Gewaltästhetik im Mainstreamfilm. Intention und Wirkung bei Quentin Tarantino und Michael Haneke. „Pulp Fiction“ und „Funny Games“


Bachelorarbeit, 2010

63 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Vorgehensweise

2. Kino und Gewalt

3. Biografie der Regisseure
3.1 Quentin Tarantino
3.2 Michael Haneke

4. Inhaltsangabe
4.1 Pulp Fiction
4.2 Funny Games

5. Narrative/dramaturgische Einbindung der Gewalt
5.1 Pulp Fiction
5.1.1 Gewalt innerhalb des Handlungsverlaufs und ihre Funktion
5.2 Funny Games
5.2.1 Gewalt innerhalb des Handlungsverlaufs und ihre Funktion

6. Filmisch/technische und ästhetische Darstellung der Gewalt
6.1 Gewalt als filmisches Organisationsprinzip
6.2 Pulp Fiction
6.3 Funny Games

7. Intention/theoretisches Konzept der Filme
7.1 Pulp Fiction
7.2 Funny Games

8. Fazit
8.1 Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Filme
8.2 Umsetzung und Wirkung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das erste Filmwerk Michael Hanekes, mit welchem ich in Berührung gekommen bin, war „Benny's Video“.

Der 1992 erschienene Film befasst sich wie „Funny Games“ mit der medialen Konstruktion von Wirklichkeit und ist der zweite Kinofilm, sowie auch der zweite Film der „Vergletscherungs-Trilogie“[1] des Regisseurs.

Es ist ein Film über die Allgegenwart selbstgemachter und fremder Bilder, mit der die „Kinder der Postmoderne“ im Videozeitalter aufwachsen. Eine Thematik, die auch mich und meine Generation - im Zeitalter der sozialen Medien – in besonderem Maße betrifft.

„Benny's Video“ beginnt auf einem Bauernhof.

Es sind Bilder einer Qualität, wie man sie aus dem Urlaub oder vom Familienfest kennt.

Es ist offensichtlich ein Amateurfilmer am Werk.

Ein Schwein wird mit verbundener Schnauze und unter verängstigtem Grunzen aus einem Stall gezogen. Die Kamera visiert den Kopf des Tieres an, auf welchen ein Schlachtschussapparat gerichtet wird.

Es vergehen wenige Sekunden von ansteigendem Grunzen, begleitet vom Gebell eines Hundes, bis sich ein Schuss aus dem Apparat löst und das Schwein zu Boden geht, wo der Zuschauer es schließlich in einem mehrere Sekunden andauernden Todeskampf verenden sieht.

Die Szene wird bis vor den Moment des Ansetzens des Apparates zurückgespult und erneut in Zeitlupe abgespielt. Nach einem donnerartig-erhabenen Schuss geht das Tier erneut zu Boden und verendet, begleitet von einer verstörenden, kaum deutbaren Geräuschkulisse, die von dem in Zeitlupe wiedergegebenen Hundegebell im Hintergrund resultiert, ein zweites Mal.

Es folgt Fernsehschnee. In dicken roten Großbuchstaben erscheint der Titel des Filmes: „BENNY'S VIDEO“.

Schlagartig werde ich auf die Medialität des Gezeigten verwiesen. Es ist zum Glück alles nur ein Film. Doch andererseits: Die Fiktion ist doch wirklich. Ich sehe sie schließlich im Film.[2]

Eine Frage lässt mich nicht los: Was führte dazu, dass ich beinahe zwei Minuten lang wie gebannt der Tötung eines Schweines zugesehen habe?

Was mich hier so schockiert, ist sicherlich nicht einzig der gezeigte Tötungsakt, der eine gewöhnliche bäuerliche Handlung ist und somit nichts Ungewöhnliches darstellt. Es ist vielmehr die Art und Weise, in der dieser mir vermittelt wird.

Als Zuschauer stelle ich bald fest, dass hier ein Voyeur am Werk ist. Jemand, der mit seiner Kamera gnadenlos den Todeskampf des Tieres verfolgt.

„Einer, der einfach „wissen möchte, wie das ist“. (Wessely, Larcher, Grabner: Michael Haneke und seine Filme, 2005, S. 126, 2. Abs., Z. 5)

Mir wird klar, dass das Unwohlsein und die aufkommende Angst beim Betrachten des Videos, welches mich abstößt und gleichzeitig fasziniert, nicht durch die Bilder selbst entsteht, sondern von dem Blick herrührt, den der Protagonist Benny auf das Bild hat.

