Die Pressekrise: Ursachen, Reaktionen, Konsequenzen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

61 Seiten, Note: noch nicht


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung und Gliederung

2. Die Ursachen der Krise
2.1 Die wirtschaftlichen Probleme der Printmedien
2.1.1 Der Anzeigenmarkt
2.1.1.1 Klassische Werbeanzeigen
2.1.1.2 Rubrikenanzeigen
2.1.2 Verlegerische Fehlentscheidungen:
2.2 Bedeutungsrückgang der Tageszeitungen
2.2.1 Auflagenhöhe
2.2.2 Reichweite und Anteil an der Mediennutzung:
2.3 Krisendefinition:

3. Reaktionen auf die Krise
3.1 Einstellung von Zeitungen
3.2 Personalreduktion
3.2.1 Kostenreduktion und Personalabbau durch Verzicht auf Zeitungsteile und Beilagen
3.2.2 Personalabbau durch verstärkte Kooperationen
3.2.3 Personalabbau durch Outsourcing
3.2.4. Personalabbau durch Aufgabenverlagerung
3.3 Kürzungen der Redaktionsetats
3.3.1 Gehaltsverzicht
3.3.2 Honorarkürzungen bei freien Mitarbeitern
3.3.3 Verzicht auf Foto- und Grafikmaterial und sonstiges Kürzungen
3.3.4 Veränderung der Reisekostenetats
3.4 Auflagenrelevante Maßnahmen:
3.4.1 Einschränkung der Marketingaktivitäten
3.4.2 Senkung der Remissionsquote
3.4.3 Erhöhung der Vertriebspreise
3.4.4 Rentable Auflage?

4. Die Konsequenzen der Krise
4.1 Individuelle Konsequenzen für Journalisten
4.1.1 Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt
4.1.2 Auswirkungen für freie Journalisten
4.1.3 Auswirkungen für Redakteure
4.2 Steigender Einfluss von Anzeigenkunden und PR-Unternehmen
4.3 Rückgang journalistischer Qualität

5. Zusammenfassung und Schluss

Quellen

Literatur:

Aufsätze und Artikel in Fachpublikationen:

Artikel in Zeitungen und Zeitschriften:

Rundfunkbeiträge:

Internetquellen:

1. Einleitung und Gliederung

Die Anzeige hatte es in sich: „Deutsche Profi-Journalisten in Südostasien bearbeiten und formulieren ihre Rohtexte: Kompetent – individuell – zeilengenau.“[1] So warb vor einiger Zeit das Journalistenbüro „European Asian Business Network“ (EABN) für seine Dienste. „Ohne Vertrag, ohne zeitliche Bindung, ohne Kündigungsfristen“[2], arbeiten die EABN-Schreiber und Dank des Firmensitzes in Thailand „konkurrenzlos billig“[3]. Dumping-Journalismus aus Fernost? So bizarr das Angebot auch klingen mag, es passt zur Lage auf dem Deutschen Medienmarkt, zur „größten Krise der Printmedien seit dem 2. Weltkrieg“[4]. Über einen Mangel an Aufträgen jedenfalls kann sich das „Business Network“ nicht beschweren. Die Krise macht’s möglich.

In der Tat hat sich die wirtschaftliche Basis der Presse seit Ende 2001 dramatisch verschlechtert: Alarmierender Werberückgang, Auflagenschwund und rote Zahlen bestimmen die Lage.[5] Kernziel dieser Hausarbeit ist es, die Ursachen, Reaktionen und Auswirkungen der Pressekrise und der damit einhergehenden Sparmaßnahmen zu analysieren und zu interpretieren. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den möglichen Veränderungen der journalistischen Arbeitsbedingungen. Um die Übersichtlichkeit zu wahren, werde ich mich vor allem auf die Sparmaßnahmen und Veränderungen im Bereich der Tageszeitungen[6] konzentrieren. Dabei steht die Situation der größten Journalistengruppe – die der fest angestellten Redakteure[7] – im Vordergrund. Auf eine herausgehobene Darstellung der Lage freier Journalisten und Volontäre wird bewusst verzichtet. Gelegentliche Verweise sollen jedoch helfen, das Gesamtbild zu vervollständigen.

