb der Missionar Johannes Thauren, ein in Österreich eingebürgerter Deutscher, in Deutschland habe eine „starke Betonung von Rasse und Blut“ in breiten Kreisen eine „Missionsabneigung“ hervorgerufen. Jetzt sei es „Österreichs providentielle Aufgabe“, „den Missionsgedanken für das deutsche Volk zu retten. Damit ist dem österreichischen Volke eine schwere, zeitgeschichtlich bedingte Verantwortung aufgeladen.“[17]

Nach dem Gesagten ist es nicht verwunderlich, dass die unterdrückte Bevölkerung häufig keinen Unterschied sehen konnte zwischen jenen Weißen, die als Kolonisatoren in ihr Land kamen, und den Missionaren, die der Kolonialisierung oft – bewusst oder unbewusst – tatsächlich den Weg bereiteten. Eindrucksvoll bringt dies ein Lied zum Ausdruck, das im Rahmen der südafrikanischen schwarzen Widerstandsbewegung in den 1930er Jahren gesungen wurde:

„Es ist ein Mann mit schwarzem Kleid,

Ein schwarzes Buch hat er im schwarzen Kleid,

Wir kommen in Scharen zusammen.

Um belehrt zu werden, sitzen wir da.

Wir beugen den Kopf und singen.

Wir heben den Kopf und sehen.

Gewehre sind da und Gewehre.

„Du hast kein Land mehr“,

sagt der Mann im Khaki.

Und steckt das große Messer vors Gewehr.“[18]

3. Theoretische Positionen

3.1 Wilhelm Schmidt (1868 – 1954)

Wilhelm Schmidt, aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie im Ruhrgebiet, war Ordenspriester; er gehörte dem Orden[19] der Gesellschaft des Göttlichen Wortes (Societas Verbi Divini - SVD) an, kurz als „Steyler Missionare“ bezeichnet. Diese Gemeinschaft deutscher Missionare war 1875 von A. Janssen in Steyl in Holland, das knapp an der Grenze zu Deutschland liegt, gegründet worden, da der preußische Kulturkampf damals eine Entstehung in Deutschland nicht zuließ.

Ab dem Jahr 1895 war Schmidt im Missionspriesterseminar St. Gabriel in Mödling bei Wien tätig; 1902 suchte er um das österreichische Bürgerrecht an. Er war Ethnologe und als solcher zu seiner Zeit ein angesehener Wissenschaftler; die von ihm begründete ethnologische Schule, die auf der Idee Fritz Gräbners von den Kulturkreisen und der Migrationslehre von Friedrich Ratzel aufbaut, ist als „Wiener Schule“ oder “Kulturkreislehre“ bekannt. Schmidt war Gründer der internationalen Zeitschrift „Anthropos“ (ab 1906), aus der sich dann das „Anthropos-Institut“ in Mödling entwickelte. Obwohl Schmidt nicht promoviert war, lehrte er in den Jahren 1922 bis 1938 und 1946 bis 1948 als Privatdozent für Völker- und Sprachenkunde an der anthropologischen Abteilung der Universität Wien. Seine Thesen konnten jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr aufrechterhalten werden, auch wenn Schmidts Mitbrüder, die ebenfalls in diesem Fach tätig waren, aus Rücksicht auf den Lehrer bis zu dessen Tod mit ihrer Kritik eher zurückhielten. Selbst war Schmidt nicht in der Mission tätig, das reichliche ethnologische Material, das ihm zur Verfügung stand, erhielt er von seinen Mitbrüdern, die Feldforschung betrieben, insbesondere von Pater Gusinde aus dem Feuerland und von Pater Schebesta aus Malakka.

