Friedrich Nietzsches Leibphilosophie im aphoristischen Stil


Hausarbeit, 2011

22 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Aphorismus
2.1. Historische Entwicklung und die Bedeutung
2.2. Aphorismus als literarischer Gattungsbegriff
2.2.1. Nietzsches Prägung des Gattungsbewusstseins
2.3. Der Aphorismus Nietzsches als philosophische Form

3. Der Leib in Nietzsches Philosophie: Übermensch als Leibswesen
3.1. Nietzsches Theorie der Leiblichkeit in der Geisteswissenschaft
3.2. Die Funktionen des Leibes
3.3. Große und kleine Vernunft: von der kleinen Vernunft des Geistes zur großen Vernunft des Leibes
3.4. Von Gott zum Übermensch: Der Übermensch als Synthesis von Leib und Seele

4. Nietzsche Lesen

5. Schlussbemerkung

6. Literaturverzeichnis

Friedrich Nietzsches Leibphilosophie im aphoristischen Stil

1.Einleitung

Friedrich Nietzsche (1844 - 1900) war ein bedeutender deutscher Philosoph, Dichter und klassischer Philologe. Er entwickelte seine philosophischen Thesen in verschiedenen Werken. Ein großer Teil davon sind Aphorismensammlungen wie z.B. „Menschliches, Allzumenschliches“(mit zwei Fortsetzungen), „Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile“ und „Die fröhliche Wissenschaft“.

Nietzsche gilt als eine der Wurzeln des modernen deutschen Aphorismus im 19. Jahrhundert und zwar als die stärkste.

Er verlieh der deutschen Prosa eine Sensitivität, Kunstleichtigkeit, Schönheit, Schärfe, Musikalität, Akzentuiertheit und Leidenschaft – ganz unerhört bis dahin und von entrinnbarem Einfluß auf jeden, der noch ihm deutsch zu schreiben sich erkühnte.[1]

Für meine Generation war er das Erdbeben der Epoche und seit Luther das größte deutsche Sprachgenie.[2]

Diese Äußerungen von Thomas Mann und Gottfried Benn seien einer Untersuchung vorangestellt, so Häntzschel – Schlatke, die es sich zur Aufgabe macht, nach den Gründen zu fragen, die Nietzsches Stil ein so hohes Urteil einbringen.

Nietzsches philosophisches Sprechen ist ungewöhnlich im Diskurs einer Philosophie, die seit Aristoteles dem normativen Ideal der Episteme folgt[3]. Im Vergleich zur traditionellen philosophischen Form zeigt Nietzsches Sprechen in Aphorismen seine Sonderstellung in Denken und Sprachpraxis.

Es lohnt sich jedenfalls, die Sprechweise von Nietzsche, die sich von der allgemein wissenschaftlichen praktizierten unterscheidet, genauer zu betrachten.

Neben dem markanten Sprachstil bei Nietzsche lässt die Häufigkeit, mit der Nietzsche über Leib und Leibliche spricht, aufhorchen. Nietzsche verwendet das Wort „Leib“ ohne Zusätze nie abwertend. Die Wichtigkeit der Leiblichkeit erscheint schon gesichert.

Jetzt stellen sich die Fragen: Wie lesen wir die Aphorismen von Nietzsche? Wie sollen wir die Leiblichkeit in der Philosophie von Nietzsche in der aphoristischen Stilform verstehen?

Im ersten Kapitel wird zuerst kurz der Aphorismus vorgestellt: Historische Entwicklung, die Bedeutung und Aphorismus als literarischer Gattungsbegriff. Weiterhin werden Nietzsches Aphorismus und seine Prägung des Gattungsbewusstseins und der Aphorismus als philosophische Form bei Nietzsche dargestellt.

Im zweiten Kapitel geht um den Leib in der Philosophie Friedrich Nietzsches. Mithilfe der Analyse von Nietzsches Aphorismen wird in der vorliegenden Arbeit versucht, Nietzsches Übermensch als Leibwesen darzustellen: Zuerst gibt es eine kurze Einführung über Nietzsches Theorie der Leiblichkeit in der Geisteswissenschaft, dann geht es um die Funktionen des Leibes. Anschließend wird Nietzsches Theologie analysiert: Von Gott zum Übermensch. Nicht zuletzt handelt es sich um das wichtigste Thema bei Nietzsche: von der kleinen Vernunft des Geistes zur großen Vernunft des Leibes. Zum Schluss gibt es einen Exkurs: Warum es sich lohnt, Nietzsche zu lesen.

