Zum Zusammenhang von Arbeit und Lebenspraxis

(Berufs-)pädagogische Verhältnisbestimmung in den Werken von Georg Kerschensteiner und Hannah Arendt


Studienarbeit, 2011

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Arbeit und Lebenspraxis - (berufs-)pädagogische Kategorien
2.1. Zur Bedeutung von Arbeit
2.2. Verständnis der Begrifflichkeit Lebenspraxis

3. Arbeit und Lebenspraxis bei Georg Kerschensteiner
3.1. Arbeit als Betätigungsform
3.2. „Der pädagogische Begriff der Arbeit“
3.3. Arbeit und Lebenspraxis

4. Arbeit und Lebenspraxis bei Hannah Arendt
4.1. Der Begriff der Vita activa
4.2. Die Arbeit
4.3. Das Herstellen
4.4. Zum Verhältnis von Arbeit und Herstellen
4.5. Arbeit, Herstellen und Lebenspraxis

5. Arbeit und Lebenspraxis - Vergleichende Verhältnisbestimmung

6. Konsequenzen und Perspektiven

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Welchen Stellenwert besitzt die Arbeit im Leben? Ist sie eine lästige Notwendigkeit? Ist Arbeit der „Quell aller Werte“? Oder ist Arbeit doch irgendwas dazwischen? Was passiert mit Men- schen, mit Subjekten, die arbeiten? Welchen Bezug zu ihrer Arbeit haben sie? Was ist das Er- gebnis, Produkt ihrer Arbeit? Was für ein Verhältnis haben sie dazu? So oder ähnlich können Fragen lauten, die das Erkenntnisinteresse umschreiben, dass dieser Ausarbeitung zugrunde liegt. Wenn der Titel lautet „Zum Zusammenhang von Arbeit und Lebenspraxis“, so ist dies schon eine implizite Unterstellung, dass es ihn gibt. Was offen bleibt ist allerdings in welchem Verhältnis Arbeit und Lebenspraxis bzw. das Leben an sich - sofern es nicht nur in bloßer Vege- tation, sondern in der Praxis dessen vollzogen wird - steht. Eine solche Verhältnisbestimmung aus (berufs-)pädagogischer Perspektive gilt es hier vorzunehmen, wobei sich die Perspektive nicht auf die Pädagogik allein beschränken kann, bringt die Fragestellung doch interdisziplinäre Implikationen mit sich, welche sich in historischen, sozialwissenschaftlichen und philosophi- schen Bezügen ausdrücken werden. Die Bedeutung einer Verhältnisbestimmung von Arbeit und Lebenspraxis speziell für die (Berufs-)Pädagogik begründet sich aber nun darin, dass sich inner- halb dieses Verhältnisses ein Feld an Möglichkeiten aufzeigt, wie sich Menschen selbst „entwer- fen“, wie sie ihr Selbstverständnis, ihre Identität bilden, wie sie am gesellschaftlichen Leben partizipieren und wie sich subjektive Bildungsprozesse mit oder durch Arbeit ausgestalten. Um so aktueller und relevanter wird dabei eine solche Fragestellung, führt man sich gesellschaftliche Entwicklungen vor Augen, die ein prästabilisiertes Verhältnis von Arbeit und Lebenspraxis im- mer brüchiger erscheinen lassen, sodass vielmehr von einer zunehmend individualisierten Le- benspraxis gesprochen werden muss, welche Formen von Arbeit in immer unterschiedlicherer Art und Weise integriert. Diese schier endlose Vielzahl an Möglichkeiten wie Arbeit und Le- benspraxis zueinander positioniert sein können, kann allerdings nicht Thema einer einzelnen Betrachtung sein. Vielmehr gilt es in der hier vorliegenden Ausarbeitung exemplarisch Positio- nen zu untersuchen, die dem Verständnis dieses Beziehungsgefüges dienlich sein sollen und eine Grundlage für spätere Studien legen werden.

