Hans Sachs im Urteil von Zeitgenossen und Nachwelt


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zur zeitgenössischen Wirkung Hans Sachs´

3. „Schutzpatron der vereinigten Tannezapfen- und Narrenkolbenzunft“ - Zum Hans-Sachs-Bild im deutschen Barock

4. „Hans Sachs war ein Schuh-/macher und Poet dazu.“ - Tiefpunkt des dichterischen Ruhms

5. Der Musenhof zu Weimar und die Rehabilitierung Hans Sachsens
5. 1. „In Froschpfuhl all´ das Volk verbannt, das seinen Meister je verkannt“- „Erklärung eines alten Holzschnittes, vorstellend Hans Sachsens poetische Sendung“
5. 2. Hans Sachs und Goethe
5. 3. Zeugnisse von Goethes Studium und Adaption Sachsischer Dichtung
5. 3. 1. Der Knittelvers
5. 3. 2. Die Verwendung des Knittelverses in Goethes Werk
5. 4. Erfolge und Misserfolge nach der von Weimar ausgehenden Rehabilitierung Sachsens

6. „Ich, Hans Sachs und Goethe. Ist noch außer uns ein Poete?“ - Das Hans-Sachs Bild in der deutschen Romantik

7. Zusammenfassung – Was kann die Rezeptionsgeschichte über die Beurteilung eines Dichters einer vergangenen Literaturepoche aussagen?

8. Bibliographie

1. Einleitung

„Hans Sachs war ein Schuh/macher und Poet dazu“ - dieser viel zitierte Vers aus dem 18. Jahrhundert ist vielleicht auch heute noch die erste und oft wohl leider auch die einzige Assoziation, die mit dem Namen Hans Sachs in Verbindung gebracht wird. Dem Laien mag der Name allenfalls noch aus Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ ein Begriff sein. Wer Hans Sachs eigentlich war, zu welcher Zeit er gelebt hat und welche Bandbreite sein Werk umfasst, dürfte unter „Nicht-Literaturwissenschaftlern“ hingegen weniger bekannt sein. Denn Hans Sachs ist, wie so viele Autoren vergangener Epochen, heute nicht unbedingt ein gelesener Autor. Dass sich dennoch bestimmte Assoziationen bei der Nennung seines Namens einstellen, ist im Wesentlichen auf die Rezeptionsgeschichte zurückzuführen, die unser gegenwärtiges „Hans-Sachs-Bild“ entscheidend mitgeprägt hat.

Die Ansichten über Hans Sachs waren während der vier Jahrhunderte, die seit seinem Tod vergangen sind, vielfältigen Schwankungen unterworfen und reichten von verherrlichender Bejahung bis zu radikaler Ablehnung und Missachtung seines Werkes. Positive wie negative Urteile waren dabei oft nicht von sachlicher Einsicht geprägt, sondern wurden vom vorherrschenden Kunstgeschmack der Zeit oder von vorgefassten Überzeugungen diktiert. So ist die Geschichte des Nachlebens von Hans Sachs zugleich ein Ausschnitt deutscher Literatur- und Kulturgeschichte.

Da es den Umfang dieser Arbeit überschreiten würde, alle literarischen Epochen und Strömungen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert mit der gleichen Ausführlichkeit zu behandeln, soll der Schwerpunkt hier auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts gelegt werden. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht somit das Hans-Sachs-Bild in der Zeit des Sturm und Drang (um 1770 bis 1789), in der das Interesse an dem Nürnberger Poeten wieder aufzuleben begann. Dennoch soll auch auf vorangegangene und nachfolgende Epochen ein kurzer Blick geworfen werden, um einen Rahmen bzw. eine geeignete Ausgangslage für detailliertere Untersuchungen zu schaffen.

Abschließend soll diskutiert werden, welche Maßstäbe zur Beurteilung eines Dichters einer vergangenen Epoche angewendet werden können und inwieweit eine objektive Beurteilung aus einer anderen Zeit heraus, die vollkommen andere Anforderungen an die Dichtkunst stellt, überhaupt möglich ist.

2. Zur zeitgenössischen Wirkung Hans Sachs´

Die zeitgenössische Wirkung Hans Sachsens stützte sich vor allem auf seine Meistergesangskunst. Sachs verfasste 4400 Meisterlieder, davon 2050 geistlich-biblischer und 2300 weltlicher Art, und war somit der produktivste Meistersinger seiner Zeit.[1] Durch den Singschulbetrieb erlangte Sachs schon zu Lebzeiten eine solche Bedeutung, dass er, obwohl später geboren, in den Kreis der zwölf alten Meister[2] eingereiht wurde.

Außerhalb Nürnbergs wurde Sachsens Name zu seinen Lebzeiten jedoch auch durch die Reformationsdialoge und die zeitkritischen Flugschriften bekannt, die er vor allem in den Jahren von 1523 bis 1526 verfasste. Auch seine dramatischen Produktionen wurden außerhalb Nürnbergs gespielt so z.B. in Frankfurt, Augsburg, Straßburg, München, Wien, Danzig und Basel.

