Die Hexenverfolgung am Beispiel der Stadt Lemgo: Volkstümliche Vorstellungen und historische Rekonstruktion


Bachelorarbeit, 2009

76 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


1) Einleitung

Nach Gerhard Schormann ist die Hexenverfolgung die nach der Judenverfolgung größte deutsche Massentötung von Menschen durch Menschen, die nicht durch Kriege bedingt wurde. Auch gegenwärtig gibt es keine eindeutige Erklärung für dieses Phänomen1, sodass es neben historisch-wissenschaftlichen Fragestellungen vor allem auch in den Fokus des populären und volkstümlichen Interesses rückt2.

Aufgrund der Faszinationskraft dieses Themas gibt es eine Vielzahl von Publikationen, sowohl im wissenschaftlichen, als auch im pseudo-wissenschaftlichen Bereich3. Das große Interesse an den Hexenverfolgungen ist sicherlich nützlich, doch wird die Vermittlung des Themas in Folge dessen eher erschwert und volkstümliche Vorstellungen werden bedient und verfestigt4. Durch die Flut von Publikationen auf diesem Gebiet ist es vor allem für den Laien schwierig, relevante von subkultureller Literatur zu unterscheiden. Vor allem die überholte Literatur, die aufgrund des kommerziellen Interesses immer wieder in Nachdrucken auf den Markt kommt, und die beträchtlichen Markterfolge pseudo-wissenschaftlicher Werke sorgen für Verwirrung und erschweren die Selektion. Besonders das Genre des „Historischen Romans“ wirkt trügerisch. Es suggeriert eine historisch-wissenschaftliche Grundlage, bedient aber häufig eher das populäre Interesse am Thema und zeichnet sich durch schwarz-weiß gezeichnete Geschichten, die wenig mit den tatsächlichen Geschehnissen während der Hexenverfolgungen zu tun haben, aus. Aber nicht nur überholte oder pseudo-wissenschaftliche Werke erfüllen häufig Klischees oder verbreiten eine stark verklärte Sichtweise der „Hexen“ und der Hexenverfolgungen. In Zeitschriften dient die Hexenfigur häufig didaktischen Zwecken, z. B. die kleine Hexe Lorit in der Südtiroler Zeitschrift für Landeskunde „Der Schlern“5 und auch im Internet finden sich unter dem Stichwort „Hexerei“ eine Vielzahl von Angeboten. Rund 338.000 Einträge lassen dabei weit mehr als ein rein historisches Interesse erkennen. In diesem breiten Fundus befinden sich z. B. Artikel, in denen der Glaube an real existierende Hexerei bzw. Hexen propagiert wird („Es gibt Hexerei“6 ) oder der Wunsch über Hexenkunst zu verfügen („Der Pfad der Hexen. Heilkräuter sammeln, trocknen und lagern“7 ) geäußert wird.

Auch die Figurenensembles alter Erzähltraditionen wie Märchen und Sagen kennzeichnen sich durch die Charaktere der „bösen Hexe“ und der „guten Fee“ und beeinflussen unser „Hexenbild“ bereits in der Kindheit8. Insbesondere die Märchenfiguren der Gebrüder Grimm (z. B. Hänsel und Gretel, Schneewittchen, Dornröschen) haben das Bild der Hexe im 19. Jahrhundert maßgeblich geprägt9.

Dazu gesellen sich neuere, gegensätzliche Fiktionen wie „Kleine Hexe“ von Ottfried Preußler, die das Bild der abgrundtief bösen Hexenfigur relativieren oder die wie „Harry Potter“ von J. K. Rowling die Konflikte der realen Welt in die Zauberwelt (Harry Potters) übertragen10.

Im Gegensatz zur Subkultur ist das Thema „Hexenverfolgung“ an deutschen Universitäten kein intensiv erforschtes Gebiet. An den Hochschulen befassen sich neben Medizinern und Germanisten hauptsächlich Juristen mit diesem Thema. Die Haltung deutscher Historiker steht der französischer Historiker diametral gegenüber, indem sich zahlreiche bedeutende französische Historiker wie Lucien Febvre oder Pierre Chaunu mit diesem Gebiet beschäftigt haben und noch immer beschäftigen.

Daher wird das Thema in deutschen Hand- und Schulbüchern auch heutzutage noch kaum behandelt11.

Nicht zuletzt aufgrund der geringen Beschäftigung deutscher Historiker mit dem Gebiet der Verfolgungen werden volkstümliche und populären Deutungen bzw. Klischees in Bezug auf die Hexenverfolgungen bedient und tradiert. Daher möchte ich im Rahmen meiner Bachelor-Arbeit versuchen, die volkstümliche Deutung der Hexenverfolgungen, die vor allem auch durch die Literatur beeinflusst wird, näher zu überprüfen. Dazu möchte ich einige weit verbreitete, volkstümliche Thesen bzw. vermeintliche Charakteristika der Hexenverfolgungen exemplarisch auswählen, um sie anschließend zu analysieren.

Im Verlauf meiner Arbeit werden daher die folgenden Thesen historisch rekonstruiert: „Die massenhaften Hexenverfolgungen fanden im Mittelalter statt“; „Die Hexenverfolgung war eine große, zusammenhängende Verfolgung“; „Die Hexenverfolgungen waren ein Verbrechen der (katholischen) Kirche“; „Jeder Zaubereiverdacht führte zu einer gerichtsrelevanten Anklage wegen Hexerei“; „Hexereiverfahren führten grundsätzlich zum Todesurteil“ und „Nur Frauen wurden der Hexerei verdächtigt und zum Opfer der Hexenverfolgungen“. Die jeweiligen Analysen der Thesen können dabei je nach Komplexität der einzelnen These in ihrem Umfang variieren.

Doch bevor die ausgewählten Thesen untersucht werden, möchte ich zunächst eine Grundlage für die Beschäftigung mit den Thesen schaffen. Daher soll zuvor eine Definition von Hexerei, der Hexentheorie und Hexenprozessen in die Materie der Hexenverfolgungen einleiten. Anschließend wird die Hexenverfolgung am Beispiel der Stadt Lemgo verdeutlicht, da sie als eine der „Hochburgen der Hexeninquisition“12 einen breiten Fundus an Material über die Verfolgungen bietet. Danach soll auf die Grundkategorien literarischer und volkstümlicher Fiktionen und auf die Entwicklung der Auffassung gegenüber Hexerei bzw. den Hexenverfolgungen eingegangen werden.

