Versprecher in der deutschen Laut- und Gebärdensprache

Ein Vergleich


Hausarbeit, 2009

16 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Einleitung

Sie horten die h-mess-Molle, Verzeihung, die h-moss-Melle, ich bitte sehr um Entschuldigung, die h-Moll-Messe von Johann Sebaldrian Bach, ich hang mich auf! (Leuninger 1993:104) Sprachliche Fehlleistungen wie die oben stehende sind im alltaglichen Sprachgebrauch zwar selten[1], doch auffallig. Fur die Linguistik ist die Erforschung von Versprechern interessant, da sie Hinweise uber den Aufbau des Sprachproduktionssystems geben.

Die vorliegende Hausarbeit beschaftigt sich mit sprachlichen Fehlleistungen in der Deutschen Laut- und Gebardensprache. Es wird zunachst ein kurzer Uberblick uber das psycho-linguistische Forschungsfeld der Versprecher, der auch eine Einteilung in die verschiedenen Kategorien beinhaltet, als auch ein Uberblick uber allgemeine und fur diese Arbeit wesentliche Unterschiede zwischen einer gebarden- und lautsprachlichen Aufterung gegeben. Anschlieftend werden Versprecher der Deutschen Laut- und Gebardensprache sowie deren Korrekturverhalten miteinander verglichen.

Ziel der Arbeit ist - mit Blick auf die Interpretation sprachlicher Fehlleistungen - die Aufzeigung, dass das Sprachproduktionssystem unabhangig von Sprache funktioniert, also modal unabhangig ist. Das bedeutet, dass in der Deutschen Laut- und Gebardensprache dieselben Mechanismen bei der Sprachproduktion ablaufen. Weiter soll die Arbeit aufzeigen, dass dieser Prozessor zwar modal unabhangig ist, die Inhalte desselben jedoch modal abhangig sind, das heiftt, dass sich der Prozessor den unterschiedlichen Reprasentationen der beiden Sprachen anpasst. Ferner wird dargetan, dass der Monitor, also das Modul im Sprachproduktionssystem, das Versprecher korrigiert, ebenfalls modal unabhangig ist, also bei beiden Sprachen vorhanden ist; jedoch sich der Monitor ebenso den unterschiedlichen Reprasentationen der Sprachen anpasst, also der Inhalt desselben ebenfalls modal abhangig ist.

1. Einfuhrung in das psycho-linguistische Forschungsfeld der Versprecher

1.1. Versprecher - Definition und Forschungsuberblick

Das Wort ,versprechen‘ hat unterschiedliche Bedeutungen. Es wird wohl am haufigsten in zweierlei Hinsicht verwandt: Zum einen mit der Bedeutung, ein Versprechen, also eine Zusicherung, abzugeben, zum anderen im reflexiven Gebrauch, namlich mit der Bedeutung, eine sprachliche Fehlleistung zu produzieren. Die vorliegende Hausarbeit beschaftigt sich ausschlieftlich mit der letztgenannten Bedeutung des Begriffs ,versprechen‘. Diese wird im Lexikon der Sprachwissenschaft beispielsweise folgendermaften definiert:

Storung der Sprachproduktion durch bewusste oder unwillkurliche sprachliche Abweichung von der offenkundig beabsichtigten Form der Aufterung. (Buftmann 1990:834)

Die Forschungsarbeiten zu Versprechern in der Deutschen Lautsprache sind zahlreich. Als Begrunder der psycholinguistischen Versprecherforschung wird Rudolf Meringer angesehen. Dieser veroffentlichte 1895 die erste deutsche Versprechersammlung mit dem Titel ,,Versprechen und Verlesen - Eine psychologisch-linguistische Studie“ (Leuninger 1993:69). Bereits zu diesem Zeitpunkt fanden Rudolf Meringer und der Neurologe Mayer heraus, dass sprachliche Fehler regelgeleitet sind (Leuninger 1993:67). Mittlerweile gibt es zahlreiche Sammlungen, die eine grofte Anzahl sprachlicher Fehlgriffe enthalten, in Deutschland beispielsweise das Frankfurter Korpus, das 1.000 Versprecher umfasst (Leuninger 1993:70).