Eine wissenschaftliche Analyse sollte mit der Klärung der Begriffe beginnen. Aus diesem Grund werde ausgehend von den Ursachen zuerst den zentralen Begriff Krise definieren und seine Angemessenheit in Bezug auf die aktuelle Situation der Tageszeitungen untersuchen. Diese Vorarbeit bietet eine solide Basis, um die Reaktionen der Verlage auf die Krise darzustellen und Art und Umfang von Sparmaßnahmen in den Redaktionen zu beschreiben. Im Mittelpunkt steht dabei der Personalabbau in den Verlagen. Ausgehend davon werde ich auf die Folgen der Einsparungen eingehen und auf die individuellen Konsequenzen für den einzelnen Journalisten zu sprechen kommen, aber auch globalere Auswirkungen wie den wachsenden Einfluss von Anzeigenkunden und PR-Agenturen, sowie die Veränderung redaktionelle Qualität insgesamt analysieren. Am Ende der Arbeit steht eine überblicksartige Zusammenfassung der Ergebnisse.

Bei noch andauernden Entwicklungen spielt naturgemäß der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle. Um dem Rechnung zu tragen, ist es notwendig, Quellen zu verwenden, die helfen, das aktuelle Geschehen einzuordnen. Dazu zählen auch journalistische Beiträge, die in dieser Hausarbeit häufig als Beleg verwendet werden. Dies ist auch dem Forschungsstand geschuldet - derzeit gibt es nur sehr wenig empirisches Material zu Auswirkungen und Umfang der aktuellen Entwicklung.

2. Die Ursachen der Krise

Wenn in der Vergangenheit der Begriff „Pressekrise“ fiel, ging es fast immer um ethische Auseinandersetzungen, um Moral und Tugend, die bei der Berichterstattung auf der Strecke blieben. Seit zwei Jahren hat sich die Verwendung des Begriffs geändert. „Die Krise“ – das sind nicht mehr fragwürdige Recherchepraktiken, Paparazzibilder oder gefälschte Interviews. Inzwischen geht es um Entlassungen, Schließungen und Kürzungen in den Medien. Fast intuitiv und mitunter allzu unreflektiert fällt dabei der Begriff ‚Krise’.

Der Duden umschreibt die ‚Krise’ als eine „schwierige Lage, Situation“[8] und zugleich als eine Zeit, „die den Höhe- u. Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung“[9] markiert. In diesem Sinne verstanden, erfasst das Wort ‚Krise’ die aktuelle Lage der Presse nur sehr unscharf, denn es gibt nicht die eine „schwierige Situation“ in der Zeitungen und Zeitschriften stecken, sondern es gibt eine Vielzahl von Problemen die derzeit zusammentreffen, sich gegenseitig verstärken und unterschiedlicher Lösungen bedürfen. Diese sind einerseits auf kurzfristige ökonomische Ursachen zurückzuführen, andererseits spielen langfristige Veränderungen auf den Anzeigenmarkt und ein Bedeutungswandel des Mediums Tageszeitung eine Rolle.

2.1 Die wirtschaftlichen Probleme der Printmedien

2.1.1 Der Anzeigenmarkt

Für Tageszeitungen galt bisher die Faustregel, dass in guten Jahren rund zwei Drittel der Einnahmen aus Anzeigen stammen und ein Drittel aus den Vertriebserlösen[10]. Der Einbruch ihrer wichtigsten Einnahmequelle trifft die Verlage deshalb besonders hart. Zwei Jahre in Folge gingen die Anzeigeneinnahmen der Tageszeitungen stark zurück: um 14 Prozent im Jahr 2001 und 12,5 Prozent im Jahr 2002[11]. Einen vergleichbaren Rückgang hat es bislang nicht gegeben. Die Zahlen relativieren sich allerdings, betracht man die Bezugsgröße – also das Jahr 2000. Denn: „Der Werbeboom im Jahr 2000 hat die Bilanzen vieler Medienunter­nehmen mit einem Goldrand verziert. Sowohl die Zeitungs- als auch die Zeitschriftenverlage erzielten stolze Einnahmenzuwächse im Werbemarkt.“[12] Tatsächlich stiegen die Anzeigeneinnahmen damals um 8,1 Prozent und auch in den Vorjahren gab es ein solides Wachstum von 3,4 (1999) und 5,6 Prozent (1998).[13] Der überproportionale Einbruch ist somit teilweise auch durch den vorhergehenden überproportionalen Anstieg zu erklären. Zudem ist festzustellen, dass die Werbeumsätze der Tageszeitungen inzwischen wieder deutlich anziehen. Laut „Nielsen Media Research“ erwirtschafteten Zeitungen im ersten Halbjahr 2003 bei den Bruttowerbeeinnahmen ein Plus von 8,3 Prozent[14]. Allerdings beziehen sich diese Zahlen lediglich auf die Markenartikelanzeigen. Bei einer detaillierten Betrachtung muss deshalb zwischen der Entwicklung des klassischen Werbeanzeigen-Marktes und der Entwicklung bei den Rubrikenanzeigen unterschieden werden.