Doch nicht nur Benny ist ein Voyeur. Auch ich fühle mich dem pathologischen Blick gnadenlos ausgesetzt, von ihm infiziert, genötigt, durch Benny's Augen auf das Geschehen zu starren.

Jedoch sehe ich keine Fluchtmöglichkeit. Und auch eine gewisse Gier, die mich mit diesem Videojunkie verbindet, kann ich nicht gänzlich von mir weisen.

Es geht darum, wie Haneke mich für meinen Blick als Konsument sensibilisiert und damit bei mir eine Art „produktive Unruhe“ erzeugt hat.

Wenn ich die im Alltag von mir und meinen Mitmenschen regelmäßig konsumierte mediale Gewalt im Hinblick auf ihre Kommerzialisierung betrachte, so ist es doch gerade die Ausbeutung von Katastrophen und Tod, die uns unter dem Deckmantel des „Reality-TV“ in unsere Wohnzimmer geliefert wird und eine Garantie für hohe Einschaltquoten ist. Ich fühle mich ertappt: Als Täter und Opfer der medialen Marketingmaschinerie zugleich.

Habe ich mich doch immer für einen mündigen Konsumenten gehalten, der sich seinen Konsumgewohnheiten zu hundert Prozent bewusst ist, so versetzt mich diese Sequenz in arge Zweifel.

Der Regisseur verleidet mir in diesem Film jeglichen Konsum von Gewalt durch einen dokumentarisch anmutenden Realismus, wie ich ihn bis dahin in noch keinem Film zu sehen bekam.

Genau das ist auch das Konzept von Michael Haneke, wie ich anhand späterer Recherchen erfahre:

„Ich (...) versuche Wege zu finden, um die Gewalt als das darzustellen, was sie letztlich ist, nämlich als nicht konsumierbar.“

(Wessely, Larcher, Grabner: Michael Haneke und seine Filme, 2005, S.127, Abs.4, Z.1ff)

Um die Gewalt dem Zuschauer nahe zu bringen, verzichtet er bewusst auf die Stilmittel gängiger Genres, die den Zuschauer die gezeigte Gewalt ruhigen Gewissens konsumieren lassen: Hanekes Filme spielen nicht etwa im Gangstermilieu, in dem Gewalt an der Tagesordnung ist, sondern sie spielen sich mitten unter uns ab. Die Kameraeinstellungen sind häufig extrem auf den habitualisierten Vollzug der Tätigkeiten des Alltags gerichtet, die jedem von uns bekannt sind.

„Ja, genauso sieht es aus, wenn ich mit meiner Familie am Frühstückstisch sitze“, möchte man sagen. Das Gezeigte hat einen hohen Wiedererkennungswert.

Hanekes konzeptioneller Ansatz geht, was die Wirkung auf meine Person angeht, völlig auf: Seine Filme wirken verstörend, ich erkenne mich in ihnen selbst wieder und fühle mich ihnen ausgesetzt.

Sie haben für mich keinen Unterhaltungswert und ich könnte nicht behaupten, dass ich sie mir gerne ansehe. Doch es geht eindeutig eine große Faszination von ihnen aus.

Für mich sind es mehr als bloß Filme. Vielmehr deute ich das was ich sehe als eine Aufforderung, meine üblichen Sehgewohnheiten zu hinterfragen.

Ich fühle mich dazu angehalten, mich als mündiger Konsument, als der ich mich gerne betrachte, gegenüber der medialen Marketing-Maschinerie und den mit ihr verbundenen Sehgewohnheiten zu positionieren.

Dabei möchte ich den Ansatz verfolgen, meine Ästhetik als Konsument von meinen zu Unmündigkeit führenden Tendenzen - durch den regelmäßigen Konsum von mir unzureichend reflektierter Medien - zu befreien.

Als Opfer und Täter medialer Gewaltdarstellung ertappt, möchte ich mich mit dieser auf intensive Art und Weise auseinanderzusetzen.

1.1 Vorgehensweise

Im Rahmen dieser wissenschaftlichen Arbeit möchte ich mich mit der Gewaltdarstellung im Schaffen der Regisseure Quentin Tarantino und Michael Haneke beschäftigen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Durch Miteinbeziehung der Untersuchungsergebnisse möchte ich der Frage nach der Intention/dem Konzept der Filme in Bezug auf ihre Gewaltdarstellung nachgehen.

