Suppliken als Gegenstand historischen Interesses

Die exemplarische Betrachtung eines Forschungsstandes


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

20 Seiten, Note: 2.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hauptteil- Suppliken als Forschungsgegenstand

2.1 „Gnade vor Recht“
2.2 „Wer nicht befehlen kann muss bitten“
2.3 „Supplizieren und Wassertrinken ist jedermann gestattet“
2.4 „Die subjektive Seite der Geschichte“
2.5 „Kollektive Wortmeldungen“

3. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1.Einleitung

Artikel 17 des Bonner Grundgesetzes vom 24.05.1949 garantiert das Petitionsrecht in der Bundesrepublik Deutschland wie folgt:

„Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zust ä ndigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.“ 1 Empfänger der jeweiligen Petitionen ist der Petitionsausschuss des Bundestages, dessen Tätigkeit mit dem Artikel 45c in das Grundgesetz aufgenommen wurde.2 Mit jeder dieser schriftlich verfassten Beschwerden, Klagen und Bitten tritt der Bürger der Bundesrepublik mit „seiner“ Regierung in Kommunikation. Er beschreibt seine Wünsche und Nöte, er weiß, an wen er sich zu wenden hat und von wem er sich Hilfe erhoffen darf. Diese Form der Kommunikation ist gesetzlich geschützt und heute ein demokratisches Grundrecht. Aber das Recht auf Bittgesuche ist schon älter und keine Erfindung demokratischer Staaten. In Rom, ca. 400 Jahre vor Christus, wurden Staatsereignisse, je nachdem wie sie verliefen, mit Opfer oder Dankesgaben gefeiert, oder es wurden die Götter um Hilfe gebeten. Diese „Supplicatio“ war genauso der Versuch den Zorn der Götter abzuwenden, wie auch rückhaltlose Unterwürfigkeit.3

Der Begriff Supplikation hat seinen Ursprung in dem lateinischen Verb „supplicare“, das soviel bedeutet wie „auf die Knie fallen“, „anflehen“, „sich demütigen“ bis hin zur „harten Strafe“, die „Hinrichtung“ und dem „Niederknien zum Empfang einer Strafe“, welches aus dem lateinischen Verb „supplicium“ hervorgeht.4

Das Wort „Supplikation“ und seine Kurzform „Supplikaz“ stehen für Bittschrift, eine demütige Bittschrift, ein Bittgesuch, und herrschte im deutschen Sprachraum vom 15.-17. Jahrhundert vor.5

Seit dem 16. Jahrhundert bezeichnete man den Bittsteller als Supplikanten und im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert setzte sich die französische Wortform „Supplik“ (frz.supplique) durch, resultierend aus der Übernahme des Absolutismus als Staatsform in Deutschland. Die sich daraus ergebende Veränderung der Rechtsauffassung durch die Ausschaltung der ständischen Mitregierung, bedeutete für die Untertanen dass sie “ [ … ] nur in der form von bittschriften dem absoluten f ü rsten ihr anliegen vorzutragen“ 6, in der Lage waren.

Infolge des sich stark entwickelnden Verfassungslebens im 19. Jahrhundert, so Jacob und Wolfgang Grimm, verschwindet der Begriff in dieser Zeit als lebendiges Wort völlig aus dem Sprachgebrauch.7

Während die Supplikation im Altertum in einen sakralen Kontext eingebaut war und es sich in erster Linie um einen Dialog mit den Göttern handelte, veränderte sich dieser Sachverhalt während des Mittelalters hin zur Frühen Neuzeit,8 verwandelte sich in eine Form der politischen Kommunikation zwischen der Obrigkeit und ihren Untertanen.

Suppliken sind also in der Regel Schriften, mit deren Hilfe sich ihr Schreiber an seine Obrigkeit wenden konnte, um seine Interessen zu artikulieren und um Hilfe in seiner Not zu bitten. Durch die Supplikationen entstand eine Form von Kommunikation, die wiederum Einblicke verschafft in das Verhältnis zwischen dem Bittsteller, also dem Untertan im Allgemeinen, und dem Adressaten, dem Herrschenden.

Die Suppliken im Fokus der Geschichtswissenschaft soll Thema dieser Arbeit sein.

Warum erhalten Suppliken ( und auch Beschwerden, Gravamina genannt ) aus der Frühen Neuzeit, in den letzten 30 Jahren innerhalb der deutschsprachigen wissenschaftlichen Geschichtsbetrachtung Aufmerksamkeit?

Für welche Forschungsgebiete ist die Betrachtung der Bittschriften und ihrer Verfasser von Interesse?