2.1.1.1 Klassische Werbeanzeigen

Die klassischen Werbeanzeigen gelten als Indikator für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Im Aufschwung schalten die Unternehmen in der Regel verstärkt Anzeigen. In der Rezession ist das Gegenteil der Fall. Anhand der aktuellen Einbußen lässt sich dieser Zusammenhang zur volkswirtschaftliche Entwicklung gut nachvollziehen.

Der Anzeigenrückgang ist zeitlich und inhaltlich eng verknüpft mit dem Ende der so genannten „New-Economy-Blase“, die nach heftigen Übertreibungen auf den Aktienmärkten zu drastischen Kurseinbrüchen führte. Nahezu analog entwickelte sich der Anzeigenmarkt. Im Verlauf des Booms wurden zusätzliche Milliardenbeträge in den Werbemarkt gepumpt. Anzeigen für Neuemissionen von Startup-Firmen und Telekommuni­kations­­unternehmen, für Finanzprodukte, Internetportale und Über­nahme­­schlachten[15] sorgten für eine rasant steigende Zahl von Anzeigenseiten. Mit dem Einbruch der Aktienmärkte und parallel zum Rückgang des Wirtschaftswachstums schränkten die Unternehmen auch ihre Werbemaßnahmen drastisch ein.[16] Im Jahr 2001 sanken etwa die Werbeausgaben für Finanzanlagen insgesamt um 46 Prozent und die für Telekommunikationsunternehmen um 38 Prozent.[17] „Allein die Deutsche Telekom halbierte ihre Werbeausgaben im Jahr 2001 und entzog dem Werbemarkt so 100 Millionen Euro.“[18] Betroffen waren von den Einsparungen wohl vor allem überregionale Tageszeitungen und auflagenstarke Regionalzeitungen. Lokalzeitungen sind dagegen aufgrund ihrer geringeren Auflage für große Anzeigenkunden generell nur von begrenztem Interesse – insofern dürfte auch hier ein Rückgang zu spüren gewesen sein, er wird allerdings nicht ein vergleichbares Ausmaß erreicht haben. Bemerkenswert ist auch, dass sich das Anzeigenniveau inzwischen wieder stabilisiert hat. Vor allem Discounter wie Lidl, Aldi und Plus sowie Textilhändler wie C&A geben wieder mehr Geld für Zeitungsinserate aus.[19]

Insgesamt lässt sich somit feststellen, dass der Rückgang klassischer Werbeanzeigen in seinen Ausmaßen zwar drastisch ausfiel, die Einbußen aber zeitlich begrenzt und konjunkturbedingt sind. Von einer dauerhaften oder strukturellen Krise kann somit in diesem Bereich nicht gesprochen werden.

2.1.1.2 Rubrikenanzeigen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Rubrikenanzeigen (Stellenanzeigen, Immobilienmarkt, Kfz-Angebote etc.) sind „das Brotgeschäft der Tageszeitungen“[20], vor allem aber eine tragende Säule des Ertrags der überregionalen Blätter. Mehr als die Hälfte der Werbeeinnahmen wird hier erwirtschaftet, wobei wiederum die Stellenanzeigen den Hauptanteil bilden. Zum Beispiel bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ): Von jeher verdient die „Zeitung für Deutschland“ ihr Geld vor allem mit den Jobangeboten ihrer Wochenend-Ausgabe. In guten Zeiten erzielte die FAZ fast 60 Prozent ihrer Einnahmen aus Stellenanzeigen.[21]

„Gegenüber dem Boom-Jahr 2000 hat die FAZ nun über drei Viertel ihrer Stellenanzeigen verloren.“[22] Entsprechend sind die Konsequenzen:

Ein Großteil der Einnahmen ist ersatzlos weggebrochen. Vergleichbar, wenn auch nicht ganz so stark sind die Einbußen bei der Mehrzahl der überregionalen Zeitungen[23]. Die Umfänge der Stellenanzeigen gingen bei ihnen in der ersten Hälfte 2002 um 49,9 Prozent zurück (siehe Tabelle). Erstaunlicherweise waren auch regionale Abotitel (-40,3%) und Kaufzeitungen (-42,6%) stark betroffen. Anzumerken bleibt aber, dass für diese Zeitungsgattungen, der Stellenmarkt einen viel geringeren Anteil an den Gesamteinnahmen darstellt; der Rückgang somit auch nicht die negativen Gesamtauswirkungen hat.

Neben den Stellenanzeigen spielen auch Immobilien- und KfZ-Anzeigen eine herausgehobene Rolle im Rubrikenmarkt der Zeitungen. Auch hier gibt es eine negative Tendenz. Die Entwicklung fällt allerdings nicht annähernd stark aus (siehe Tabelle).

Unstrittig ist, dass die deutlichen Rückgänge im Rubrikengeschäft teilweise auf konjunkturelle Ursachen zurückzuführen sind, zumal vor allem Stellenanzeigen als „sehr volatiles Geschäft“[24] bekannt sind. Dies steht im Einklang mit der praktischen Alltagserfahrung: Wenn Unternehmen im wirtschaftlichen Abschwung Stellen streichen, werden sie auch weniger Stellenangebote in den Zeitungen annoncieren. Unabhängig von diesen gesamtwirtschaftlichen Einflüssen ist bislang ungeklärt, ob und in welchem Ausmaß sich auch eine dauerhafte Verlagerung der Rubrikenanzeigen in das Internet vollzieht. Einige Anzeichen sprechen aber für eine partielle Abwanderung: So existieren im Internet zahlreiche Anbieter wie „Monster.de“, „Jobpilot“ oder „stepstone“.

Zudem veröffentlichen größere Unternehmen Stellenausschreibungen auf ihren Homepages. Gleiches vollzieht sich auf dem KfZ- , Immobilien und übrigen Kleinanzeigenmarkt, wo reine Online-Anbieter wie „autoscout24.de“, „immobilien24.de“ oder „Ebay“ inzwischen mit den Tageszeitungen konkurrieren. „Bei KfZ-Anzeigen wurden die Tageszeitungen schon größtenteils vom Markt verdrängt.“[25], was kaum überrascht, da die Internet-Wettbewerber gegenüber den Zeitungen eine Reihe von technischen Vorteilen bieten: höhere Zahl von Angeboten, niedrigere Anzeigenpreise, bessere Auffindbarkeit (genaue Suchfunktionen) und höhere Anschaulichkeit (Einsatz von Bildern z.B. bei Immobilien und Autos). Auf der anderen Seite verfügen Zeitungen ebenfalls über Wettbewerbsvorteile. Dazu zählen nicht nur weiche Faktoren wie langjährige Kundenbindung, Vertrauen in die Zeitung, Lokalkompetenz etc. sondern auch die schlichte Tatsache, dass noch immer 55,9 Prozent der Deutschen keinen Zugang zum Internet haben.[26] Hinzu kommt, dass Zeitungen selbst dazu übergegangen sind, ins Online-Rubrikengeschäft einzusteigen.

Es ist also weder davon auszugehen, dass sämtliche Rubrikenanzeigen ins Internet abwandern, noch muss befürchtet werden, dass ausschließlich die nichtjournalistischen Anbieter von der Abwanderung profitieren. Klar ist allerdings auch, dass die Tageszeitung dadurch auf einen Teil der gewohnten Werbeeinnahmen aus dem Rubrikengeschäft dauerhaft verzichten muss. Nach einer Prognose des Kommunikations­wissenschaftlers Axel Zerdick kommen zwei Drittel der Rubrikenanzeigen nicht zu den Zeitungen zurück[27] und auch Meyer-Lucht befürchtet über die aktuelle Krise hinaus „hohe Marktanteils und Umsatzverluste.“[28]

Dies würde auch erklären, warum die Entwicklung der klassischen Markenartikelanzeigen und die der Rubrikenanzeigen inzwischen gegensätzlich verlaufen.[29]

Die Veränderungen scheinen somit zum Teil struktureller Natur zu sein und könnten grundlegende Folgen für die wirtschaftliche Basis der Zeitungen haben – vor allem für die überregionalen Titel. Insofern hat die derzeitige Krise im Rubrikengeschäft eine strukturelle und eine konjunkturelle Komponente – mittelfristig könnte es zu einer kleinen Erholung kommen, allerdings wird sich die Zahl der Anzeigen wohl langfristig auf einem Niveau einpegeln, dass unter dem lange Jahre gewohnten Durchschnitt liegt.

