Musiktherapie. Wirkung und Anwendung


Hausarbeit, 2009

20 Seiten, Note: 1


Leseprobe


1 Einleitung

Die wohltuende Wirkung von Musik auf den Menschen ist schon seit Jahrtausenden bekannt und wurde zu allen Zeiten direkt als Heilmittel oder indirekt zur Unterstützung der Heilung oder der Wirkung der Medikamente angewandt. In vielen Stämmen lässt sich noch heute die Einstellung feststellen, Musik sei etwas Übernatürliches, Göttliches und habe daher besondere Kräfte. Sie nutzen Musik, um den Göttern näher zu kommen, Unheil abzuwenden oder Krankheiten zu heilen.1 Auch in den östlichen Kulturen wurde und wird Musik zu Heilzwecken benutzt: Die Menschen mach(t)en durch Gesänge und Rhythmen die Schwingungen in ihren Energiezentren fühlbar.2 Doch Musik ist nicht nur etwas Irdisches: Brian Swimm, Kosmologe und Physiker, ist der Meinung, die gesamte Galaxie sei aus Musik entstanden. Bereits Pythagoras verglich die Entfernungen zwischen den Planeten mit musikalischen Intervallen und der Mathematiker und Astronom Johann Kepler errechnete 1619 diese Intervalle für die sechs damals bekannten Planeten und den Mond.3 Auch Tiere produzieren Musik, man denke nur an das Zwitschern der Vögel oder das Zirpen der Grillen im Sommer. Tiere kommunizieren über Klänge. Alles in der Natur klingt: Das Rauschen des Windes in Bäumen, das Plätschern eines Flusses, das Krachen eines Blitzes, selbst das Wachsen eines Pilzes produziert Schwingungen, die als Klang dargestellt werden können.

Musik des Universums, Klänge der Natur, Musik der Tiere... Musik meint offensichtlich mehr als die Charts im Radio und Violinen- und Klavierkonzerte, mehr als Chorgesänge und Gutenachtlieder, mehr als die Rhythmen der Trommeln afrikanischer Urvölker, mehr als das heimische Flötenspiel. „Musik ist, was klingt!“4 So definiert Fritz Hegi den Terminus Musik in seinem Buch „Improvisation und Musiktherapie“ und diese knappe, sehr weite Definition soll auch dieser Arbeit als Grundlage dienen. Demnach sind alle oben genannten Klänge und Geräusche, zunächst alle hörbaren Klänge Musik.

Demzufolge ist Musiktherapie Therapie durch Klänge.

Diese Klänge werden in der Musiktherapie häufig vom Patienten selbst produziert, entweder mit Instrumenten (zumeist Orff-Instrumente) oder mit der Stimme. Doch diese somit produzierte Musik hat nicht den Sinn,schönzu sein, sie soll dem Patienten als Ausdrucksmittel seiner Gefühle, Gedanken und Probleme dienen. „Musiktherapie als psychotherapeutische Methode ist der Versuch, geistige, psychische oder körperliche Leiden eines Patienten mit dem Mittel der Musik fühlbar und bewußt zu machen und sie dadurch einer Heilung zuzuführen.“5

Musik dient als Kommunikationsmittel. Sie soll dem Patienten helfen, sich auszudrücken, Kontakt mit dem Therapeuten und - in Gruppentherapie - zu anderen Patienten aufzunehmen; sie soll ihm einen Zugang zu sich selbst und durch den Selbstausdruck und durch Zuhören, auch einen Zugang zu anderen verschaffen.6

„Sich selbst, d.h. Gedanken, Gefühle, Wünsche, Vorstellungen durch Musik auszudrücken, sie in der Gruppe zu erleben, Musik als Mittel nonverbaler Kommunikation zu erfahren und umzusetzen, dies sind die Schwerpunkte der Musiktherapie [.. .].“7

Es stellt sich die Frage, ob nicht eine musikalische Vorbildung Voraussetzung für eine erfolgreiche Musiktherapie ist. Der Patient muss doch zumindest über Grundkenntnisse über das Instrumentenspiel verfügen, sonst kann er doch gar nichtsRichtigesproduzieren.