Historiker unterscheiden verschiedene Typen von Suppliken und es soll herausgestellt werden welche Typen systematisiert werden.

Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, kann nur ein kleiner Ausschnitt der Forschungsgeschichte, exemplarisch eine Annäherung an dieses Thema präsentiert und können letztere Betrachtungen nur knapp gehalten werden.

Ein Fazit am Ende soll die Ergebnisse zusammenfassen und Antworten auf die in der Hausarbeit gestellten Fragen geben. Ferner soll ausblickartig aufgezeigt werden, welche Fragen noch zu klären und ob eventuelle Defizite innerhalb der Forschungsliteratur aufzuarbeiten sind.

2. Hauptteil Suppliken als Forschungsgegenstand

2.1 „Gnade vor Recht“

Eine beachtliche Menge von Bittschriften aus der Frühen Neuzeit ist bis heute überliefert und als Quelle für die Geschichtswissenschaft von wichtiger Bedeutung, spiegeln sie doch ein breites Spektrum von Interessenartikulationen und geben Einblicke in soziale, wirtschaftliche und politische Strukturen der Vormoderne.

Auffallend ist, dass sich eher wenige Monographien zum Supplikenwesen finden lassen. Die hier exemplarisch illustrierte Literatur besteht fast ausschließlich aus Aufsätzen in Sammelbänden, in denen Untersuchungen zu dem Supplikenwesen und der Gravaminaforschung, eingebunden in einen größeren historischen, politischen oder soziologischen Kontext, gesammelt sind. So sind Bittschriften wichtige Teilaspekte der Justiz und seinem Strafrecht in der Früher Neuzeit, der Policey und frühneuzeitlicher Gesellschaft, genauso wie sie natürlich eine Form der Kommunikation darstellen und daher im Rahmen von Kommunikationsprozessen analysiert werden. Als wichtige Vertreter sind hier Andreas Würgler und Cecilia Nubola zu nennen, Helmut Neuhaus, Peter und Renate Blickle, Rudolf Schlögl u. a.

Das Staats- und Gemeindewesen mit seiner Politik und Verwaltung in der Frühen Neuzeit sind für die Geschichtsforscher interessant und Suppliken sind auch hier von Bedeutung, helfen sie mit das Gemeindeleben und das Verhältnis der Untertanen zu ihrer Landespolitik besser zu ergründen.

Andreas Bauer stellt eine Ausnahme dar zu den erwähnten Sammelbänden, mit seiner Monographie zum Gnadenbitten in der Strafrechtspflege des 15. und 16. Jahrhunderts.9 Gebote der Obrigkeiten waren schnell überschritten und so reichte die Spannbreite dieser Verfehlungen sehr weit. Die Folge daraus waren zahlreiche Bittgesuche um Erlass einer Gefängnisstrafe und Begnadigungen bei Todesurteilen.

Diese Gnadenbitten, das Gnadenrecht und die Gnadenpraxis des Mittelalters und der Frühen Neuzeit untersucht A. Bauer in seiner Monographie. Er betrachtet dabei genauso den Ursprung, die Geschichte und die Einschränkung des Gnadenbittens sowie die Gerichtsorganisation und den Personenkreis und dessen Intention um Gnade zu bitten.

In der Bitte um Gnade verdeutlicht es sich, wie sehr der Bittsteller auf die Gunst des Herrschenden, angewiesen ist. Das bedeutet jedoch nicht dass er damit automatisch rechts- oder würdelos sei, wie Rosi Fuhrmann, Beat Kümin und Andreas Würgler in ihrem Aufsatz über „Supplizierende Gemeinden“ beschreiben.10 Das sei aus ihrer Sicht ein Kennzeichen des Mittelalters.

Im selben Band weist André Holenstein darauf hin, das die Gesuche um Gnade oder Erlass einer Strafe, die bereits verhängt wurde, herausragen würde aus der Liste der von ihm betrachteten Gnadengesuche. Die Delikte, die zu den Strafen führten, waren vielfältiger Natur und reichten von Sexual- und Sittlichkeitsvergehen über die Missachtung von Weinausschank und Tanzverboten, bis zu Forstfrevel und Widersetzlichkeit gegen die Obrigkeit.11 Das Supplikenwesen in Rechtssachen untersuchte auch Werner Hülle 1973 in seinem gleichnamigen Aufsatz12 und kritisierte schon auf der ersten Seite, dass die üblichen Lehrbücher zur Geschichte des Rechtes sich zwar den Suppliken zuwandten, aber außer acht ließen, wie diese Institution Eingang fand ins gemeine Recht.13

