Energieautarkie mit erneuerbaren Energien in Deutschland und ihre Auswirkungen auf eine Energiewende

Dargestellt am Fallbeispiel des Bioenergiedorfes Jühnde


Diplomarbeit, 2010

72 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Problemstellung

3 Erneuerbare Energien
3.1 Grundprinzipien der Entwicklung erneuerbarer Energien
3.1.1 Erstes Grundprinzip Dezentralisierung: Die Geburt der „kleinen überschaubaren Einheiten“
3.1.2 Zweites Grundprinzip: Pluralisierte und basisorientierte Verbreiterung des Akteursfeldes
3.1.3 Drittes Grundprinzip: Ökologie als Leitnorm

4 Stromproduktion aus erneuerbaren Energien
4.1 Status quo
4.2 Staatliche Förderung
4.3 Bürger als Stromerzeuger
4.4 Landwirtschaftliche Betriebe als Stromerzeuger.

5 Das Bioenergiedorf-Projekt Jühnde
5.1 Biomasse als nachhaltige und dezentrale Energiequelle
5.1.1 Definition und Geschichte von Biomasse
5.1.2 Biomasse und Klimaschutz
5.1.2.1 Energiepflanzenanbau und Ökologie
5.1.3 Biomassereserven auf dem Acker, im Wald und in Reststoffen
5.2 Voraussetzungen für ein Bioenergiedorf (Dorfeignung)
5.3 Technisches Konzept
5.4 Zeitlicher Überblick des Umstellungsprozesses
5.5 Ökonomische Umsetzung
5.6 Beteiligung der Einwohner
5.6.1 Organisation des öffentlichen Planungsprozesses
5.6.2 Aktionsforschung
5.6.3 „Unsicherheitsreduktion“ - Die Rolle des IZNE
5.7 Zwischenfazit

6 Erneuerbare Energien und das Stromsystem
6.1 Das Problem der Netzeinspeisung der dezentralen Stromerzeugung
6.2 Dezentralisierung als energiewirtschaftliches Umbaukonzept

7 Ausblick und Fazit

8 Literaturverzeichnis.

1 Einleitung

Auf den Energiesektor konzentriert sich ein großes politisches und öffentliches Interesse, da er, abgesehen von seiner enormen Bedeutung im Wirtschaftsprozess, als ausgesprochen umweltrelevant gilt. In jeglicher Form ist Energieerzeugung eine Beeinflussung der natürlichen Umwelt (worunter ich das Ökosystem Erde als Lebensraum für Menschen, Tiere und Pflanzen verstehe), und die Art und Weise dieser Beeinflussung sind es, die heute besonders in den Blickpunkt gerückt sind. Die bisherige zur Energieerzeugung eingesetzte Kombination aus Primärenergieträgern und Umwandlungstechnologien sowie der hohe Energieverbrauch sind derart gewählt, dass die Beeinflussung der Umwelt Formen angenommen hat, die die Fortschreibung des derzeitigen Modells in Frage stellen.

Hierfür spricht die Endlichkeit der fossil-atomaren Primärenergiequellen sowie die noch drängendere Problematik der Schadstoffemissionen, die durch die Verbrennung der fossilen Rohstoffe entstehen. Wenn man aufgrund dieser Problemstellung (auf die ich in Kapitel 2 ausführlicher eingehen werde) zu dem Schluss kommt, dass das gegenwärtige System der Energieerzeugung reformbedürftig ist, so stellt sich die Frage, warum alternative Formen der nachhaltigen Energieerzeugung nicht in viel stärkerem Maße zur Umsetzung gekommen sind. Dies ist die Frage, die mein Interesse an dieser Arbeit entzündet hat. Mit anderen Worten: Wenn Autarkieprojekte auf der Basis erneuerbarer Energieerzeugung Lösungsansätze für die genannten Probleme bieten, dann steht die Frage im Raum, warum die Energiewende noch nicht verstärkt über diese Möglichkeiten eingeleitet wurde. Für diese Arbeit habe ich das Autarkieprojekt Bioenergiedorf Jühnde ausgewählt und möchte das übergeordnete Thema in diesem eingegrenzten Bereich bearbeiten. Meine Fragestellung wird dabei sein, welches Potential Dörfer für eine Energiewende haben, wenn sie ihre Energieversorgung auf nachhaltiger Basis selbst in die Hand nehmen. Mit anderen Worten: Welches Potential haben Energieautarkie-Projekte am Fallbeispiel des Bioenergiedorfes Jühnde für eine Energiewende in Deutschland?

Meine Wahl fiel deshalb auf diesen Bereich eines Lösungsansatzes, weil der, dem Begriff der Autarkie inne wohnenden dezentralen Versorgungsstruktur, in der Debatte um eine Energiewende eine wesentliche Rolle zugesprochen wird. Die Erscheinungen, die der Begriff der Autarkie benennt, sind implizit der zentralisierten Struktur abgewandt. Zum einen liegen meiner Meinung nach in diesen Gegenpolen die entscheidenden Ursachen für das Ausbleiben der Energiewende, im Gegensatz z.B. zur rein technologischen Ebene. Zum anderen deutet der Begriff explizit auf einen selbstbestimmten und eigenständigen Weg zur Energiewende hin und bezieht somit pluralisierte und basisorientierte Akteursspektren in seine Strategien ein.

Für die Beantwortung meiner Fragestellung werde ich entsprechend den Schwerpunkt auf den sozialen Umsetzungsprozess des Bioenergiedorfes legen, um den für mich wesentlichen Aspekt der Aktivierung und Gewinnung der Akteure, d.h. der Einwohner Jühnde´s, dahingehend zu untersuchen, welche Rolle sie für die Umsetzung der Energiewende spielen. Dabei sollen alle maßgeblichen Faktoren für die erfolgreiche Umgestaltung der Energieversorgung deutlich werden.

Nach der Untersuchung von Jühnde erscheinen mir zwei Themenfelder besonders erkenntnisfördernd, hinsichtlich des Energiewendepotentials von Bioenergiedörfern. Erstens: Wie gewinnt man neue Akteure? Mit welcher Methode wurden Jühnder gewonnen? Zweitens: Wie speist man angesichts der fossil-atomaren Übermacht den erneuerbar erzeugten Strom ein?

Hinsichtlich dieser Unterfragen, werde ich die fossil-atomar dominierten zentralen Versorgungsstrukturen heranziehen und zugleich die staatliche Rolle als „Zünglein an der Waage“ darlegen. Die Betrachtung dieses Dreiecks stellt den Untersuchungsrahmen dieser Arbeit dar.

