Korruption und Schattenwirtschaft

Eine international vergleichende Untersuchung zu den Ursachen und gemeinsamen Beziehungen


Diplomarbeit, 2006

116 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Schattenwirtschaft
2.1 Definition des Begriffs Schattenwirtschaft
2.2 Individuelle Vorteile der Schattenwirtschaft
2.2.1 Die Last staatlicher Regulierungen
2.2.2 Schattenwirtschaft als Flucht vor der Steuerbelastung
2.2.3 Die Opportunitätskosten: gute staatliche Qualität
2.3 Auswirkungen der Schattenwirtschaft

3. Korruption
3.1 Definition von Korruption
3.2 Ursachen der Korruption
3.2.1 Machterweiterung ermöglicht Korruption
3.2.2 Steuerbelastung und Korruption
Exkurs: Weniger Staat ist nicht die Lösung
3.2.3 Ein Mittel gegen Korruption: gute Institutionen
Exkurs: Individuelle Handlung und gesamtgesellschaftliche Phänomene
3.3 Auswirkungen der Korruption

4. Schattenwirtschaft und Korruption
4.1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Analyse
4.2 Zusammenhänge von Korruption und Schattenwirtschaft
4.2.1 Komplementärer Zusammenhang
4.2.2 Substitutiver Zusammenhang
4.2.3 Kontextspezifisch
4.3 Zusammenfassung

5. Daten und Modelle
5.1 Abhängige Variablen
5.1.1 Schattenwirtschaft
5.1.2 Korruption
5.2 Unabhängige Variablen
5.2.1 Qualität staatlicher Institutionen
5.2.2 Regulierungshöhe
5.2.3 Steuer- und Abgabenbelastung
5.2.4 Wohlstandsniveau
5.3 Die Untersuchungsfälle: 74 Länder
5.4 Statistische Modelle
5.5 Endogenitätsproblem
5.5.1 Instrumentenvariablen
5.5.2 Granger-Kausalität

6. Ergebnisse und Auswertungen
6.1 Die Ursachen der Schattenwirtschaft
6.1.1 Anreize durch die Qualität staatlicher Institutionen
6.1.2 Belastung durch die Regulierungen auf dem Markt
6.1.3 Steuerbelastung und Schattenwirtschaft
6.2 Ursachen von Korruption
6.2.1 Qualität staatlicher Institutionen und Korruption
6.2.2 Anreize zur Korruption durch hohe Regulierungen in der Wirtschaft
6.2.3 Steuersätze als Anreiz zum Machtmissbrauch
6.3 Zusammenfassung: gemeinsame Ursachen
6.4 Beziehung zwischen Korruption und Schattenwirtschaft
6.4.1 Erstes Urteil
6.4.2 Multivariate Regressionen
6.4.2.1 Nicht nur komplementäre Zusammenhänge in armen Ländern
6.4.2.2 Reiche Länder oder ganz reiche Länder?
6.4.3 Granger-Kausalität-Test

7. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Ein gut funktionierender Staat benötigt zahlungskräftige Steuerzahler und pflichtgetreue Bürokraten. Steuern zahlen und Pflichten erfüllen sind nicht immer angenehme Angele- genheiten. Deshalb suchen Menschen nach Wegen und nutzen verschiedene Gelegen- heiten, um beides zu vermeiden, mitunter werden sie dadurch kriminell. Zum Beispiel: Um Steuern auszuweichen, arbeiten sie schwarz, sie flüchten sich also in die Schatten- wirtschaft. Oder sie suchen Vorteile durch unrechtmäßige Zahlungen zu erlangen, betreiben also Korruption. Beides sind gesetzeswidrige Delikte, die dem Staat schaden, weil sie zu Steuerausfällen führen oder das Vertrauen in die Staatsbediensteten in Frage stellen.