2. Der Aphorismus

Das Wort „Aphorismus“ stammt aus dem Griechischen.

Das Wort aphorism ό s kann folgende Bedeutungen haben:

1) Abgrenzung, Definition
2) medizinischer Lehrsatz
3) Sentenz als Weisheitsspruchkurzer
4) prägnanter Stil

2.1. Die Bedeutung und historische Entwicklung

Der Aphorismus ist, so das Metzler-Literaturlexikon, „eine prägnant knappe, geistreiche oder spitzfindige Formulierung eines Gedankens, eines Urteils, einer Lebensweisheit. Nach Inhalt und Stil anspruchsvoller als das Sprichwort; ausgezeichnet durch effektvolle Anwendung rhetor. Stilmittel (Antithese, Parallelismus, Chiasmus, Paradoxen).“[4]

Nach Harald Fricke ist Aphorismus „nichtfiktionaler Text in Prosa in einer Serie gleichartiger Texte, innerhalb dieser Serie aber jeweils von den Nachbartexten isoliert, also in der Reihenfolge ohne Sinnveränderung vertauschbar; zusätzlich in einem einzelnen Satz oder auch anderweitig in konziser Weise formuliert oder auch sprachlich pointiert oder sachlich pointiert.“[5]

Was ein Aphorismus eigentlich ist, das haben besonders die Aphoristiker selbst immer wieder zu definieren versucht:

Marie von Ebner-Eschenbach: Ein Aphorismus ist der letzte Ring einer langen Gedankenkette.

Friedrich Nietzsche: Ein Aphorismus, rechtschaffen geprägt und ausgegossen, ist damit, dass er abgelesen ist, noch nicht „entziffert“; vielmehr hat nun dessen Auslegung zu beginnen, zu der es einer Kunst der Auslegung bedarf.

Robert Musil: Aphorismus: das kleinste mögliche Ganze.

Man nennt deshalb den Aphorismus die am meisten über sich selbst reflektierende literarische Gattung.

Sprachgebilde von der Art, wie sie unter den wechselnden Bezeichnungen Aphorismus, Sentenz, Maxime, Lebensweisheit, Reflexion, Apophthegma, Gedankensplitter, Fragment in der Geschichte begegnen, gibt es schon so lange wie es eine abendländische Literatur und Philosophie gibt.[6] Hippokrates gilt als der erste Aphoristiker, der in aphoristischer Form medizinische Lehrsätze aufstellte. Die literarisch-philosophische Gattung entwickelte sich später. In der Antike wurde der Aphorismus auch von Seneca oder Marc Aurel verwendet, um Lebenserfahrungen und Lehren sentenzenartig aufzuzeichnen. Eine lange Tradition hat der Aphorismus im deutschen Sprachraum. Auf Lichtenberg (Sudelbücher) im 18. Jahrhundert folgen u.a. Goethe, Jean Paul, Friedrich Schlegel, Novalis, Schopenhauer, Nietzsche, Kraus, Adorno, Canetti, Cioran und Benyoëtz, Franz Kafka. In Polen sind zu nennen: Lec, Irzykowski und Nowaczyński.[7]

2.2. Aphorismus als literarischer Gattungsbegriff

Der Aphorismus erscheint als literarischer Gattungsbegriff seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durch Hebbel, dann vollends durch die Wirkung Ebner-Eschenbachs gefestigt. Nietzsche in seiner „überragenden“[8] Wirkung prägt das Gattungsbewusstsein maßgeblich.

2.2.1. Nietzsches Prägung des Gattungsbewusstseins

Wie oben erwähnt, ist Nietzsche von großer Bedeutung für die Entwicklungsgeschichte des Begriffs, weil er zum einen, im engeren Sinne und rein empirisch gesehen, den Aphorismus während seiner gesamten Schaffenszeit explizit wie implizit vielfach und in signifikanter Weise reflektiert, weil er zum andern die Schnittstelle zwischen Dichtung und Philosophie darin am genauesten markiert. Nietzsche ist, so Kurt Besser, der Künstler des Aphorismus.[9]