Die Gliederung der Arbeit ist wie folgt aufgebaut: Nachdem ich innerhalb dieses Abschnittes die von mir verwendete Methode, die Quellen sowie methodische Probleme benenne, habe ich in Kapitel 2 den gewachsenen Umwelt- und energiepolitischen Problemdruck ausgearbeitet, um damit die Problemstellung dieser Arbeit zu verdeutlichen. Kapitel 3 ist den Grundprinzipien der Entwicklung erneuerbarer Energien gewidmet. In Kapitel 4 geht es im konkreten um die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien. An dieser Stelle sei erwähnt, dass ich meine Untersuchungen auf die Biogastechnologie eingegrenzt habe, weil, wie wir später sehen werden, im Bioenergiedorf Jühnde ausschließlich diese Form der Energiequelle genutzt wird. Zudem hätte die Analyse sämtlicher Sektoren aus der erneuerbaren Energie-Branche den Rahmen dieser Arbeit gesprengt. Entsprechend stelle ich den aktuellen Stand der Energieerzeugung aus Biomasse dar und beschreibe die staatliche Förderpolitik anhand des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). In Kapitel 4.3 gehe ich kurz auf den Bürger als Stromerzeuger ein, um daran anschließend (4.4) ausführlicher über landwirtschaftliche Betriebe als die wesentlichen Stromproduzenten aus Biomasse zu berichten. Das umfangreichste Kapitel stellt das Bioenergiedorf-Projekt in Jühnde dar (5). Neben allen wesentlichen Punkten von Biomasse und deren Anbau, bis zur technischen und ökonomischen Umsetzung des Projektes sowie dem zeitlichen Überblick des Umstellungsprozesses, soll in den Kapitel 5.6.1 bis 5.6.3 der Fokus der Umsetzung der Idee aus soziologischer Perspektive gelten. In 5.7 werden die Ergebnisse zusammengefasst. Anschließend geht es in Kapitel 6 um das Problem der Netzeinspeisung des erneuerbaren Stroms (6.1) bzw. um den in Kapitel 3 bereits dargestellten Aspekt der Dezentralisierung als energiewirtschaftliches Umbaukonzept.

Im Fazit (Kapitel 7) soll schließlich eine Zusammenfassung der Ergebnisse und eine Beantwortung der Fragestellung erfolgen. Außerdem wird ein Ausblick über die Rolle des Staates gegeben.

Methode und Begriffsbestimmungen

Die von mir verwendete Methode ist die folgende: Zur Beantwortung meiner Fragestellung habe ich eine Arbeitshypothese aufgestellt: Diese lautet entsprechend der Fragestellung: Bioenergiedörfer, wie in Jühnde umgesetzt, haben tatsächlich ein nennenswertes Potenzial für eine Energiewende in Deutschland. Zur Verifizierung dieser These habe ich das Mittel der beschreibenden Analyse verwendet sowie die Problematisierung der von mir verwendeten Begriffe.

Die benutzten Quellen waren zum einen Sekundärquellen, also Texte, die selbst bereits Primärquellen zusammengefasst und interpretiert waren. Ich habe aber auch selbst einige Primärquellen verwendet, wie die Gesetzestexte über die verschiedenen Fassungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.

Außerdem habe ich zwei Experteninterviews geführt, da es über das Bioenergiedorf noch kaum wissenschaftliche Literatur gibt. Dies waren Prof. Hans Ruppert vom IZNE Göttingen, der das Projekt in Jühnde geleitet hat. Und mit Frau Dr. Swantje Eigner-Thiel. Als Psychologin gehörte sie ebenfalls der Forschergruppe des IZNE an und hatte ihr Hauptaufgabengebiet in der Arbeitsgruppe „Öffentlichkeitsarbeit“. Das es aus Zeitgründen nicht möglich war, repräsentative VertreterInnen anderer Ebenen zu interviewen, könnte dies als methodisches Problem eingestuft werden. Ich habe die Interviews von daher nur als ergänzende Information gewertet.

Ein weiteres Problem bestand darin, festzustellen, wie groß die Reichweite des von mir festzustellenden Potenzials ist. Hierzu wäre ein Vergleich mit beispielsweise anderen Projektideen hilfreich gewesen.

Ein drittes methodisches Problem bestand in der Auswahl meines Begriffes Autarkie, das ich sozusagen als Perspektive und Instrumentarium für die Bearbeitung meines Themas verwenden wollte. Es stellte sich jedoch heraus, dass dieser Begriff nicht eindeutig gegenüber des Begriffes der Zentralität abgrenzbar ist, da, wie am Fallbeispiel Jühnde zu sehen sein wird, das autarke Element der eigenständigen Stromerzeugung in das zentralistische hineingreift und andersherum, weil der in Jühnde produzierte Strom nicht zur Selbstversorgung dient, sondern in das Verbundnetz eingespeist wird. Im Gegenzug beliefern die bisherigen konventionellen Versorger die Einwohner in Jühnde.

Diese Verwobenheit wird in Kapitel 6 dieser Arbeit noch einmal veranschaulicht.

2 Problemstellung

Ein Großteil der weltweiten Umweltschäden ist durch direkte und indirekte Energienutzung verursacht (Umweltbundesamt, 2002a). Durch die Verbrennung der fossilen Energieträger wird der darin über viele Millionen Jahre gespeicherte Kohlenstoff in wenigen Jahrhunderten freigesetzt.