Aber dem ist eben gerade nicht so. Im Gegenteil: Geschulte Musiker neigen eher dazu, ihre Probleme, Gefühle und Gedanken hinter „schönem Musizieren“ zu verstecken. Laut Fritz Hegi tun dies viele Patienten, „weil sei sich dadurch eine vordergründige garantierte Bestätigung oder Anerkennung und damit eine Zufriedenheit einhandeln, die wiederum einen Veränderungs- und Leidensdruck zuzudecken vermag.“8

Diese Arbeit will einen Einblick in die Musiktherapie und ihre vielfältigen Ansätze, Konzepte und Modelle geben. So wird im folgenden Kapitel die Wirkung der Musik auf die Psyche allgemein dargestellt. Im dritten Kapitel werden zwei grundlegende Arten von Musiktherapie vorgestellt und verschiedene psychologische Ansätze skizziert. Darauf aufbauend werden einige praktische Modelle von Musiktherapie dargestellt und verglichen. Im vierten Kapitel werden verschiedene Anwendungsfelder beispielhaft vorgestellt. Das darauf folgende Fazit (Ausblick) gibt eine knappe Zusammenfassung über die Arbeit sowie einen Überblick über die derzeitige Situation der Musiktherapie in Deutschland.

2 Die Wirkung von Musik auf die Psyche

Eine der ersten Wahrnehmungen eines Embryonen ist Rhythmus, der Herzschlag der Mutter und deren Atem. Kommt der Säugling auf die Welt, erwartet ihn ein Chaos an Klängen, die er nach und nach zu differenzieren lernt. Alles um uns herum klingt, wir sind ständig von Musik umgeben. Daher ist die Annahme sehr nahe liegend, dass Musik einen entscheidenden Einfluss auf unsere Psyche hat. Jeder kennt die Wirkung von Musik auf unsere Stimmungen: Ein langsames Klavierstück oder ein ergreifendes, ruhiges Poplied können uns traurig stimmen oder auch beruhigen, Rock- oder Punkmusik kann unter Umständen aggressiv machen. Musik wird auch in der Wirtschaft gezielt eingesetzt: Die Hintergrundmusik in Kaufhäusern und Supermärkten soll Kunden zum längeren Bleiben und zum Kaufen verführen. Die besondere Wirkung von Musik auf Stimmungen lässt sich auch gut an Filmmusik verdeutlichen: Was wäre der erste Kuss eines sich ewig suchenden Liebespaares ohne romantische Hintergrundmusik oder das Näherkommen des Mörders in einem Horrorfilm ohne spannungssteigernde Musik? Die Wirkung letzter lässt sich leicht überprüfen, indem man an der entsprechenden, nervenzerreißenden Stelle den Ton abstellt -sofort ist die Spannung nur noch halb so stark.

Auch dass Musik gewisse Erinnerungen hervorrufen und somit Gefühle reproduzieren können, ist allgemein bekannt. Man denke nur an das Liebeslied, was man seiner Geliebten kurz nach dem Kennenlernen widmete oder an das Gutenachtlied, welches die Mutter früher zum Einschlafen sang. „Musik wirkt auf das „Es“, das „Ich“ und das „Über-Ich“ des Menschen. Sie kann primitive Instinkte aufrühren, zum Ausdruck bringen, gar helfen, sie freizusetzen - sie kann das Ich stärken helfen, Gefühle gleichzeitig freisetzen und beherrschen, dem Zuhörer und dem Ausführenden ein Selbstwertgefühl geben, sie kann bestimmte Gefühle veredeln und den Wunsch nach Vollkommenheit durch hohe ästhetische und geistige Erfahrungen erfüllen. Musik kann die ganze Skala menschlicher Erfahrungen zum Ausdruck bringen, da sie mit allen drei Ebenen seiner Persönlichkeit in Beziehung steht.“9

Doch Musik wirkt nicht nur auf die Psyche, sondern auch auf physische Vorgänge, wie zum Beispiel den Puls, den Blutdruck, die Atmung und Hormonausschüttung.10

In welcher Beziehung psychische und physische Wirkung der Musik zueinander stehen, darüber ist sich die Wissenschaft noch uneinig. Wahrscheinlich ist, dass sie sich gegenseitig oder wechselseitig beeinflussen:11 Hektische, stark rhythmisierte Musik lässt den Puls schneller schlagen und dadurch werden wir unruhig. Auf der anderen Seite rüttelt uns Musik psychisch auf, wodurch der Puls steigt, noch stärker, wenn wir mit dem Lied bestimmte Erinnerungen verbinden. Wie gesagt, wahrscheinlich ist beides der Fall.

Diese Vielzahl an Wirkungen von Musik vor allem auf die Psyche macht sich die Musiktherapie zunutze.