Da es im Rahmen einer Bachelor-Arbeit unmöglich wäre, den gesamten Zeitraum der Hexenverfolgungen detailliert zu untersuchen, beziehen sich die folgenden Ausführungen insbesondere auf die Hochphase der Verfolgungen, in etwas knapperer Form werde ich aber auch auf die die Hochphase umgebenden Zeitabschnitte eingehen, da sie teilweise für das Verständnis und die Untersuchung der Thesen bedeutsam sind. Des Weiteren liegt das Hauptaugenmerk meiner Arbeit auf dem Alten Reich, der europäische Raum soll dennoch miteinbezogen werden, da er für die Untersuchung einiger Thesen von Bedeutung ist.

Da auch die deutschen Regionen nicht vollständig und detailliert untersucht werden können, soll die Untersuchung der im Verlauf meiner Arbeit aufgeführten Thesen durch exemplarische, regionale Beispiele unterstützt werden. Dazu soll vor allem die Stadt Lemgo näher herangezogen werden.

Des Weiteren möchte ich noch darauf hinweisen, dass die Begriffe „Hexe“ bzw. „Hexen“ in der Literatur häufig nicht nur für das weibliche Geschlecht verwendet werden, sondern auch Männer damit bezeichnet werden. Der Einfachheit halber und da die Formulierungen häufig keine klare Unterscheidung zwischen den Geschlechtern zulassen, werden die Begriffe „Hexe“ bzw. „Hexen“ im Rahmen dieser Arbeit auch für das männliche Geschlecht verwendet bzw. können auch Männer implizieren.

2) Definition von Hexerei, der Hexentheorie und Hexenprozessen

2.1) „Hexerei“

Für die Beschäftigung mit Hexenprozessen ist die Klärung der Vorstellungen und Phantasien, die ihnen zugrunde lagen, unerlässlich. Aufgrund der Vielschichtigkeit der Vorstellungen muss der Begriff „Hexerei“ zunächst näher definiert werden.

In allen Kulturen und Epochen existiert und existierte der Glaube an übernatürliche Kräfte und an Personen, die über solche verfügen. Dazu werden Formeln oder Rituale benötigt, über die nur Eingeweihte verfügen. Die Kräfte verwehren sich dabei dem modernen naturwissenschaftlichen Denken. Sollen diese Praktiken zur Heilung von Krankheiten, Wahrsagerei, Wiedergutmachung von bereits eingetretenen Unglücken, zum Schutz vor Gebrechen oder zum materiellen Vorteil dienen, wurden und werden sie als „weiße Magie“ definiert13:

„ Zur wei ß en Magie geh ö rten, nach zeitgen ö ssischem Verst ä ndnis, alle magischen Br ä uche und Anwendungen, die positive Ziele verfolgten, auch wenn dazu die Zuhilfenahme der Geisterwelt - ein eigentlicher Aspekt der schwarzen Magie - notwendig wurde “ 14. Der „weißen Magie“ steht die „schwarze Magie“ gegenüber, d. h. der Schadenzauber. Die Grenze von der weißen zur schwarzen Magie ist aber mehr als uneindeutig bzw. fließend, da Vorteile für die Einen häufig Nachteile für die Anderen bedeuten. Aus diesem Grund nehmen „Magier“ eine gesellschaftliche Sonderstellung ein, denn ihr Können bedeutet häufig Schutz und Prestige, kann sich aber auch zur Ausgrenzung, Stigmatisierung und Verfolgung transformieren15.

Richtet man den Blick auf die Sprachgeschichte Europas, so wird deutlich, welche Assoziationen magische Fähigkeiten schon lange vor dem Zeitalter der Hexenverfolgung hervorriefen. Das deutsche Wort „Zauber“ geht auf germanische Wurzeln, d. h. die Bedeutung „Schutzmittel“ zurück. Die ältere Bedeutung des Verbs „zaubern“ bezieht sich hingegen auf die Ausübung besonderer Kräfte, vor denen man sich nur durch ein entsprechendes Schutzmittel bewahren kann.

Die englischen Begriffe „witch“ und „wizard“ (dt. „Hexe“ bzw. „Hexenmeister“ oder „Zauberin“ und „Zauberer“) sind auf die Verben „wissen“ und „sehen“ zurückzuführen und legen die Vermutung nahe, dass neben den allgemeinen magischen Fähigkeiten insbesondere die Wahrsagerei zu den wesentlichen Elementen der Vorstellung von Zauberei gehörte. Ebenso wurzelt das französische „sorcellerie“ (dt. „Zauberei“) in der lateinischen Bezeichnung „sortelegium“-„Losdeutung“, sodass auch hier die besondere Bedeutung des Wahrsagens deutlich wird16.

Doch nicht nur die Auffassung von der Magie selbst war schillernd, sondern auch die der Wesen, die zu dieser Sphäre gezählt wurden. Der niederdeutsche Begriff „kunstfruwe“ kennzeichnet dabei die zur Magie besonders befähigten Menschen. Aber auch Wesen, die zum Bereich der Geister, Gespenster und Dämonen zählen oder zumindest in der Nähe dieses Bereiches anzusiedeln sind, werden mit eingeschlossen. Dies wird erkennbar, wenn man das Wort „Hexe“ sprachgeschichtlich näher betrachtet, denn es ist auf Wortbestandteile zurückzuführen, die auf ein böses Gespensterwesen zwischen „ Zivilisation und Wildnis, Leben und Tod, Mensch und D ä mon “ deuten (z. B. ahd. „hagazussa“)17. Siegmund von Riezler übersetzt das Wort Hexe bzw. die althochdeutsche Version „hagazussa“ mit „ die Feld und Flur Anfeindende, Sch ä digende “ 18.