Korruption und Schattenwirtschaft sind aus ethischer Sicht verwerfliche Handlungen, da sie Normen und Moral unterwandern. Aber nicht nur aus diesem Grund werden beide kriminelle Delikte als Gefährdung für gesellschaftliche Strukturen aufgefasst. Beide Phänomene gelten insbesondere aus wirtschaftlicher und politischer Sicht als Hemmnisse für Entwicklung und Sicherheit, wobei man den Schaden der Korruption im Vergleich zu der Schattenwirtschaft oft als gravierender einschätzt.

Es mag so aussehen, als ob Schattenwirtschaft und Korruption einfach zwei unabhängige Phänomene sind, die auf Grund des Konfliktes zwischen den Bedürfnissen des Individuums und den des Staates entstehen. Wäre dies so, würde die gemeinsame Betrachtung beider Delikte in dieser Arbeit willkürlich sein.

Vielmehr ist es denkbar, dass der Steuerzahler, der Steuern vermeiden möchte, und ein korruptionsbereiter Bürokrat sich gegenseitig „Unterstützung“ geben können, beispielsweise, wenn ein Polizist sich von einem Schwarzarbeiter bestechen lässt. In so einem Fall gelangt man an die Schnittstelle von Schattenwirtschaft und Korruption. Neben der gegenseitigen Hilfe sind auch aus anderen Gründen Verbindungen zwischen Schattenwirtschaft und Korruption vorstellbar. Bürokraten verlangen Bestechungs- gelder, bevor sie einem Unternehmer Lizenzen erteilen. Politiker werden bestochen, damit Unternehmen unerwünschte Gesetze umgehen können. Dies sind Beispiele dafür, wie Staat und Wirtschaft auf unerwünschte Weise „Hand in Hand“ gehen können.

Erstaunlich ist weiterhin das anscheinend parallele Auftreten der beiden Rechtsbrüche. Dies äußert sich u. a. darin, dass, dass Korruption und Schattenwirtschaft meist in einem Zug genannt werden, wenn es gilt, schlechte staatliche Zustände zu charakterisieren. International findet sich überall dort ein hohes Maß an Korruption, wo viel Schatten- wirtschaft vorhanden ist. Ist dies zufällig so, hängen beide Erscheinungen von dritten Faktoren ab oder gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen Schattenwirtschaft und Korruption?

Da einerseits in ärmeren Ländern die Kriminalität insgesamt als höher wahrgenommen wird, liegt die Vermutung nahe, dass infolge von schlechten Staatsbudgetsituationen und mangelnder Rechtsstaatlichkeit die Eindämmung jeglicher Kriminalität schwierig ist und folglich auch Korruption und Schattenwirtschaft zwei Eigenschaften eines „schlechten“ Staatstypus sind. Anderseits ist es auch möglich, dass durch hohe Korruption andere kriminelle Verhaltensweisen (wie die Schattenwirtschaft) gefördert oder vor staatlicher Bestrafung geschützt werden können.

In dieser Arbeit wird untersucht, ob von einem Zusammenhang gesprochen werden kann. Zunächst widmet sich die Arbeit den Ursachen, die Auswirkungen auf beide Delikte haben können, um zu überprüfen, inwieweit beide Phänomene einfach zwei negative Seiten schlechter politischer und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen sind. Es handelt sich bei diesen Ursachen hauptsächlich um die schon öfters analysierten Faktoren wie Marktregulierung, Steuerbelastung und die Qualität staatlicher Institutionen. Erklären diese Faktoren allein das gemeinsame Auftreten?

Bestehen darüber hinaus Zusammenhänge zwischen Schattenwirtschaft und Korruption? In der Forschung finden sich seit einigen Jahren verschiedene Argumente, die einen direkten oder indirekten Zusammenhang zwischen Schattenwirtschaft und Korruption in Erwägung ziehen. So beispielsweise vermuten Johnson, Kaufmann und Shleifer (1997), dass in korrupten Bürokratien Unternehmen lieber schattenwirtschaftlich arbeiten, um keine Bestechungsgelder bezahlen zu müssen, weshalb ein steigendes Ausmaß der Korruption zu mehr Schattenwirtschaft führe.