2.1.2 Verlegerische Fehlentscheidungen:

In den 90er Jahren sorgten Anzeigenboom, Internethype und Kursgewinne an den Börsen auch in vielen Verlagen für Wachstumseuphorie. Mit weitreichenden Folgen: „Denn was wir heute erleben“, so Horst Röper, „sind zumeist die Folgen krasser Managementfehler von Verlegern.“[30] Statt Rücklagen zu bilden, wurde in den Aufbau und Ausbau von Redaktionen und Ressorts investiert. Aus der heutigen Perspektive erscheinen viele dieser Projekte als waghalsig – damals sah man einen chancenreichen Vorstoß in neue Geschäftfelder, schließlich wurde dem Medium Zeitung „eine große Zukunft“[31] vorhergesagt. Entsprechend aggressiv verfolgten die meisten Unternehmen ihre Expansionsstrategien. Die FAZ etwa leistete sich die Berliner Seiten, baute eine Sonntagszeitung auf, verstärkte Wirtschaftsteil und Feuilleton und gab eine englische Ausgabe der Zeitung heraus. Binnen vier Jahren stieg die Zahl der Redakteure von 450 auf 750.[32] Bei anderen Tageszeitungen – vor allem den überregionalen - sah es ähnlich aus: „Die Welt“ wollte mit einem Regionalteil Bayern erschließen, die „Frankfurter Rundschau“ (FR) leistete sich Berliner Sonderseiten und die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) versuchte sich u.a. an einem Lokalteil für Nordrhein-Westfalen. Zwischen 1992 und 2001 wurden bei der SZ mehr als 100 zusätzliche Redakteure eingestellt[33]. Gleichzeitig stiegen auch die Personalkosten. Vor allem die Gehälter für Wirtschaftsredakteure kletterten sprunghaft, nachdem eine Vielzahl neuer Wirtschaftstitel wie Financial Times Deutschland, Telebörse, Focus Money, Net Business u.a. gegründet wurden und den etablierten Blättern Redakteure abwarben. „Die Nachfrage nach guten Wirtschaftsjournalisten ist momentan gar nicht zu decken“[34], befand damals Nikolaus Pieper, Leiter des SZ-Wirtschaftsressorts. Selbst Lokalzeitungen weiteten die eigene Wirtschaftsberichterstattung aus und Finanzseiten im Internet wurden zum Konkurrenten um Arbeitskräfte – mit entsprechenden Konsequenzen für die Gehälter. Chefredakteure klagten darüber, dass selbst Berufseinsteiger kaum noch unter 150.000 Mark pro Jahr zu bekommen seien.[35]

Die Verlage müssen sich somit vorwerfen lassen, dass sie den Markt mit Wirtschaftstiteln überschwemmt haben, um Anzeigen aus dem Investment-, Börsen- und Telekommunikationsbereich abzuschöpfen. Dabei wurden nicht nur enorme Summen in unrentable Blätter investiert, sondern auch eine Konkurrenzsituation geschaffen, die die Personalkosten künstlich nach oben trieb, wodurch zusätzliche Mittel vernichtet wurden. Ähnliche Entwicklungen gab es im Feuilletonbereich, in dem sich SZ und FAZ gegenseitig die Redakteure abwarben.

