Facebook. Ein (un)soziales Netzwerk

Wie die Internet-Plattform das Sozialleben der Nullerjahre-Generation auf den Kopf stellte


Facharbeit (Schule), 2011

36 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Facebook als neue Macht des Internet
2.1 Erfolgsgeschichte
2.2 Grundfunktionen

3. Facebook als Ersatz des realen Lebens
3.1 Gründe für die Nutzung
3.2 Verhaltensweisen im virtuellen Leben
3.2.1 Netz ohne Gesetz
3.2.2 Selbstinszenierung und Sensationsgier
3.3 Virtueller Marktplatz

4. Facebook als Auslöser des Wandels unseres Freundschaftsbegriffs
4.1 Gleichschaltung von Bekannten und Freunden
4.2 Ende des realen Soziallebens

5. Fazit

Anhang

1. Einleitung

Am 01. Januar 2010 löste das Jahrzehnt der Zehnerjahre das Jahrzehnt der Nullerjahre ab, hinter uns liegen zehn Jahre Castingshows, Bionade und IPods. Doch was ist es, das die Nullerjahre am besten repräsentiert? Welches Produkt, welches Ereignis oder welche Per- son hat in diesem Zeitraum den stärksten Einfluss auf unsere Gesellschaft ausgeübt? Es muss etwas gegeben haben, das unser Gesellschaftsverständnis grundlegend verändert hat. Etwas, das unsere realen Kontakte minderte; etwas, das es uns ermöglichte, eine Wunschpersönlichkeit glaubhafter denn je darstellen zu können. Die Nullerjahre liefern auf diese Kriterien eine blau-weiße Antwort: Facebook. Das soziale Netzwerk Facebook ist eine Internet-Plattform, die zum Austausch mit anderen Nutzern die unterschiedlichsten Funktio- nen bietet. Es können Fotos und Interessen ausgetauscht und Nachrichten verschickt wer- den - soweit die Theorie.

Was Facebook ausmacht, ist meines Erachtens nicht der kometenhafte Aufstieg, den es ohne Zweifel hinlegte, der erbitterte Streit um die Urheberrechte oder die mystische Verstrickung der Privatsphäre-Angelegenheit, die Beklommenheit unter den Nutzern hervorruft. Viel wichtiger scheint mir der soziale Aspekt: Was macht Facebook aus unserem Sozialleben? Was sind eigentlich Facebook-Freunde? Ist ein Leben ohne Facebook heutzutage überhaupt noch denkbar? Der Anspruch dieser Facharbeit konzentriert sich also vielmehr darauf, inwieweit es das soziale Netzwerk geschafft hat, unser reales Leben zu ersetzen und unser Verständnis von Freundschaft zu verändern.

Dabei stützen sich die grundlegenden Informationen für die Arbeit an diesem Thema vor allem auf Buchquellen, die soziologische Analysen über den Umgang mit sozialen Netzwerken liefern. Des Weiteren dient eine Meinungsumfrage der Unterfütterung nahezu aller Gliederungspunkte. Diese Umfrage wurde in der Ober-, Mittel-, und Unterstufe des Gymnasiums am Bildungszentrum Markdorf durchgeführt und in zwei Altersstufen unterteilt. Einen besonderen Reiz hatten für mich außerdem zwei Selbstversuche, deren Ergebnis durchaus zum Gesamtbild des unsozialen Netzwerks beitragen.

Ein soziales Netzwerk hat definitionsgemäß zunächst nicht direkt etwas mit InternetPlattformen zu tun, es ist lediglich die Vernetzung sozialer Kontakte über den eigenen Freundeskreis hinaus. Durch den Bekanntheitsgrad, den Online Netzwerke erlangten, erhielt der Begriff jedoch eine verallgemeinernde Bedeutung.

Das Konzept des sozialen Netzwerks Facebook basiert auf der Idee der Vernetzung mit Freunden. Der traditionelle Freundschaftsbegriff findet unter Soziologen unterschiedliche, in ihren Grundzügen allerdings ähnliche Definitionen. So beschreibt der Soziologe Karl-Heinz Hillmann beispielsweise Freundschaft als einen „Begriff für eine (…) Form direkter sozialer Beziehungen, die (…) freiwillig und auf längere, nicht fixierte Dauer eingegangen wird.“1 Für den weiteren Verlauf dieser Arbeit gilt der ursprüngliche Freundschaftsbegriff als eine persönliche und flexible Bindung zwischen zwei Menschen, die durch ein hohes Maß an Vertrauen und Intimität gekennzeichnet ist.