Für meine Betrachtungen beziehe ich mich bewusst auf ausgewählte Werke bzw. Ansätze, um anhand dieser möglichst präzise den begrifflichen Kern von Arbeit, sowie den Wandel dessen, aufzuzeigen und hieraus das Verhältnis zum Kontext der Lebenspraxis abzuleiten. Die Auswahl von Georg Kerschensteiner und Hannah Arendt, welche mit ihren Büchern „Begriff der Arbeits- schule“ und „Vita activa“ bedeutende theoretische Werke geschaffen haben, mag zunächst über- raschen, sind ihre Herangehensweisen und Gedankengänge doch sehr verschieden. Interessan- terweise sind allerdings ihre Intentionen zur Auseinandersetzung mit Arbeit sehr ähnlich. So be- schrieb Georg Kerschensteiner zu Beginn des 20. Jahrhunderts als einer der ersten Berufspäda- gogen und Gründervater der Arbeits- bzw. der späteren Berufsschule seine Bildungstheorien ge- leitet von der Ausgangsfrage, wie die „staatsbürgerliche Erziehung“ zu gestalten sei. Hannah Arendt als Publizistin und Philosophin, die fast ein halbes Jahrhundert später mit ihrem Buch „Vita activa“ äußerst präzise die Tätigkeitsformen und Bedingungen des Menschen analysierte und zudem unterschiedlichste Verständnisse und Theorien zum Arbeitsbegriff durchleuchtete, widmete sich dabei vor allem der Frage nach der Realisierung politischen Handelns in der modernen Gesellschaft. So können innerhalb einer genauen Betrachtung und eines anschließenden Vergleichs beider Ansätze schließlich Aspekte herausgearbeitet werden, die helfen können das komplexe Verhältnis von Arbeit und Lebenspraxis genauer zu bestimmen.

2. Arbeit und Lebenspraxis - (berufs-)pädagogische Kategorien

Um meinen vorzunehmenden Betrachtungen einen gewissen Rahmen zu geben, gilt es nun im Sinne eines (berufs-)pädagogischen Erkenntnisinteresses beide Begriffe in ihrem vorläufigen Verständnis darzustellen. Da die Werke von Kerschensteiner und Arendt ausführlich Arbeit, und die verschiedenen Formen, Qualitäten und Implikationen dieser thematisieren, dabei al- lerdings nicht auf die Begrifflichkeit Lebenspraxis eingehen, muss nach einer knappen Um- schreibung der Bedeutung von Arbeit, umfassender auf eben dieses Verständnis von Lebens- praxis eingegangen werden.

2.1. Zur Bedeutung von Arbeit

Arbeit besitzt ein sehr großes Bedeutungsspektrum und erfüllt sowohl für das einzelne Sub- jekt, als auch für Gesellschaften verschiedene Funktionen. Eine Definition dieser Grundkate- gorie menschlichen Lebens zu finden, ist an dieser Stelle sicherlich für die weiteren Betrach- tungen nicht sonderlich förderlich, erschöpft sich doch die Vielzahl an Definition allein in der Vielzahl an Theoretikern, die sich mit Arbeit auseinandergesetzt haben. Zudem kann Arbeit, eben weil sie eine Grundkategorie des Lebens ist, nur im historisch-epochalen Kontext ver- standen werden, hat sie doch solch elementaren Veränderungen in ihrer Bedeutung durchge- macht - wie es in Kapitel 4 bei Hannah Arendt noch aufzuzeigen gilt. Ohne den spezifischen Merkmalen, die es noch bei Kerschensteiner und Arendt herauszuarbeiten gilt, vorzugreifen, kann Arbeit aber zunächst als eine Tätigkeit des Menschen gefasst werden, in welcher sich ein Großteil seiner Auseinandersetzung mit Natur und Umwelt vollzieht. Folgt man in bildungs- theoretischer Tradition der Humboldtschen Formel von Bildung als „Wechselwirkung“ des Menschen mit der Welt1, kann hier ein mehr oder weniger explizit formulierter Zusammen- hang von Arbeit und Bildung ausgemacht werden, welcher sich in den Ausführungen zu Ker- schensteiner in Kaptitel 3 noch deutlicher abzeichnen wird. Auf diesem Zusammenhang be- gründeten sich somit nun auch die Bedeutung von Arbeit für die Pädagogik als Wissenschaft menschlicher Bildungsprozesse und auch menschlichen Bezugs zur Welt. Arbeit ist eine solch essenzieller Bestandteil des Lebens, sodass Fragen nach Gestaltung und Vollzug von Arbeits- prozessen unweigerlich zum Interesse der Pädagogik gehören müssen, gilt es doch ein Poten- tial für Emanzipation und Freiheitserweiterung freizulegen. Zu solch einem normative An- spruch an Arbeit gehört dabei nicht nur die isolierte Betrachtung dieser Kategorie, sondern Michel Michiels-Corsten - Zum Zusammenhang von Arbeit und Lebenspraxis 3 auch die Einordnung in subjektive Lebenszusammenhänge, in Formen von Lebenspraxen. Wo pädagogische Tätigkeit ansetzen muss, um diesen Anspruch zu realisieren, kann allerdings erst nach Klärung der Begrifflichkeit Lebenspraxis deutlich werden.