Zu diesem Bedeutungsfeld sind auch die Begriffe „Trute“ und „Alpe“19 bzw. Mare (engl. „nightmare“) zu zählen, die Wesen bezeichnen, welche vorzugsweise nachts die Menschen aufsuchen. Der lateinische Begriff „strix“ (dt. „Eule“) verweist auf das Vermögen dieser Wesen zu Fliegen. Daraus leitet sich die italienische Bezeichnung „striga“ (dt. „nachfahrende Frau“) ab, der nachgesagt wurde, sie würde nachts Kinder rauben, um sie anschließend zu verspeisen20. Einige Elemente dieser vielgestaltigen Vorstellungen finden sich auch Jahrhunderte später in der im 15. und 16. Jahrhundert erstellten und verbreiteten Hexenlehre wieder, wie z. B. der nächtliche Flug, Schadenzauber oder die Kindstötung21.

Dies soll auch im Folgenden deutlich werden, indem die vielen Verfolgungen zugrunde liegende „Hexentheorie“ und der Begriff „Hexenprozesse“ näher definiert werden.

2.2) „Hexentheorie“

Im Zuge der Hexenverfolgungen wurde das Bedrohungspotential der Schadenzauberei in eine umfassende religiöse Theorie des Bösen eingebettet, die in weiten Teilen Europas verbreitet war. Diese Theorie soll im Folgenden knapp skizziert werden.

Die Theorie erklärt Personen, die sich mit Magie und vor allem mit übernatürlichen Kräften befassen, im Sinne des christlichen Glaubens als Sünder. Wer sich auf diese Sünde einlässt, fällt von Gott ab und wird zugleich ein Anhänger des Teufels („Idolatrie“). Der Teufel lockt die Menschen dabei mit materiellen Dingen (z. B. Geld) oder sexueller Befriedigung22.

Weiblichen Hexen erscheint der Teufel in Männergestalt als Incubus (dt. „der Aufliegende“), männlichen Hexern als weiblicher Succubus (dt. „der Darunterliegende“)23. Der Teufel kann magische Wirkungen vorspiegeln, aber auch tatsächlich geschehen lassen, jedoch stets mit der Zulassung Gottes („permissio dei“). Das Ziel des Teufels ist es, den Taufbund der Menschen zu brechen und mit ihnen einen neuen Bund zu schließen („pactum cum diabolo“), der in der Vorstellung oftmals in einem Schwurritual und häufig noch in einer „pervertierten Eheschließung“ (Buhlschaft) sexuell vollzogen wird24:

„ Man ging davon aus, da ß der Teufelspakt in der Mehrzahl der F ä lle durch einen Geschlechtsverkehr zwischen Teufel und Mensch, die sogenannte Teufelsbuhlschaft, besiegelt wurde “ 25.

Dadurch wird eine verschworene Gemeinschaft, d. h. eine Sekte von Ketzern gegründet26:

„ Gem äß der Hexenlehre der Inquisitoren handelten Hexen nicht als Individuen, sondern als Glieder einer gro ß en Verschw ö rung. [...] Die D ä monologen des 14. und 15. Jahrhunderts [...] stellten sich die Hexen als neue Sekte vor, die sich regelm äß ig zur Teufelsanbetung zusammenfand [...] “ 27.

Des Weiteren erhalten die Anhänger des Teufels Aufträge und entsprechende Mittel, um den Menschen und der Natur Leid zuzufügen, wie z. B. Unwetter, Missernten, Krankheiten etc.28:

„ Die Hexe wurde vom Teufel gegen Einsatz ihres Seelenheils mit ü bernat ü rlichen Kr ä ften ausgestattet, die sie bef ä higten, aber auch verpflichteten, den ü brigen Menschen bei jeder sich bietenden Gelegenheit gr öß tm ö glichen Schaden zuzuf ü gen “ 29, welches die betroffenen Menschen dann ebenfalls zum Pakt mit dem Teufel verleiten soll.

Die Sekte wird neben dem Pakt durch nächtliche Zusammenkünfte, häufig als „Hexensabbat“ bezeichnet, zusammengehalten30: „ Mit dem Teufelsbund eng verflochten war die Sabbatvorstellung [...] “ 31. Um diese Zusammenkunft möglichst schnell und unerkannt zu erreichen, erhalten die Anhänger die Fähigkeit zu fliegen.

Diese verschiedenen, aber in einen logischen Zusammenhang gebrachten Inhalte (Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft, Hexenflug, Hexensabatt, Schadenzauber) werden von der neueren Forschung als „kumulatives Hexereidelikt“ bezeichnet. Damit wird eine Grenze zur universalkulturellen Zaubereivorstellung gezogen, der ein animistisch-magisches Weltverständnis zu Grunde liegt32. Die Vorstellung eines kumulativen Hexereidelikts war in weiten Teilen des europäischen Verfolgungsgebiets verbreitet, es gab jedoch auch Regionen, in denen sich die kumulative Vorstellung nicht durchsetzen konnte wie z. B. in England, Finnland und Russland33.

2.3) „Hexenprozess“ und „Zaubereiprozess“

Auch der Begriff „Hexenprozess“ muss definiert werden, da er ein wesentliches Element der Hexenverfolgungen bildet. In der Literatur wird der Begriff sehr unterschiedlich aufgefasst und definiert. Wolfgang Behringer meint:

„ Als ´ Hexenproze ß´ wird - abweichend vom umgangssprachlichen Gebrauch - ein Proze ß bezeichnet, in dem die Anklage auf Hexerei lautet, unabh ä ngig davon, ob der Proze ß mit Freispruch oder Hinrichtung endete “ 34.

Diese sehr allgemeine Definition muss jedoch weiter differenziert werden. Dabei ist zunächst die Unterscheidung von Hexen- und Zaubereiprozessen bedeutsam.

Wie bereits oben angedeutet, wird der Gebrauch von magischen Mitteln, mit denen Menschen Schaden zugefügt werden soll, als Schadenzauber bezeichnet. Werden solche Fälle strafrechtlich verfolgt, werden sie Zaubereiprozesse genannt. Doch nicht jeder Zaubereiprozess war automatisch ein Hexenprozess35.