Um letztendlich beurteilen zu können, ob Facebook nun als soziales Netzwerk bezeichnet werden kann, muss man sich zuerst die traditionelle Bedeutung des Wortes sozial vor Augen führen. Sie geht auf den lateinischen Begriff socius zurück, der sich mit ‚gemeinsam‘ oder ‚verbunden‘ übersetzen lässt. Man kann also sagen, dass ein soziales Medium (wie Facebook angibt eines zu sein) das Gefühl der Gemeinschaft und Verbundenheit stärkt oder intakt hält. Als unsoziales Medium versteht sich demnach eine Plattform, die ein gegenteili- ges Ergebnis erzielt, es entsteht ein Gefühl der Vereinsamung und der sozialen Isolation. Mit diesem Wissen möchte ich in den folgenden Ausführungen darauf eingehen, inwieweit Facebook nun das Prädikat des sozialen Netzwerks wirklich verdient hat.

2. Facebook als neue Macht des Internet

2.1 Erfolgsgeschichte

„Die Leute schauen gern im Internet was ihre Freunde machen, warum nicht eine Webseite bauen, die das anbietet - Freunde, Bilder, Profile, das, was einen interessiert. (…) Ich rede davon, das gesamte soziale Erlebnis (…) online zu stellen.“2 Mark Zuckerbergs Vision als Erfinder des sozialen Netzwerk Facebook sind von Beginn an klar definiert. Zum Ende der Nullerjahre scheint er weit über dieses Ziel hinausgeschossen zu sein und dessen ist er sich sehr wohl bewusst: „Wenn Facebook ein Land wäre, dann gehörte es zu den fünf bevölke- rungsreichsten der Welt (…). Die Welt hat 20.000 Jahre gebraucht, um es auf 200 Millionen Einwohner zu bringen.“3 Im Vergleich hierzu ist Facebook seit der ersten Version vom Januar 2004 bis zum Dezember 2009 auf 350 Millionen ‚Einwohner‘ gewachsen.4 Es lohnt sich also durchaus, zunächst einmal die einzelnen Stationen dieser Erfolgsgeschichte zu betrachten, um einen Überblick über den Wandel einzelner Funktionen zu bekommen, die letztendlich dafür sorgten, dass Facebook das Potential zum Produkt der Nullerjahre hat.

Zu Beginn der Facebook-Ära im Jahr 2003 stand die Internet Plattform Thefacebook, deren Namen sich auf die Jahrbücher an amerikanischen Universitäten bezieht. Zunächst war sie nur Harvard Studenten vorbehalten und ähnelte in ihren Grundzügen einem Freunde-Album, in dem man allgemeine Informationen über sich und seine Interessen veröffentlichen konn- te.5

Im Jahr 2004 weitete sich die Nutzung auch auf die Universitäten Stanford, Columbia und Yale aus, bereits nach 10 Monaten waren 1 Millionen Nutzer registriert. Die Funktion den Beziehungsstatus und ‚interessiert an…‘ angeben zu können, kam erst jetzt hinzu.6 Ende 2005 hatte Thefacebook bereits 5,5 Millionen Nutzer, inzwischen war es auch Schülern von amerikanischen High-Schools und Studenten aus dem Ausland möglich, sich zu regist- rieren. Im selben Jahr änderte sich der Name der Plattform zu Facebook.7 Die wohl bedeutendste Funktion wurde jedoch erst im Jahr 2006 veröffentlicht: Der soge- nannte News Feed präsentiert in einer nicht abreißenden Liste alle Aktivitäten der Freunde, von der Änderung des Beziehungsstatus bis hin zur Veröffentlichung neuer Bilder oder Ein- träge, die Nutzer auf die Pinnwand ihrer Freunde schreiben. Diese Funktion war stark um- stritten, da viele Nutzer einen großen Eingriff in ihre Privatsphäre sahen - abgeschafft wurde sie jedoch bis heute nicht. Mithilfe des News Feed bekommen Facebook-Nutzer permanent sämtliche Aktionen ihrer Freunde präsentiert, was eine gewisse Sensationsgier unter den Nutzern ausgelöst hat. Man kann also hier von einer klaren Entwicklung hin zum Unsozialen sprechen. Im September 2006 wurde Facebook schließlich auch für die ganze Internet-Welt geöffnet.8