Noch am Tage des „Anschlusses“ Österreichs an Deutschland wurde Wilhelm Schmidt verhaftet, wurde jedoch auf persönliche Intervention von Papst Pius XI. bald wieder freigelassen und übersiedelte anschließend mit seinem Institut nach Froideville bei Freiburg in der Schweiz, wo er einen Lehrstuhl für Ethnologie an der Universität erhielt.[20]

Wie viele seiner Zeitgenossen aus diesem Wissenschaftsbereich beschäftigte sich Schmidt auch mit Rassentheorie. Im Jahr 1927 publizierte er sein Buch „Rasse und Volk“ in München. Die zweite Auflage im Jahr 1935 musste in Salzburg erscheinen, da der Münchner Verlag im bereits nationalsozialistischen Deutschland die Herausgabe abgelehnt hatte. Auch in einigen anderen Schriften befasste sich Schmidt mit dem Thema Rasse, sein Interesse ging dabei jedoch in eine andere Richtung als z. B. das Chamberlains oder Gobineaus. Als Gegner des Evolutionismus, der als Widerspruch zur Lehre der katholischen Kirche angesehen wurde, erklärte er die Geschichte der Menschheit nicht als Entwicklungsgeschichte, sondern als Migrationsgeschichte. Auch wollte er nachweisen, dass der Monotheismus, der Eingottglaube, die ursprüngliche Religionsform gewesen sei. Eines seiner Hauptwerke trägt den Titel „Der Ursprung der Gottesidee“.

Die späteren Rassen sollten nach Schmidt aus der Kenntnis der ältesten Rassen verständlich werden. Seiner Meinung nach entstand eine ausgeprägte Rasse dann, wenn eine der ältesten Menschengruppen lange in Isolation lebte, wobei u. a. das Klima einen besonderen Einfluss hatte. Schmidt berief sich dabei, wenn auch vorsichtig, auf Lamarcks Theorie von der Vererbung erworbener Eigenschaften. Körperliche Merkmale hielt Schmidt für vererbbar und den Mendelschen Gesetzen unterworfen, seelische Eigenschaften jedoch nur sehr bedingt. 1927 schrieb er, dass „alles, was bis jetzt über rassenhafte Erblichkeit seelischer Veranlagung geschrieben worden ist, äußerst mangelhaft ist und ernster wissenschaftlicher Prüfung nicht standhält.“[21] Die These von der Vererbung psychischer Eigenschaften in größerem Ausmaß hätte sich auch schwer mit der katholischen Lehre vertragen, die Schmidt vertrat, nämlich dass jede menschliche Seele bei der Geburt neu erschaffen werde.[22] Auf jeden Fall unterschied sich Schmidts Rassenlehre damit stark von jener der Nationalsozialisten, in der der menschliche Charakter am „Blut“ festgemacht wurde.

Dem Nationalsozialismus warf Schmidt „Heidentum“ vor, übertriebenen Nationalismus, die Überbetonung der nordischen Rasse sowie Intoleranz und Streben nach Alleinherrschaft. Schmidt polemisierte gegen nationalsozialistische Rassentheoretiker wie Friedrich Lenz. Er kritisierte die „Nordtheorie“ über die „Indogermanen“, deren Herkunft er im Osten sah, und spottete über Gobineau, Woltmann, Chamberlain, Lapouge und die „modernen Verherrlicher“ der nordischen Rasse, die lehrten, es „sei überall in der Welt, wo kraftvolle Herrschervölker hohe Kulturen aufgerichtet haben, germanisches oder nordisches Blut tätig oder mindestens mittätig gewesen.“[23] Es sei auch nicht die physische Rasse für die Entstehung von Hochkulturen verantwortlich, sondern diese hänge mit den Gesamtverhältnissen des betreffenden „Kulturkreises“ zusammen.[24] Schmidt bestreitet die Existenz einer „deutschen Rasse“; auf dem Gebiet des deutschen Volkes seien vier oder fünf Rassen vertreten. Immer wieder stellt Schmidt dem Begriff „Rasse“ den Begriff „Volk“ gegenüber: Während „Rasse“ auf der festen Vererbung durch lange Reihen von Generationen beruhe, umfasse „ein Volkstum die Summe der durch gemeinsame Schicksale herbeigeführten Eigenschaften, einerlei, ob sie vererbt oder nicht vererbt werden.“[25]