Zur zeitgenössischen Verbreitung seines Werkes hat vor allem auch die 1558 von Sachs selbst begonnene Nürnberger Folioausgabe beigetragen, für die in relativ kurzer Zeit mehrere Neuausgaben erforderlich waren.

Sachs war also zu seinen Lebzeiten ein gelesener und vor allem auch ein „gespielter“ Autor, dessen Fastnachtsspiele, Schwänke, Dramen, Gedichte und Prosadialoge im Druck weit verbreitet waren.[3]

3. „Schutzpatron der vereinigten Tannenzapfen- und Narrenkolbenzunft“ - Zum Hans-Sachs-Bild im deutschen Barock

War Hans Sachs noch zu seinem Tode 1576 der bekannteste Dichter Deutschlands, so nahm sein Ruhm im folgenden Jahrhundert stetig ab. In der Epoche des Barock (um 1600-1700) wurde der gelehrte Dichter, der poeta doctus, der eine universitäre Ausbildung genossen und dabei die literarischen Tradition der römisch-griechischen Klassik studiert hatte, zum Ideal der Literaten. So ist das deutsche Barock auch das Jahrhundert, in dem die mittelalterlichen und frühbürgerlichen Ursprünge der deutschen Literatur weitestgehend vergessen wurden. Die Barockdichtung nahm immer stärker höfische Züge an und orientierte sich an französischen und italienischen Vorbildern.[4] Da ein Handwerkerdichter nicht zu der Idealvorstellung eines vielseitig, universitär gebildeten Poeten passte, wurde Hans Sachs schnell zum Gespött der gelehrten Barockdichter. So verhöhnte ihn beispielsweise der Rhetorik-Professor Christian Weise (1642-1708) als „Schutzpatron der vereinigten Tannenzapfen- und Narrenkolbenzunft“[5], Andreas Gryphius (1616-1664) machte sich in seiner „Absurda Comica oder Herr Peter Squentz“ über ihn und seine Zunftgenossen lustig und der berühmte Literaturreformer Martin Opitz (1597-1639), der mit seinem „Buch von der deutschen Poeterey“ von 1624 neue Maßstäbe für die deutsche Reimkunst setzte, hielt Sachsens Namen nicht einmal mehr für erwähnenswert.[6]

Nur wenige Barockdichter widersprachen diesem Verdikt, so beispielsweise der „Vater der deutschen Aufklärung“, Philosoph und Jurist Christian Thomasius (1655-1728), der Hans Sachs weitaus positiver beurteilte als die meisten seiner Zeitgenossen und ihn mit Homer verglich, indem er sagte: „ Wer Hanß Sachsen und Homerum ohne Vorurtheil lesen wird, wird mehr Artigkeit und Iudicium in Hanß Sachsen als in Homero antreffen.“[7]

4. „Hans Sachs war ein Schuh-/macher und Poet dazu.“ - Tiefpunkt des dichterischen Ruhms

In der Zeit der Frühaufklärung (um 1700-1789) erreichte der dichterische Ruhm Hans Sachsens seinen Tiefpunkt. Die Vertreter dieser Epoche lehnten sich ihrerseits gegen die vergangene Literaturepoche auf und sagtem dem gekünstelt überladenen, barocken Sprach- und Kunststil den Kampf an. Bestes Beispiel dafür ist das so genannte Kampflied der Frühaufklärung „Heldengedicht Hans Sachs genannt“ verfasst durch den Hamburger Literaten Christian Wernicke (1661-1725). Hans Sachs wird darin zum Inbegriff der Dummheit erklärt und erscheint als der „größte Reimensudler der Erde“,[8] obwohl sich das Gedicht ursprünglich nicht gegen ihn, sondern gegen einen zeitgenössischen Dichter Wernickes, nämlich gegen Christian Heinrich Postel richtete. Sachs wurde auch in anderen Literaturfehden der Zeit schnell zur beliebten Spottfigur und musste verschiedenen literarischen Parteien zur Verhöhnung der jeweiligen Gegner herhalten. Der ihm zugeschriebene Knittelvers wurde dabei als parodistisches Mittel eingesetzt.[9]

Zu dieser Zeit entstand auch der eingangs zitierte Spottvers „Hans Sachs war ein Schuh-/macher und Poet dazu“, dessen ältester Beleg aus dem Jahre 1769 stammt. Zum Leidwesen der Hans-Sachs-Forscher ist nach wie vor unbekannt, wer der Verfasser dieses Sprüchleins ist, das auf engem Raum die gängigen Vorurteile der Aufklärungszeit zusammenfasst: Inhaltlich versucht es den Poeten mit dem Schuhmacher zu entwerten, formal stellt es eine Karikatur seiner Knittelversdichtung dar.[10]