Anschließend werde ich die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Tarantino und Haneke herausarbeiten.

Schließlich möchte ich für mich als Rezipienten ein Fazit im Hinblick auf die Wirkintention der Filme und ihre Umsetzung ziehen.

2. Kino und Gewalt

Definition

Gewalt, die; -, -en 1. Macht und Befugnis, Recht und Mittel, über jmdn., etwas zu bestimmen, zu herrschen: die elterliche, staatliche Gewalt; Gewalt über jmdn. haben. Syn.: Autorität, Einfluss, Macht (...) 2. (ohne Plural) rücksichtslos angewandte Macht; unrechtmäßiges Vorgehen: Gewalt leiden müssen; in einer Diktatur geht Gewalt vor Recht Syn.: Willkür, Zwang. Zus.: Gegengewalt (…)

Der Film gehört zu den teuersten Produktionen eines Artefakts und ist somit auch eine sehr finanzabhängige.

Das bedeutet, Film muss sich unter allen Umständen verkaufen. Die nächstliegende Prämisse, um dieses Ziel zu erreichen, ist die Darstellung von „Sex and Crime“. Nehmen wir das Beispiel „Gewalt“ – ein zu jeder Zeit präsentes Thema in den Medien.

Aufgrund seiner komplexen Beschreibungsmittel ist das Medium Film ein sehr geeignetes für diesen Themenbereich. Und in der Tat haben TV und Kino aus diesem Bereich ihre größte Einnahmequelle gemacht: Actionfilme sind – mit ihren unzähligen Subgenres - das weltweit profitbringendste Genre des Mediums. Es stellt sich mir die Frage: Woran liegt das? Sicherlich zu einem nicht unerheblichen Teil daran, dass man die in Actionfilmen umfangreich dargestellte Gewalt durch Ästhetisierung und dramaturgische Legitimation konsumierbar und somit für jegliche Alters- und Gesellschaftsschichten zugänglich gemacht hat.

Sie ist narrativer und struktureller Dreh- und Angelpunkt des gesamten Genres.

Doch was fasziniert die Zuschauer an gewalttätiger Action à la „Pulp Fiction“?

Die durch häufig grenzüberschreitende Darstellungen erzeugte Provokation führt beim Zuschauer zu differenzierten Formen der Rezeption:

Bei einem Teil der Zuschauer führt sie zur Freisetzung neuer Reflexion, von einem weiteren Teil wird die dargestellte Gewalt schlichtweg als Droge konsumiert.

Wird sie als Droge konsumiert, so - geht man von der Katharsisthese aus - bauen sich die Aggressionen des Zuschauers ab. Er verlässt den Film mit einem befriedigten Gefühl.

Doch die Katharsis fordert einen gewissen Kick der Überbietung der eigenen Ausdrucksfähigkeit von Gewalt, der in sich nach ständiger Steigerung verlangt.

Denn die Alltagsstrukturen lassen das Ausleben von Aggressionen nur begrenzt zu: Im Falle der Anwendung von Gewalt gegen Personen oder Gegenstände drohen große Sanktionen. Man würde somit einiges aufs Spiel setzen, würde man seine angestauten Aggressionen im Alltag an seinen Mitmenschen ausleben.

Ganz anders in Filmen des Actiongenres: Hier gibt es einen durch das Geschehen und die Handlungsführung legitimierten Stellvertreter, den Helden der Geschichte, als dessen Double wir ohne schlechtes Gewissen mittöten, -schießen und -schlagen dürfen, ohne dafür Sanktionen befürchten zu müssen.

Ganz im Gegenteil: Die ausgeübte Gewalt verfolgt auch noch gute Absichten, denn wir kämpfen zum Schutze anderer oder aber, um unsere Ehre wieder herzustellen.

Wir alle beteiligen uns auf diese Weise hin und wieder am Kampf gegen das Fremde, Unbegreifbare und somit Beängstigende, welches es auszurotten gilt und fühlen uns anschließend irgendwie befreit und gereinigt, denn die Verantwortung für das veranstaltete Gemetzel tragen ja nicht wir.

