Von der Relevanz der Zu- und Abweisung von Reputation in industriellen Beziehungen und der Notwendigkeit einer neuen gewerkschaftlichen Anerkennungspolitik


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

22 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

2. ANERKENNUNG
2.1 VON DER WÜRDIGUNG ZUR REPUTATION
2.2 EROSION UND WANDEL
2.3 DUALITÄT KURZFRISTIGER BEZIEHUNGEN - ORGANISATIONEN UND DAS PROBLEM DES VERTRAUENS
2.4 BEDEUTUNGSGEWINN DER REPUTATION = ZUNAHME DER UNSICHERHEIT

3. URSACHEN VON UNTERORDNUNG UND WIDERSTAND
3.1 GESELLSCHAFT UND SOZIALE UNGLEICHHEIT
3.2 EXISTENZFÄHIGKEIT DER GESELLSCHAFT UND IHRE PRINZIPIEN - DIE SOZIALE KOORDINATION
3.2.1 AUTORITÄT
3.2.2 ARBEITSTEILUNG
3.2.2 VERTEILUNG VON RESSOURCEN

4. GEWERKSCHAFTLICHE ANERKENNUNGSPOLITIK
4.1 NEUE ANFORDERUNGEN AN DIE GEWERKSCHAFTEN

5. RESÜME UND SCHLUSS

LITERATUR

1. Einleitung

Der Beruf hat sowohl zeitlich als auch für die eigene Persönlichkeit der Menschen einen zentralen Stellenwert in der Gesellschaft eingenommen. Beruflicher Erfolg schafft Anerkennung und Respekt anderer Menschen, die häufig direkt in ein entsprechendes Entgelt führen und dadurch einen bestimmten Lebensstandard ermöglichen. Statussymbole werden zu einem Indikator dafür, dass man es "geschafft" hat. Die Werbung und Ansprüche der Menschen richten sich genau auf dieses Bedürfnis, so wird neben "jung" und "dynamisch" immer häufiger "erfolgreich" in der Werbebotschaft transportiert. Auch wenn nicht alle Menschen dauerhaft erfolgreich sein können, so möchten sie sich doch zumindest die Dinge aneignen, die ihnen suggerieren, dass sie es sind. So ist z.B. in Deutschland die Anzahl neuer Autos so hoch wie noch nie, einen alten Käfer sieht man immer seltener. Tatsächlich sind die Menschen nahezu erfolgsabhängig geworden.

Ist diese Erfolgsabhängigkeit, die in den letzten Jahren beständig in Form von "mein Haus, mein Auto, mein Boot, mein/e Frau/Mann" zelebriert worden ist evtl. die Ursache der Veränderung der Arbeitsverhältnisse, der„Humanisierung der Arbeit„- Bewegung der 80er Jahren? Liegt in der Wandlung von einst eintönigen und durchorganisierten Arbeitsprozessen mit direkter Kontrolle von oben in kleine nahezu selbständig arbeitende, autarke Gruppen im Unternehmen mit einem hohen Grad an Entscheidungsspielräumen, die Ursache für den Zwang zum Erfolg? Geht mit Enthierarchiesierung, Dezentralisierung und Gruppenarbeit im Zuge betrieblicher Reorganisationsprozesse die Anforderung der Arbeitgeber an die Arbeitnehmer einher selbst für ihren eigenen beruflichen Erfolg zu sorgen?

Gleichzeitig stellt sich die Frage wie es zu diesem Wandel hin zur Humanisierung der Arbeit kam. Ab wann und warum waren die Arbeitnehmer nicht mehr bereit die gegebenen Arbeitsbedingungen des Taylorismus zu ertragen. Worin könnten die Ursachen liegen, dass die Arbeitnehmer diese Bedingungen so lange hingenommen haben? Diesen Fragen möchte ich in dieser Arbeit nachgehen.

