Kooperation belebt das Geschäft! Das Verhältnis von Wohlfahrtsverbänden und Selbsthilfe


Hausarbeit (Hauptseminar), 1999

14 Seiten, Note: unbenotet


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Die Entstehung des problematischen Verhältnisses zwischen Wohlfahrtsverbänden und Selbsthilfeinitiativen. Historische Einordnung

2. Die Relevanz der Verhältnisbestimmung für Selbsthilfegruppen und Wohlfahrtsverbände

3. Idealtypische Bestimmung möglicher Umgangsformen der Verbändewohlfahrt mit dem Selbsthilfe-Sektor

4. Kooperation belebt das Geschäft: Intermediarität von Wohlfahrtsverbänden und die Aufgabe einer komplementären Vernetzung

5. Das Geschäft verpaßt? - Empirische Ergebnisse zur Selbsthilfeförderung durch Wohlfahrtsverbände

6. Konsequenzen und Ausblick

Literatur

1. Die Entstehung des problematischen Verhältnisses zwischen Wohlfahrts­verbänden und Selbsthilfeinitiativen. Historische Einordnung

Während die seit den 1960er und 70er Jahren im Zusammenhang mit den politischen Reform- und Sozialbewegungen neu entstehende Selbsthilfebewegung für die Wohl­fahrtsverbände noch eine relativ neue Herausforderung darstellt, ist das Phänomen der Selbsthilfe im Grunde schon ein Uraltes. Seit dem Mittelalter ist nachgewiesen, dass Menschen sich in eigenen und fremden Belangen zusammengeschlossen haben, sei es in Genossenschaften, Gilden oder Bruderschaften. Sie haben damit Hilfe- und Unterstützungssysteme ins Leben gerufen, die für die Entwicklung eines differenzierten Sozialsystems durchaus von Bedeutung waren. Über den engeren Bereich einer solchen - auf gemeinsame Interessenvertretung ausgerichteten - Selbsthilfe hinaus, haben auch seit langer Zeit relativ ähnlich angelegte Zusammenschlüsse selbstorganisierter Fremdhilfe auf die sozialen Herausforderungen der jeweiligen Zeitepochen reagiert. All diese Initiativen zeichnen sich durch einen bestimmten Umstand aus, welcher darin besteht, dass sie nicht auf staatliche Initiative hin gegründet wurden. Auch die Entstehung der Wohlfahrtsverbände kann in je unterschiedlicher Weise diesem Phänomen selbstorganisierter Hilfen zugeordnet werden.[1] So stellt Thomas Olk im Blick auf den geschichtlichen Zusammenhang fest, dass

„die Wohlfahrtsverbände … sich selbst überwiegend als ein historisches Produkt der Selbsthilfe und des ehrenamtlichen Engagements von Bürgern in kleinen Initiativen und Vereinen verstehen und … ihre besondere Produktivität gerade aus diesem historischen Entwicklungsprozess herleiten“.[2]

Allerdings gilt es trotz der Ähnlichkeiten genauer hinzuschauen und zwischen ‘alter’ und ‘neuer’ Selbsthilfe zu differenzieren. Diesbezüglich sind insbesondere die jeweiligen Entstehungs­bedingungen und -kontexte in den Blick zu nehmen. Dabei fällt sogleich auf, dass sich diese Umstände um den vergangenen Jahrhundertwechsel mit der Entstehung und vor allem Ausbreitung des Sozialstaats und der Etablierung seiner Sicherungs- und Unterstützungssysteme entscheidend verändert haben. Dementsprechend charakterisiert Thomas Olk den Unterschied folgendermaßen:

„Während also frühere Selbsthilfe- und Genossenschafts­bewegungen auf das gänzliche Fehlen von organisierten Hilfen beziehungsweise das völlig unzureichende Versorgungs­niveau vorhandener Hilfeinstitutionen reagierten, bezieht sich die ‘neue Selbsthilfe­bewegung’ kritisch auf die Effektivitäts- und Effizienzprobleme bestehender Sozial­politik.“[3]

Das bedeutet im Grunde eine Umkehrung der Verhältnisbestimmung zwischen Selbsthilfe und Staatshilfe. Wurde staatliche Unterstützung und Fürsorge ursprünglich als eine Reaktion auf die offensichtliche Unfähigkeit von primären Bezugsnetzen zu ausreichender Hilfeleistung hin eingeführt - sozusagen die Staatshilfe als Folge des Ausfalls oder der Überforderung der Selbsthilfekräfte -, so hat sich im Zusammenhang der neuen Selbsthilfebewegung diese Logik quasi umgekehrt: Die neue Selbsthilfe versteht sich geradezu als Kritik an der Überbetreuung und Überversorgung durch sozial- und wohlfahrtstaatliche Einrichtungen und Leistungssysteme, denen zudem eine entmündigende Funktion vorgeworfen wird. Für Peter Gross wird damit die

„Formel von Staatshilfe als Frucht der Selbsthilfe gleichsam umgekehrt“ in die Formel von der „Selbsthilfe … als Frucht des Staatsversagens“[4].