(vgl. Dietrich, Müller-Koch: Ethik und Ästhetik der Gewalt, 2005, S. 80-81; vgl. Wessely, Larcher, Grabner: Michael Haneke und seine Filme, 2005, S.36-37)

Es geht um dramaturgische Legitimation von Gewalt im Film und deren Reiz für den Rezipienten, der letztlich zum kommerziellen Erfolg gewalthaltiger Genres führt.

3. Biografie der Regisseure

3.1 Quentin Tarantino

I didn’t go to filmschool. I went to the movies.“ (Q.T.) (Nagel: Der rote Faden aus Blut, 1997, S.7, Z.1)

Ein 28-jähriger Kalifornier, der nicht mal die Highschool abgeschlossen hat und seine wichtigsten Jahre hinterm Tresen einer Videothek verbrachte, wird über Nacht zum Kult-Regisseur, zum mit Preisen überhäuften Filmkünstler, zum gefragtesten Mann in Hollywood, zur Leitfigur einer jungen und wilden Nachwuchsgeneration von Filmemachern. Kann das war sein? Ist das nicht ein wenig zuviel American Dream? (Nagel: Der rote Faden aus Blut, 1997, S.7, Abs.2, Z.1ff)

Das ist Quentin Tarantino.

Seine Geschichte beginnt am 27. 3. 1963 in Knoxville, Tennessee. Als Quentin zur Welt kam, war seine Mutter Connie gerade 16 Jahre alt. Ihr Ehemann Tony Tarantino ließ den Teenager noch während der Schwangerschaft sitzen. Die werdende Mutter musste von nun an schlecht bezahlte Doppelschichten im Krankenhaus ableisten, um sich und ihren Sohn alleine durchzubringen, den sie - einige Wochen zu früh - zur Welt brachte.

Connie ging mit ihrem Sohn und neuem Ehemann nach Los Angeles. Seine Mutter arbeitete tagsüber, sein Vater nachts und so wuchs Quentin wie viele amerikanische Kinder mit dem Fernseher als Babysitter auf.

Seinem frühen Ziel, Schauspieler zu werden, kam er mit Schauspielkursen näher, die er sich als Platzanweiser in einem Pornokino finanzierte. Tarantino nahm fast sechs Jahre Schauspielunterricht. Dennoch war sein einziges bezahltes Engagement ein Auftritt als Elvis-Double in der Rentnerinnen-Sitcom „Golden Girls“. Während dieser Zeit bekam er einen neuen Job, von dem er selber später sagte, es sei der beste seines Lebens gewesen. Er arbeitete in einer Videothek, wo er später auch Roger Avary kennenlernte, der mit am Drehbuch für „Pulp Fiction“ arbeitete. Hier konnte er über ein riesiges Arsenal von Szenen und Bildern verfügen. In seinem fotografischen Gedächtnis speicherte er alle Details, die für ihn von Interesse waren. Aus diesem reichen Fundus schöpfte er später auch umfangreiches Material für seine eigenen Arbeiten.

Mit 23 Jahren schließlich schrieb er das Drehbuch für „True Romance“, das 1993 von Tony Scott verfilmt wurde. Er schrieb außerdem die Vorlage für „Natural Born Killers“ (verfilmt von Oliver Stone). Seine erste bezahlte Arbeit war das Drehbuch von „From Dusk till Dawn“, das erst Jahre später von Robert Rodriguez und mit Tarantino in einer der Hauptrollen verfilmt wurde. Sein eigenes Spielfilmdebüt war „Reservoir Dogs“ (1992). Danach folgte „Pulp Fiction“ (1994), der Tarantino in Cannes eine Goldene Palme bescherte und sieben Oscar-Nominierungen einbrachte. (vgl. Nagel: Der rote Faden aus Blut, 1997, S.7-16)

3.2 Michael Haneke

„Über die Biografie des Regisseurs sollte man möglichst nichts wissen. Denn die Gefahr ist bei allen Filmen, die irgendetwas Unbequemes transportieren, dass der Zuschauer in der Biografie des Machers nach einer Erklärung sucht, damit er den Film für sich entschärfen kann.“ (Michael Haneke) (Götzmann: Film, 2006, S. 29, Abs. 2, Z.4ff)