Das Delikt der „Hexerei“ als eine Neuschöpfung des frühen 15. Jahrhunderts schließt eigentlich die Einbeziehung von Verfahren wegen Magie und Schadenzauberei vor der „Erfindung“ des Hexereideliktes aus. Dies ist jedoch in der Literatur durchaus umstritten36.

Die bereits weiter oben aufgeführte Theorie, die heute als „kumulatives Hexereidelikt“ bezeichnet wird, war allerdings zweifelsfrei von enormer Bedeutung für eine Vielzahl von Hexenprozessen. Das kumulative Hexereikonzept wurde durch verschiedene Überlieferungen (orientalische, klassisch-antike und kirchliche) beeinflusst. Im Spätmittelalter bildete sich schließlich eine systematische Hexenlehre heraus, die beispielsweise dem „Hexenhammer“ von 1487 zu Grunde lag.

Bei der systematischen Hexenlehre spielten vier Elemente eine wesentliche Rolle, die bereits in der oben aufgeführten Theorie angedeutet wurden.

Der „Pakt mit dem Teufel“ bildete das erste Element. Ein Mensch, überwiegend weiblichen Geschlechts, schließt unter Abschwörung Gottes einen Pakt mit dem Teufel. Des Weiteren musste der Pakt in einer bestimmten Form geschlossen werden. Diese Form war die Eheschließung, die durch den Geschlechtsverkehr vollzogen wurde und das zweite Element bildete. Daran mussten sich Fälle von Schadenzauber anschließen (Schädigung und Tötung von Menschen und Tieren), die als dritte Voraussetzung galten. Das vierte Element war die Teilnahme am „Hexensabbat“, das zugleich das folgenschwerste bildete. Dies bedeutete nämlich, dass jede Hexe noch weitere Hexen kennen musste, da sie diese auf dem Hexensabatt gesehen haben musste37:

„ Von den verschiedenen Bestandteilen des Hexenwahns erwies sich bei den Prozessen der Glaube an die Ausfahrten und Versammlungen der Hexen besonders verh ä ngnisvoll “ 38.

Somit wird die Hexerei abweichend von den traditionellen Zaubereivorstellungen zu einem stets kollektiv ausgeführten Vergehen39. Traditionelle Zaubereiprozesse konnten zwar auch mehrere Personen erfassen, jedoch war dies nicht zwingend und auch nicht der Regelfall, denn Schadenzauber konnten von einzelnen Personen ausgeführt werden. Hexenprozesse führten hingegen zum Anwachsen von Gerichtsverfahren zu Sammelprozessen. Dies bildete somit eine völlige Neuerung. Genau wie Sammelprozesse bei Schadenzauber die Ausnahme bildeten, waren Hexenprozesse gegen einzelne Personen die Seltenheit. Diese konnten nur zustande kommen, wenn die Anklage trotz Folter nicht zu einem Geständnis führte oder der Angeklagte nur Verstorbene oder bereits Hingerichtete als Komplizen nannte.

Die massenhafte Anklage bildet somit den wesentlichen Unterschied der Hexenprozesse zu den traditionellen Zaubereiprozessen40:

„ Die immer steigende Ausdehnung der Prozesse sodann auf viele Angeklagte beruht auf der immer allgemeineren Anwendung des Grundsatzes, da ß die Angeklagten auch nach Mitschuldigen, nach Gespielinnen gefragt und solange gefoltert werden, bis sie solche nennen “ 41.

Da das kumulative Hexereikonzept während der Frühen Neuzeit jedoch nicht in allen europäischen Territorien vollständig rezipiert wurde, ist die Anwendung des Terminus „Hexenverfolgungen“ in diesen Gebieten fraglich. Einige Territorien, in denen sich das kumulative Konzept nicht durchsetze, wie z. B. England, Finnland oder Russland, werden jedoch in der Literatur ebenfalls als Verfolgungsorte bezeichnet42.

Um eine relativ einheitliche Differenzierung vornehmen zu können, liegt der folgenden Untersuchung in Bezug auf den deutschen Raum die grundsätzliche Unterscheidung von Zauberei- und Hexenprozessen zugrunde, da das kumulative Hexereikonzept hier weit verbreitet war. Daher werden deutsche Hexenprozesse im Folgenden nur dann sicher als solche bezeichnet, wenn sie die vier Hauptelemente der Hexenlehre beinhalten. Dabei ist jedoch insbesondere die Quellenlage in der Frühzeit (Übergang von Zauberei- zu Hexenprozessen) problematisch, da sie nicht immer eine exakte Unterscheidung zulässt. Viele Quellen verwenden darüber hinaus den traditionellen Sprachgebrauch und führen erst spät die Begriffe „Hexe“ und „Hexerei“ ein, sodass stattdessen auch häufig die Bezeichnungen „Zaubersche“ und „Zauberei“ verwendet wurden43:

„ Diese Unterscheidung [die zwischen Zauberei und Hexerei] ist sehr bedeutungsvoll, wiewohl sie nicht immer streng festgehalten wird und die einzelnen Merkmale zuweilen ineinander ü berflie ß en “ 44.

In Bezug auf die europäische Hexenverfolgung kann eine solch exakte Unterscheidung nicht vorgenommen werden, da hier die kumulative Vorstellung nicht überall verbreitet war.

Da die gesetzliche Grundlage für das Verständnis von Hexenprozessen unerlässlich ist, soll im Folgenden auch knapp auf den gesetzlichen Hintergrund der Hexenprozesse eingegangen werden.

Gesetzliche Grundlage der Hexenprozesse

In der Hochphase der Hexenverfolgungen, in der die weltlichen Gerichte bereits die Hexenprozesse übernommen hatten, bildete die 1532 erlassene „Constitutio Criminalis Carolina“ (auch: „Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V.“), kurz „Carolina“ genannt, den gesetzlichen Hintergrund der Hexenprozesse in den meisten deutschen Verfolgungsgebieten. Sie erfüllte während der zentraleuropäischen Hexenverfolgungen des 16. und 17. Jahrhunderts eine wichtige Legitimierungsfunktion45. Daneben bildeten in manchen protestantischen Territorien nach 1572 eher die Kursächsischen Konstitutionen den gesetzlichen Rahmen für den Umgang mit dem Hexereidelikt bzw. den Hexenprozessen.