Im ersten Abschnitt werde ich einen Blick auf den Bedeutungswandel der Anerkennungsformen werfen und zeigen, worin die Veränderungsursachen liegen könnten und wie sie sich besonders auf die Beschäftigten ausgewirkt haben. In einem zweiten Abschnitt gehe ich dann auf die möglichen Ursachen von Unterordnung und Widerstand ein. Ich möchte herausarbeiten, dass Ungerechtigkeit unter bestimmten Bedingungen nicht zwangsläufig zu Konflikten führen muss. Abschließend gehe ich dann auf die Entwicklung einer neuen gesellschaftlichen Anerkennungspolitik ein, die durch die Bedeutungsverschiebung der Anerkennungsformen möglicherweise notwendig geworden ist um als Arbeitnehmervertretung neuen Anforderungen gerecht werden zu können.

2. Anerkennung

Der Begriff der Anerkennung erfasst unterschiedliche Aspekte sozialen Handelns. Dieses soziale Handeln läßt sich, nach Voswinkel in zwei Aspekte differenzieren:1

1. Pragmatisches Handeln

Mit der Handlung wird vom Akteur ein bestimmtes Ziel verfolgt.

2. Expressives Handeln

a) Selbstbezügliches Handeln

Der Akteur beweist sich selbst durch die Überwindung von Widerständen, Fähigkeiten und Identität.

b) Fremdbezügliches Handeln

Der Akteur beweist anderen seine Fähigkeiten.

Expressives Handeln, so Watzlawik, Bearin, Jackson, beinhaltet Identitäten und

Beziehungen, während pragmatisches Handeln auf Dinge ausgerichtet ist.2

Für Lipp macht „alles Handeln mit den Inhalten, die es verfolgt, verdeckt oder offen, (...) sich selbst zum Thema; es bringt implizit die Identität seines Trägers, des Handlungssubjekts, zum Ausdruck und versucht die möglichst aufzuwerten“3

Habermas führt noch eine weitere Dimension des Handelns ein: das dramaturgische Handeln.

„unter dem Gesichtspunkt dramaturgischen Handelns (soll) eine soziale Beziehung als Begegnung, in der die Beteiligten ein füreinander sichtbares Publikum bilden und sich gegenseitig etwas vorführen (verstanden werden). Eine Vorführung dient dazu, dass sich der Aktor vor seinen Zuschauern in bestimmter Weise präsentiert; indem er etwas von seiner Subjektivität in Erscheinung bringt, möchte er vom Publikum in einer bestimmten Weise gesehen und akzeptiert werden“4

Der Akteur versucht bei anderen einen positiven Eindruck zu hinterlassen, eine gewünschte Impression zu erzeugen, die im Extremfall zu einem Schauspiel im Sinne einer Täuschung wird. Wenn Subjekte nach Anerkennung streben, so kann dies im Sinne dramaturgischen Handelns den Wunsch ausdrücken von anderen geschätzt zu werden. Mehr oder weniger verbindliche Orientierungsmarken, die die Auswahl dessen was und wie etwas in einem bestimmten Kontext vorgeführt werden soll, gehen dabei in das Anerkennungsstreben ein damit eine möglichst hohe Erfolgsquote erreicht wird.5 Bei Individuen, die keine Anerkennung bekommen, kann von einer Nicht-Anerkennung dieser gesprochen werden.

Voswinkel u.a. unterscheiden zwei Formen der Nicht-Anerkennung :6

1. Aktive Missachtung

Das Subjekt wird als minderwertig bewertet. Es handelt sich um eine demonstrative Erniedrigung auf die eine (Zwangs-)Reaktion des Nicht-Anerkannten in Form von Wut, Empörung oder Scham folgt.

2. Passive Nicht-Beachtung

Etwas Beanspruchtes oder Erhofftes bleibt aus. Nicht-Anerkennung belässt die Individuen im Zustand des Durchschnittlichen, des Normalen.

Die Unterscheidung zwischen aktiver Missachtung und passiver Nicht-Achtung ist nach Voswinkel also deshalb notwendig, da die Reaktion der Betroffenen eine andere ist, entweder Empörung bzw. Wut oder Ignoranz der Nicht-Anerkennung durch die Betroffenen. Anerkennung zeichnet sich durch eine soziale Beziehung aus, die Voswinkel in zwei Aspekte differenziert:7

1. Achtung

Unter Achtung versteht Voswinkel ein soziales Gut, das zur Würde führt.

