Die Dramaturgie der modernen Stadt


Seminararbeit, 2003

20 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

A) Einführung; Der Schuh und die Stadt

B) Die Stadt

C) Der Tagesablauf eines Städters aus dramaturgischer Sicht

D) Der symbolische Interaktionismus

E) Interaktion bei Goffman

F) Das dramaturgische Modell bezogen auf die Entwicklung der Stadt

G) Sennetts Sicht der Dinge

H) Zukunftsaussichten

I) Quellen

A) Einführung; Der Schuh und die Stadt

Ich war schon länger auf der Suche nach einem Bild, einem Aufhänger wie die Journalisten zu sagen pflegen. Eines Abends fand ich ihn. Es war an einem späten Montagabend, da sah ich, als ich am Jakominiplatz vorbei ging, einen Damenstiefel auf der Strasse. Da ein Stiefel wenig Sinn macht, begab ich mich auf die Suche nach dem Zweiten, der sich auch mehrere Meter entfernt finden ließ. Diese Damenstiefel waren an sich nichts besonderes, außer dass sie relativ teuer aussahen. Was ist nun so besonderes, dass ich sie in meine Arbeit einbaue? Man muss sich dies nur in einen kleinen Weiler oder überhaupt am Land vorstellen. Es wirkt schlicht und einfach sehr viel unwahrscheinlicher. Von den Schuhen auf ihren Besitzer zu schließen ist auf dem Land sehr viel einfacher als in der Stadt. Es gibt schlicht und einfach viel weniger Leute, denen dieser Schuh gehört haben können und man kennt sie alle. Somit merkt man wie unpersönlicher die Stadt ist und wie gezwungenermaßen persönlicher auf dem Land. Auch wenn die Dame nur aus Jux und Tollerei die beiden Stiefel in der Gegend verstreut war lässt sich das auch nur eher in der Stadt vorstellen. Erstens würde sich auf dem Land jeder am Kopf greifen und sich fragen was das für eine Verschwendung sei, die schönen Schuhe wegzuwerfen. Zweites gibt es in der Stadt tendenziell mehr Leute, die sich so einen Spaß leisten können. Vielleicht ist dies alles recht weit hergeholt, es zeigt jedoch, dass es prinzipielle Unterschiede im Wahrnehmen und Denken zwischen Land und Stadt geben muss.

B) Die Stadt

Stadt [althochdeutsch stat >Ort<, >Stelle<, >Wohnstätte<, >Siedlung<], eine Siedlung, die im Gegensatz zu ländlichen Siedlungen durch ihre meist nicht landwirtschaftlichen Funktionen (Ausnahme: Ackerbürgerstadt) sowie durch eine größere Zahl weiterer Einzelmerkmale mit allerdings je nach Raum und Zeit unterschiedlichen Ausmaßen charakterisiert ist; dazu zählen ihre Größe (v. a. größere Einwohnerzahl), die Geschlossenheit der Ortsform (kompakter Siedlungskörper), höhere Bebauungsdichte, überwiegende Mehrstöckigkeit der Häuser (zumindest im Stadtkern), in der neuzeitlichen Stadt eine deutliche funktionale innere Gliederung (z. B. in City, Wohnviertel, Industrie-, Gewerbe-, Naherholungsgebiete), eine besondere Bevölkerungs- und Sozialstruktur (z. B. überdurchschnittlich hoher Anteil an Einpersonenhaushalten), differenzierte sozialräumliche Gliederung (z. B. Wohnviertelbildung nach Einkommen oder Ethnien), hohe Wohn- und Arbeitsstättendichte, vorherrschende sekundär- und tertiärwirtschaftliche Tätigkeiten bei gleichzeitig hoher Arbeitsteilung, im Allgemeinen ein Einpendlerüberschuss, das Vorherrschen städtischer Lebensformen (z. B. durch spezielle kulturelle Einrichtungen), ein Mindestmaß an Bedeutung für das Umland (zentralörtliche Funktionen, z. B. aufgrund von Versorgungs-, Verwaltungs- und Bildungseinrichtungen), eine relativ hohe Verkehrswertigkeit (z. B. Bündelung wichtiger Verkehrswege, hohe Verkehrsdichte) und eine weitgehend künstliche Umweltgestaltung mit zum Teil hoher Umweltbelastung. Stadt lässt sich heute deshalb nur schwer eindeutig definieren, weil (insbesondere in hoch verstädterten Industriestaaten) die Übergänge zwischen städtischen und ländlichen Siedlungen fließend sind (Stadt-Land-Kontinuum; in Agrargesellschaften besteht dagegen meist ein starker Stadt-Land-Gegensatz).“[1]

Für internationale Stadtvergleiche ist eine Mindestgröße von zwanzigtausend angemessen. Meist wird unterschieden zwischen Landstadt, Kleinstadt, Mittelstadt, Großstadt (Mehr als 100.000 Einwohner), Millionenstadt und neuerdings auch Megastädte über 5 Millionen. Städte kann man in verschiedene Muster einteilen. Spezielle Funktionen (z.B.: Universitätsstadt), über besondere Wirtschaft und Verkehrsfunktionen (z.B.: Hafenstadt). Städte kann man weiters nach topographischen Merkmalen ordnen. Sowie auch nach Baustil, historischer Genese und nach Kulturraum.