Im Vergleich zur Deutschen Lautsprache ist die Erforschung von Versprechern in der Deutschen Gebardensprache noch nicht so weit fortgeschritten, die Forschungsliteratur ist daher nicht so umfangreich. Es existieren jedoch umfassende Arbeiten zu diesem Thema von Helen Leuninger, die auch Grundlage dieser Hausarbeit sind.

Um einen kurzen Uberblick uber die Kategorien von Versprechern zu geben, werden im Folgenden die Klassifikationen nach Meringer benannt und knapp definiert.[2]

1.2. Klassifikation der Versprecher

Meringer klassifizierte auftretende Versprecher unter anderem nach den sprachlichen Einheiten, die bei Fehlleistungen betroffen sind, sowie nach der Struktur der Fehler (Leuninger 1993:70), und stellte so insgesamt funf Gruppen von Versprechern auf:[3] Vertauschungen, Antizipationen, Postpositionen, Kontaminationen und Substitutionen. Bei Vertauschungen wechseln zwei sprachliche Einheiten in der Aufterung ihren Platz. Die Versprecherart der Antizipation (Vorklange) beinhaltet, dass sprachliche Einheiten in der Aufterung vorweggenommen werden. Der Begriff Postposition[4] (Nachklange) bedeutet, dass bereits geaufterte Einheiten noch prasent sind und falschlicherweise ein zweites Mal geauftert werden. Bei Kontaminationen fusionieren mehrere sprachliche Einheiten zu einer. Die Versprecherart der Substitution beinhaltet die Ersetzung eines Wortes durch ein semantisch oder formell ahnliches Wort.

Durch die weitere Erforschung von Versprechern konnten diese funf Kategorien spezifiziert und durch neu hinzutretende Gruppen erganzt werden. Fur die Hausarbeit sind von diesen nur einige Klassifikationen von Belang, so dass die zusatzlich gebrauchten Begriffe im Folgenden an gegebener Stelle kurz eingefuhrt und erlautert werden.

Um Versprecher in der Deutschen Laut- und Gebardensprache korrekt miteinander vergleichen und interpretieren zu konnen, folgt anschlieftend ein Uberblick uber die pragnantesten und fur diese Arbeit wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden deutschen Sprachen.

2. Unterschiede gebarden- und lautsprachlicher Aufterungen

Eine Aussage in der Gebardensprache setzt sich aus folgenden funf Parametern zusammen (Becker 1997:28):[5] die Handkonfiguration, die die Handform und -stellung beinhaltet sowie den Kontaktbereich zum Korper; die Bewegung, die in Bewegungsart, Qualitat und Richtung unterschieden wird; die Ausfuhrungsstelle; nicht-manuelle Elemente wie z. B. Mimik und orale Elemente. Die Parameter Handkonfiguration, Bewegung und Ausfuhrungsstelle sind phonologische Minimalpaare in der Gebardensprache und werden in einem Zeichen stets simultan realisiert. Das bedeutet, dass einzelne Parameter, wie beispielsweise die Handform, gleichzeitig phonologische als auch morphologische Information ubermitteln. Daher sind Morpheme in Gebardensprachen kaum von der Wortwurzel abtrennbar (Keller/Hohenberger/Leuninger 2003:319). In der Deutschen Lautsprache werden Worte - im Gegensatz zur Gebardensprache - sequentiell bzw. linear produziert (Becker 1997:75), das heiftt, dass ein Wort zeitlich dem anderen folgt und morphologische Prozesse beispielsweise durch Hinzufugung von Affixen statt finden, diese also leicht von der Wurzel abtrennbar sind.

