Der stalinistische GULag - eine moderne Form der Sklaverei


Seminararbeit, 1998

14 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALT

1. Einleitung

2. Archipel GULag

3. Herr - Herrscher – Verantwortlicher

4. Die Lagerinsassen als Arbeitsklaven

5. Rechtliche Abhängigkeit

6. Eine namenlose Masse

7. Schlußwort

Literaturverzeichnis

1. EINLEITUNG

"Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Im 19. Jahrhundert wurde die Sklaverei abgeschafft, zuerst von den Kolonialmächten, wie zum Beispiel von England 1833, dann in den USA 1862-65. Als letztes schloß sich Brasilien 1888 an. Wurde sie wirklich abgeschafft? Noch 1926 erachtete es der Völkerbund als notwendig, die internationale Zusammenarbeit zur Bekämpfung der Sklaverei in einer Antisklavereiakte festzulegen. Darin heißt es, daß "niemand in Sklaverei oder Knechtschaft gehalten werden soll; Sklaverei und Sklavenhandel sollen in allen ihren Formen verboten sein."[1]

Zwei Jahre später, 1928/29, kam es in der Sowjetunion zu einer entscheidenden Wende. Jossif Wassarionowitsch Stalin war seit vier Jahren an der Macht. Diese Wende vollzog sich in erster Linie auf dem Gebiet der Wirtschaft: mit der Verabschiedung des ersten Fünf-Jahr-Planes wurde die staatliche Planwirtschaft eingeführt. Stalin beschloß eine weder der Entwicklung noch den Fähigkeiten der Sowjetunion entsprechende Industriealisierung. Es war eine Wende mit unabsehbaren Folgen für die Bevölkerung. Es war ein Jahr, das die Sowjetunion kulturell und zwischenmenschlich für Jahrzehnte prägte. In einem Land, das seine Gesellschaftsordnung als geschichtlich und vor allem moralisch höherwertig im Gegensatz zum Kapitalismus betrachtete, wurden Millionen von Menschen kriminalisiert, in Lagern und Gefängnissen isoliert und zur Erfüllung ehrgeiziger Großprojekte teilweise jahrzehntelang ihrer Freiheit beraubt. Zehntausende starben. Ein ganzes Volk verlor seine Würde.

Die Geschichte des GULag, Stalins Rolle und die Frage nach dem Warum einer solchen menschenverachtenden Politik ist bis heute nicht vollständig geklärt. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 kam Hoffnung auf, nun besser über ein totgeschwiegenes Problem forschen zu können. Und tatsächlich wurde anfänglich der Zugang zu Akten erleichtert. Heute hat sich die Situation wieder geändert. Weggesperrte oder verschwundene Akten erschweren erneut die Forschung. Die Zeit tut das ihre dazu: viele Zeugen sind schon gestorben, es wird von verschimmelnden Aktenbergen berichtet und der Bau von Städten und Plätzen macht die Suche nach Massengräbern und anderen Spuren unmöglich. Als Kind der DDR habe ich nie etwas darüber erfahren. Um so betroffener stehe ich vor den Fakten, die sich mir eröffnen, war doch die Sowjetunion immer unser "großer Bruder", dem nachzueifern es galt. Ein furchtbarer Vergleich drängte sich mir beim Studium dieses Themas auf. Die Ausbeutung und die Rechtlosigkeit der Lagerhäftlinge erinnert fatal an Sklaverei. Ist der Vergleich haltbar?