2.2. Verständnis der Begrifflichkeit Lebenspraxis

Bei einer ersten Betrachtung des Begriffs Lebenspraxis als ein in sich geschlossener Terminus fällt zunächst eine fast selbstverständliche Verwendung dieses im Sprachgebrauch auf, sodass eine Thematisierung verschiedener Eigenarten fast überflüssig zu sein scheint. Dass eine be- griffliche Abgrenzung von synonym verwendeten Termini allerdings um so dringlicher er- scheint, zeigt sich beispielsweise an der Übersetzung des Dudens von Lebens praxis in Le- bens erfahrung. Ein solcher Vergleich scheint mir dabei ungeeignet, negiert er doch elementa- re Unterschiede der Begriffe Praxis und Erfahrung. Während sich die Praxis in ihrem direkten und gegenständlichem Bezug zur Welt und ihrer aktiven Prozesshaftigkeit, im Hier und Jetzt, der Gegenwart ansiedelt, ist dies im Begriff der Erfahrung abhängig von der, aus seiner Viel- schichtigkeit ausgewählten, Bedeutung. Sicherlich können der Erfahrung die selbigen Eigen- arten der Gegenständlichkeit, Aktivität und Gegenwärtigkeit zugeschrieben werden, doch sind für das Verständnis von Erfahrung ebenso die Eigenarten Gegenstandslosigkeit, Passivität und Wahrnehmung als etwas Verga]ngenes grundlegend, welche hingegen der Praxis nicht zuge- sprochen werden können. Eine passive Praxis, ganz ohne Gegenstände und als etwas bereits Vergangenes ergäbe sicherlich keinen Sinn. Allerdings kommt man mittels einer solchen, auf die einzelnen Wortteile ausgerichteten, Betrachtung von Lebens-praxis ihrem Kern näher.

Eine Bestimmung des Begriffs Leben könnte an dieser Stelle bereits Bände füllen, ist hiermit doch die elementarsten Kategorie menschlichen Seins angesprochen. Beschränkt man sich allerdings auf eine recht knappe Definition, die geprägt von den verschiedensten Disziplinen ist, so kann Leben zunächst als das Wesen alles Organischen, basierend auf den Vorgängen des Stoffwechsels, der Vermehrung und des Wachstums, begriffen werden. In einer solchen, vorwiegend naturwissenschaftlich geprägten Sichtweise, gilt zudem als kleinster gemeinsa- mer Nenner aller Lebensformen das Prinzip der Autopoeisis, die Fähigkeit sich selbst zu er- halten und zu reproduzieren.

Aus einer philosophischen Perspektive heraus betrachtet, zeigt sich das Wesen des Lebens als wesentlich kontroverser. Während in der Philosophie der griechischen Antike Aristoteles in seiner Schrift De Anima drei verschiedene, hierarchisch geordnete Formen des Lebens be- nennt, die sich gemäß ihres Seelenvermögens auszeichnen, stehen sich in der Neuzeit die An- sichten des Mechanizismus, mit einem rein auf physikalische und chemische Prozesse der Materie als Grundlage des Lebens reduzierten Bildes, und die des Vitalismus gegenüber, wel- cher alles Lebendige auf die ihm innewohnende, zielgerichtet formende Lebenskraft zurück- führt. Für die weiteren Ausführungen von besonderer Bedeutung ist zudem die von Marx ge- prägte Formel von Leben als „Stoffwechsel mit der Natur in der Arbeit“. Unabhängig davon, welcher Position man Gültigkeit zuschreiben will, so bleibt doch allen die Aktivität, die Pro- zesshaftigkeit und eine inhärente Kraft gemein, die das Lebende von dem Nicht-Lebenden unterscheidet.