Michael Haneke wurde am 23. März 1942 als Sohn der österreichischen Schauspielerin Beatrix von Degenschild und des Düsseldorfer Regisseurs/Schauspielers Fritz Haneke in München geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Wiener Neustadt (Niederösterreich). 1962 machte er am örtlichen Gymnasium das Abitur. Haneke belegte an der Wiener Universität die Fächer Psychologie und Philosophie, nachdem der Plan, zur Schauspielerausbildung ans Wiener Reinhardt-Seminar zu gehen, ebenso fehlschlägt wie jener, Konzertpianist zu werden. Er versuchte sich als Autor („Persephone“, eine Erzählung) und arbeitete neben dem Studium als Film- und Literaturkritiker. Von 1967 bis 1971 war er als Redakteur und Fernsehspieldramaturg beim Südwestfunk in Baden-Baden beschäftigt. In dieser Zeit entstand sein erstes, noch unverfilmtes Drehbuch: WOCHENENDE. Es folgten diverse Regiearbeiten an unzähligen Bühnen des Landes. 1973 entstand Hanekes erster Fernsehfilm:…UND WAS KOMMT DANACH? (AFTER LIVERPOOL) nach einem Text von James Saunders. Es folgen: SPERMÜLL (1976); DREI WEGE ZUM SEE (1976, nach Ingeborg Bachmann); LEMMINGE (1979, ein Zweiteiler); VARIATION (1983); WER WAR EDGAR ALLEN? (1984, nach Peter Rosei); FRÄULEIN (1986). 1989 hat in Cannes sein erster Kinofilm „Der siebente Kontinent“ Premiere, welchen Haneke mit den Filmen „Benny’s Video“ (1993/94) und „71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls“ (1991/92) zu seiner Bürgerkriegstrilogie vervollständigte. Seine Filme sind gekennzeichnet durch reduzierte Dialoge, eine Verdichtung auf das Wesentliche und der Orientierung am Stil Robert Bressons[3].

(vgl. Höller, Josef: Lexikon der Filmregisseure, 1983, S.42; vgl. Steiner, Gertrud: Filmbuch Österreich, 1995, S.81; vgl. Wessely, Larcher, Grabner: Michael Haneke und seine Filme, 2005, S.215)

4. Inhaltsangabe

Alle Ausführungen zu Quentin Tarantino und seinem Schaffen, sind im Rahmen dieser Arbeit bewusst umgangssprachlich gehalten, wohingegen ich bei Michael Haneke im umgekehrten Sinne verfahren habe, indem ich mich einer deutlich anspruchsvolleren Sprache bediente.

Dieses von mir zu Anfang unbewusst angewandte Stilmittel habe ich – nachdem es mir auffiel – bewusst nicht abgeändert, da ich der Meinung bin, dass es diese beiden sehr unterschiedlichen Charaktere sowohl in ihrer Persönlichkeit, als auch in ihrer persönlichen „Handschrift“ als Regisseure recht treffend charakterisiert.

4.1 Pulp Fiction

„Pulp“ ist ein Wort für Schund. Gleichzeitig steht es für eine weiche, formlose Masse, wie sie bei Fast Food und offenen Bauchwunden vorkommt. All das spielt eine Rolle im zweiten Spielfilm Quentin Tarantinos, der mit den Mustern des Genrekinos und der Populärkultur spielt und als Prototyp des postmodernen Films[4] gilt.

„Fiction“ aus dem Englischen steht bekanntermaßen für Fiktion, hat aber auch die Bedeutung von Romanliteratur und/oder

Für Pulp Fiction verwob Tarantino zwei eigene Kurzfilm-Ideen und eine dritte seines Kollegen Roger Avary zu einem einzigen Werk. Die drei Geschichten spielen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, werden jedoch nicht chronologisch gereiht, doch dazu am Ende des Kapitels mehr.

Tarantinos Erzählweise macht dramaturgisch Sinn, der Film gewinnt an Spannung.

„Pulp Fiction“ ist – was seine Auswahl an Musik, Schauspielern und Genres angeht – eine Rückkehr in die siebziger Jahre, die Kindheit und frühe Jugend von Quentin Tarantino. Der Film ist geradezu eine Anthologie von Genre-Zitaten: Vom Gangsterfilm und seinen Subgenres bis zum Tanzfilm. John Travolta ironisiert, bleich und mit strähnigem Pferdeschwanz, sein früheres Image aus „Saturday Night Fever“. (US-amerikanischer Tanzfilm, 1977).