Für die katholischen Territorien im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und für den habsburgischen Staatenverbund blieb die Carolina relevant. Die „Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V.“ war eine Mischung aus allgemeinem Verfahrensrecht und Strafbestimmungen zu Kapitalverbrechen (materielles Prozessrecht), die sich auch mit dem Zaubereiverbrechen befasste46:

„ Die Carolina, die sich eingehend mit dem Verbrechen der Zauberei befa ß t [...] stellt bereits eine Verbindung zwischen dem altdeutschen Verfahrensgericht und dem Inquisitionsverfahren her “ 47.

Ihre konkrete Bedeutung für die Hexereiverfahren lässt sich nicht eindeutig definieren. Dem Wortlaut nach legte sie nur für objektiv nachweisbaren Schadenzauber die Todesstrafe fest, wohingegen die Bestrafung von Zauberei ohne schädigende Wirkung dem Richter offen gelassen wurde (Artikel 109)48. Der Begriff „Hexerei“ und damit auch die Vorstellungen von Hexenflug, Hexensabbat und Teufelsanbetung wurden in keinster Weise erwähnt49.

Betrachtet man jedoch die aufgeführten Indizien, die der Carolina zufolge für einen Zaubereiverdacht bedeutsam waren, zeigt sich, dass sie praktisch auf die Indizienlehre des Hexenhammers, auf den später noch näher eingegangen werden soll, zurückgriff50. Nach Art. 44 der Carolina „Von zauberey gnugsam anzeygung“ waren vier Indizien für einen Zaubereiverdacht bedeutsam51:

„ [1.] Item so ymandt sich erpeut [erbietet], andere menschen zauberey zu lernen, [2.] oder ymands zu bezaubern betr ö wet [androht] Vnnd dem betr ö wten der gleichenn beschicht, [3.] Auch sonnderliche gemeinschaft mit zaubern oder zauberin hat, [4.] oder mit sollichenn verdachtigen dingen, geberden, worten und weisen vmbgeet, die zauberey uff sich tragen [5.] und diesselbig persone desselben sunst auch beruchtigt: Das gipt ein Redliche

Anzeigung der zauberey und genugsam ursach zu peinlicher Frage “ 52.

Indizien waren also die Bereitschaft, anderen das Zaubern beizubringen (1); Drohung mit Schadenzauber, sofern dem Bedrohten der besagte Schaden auch widerfährt (2); Enge Gemeinschaft mit anderen Zaubern und Zauberinnen (3); Benutzung von magischen Gegenständen, Gebärden, Worten und Weisen (4), des Weiteren muss die verdächtige Person, auch sonst der Zauberei berüchtigt sein (5). In der Literatur wird das letzte Indiz (die verdächtige Person muss auch sonst der Zauberei berüchtigt sein) teilweise als eigenständiges Indiz und teilweise als Teilindiz des vierten Indizes gewertet53. Insbesondere das dritte Indiz, die Gemeinschaft mit anderen Zaubern, geht im Prinzip von der Existenz einer Hexensekte aus. Daher konnte eine Anklage wegen Schadenzauberei auch die Frage nach Komplizen aufwerfen und eine vermeintliche Zugehörigkeit zu einer Hexensekte zur Verdächtigung wegen Schadenzauberei führen. Somit wurde die Unterscheidung von schädigender und nicht schädigender Zauberei unerheblich54.

Außerdem fällt auf, dass diese Angaben sehr ungenau sind, sodass beinahe jeder der Zauberei verdächtigt werden konnte. Lediglich die erste Angabe bildet hier eine Ausnahme, indem sie relativ präzise formuliert ist. Das zweite Indiz, das Drohen mit Schadenzauber verbunden mit dem Eintreten der Drohung, lässt hingegen ein weites Feld von Möglichkeiten offen, denn es wird weder die Drohung noch der Schadenzauber genauer definiert.

Auch der dritte Tatbestand, die enge Gemeinschaft mit Zauberern bzw. Zauberinnen, bietet einen breiten Fundus an Verdächtigen. Da die Familie natürlich die nächsten Bezugspersonen bildeten, findet man in den Akten häufig Familien, deren weibliche Mitglieder über Generationen hinweg wegen Hexerei hingerichtet wurden. Aber auch der Freundeskreis war gefährdet55.

Es muss jedoch unbedingt beachtet werden, dass die Carolina auch einige allgemeine Bestimmungen enthielt, die Angeklagte und ihre Angehörigen nutzen konnten, um den Ausgang eines Verfahrens positiv zu beeinflussen, wie z. B. die Erlaubnis der Verteidigung (Art. 47)56.

3) Die Hexenverfolgung in der Stadt Lemgo

Im Folgenden möchte ich einen groben Überblick über die Hexenverfolgungen in der Stadt Lemgo geben. Die Erkenntnisse aus diesen Verfolgungen decken sich im Großen und Ganzen mit denen der deutschen und europäischen Verfolgungen nebst allgemeinem Prozedere. Daher soll nun auf die Besonderheiten der Lemgoer Hexenverfolgungen eingegangen werden. Die allgemeinen Erkenntnisse der Lemgoer Verfolgungen sollen hingegen die weiter unten folgende Untersuchung der Thesen in Form von Beispielen unterstützen.

Die Stadt Lemgo und die Grafschaft Lippe gehörten zur Kernzone der deutschen Hexenverfolgungen57.