Laut dem zwischen den EU-Ländern vereinbarten „burden sharing“, durch das innerhalb der Gemeinschaft – wie im Kyoto-Protokoll vorgesehen – die Treibhausgasemissionen bis 2008/2012 um insgesamt acht Prozent abzunehmen haben, müssen die Emissionen in Deutschland um 21 Prozent gesenkt werden. Bis 2001 hat Deutschland bereits rund 85 Prozent seiner Reduktionspflicht geleistet und seine Treibhausgas-Emissionen um 18 Prozent gegenüber 1990 verringert. Von 1990 bis 2002 nahmen die CO2-Emissionen in Deutschland um 15,5 Prozent ab, wobei 80 Prozent dieser Emissionsminderung auf die Jahre bis 1995 entfallen, als sich die industrielle Struktur in den neuen Bundesländern im Umbruch befand – in der internationalen Diskussion wird in diesem Zusammenhang auch vom „wall fall profit“ gesprochen (Reiche, 2004). Dass seit 2000 die CO2- Emissionen in Deutschland wieder zugenommen haben, kann als Argument für die Notwendigkeit eines zukünftig noch stärkeren Einsatzes der weitgehend emissionsfreien erneuerbaren Energien angeführt werden, weil die jüngste Entwicklung in erster Linie auf die zunehmende Emissionsbelastung aus dem Bereich der Energieerzeugung zurückzuführen ist (ebenda). Laut der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen stiegen die Kraftwerksemissionen aufgrund verstärkten Kohleeinsatzes zwischen 2000 und 2002 um rund zwölf Millionen Tonnen (von 361,1 auf 373 Millionen Tonnen). Die zunehmende Kohleverstromung hat im Jahr 2003 zu einem erneutem Anstieg der CO2-Emissionen geführt, und zwar um 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das deutsche Unternehmen RWE, das seine Elektrizität zu einem Großteil in Braunkohlekraftwerken produziert, ist nach wie vor der bei weitem größte CO2-Emittent in der Europäischen Union (FAZ 4.3.2004: 12, Neue Energie 3/2004: 15).

Der Anstieg der CO2-Konzentration hat verheerende Folgen: Der sogenannte Treibhauseffekt hat seit 1861 einen durchschnittlichen Temperaturanstieg auf der Erde um circa, 0,8 °C bewirkt; die 1990er Jahre waren weltweit das wärmste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts; sieben der heißesten Jahre seit Beginn der Temperaturmessungen lagen in diesem Jahrzehnt; der Meeresspiegel erhöhte sich im vergangenen Jahrhundert um 10 bis 20 cm; in der Nordhemisphäre sank die Schneebedeckung seit 1960 um 10%; im pazifischen Ozean werden seit 1970 häufigere, länger andauernde und intensivere Temperaturauffälligkeiten (sogenannte El Nino-Ereignisse) beobachtet. Extreme Wetterereignisse wie Stürme, Dürren, Starkregen oder Hitzewellen werden zunehmen (Umweltbundesamt, 2002a).

Weitere deutlich wahrnehmbaren Folgen zeigen sich zum Beispiel darin, dass die Hälfte der alpinen Gletscher und der großen Dauerfrostgebiete bis zum Ende des 21. Jahrhunderts verschwunden sein könnten. Viele Gletscher haben sich in jüngster Vergangenheit in weniger als einem Jahrzehnt mehrere hundert Meter zurückgezogen. Das Tempo, in dem die Gletscher schmelzen, ist, verglichen mit natürlichen Schwankungsprozessen, außergewöhnlich hoch (Watson, 2001). Auch die Gefahr von Fluss-Hochwassern wir weiter zunehmen (Umweltbundesamt, 2002a). Diese Zunahme hat wiederum Folgen für Naturschutzgebiete in Flussnähe, für menschliches Leben und Siedlungen, für die Industrie, den Tourismus und die Landwirtschaft. In Süd- und Osteuropa wird sich die landwirtschaftliche Produktivität verringern, in Nordeuropa wird es – bei einem Temperaturanstieg von bis zu 3° C – zunächst positive Effekte auf landwirtschaftliche Erträge geben. Wachstumszonen werden dich nach Norden verlagern. Dabei werden aber wichtige Lebensräume wie Feuchtgebiete, Moore, Tundren und isolierte Habitate verloren gehen. (Umweltbundesamt, 2002a).

Bis zum Ende des Jahrhunderts ist weltweit ein Temperaturanstieg um 2° C bis 6° C vorhergesagt (Zängl/Hamberger, 2004). Die realen Auswirkungen lassen sich zwar nur schwer abschätzen, aber wenn man bedenkt, dass die Temperaturdifferenz zur letzten großen Eiszeit, die vor circa 10.000 Jahren zu Ende ging, auch nur ca. 5° C beträgt, kann man davon ausgehen, dass sie prognostizierten Temperaturerhöhungen einen großen Einfluss auf den Meeresspiegel, die Klimazonen der Erde und dadurch auf unsere Lebensbedingungen, unsere natürlichen Lebensgrundlagen haben werden (ebenda).

Neben diesen Auswirkungen auf das Klima führt die Verbrennung fossiler Energieträger zu lokaler und regionaler Luftverschmutzung, die wiederum zu Gesundheitsschäden beim Menschen, zu Waldschäden, Bodenversauerung und zur Zerstörung von Natur- und Kulturdenkmälern beitragen kann. Die Nutzung der Atomenergie birgt die Gefahr der radioaktiven Verseuchung sowie das Problem der Endlagerung radioaktiver Abfälle; weiter besteht durch die Förderung und den Transport von Erdöl das Risiko, dass Öl aus Tankern, Bohrinseln und Pipelines austritt und Meere, Küsten und Länder verschmutzt. Die Kohleförderung in Tagebauen stellt einen Eingriff in großräumige Ökosysteme dar und kann Kulturlandschaften langfristig verändern.

Neben dem umweltpolitischen Problemdruck durch die wieder steigenden CO2-Emissionen wächst auch aus geostrategischer Sicht der Handlungsbedarf.

Die heute überwiegend eingesetzten Energieträger Erdöl und Erdgas, Kohle sowie die Kernkraft sind nur begrenzt auf der Erde vorhanden sind. Es kann zwar nicht genau gesagt werden, wie viele Jahre die einzelnen Energieträger noch reichen werden. Es ist jedoch stark anzunehmen, dass der weltweit steigende Energieverbrauch eine deutliche Verknappung der fossil-atomaren Rohstoffe zur Folge haben wird.

In Deutschland ist eine steigende Importabhängigkeit festzustellen:

Lag der Nettoimportanteil am Primärenergieverbrauch im Jahr 1990 noch bei 46 Prozent, so stieg er bis 2002 auf 61 Prozent (siehe Tabelle ).

Tabelle: Nettoimportanteil am Primärenergieverbrauch in Deutschland, 1990-2002

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: BMWA, 2003; eigene Darstellung.

Größere inländische Vorkommen bestehen ausgerechnet nur bei der besonders klimaschädlichen Kohle, wobei bei der Steinkohle noch die enormen volkswirtschaftlichen Kosten hinzukommen (direkte öffentliche Zuwendungen, externe Kosten) (Reiche, 2004). Gerade nach dem Irakkrieg wurde aus vielen Richtungen darauf hingewiesen, dass eine Reduzierung der wachsenden Importabhängigkeit auch aus friedenspolitischer Perspektive bedeutend werden könnte. Eine zunehmende Energieautarkie durch Nutzung erneuerbarer Energien würde demnach dazu beitragen, nicht von politisch instabilen Regionen abhängig zu sein. Insofern wird von der Energiewende als eine „Strategie zu Kriegsvermeidung“ (Kolb und Grobe, 2003) gesprochen.