Mit der Chatfunktion, die im April 2008 eingeführt wurde, erlaubte Facebook seinen Nutzern auch innerhalb des sozialen Netzwerks in einem privaten Schreibgespräch mit Freunden zu reden und später einen großen Teil der direkten Kommunikation im realen Leben zu erset- zen.9

Den größten Nutzerzuwachs hat Facebook im Jahr 2009 zu verzeichnen. Von anfangs 150 Millionen Nutzern im Januar waren es Ende des Jahres bereits 350 Millionen Nutzer. Mit der ‚Gefällt mir‘-Funktion konnten Nutzer fortan jede Veröffentlichung aller Art mit einem Daumen nach oben bewerten. Dies ist die wohl weitläufig bekannteste Funktion, die in Form von Stempeln und Aufklebern sogar Einzug in die „reale Welt“ genommen hat.10

2.2 Grundfunktionen

Facebook ist nicht durch eine Aneinanderreihung von Zufällen zu dem geworden, was es heute ist. Es besitzt einige Grundfunktionen, die das charakteristische Bild von Facebook zeichnen. Den Aufbau kann man sich auch heute noch wie eine Art Freunde-Album vorstel- len: Jeder Nutzer besitzt ein individuelles Profil, auf dem neben den persönlich angegebenen Daten auch eine bis ins kleinste Detail ausgeführte chronologische Liste aller Aktivitäten auf Facebook auf der sogenannten Pinnwand vorzufinden ist. Das Profil bietet die Möglichkeit, seine Lieblingsbücher und Filme, aber auch den Beziehungsstatus und ein Bild als Profilbild zu veröffentlichen. Neben diesem Profilbild können unbegrenzt Bilder in Fotoalben hochge- laden werden.

„Facebook ermöglicht es dir, mit den Menschen in deinem Leben in Verbindung zu treten und Inhalte mit diesen zu teilen.“11 Das wird dem Nutzer direkt auf der Startseite verspro- chen. Hierfür kann man als registrierter Nutzer jedem anderen Nutzer von Facebook eine sogenannte Freundesanfrage schicken, welche zuerst bestätigt werden muss, bevor die Freundschaft in Facebook offiziell ist. Mit dieser Vernetzung stehen dem Nutzer nun sämtli- che Informationen über den neugewonnenen Freund und einige über die Freunde des Freundes offen. Mit der Freundschaft tritt auch die Option ein, sämtliche Bilder und Tätigkei- ten des anderen Nutzers öffentlich kommentieren und mit einem ‚Gefällt mir‘ bewerten zu können.

Jeder Nutzer kann auch unbegrenzt Statusmeldungen über sich und sein Leben veröffentli- chen, das Fenster hierzu steht direkt an oberster Stelle der Startseite. Diese Meldungen, wie auch die Bilder und Aktivitäten, können wiederum von anderen Nutzern mit einem ‚Gefällt mir‘ versehen und kommentiert werden. Mithilfe des News Feed werden diese Statusmel- dungen direkt auf der Startseite aller Freunde angezeigt. Man muss also nicht die Profile einzelner Freunde durchsuchen, um an Informationen zu gelangen, sondern bekommt diese regelrecht aufgedrängt.

3. Facebook als Ersatz des realen Lebens

An dieser Stelle der Arbeit soll der Frage auf den Grund gegangen werden, inwieweit Facebook es geschafft hat unser reales Leben, das heißt das Leben außerhalb des sozialen Netzwerks zu ersetzen. Dazu dienen drei Leitfragen der einfacheren Übersicht: Zunächst soll die Frage geklärt werden, warum man zum Nutzer wird und was man sich von der Nutzung verspricht. In einem zweiten Schritt wird das Verhalten der Nutzer im Netz ana- lysiert, um darauf aufbauend in einem letzten Schritt zu verdeutlichen, was Facebook letzt- endlich aus seinen Nutzern macht.

3.1 Gründe für die Nutzung

Der Hintergrund der meisten Funktionen auf Facebook liegt laut Aufmachung der Startseite in der Vernetzung mit Freunden und Bekannten. Dem Nutzer soll es ermöglicht werden, mit diesen Personen in Verbindung zu treten und so eine offenere und leichtere Kommunikation führen zu können. Dies werde hauptsächlich zum Vorteil, wenn es sich bei den Freunden und Bekannten um Menschen handelt, mit denen man nicht ohne weiteres persönlichen Kontakt halten kann, wenn diese beispielsweise nicht in der naheliegenden Umgebung le- ben.