Ein Zitat Liselottes von der Pfalz aus einem Brief an Karoline von Wales (16. Februar 1719) belegt, dass die Grafschaft Lippe bereits den Zeitgenossen als „Hochburg“ der Hexenverfolgung bekannt war. In diesem Brief berichtet Lieselotte von einem Unwetter in der Gegend von Paris:

„ Da ß Ihr keine Schreiben aus England bekommt, ist nicht Wunder, zu sehen, wie abscheuliche Winde und St ü rme jetzt sein. Einer, so man vor acht oder zehn Tagen hier gehabt, hat unglaubliche Sachen hier angestellt; er hat Blei von Kircht ü rmen ü ber das Wasser in einem Dorf gef ü hrt, er hat zwei gro ß e, schwere Kirchent ü ren aus den Angeln gehoben, hat sie ganz strack hundert Schritt davon an eine Mauer angelehnt und einen Hahnen von dem Kirchturm von Saint-Germain-l'Aurerris ganz zum untersten oben gedrehet, er hat einen Baum gespalten, unten zugespitzt, ihn gerad so tief zwanzig Schritt in die Erde gesteckt, als wenn er drin gepflanzt w ä re. Wenn das in der Grafschaft Lippe geschehen w ä re, h ä tte man es vor Hexenwerk gehalten; aber zu Paris glaubt man an keine Hexen und brennt sie nicht; ich habe auch keinen Glauben dran... “ 58.

Kennzeichnend für die Lemgoer Hexenverfolgungen sind die lange Dauer der Verfolgungen und die hohe Zahl der Opfer, die sich u. a. aufgrund von Überlieferungslücken nur schätzen lässt. Der aktuelle Forschungsstand geht von 254 Personen aus, die den Lemgoer Verfolgungen zwischen 1583 und 1681 zum Opfer fielen. Von diesen Personen waren 38 Männer59.

Um sich dem Phänomen der Hexenverfolgungen zu nähern, sollte auch der jeweilige historische Kontext der unterschiedlichen Verfolgungsgebiete betrachtet werden. Daher soll im Folgenden knapp auf die Geschichte Lemgos kurz vor Beginn und während der Hexenverfolgungen eingegangen werden.

3.1) Kurzer Exkurs über die Geschichte der Stadt - Position Lemgos im Zeitalter der Hexenverfolgung

Bis ins 17. Jahrhundert hinein definierte Lemgo sich als die bedeutendste Stadt der Grafschaft Lippe. Sie erlangte vor allem durch den Fernhandel der Kaufleute ihren Wohlstand60.

Auf dem Höhepunkt seiner wirtschaftlichen Blüte konnte Lemgo zwischen den 1470er und 1480er Jahren das ius gladii61 vom verschuldeten Landsherrn Bernhard VII. erwerben. Das Privileg der Hochgerichtsbarkeit gewährte den Bürgermeistern und den beiden Räten von nun an die alleinige Verfahrensherrschaft über alle Stationen eines Kriminalprozesses. Damit waren sie vom Zeitpunkt der Inhaftierung eines Inquisiten bis zur Urteilsfindung und -exekution unabhängig von der Gerichtsbarkeit der Landesherrschaft62. Dass Lemgo als einzige lippische Stadt die Blutgerichtsbarkeit besaß, erklärt vermutlich auch die Tatsache, dass in Lemgo besonders viele Hexenprozesse stattfanden63.

In Lemgo verkörperte also der Rat der Stadt das weltliche Gericht. Die Bürgermeister waren angesehene und einflussreiche Kaufleute und seit dem „Hexenbürgermeister“ Kerkmann (ab 1626) stets ausgebildete Juristen. Aber auch der lippische Graf konnte die Prozesse beeinflussen, indem er „Begnadigungen“ zum Schwert aussprechen und die damit verbundenen Gebühren einnehmen konnte64. Des Weiteren bildeten die reichsrechtlichen Bestimmungen der Carolina zumindest nominell den normativen Rahmen für die die städtische Strafrechtspflege65.

Der wirtschaftlichen Bedeutung entsprach der Anspruch Lemgos auf eine nahezu politische und konfessionelle Autonomie innerhalb des Territoriums. Durch einen Bürgeraufstand im Jahre 1609 („Lemgoer Revolte“) wurde die Annahme der reformierten Konfession verhindert, und mit einem Abschlussvertrag, dem „Röhrentruper Rezeß“ von 1617, konnte die Stadt sich weitgehende Hoheitsrechte sichern und den Verbleib beim Luthertum gewährleisten. Der Rat verkörperte dabei nach wie vor die bestimmende kirchliche und weltliche Obrigkeit. Die zwei Besetzungen des Rates lösten einander in Abstimmung mit Gremien der Bürgerschaft im jährlichen Rhythmus ab66.

Bereits Anfang des 17. Jahrhunderts gab es deutliche Anzeichen für den wirtschaftlichen Abstieg der Stadt, doch erst im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges kam es zu einer dramatischen Krise innerhalb der städtischen Gesellschaft. Zweimal (1636 und 1646) kam es zu Plünderungen der Stadt. Darüber hinaus war Lemgo in der Kriegszeit durch Pestepidemien und Hexenprozesse (1628-1637) gezeichnet. Nur noch etwa die Hälfte der Häuser war gegen Ende des Krieges bewohnbar und die Einwohnerzahl (1629: um 4700) hatte sich zeitweise auf weniger als ein Drittel, etwa auf 1400, reduziert, bis die Geflohenen zurückkehrten und ein neuer Zuzug einsetzte.

Gegen Jahrhundertende kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen der Stadt und dem Landesherrn. Hintergrund war die Ratswahl und die Konfessionsfrage. Die Machtverhältnisse hatten sich jedoch eindeutig zu Ungunsten der Stadt verschoben, sodass der lippische Graf 1706 die Wahl eines reformierten Bürgermeisters durchsetzen konnte67.

3.2) Verlauf und Höhepunkte der Lemgoer Hexenverfolgungen

Die überlieferten Hexereiverfahren des 16. und 17. Jahrhunderts, bis auf eine frühe Nachricht aus dem Jahr 150968 und einen weiteren unsicheren Hinweis auf angebliche Hexenprozesse im Jahr 1530 entsprechen dem auch andernorts zu beobachtenden zeitlichen Muster69. Die Jahre um 1590, um 1630 und um 1660 lassen sich als Höhepunkte ausmachen70. Nach den Laufzeiten der erhaltenen Lemgoer Prozessunterlagen entspricht die erste Welle den Jahren 1583-1605/6, die zweite den Jahren 1628-1637 und die letzte Welle ereignete sich zwischen 1653-1681. Dabei lässt sich die letzte Periode nochmals in vier Wellen unterteilen (1653-1656, 1665-1670, 1675/76 und 1681)71.