Die Stabilität internationaler Beziehungen werden zudem durch die Folgen des Klimawandels bedroht: Nicht nur die bereits stattfindenden Verteilungskämpfe um die knapper werdenden Energieträger, sondern auch die um lebensfreundliche Siedlungsräume werden zunehmen und an Intensität gewinnen (Ruppert 2008). Ackerflächenverlust und Wüstenbildung in Folge von Wasserknappheit, Überschwemmungen in Folge des Ansteigens der Meeresspiegel und durch Starkregenereignisse werden zu Wanderungsbewegungen führen und den Siedlungsdruck in die Als Reaktion auf diese durch Nutzung fossil-atomarer Energieträger entstehenden Probleme hatte sich die Bundesregierung verpflichtet, die Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2005 um 25 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren sowie den Ausstoß einer Reihe anderer klimaschädlicher Gase in der Periode 2008 bis 2012 um 21 Prozent zu verringern (Basisjahr: 1990) (vgl. Die Bundesregierung 2002, 147).

Eine Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energieträger eröffnet Lösungsansätze für beide dargestellten Problemlagen: Durch die Nutzung nachhaltiger und heimischer Ressourcen kann einerseits eine autarke Versorgungsstruktur entstehen, sodass die hohe Importabhängigkeit von den sich verknappenden fossil-atomaren Energieträgern reduziert wird. Und andererseits trägt eine Energieversorgung auf erneuerbarer Basis zur Verminderung des Kohlendioxidaustoßes bei.

In Anerkennung dieser Problemlagen wurden die Ausbauziele für erneuerbare Energien in Deutschland in den letzten Jahren immer weiter nach oben geschraubt und finden in der aktuellsten Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes von 2009 ihre Höchstmarke: bis zum Jahr 2020 soll der Anteil der erneuerbaren Energien 30% am Gesamtenergieverbrauch in Deutschland betragen (§ 1 EEG 2009).

Ein Sektor der erneuerbaren Energien ist die Stromproduktion aus Biomasse, deren aktuellen Stand, die Rolle der Bürger und der landwirtschaftlichen Betriebe sowie die staatlichen Förderinstrumente ich in Kapitel 4 herausarbeiten werde.

Zunächst stelle ich die Grundprinzipien der Entwicklung erneuerbarer Energien dar.

3 Erneuerbare Energien

Autarke Energieversorgungssyteme als Gegenentwurf zum etablierten Stromsystem hatten Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre noch weitgehend einen utopischen Charakter. Oder anders gesagt: Die Energieproduktion aus regenerativen Energien war in diesem Zeitraum mehr Idee als Realität. Die Entdeckung der erneuerbaren Energien orientierte sich stark an dem damals weit verbreiteten Bild der „sanften Energien“1. Auf der Basis dieses Leitbildes wurde die Nutzung erneuerbarer Energien in den politischen Zielkanon, aber auch in den (sub-)kulturellen Sinn- und Erfahrungshorizont der Umwelt- und Alternativbewegung aufgenommen.

In den Vorstellungen, die zur „sanften“ oder „alternativen Technologie“ entwickelt und zur Diskussion gestellt wurden, spielte die Energie als das „Herzstück jedes ökologischen und technologischen Systems“ eine tragende Rolle. Somit bildeten die vier alternativen Hauptenergiequellen Sonne, Wind, Wasser und Methan (heutige Bezeichnung Biogas) „die Funktionsbasis der utopischen Technologie“ (Dickson, 95 f.).

3.1 Grundprinzipien der Entwicklung erneuerbarer Energien

Betrachtet man die hoch ambitionierten und weltanschaulich aufgeladenen Ziele, die die Wiederentdeckung der erneuerbaren Energien beförderten, werden drei zentrale Grundsätze erkennbar. Erstens der Grundsatz der technischen und ökonomischen Dezentralisierung der Energieproduktion, zweitens der Grundsatz der (vor allem basisorientierten) Verbreiterung des dafür relevanten Akteursfeldes sowie drittens der Grundsatz, Ökologie als neue Leitnorm des Handelns im Energiesektor zu betrachten. Ich skizziere diese drei Grundsätze zunächst mit Blick auf die Vorstellungen, die mit ihnen im Rahmen der frühen utopischen Entwürfe des „sanften Energiepfades“ verbunden waren. Im weiteren Verlauf der Untersuchung wird sich zeigen, dass sie bis heute im Zentrum der Entwicklung der alternativen Stromerzeugung stehen.

3.1.1 Erstes Grundprinzip Dezentralisierung: Die Geburt der „kleinen überschaubaren Einheiten“

Die Forderung nach Dezentralisierung war eines der Kernstücke der Gesellschafts- und Kulturkritik sowie der alternativen Gegenentwürfe der neuen sozialen Bewegungen. Das dahinter stehende Idealbild waren die „kleinen überschaubaren Einheiten“. Diese Forderungen richteten sich zum einen gegen den Moloch der Großstadt, seine anonymisierte Lebensweise und seine als menschen- und naturfeindlich empfundenen Strukturen sowie zum anderen gegen die modernen Industrieagglomerationen als Sinnbild von Naturzerstörung und Ressourcenverschwendung in Produktion und Kon- sumtion. Darüber hinaus fungierte das Idealbild der „kleinen überschaubaren Einheiten“ als Gegenentwurf zur wahrgenommenen Fremdbestimmung in (groß-) kapitalistischen Produktions- und Arbeitsformen wie auch innerhalb der staatlichen Bürokratie und der Repräsentativdemokratie. Die Verfechter der Dezentralisierung beschränkten sich jedoch nicht darauf, sozialromantische Szenarien zu entwerfen. Vielmehr wurde das Ideal der „kleinen überschaubaren Einheiten“ vielerorts modellhaft praktiziert. Ende der 1970er Jahre hatte sich in der Bundesrepublik ein „polit-ökonomisches Ökotop der Projekte“ (Huber 1979, 117) herausgebildet, dessen Strömungen und Aktionsfelder unter dem Sammelbegriff der „Alternativbewegung“ zusammengefasst wurden (Huber 1980; Brand et al. 1983, 154 ff.).