Die Dialoge wechseln ständig zwischen elaborierter und Gossensprache, sowie Zitaten aus Filmen, Comics und Songs.

Das Spiel mit Referenzthemen verweist auf eine Gesellschaft, die durch das Kino sozialisiert wurde.

Andererseits schafft es Distanz und macht geschmacklose, ekelige Szenen erträglich.

Die drei Geschichten:

Der Film beginnt mit dem folgenden Prolog: Pumpkin und Honey Bunny, ein junges, leicht nervöses Gangsterpaar, diskutiert in einem Coffeeshop über die Gefährlichkeit von Überfällen auf Schnapsläden, Banken und Restaurants. Sie ziehen ihren Plan, den Shop zu überfallen kurzerhand durch, indem sie den Anwesenden mit ihren Pistolen auf sie gerichtet klar machen, dass es sich um einen Überfall handelt und sich ja keiner bewegen solle. Anschließend verlässt die Narration die Szene.

a)The Bonnie Situation
1. Zwei Killer müssen für ihren Boss ein paar Jungs bestrafen, die ihn hintergehen wollten. Die Killer sind Vincent (John Travolta) und sein Kollege Jules (Samuel L. Jackson).
2. Sie lassen sich in deren Apartment einen Koffer von Marsellus aushändigen und erschießen zwei der Jungs.
3. Ein vierter Mann, der sich auf der Toilette verschanzt hatte, eröffnet das Feuer auf die beiden. Sie bleiben unversehrt und erschießen diesen. Marvin, ihren Informanten, nehmen sie mit.
4. Im Auto diskutiert Jules, der ihr Überleben als Wunder bezeichnet, mit Vincent darüber. Als dieser Marvin nach seiner Meinung fragen möchte, erschießt er diesen versehentlich. 5. Das blutverspritzte Auto bringen sie bei einem Freund namens Jimmie (Quentin Tarantino) unter, der gar nicht erfreut ist, denn wie bekommen sie alles rechtzeitig wieder sauber, bevor dessen Ehefrau nach Hause kommt? Profi-Problemlöser Wolf (Harvey Keitel) hilft ihnen beim Reinigen und kleidet die beiden neu ein.
6. The Wolf bringt das notdürftig gereinigte Auto samt Leiche mit den beiden zum Schrotthändler
7. Anschließend sitzen Vincent und Jules zusammen in einem Coffe Shop und diskutieren über Jules Entschluss, seinen Job aufgrund des „Wunders“ an den Nagel zu hängen. Vincent geht auf die Toilette.
8. Zwei Gäste die sich mit Pumpkin und Honey Bunny ansprechen und die wir bereits aus dem Prolog des Filmes kennen, ziehen plötzlich ihre Pistolen und bedrohen mit den Worten „Everybody be cool, this is a robbery!“ die Gäste. (Prolog)
9. Das Gangsterpaar lässt sich von den Anwesenden deren Wertsachen aushändigen. Jules entwaffnet Pumpkin und rettet Marsellus Koffer vor den Gangstern. Doch er zeigt sich geläutert und lässt das Paar ziehen. (Epilog)
10. Vincent und Jules liefern den Koffer bei Marsellus ab. Vincent begegnet dem Boxer Butch, der gerade mit Marsellus einen Deal abgeschlossen hat.

b)Vincent Vega und Marsellus Wallace’s Wife
1. Vincent kauft bei seinem Dealer Lance Heroin.
2. Anschließend holt er Mia (Uma Thurman), die Frau seines Bosses ab, um sie in dessen Auftrag auszuführen.
3. Die beiden amüsieren sich in einem Restaurant im 50er Jahre Stil.
4. Vincent begleitet Mia nach Hause, wo sie eine Überdosis seines Heroins schnupft, das sie mit Kokain verwechselt.
5. Vincent rast mit ihr zu Lance, wo er ihr eine Adrenalinspritze ins Herz setzt, die sie wiederbelebt.
6. Die beiden sind sich einig, Marsellus nichts von dem Vorfall zu erzählen.