Die noch erhaltenen Prozessakten im Stadtarchiv Lemgo lassen darauf schließen, dass die ersten Untersuchungen des Magistrats zum Lemgoer Hexenwesen in den frühen 1580er Jahren stattgefunden haben könnten. Darauf verweisen einige beiläufig geäußerten Zeugenaussagen , so z. B. von dem 17-Jährigen Jacob Schlirup im Jahre 1584: „ [...] [er habe die Zauberei] vor dreien Jarn auffm Thanze, hinder Mauritzen von donope hoffe [von seiner Mutter gelernt] “ 72. Des Weiteren führt eine Lemgoer Stadtrechnung von 1581 die Kosten für die Haft und Hinrichtung von Ilsche Schwinemeisters auf, die im Dezember desselben Jahres schließlich exekutiert wurde. Dabei kann jedoch nicht eindeutig festgestellt werden, ob es sich um eine Hinrichtung wegen Hexerei gehandelt hat. Dennoch lässt die Urgicht von Ilse Culevinck darauf schließen, da sie hier „ die Schweinsche “ 73 als eine ihrer Komplizinnen auf dem Hexentanz nennt74.

Die erste größere Hexenjagd in Lemgo fand von 1628-1637 (zweite Welle) statt75. Diesen Verfolgungen fielen wahrscheinlich 86 Menschen zum Opfer, mindestens 111 Personen wurden der Hexerei beschuldigt76. Nach 1653 sind noch höhere Verfolgungs- und Hinrichtungsraten zu verzeichnen. Dabei sind etwa zwischen 1670 und 1681 Überlieferungslücken zu konstatieren. Zwischen 1675/76 muss es zu mindestens 14 Hinrichtungen gekommen sein, von denen nur einzelne Bruchstücke als Prozessakten im Archiv erhalten sind77.

Der letzte Lemgoer Prozess wegen Hexerei fand im Jahre 1681 gegen Maria Rampendahl statt. Das Verfahren endete nicht mit einem Todesurteil, da sie kein Geständnis abgelegt hatte78.

Ein offizieller Schlussstrich unter die Hexenprozesse wurde im Jahre 1715 mit der Vernichtung des so genannten „Hexen-„ oder „Schwarzen Buches“ der Stadt Lemgo gezogen. Das „Schwarze Buch“ enthielt die Besagungen79 und Anklagen der Stadt Lemgo. Gut zweihundert Jahre nach dem ersten bekannten Zaubereiprozess in Lemgo (1509) wurde es öffentlich auf dem Marktplatz verbrannt. Auf diese Weise sollte die Abkehr von der scharfen Verfolgung jedermann vor Augen geführt werden80.

3.3) Erklärungsansatz

Die schreckliche Dynamik der Massenverfolgung in Lemgo könnte durch eine Art „Treibhauseffekt“ verursacht worden sein. Die Stadt befand sich in einem mehr oder minder erbitterten Streit mit dem Territorialherrn um ihre politische Autonomie. Die Verfolgungen wurden scheinbar maßgeblich durch eine geringe Distanz zwischen politischen Amtsträgern und Gerichtspersonen einerseits und den Parteien im Hexenprozess andererseits - bis hin zur

[...]


1 Vgl. Schormann, Gerhard: Hexenprozesse in Deutschland. 3. durchgesehene Auflage. Göttingen 1996, S. 5.

2 Vgl. Museum Hexenbürgermeisterhaus (Hrsg.) (o. J.): Hexenverfolgung. Die Geschichte der Hexenverfolgung in Lemgo. Online: http://www.hexenbuergermeisterhaus.de/hexenverfolgung0.html (Aufruf: 09.06.2009).

3 Vgl. Voltmer, Rita (2008): Hexenforschung und Landesgeschichte. Eine vorläufige Bilanz mit besonderer Berücksichtigung der Tiroler Hexenforschung. Online: http://www.storicamente.org/05_studi_ricerche/streghe/voltmer.htm (Aufruf: 10.04.2009).

4 Vgl. Rummel, Walter / Voltmer, Rita: Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit. Darmstadt 2008, S. 1.

5 Vgl. Voltmer 2008.

6 Fechner, Gustav Theodor (o. J.): Es gibt Hexerei. Online: http://gutenberg.spiegel.de/? id=5&xid=4240&kapitel=1#gb_found (Aufruf: 08.05.2009).

7 Hertel, Anna-Lena (o. J.): Heilkräuter sammeln, trocknen und lagern. Online: http://www.hexenpfad.de/hexengarten/hexenheilpflanzen.php (Aufruf: 10.05.2009).

8 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 1.

9 Vgl. Schade, Sigrid: Kunsthexen - Hexenkünste. Hexen in der bildenden Kunst vom 16. bis 20. Jahrhundert. In: Van Dülmen, Richard (Hrsg.): Hexenwelten. Magie und Imaginationen vom 16.-20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1987, S. 208.

10 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 1.

11 Vgl. Schormann 1996, S. 5-6.

12 Vgl. Meier, Karl: Geschichte der Stadt Lemgo. Lemgo 1949, S. 5.

13 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 3.

14 Labouvie, Eva: Hexenspuk und Hexenabwehr. Volksmagie und volkstümlicher Hexenglaube. In: Van Dülmen 1987, S. 57.

15 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 3.

16 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 3-4.

17 Vgl. ebd., S. 4.

18 Von Riezler, Sigmund: Geschichte der Hexenprozesse in Bayern. Im Lichte der allgemeinen Entwicklung dargestellt. Stuttgart 1987, S. 16.

19 Daherkommend: Alptraum

20 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 4.

21 Vgl. Labouvie 1987, S. 55.

22 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 4-5.

23 Vgl. Hammes, Manfred: Hexenwahn und Hexenprozesse. Frankfurt am Main 1977, S. 81.

24 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 4-5.

25 Hammes 1977, S. 81.

26 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 5.