Seine lokalen Hochburgen hatte dieses „Ökotop“ vor allem in bestimmten großstädtischen Quartieren. Es bildete den Nährboden eines „kollektiven Gärungsprozesses“ (Huber 1979, 117), in dessen Verlauf in einer Vielzahl von Varianten und auf ganz praktische Art und Weise die Idee der kleinen und überschaubaren Einheiten in der experimentellen Versuchsanordnung selbstorganisierter und selbstverwalteter Projekte erprobt wurde.2 Auch wenn diese lokalen „Projekt-Ökotope“ nicht ernsthaft an den kritisierten zentralisierten Großstrukturen der Gesellschaft zu rütteln vermochten, so waren sie doch der Versuch, eines der populärsten Leitmotive der neuen sozialen Bewegungen – „small is beautiful“ – mit praktischem Leben zu füllen (Mautz/Byzio/Rosenbaum, 2008).

3.1.2 Zweites Grundprinzip: Pluralisierte und basisorientierte Verbreiterung des Akteursfeldes

Mit dem Ideal der „kleinen überschaubaren Einheiten“ verbanden sich insofern auf der Akteursebene Vorstellungen, die im Idealfall auf eine neuartige Genossenschaftsbewegung hinausliefen (Huber 1979, 114). In genossenschaftlich organisierten Einheiten sollten Selbstorganisation, solidarische und egalitäre Verkehrsformen, basisdemokratische Partizipation sowie ein Höchstmaß an Selbstbestimmung verwirklicht werden.4 Für den Bereich der Energieproduktion wurden in den Szenarien und Konzeptentwürfen der „utopischen Technologien“ aber auch andere potenzielle Akteure ins Spiel gebracht. Wiederum ausgehend vom oben beschriebenen „Dezentralisierungspostulat“ (Brand et al. 1983, 116) lag der Gedanke nahe, die alternative Energiequelle Biogas unter anderem als Teil eines landwirtschaftlichen Produktionskreislaufs zu nutzen (Dickson 1978, 98 f.). Dadurch würden Landwirte (oder die alternativen Landkommunen) zu Energieproduzenten werden. Der Kreis der alternativen Energieproduzenten ließe sich zudem beträchtlich erweitern, wenn im Zuge dezentralisierter Wohn- und Siedlungsformen alle Möglichkeiten ausgeschöpft würden, alternative Energiequellen dezentral in die Haus- und Wohntechnik zu integrieren. Dickson berichtet über experimentelle Architektur- und Bauprojekte der frühen 1970er Jahre, in denen auch autonome Energieversorgungssysteme erprobt wurden: „Die Londoner Gruppe Street Farmer baute z.B. am Rand eines Sportplatzes ein ,Ökohaus‘. Das Haus ist aus Holz und aus Kunststoff gebaut, misst neun auf zwölf Meter, und die Materialkosten beliefen sich auf 650 Pfund. Wiederum wird die Sonnenenergie als hauptsächliche Wärmequelle verwendet, während der gesamte organische Abfall in einen Drei-Tank-Verweser geleitet wird. Dieser produziert sowohl Methangas (heutige Bezeichnung Biogas, der Verf.) zum Kochen wie auch flüssigen und festen Dünger.“ (Dickson 1978, 103). Auch wenn alle Versuche „noch weit im Experimentierstadium“ waren (ebenda), so schien sich doch im Hinblick auf die Nutzung regenerativer Energien eine im Kontrast zur traditionell zentralisierten Großversorgung revolutionäre Möglichkeit abzuzeichnen: Perspektivisch betrachtet konnte im Grunde jedermann zum alternativen Energieproduzenten werden.

Betrachten wir nun die beiden Prinzipien „Dezentralisierung“ und „basisorientierte Verbreiterung des Akteursfeldes“ zusammen, dann bleibt für die erste Entwicklungsphase Folgendes festzuhalten: Die Vorstellungen über eine Energieversorgung auf Basis regenerativer Energien, sei es auf der Ebene von landwirtschaftlichen, handwerklichen oder industriellen Produktionsstätten, auf der Ebene der einzelnen Haushalte oder auf (klein-)kommunaler Ebene, liefen nicht nur auf eine zukünftige plurale Struktur der Energieproduzenten hinaus. Sie zielten vielmehr in letzter Konsequenz auf eine radikale Alternative zum bestehenden Elektrizitätsversorgungssystem ab, nämlich auf die weitestgehende Abkopplung vom traditionellen Verbundnetz der großen Energieversorger und damit letztlich auf eine dezentrale Selbstversorgung. Dass dies die Zielperspektive sein müsste, stellt Dickson anhand der von ihm berichteten Pionierprojekte im Bereich alternativer Wohn- und Siedlungsformen dar, die allesamt Versuche darstellten, die „Abhängigkeit von zentralen Versorgungsunternehmen wie Großkraftwerken o.ä.“ zu vermeiden, „wo es immer möglich ist“ (Dickson 1978, 101). Allerdings zeichnen sich auch in dieser Phase bereits Abweichungen von den Idealvorstellungen ab, die der Praktikabilität des Gegenentwurfs geschuldet sind. Selbst Dicksons Vorstellungen laufen nicht unbedingt auf das Gebot einer vollständigen Selbstversorgung hinaus. Sein Entwurf schließt Lösungen mit ein, in denen die energetische Selbstversorgung dezentralisierter Einheiten und die (Rest-)Versorgung mit netzeingespeister (und regenerativ erzeugter) Elektrizität nebeneinander existieren. Renn entwirft Alternativentwürfe, denen ein „Energiebild des sanften Szenarios“, dem ein künftiges „Mischsystem“ zugrunde liegt, in welchem sich zwar die Haushalte weitgehend selbst mit (regenerativer) Energie versorgen, die Energieversorgung von Industrie- und sonstigen Gewerbebetrieben aber noch zu einem beträchtlichen Teil über zentrale Kohlekraftwerke sichergestellt wird (Renn 1980, 123 f.)3. (Auf welche Weise sich eine Mischform von zentralen und dezentralen Strukturen am Beispiel des Autarkieprojektes Bioenergiedorf Jühnde ausgestaltet, wird im Kapitel 6 näher betrachtet.)

Auch wenn in diesen Überlegungen der Bruch mit dem traditionellen zentralen Energieversorgungssystem weniger radikal ausfällt, so geht auch Renns Szenario von einer Vielzahl neuer, dezentral agierender Energieproduzenten sowie einer pluralen Erzeugerstruktur im Energiebereich aus.