c) „The Gold Watch“
1. Butch erinnert sich an den Tag, an dem er von einem Kameraden seines im Kriegsgefangenenlager gefallenen Vaters die Uhr bekam, die schon Groß- und Urgroßvater ihren Nachkommen vermacht hatten.
2. Nach dem Kampf, den Butch entgegen der Abmachung mit Marsellus gewonnen hat, flüchtet er in einem Taxi zu seiner Freundin Fabienne. Aus dem Radio erfährt er, dass er seinen Gegner offensichtlich totgeschlagen habe.
3. Marsellus schwört, Rache an Butch zu vollziehen.
4. Als Butch feststellt, dass Fabienne seine Uhr vergessen hat, kehrt er in seine Wohnung zurück.
5. Dort erschießt er Vincent mit dessen Waffe, als dieser aus dem Badezimmer kommt.
6. Auf dem Rückweg trifft Butch an einer Kreuzung auf Marsellus und überfährt ihn. Dieser verfolgt ihn, auf ihn schießend, in ein Pfandleihgeschäft.
7. Der Pfandleiher Maynard nimmt beide gefangen. Mit einem uniformierten Bekannten vergewaltigt er Marsellus. Butch gelingt es, sich zu befreien und Marsellus zu retten. Marsellus macht ihm das Angebot, ihre Fehde zu vergessen, wenn er noch am selben Tag für immer die Stadt verlasse.
8. Butch und Fabienne verlassen die Stadt.

Der Film zeigt die Sequenzen in der folgenden Reihenfolge:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Prolog: A8

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A 1, 2

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A 10

B 1, 2, 3, 4, 5, 6

C 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A (2), 3, 4, 5, 6, 7, (8), 9

Sieht man vom Prolog (A8) ab, gibt es lediglich zwei Zeitsprünge, einen nach vorne und einen zurück. Den ausführlichen Anfang von Geschichte A („The Bonny Situation“) lässt Tarantino an der „richtigen“ Stelle stehen. Den Rest (A2-9) verschiebt er in das letzte Drittel des Filmes: Die Reihenfolge lautet also: A-B-C-A.

(vgl. Nagel: Der rote Faden aus Blut, 1997, S.90-102; vgl. Fischer, Körte, Seeßlen: Quentin Tarantino, 2000, S.142- 149; vgl. Töteberg: Metzler-Film-Lexikon, 2005, S.521-522)

[...]


[1] „Der siebente Kontinent“, „Benny's Video“ und „71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls“ enstanden zwischen 1989 und 1994 in Österreich. Haneke selbst fasst sie als Trilogie der „Vergletscherung der Gefühle“ der Menschen zusammen.

[2] Die mediale Konstruktion von Wirklichkeit ist ein Thema, dem sich auch Peter und Paul, die Protagonisten des fünf Jahre später erschienen „Funny Games“ widmen werden.

[3] Französischer Filmregisseur

[4] Die Postmoderne ist keine Erfindung des Films, auch wenn die „filmische Schreibweise“ in den 60er Jahren zum Stilprinzip der postmodernen Literatur wurde (…) Die Doppelcodierung der Bilder und Erzählung, eine elektizistische Vermischung von Stilelementen aus hoher Kunst und Massenkultur, der Bricolage disparater Genremuster und eine Mediatisierung von Realität durch Film, Fernsehen und Werbung wurden im Kino der postmodernen Dekade als fröhliches, vornehmlich ironisch konnotiertes Spiel mit Zeichen und Zuschauer zelebriert, das ein medienerfahrenes Publikum gleichermaßen durchschauen wie goutieren konnte. (vgl. Rother: Sachlexikon Film, 1997, S.528)

Ende der Leseprobe aus 63 Seiten

Details

Titel
Gewaltästhetik im Mainstreamfilm. Intention und Wirkung bei Quentin Tarantino und Michael Haneke. „Pulp Fiction“ und „Funny Games“
Hochschule
Fachhochschule Düsseldorf
Veranstaltung
Sozial- und Kulturwissenschaften
Note
1,8
Autor
Jahr
2010
Seiten
63
Katalognummer
V173695
ISBN (eBook)
9783640939770
ISBN (Buch)
9783640939787
Dateigröße
721 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gewaltästhetik, mainstreamfilm, intention, wirkung, michael, haneke, quentin, tarantino, exemplarisch, filme, fiction“, games“
Arbeit zitieren
Lukas Schuh (Autor:in), 2010, Gewaltästhetik im Mainstreamfilm. Intention und Wirkung bei Quentin Tarantino und Michael Haneke. „Pulp Fiction“ und „Funny Games“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/173695

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