In den bisher behandelten Fragen haben sich Unterschiede der von Schmidt vertretenen Thesen zur nationalsozialistischen Rassentheorie gezeigt. Bei näherer Betrachtung wird jedoch ersichtlich, dass es auch in wesentlichen Punkten Übereinstimmung gab; die Aussagen verschoben sich nur auf eine andere Ebene. Nicht die „deutsche Rasse“ steht bei Schmidts Überlegungen im Mittelpunkt, sondern das „deutsche Volk“, das aus mehreren Rassen besteht, die „Volksgemeinschaft“, die auf der Einheit des Lebensraums, der Sprache und der geschichtlichen Schicksale beruht. Es muss jedoch gesagt werden, dass Schmidt wenigstens in den hier bearbeiteten Werken nicht explizit von einer Überlegenheit des deutschen Volkes über andere Völker spricht, obwohl es leicht möglich ist, eine solche herauszulesen. Die Aussagen sind recht widersprüchlich: Schmidt postuliert in „Die Stellung der Religion zu Rasse und Volk“ eine „Wert-Hierarchie der Rassen“, die er aber gleich darauf relativiert; stellt dann unvermittelt die Frage, welche Pflicht der Deutsche gegenüber seiner Rasse habe, um dann festzustellen, dass das deutsche Volk aus vier oder fünf Rassen bestehe.[26] Viel eindeutiger kommt eine andere von Schmidt behauptete Überlegenheit heraus, nämlich die der katholischen Deutschen über die übrigen Deutschen: „Wir katholischen Deutschen und wir katholischen deutschen Akademiker insbesondere, die wir die Geschichte unseres Volkes kennen, glauben in der Tat tiefer und besser deutsch sein zu können, weil wir länger und umfassender deutsch sind.“[27] In dieser von Schmidt vertretenen Wertehierarchie tritt zuerst das Volk an die Stelle der Rasse, um dann nochmals durch die Kategorie Religion übertroffen zu werden.

[...]


[1] Dies bedeutet jedoch nicht, dass das offizielle Österreich kein Interesse an der Missionstätigkeit (und Kolonialisierung) gehabt hätte. Vgl. z. B. D. McEwan: A catholic Sudan – Dream , Mission, Reality, 1987

[2] vgl. z. B. P.F. Diel, Konflikte mit der brasilianischen Volksreligiosität. Hier werden unter den Orden, denen in Süd-Brasilien die Aufgabe der „Bewahrung der deutschen Kultur“ zukam, u. a. die Steyler Missionsschwestern genannt. Siehe auch G. Faschingseder, 2002, S.1

[3] U.C. Dirar, Fra Cam e Sem, 2000, S.183-184

[4] P. Weingart et al., Rasse, Blut, Gene, 1992, S.494-505, spricht von einer Verknüpfung von „Erbschutz“ und „Blutschutz“; G.L. Mosse, Die Geschichte des Rassismus, 1990, S.105, spricht davon, dass in der nationalsozialistischen Ideologie Eugenik und „Mystik der Rasse“ zusammengekommen seien.

[5] G L. Mosse, Die Geschichte des Rassismus in Europa, 1990, S.8

[6] L. A. Müller (Geschichte der Indianermission der Steyler Missionare in Paraguay, 1999) scheint einen solchen Unterschied zu postulieren, wenn er das „Indianerbild der Missionare“ als uneinheitlich, aber allgemein paternalistisch beschreibt (S.92-95), das „Indianerbild der Schwestern“ (in bezug auf Mädchen und Frauen) hingegen als „recht positiv“ infolge ihres ständigen Zusammenseins mit den Frauen (S.136-137). Allerdings dürfte Müller nur einige wenige Quellen für diese Beurteilung herangezogen haben.

[7] A. Sauerwein, Mission und Kolonialismus in Simbabwe, 1990, S.16

[8] J. Schmidlin nach A. Sauerwein, ebd. Das Lexikon der Kirchengeschichte, Herder 2001, nennt diese Verbindung nach dem Vorbild der drei auf die Frau bezogenen K die „Synthese von ‚Kirche – Kultur – Kommerz’“ (Bd. KI-Z, Sp.1062)

[9] A. Sauerwein, Mission und Kolonialismus in Simbabwe, 1990, S.131

[10] ebd., S.81-82

[11] Sehr stark ist diese Ausrichtung z. B. im deutschen Missionshaus Knechtsteden zu finden. Hier ist auch die „Erziehung zur Arbeit“ ein wesentliches Element der Missionierung (H. Küches, Mission und Heimat, 1915, S.82; vgl. auch ebd. S.53-55)