Josef Haas zählt in seinem Buch „Musiktherapie bei psychischen Störungen“ die Wirkungsweise der Musik auf:

- „Musik ist nicht <Objekt> der Betrachtung oder Reproduktion, also ein invariantes <Gebilde>, das zu durchschauen, zu verstehen oder <nachzuvollziehen> ist, sondern bildet eine Klasse von spezifischen Verhaltensformen.
- Musikalisches Verhalten hat die Form der Interaktion, die zwischen Individuen oder Gruppen stattfindet, indem sie wechselseitig kommunikativ in Verbindung treten.
- Musikalische Kommunikation ähnelt insofern verbalsprachlicher Kommunikation, als die kommunikative Elemente <Töne>, <Klänge>, <Rhythmus>, <Melodien> usw. Zeichencharakter besitzen oder bekommen, für deren Verwendung Regeln bestehen oder entwickelt werden.
- Musik kann - so gesehen - als Sprache in einem erweiterten Sinn interpretiert werden. Der Unterschied zur verbalen Sprache besteht vor allem darin, daß jene hauptsächlich zum Ziel hat, <irgendeine Handlung hervorzurufen, zu ändern oderjemanden zur Unterlassung einer Handlung zu bewegen>.“12

Diese kommunikative Funktion spielt in der Musiktherapie vor allem in der Kontaktaufnahme eine wichtige Rolle: Kontakt (oder Zugang) des Patienten zu sich selbst, zu anderen Teilnehmern, zum Therapeuten. Diese Kontaktaufnahme erfolgt meist über das aktive Musizieren oder besser Improvisieren. Wichtig für die Interpretation des Gespielten durch den Therapeuten ist die Symbolbildung. „Geht es doch beim Beschreiben der inneren Dynamik einer Improvisation um eine Verständigung über die psychologische Bedeutung von etwas - hier: Musik -, für das die Sprache nur annäherungsweise Metaphern, Bilder oder Gefühle bereitstellt.“13

Psychische Probleme, Spannungen und Unsicherheiten in Musik darzustellen bzw. zu interpretieren statt sie sprachlich zu beschreiben hat vor allem den Vorteil, dass die Darstellung sich nicht so schnell erschöpft. Fritz Hegi bezeichnet Musik als etwas „Unendliches, Unfaßbares“, während die Sprache „vorgefertigt“ und „schnell verbraucht“ ist.14 „Die Musik als symbolische Gestalt beginnt dort, wo die Sprache mit ihrer Verständniskraft aufhört.“15

Ein Musiktherapeut muss also die Symbole, also das von dem Patienten in seiner Musik Ausgedrückte erfassen und richtig deuten können. Dies kann auf Basis von unterschiedlichen psychologischen Ansätzen erfolgen.

[...]


1 Vgl.: Alvin, Juliette (1984): Musiktherapie - Ihre Geschichte und ihre moderne Anwendung in der Heilbehandlung. dtv/Bärenreiter, München: 13 ff.

2 Vgl: Merritt, Stephanie (1998): Die heilende Kraft der klassischen Musik - Eine Entdeckungsreise zu mehr Kreativität und Lebensenergie durch Musik. Kösel-Verlag, München: 141

3 Vgl.: Merritt (1998): 140f.

4 Vgl.: Hegi, Fritz (1990): Improvisation und Musiktherapie - Möglichkeiten und Wirkungen von freier Musik. Junfermann-Verlag, Paderborn: 69

5 Vgl.: Hegi, Fritz (1990): Improvisation und Musiktherapie - Möglichkeiten und Wirkungen von freier Musik. Junfermann-Verlag, Paderborn: 152

6 Vgl.: Lenz, Martin/ Tüpker, Rosemarie (1998): Wege zur musiktherapeutischen Improvisation. LIT, Münster: 11

7 Rett, Andres/ Grasemann, Friederike/ Wesecky, Albertine (1981): Musiktherapie für Behinderte. Verlag Hans Huber, Bern/Stuttgart/Wien: 10

8 Hegi (1990): 157

9 Alvin (1984): 69

10 Vgl.: chirurgie-portal: Alternative Medizin: Musiktherapie

11 Vgl.: Alvin (1984): 65

12 Reinecke, H.P.: Kommunikative Musikpsychologie, in: Harrer, G. (1975): Grundlagen der Musiktherapie und Musikpsychologie, Stuttgart: 100In:Haas, Josef (1983): Musiktherapie bei psychischen Störungen. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart - New York: 2

13 Mahns, Wolgang (2004): Symbolbildung in der analytischen Kindermusiktherapie. LIT, Münster: 81

14 Vgl.: Hegi (1990): 152f.

15 Hegi (1990): 152

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Musiktherapie. Wirkung und Anwendung
Hochschule
Universität Hildesheim (Stiftung)
Note
1
Autor
Jahr
2009
Seiten
20
Katalognummer
V172230
ISBN (eBook)
9783640920259
ISBN (Buch)
9783640920266
Dateigröße
533 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Musiktherapie, Musikpsychologie, Musik, Therapie, Klangtherapie, Orff, Orff-Musiktherapie
Arbeit zitieren
Sara Müller (Autor:in), 2009, Musiktherapie. Wirkung und Anwendung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/172230

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