Eine ähnlich gewachsene Bedeutungshistorie kann nun auch der Begriff der Praxis vorweisen. Das aus dem Altgriechischen stammende pr â xis, welches so viel wie Tat, Handlung, Verrich- tung, aber auch Durchführung, Vollendung und Förderung bedeutet, bildet im gängigen Sprach- gebrauch aber auch in philosophischen Betrachtungen den Gegenpart zur Theorie. Während nach der Thematisierung unter anderem bei Kant und Hegel Marx den Praxis-Begriff als sinnli- che oder gegenständliche Tätigkeit des Menschen fasste, die eine subjektive, materielle Umge- staltung der objektiven Realität beschreibt, führte der Materialismus die Bedeutung von Praxis als Kriterium der Realität gegenüber jeglichen Theorien fort. Diese orientiert sich zudem, im Gegensatz zum Geist oder Denken, an dem vom Menschen Erkennbaren und Ausführbaren.

Andere Schwerpunkte setzte in der Antike Aristoteles, welcher im ersten Buch seiner Niko- machischen Ethik prâxis als zielgerichtetes Handeln fasste, das seinen Zweck im Vollzug des- selbigen besitzt. Im Gegensatz zum Werk (é rgon), welches durch das Hervorbringen (po í esis) entsteht und den alleinige Zweck und das alleinige Kriterium einer Bewertung ausmacht, er- schließt sich die Güte der Praxis auch im „Befinden des Handelnden, seinem Vorsatz und der Art der Ausführung“ (vgl. Gessmann 2009, S. 588). Somit erfordert nach Aristoteles Praxis auch die „Einordnung zu verfolgender Handlungsziele in weiterreichende Lebenszusammen- hänge der eigenen Biographie wie auch der Gemeinschaft, in der man handelt, und schließlich auch die Rücksicht auf wechselnde Umstände, äußere und innere“ (ebd.). Charakteristisch für ein philosophisches Verständnis von Praxis, wie es zumindest die Philosophie der Antike ver- trat, ist demnach eine gewisse ethische Grundhaltung, auf welcher die in der Praxis zu reali- sierende sittliche Einsicht beruht (vgl. ebd.). Doch auch wenn man von einem solch normati- ven Verständnis Abstand nimmt und erneut einen Blick auf Gemeinsamkeiten der verschiede- nen Ansätze richtet, bleiben die Wesenszüge einer Tätigkeit oder Handlung des Subjekts ge- mein, dass sich (um-)gestaltend mit der Realität auseinandersetzt.

Führt man nun die Bestandteile von Lebens-praxis zusammen, die anders formuliert auch etwas im Leben praktiziertes oder die Praxis des Lebens an sich beschreiben können, so zeichnet sich das Bild von einer aktiven (um-)gestaltenden Auseinandersetzung des Subjekts mit der Realität, die der Prozesshaftigkeit und der Kraft des Lebens unterliegt. Lebenspraxis ist die subjektive Tätigkeit im Leben, für das Leben und mit dem Leben.

3. Arbeit und Lebenspraxis bei Georg Kerschensteiner

Das Verständnis Kerschensteiners zum Arbeitsbegriff steht unverkennbar im Dienste seiner pädagogischen Überlegungen. Eine umfassende, das Wesen von Arbeit erhellende Begriffs- klärung, wie wir sie beispielsweise bei Hannah Arendt kennenlernen werden, ist in den Wer- ken Kerschensteiners allerdings nicht vorzufinden. So kann vielmehr nur auf seine grobe Un- terteilung der einzelnen Betätigungsformen eingegangen werden, welche aber mit der Be- Michel Michiels-Corsten - Zum Zusammenhang von Arbeit und Lebenspraxis 5 trachtung des „pädagogischen Begriffs von Arbeit“ einer Ausdifferenzierung verschiedener Arbeitsformen näher kommen wird. Ähnliches gilt auch für den Kontext der Lebenspraxis. Dieser kann in den Werken Kerschensteiners nur in Zusammenhang mit der Kategorie Arbeit erfasst werden, welcher somit einer vorangehende Darstellung bedarf.

3.1. Arbeit als Betätigungsform

Für Kerschensteiner gibt es vier Formen der Selbstbetätigung zu unterscheiden: das Spiel, den Sport, die Beschäftigung und die Arbeit (vgl. Kerschensteiner 1931/2010, S. 450). Ausschlag- gebendes Kriterium für die Unterscheidung ist hierbei der Zweck, welcher mit der jeweiligen Betätigung verfolgt wird. Das Spiel wird hierbei zunächst dem Selbstzweck wegen betrieben. Es ist nicht auf ein konkretes Ergebnis, beispielsweise in Form eines Werkes, ausgerichtet, sondern begnügt sich mit der Tätigkeit an sich und der Auseinandersetzung der genutzten „Spielmittel“. Ähnlich steht es um die Betätigung des Sports, welcher auch nicht auf ein Werk ausgerichtet ist und vorrangig des Selbstzwecks wegen betrieben wird, allerdings darüber hi- naus dem Zwecke eines Ergebnisses, in Form eines Sieges, eines Rekords oder eines erwor- benen Titels, dienen kann.