Unter dieser Fragestellung werde ich meine Arbeit aufbauen. Es ist mir bewußt, daß wissenschaftliche Arbeiten das größtmögliche Maß an Objektivität fordern, auf Fakten basieren sollen, nicht auf Glauben oder persönlicher Ansicht. Ich halte das auch für richtig und notwendig. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wohin das Verheimlichen oder Verdrehen von Fakten führen kann. Ich möchte Wissen und dieses auch vermitteln. Gerade bei dem Thema Lager aber stellt sich mir noch ein anderes Problem. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema, genauso wie die mit Diktaturen, Kriegen und Menschenrechtsverletzungen aller Art, darf - eben weil sie uns alle betrifft - meiner Meinung nach nicht nur auf purer Aneinanderreihung von Daten beruhen. Der Standpunkt des Autors einer Arbeit zu diesem Thema sollte doch zumindest indirekt deutlich werden. Bei der bloßen Analyse von Zahlen und Fakten werden allzu schnell die menschlichen Schicksale, die dahinterstecken übersehen. Und ohne eine Stellungnahme wird es zudem schwer, Interpretationen der Fakten, Tendenzen des Leugnens und Verdrehens von Sachverhalten oder ideeller Benutzung des Themas entgegenzuwirken.

In meiner Arbeit beziehe ich mich vor allem auf das Buch von Ralf Stettner: „Archipel GULag“: Stalins Zwangsarbeitslager, Terrorinstrument und Wirtschaftsgigant.[2] Stettners Arbeit ist eine aufschlußreiche und geradezu akribische Zusammentragung (aller) bis dahin im westlichen Ausland verfügbarer Daten. Seine Thesen stellen eine fundierte Grundlage für die weitere Forschung dar. Menschenschicksale aber verschwinden hinter Zahlen und "faszinierenden" Zusammenhängen. Das Buch Stettners kann meines Erachtens leicht Gefahr laufen, aus stalinistischer Sicht (die sicherlich nicht die Sicht Stettners ist) interpretiert zu werden. Solche Interpretationen können beispielsweise die wirtschaftliche Effizienz von Zwangsarbeit als positiv herausarbeiten oder aber sich auf die ausgeklügelte, "erfolgreiche" Organisation eines solchen Lagerapparates berufen. Es ist mir wichtig, mich nicht in den gleichen Tonfall wie Ralf Stettner zu begeben, selbst auf die Gefahr hin, als subjektiv kritisiert zu werden.

2. ARCHIPEL GULag

Das Wort GULag steht für Lagerhauptverwaltung. Das Wort hat sich eingebürgert. Auch die einzelnen Lager wurden GULag genannt. Mit diesem Wort verbindet sich eine allgegenwärtige Angst, "dorthin" zu kommen. Es steht für den Größen- und Verfolgungswahn eines damals noch geliebten "Väterchen" Stalin, dem wohl der größte Teil der sowjetischen Bevölkerung nie zugetraut hätte, der Hauptverantwortliche zu sein. Briefe und Gerichtsaussagen sprechen für

sich: "... das Wichtigste aber für mich ist, dem Gericht, der Partei und Stalin zu sagen, daß ich nicht schuldig bin. Ich habe mich nie einer Verschwörung schuldig gemacht. Ich werde sterben in dem Glauben an die Richtigkeit der Politik

der Partei, wie ich das mein Leben lang geglaubt habe" (Herr (Genosse) Eiche)[3].

Zwangsarbeitslager entstanden nicht erst unter Stalin. Es gab sie schon in der Zarenzeit. Nach 1917, dem Jahr der Oktoberrevolution, waren es Lenin und Trotzki, die das gedankliche und ideologische Grundgerüst dafür entwarfen. Bis 1924, Lenins Tod und Stalins Machtantritt, existierten Lager vor allem vor dem Hintergrund des Besserungsgedanken. Arbeiter mit kleinen Verfehlungen sollten im Lager und durch die Arbeit zu "guten Sowjetmenschen" erzogen werden. Diese Lager standen aber nicht für sogenannte Konterrevolutionäre (Beamte, Pfarrer oder Militärangehörige aus der Zarenzeit) und politische Gegner zur Verfügung. Sie wurden zumeist im Norden des Landes in anderen Lagern vom Rest der Bevölkerung isoliert. Obwohl die Zahl der Zwangsarbeitslager unter Lenin schon deutlich höher lag als in der Zarenzeit, so war doch die Dimension, die dieses Lagersystem unter Stalin annehmen sollte, nicht abzusehen. Unter ihm wurden die Lager, wie Stettner herausarbeitet, sowohl Terrorinstrument als auch Wirtschaftsgigant. Von dem Leninschen Besserungsgedanken wurde schnell abgerückt. Erst diente er noch der Propaganda, später ließ man ihn ganz fallen. Die wirtschaftliche Bedeutung von Zwangsarbeit rückte in den Vordergrund. "Nachdem die Möglichkeiten des GULag als Wirtschaftsunternehmen erkannt wurden, entwickelte sich der GULag von einem Apparat, der als Reaktion auf Verhaftungen konzipiert war, zu einem immer mehr anwachsenden Gebilde, das seinerseits Personalnachschub in der Form von neuen Massenver-