27 Behringer, Wolfgang: >>Erhob sich das ganze Land zu ihrer Ausrottung...<<. Hexenprozesse und Hexenverfolgung in Europa. In: Van Dülmen 1987a, S. 134.

28 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 5.

29 Vgl. Hammes 1977, S. 77.

30 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 5.

31 Schmölzer, Hilde: Phänomen Hexe. Wahn und Wirklichkeit im Lauf der Jahrhunderte. München u. a. 1986, S. 45.

32 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 5.

33 Vgl. ebd., S. 81.

34 Behringer, Wolfgang: Hexenverfolgung in Bayern. Volksmagie, Glaubenseifer und Staatsräson in der Frühen Neuzeit. 3. überarbeitete und um ein Nachwort ergänzte Auflage. München 1997, S. 17.

35 Vgl. Schormann 1996, S. 22-23.

36 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 4-5, 80-81.

37 Vgl. Schormann 1996, S. 23.

38 Von Riezler 1987, S. 151.

39 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 4-5, 18.

40 Vgl. Schormann 1996, S. 22-23.

41 Von Riezler 1987, S. 151.

42 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 81.

43 Vgl. Schormann 1996, S. 22-23.

44 Von Riezler 1987, S. 11.

45 Vgl. Ströhmer, Michael (2006): Carolina (Constitutio Criminalis Carolina, CCC). Aus: Gersmann, Gudrun u. a. (Hrsg.): Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung. In: historicum.net, Online: http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/1586/ (Aufruf: 05.06.2009, 12:07 Uhr).

46 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 54.

47 Schmölzer 1986, S. 92.

48 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 54.

49 Vgl. Behringer 1987a, S. 141.

50 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 54.

51 Vgl. Schormann 1996, S. 45.

52 Art. 44 der Constitutio Criminalis. Zitiert nach Hammes 1977, S. 97.

53 Vgl. Schormann 1996, S. 45.

54 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 54.

55 Vgl. Schormann 1996, S. 45.

56 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 54-55.

57 Vgl. Scheffler, Jürgen (1999): Hexenverfolgungen Lippe. Grafschaft (Lemgo). Online: http://www.historicum.net/themen/hexenforschung/lexikon/alphabethisch/h- o/art/Lippe_Hexenve/html/artikel/1622/ca/14974a690d/ (Aufruf: 17.06.2009).

58 von der Pfalz, Luise/Elisabeth Charlotte (Ausgewählt und biographisch verbunden von C. Künzel): Die Briefe der Liselotte von der Pfalz, Herzogin von Orleans. München 1913, S. 394.

59 Vgl. Museum Hexenbürgermeisterhaus.

60 Vgl. Scheffler 1999.

61 Das Recht zur Verhängung von Todesstrafen.

62 Vgl. Ströhmer, Michael: Von Hexen, Ratsherren und Juristen. Die Rezeption der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. in den frühen Hexenprozessen der Hansesstadt Lemgo 1583-1621. Paderborn 2002 (= Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte, Band 43), S. 112.

63 Vgl. Ehret, Marietta (o. J.): Hexenprozesse in Lemgo. Online: http://www.hs-owl.de/hexenprozess/ ( Aufruf: 20.05.2009).

64 Vgl. Ehret, Marietta.

65 Vgl. Scheffler 1999.

66 Vgl. ebd.

67 Vgl. Scheffler 1999.

68 Hier lässt sich nicht sicher sagen, ob es sich bereits um Zaubereiprozesse oder bereits um Hexenverfolgungen gehandelt hat. Auf diese Verfolgungen soll später noch eingegangen werden.

69 Vgl. Scheffler 1999.

70 Vgl. Rummel und Voltmer 2008, S. 82 und Scheffler 1999.

71 Vgl. Scheffler 1999.

72 (StadtA Lem.), Signatur: A3614, 6r. Zitiert nach Ströhmer 2002, S. 256.

73 A3614, 6r. Zitiert nach Ströhmer 2002, S. 256.

74 Vgl. Ströhmer 2002, S. 256.

75 Vgl. Scheffler 1999.

76 Vgl. Bender-Wittmann, Ursula: Hexenprozesse in Lemgo 1628-1637. Eine sozialgeschichtliche Analyse. In: Krutisch, Petra / Großmann, G. Ulrich: Der Weserraum zwischen 1500 und 1650: Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur in der Frühen Neuzeit. Marburg 1993 (= Materialien zur Kunst- und Kulturgeschichte in Nord- und Westdeutschland, Band 4), S. 239.

77 Vgl. Scheffler 1999.

78 Wilbertz, Gisela (1999): Rampendahl, Maria (Angeklagte im Hexenprozeß). Lippe, Grafschaft (Lemgo). Online: http://www.historicum.net/themen/hexenforschung/lexikon/personen/art/Rampendahl_Mar/html/artikel/1667/ca/ 6d54e9f52a/ (Aufruf: 13.06.2009).

79 Als Besagungen werden die Bezichtigungen weiterer „Hexen“ durch den / die Angeklagte/n bezeichnet. Die Besagungen wurden meist unter der Folter oder dem Androhen der Folter abgegeben.

80 Vgl. Köbler, Gerhard (o. J.): Ohne Titel. Online: http://www.koeblergerhard.de/ZRG121Internetrezensionen/HexenverfolgungundRegionalgeschichte.htm (Aufruf: 05.06.2009) und Museum Hexenbürgermeisterhaus.

Ende der Leseprobe aus 76 Seiten

Details

Titel
Die Hexenverfolgung am Beispiel der Stadt Lemgo: Volkstümliche Vorstellungen und historische Rekonstruktion
Hochschule
Universität Vechta; früher Hochschule Vechta
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
76
Katalognummer
V168985
ISBN (eBook)
9783640871773
ISBN (Buch)
9783640871834
Dateigröße
750 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
hexenverfolgung, beispiel, stadt, lemgo, volkstümliche, vorstellungen, rekonstruktion
Arbeit zitieren
Janina Schnormeier (Autor:in), 2009, Die Hexenverfolgung am Beispiel der Stadt Lemgo: Volkstümliche Vorstellungen und historische Rekonstruktion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168985

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