2. Wertschätzung

Wertschätzung führt zu Prestige und Ansehen.

Wertschätzung kann nach Mergalit „als Grundlage für (...) Ungleichbehandlung dienen“ während Achtung „eine Basis für Gleichbehandlung der Menschen“ bedeutet. 8

Diesem Aspekt folgt Parsons indem für ihn Prestige die Belohnung für in der Gesellschaft hochbewertetes Handeln bedeutet, 9 das dann zu einer Bewertung in Form sozialer Schichtung führt. Anerkennung ist dann die Höherstellung von Akteuren in eine höhere soziale Schicht. Prestige, Kapital und Macht erzwingen nach Adam Smith förmlich Anerkennung, so geht mit Reichtum (Kapital) eine bedingte Anerkennung einher. „Der Reiche Mann rühmt sich seines Reichtums, weil er fühlt, dass dieser naturgemäß die Aufmerksamkeit der Welt auf ihn lenkt, und dass die Menschen geneigt sind, an all jenen angenehmen Gemütsbewegungen gerne teilzunehmen, welche die Vorteile seiner Situation ihm so leicht einflößen müssen (...) Der Arme auf der anderen Seite schämt sich seiner Armut. Er fühlt, dass sie ihn entweder aus dem Gesichtskreis der Menschen ausschließt, oder dass diese, wenn sie irgend Notiz von ihm nehmen, kaum irgendwelches Mitgefühl mit dem Elend und der Not haben werden, die er duldet.“ 10

Demnach ist Prestige auch immer Ursache eines Vorteils bei der Verwendung von Kapital (sozialen, kulturellen und ökonomischen), das im modernen Kapitalismus zu den wichtigsten Ressourcen Bekanntheit/Prominenz und vor allem Erfolg führt.11

Erfolg und Anerkennung im Beruf haben dann als primärer Ort an dem Prestige erworben werden kann einen hohen Stellenwert bekommen.

2.1 Von der Würdigung zur Reputation

Anerkennung der Arbeit und in der Arbeit kommt damit ein zentraler Stellenwert für Identität und Selbsteinschätzung der Menschen zu. Die Ursache dafür, neben Prestigegewinn durch beruflichen Erfolg, liegt aber auch in der Berufsaufassung des Protestantismus und Kalvinismus, so Max Weber, die den Beruf und die Berufsehre in das Zentrum gesellschaftlicher Anerkennung rückte und beruflichen Erfolg in Verbindung mit der Ansammlung von Reichtum einen religiösen Hintergrund bekam. 12 Erst der Beruf und der Reichtum der aus diesem entsteht führt, wie ich im vorherigen Abschnitt skizziert habe, durch die Verbindung von bestimmten Formen des Kapitals (ökonomisches, kulturelles, Humankapital) zu Prestige, zu Bewunderung und Würdigung.13

Anerkennung umfasst demnach zwei Modi, die Bewunderung und Würdigung der Arbeit. Unter Bewunderung versteht Voswinkel Fähigkeiten, Ressourcen, Leistungen und Erfolge, die Aspekten wie Humankapital, Qualifikation und Fähigkeiten entgegengebracht wird. Erfolge und das Erreichen von vorgegebenen Zielen, als auch kurzfristige Arbeitsbeziehungen zeichnen diesen Modus aus.

Würdigung basiert dagegen auf einem sozialen Austausch, der langfristige

Arbeitsbeziehungen voraussetzt. Würdigung erfährt derjenige, der Verpflichtungen auf sich genommen hat, z.B. indem er nicht nur „Dienst nach Vorschrift“ leistet.14 Obwohl sich beide Anerkennungsmodi auf Leistung beziehen, wird Bewunderung nur durch erfolgreiche

Leistung erreicht. Würdigung wird dagegen auch gewährt, wenn der Erfolg ausbleibt, aber ein Bemühen feststellbar ist.15