haftungen erforderte."[4] Der GULag, dem NKWD (Volkskommissariat des Innern) unterstellt, verselbständigte sich. Er entwickelte sich zu einem Staat im Staate. Seine Funktion als herrschaftssicherndes Terrorinstrument und die Bedeutung als Wirtschaftssystem sind nicht voneinander trennbar. Sie bedingten sich gegenseitig.

Erst nach dem Tod Stalins 1953 wurde ein Großteil der Lager aufgelöst. In seiner Geheimrede vom 25. Februar 1956 auf dem XX. Parteitag der KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion) deckt Chruschtschow Zusammenhänge zwischen der Person Stalins, seinen engsten Vertrauten wie Berija, Jeshow und Jagoda, dem NKWD und dem Stillhalten der Partei auf. Die Rede kam für viele Delegierte dieses Parteitages überraschend. An den Reaktionen auf die Anschuldigungen ist die Unwissenheit um diese Zusammenhänge abzulesen. Stalin wird als ein "sehr argwöhnischer, krankhaft mißtrauischer Mensch" bezeichnet.

"Überall und in allem sah er 'Feinde', 'Doppelzüngler und 'Spione'. Da er eine unbegrenzte Macht besaß, war er in höchstem Maße selbstherrlich und drückte jedermann physisch und moralisch an die Wand. So entstand eine Situation, in

der man seinen eigenen Willen nicht mehr zum Ausdruck bringen konnte"[5] Der GULag wurde abgeschafft, 1958 waren 70% der Häftlinge entlassen. Viele wurden (zu spät) rehabilitiert. Einige Zwangsarbeitslager existierten jedoch noch bis 1991, dem Jahr des Zusammenbruchs der Sowjetunion, unter dem althergebrachten Namen "Besserungsarbeitskolonie" fort. Allerdings hatten diese Lager die herschaftssichernde und wirtschaftliche Bedeutung der stalinistischen Lager verloren.

[...]


[1] Meyers kleines Lexikon Politik. Mannheim; Wien; Zürich, 1986, S.371

[2] Stettner, Ralf: „Archipel GULag“: Stalins Zwangslager, Terrorinstrument und Wirtschaftsgigant, Schöningh, Paderborn, 1996

[3] nach Chruschtschow: Geheimrede vom 25. Februar 1956, in Crusius, Reinhard; Wilke, Manfred: Entstalinisierung, Der XX. Parteitag der KPdSU und seine Folgen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1977, S.506

[4] Stettner, S. 173

[5] Chruschtschow, S. 509

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Der stalinistische GULag - eine moderne Form der Sklaverei
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Fachbereich Politische Wissenschaft)
Veranstaltung
Lager, ein Kernbestandteil nationalsozialistischer und stalinistischer Herrschaft
Note
1,3
Autor
Jahr
1998
Seiten
14
Katalognummer
V17179
ISBN (eBook)
9783638218146
ISBN (Buch)
9783638788052
Dateigröße
496 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Dichter Text - einzeiliger Zeilenabstand.
Schlagworte
GULag, Form, Sklaverei, Lager, Kernbestandteil, Herrschaft
Arbeit zitieren
Antje Krüger (Autor:in), 1998, Der stalinistische GULag - eine moderne Form der Sklaverei, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17179

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