Bei diesem Gedanken wird jedoch die Tatsache missachtet, dass es sich bei der Kommuni- kation in Facebook immer um eine indirekte Kommunikation handelt. Das Medium Facebook steht dabei als symbolische Wand zwischen den kommunizierenden Nutzern. Wenn man ein sozial stärkendes Erlebnis haben möchte, muss man sich demnach außerhalb Facebook befinden. Die Vernetzung von sogenannten Facebook-Freunden ist mit diesem Wissen auch eher ein Vorgang des Sammelns als ein Vorgang der sozialen Vernetzung, da der durch- schnittliche Nutzer mit 130 Freunden12 wohl kaum sein wirkliches soziales Umfeld absteckt, sondern auch Nutzer hinzufügt, mit denen über die Freundesanfrage hinaus nicht weiter in- teragiert wird.

Facebook wird auch oft als Möglichkeit gesehen, neue Kontakte zu knüpfen und seinen Freundeskreis zu erweitern. Interessanterweise verneinten 75 % der in meiner Umfrage Befragten die Aussage, sie hätten durch Facebook neue Kontakte herstellen können, aus denen sich sowohl virtuelle als auch persönliche Freundschaften ergeben hätten.13 Somit verstehen sie Facebook nicht als Möglichkeit, ihr soziales Umfeld zu erweitern und neue Freunde zu gewinnen. Auch der Grundgedanke der Vernetzung scheint wie oben erläutert eher ein vorgeschobener Grund zu sein und die wirkliche Tatsache, warum man sich in Facebook registriert, verbirgt sich hinter einem anderen Gedanken.

Im Fall von Asghar Pourkashni wird deutlich, dass die Registrierung nicht auf komplett frei- williger Basis des Nutzers zu geschehen scheint. Es liegt nahe, dass sie aus einer Art gesellschaftlichen Drucks erfolgt. Als Pourkashni von seiner Tochter darüber unterrichtet wurde, dass sie sich in einem Online Netzwerk anmelde, da sie ansonsten zur Außenseiterin bei ihren Studienkollegen werde, war er zutiefst schockiert. Für ihn bedeutete die Registrierung in sozialen Netzwerken die Transparenz der Privatsphäre für die ganze Welt. Das war im April 2007, heute zählt Asghar Pourkashni 341 Freunde bei Facebook.14

So wie Herrn Pourkashni dürfte es wohl dem größten Teil der Facebook-Gemeinde ergan- gen sein. Eine Anmeldung beim Online Netzwerk erfolgt entweder wie bei dem Sozialarbeiter aus einer Notwendigkeit heraus - in diesem Fall war es die Tatsache, dass seine Kontakte zu Jugendlichen nur noch schlecht über den E-Mail Verkehr realisierbar waren, da die Facebook-Nachricht für sie schon längst die E-Mail überholt hatte. Die andere Ursache liegt darin, dass „die Plattform im Mainstream angekommen ist“15, die Registrierung bei Facebook ist also eher ein dem-Trend-Folgen. Viele Nutzer sind bei der Anmeldung vom Konzept des sozialen Netzwerks nicht überzeugt, sondern wurden vielmehr überredet - entweder von ih- ren Freunden oder einer Situation, in der sich ihnen offenbarte, dass sie ohne Facebook ei- nen sozialen Nachteil erleben würden. Der Eindruck wird natürlich auch immer mehr ver- schärft, da die Online-Plattform wie eingangs erläutert zu einer derart großen Macht im Inter- net geworden ist. Man ist also dem gesellschaftlichen Druck ausgeliefert, permanent infor- miert sein zu müssen - andernfalls ist man vor allem unter Jugendlichen schnell nicht mehr in die Gesprächsthemen einbezogen, die die Gemeinschaft zusammenhält.

3.2 Verhaltensweisen im virtuellen Leben

3.2.1 Netz ohne Gesetz

Wer nach einem offiziellen Regelwerk sucht, das einem vorschreibt, wie man sich in Facebook zu verhalten hat - welche Neuigkeit eine Veröffentlichung wert ist und welche nicht - hat sich einer schweren Aufgabe gewidmet. Es gibt niemanden, der dem Nutzer sagt, wie er sich im sozialen Netzwerk zu verhalten hat. Man befindet sich in einer Welt mit fehlenden Absolutheiten, einer Welt ohne Verhaltensregeln und Gesetze. Dem Nutzer dürfte allerdings klar sein, dass die online-Welt allein durch ihre technischen Funktionen kein originales Abbild des realen Lebens sein kann. Auch der Versuch der Telekom, eine sogenannte E-Etiquette, also eine Liste mit Benimmregeln für digitales Leben zu erstellen16 ist nicht auf großen Anklang bei der Nutzer-Gemeinde gestoßen.