Neben Argumenten, die von einem sich gegenseitig verstärkenden Zusammenspiel der beiden Delikte ausgehen, existieren auch Begründungen dafür, dass Schattenwirtschaft und Korruption aufeinander hemmend wirken. Dies sei, so behaupten es Schneider und Dreher (2006a), insbesondere in reichen Industrieländern der Fall. Dort können die Bürokraten angezeigt werden, wenn sie zu Lasten eines Bürgers ein Bestechungsgeld verlangen, weshalb die Korruption nicht als Kostenfaktor in der offiziellen Wirtschaft in Erscheinung tritt. Damit haben Unternehmer keine Veranlassung in die inoffizielle Wirtschaft zu flüchten.

Da nicht nur aus theoretischer, sondern auch aus empirischer Sicht in der derzeitigen Forschung verstärkende sowie hemmende Zusammenspiele vertreten werden, wird in dieser Arbeit auch untersucht, ob ein Zusammenhang zwischen Korruption und Schattenwirtschaft positiv oder negativ ist. Es zeigt sich, dass dieses Problem auf theoretischer Ebene allein nicht zu lösen ist. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Korruption gleichzeitig hemmende sowie verstärkende Effekte auf die Schattenwirtschaft hat. Auf empirischer Ebene ergeben sich für die Analyse des Zusammenhangs beider Phänomene weitere Probleme, beispielsweise wären Angaben zur Höhe der Korruption in der Schattenwirtschaft von Interesse.

Wie angedeutet, ist anzunehmen, dass in Bezug auf den Zusammenhang generell ein Unterschied zwischen armen und reichen Ländern existiert, weshalb sich eine getrennte Analyse für diese beiden Länderkategorien anbietet.

Im Wesentlichen lehnt sich diese Arbeit an die Studie von Schneider und Dreher (2006a) an. Die beiden Autoren haben kürzlich empirisch nachgewiesen, dass in ärmeren Ländern der Zusammenhang zwischen der Korruption und der Schattenwirtschaft positiv sei, d. h. dass der Anstieg der Korruption auch zu einem Anstieg der Schattenwirtschaft führt. In Ländern mit hohem Pro-Kopf-Einkommen ermittelten sie hingegen einen negativen Zusammenhang zwischen Korruption und Schattenwirtschaft, da dort andere Bedingungen herrschen.

Beide Aktivitäten sind zur Wirtschaftskriminalität hinzuzuzählen, so dass die Hauptmotivation für korrupte und schattenwirtschaftliche Aktivitäten in dem Streben nach materiellem Reichtum zu suchen ist. Als allgemeiner Erklärungsansatz für die Analyse der beiden kriminellen Verhaltensweisen eignet sich, der ökonomischen modernen Tradition folgend, das nutzenmaximierende Individuum. Dem methodologischen Individualismus zufolge kann weiterhin angenommen werden, dass sich diese individuellen Verhaltensweisen auf der Makroebene auswirken.

Die Folgen beider Erscheinungen sind hier nur insoweit von Interesse, wie es für die Analyse hilfreich ist. Es ist auch nicht das Anliegen dieser Arbeit, ausführlich auf alle möglichen Ursachen von Schattenwirtschaft und Korruption einzugehen. Ebenfalls zielt diese Untersuchung nicht auf die Entwicklung einer Vermeidungsstrategie der beiden kriminellen Phänomene ab.

In den folgenden zwei Kapiteln erfolgt eine Darstellung der Definitionen und der wesentlichen Ursachen für Schattenwirtschaft (Kapitel 2) und Korruption (Kapitel 3), woraus jeweils drei Hypothesen zu den Ursachen abgeleitet werden. Das darauf folgende Kapitel 4 widmet sich den theoretischen Zusammenhängen zwischen Korruption und Schattenwirtschaft, es endet mit der Darstellung der zu untersuchenden Hypothesen. Das fünfte Kapitel stellt die Daten und die statistischen Modelle vor. Das sechste Kapitel behandelt die Resultate. Das siebente Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Befunde und Implikationen.