Die Eigenschaft der Simultanitat gebardensprachlicher Aufterungen soll an dem folgenden Beispiel kurz veranschaulicht werden: Ein Signer[6] auftert den Satz Belebte Lebewesen gehen langsam, widerwillig und feindselig aufeinander zu (Leuninger et al 2004:236). Diese Aussage besteht in der Lautsprache aus neun Worten, in der Deutschen Gebardensprache hingegen nur aus einem Zeichen: Die lexikalische Wurzel der Aufterung ist das Verb gehen. Diese Wurzel ist noch vollstandig abstrakt und muss in der Deutschen Gebardensprache mit Hilfe der Handform, hier mit der sogenannten G-Hand[7], spezifiziert werden. Die G-Hand druckt durch ein klassifikatorisches Morphem aus, dass die Lebewesen belebt sind. Ein morphologisches Merkmal wird hier also mithilfe eines phonologischen Parameters ausgedruckt. Das Morphem aufeinander zugehen wird durch Hinzuziehung der zweiten Hand geauftert. Die Aktionsart langsam wird erneut durch einen phonologischen Parameter ausgedruckt, die Bewegung der Hande, die zueinander gefuhrt werden, wird namlich verlangsamt. Die Adverbien widerwillig und feindselig werden jeweils uber nicht-manuelle Artikulatoren geauftert, das erstere durch Mimik, das letztere durch Beugung des Korpers nach hinten. An diesem Beispiel ist ersichtlich, dass in der Deutschen Gebardensprache morphologische Informationen simultan, namlich uber die gleichzeitige Verwendung manueller und nicht-manueller Artikulatoren, geauftert werden (Leuninger et al 2004:237). Der Gebardensprache liegt - wie der Deutschen Lautsprache - trotzdem eine sequentielle Ordnung zugrunde, das heiftt, dass unterschiedliche Zeichen zeitlich aufeinanderfolgen (Becker 1997:75).

Das obige Beispiel zeigt aufterdem, dass gebardensprachliche Zeichen eine weitaus hohere Informationsdichte als Worte in Lautsprachen haben (Leuninger et al 2004:228). Mit einem Zeichen kann mitunter ausgedruckt werden, wozu in der Lautsprache mehrere Worter oder Phrasen benotigt werden. Dies hangt mit der Morphologie der beiden Sprachen zusammen. Lautsprachen sind polymorphologisch und polysyllabisch aufgebaut, Gebardensprachen polymorphologisch und monosyllabisch (Leuninger et al 2004:234 f.). Dies bedeutet, dass gebardensprachliche Zeichen bei der Flexion bzw. Wortbildung nicht wie lautsprachliche Worter durch Addition von Affixen polysyllabisch werden - sie bleiben stets monosyllabisch, egal, wie viele Morpheme zu einer Wurzel hinzugefugt werden.

Schlieftlich ist noch anzumerken, dass die Produktionszeit eines lautsprachlichen Wortes doppelt so schnell wie die eines gebardensprachlichen Zeichens ist (Hohenberger/Happ/Leuninger 2002:137).

[...]


[1] Auf 1.000 Worter kommt durchschnittlich nur ein Versprecher (Leuninger 1993:81).

[2] Meringer hat diese Kategorien naher bestimmt und detaillierter wiedergegeben - darauf wird hier aus Grunden der Ubersichtlichkeit verzichtet Fur detailliertere Beschreibungen vgl. u. a. Leuninger 1993:71 ff.

[3] Im Folgenden werden nur die Definitionen der Versprecherarten wiedergegeben. Auf die weiteren Kategorien, die zur Klassifikation der Versprecher von Belang sind, wird bei der Interpretation der Versprecher naher eingegangen werden.

[4] Leuninger verwendet in ihren ubrigen Arbeiten fur den Begriff ,Postpositionen‘ den Ausdruck ,Perseveration‘. In der vorliegenden Hausarbeit wird im Folgenden auch von ,Perseverationen‘ die Rede sein.

[5] Die folgenden Parameter werden nur kurz genannt und definiert. Hier soll nur der Hintergrund fur eine angemessene Analyse der Versprecher dargestellt werden. Fur nahere Erlauterungen vgl. Becker 1997:28 ff.

[6] Signer sind Personen, die der Gebardensprache machtig sind.

[7] Die Handform der G-Hand gestaltet sich aus einer Faust, von der der Zeigefinger abgespreizt wird. Da die distinktiven Handformen der Deutschen Gebardensprache fur die vorliegende Hausarbeit nicht von Belang sind, wird nicht weiter darauf eingegangen. Fur nahere Erlauterungen zu den Handformen vgl. Becker 1997:28 ff.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Versprecher in der deutschen Laut- und Gebärdensprache
Untertitel
Ein Vergleich
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Deutsche Sprache und Literatur)
Veranstaltung
Psycholinguistik
Note
2,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
16
Katalognummer
V173527
ISBN (eBook)
9783640965724
ISBN (Buch)
9783640965793
Dateigröße
744 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Versprecher, Lautsprache, Gebärdensprache, Slips of the Hand, Slips of the tongue, Vergleich
Arbeit zitieren
Julia Hans (Autor:in), 2009, Versprecher in der deutschen Laut- und Gebärdensprache, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/173527

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