Nietzsche benutze zuerst die Bezeichnung „Sentenz“. In den Schriften nach 1878 erscheint das Wort Sentenz nur noch selten, dafür taucht Aphorismus häufiger auf. Nietzsche unterscheidet nicht zwischen Sentenz und Aphorismus, aber Aphorismus ist vorwiegend dort verwendet, wo Nietzsche sich mit der ihm immer stärker bedrängenden Frage befasst, wie seine Gedanken in eine übersichtliche Ordnung gebracht werden könnten, ohne dass „sie in der viereckigen Dummheit eines Systems ihre Wahrheit und Wirkung verlören“[10]. Nietzsche spricht selbst in Bezug auf sein eigenes Werk auch nicht von Sentenzen sondern von Aphorismen wie z.B. in dem Brief an Schmeitzner.

Im veröffentlichten Werk zeigt sich auch der Wandel – Im Dezember 1879 erscheint „Der Wanderer und sein Schatten“. Nietzsche bezeugt sich Auseinandersetzung mit der Gattung endgültig unter dem Begriff „Aphorismus“:

Der Schatz der deutschen Prosa. — Wenn man von Goethes Schriften absieht und namentlich von Goethes Unterhaltungen mit Eckermann, dem besten deutschen Buche, das es gibt: was bleibt eigentlich von der deutschen Prosa-Literatur übrig, das es verdiente, wieder und wieder gelesen zu werden? Lichtenbergs Aphorismen, das erste Buch von Jung-Stillings Lebensgeschichte, Adalbert Stifters Nachsommer und Gottfried Kellers Leute von Seldwyla, — und damit wird es einstweilen am Ende sein.[11]

Nietzsche bezeichnet Lichtenberg als „Autorität“ und in „Der Wanderer und sein Schatten“ wird der mit dem Begriff „Aphorismus“ verbunden.

Das überaus positiv konnotierte Nomen für den Begründer spiegelt Nietzsches ureigenen Willen nicht nur zu einer deutschen Begriffsbildung sondern auch zur Bildung einer Gattung wider, in die er sich einreihen kann. In der Literaturwissenschaft seiner Zeit findet er dazu ja alles andere als eine Hilfe.[12]

[...]


[1] Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen. Berlin 1918. S. 51f.

[2] Gottfried Benn: Nietzsche – nach 50. Jahren. In: Gottfried Benn. Gesammelte Werke. Hrsg. V. Dieter Wellershoff. Bd. 1. Wiesbaden 1962. S. 489.

[3] Vgl. Hiltrud Häntzschel - Schlatke: Der Aphorismus als Stilform bei Nietzsche. Heidelberg 1967. S. 3.

[4] Günther und Irmgard Schweikle (Hg.): Metzler-Literatur-Lexikon: Stichwort zur Weltliteratur. Stuttgart 1984. S.20.

[5] Harald Fri>

[6] Vgl. Hiltrud Häntzschel - Schlatke: Der Aphorismus als Stilform bei Nietzsche. Heidelberg 1967. S. 39

[7] Vgl. Gerhard Neumann: Der Aphorismus. Zur Geschichte, zu den Formen und Möglichkeiten einer literarischen Gattung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1976. S. 10.

[8] Friedemann Spicker: Der Aphorismus – Begriff und Gattung von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis 1912. Walrer de Gruyter ﹒Berlin ﹒New York 1997. S. 149.

[9] Kurt Besser: Die Problematik der aphoristischen Form bei Lichtenberg, Fr. Schlegel, Novalis und Nietzsche. Berlin 1935. S.99.

[10] Heinz Krüger: Über den Aphorismus als philosophische Form. München 1988. S. 95.

[11] Friedrich Nietzsche (Hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari): Menschliches, Allzumenschliches II. Walrer de Gruyter ﹒Berlin ﹒New York 1988. S.599

[12] Friedemann Spicker: Der Aphorismus – Begriff und Gattung von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis 1912. Walrer de Gruyter ﹒Berlin ﹒New York 1997. S. 196.

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Details

Titel
Friedrich Nietzsches Leibphilosophie im aphoristischen Stil
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Deutsches Seminar)
Note
2
Autor
Jahr
2011
Seiten
22
Katalognummer
V170793
ISBN (eBook)
9783640898466
Dateigröße
525 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
friedrich, nietzsches, leibphilosophie, stil
Arbeit zitieren
Mian Fu (Autor:in), 2011, Friedrich Nietzsches Leibphilosophie im aphoristischen Stil, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/170793

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