Mit den Erträgen aus dem klassischen Zeitungsgeschäft finanzierten die Verlage aber nicht nur redaktionelle Erweiterungen. Seit Mitte der 80er Jahre standen bei den Verlagsmanagern vor allem Investments auf der Tagesordnung, die nur noch am Rande etwas mit dem Kerngeschäft zu tun hatten. So wurden Anzeigenblätter gekauft oder gegründet, Beteiligungen an Radio- oder Fernsehsendern übernommen und neue Druckhäuser gebaut, um vom Anzeigenboom gleich mehrfach zu profitieren. Parallel dazu wurde zunächst in den Bildschirmtext und später in Internetangebote, neuerdings auch in Postdienste investiert.[36] Zumindest die Investitionen seit Ende der 90er Jahre waren bislang alles andere als erfolgreich. Projekte wie das unlängst eingestellte FAZ Business Radio, oder die Beteiligung des Süddeutschen Verlages am Fernsehsender VOX brachten Millionenverluste. Auch beim Onlineengagement wird es so schnell keine positiven Bilanzen geben[37], denn es wird „immer deutlicher, dass die zum Teil stattliche Investitionen ins Internet über die kümmerlichen Werbeeinnahmen im Netz nicht zu finanzieren sind.“[38]

Besonders für Regionalzeitungen verliefen auch immense Investitionen in die Drucktechnik außerordentlich negativ, denn gerade die Druckindustrie ist seit Jahren von deutlichen Überkapazitäten geprägt[39]. Für einen Verlag heißt das: Nachdem Millionensummen für neue Druckstätten ausgegeben wurden, werden diese jetzt nicht ausgelastet, da der Werbemarkt eingebrochen ist, das Druckhaus also weniger Prospekte und Kataloge druckt und eventuell sogar die Auflage rückläufig ist bzw. die Zeitungsumfänge reduziert wurden. Deutlich wird hier der hohe Verflechtungsgrad der Einzelkrisen, oder wie es Peter Glotz formuliert: „Die angespannte wirtschaftliche Situation ist offenbar eine schwierige Verkettung unterschiedlicher kurz- und langfristiger Trends.“[40]

2.2 Bedeutungsrückgang der Tageszeitungen

2.2.1 Auflagenhöhe

Einer dieser angesprochenen langfristigen Trends ist auch der Rückgang der Gesamtauflage der Tageszeitungen. Die Auflagenhöhe gilt oft als Erfolgsmaß einer Zeitung. Sie bildet nicht nur die Publikumsgunst ab, sondern spielt auch eine wichtige ökonomische Rolle. Nicht nur, weil an die Auflage die Vertriebseinnahmen geknüpft sind und der Vertrieb etwa ein Drittel der direkten Einnahmen ausmacht, sondern auch, weil die Auflagenzahlen eines der relevanten Kriterien sind, um die Anzeigenpreise zu bestimmen.[41]

Um so beachtenswerter ist die mittelfristige Entwicklung der unterschiedlichen Zeitungsgattungen: So verbuchte etwa die „Bild“ als klassische Kaufzeitung in den letzten fünf Jahren bei der verkauften Auflage einen Einbruch um 13,66 Prozent; die Regionalzeitungen der WAZ-Gruppe verloren 10,47 Prozent; die Süddeutsche Zeitung konnte dagegen leicht um 1,77 Prozent zulegen.[42] Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass es zwei unterschiedliche Entwicklungen gab: Regional-, Lokal- und Kaufzeitungen mussten starke Verluste hinnehmen, die überregionalen Abonnementzeitungen blieben dagegen stabil oder konnten leicht zulegen[43]. Trotz dieser punktuellen Erfolge bleibt für den Gesamtmarkt in den letzten fünf Jahren ein deutlicher Auflagenverlust von 10,2 Prozent.[44]

Auch wenn dieser Rückgang zu einem Teil der schwächelnden Konjunktur und der Lage der Boulevard-Zeitungen geschuldet ist, handelt es sich doch um gravierende Veränderungen – dies um so mehr, da sich weitere Indizien für den schleichenden Bedeutungsverlust der Tageszeitungen finden lassen.

[...]


[1] Zitiert nach: Hamann, Götz / Engelhardt, Dirk: Sie sind so frei. In: Die Zeit, Nr. 23/2003, S. 24.

[2] Homepage: European Asian Business Network: Wie wir arbeiten, aufgesucht am 08.09.2003.

[3] Zitiert nach: Hamann, Götz / Engelhardt, Dirk: Sie sind so frei. In: Die Zeit, Nr. 23/2003, S. 24.

[4] Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender des Springer-Verlags. Zitiert nach: Mielke, Ralf: Schlankheitskur. In: Berliner Zeitung vom 04.07.2002, S. 15.