3.1.3 Drittes Grundprinzip: Ökologie als Leitnorm

In den 1970er und 1980er Jahren erfasste das Ökologiethema die bundesrepublikanische Gesellschaft, sodass sich hier ein soziokultureller Wandel vollzog. Seit etwa 1978, ist die Bezeichnung „Ökologiebewegung“ zunehmend gebräuchlich geworden (Brand et al. 1983, 96) Die gesellschaftliche Bedeutung dieser Entwicklung lag nicht zuletzt darin, dass „die Faszinationskraft des Begriffs und die Idee der Ökologie“ (ebenda) schnell weit über die ökologischen Aktivistengruppen hinaus auszustrahlen begannen. Nun erfasste sie auch einzelne Wissenschaftler und private Institutionen sowie – ab den 1980er Jahren – die sich reformierenden Naturschutzverbände, die sich daraufhin ebenfalls der Ökologiebewegung zurechneten. Damit wurde die Ökologiebewegung, so Brand, „für eine bestimmte Zeit, vor allem in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre, zum kulturell integrierenden Kern (…) in der Bundesrepublik.“ (Brand 1999, 247).

Vor allem innerhalb des sogennanten Bewegungsmilieus entwickelte sich der Begriff „Ökologie“ zur Leitnorm einer neuen Wertehierarchie, insofern er „den verschiedenen Bewegungssträngen eine lose Integrationsideologie (lieferte), die sich auf eine ökologisch gefärbte Kritik am industriellen Wachstumsmodell und auf die gegenkulturelle Vision einer ,sanften‘, ökologisch verträglichen, basisdemokratisch organisierten,egalitären Gesellschaft stützt(e)“ (ebenda).

Kennzeichnend für den moralischen Rigorismus war, dass „den ökologischen Forderungen (...) eine höhere Form der Unbedingtheit als allen konkurrierenden Anforderungen zukommen“ sollte (Heine et al. 2001, 30). Immerhin stünde das (Über-)Leben von Natur und Mensch auf dem Spiel, so die Botschaft zeittypischer Bestandsaufnahmen zur (globalen) ökologischen Lage4. Etwa im Hinblick auf die sinnvolle Nutzung von Verkehrsmitteln oder den sparsamen Umgang mit Energie wurde „Ökologie“ unter den Anhängern und Sympathisanten der Umweltbewegung zu einem zentralen, aber zumeist noch sehr theoretischen Bezugspunkt der Alltagsmoral und des Anspruchs auf Lebensstiländerung (Brand et al. 1983, 100).

Freilich wurde die Leitnorm „Ökologie“ auch zu einer der Schlüsselkategorien, mit deren Hilfe in den Konzepten zur „alternativen“ bzw. „utopischen“ Technologie die fundamentale Trennung von harter und sanfter Technologie vorgenommen wurde. Unbestrittener Konsens war, dass als „sanfte Techniken“ nur ökologisch weitestgehend unbedenkliche Techniken in Frage kämen – auch wenn die Kategorie der „sanften Technik“ in aller Regel neben der ökologischen noch weitere Dimensionen umfasste (z.B. Dezentralität, geringer Spezialisierungsgrad, Einpassbarkeit in lokale Kulturen, geringe Kapitalintensität, geringes technisches Unfallrisiko)5.

Auch in anderen in den 1970er Jahren diskutierten Konzepten zur alternativen Technik wird der ökologischen Dimension in aller Regel ein hoher Stellenwert eingeräumt. So hebt E.F. Schumacher als zentrale Charakteristika der von ihm so bezeichneten „Mittleren Technologie“ hervor, dass sie mit den Gesetzen der Ökologie vereinbar sein, sorgsam mit knappen Rohstoffen umgehen und dem Menschen dienen müsse, statt ihn zu unterjochen (Renn 1980, 9). Für A. Lovins schließlich gehörte zu den notwendigen Bedingungen einer alternativen, den sanften Energiepfad verfolgenden Gesellschaft, dass sie das „natürliche Gleichgewicht“ erhalte, eine „niedrige Umweltverschmutzung“ aufweise und mit dem „Mensch-Natur-System“ im Einklang stehe (ebenda, 13). An der skizzierten Bandbreite ökologiebezogener Dimensionen wird eines deutlich:

„Ökologie“ war zwar zu einer bedeutenden Leitnorm alternativer Technikentwürfe geworden. Doch dieser Ökologiebezug ging nicht auf eine hinlänglich geschlossene Theorie oder auf eine in der Ökologieszene allgemein verbindliche Konzeption zurück. Vielmehr vereinte er in jeweils unterschiedlicher Mischung ökowissenschaftliche, naturromantische, entfremdungstheoretische oder umweltpolitische Elemente. Brand et al. (1983, 96) sprechen dementsprechend von einer „relativen Unbestimmtheit des (Ökologie-) Begriffs“. Für den „ideologischen Zusammenhalt“ der Ökologiebewegung habe sich diese Unbestimmtheit „keineswegs als hinderlich“ erwiesen.

Vielmehr habe „der hohe Abstraktionsgrad der als ökologisch bezeichneten Prinzipien (...) einen weiten Interpretationsspielraum“ ermöglicht und damit „ dem differenzierten Spektrum der sich entfaltenden Initiativen und Projekte einen unverbindlichen Rahmen“ geboten (ebenda). Entsprechendes lässt sich für die Entwicklung der alternativen Energieproduktionstechniken in dieser Phase festhalten. Die Unschärfe der Leitnorm Ökologie ermöglichte, dass darin die beiden anderen zentralen Merkmale „Dezentralisierung“ und „basisorientierte Erweiterung des Akteursfeldes“ mit aufgenommen werden konnten. Aus der Unbestimmtheit der frühen Ansätze der „ökologischen“ Innovation resultierte ein recht weiter Interpretationsspielraum in Bezug auf mögliche Umsetzungsformen und Anwendungskontexte und damit eine breite Motivationsbasis für potenzielle Innovatoren und Unterstützer. ich: Zusammenfassung und Weiterleitung (nach Zentralisierung des Dezentralen;

Zusammengefasst

Alles in allem war die Entwicklung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energiequellen Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre von einer auffälligen Diskrepanz gekennzeichnet: Auf der einen Seite stand die essentielle sowie identitätsstiftende Bedeutung der „Energiefrage“ für die Ökologiebewegung. Sie äußerte sich in einer fundamentalen Kritik an der in den Industrieländern vorherrschenden Art der Energieerzeugung und -verwendung und im hohen Stellenwert, den die Diskussion über die Systemalternative der „sanften Energien“ innerhalb der wissenschaftlichen und politischen „Ökoszene“ erlangt hatte. Die Gegenentwürfe für den Energiesektor waren ein entscheidender Faktor für die Verwurzelung der Idee, die Stromproduktion auf die Basis erneuerbarer Energiequellen umzustellen.