Würdigung impliziert, dass ein Arbeitnehmer nicht nur eine Arbeitskraft ist. Aus der Bewunderung resultiert dagegen keine Verpflichtung.16

2.2 Erosion und Wandel

Sozialer Wandel führt auch zu einer Veränderung der Anerkennungs-verhältnisse. Mit den aktuellen Veränderungen der Arbeit (Humansierung/ Subjektivierung(Gruppenarbeit)) geht auch ein Wandel des Anerkennungsmodus einher, der sich als Erosion der Würdigung und als Bedeutungsgewinn der Bewunderung beschreiben lässt.17 Für Voswinkel sprechen vier Faktoren für einen Wandel:

1.) Die Veränderung der Unternehmensstrategien (Dezentralisierungsstrategien)

Die marktgesteuerte Dezentralisierung und das Anstreben von flachen Hierarchien, Profitcentern und kleineren organisatorischen Einheiten untergräbt mit einer kurzfristigen Leistungsorientierung die Entwicklung langfristiger Produktionskonzepte und Beschäftigungserwartungen. Langfristige Bindungen und Investitionen werden durch unsichere Markt- und Konkurrenz- bzw. globale Wettbewerbssituationen so lange wie möglich zugunsten rechenbarerer Leistungsaspekte vermieden18. Eine langfristig ausgerichtete Arbeitsbeziehung, die zur Würdigung führen könnte, kann damit nicht etabliert werden.
2.) Aufwertung kurzfristiger Erfolgsmaßstäbe steht im Zusammenhang mit der Veränderung der Unternehmensformen.
Der Zwang sich als profitables Unternehmen auf dem Kapitalmarkt darstellen zu
müssen „Shareholder-Value-Kalkül“ minimiert die Bereitschaft langfristig nicht oder nur schwer kalkulierbare Investitionen zu tätigen.19
3.) Gelegenheitskarrieren in Reputationsarbeitsmärkten

Betriebszentrierte Arbeitsmärkte verlieren an Bedeutung, während überbetriebliche Karriereverläufe an Bedeutung gewinnen, dies führt zu einem Verlust der Basis für langfristige betriebliche Bindungen. 20

[...]


1 Vgl.: Voswinkel [2001, S.31]

2 Vgl.: Watzlawik, Bearin, Jackson [1967, S. 61ff]

3 Lipp [1985, S. 27]

4 Habermas [1988, S. 136]

5 Vgl.: Voswinkel [2001, S.35]

6 Vgl.: Voswinkel [2001, S. 42f]

7 Vgl.: Voswinkel [2001, S.44]

8 Margalit [1997, S.64]

9 Vgl.: Parsons [1980, S.70]

10 Smith [1995, S. 71f]

11 Vgl.: Voswinkel [2001, S. 56]

12 Vgl.: Voswinkel [2001, S. 280]

13 Vgl.: Voswinkel [2001, S. 281]

14 Vgl.: Voswinkel [2001, S. 302]

15 Vgl.: Voswinkel [2001, S. 282]

16 Vgl.: Voswinkel [2001, S. 281]

17 Vgl.: Voswinkel [2001, S. 304ff]

18 Vgl.: Castells [2001, S. 108-157]

19 Vgl.: Max-Plank-Insitut für Gesellschaftsforschung [2002, S.25ff]

20 Vgl.: Voswinkel [2001, S. 301]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Von der Relevanz der Zu- und Abweisung von Reputation in industriellen Beziehungen und der Notwendigkeit einer neuen gewerkschaftlichen Anerkennungspolitik
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Soziologie)
Veranstaltung
Aspekte des Postfordismus
Note
2,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
22
Katalognummer
V16898
ISBN (eBook)
9783638216043
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Relevanz, Abweisung, Reputation, Beziehungen, Notwendigkeit, Anerkennungspolitik, Aspekte, Postfordismus
Arbeit zitieren
Tim Bischoff (Autor:in), 2002, Von der Relevanz der Zu- und Abweisung von Reputation in industriellen Beziehungen und der Notwendigkeit einer neuen gewerkschaftlichen Anerkennungspolitik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16898

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