Dass niemand so recht weiß, welches Verhalten nun angebracht ist, ruft unterschiedliche Verhaltensmuster auf. Generell ist festzustellen, dass bei den meisten Nutzern die Hem- mungen fallen, private Informationen über sich preiszugeben. Dies zeigt sich auch in den Ergebnissen der Umfrage: 54,9 % aller Befragten gaben an regelmäßig Statusmeldungen zu veröffentlichen, die ihre aktuellen Gefühlszustände widerspiegeln; jeder zehnte Befragte tut dies mindestens alle 2-3 Tage. Ähnlich verhält es sich bei Einträgen auf Pinnwänden von Freunden, bei denen die aktuelle Gefühlslage zum Ausdruck kommt - dies tun 58,9 % regel- mäßig (14,7 % mindestens alle 2-3 Tage). Am größten ist der Anteil bei Freizeitbildern: Hier gaben nahezu 2/3 (63,1%) aller Befragten an, regelmäßige Veröffentlichungen zu tätigen. Diese Ergebnisse zeigen deutlich, dass für einen sehr großen Teil der Online-Gemeinde das soziale Netzwerk eine Art Tagebuchersatz darstellt, in dem Gefühle und Freizeitaktivitäten zur Schau gestellt werden. Dies wird umso skurriler, wenn man sich vor Augen führt, dass der durchschnittliche Nutzer 130 Facebook-Freunde zählt, die per News Feed sämtliche Neuveröffentlichungen sofort zu lesen bekommen. Doch es bleibt meist nicht bei den durch- schnittlichen 130 Freunden: Die von Facebook voreingestellten Privatsphäre-Einstellungen sorgen dafür, dass auch die Freunde der Freunde sämtliche Neuigkeiten per News Feed auf ihre Startseite gespült bekommen. Das umfasst also im Durchschnitt einen Kreis von 16.900 (130²) Nutzern, von denen man den größten Teil wahrscheinlich noch nicht ein einziges Mal persönlich getroffen hat. Laut Stiftung Warentest weisen die Privatsphäre-Einstellungen in Facebook ‚erhebliche Mängel‘ auf und zählen damit zu den schlechtesten unter insgesamt zehn getesteten sozialen Netzwerken.17

Meist wird die Reichweite des sozialen Netzwerks trotzdem unterschätzt. Gerade bei jünge- ren Nutzern scheint das Bewusstsein der Gefahr, dass eine unvorteilhafte Veröffentlichung weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen kann, nicht sonderlich ausgeprägt: 57,6 % aller Befragten im Alter von 13 - 15 Jahren schätzen den Umgang mit ihren Daten als sicher ein, bei den Befragten im Alter von 16 - 20 sind es hingegen nur 23,8 %, die diese Aussage positiv bewerteten. Das Vertrauen, das viele in das soziale Netzwerk setzen, kann dann schnell zum Verhängnis werden. Nicht selten wird eine gezielte Lästerattacke in Facebook zu einem Grund für eine Kündigung oder einen Schulverweis, ganz zu schweigen von den sozialen Konsequenzen.

Mittlerweile existiert schon eine eigene Internet-Präsenz für die größten Fehltritte in Facebook. Die Seite lamebook.com listet immer aktuell die peinlichsten Veröffentlichungen auf, aber auch diese, die starke soziale Konsequenzen nach sich zogen. Eine genaue Ana- lyse, inwiefern eine Veröffentlichung soziale Folgen nach sich ziehen kann, findet sich an späterer Stelle dieser Facharbeit (siehe 4.1 Gleichschaltung von Bekannten und Freunden).

3.2.2 Selbstinszenierung und Sensationsgier

Wer würde nicht gern seine eigenen Makel ausblenden und seinem Umfeld eine Person präsentieren, deren Persönlichkeit man sich selbst aussuchen kann? Das geht im realen Leben nur bedingt und ist meist mit einem Stress verbunden, der in keinem Verhältnis zum vermeintlich positiven Ergebnis steht.