Von diesen zwei Betätigungsformen zu unterscheiden sind nach Kerschensteiner nun die Be- schäftigung und die Arbeit, welche Mittel zum Zweck sind, welcher sich allerdings nicht al- lein in der Betätigung an sich erschöpft. Die Beschäftigung steht dabei für ihm zwischen dem Spiel und der Arbeit, da es sowohl auf die Betätigung an sich ausgerichtet ist, als auch auf ein Ergebnis der Betätigung, ein Werk, welches dabei aber nicht zwangsläufig zu vollenden ist. Vielmehr endet die Beschäftigung, „wenn die Lust am Tun aufhört“ oder „wenn nur das Werk ‚fertig‛ ist, gleichviel in welcher Form es dasteht“ (ebd.). Indem Kerschensteiner leicht ab- wertend der Beschäftigung ein „nur fertiges“ Werk als Ergebnis oder Zweck zuschreibt, führt er in Abgrenzung dazu das für ihn ausschlaggebende Charakteristikum der Arbeit an. Denn für ihn ist Arbeit nun „jene Betätigung, die als einzige der vier Formen rein auf das Werk ein- gestellt ist“ und welche „die Tätigkeit um des Zweckes und seiner vollen Verwirklichung wil- len“ (Kerschensteiner 1931/2010, S. 451 f.) setzt. Kurz: Arbeit dient der Vollendung des ihr zugeschriebenen Werkes. Hierin sieht Kerschensteiner auch die Begründung der damit ver- bundenen Mühsal, welche allein die Arbeit in der ihr eigenen Form mit sich bringt.

Die zwei Charakteristika von Arbeit ergänzt Kerschensteiner schließlich um ein weiteres, in- dem er sich auf die im allgemeinen Sprachgebrauch vorherrschende Trennung von „körperli- cher“ und „geistiger“ Arbeit beruft und anschließend negiert. Die „körperliche“ Arbeit, die er als „jene Betätigung“ beschreibt, „die als Zweck eine Gestaltung der stofflichen Umwelt hat“2, ist ihm zufolge nicht gänzlich von der „geistigen“ Arbeit, die „jene Betätigung“ dar- stellt, „die als Zweck die Herstellung bündiger gegenständlicher Sachverhalte im Bewußtsein hat“ (Kerschensteiner 1931/2010, S. 452), zu trennen. Vielmehr sieht er in jeglicher Form von Arbeit einen geistigen und einen körperlichen Teil vertreten, auch wenn diese Gewichtungen unterschiedlichster Art erfahren.

Mit diesem dritten Charakteristikum von Arbeit, welches auf das parallele Vorhandensein geistiger wie körperlicher Elemente hinweist, erschöpft sich allerdings auch schon Kerschensteiners Beschreibung des Wesens von Arbeit. Alle weiteren Erläuterungen werden von ihm in den Kontext des „pädagogischen Begriffs der Arbeit“ und ihres damit zusammenhängenden Bildungswerts gestellt, welche im folgenden darzustellen sind.

3.2. „Der pädagogische Begriff der Arbeit“

Bereits 1912 beschrieb Georg Kerschensteiner in seinem Werk „Begriff der Arbeitsschule“ seine Idee von Arbeit im pädagogischen Sinne, welche für ihn besondere Qualitäten besitzt, die einen Bildungswert begründen. Die erste dieser Qualitäten bestimmt er dabei wie folgt:

„Eine manuelle Betätigung mag mit noch so viel Interesse, Eifer, Anstrengung, Übung verbunden sein, Arbeit im pädagogischen Sinn kann sie erst werden, wenn sie Ausfluß einer geistigen Vorarbeit ist, die schon in dieser Vorarbeit zu einem ersten Abschluß kommt, im Fortgang der Ausführung aber immer von neuem aufgegriffen wird und zu neuen Denkprozessen Veranlassung gibt. Rein mechanische, isoliert vom übrigen geistigen Leben ablaufende Arbeit kann nicht Arbeit im pädagogischen Sinn sein.“ (Kerschensteiner 1912/1969, S. 30)