Er empfiehlt die „Supplik“, besonders die „Gnadensupplik“, von der „Rechtssupplik“ zu unterscheiden, um den Handlungsrahmen des deutschen Rechts durch seine Vielfältigkeit besser abstecken zu können14 und beschreibt die Entwicklung der Supplikation zu einem „[ … ]echten Rechtsmittel[ … ]“ in Deutschland während des 17. Jahrhunderts.15 Die Rechts und Gerichtspraxis und ihre Gnadenbitten im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit wird auch in dem Band „Interaktion und Herrschaft“ das Rudolf Schlögl herausgegeben hat, untersucht.16 Die „[ … ]kommunikative Form des Politischen[ … ]“ in der vormodernen Stadt wird in diesem Band thematisiert, dazu gehört auch die Betrachtung der Sozialdisziplinierung, insbesondere der unteren Schichten und des sich immer stärker expandierenden Supplikenwesens.17

[...]


1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Mit Vertrag über die Beziehungen zu den drei Mächten [u.a.], München 1985, ( Beck´sche Textausgaben ), S. 29.

2 Art 45c:“(1) Der Bundestag bestellt einen Petitionsausschu ß, dem die Behandlung der nach Artikel 17 an den Bundestag gerichteten Bitten und Beschwerden obliegt. (2) Die Befugnisse des Ausschusses zur Ü berpr ü fung von Beschwerden regelt ein Bundesgesetz.“ Vgl. Anmerkung 1, S. 40f.

3 Helmut Neuhaus, Reichstag und Supplikationsausschuß, Ein Beitrag zur Reichsverfassungsgeschichte der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts,(= Schriften zur Verfassungsgeschichte; Bd. 24 ), Berlin 1977, S. 74.

4 Helmut Neuhaus, a. a. O. S.74.

5 Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 20, Abt. IV, Sp.1249, s.v.Supplik, München 1984.

6 Jacob und Wilhelm Grimm, a. a. O. Sp. 1249.

7 Jacob und Wilhelm Grimm a. a. O. Sp. 1250.

8 Helmut Neuhaus, a. a. O. S. 74 ff.

9 Andreas Bauer, Das Gnadenbitten in der Strafrechtspflege des 15. und 16. Jahrhunderts, dargestellt unter besonderer Berücksichtigung von Quellen der Voralberger Gerichtsbezirke Feldkirch und des Hinteren Bregenzerwaldes, (=Rechtshistorische Reihe; Bd.143), Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New Yorck/Paris/Wien/Lang 1996.

10 Rosi Fuhrmann, Beat Kümin und Andreas Würgler, Supplizierende Gemeinden, Aspekte einer vergleichenden Quellenbetrachtung, in: Gemeinde und Staat im alten Europa, ( Hg.) Peter Blicke, (= Historische Zeitschrift, Beihefte; Bd. 25, München 1998, S.302.

11 André Holenstein, Bittgesuche, Gesetze und Verwaltung, Zur Praxis „guter Policey“ in Gemeinde und Staat des Ancien Régime am Beispiel der Markgrafenschaft Baden(-Durlach ), in: Gemeinde und Staat im alten Europa, ( Hg.) Peter Blickle, ( =Historische Zeitschrift: Beihefte; N.F. Bd. 25 ), München 1998, S. 334.

12 Werner Hülle, Das Supplikenwesen in Rechtssachen, Anlageplan für eine Dissertation., in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte,(= Germanistische Abteilung; Bd. 90) Weimar 197, S.194.

13 Werner Hülle a. a. O. S. 194.

14 Werner Hülle a. a. O. S. 197.

15 Werner Hülle a. a .O. S. 202.

16 Interaktion und Herrschaft, Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt, ( Hg.) Rudolf Schlögl, ( =Historische Kulturwissenschaft; Bd.5 ), Konstanz 2004.

17 Rudolf Schlögl, Vergesellschaftung unter Anwesenden, in : Interaktion und Herrschaft a. a. O. S.54.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Suppliken als Gegenstand historischen Interesses
Untertitel
Die exemplarische Betrachtung eines Forschungsstandes
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Geschichts-und Kulturwissenschaft)
Veranstaltung
Politische Publizistik des späten 16.Jahrhunderts
Note
2.0
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V170694
ISBN (eBook)
9783640896738
Dateigröße
432 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
suppliken, gegenstand, interesses, betrachtung, forschungsstandes
Arbeit zitieren
Veronique Grawe (Autor:in), 2007, Suppliken als Gegenstand historischen Interesses, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/170694

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