5. Der Musenhof zu Weimar und die Rehabilitierung Hans Sachsens

Stellte die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts den Tiefpunkt des dichterischen Ruhms Hans Sachsens dar, so bahnte sich in der zweiten Hälfte vor allem von gelehrten Kreisen ausgehend eine weniger polemisierende Beurteilung des Dichters an. So bemühte sich Johann Christoph Gottsched (1700-1766) als Dramentheoretiker um eine sachliche Würdigung der Sachs-Dramen und begann dessen Meisterlieder systematisch zu sammeln

1765 erschien die erste Biographie Sachsens, die „Historisch-kritische Lebensbeschreibung“ Hans Sachs´ verfasst durch den Altenburger Professor Salomon Ranisch und gefördert von Gottsched. Ranisch hatte sich fälschlicherweise durch das Kirchenlied „Warum betrübst du dich mein Herz“ inspirieren lassen, das er dem Nürnberger Meister zuschrieb.[11]

Die eigentliche Rehabilitierung Sachsens ging jedoch von Weimar aus und wurde im Wesentlichen durch den Prinzenerzieher Christoph Martin Wieland (1733-

1813)[12] und den Weimarer Unternehmer, Verleger und Übersetzer Friedrich Justin Bertuch (1747-1822) voran getrieben. Als Förderer literarischer Bestrebungen hatte Bertuch seit dem Jahre 1770 die Werke Sachsens gesammelt, um eine vollständige Ausgabe zusammenzustellen. So war es wahrscheinlich auch seine Bibliothek, in der Wieland erstmals mit Sachs in Berührung kam. Inspiriert vom aufstrebenden Hans-Sachs-Kult der Zeit, äußerte sich dieser in einem Brief vom 15. 4. 1776 an Johann Kaspar Lavater über Hans Sachs:

Haben sie schon gewusst, dass Hans Sachs würklich und wahrhaftig ein Dichter von der ersten Größe ist? Ich weiß es erst seit 6-8 Wochen. Wir beugen uns alle vor seinem Genius, Goethe, Lenz und ich. O die Teutschen, die stumpfen, kalten trägherzigen Teutschen! Die das erst vom Teutschen Merkur werden lernen müssen! Doch noch wollen wir sie nicht schimpfen; den meisten ists mit Hans Sachs wohl wie mir ergangen, - sie haben ihn nicht gekannt, nie gelesen, nie gesehen. Aber Wahrheit muss doch endlich einmal durchbrechen; in weniger als 4 Monaten a dato soll keine Seele, die Gefühl und Sinn für Natur, und Empfänglichkeit für den Zauber des Dichtergeists hat, in Teutschland seyn, die Hans Sachsens Nahmen nicht mit Ehrfurcht und Liebe aussprechen soll.[13]

[...]


[1] Vgl. Eckhard Bernstein: Hans Sachs. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek 1993, S. 84.

[2] Eine 1596 erschienene Abhandlung benennt zwölf Dichter des Mittelalters, unter ihnen Walther von der Vogelweide, Konrad von Würzburg, Reinmar von Zweter, Heinrich Frauenlob und Heinrich von Mügeln als Begründer des Meistergesangs. Dieser so genannte Dicthterkatalog ist jedoch als Produkt literarischer Legendenbildung (Dichtersage) einzuordnen. Vgl. Reinhard Hahn: Meistergesang. Leipzig 1985, S. 10 f.

[3] Vgl. Wilhelm Richard Berger: Hans Sachs. Schuhmacher und Poet. Frankfurt a. M. 1949, S. 140 f.

[4] Bernstein, S. 9.

[5] Berger, S. 141.

[6] Vgl. Berger, S. 141 f.

[7] Zitiert in: Bernstein, S. 143.

[8] Eichler, S. 110.

[9] Vgl. Barbara Könneker: Hans Sachs. Realienbücher für Germanistik. Stuttgart 1971, S. 71 f.

[10] Horst Brunner: Hans Sachs zwischen Heldenverehrung und Hohngesang. In Nürnberg heute 22 (1976), S. 41.

[11] Vgl. Berger, S. 144.

[12] Wieland war seit dem November 1771 am Weimarer Hof als Erzieher des Fürstenprinzen Carl August (1757- 1828) beschäftigt.

[13] Zitiert in: Dietlinde Katritzky: Hans Sachs im 18. Jahrhundert. Strategien der Rezeption. In: German Life and Letters 49 (1996), S. 34.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Hans Sachs im Urteil von Zeitgenossen und Nachwelt
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für germanistische Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
HpS Hans Sachs
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
22
Katalognummer
V17246
ISBN (eBook)
9783638218627
ISBN (Buch)
9783638645126
Dateigröße
491 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hans, Sachs, Urteil, Zeitgenossen, Nachwelt, Frühneuhochdeutsch, Knittelvers
Arbeit zitieren
Hendrikje Schulze (Autor:in), 2003, Hans Sachs im Urteil von Zeitgenossen und Nachwelt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17246

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