[12] So schrieb z. B. der „Rhodesia Herald“, ein Blatt der weißen Siedler, am 1. Juni 1899 über die Begabung der schwarzen Bevölkerung: „The latter is admitted as being slightly elevated in intelligence as above, say the Newfoundland dog...“ (s. ebd., S.133)

[13] Erste Versuche der Abgrenzung werden von A. Peters, Zur christlichen Mission in Afrika, 2000, erwähnt: Auf der 6. Bremer Missionskonferenz 1884 wurde offen für eine Trennung von Kolonialpolitik und Mission geworben. Auf der Weltmissions-Konferenz in Jerusalem 1928 „erkannten die vertretenen Missionsgesellschaften, dass der erreichte Wohlstand der Kolonialmächte, vor allem der Fortschritt in der sozialen Gesetzgebung, durch die Ausbeutung der Eingeborenen in den Kolonien erkauft werde...“ (S.15) Aber auch hier ist schwer zu entscheiden, wieweit es kirchlichen Kreisen um den eigenen Machtbereich und wieweit um die Interessen der Kolonialvölker ging. Langsam kam auch der Gedanke einer Anpassung der Missionare an die Sitten und Bräuche der jeweiligen Bevölkerung auf (Akkulturation, in der Zwischenkriegszeit als „Akkomodation“ oder „Assimilation“ bezeichnet).

[14] vgl. A. Sauerwein, Mission und Kolonialismus in Simbabwe, 1990, S.14

[15] A. Peters, Zur christlichen Mission in Afrika, 2000, S.6 und 16. Zur Aufteilung des Kontinents siehe H. Schulz, Afrika südlich der Sahara

[16] vgl. z. B. für Frankreich und Belgien M. Mathieu, Katholische Missionspädagogik in Schwarzafrika, 1982, S.84; für Deutschland D. Krone, Der Deutsche Reichstag und die Missionen in den Kolonien, 1992, S.572

[17] J. Thauren, Österreichs Missionsanteil in Vergangenheit und Gegenwart, 1935, S.4

[18] Nach V. Lebzelter, Die Eingeborenenfrage in Südafrika als sozialwirtschaftliches und rassenpsychologisches Problem, 1934, S.17

[19] Ich verwende in dieser Arbeit die Ausdrücke „Orden“ und „Kongregation“ als Synonyme, da die kirchenrechtliche Unterscheidung zwischen Gemeinschaften mit feierlichen und mit einfachen Gelübden hier nicht relevant ist.

[20] Zu Wilhelm Schmidts Biographie vgl. auch Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Band XVII (2000), Sp. 1231-1246 (Autor Karl Josef Rivinius). Online im WWW unter URL: http://www. bautz.de/bbkl/s/sl/schmidt_wi.shtml (Stand: 25.10.2002)

[21] W. Schmidt, Rasse und Volk, 1.Aufl. 1927, S.21; zit. nach M. Schneider, Der Begriff der Rasse bei Pater Wilhelm Schmidt und Adolf Hitler, 2000, S.42. In der umgearbeiteten Auflage von 1935 habe ich diesen Satz nicht gefunden, der Tenor der Aussagen ist jedoch der gleiche.

[22] W. Schmidt, Rasse und Volk, 2.Aufl. 1935, S.41-42

[23] W. Schmidt, Die Stellung der Religion zu Rasse und Volk, 1932, S.24

[24] ebd., S.25

[25] ebd., S.8

[26] ebd., S.20-21

[27] ebd., S.46; ähnlich auch S.50. Vgl. auch W. Schmidt, 1931, Die deutsche Mission der deutschen Katholiken, S.300

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Missionsarbeit, Rassentheorie und Geschlechterbeziehungen; Eine Annäherung an das Thema
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Geschichte)
Veranstaltung
Rassentheorie und Geschlechterbeziehungen in Europa im 20. Jahrhundert
Note
1
Autor
Jahr
2003
Seiten
39
Katalognummer
V17386
ISBN (eBook)
9783638219730
ISBN (Buch)
9783638691512
Dateigröße
633 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Missionsarbeit, Rassentheorie, Geschlechterbeziehungen, Eine, Annäherung, Thema, Rassentheorie, Geschlechterbeziehungen, Europa, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Ilsemarie Walter (Autor:in), 2003, Missionsarbeit, Rassentheorie und Geschlechterbeziehungen; Eine Annäherung an das Thema, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17386

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