Auf der anderen Seite waren die regenerativen Energien von der „Ökoszene“ bisher nur sehr verstreut praktisch aufgegriffen und auf ihre Tauglichkeit hin erprobt worden. Eine wesentliche Ursache hierfür war sicherlich die erdrückende ökonomische und technologische Dominanz des traditionellen Energiesektors, die es alternativen Akteuren sehr schwer machte, einem solchen hoch integrierten und gesellschaftlich stark institutionalisierten System mehr als nur punktuelle Nischenaktivitäten entgegenzusetzen. Unter diesen Umständen hätte eine fundamentale Systemalternative, auch wenn sie „nur“ auf das bestehende Energieversorgungssystem abzielte, einen tief greifenden und utopisch erscheinenden gesellschaftlichen Wandel zur Voraussetzung gehabt. Mehr als die tatsächlich deckungsgleiche Verwirklichung dieser Utopie eines „sanften Energiepfads“ war es jedoch entscheidend, welche konkreten Handlungsperspektiven und Motivationen sie den von ihr begeisterten Menschen eröffnet und welche vorstellbare Wirklichkeit sich dabei abzeichnete. Die Suche nach einem praktikablen Gegenentwurf zum bestehenden Energieversorgungssystem war unwiderruflich auf die Agenda der Ökologiebewegung sowie ihres politischen Arms, der Partei der GRÜNEN, gesetzt worden. Das Thema wurde inzwischen – vor allem in den neugegründeten Öko-Instituten – wissenschaftlich bearbeitet, zunehmend publizistisch aufgegriffen und damit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Neben die wenigen Akteure, die die traditionelle Nutzung von Biogas- oder Windkraftanlagen in den 1970er Jahren fortsetzten und dabei vorwiegend technisch oder ökonomisch interessiert waren (z.B. Landwirte, die ihre Energiekosten senken wollten), waren nun die „Idealisten“ und „Überzeugungstäter“ aus der Ökologie- und Alternativbewegung getreten. Diese läuteten eine neue Phase der Entwicklung ein, in der mit den regenerativen Energietechniken auf breiter praktischer – technischer, ökonomischer und sozialer – Ebene experimentiert werden konnte und neue Anwender- und Unterstützerkreise erreichbar wurden.

4 Stromproduktion aus Biogasanlagen

Da die Biomasse der in dem Bioenergiedorf Jühnde genutzte Energieträger ist, sollen die folgenden Erläuterungen als Grundlage für die weitere Untersuchung dienen.

Biogasanlagen sind im Vergleich zu Windkraft- oder Fotovoltaikanlagen weniger auffällig, da sie sich zumeist in das Gebäudeensemble eines landwirtschaftlichen Betriebs einfügen; in einigen süd- und norddeutschen Landstrichen prägen die oft dunkelgrün gestrichenen Anlagenbauten (Vorratssilos, Fermenter, Gasbehälter, Maschinenhaus) bereits das Erscheinungsbild der dortigen Bauernhöfe. Schon diese sichtbaren Veränderungen im Landschafts- und Siedlungsbild sprechen dafür, dass die regenerativen Energien im Wettstreit mit dem traditionellen Stromerzeugungssektor erheblich aufgeholt haben.

Insgesamt liegt der Anteil der regenerativen Energien am deutschen Bruttostromverbrauch mittlerweile (2008) bei 15,1 Prozent. An diesem Anteil stammt die größte Teilmenge aus der Windenergie mit 43,5 Prozent, gefolgt von der Bioenergie mit 29 Prozent, die inzwischen die Wasserkraft mit 23 Prozent überholt hat (BMU 2009). Der regenerative Energiesektor ist damit längst kein ökonomisches Leichtgewicht mehr, sondern hat sich zu einem Wirtschaftsbereich entwickelt, in dem Milliardenumsätze gemacht6 und von dem, wie das Bundesumweltministerium mitteilt, inzwischen „deutlich mehr“ Arbeitsplätze als von „Kohle und Atomkraft zusammen“ gesichert werden (BMU 2005, 4)7.

4.1 Status quo

Schaut man sich die Zuwächse in dem hier betrachteten Biogasbereich an, so kann für den Zeitraum ab 2000 von einer Boomphase gesprochen werden, die alles in allem bis heute anhält: Biogasanlagen haben sich nach Angaben des Bundesumweltministeriums in den letzten Jahren „rasant entwickelt“ (BMU 2009). Waren im Jahr 1999 etwa 850 Anlagen am Netz, die insgesamt 50 MW elektrische Leistung installiert hatten, so sind es im Jahr 2008 etwa 4000 Biogasanlagen mit einer installierten Leistung von ca. 1.400 MW. Allein im Jahr 2005 sind ca. 500, im Jahr 2006 sogar ca. 800 neue Anlagen – überwiegend im landwirtschaftlichen Bereich – in Betrieb gegangen (BMU 2009; FNR 2009)8. In diesem Aufwärtstrend zeigt sich, dass sich die Vergütungsregelungen für Strom aus Biogasanlagen mit dem Inkrafttreten des EEG im Jahr 2000 sowie mit den EEG- Novellen in den Jahren 2004 und 2009 jeweils deutlich verbessert haben9. Der Vorteil der Biogastechnik liegt darin, dass der Strom witterungsunabhängig, das heißt kontinuierlich erzeugt werden kann, so dass eine Biogasanlage im Jahresdurchschnitt auf deutlich mehr Volllaststunden als beispielsweise eine Fotovoltaik- oder Windkraftanlage kommt (Reiche, 2004).