Diese Kritik der ‘neuen Selbsthilfe’ und damit auch deren Entstehungsgründe erklärt sich Thomas Olk mit einem doppelten Bezug. Für ihn ist das Aufkommen der Selbsthilfebewegung einerseits zwar als eine Kritik am Sozialstaat und seiner Leistungsreichweite zu verstehen, andererseits aber hängt es auch von der Situation und Leistungsfähigkeit der traditionellen Selbsthilfe­strukturen ab. Das Engagement der Betroffenen in entsprechenden Selbsthilfe­zusammen­schlüssen ist demnach darin begründet bzw. dadurch motiviert,

„weil sie mit der Qualität der Dienstleistung hochgradig verrechtlichter, bürokrati­sierter und professionalisierter Sicherungssysteme nicht (mehr) zufrieden sind und weil sie in ihren primären sozialen Netzwerken (Familie, Verwandtschaft, Freund­schaft, Nachbarschaft) immer weniger diejenigen Unterstützungs- und Beratungs­leistungen erhalten, die sie unter spezifischen Lebensumständen benötigen.“[5]

Insofern trifft die Kritik der Selbsthilfeinitiativen nunmehr auch die Wohl­fahrts­verbände. Diese hatten sich, ursprünglich ebenfalls um einer übermächtig werdenden staatlichen Sozialverwaltung vorzubeugen oder entgegenzuwirken, den prinzipiellen Vorrangs freier Träger vor staatlichen und kommunalen Stellen für die Erfüllung sozialer Aufgaben erstritten. Aufgrund dieses sozialstaatlichen Subsidiaritäts­grundsatzes[6] wurden sie dann allerdings immer mehr derart mit staatlichen Sozialaufgaben betraut, so dass sie sich damit immer stärker auch zu quasi-staatlichen, korporatistischen Organisationen entwickelt haben.

[...]


[1] Zu beachten ist, dass speziell bei den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden deren Begründer J.H. Wichern und L. Werthmann (aus welcher Motivation auch immer) ihre Fremdhilfeinitiativen z.T. gegen die eigenen Kirchen als Großorganisationen durchzusetzen hatten. Sie können also nicht als quasi-korporatistische Gründungen angesehen werden. Am Deutschen Caritasverband zeigt sich dies bis heute darin, dass sie seitens des katholischen Kirchenrechts (CIC) lediglich als „private Vereinigungen von Gläubigen“ eingeordnet werden, wenn auch teilweise für eine Einordnung als „öffentliche kirchliche Vereinigung“ plädiert wird. Vgl. dazu Fürst, W.: Pastorale Diakonie - Diakonische Pastoral, S. 70-72.

[2] Olk, Th.: Wohlfahrtsverbände und Selbsthilfe, S. 88.

[3] Olk, Th.: Wohlfahrtsverbände und Selbsthilfe, S. 89.

[4] Gross, P.: Der Wohlfahrtsstaat und die Bedeutung der Selbsthilfebewegung, S. 29.

[5] Olk, Th.: Wohlfahrtsverbände und Selbsthilfe, S. 89. - Zu fragen wäre im Übrigen nach dem inneren Zusammenhang beider Motive: Wäre es nicht denkbar, dass die zunehmende Kritik und Unzufriedenheit mit dem Sozialstaat gerade auch daher rührt, dass dieser angesichts der Rückläufigkeit traditioneller Hilfe- und Stützungsnetze sowie zunehmend differenzierterer und komplexerer Unterstützungserfordernisse sich zwangsläufig derart ausbreiten mußte?

[6] Vgl. dazu ausführlicher Boeßenecker, K.-H.: Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege (1995), S. 11-15.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Kooperation belebt das Geschäft! Das Verhältnis von Wohlfahrtsverbänden und Selbsthilfe
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Institut für Erziehungswissenschaft)
Veranstaltung
Wohlfahrtsverbände
Note
unbenotet
Autor
Jahr
1999
Seiten
14
Katalognummer
V17020
ISBN (eBook)
9783638217057
ISBN (Buch)
9783656630753
Dateigröße
475 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Das Spannungsverhältnis zwischen freien Wohlfahrtsverbänden und Selbsthilfesektor soll produktiv aufgelöst werden.
Schlagworte
Kooperation, Geschäft, Verhältnis, Wohlfahrtsverbänden, Selbsthilfe, Wohlfahrtsverbände
Arbeit zitieren
Markus Raschke (Autor:in), 1999, Kooperation belebt das Geschäft! Das Verhältnis von Wohlfahrtsverbänden und Selbsthilfe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17020

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