Die frühesten Städte entstanden in den alten Hochkulturen, z. B. Jericho in Palästina; Babylon, Ninive, Kisch, Ur und Uruk im Zweistromland; Susa in Persien; Harappa und Mohenjo-Daro in Indien; Yin in China; Theben und Memphis in Ägypten. Sie waren z. T. prunkvolles Symbol der Macht von Gottkönigen.

Griechische und römische Städte: Die griechische Stadt war als Stadtstaat (polis) mit eigenem Staatswesen bestimmendes und tragendes Element der griechischen Geschichte. Erst im 5. Jahrhundert v. Chr. wurde die griechische Stadt mit einer Mauer umgeben.

Frühe römische Städte entstanden bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. in Italien (Norba, Velitrae u. a.); in der Kaiserzeit entwickelte sich die römische Stadt nach dem Vorbild Roms oft zu einer prächtigen Anlage. Auch Handelsplätze und Marktflecken wurden zu Städten ausgebaut (Paris). Neben den gewachsenen Städten gab es in den Provinzen geplante Neugründungen, die vorzugsweise an Flussübergängen, Straßen, Kreuzungen oder angelehnt an römische Militärlager angelegt wurden. Die Römerstädte verloren nach dem Untergang des Weströmischen Reichs und der Völkerwanderung ihre alte Bedeutung.

Mittelalterliche Städte: Im frühen Mittelalter fehlten in Europa die Voraussetzungen für eine Stadtentwicklung völlig; die alten Städte aus der Römerzeit gingen meist beträchtlich in ihrer Einwohnerzahl zurück oder wurden zu Wüstungen. Erst unter den Saliern und Staufern entstanden aus verschiedenen Wurzeln (römisch oppidum, Wik, Markt, Burg) Städte, deren Bedeutung mit dem Aufblühen von Handel und Wirtschaft zunahm, die eigene Rechtsformen entwickelten (Lübecker, Magdeburger, Kölner Stadtrecht), zu politisch eigenständigen Gebilden werden konnten (freie Reichsstädte) und zunehmend seit dem Ende des Mittelalters ein bedeutender politischer Faktor neben Adel und Kirche waren (oberitalienische und flandrische Städte). Seit dem 11. Jahrhundert wurden Städte planmäßig vor allem mit der Besiedlung deutscher Ostgebiete gegründet. Im Spätmittelalter taten sich Städte in Städtebünden (Hanse, Schwäbischer Städtebund u. a.) zusammen; reichsunmittelbare Städte und Bischofsstädte erhielten im deutschen Reichstag Sitz und Stimme. - Die Einwohnerzahl schwankte stark (Pest u. a.). Venedig, London und Paris hatten als Weltstädte über 100 000 Einwohner.

Städte der Neuzeit: In der frühen Neuzeit ging die Bedeutung der Städte im Allgemeinen zurück, nachdem sie in Deutschland in der ersten Phase der Reformation die wichtigsten Stützen der neuen Lehre gewesen waren. Auch ihre militärische Bedeutung schwand mit der Entwicklung der Kriegstechnik. Viele im Spät-Mittelalter bedeutende Städte wie Genf, Köln, Lyon, Augsburg oder Nürnberg schrumpften und verloren ihren Einfluss. Mit den Residenzstädten entstand ein auf höfische Repräsentation ausgerichteter Typ. In den außereuropäischen Ländern begann die Stadtentwicklung weitgehend erst mit der Kolonoialzeit. Bestehende Städte alter Kulturen wie der Inka haben diese Entwicklung kaum beeinflusst. Die Spanier bauten ihre Kolonialstädte in streng schachbrettartigen Grundrissen mit einem großen, mit Anlagen geschmückten rechteckigen Platz im Zentrum, an dem die Kirche und die Verwaltungsgebäude lagen.

Städte im 19. und 20. Jahrhundert: Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Industriestadt. Voraussetzung dafür waren die Neuordnung der Gesellschaft in den bürgerlichen Revolutionen, liberale Agrarreformen, Gewerbefreiheit, Industrialisierung und die Revolutionierung der Verkehrsverhältnsise. Die moderne Großstadt ist meist auch Industriestadt. Sie ist gekennzeichnet durch hohen Zentralitätsgrad, Multifunktionalität, hohe Bebauungsdichte bei gleichzeitiger enormer Ausdehnung. Massenverkehr, Klimaveränderung, anschwellende Stadtverwaltungen, Versorgungs- und Entsorgungsschwierigkeiten kennzeichnen die Stadtentwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dies gilt insbesonders für unterentwickelte Länder, deren Millionenstädte kaum noch fähig sind, die ihnen zuströmende Bevölkerung aufzunehmen und zu versorgen.