4.2 Das Erneuerbare-Energien-Gesetz

Die traditionelle Energiepolitik basierte – zumindest vor der 1998 erfolgten Liberalisierung des Strommarkts – auf direkten finanziellen Zuwendungen, einer vielschichtigen Beteiligung der öffentlichen Hand an „gemischtwirtschaftlichen“ Energieversorgern sowie vor allem auf der staatlichen Sicherung von Erzeugungs- und Distributionsmonopolen für einige wenige Schlüsselunternehmen (d.h. einer „historische(n) Symbiose von Staat und Energiewirtschaft“, Hennicke/Müller 2006, 130). Der Steuerungsmodus für die erneuerbaren Energien zielt dagegen auf eine indirekte Förderung innovativer Potenziale, die sich jenseits des im Stromsektor traditionell dominierenden Netzwerkes aus staatlichen und ökonomischen Akteuren entfalten sollen. Huber bezeichnet derartige Regulierungsaktivitäten des Staates als „Kontextsteuerung“ (Huber 2001, 362 ff.).10 und sieht deren Stärke in Abgrenzung zu ordnungsrechtlichen Ansätzen darin, in mittel- bis langfristiger Perspektive Umweltinnovationen wie zum Beispiel erneuerbare Energien wirksam fördern zu können – „eben aufgrund der partizipativen, kooperativen Aktivierung von Eigenbeiträgen relevanter Akteursgruppen“ (ebenda, 376).

[...]


1 Vgl. etwa frühe programmatische Äußerungen von Petra Kelly, einer der ersten drei Bundesvorsitzenden der GRÜNSN, die sich zur Snergie- und Arbeitsplatzsicherung für „neue sanfte dezentralisiert Technologien“, unter anderem für die Nutzung der „Wasser- und Windkraft, der Sonnenstrahlung und der biologischen Stoffe wie Abfall, Dung, Pflanzenreste und anderes“ ausspricht; Kelly 1980,L2.

2 Hierbei handelte es sich häufig um soziale Projekte unterschiedlichster Ausrichtung (z.B. Kinderläden, Frauenhäuser, therapeutische Selbsthilfeeinrichtungen usw.) sowie um alternative Kultureinrichtungen. Die Alternativszene umfasste überdies etliche Tausend Projekte mit informellen Charakter, von der Sltern-Kind-Gruppe über nachbarschaftliche Sinkaufsgemeinschaften bis hin zu Formen des gemeinschaftlichen Autoteilens; vgl. Huber 19L9, 112ff.

3 Wobei sich Renn insgesamt kritisch mit damals gängigen Alternativszenarien auseinandersetzt. Für ihn steht weniger die Frage ihre Machbarkeit als die ihrer Wünschbarkeit im Zentrum der Analyse. Er kommt unter soziologischen, ökonomischen und demokratietheoretischen Gesichtspunkten zu einer eher skeptischen bis ablehnenden Antwort; vgl. Renn 1980, insbesondere 113ff.

4 Beispielhafte Buchtitel: Seveso ist überall (1978); Es war einmal ein Fluss (1983); Die deutsche Landschaft stirbt (1983); Was die Erde befällt – nach den Wäldern sterben die Böden (1984); Nach den Bäumen stirbt der Mensch – von der Umweltverschmutzung zur Weltkatastrophe (1984); Schmutzige Wasser – unsere Flüsse und Seen klagen an (1984); Logik der Rettung – wer kann die Apokalypse aufhalten? (1987) usw.

5 Vgl. die Liste utopischer Kennzeichen „sanfter Technologie“ nach R. Clarke, in: Dickson 1978, 89/90.

6 Laut dem Bundesumweltministerium lag der Inlandsumsatz mit erneuerbaren Energien im Jahr 2006 bei ca. 21,6 Mrd. €; BMU 2007, 6.

7 Für das Jahr 2006 meldet das Bundesumweltministerium ca. 214.000 dem Bereich der erneuerbaren Energien zuzurechnende Beschäftigte in Deutschland unter Einbeziehung des Außenhandels und vorgelagerter Wertschöpfungsstufen; BMU 2007, 6.

8 In absoluten Zahlen: In 2008 wurden in Deutschland aus Biogasanlagen rund 9,2 Mrd. kWh Strom erzeugt (FNR 2009).

9 Das in 2000 verabschiedete EEG sah für Biogasanlagen mit einer installierten elektrischen Leistung bis 500 kW (die den Löwenanteil aller landwirtschaftlichen Biogasanlagen ausmachen) eine Einspeisevergütung von 20 Pf/kWh vor, was ca. fünf Pf/kWh über der bisherigen durchschnittlichen Vergütung lag. Die Situation verbesserte sich dann noch einmal mit den EEG-Novellen in 2004 und 2009: Neben der Grundvergütung von bis zu 11,5 Cent/kWh gibt es einen Zuschlag von bis zu sechs Cent/kWh, sofern die Biogasanlage mit KWK ausschließlich mit nachwachsenden Rohstoffen (z.B. Energiepflanzen, Gülle) betrieben wird („Nawaros-Bonus“). Mit Biogasanlagen können nun – je nach Leistungsklasse der Anlage – bis zu 17,5 Cent für eine Kilowattstunde Strom verdient werden; vgl. Reiche, 2004; Zu den aktuellen Änderungen in der Novelle 2009 vgl. www.erneuerbare-energien.de.

10 Im Einzelnen gehören zu diesem Steuerungstypus auch marktbezogene Finanzinstrumente wie z.B. „selektive Subventionen“, um „umweltpolitisch erwünschte Produkt-, Technologie- oder Verfahrensinnovationen“ auf den Weg zu bringen. Ein „umweltpolitisch wirksames Beispiel“ sei die „Subventionierung von Windenergie durch die gesetzliche Einspeisevergütung“ (Huber 2001, 362+371f). 70 Wobei bestimmte Instrumente zur Kontextsteuerung auch staatsinterventionistische „Top-down- Vorgaben“ enthalten können: So schreibt das Erneuerbare-Energien-Gesetz den Energieversorgungsunternehmen vor, den regenerativ erzeugten Strom zu bestimmten Mindestpreisen abzunehmen – eine Regelung, die die Verbraucher über einen Aufschlag auf ihre Stromrechnung zu bezahlen haben; Reiche 2004, 187.

Ende der Leseprobe aus 72 Seiten

Details

Titel
Energieautarkie mit erneuerbaren Energien in Deutschland und ihre Auswirkungen auf eine Energiewende
Untertitel
Dargestellt am Fallbeispiel des Bioenergiedorfes Jühnde
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut (Forschungsstelle für Umweltpolitik))
Note
1,8
Autor
Jahr
2010
Seiten
72
Katalognummer
V170487
ISBN (eBook)
9783640894406
ISBN (Buch)
9783640894543
Dateigröße
755 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
energieautarkie, energien, deutschland, auswirkungen, energiewende, dargestellt, fallbeispiel, bioenergiedorfes, jühnde
Arbeit zitieren
Soner Cetinkaya (Autor:in), 2010, Energieautarkie mit erneuerbaren Energien in Deutschland und ihre Auswirkungen auf eine Energiewende , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/170487

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