Die hierin als wesentliches Merkmal beschriebene Bedingung einer „geistigen Vorarbeit“ knüpft konsequenterweise an Kerschensteiners Bestimmung von Arbeit an, welche sich so- wohl aus körperlicher Tätigkeit als auch aus geistiger Tätigkeit zusammensetzt. Doch was versteht Kerschensteiner unter dem diffus erscheinenden Begriff „geistiger Vorarbeit“? An anderer Stelle präzisiert er diesen zunächst dadurch, dass die Betätigung aus einem „selbst durchdachten Plane heraus erfolgt, welcher der Verwirklichung eines Zweckes dient und eine Sache erzeugt (objektiviert), die ein getreues Abbild des gefaßten Planes ist“ (ebd.). Somit wird erneut auf den, der Arbeit inhärenten, Verwirklichungsgedanken eines Werkes Bezug genommen, welcher als Leitfaden für die „geistige Vorarbeit“ dient und somit zielgerichtet ist.

Um sich dem Wesen von Arbeit im pädagogischen Sinne zu nähern und die Formen der „geis- tigen Vorarbeit“ aufzuzeigen, illustriert Kerschensteiner sehr anschaulich verschiedene Ar- beitsszenarien, die sich der Lösung „einer moralischen, einer technischen und einer wissen- schaftlichen Aufgabe“ (Kerschensteiner 1912/1969, S. 31) widmen. Wie anhand seiner Bei- spiele deutlich wird, handelt es sich bei allen drei um Tätigkeiten, die „Ausfluß geistiger Vor- arbeit“ sind. Allerdings bleibt für Kerschensteiner die Frage nach dem Bildungswert noch of- fen. Vielmehr führt er nun die zweite Qualität, das zweite Charakteristikum hierfür an, indem er schreibt: „Wenn sie einen solchen [ Bildungswert; Anm.: MMC] haben soll, dann muß sie das Wesen eines Menschen dem Wesen eines ‚gebildeten Menschen‛ näherbringen.“ (Ker- schensteiner 1912/1969, S. 42). Diese Schlussfolgerung begründet sich nun darauf, dass ge- mäß Kerschensteiner der in der Arbeit verwirklichte Bildungswert sich aus „Fertigkeiten und Eigenschaften“ speist, die „im Dienste geltender Werte stehen“ (vgl. Kerschensteiner 1912/ 1969, S. 43 f.). Somit lässt sich zusammenfassend die zweite Qualität von Arbeit im pädago- gischen Sinne als diejenige, die den Menschen in der Form bildet, dass seine „Fertigkeiten und Eigenschaften“ „im Dienste geltender Werte stehen“.

[...]


1 Sicherlich ist der Bezug zu Humboldt an dieser Stelle gewagt, zumal in seinen Theorien der Bildungswert von Arbeit in Frage gestellt wird bzw. die Trennung zwischen spezieller Bildung und Allgemeinbildung zu Gunsten der Allgemeinbildung unverkennbar ist, doch ist das Moment der „Wechselwirkung“ gerade im Vollzug der Arbeit konstitutiv.

2 Ob Kerschensteiner sich an dieser Stelle auf eine an Marx orientierte Definition von Arbeit als „Stoffwechsel mit der Natur“ beruft ist nicht eindeutig nachvollziehbar, doch soll auf eine gewisse Ähnlichkeit hierbei aufmerksam gemacht werden.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Zum Zusammenhang von Arbeit und Lebenspraxis
Untertitel
(Berufs-)pädagogische Verhältnisbestimmung in den Werken von Georg Kerschensteiner und Hannah Arendt
Hochschule
Technische Universität Darmstadt  (Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
26
Katalognummer
V172870
ISBN (eBook)
9783640929238
ISBN (Buch)
9783640929481
Dateigröße
801 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Zwei-semestrige Studienarbeit als Modulprüfung im 5. Semester
Schlagworte
Georg Kerschensteiner, Hannah Arendt, Arbeit, Lebenspraxis, Lebensführung, Vita Activa, Berufspädagogik
Arbeit zitieren
Michel Michiels-Corsten (Autor:in), 2011, Zum Zusammenhang von Arbeit und Lebenspraxis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/172870

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