[5] Vgl. Meyer-Lucht, Robin: Sinkende Auflagen, Einbrüche im Anzeigengeschäft, Konkurrent Internet. Die Krise auf dem deutschen Tageszeitungsmarkt. In: Analysen der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Informationsgesellschaft Nr. 9/2003, S. 1 - 14.

[6] Als Zeitung wird in der vorliegenden Arbeit eine Publikation verstanden, die die vier von Groth aufgestellten Unterscheidungsmerkmale erfüllt: Periodizität, Grad der Aktualität, Universalität und Publizität. Periodizität bedeutet dabei zudem, dass eine Publikation nur als Zeitung charakterisiert werden kann, die mindestens zweimal pro Woche erscheint. Wochenzeitungen und Anzeigenblätter fallen somit nicht in die nähere Betrachtung. (Vgl. Groth, Otto: Die unerkannte Kulturmacht. Grundlegung der Zeitungswissenschaft. (Periodik), Bd. 1: Das Wesen des Werkes. Berlin 1960)

[7] In Deutschland gibt es etwa 36.000 festangestellte und 18.000 freiberufliche Journalisten. (Quelle: Weischenberg, Siegfried / Löffelholz, Martin / Scholl, Armin: Journalismus in Deutschland. Merkmale und Einstellungen von Journalisten. In: Journalist. Nr. 5/1994, S. 57.)

[8] Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.): Duden: Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 10 Bänden. 3., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich, 1999.

[9] Ebd.

[10] Vgl. Meyer-Lucht, Robin: Sinkende Auflagen, Einbrüche im Anzeigengeschäft, Konkurrent Internet, S. 6.

[11] Vgl. Homepage: Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft: Pressemitteilung: Punktuelle Lichtblicke im Werbemarkt. Nach Stagnation (2001) und Werberezession (2002), 27.5.2003.

[12] Röper, Horst: Formationen deutscher Medienmultis 2002: Entwicklungen und Strategien der größten deutschen Medienunternehmen. In: Media Perspektiven 9/2002, S. 406.

[13] Vgl. Homepage: Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft: Pressemitteilung, 27.5.2003.

[14] O.V.: Zeitungen kommen aus dem Anzeigentief. In: Handelsblatt vom 15.7.2003, S. 14.

[15] So wurde etwa der Versuch des Mobilfunkanbieters Vodafone seinen Konkurrenten Mannesmann zu übernehmen, von Werbekampagnen begleitet. Deutschen Zeitungen brachte dies ein Umsatzplus von mehreren Millionen Euro. (Quelle: O.V.: Teures werben um Aktionäre. In: Der Tagesspiegel vom 28.12.1999, S. 19.)

[16] Hinzu kommen exogene wirtschaftliche Schocks wie die Terroranschläge vom 11. September und die Unsicherheit während des Afghanistan- und des Irak-Kriegs.

[17] Vgl. Meyer-Lucht, Robin: Sinkende Auflagen, Einbrüche im Anzeigengeschäft, Konkurrent Internet, S. 8.

[18] Vgl. ebd.

[19] O.V.: Zeitungen kommen aus dem Anzeigentief. In: Handelsblatt vom 15.7.2003, S. 14.

[20] Meyer-Lucht, Robin: Sinkende Auflagen, Einbrüche im Anzeigengeschäft, Konkurrent Internet, S. 7.

[21] Vgl. Schulz, Thomas: „Schwindel erregend abwärts“. In: Der Spiegel, Nr. 19/2002, S. 80.

[22] Meyer-Lucht, Robin: Sinkende Auflagen, Einbrüche im Anzeigengeschäft, Konkurrent Internet, S. 9.

[23] SZ und Frankfurter Rundschau bezogen rund 50 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Stellenmarktgeschäft. (Quelle: Schulz, Thomas: „Schwindel erregend abwärts“. In: Der Spiegel, Nr. 19/2002, S. 80.)

[24] Meyer-Lucht, Robin: Sinkende Auflagen, Einbrüche im Anzeigengeschäft, Konkurrent Internet, S. 9.

[25] Ebd. S. 11.

[26] Vgl. Eimeren, Birgit van / Gerhard, Heinz / Frees, Beate: Entwicklung der Online-Nutzung in Deutschland: Mehr Routine, weniger Entdeckerfreude. In: Media Perspektiven, 8/2002, S. 347.