C) Der Tagesablauf eines Städters aus dramaturgischer Sicht

Die Stadt ist in ihrer Komplexität die anspruchvollste menschliche Siedlungsform. Anders als am Land vervielfacht sich dort die Anzahl der menschlichen Gruppen mit einer homogenen Kultur. Insgesamt nimmt die Heterogenität zu. Auf dem Land hingegen, kann solch eine Vielzahl unterschiedlicher Gruppen gar nicht erst entstehen, da jeder jeden kennt und es viel weniger Berufe gibt. Da es in der Stadt viel mehr unterschiedliche Gruppen gibt, werden auch die Unterschiedlichkeiten immer augenscheinlicher. So meint Sennett[2], dass keine festsitzenden Rollen mehr gibt sondern sich eine Persönlichkeit aus verschiedenen Identitäten zusammensetzt. Als Beispiel für früher nennt er hier die immer gleichbleibende Rolle Shakespeares. Diese, aus mehreren zusammengesetzte Identität, wird in der Postmoderne „Patchwork-identitäten genannt.

Betrachten wir nun den Tagesablauf eines gemeinen fiktiven “Menschen von nebenan”. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und arbeitet in einem Großraumbüro in der City. Er wohnt am Stadtrand in einem Einfamilienhaus und freut sich jeden Montag schon wieder auf das kommende Wochenende. Dies klingt alles sehr gewöhnlich, ist es auch und man wird sie zu Millionen in der westlichen Welt finden.

In Klammer steht kursiv, wie man diese Art der Vorstellung betiteln könnte. Wir werden sehen, wie dieser gewöhnliche, nahezu fade anmutende Mensch, trotzdem sich selbst auf eigene Weise in Szene setzt und so ein Gesicht bekommt. Nennen wir ihn Herrn Maier .

Herr Maier steht um sechs Uhr dreißig auf. Nach einer kurzen Dusche und einem noch kürzerem Frühstück macht er sich auf den Weg zu seiner Arbeit. Es fährt mit einem teuren Auto. Als er es gekauft hatte konnte er sicher sein das er der einzige in der Firma war, der sich dieses Auto leisten konnte. (Inszenierung von Konsum) In der Firma angekommen nimmt er an seinem Tisch platz, der etwas größer und aufgeräumter wirkt als der seiner Kollegen. Kein Wunder er ist ja der Chef der Abteilung und hat eine eigene Sekretärin, die ihm den Tisch aufräumt. (Inszenierung von Macht) Am späten Vormittag muss er ja noch einer Ehrung beiwohnen. Nicht so schlimm; er ist ja der, der geehrt werden soll. (Inszenierung von Ehre). Nach der Ehrung ist er von seinen Chefs eingeladen worden, mit ihnen zu speisen. Gegessen wird an einem exklusiven Ort; Die Chefetage im obersten Stockwerk. (Inszenierung von Ehre) Der Nachmittag erfolgt relativ ereignislos. Nach der Arbeit trifft er sich noch mit seiner Frau in der Stadt. Sie gehen in die Oper und schauen sich ein Werk eines Newcomers an, der für seine unorthodoxe Art und Weise bekannt ist. (Inszenierung von Kultur)

Am Ende des Tages kommt Herr Maier heim, und, obwohl dies Millionen von Menschen tun, macht er es für sich auf seine Weise. Sein ganzer Tag bestand aus Inszenierungen und das Erkennen derselben bei anderen. In dem Maße wie er versucht Inszenierungen von denjenigen zu durchschauen, mit denen er sich vereinigen will, inszeniert er sich selber wieder. Obwohl er in dieser Abteilung der Firma arbeitet, kann nur er sich dieses Auto leisten und nur er hat so einen großen Tisch sowie eine Sekretärin. Nur er als Chef von seiner Abteilung, bewegt sich unter den wirklichen Bossen. Diese grenzen sich gegenüber den normalen Mitarbeitern ab, indem sie nur mit ihm verhandeln. Außerdem ist er der Kulturmensch in der Abteilung, der am Abend in die Oper geht; Alle anderen schauen Harald Schmidt. Würde er alles das nicht machen, wäre er ja ein “normaler” Mitarbeiter, und daher nichts besonderes.

[...]


[1] Brockhaus - Die Enzyklopädie: in 24 Bänden. 20., neu bearbeitete Auflage. Leipzig, Mannheim: F.A. Brockhaus 1996-99.

[2] Richard Sennett im Interview in „Journal Panorama“ Ö1 am 14.1.03

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Dramaturgie der modernen Stadt
Hochschule
Karl-Franzens-Universität Graz  (Soziologie)
Veranstaltung
Angewandte Soziologie
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2003
Seiten
20
Katalognummer
V16904
ISBN (eBook)
9783638216104
Dateigröße
620 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Begleitveranstaltung zum Forschungspraktikum mit dem Thema &quot,Stadtsoziologie&quot,, Davon aber thematisch unabhägig
Schlagworte
Dramaturgie, Stadt, Angewandte, Soziologie
Arbeit zitieren
Marian Berginz (Autor:in), 2003, Die Dramaturgie der modernen Stadt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16904

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