Anders verhält es sich aber in Facebook: Allein anhand der Wahl des Profilbildes kann man schon den ersten Teil der Selbstinszenierung erkennen. Niemand würde freiwillig ein Bild von sich auswählen, das seinen Kontakten einen Eindruck seiner Person entwerfen würde, welcher ihm selbst nicht gefällt. Wer sein Profilbild ändert oder aber auch nur eine Status- meldung veröffentlicht, tut dies nur, um diese von anderen Nutzern bewertet zu sehen. Der deutsche Philosoph Georg Franck verdeutlicht mit seinem Entwurf ‚Ökonomie der Aufmerk- samkeit‘ genau dieses Menschenbild des Jahrzehnts der medialen Erregungskultur. Nach diesem Entwurf ist „die Aufmerksamkeit anderer Menschen (…) die unwiderstehlichste aller Drogen“ und „der Reichtum [verblasst] neben der Prominenz“18. Er sieht also den Hang der Menschen darin, die Popularität schwerer zu gewichten als Leistung und Besitz.

Der Mensch wird dadurch einerseits zum Voyeuristen19, da er sich durch den News Feed an einen permanenten Nachrichtenstrom gewöhnt hat und andererseits zum Narzissten20, weil er sich permanent darum bemüht, seine Präsenz so zu gestalten, dass er mit der entworfe- nen Persönlichkeit zufrieden sein kann und genügend Aufmerksamkeit erregt. Zwar besitzt der Mensch diese Veranlagung schon immer und er kann sie durch Facebook nur leichter äußern, allerdings spricht das soziale Netzwerk eine heuchlerische und niederträchtige Seite in uns an. Diese können wir vollkommen ohne Hemmungen äußern, da der Rest der Ge- meinde dies ja auch tut.

Dass diese Selbstinszenierung und Sensationsgier den meisten Nutzern gar nicht in diesem Maße bewusst ist, wird in der Umfrage deutlich: Lediglich 5 % gaben an, dass es ihnen Spaß macht, sich gern in Facebook in einem anderen Licht zu präsentieren. Meist findet die Selbstinszenierung also gar nicht im Bewusstsein der Nutzer statt, vielmehr werden manche Details nur ein wenig beschönigt und dies wird dann gar nicht als Ablenkung von der eigentlichen Persönlichkeit angesehen.

[...]


1 Hillmann, Karl-Heinz: Wörterbuch der Soziologie, Alfred Kröner Verlag 1982, S. 224.

2 Aus dem Film “The social network”, unter der Regie von David Fincher, erschienen 2010, Zitat von Mark Zu- ckerberg.

3 Faerman, Juan: Faceboom. Wie das soziale Netzwerk Facebook unser Leben verändert. Südwest Verlag 2010, S. 22.

4 Steinschaden, Jakob: Phänomen Facebook. Wie eine Webseite unser Leben auf den Kopf stellt. Ueberreuter Verlag 2010, S. 43.

5 a.a.O. S. 40.

6 a.a.O. S. 41.

7 a.a.O. S. 41 f.

8 a.a.O. S. 42.

9 a.a.O. S. 43.

10 a.a.O. S. 43.

11 entnommen der Startseite von Facebook, http://facebook.com, 19. März 2011, 10:49 Uhr.

12 Faerman, Juan: Faceboom, S. 115.

13 Musterfragebogen und Auswertungsergebnisse finden sich im Anhang.

14 Pham, Khue: Familie Facebook. Wie das Soziale Netzwerk die Kommunikation von zwei Generationen verändert. In: DIE ZEIT Nr. 43 vom 21. Oktober 2010

15 a.a.O.

16 101 Leitlinien für die digitale Welt, nachzulesen auf http://eetiquette.de, 20. März 2011, 18:31 Uhr

17 Stiftung Warentest: Ungeschützt, Soziale Netzwerke im Test. In: Stiftung Warentest 04/2010, April 2010

18 Franck, Georg: Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. C. Hanser Verlag 1998, S.10.

19 Faerman, Juan: Faceboom S. 74. (Voyeurismus beschreibt eine übertriebene und krankhafte Neugier)

20 Steinschaden, Jakob: Phänomen Facebook S. 174. (Narzissmus beschreibt eine übertriebene und auffällige Selbstliebe)

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Facebook. Ein (un)soziales Netzwerk
Untertitel
Wie die Internet-Plattform das Sozialleben der Nullerjahre-Generation auf den Kopf stellte
Hochschule
Bildungszentrum Markdorf - Gymnasium -
Autor
Jahr
2011
Seiten
36
Katalognummer
V170545
ISBN (eBook)
9783640938155
ISBN (Buch)
9783640938100
Dateigröße
969 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Facebook soziales Netzwerk unsozial Freundschaft Internet
Arbeit zitieren
Julian Burger (Autor:in), 2011, Facebook. Ein (un)soziales Netzwerk, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/170545

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