[27] Vgl. Homepage: Heise-online News: Immer mehr Inserate online, 04.12.2002.

[28] Vgl. Meyer-Lucht, Robin: Sinkende Auflagen, Einbrüche im Anzeigengeschäft, Konkurrent Internet, 12.

[29] Während sich der klassische Anzeigenmarkt wieder erholt, ist der Stellenmarkt nach Aussage des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) zwischen Januar und Juni 2003 um weitere 37,6 Prozent eingebrochen. (Quelle: O.V.: Drastisches Minus bei den Stellen. In: journalist 9/2003, S. 43.)

[30] Gehrmann, Wolfgang / Hamann, Götz / Littger, Peter: Sparen, Schließen, Schassen. In: Die Zeit, Nr. 27/2002, S. 16.

[31] Zitiert nach: Meyer-Lucht, Robin: Sinkende Auflagen, Einbrüche im Anzeigengeschäft, Konkurrent Internet, S. 2.

[32] Vgl. Münster, Peter: Deutsche Zeitungsverlage in der Krise. In: Neue Zürcher Zeitung vom 20.08.2002, S. 23.

[33] Gespräch mit SZ-Chefredakteur Dr. Sittner im Rahmen des Hauptseminars Presse unter Druck, 7. Juli 2003.

[34] Wenk, Holger: Attraktive Profession im Zwielicht. In: Menschen machen Medien. 7-8/2002, S. 6.

[35] Vgl. ebd. S. 10.

[36] Vgl. Röper, Horst: Zeitungsmarkt 2002: Wirtschaftliche Krise und steigende Konzentration. In: Media Perspektiven 10/2002, S. 480.

[37] Vgl. ebd.

[38] Röper, Horst: Formationen deutscher Medienmultis 2002, S. 406.

[39] Vgl. ebd.

[40] Glotz, Peter: Die Medienkrise. In: Medien, September 2002, S. 46.

[41] Diese Anzeigen-Auflagen-Abhängigkeit kann wiederum die Wettbewerbschancen konkurrierender Zeitungen bestimmen: Auflagenschwache Zeitungen haben weniger hohe Werbeeinnahmen und können deshalb nur wenig Geld in die Verbesserung ihrer publizistischen Leistungen investieren. Je schlechter aber der redaktionelle Teil einer Zeitung ist, desto schlechter entwickelt sich die Auflage...

[42] Die Zahlen beziehen sich jeweils auf das 2. Quartal 1998 und das 2. Quartal 2003. (Quelle: Vgl. Homepage: IVW: Auflagenzahlen, passwortgeschützter Bereich, aufgesucht am 06.09.2003.)

[43] Vgl. Meyer-Lucht, Robin: Sinkende Auflagen, Einbrüche im Anzeigengeschäft, Konkurrent Internet, S. 2.

[44] Bereits seit 1993 lässt sich ein durchgehender Trend zu sinkenden Auflagen feststellen. (Quelle: Vgl. Homepage: IVW: Auflagenzahlen, passwortgeschützter Bereich, aufgesucht am 06.09.2003.)

Ende der Leseprobe aus 61 Seiten

Details

Titel
Die Pressekrise: Ursachen, Reaktionen, Konsequenzen
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Instutut für Kommunikationswissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar: Presse unter Druck
Note
noch nicht
Autor
Jahr
2003
Seiten
61
Katalognummer
V17176
ISBN (eBook)
9783638218115
ISBN (Buch)
9783638678131
Dateigröße
721 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die wirtschaftliche Basis der Presse hat sich seit Ende 2001 dramatisch verschlechtert: Alarmierender Werberückgang, Auflagenschwund und rote Zahlen bestimmen die Lage. Kernziel dieser Hausarbeit ist es, die Ursachen, Reaktionen und Auswirkungen der Pressekrise und der damit einhergehenden Sparmaßnahmen zu analysieren und zu interpretieren. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den möglichen Veränderungen der journalistischen Arbeitsbedingungen. Dichter Text - einzeiliger Zeilenabstand.
Schlagworte
Pressekrise, Ursachen, Reaktionen, Konsequenzen, Hauptseminar, Presse, Druck
Arbeit zitieren
Henryk Hielscher (Autor:in), 2003, Die Pressekrise: Ursachen, Reaktionen, Konsequenzen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17176

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