2. Schattenwirtschaft

Von der Existenz der Schattenwirtschaft kann man nur dann sprechen, wenn man eine bestimmte Strukturvorstellung moderner Volkswirtschaften zu Grunde legt (Ricks 1995, S. 110). So impliziert die Verwendung des Begriffs Schattenwirtschaft eine Wirtschaft, die sich im Lichte der Öffentlichkeit und eine, die sich im Dunklen abspielt. Diese zweigeteilte Auffassung des Marktes benötigt eine übergreifende Institution, die festsetzt, wie offiziell zu wirtschaften ist.

2.1 Definition des Begriffs Schattenwirtschaft

In der Wissenschaft gibt es unterschiedliche Definitionsvorschläge für den Begriff der Schattenwirtschaft. Eine der am häufigsten genutzten Arbeitsdefinitionen, die sich in der Literatur weitgehend etabliert hat, knüpft an die Zweiteilung der Wirtschaft an. So wird die Schattenwirtschaft oft mit Hilfe des Konzeptes1 der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechung von der offiziellen Wirtschaft abgegrenzt (Schrage 1984, S. 12). Zur Schattenwirtschaft2 werden demnach alle privatwirtschaftlichen Tätigkeiten gezählt, die in der offiziellen Statistik nicht auftauchen, aber nach den Konventionen der volks- wirtschaftlichen Gesamtrechnung eine Wertschöpfung darstellen und eigentlich von staatlicher Seite zu erfassen wären. Güter und Dienstleitungen, die an sich illegal sind, wie Drogenhandel, Menschenhandel, Einbruch, Raub und Diebstahl (Enste 2004, S. 68) werden ebenfalls nicht erfasst. Sie zählen jedoch meist nicht zur Schattenwirtschaft im engeren Sinne (Karmann 1988, S. 88). Im Unterschied dazu sind die Tätigkeiten der Schattenwirtschaft nur deshalb illegal, weil sie nicht beim Staat angemeldet sind und deshalb Regulierungen und der Besteuerung aus dem Weg gehen.

Ausgeschlossen bei der Schattenwirtschaft im engeren Sinne sind weiterhin alle im privaten Haushalt (dieser Bereich wird oft auch als informelle Wirtschaft oder Selbstversorgungswirtschaft bezeichnet) und freiwillig für wohlfahrtlichte Zwecke ausgeübte legale Tätigkeiten, die eine Wertschöpfung darstellen.

Rein finanzielle Transaktionen ohne entsprechende Wertschöpfung zählt man ebenfalls meist nicht zur Schattenwirtschaft hinzu, den ihnen fehlt die dazugehörige Wert- schöpfung; „Mit schattenwirtschaftlichen Aktivitäten (oftmals in Verbindung mit Steuerhinterziehung) ist immer auch ein Angebot an Gütern oder Dienstleistungen verbunden, welche nur unter Verwendung von Ressourcen wie Arbeit, Manager- oder Unternehmertätigkeit und Kapital erstellt werden können.“ (Enste 2002, S. 10). Ein Großteil der legalen Wertschöpfungen, die nicht deklariert werden und somit zur Schattenwirtschaft gehören, ist identisch mit dem Begriff der Steuerhinterziehung. Deshalb verwendet man die Höhe der Steuerhinterziehung oft auch als eine Schätz- methode für das Ausmaß der Schattenwirtschaft. Dazu gehören auch nichtdeklariertes Einkommen von Selbständigen, nichtdeklarierte Löhne, Gehälter und Vermögen aus Arbeit von der Produktion legaler Dienstleistungen und Waren und der nichtmonetäre Tauschhandel von legalen Dienstleistungen und Waren (Schneider 2004, S. 34). Aus der Sicht des Staates sind an der Schattenwirtschaft nicht die erstellten legalen Güter und Dienstleistungen problematisch, sondern nur deren illegale Produktion und Bereitstellung (Enste 2004, S. 68). Diese eben gegebene Definition geht von der Perspektive der Erfassbarkeit der wirtschaftlichen Aktivitäten aus. Eine andere Definition dagegen stellt die individuelle Entscheidung der Wirtschaftsubjekte in den Mittelpunkt. Zur Schattenwirtschaft gehören demnach alle marktbasierenden legalen Produktionen von Gütern und Dienstleistungen, die absichtlich vor der Öffentlichkeit verborgen werden, und zwar aus folgenden Gründen:

(1) um Steuern wie z. B. die Einkommenssteuer zu verhindern,
(2) um Sozialabgaben zu vermeiden,
(3) um Arbeitsmarktstandards (Minimallöhne, maximale Arbeitsstunden, Sicherheitsstandards) zu umgehen,
(4) um staatliche Prozeduren zu vermeiden, z. B. statistischen Befragung. (vgl., Schneider 2005, S. 4f).

Klassische Delikte wie Einbruch, Raub, Drogenhandel bleiben bei dieser Definition ebenfalls unberücksichtigt. Diese Definition ist auch die Grundlage für diese Arbeit.3

2.2 Individuelle Vorteile der Schattenwirtschaft

Um die Ursachen für die Entscheidung zum Eintritt in die Schattenwirtschaft zu analy- sieren, bietet sich die Theorie der rationalen Wahl (engl. rational choice theory) an. Dieser Ansatz beruht darauf, dass individuellen Entscheidungen eine Kosten-Nutzen- Analyse vorangeht. Die Entscheidung für eine kriminelle Handlung ist nach Becker (1968) weiterhin von der Entdeckungswahrscheinlichkeit abhängig. Im Verlauf dieses Kapitels wird geklärt, um welche Kostenfaktoren es sich dabei handeln kann und welche Nutzenerwägungen eine Rolle bei der Entscheidung für oder gegen die offizielle Wirtschaft spielen. Es handelt sich hierbei nur um eine Auswahl der Ursachen, die später in dieser Arbeit insbesondere nur noch als Kontrollvariablen verwendet werden.4

In der Realität sind verschiedene Akteure in der Schattenwirtschaft aktiv. Dazu gehören private Haushalte bzw. Erwerbspersonen, private Organisationen und Unternehmer. Döhrn (1990, S. 32) weist darauf hin, dass sich verschiedene Wirkungen der Schatten- wirtschaft ergeben, je nachdem, welche Akteure dort auftreten. In dieser Arbeit wird zur Vereinfachung hauptsächlich von einem Unternehmer gesprochen, auch wenn es sich oft nur um einen einzelnen Arbeiter handelt, der schwarz in einem Betrieb angestellt ist.

2.2.1 Die Last staatlicher Regulierungen

Ein Ansatz, der von der rational choice theory ausgeht und die Kostenerwägung auf einen konkreten Sachverhalt spezifiziert, ist das transaktionstheoretische Modell (vgl. Schneider 2005, S. 18ff). Die diesem Modell zugrundeliegende Annahme ist, dass der Einzelne eine Marktsituation anstrebt, in welcher der Eingriff des Staates möglichst gering ist. Transaktionen sind aus Sicht der Individuen Kosten, die zusätzlich zum reinen Marktpreis auftreten. Darunter fallen in erster Linie die staatlichen Regulierungen oder - allgemeiner ausgedrückt - die Politisierung der Wirtschaft, ein Begriff hinter dem sich viel verbergen kann, wie folgendes Zitat zeigt:

„The politicization of economic life can usefully be thought of as the exercise by politicians of control rights over business. Such rights may include regulatory powers over privatized and private firms, the ability to regulate and restrict entry, control over the use of land and real estate that private businesses occupy, the determination and collection of taxes on businesses, the right to inspect firms and close them if regulations are violated, control over international trade and foreign exchange transactions, and in some cases, even the power to set prices” Johnson, Kaufmann und Shleifer (1997, S. 159)

Diese Regulierungen stellen Hürden dar, die der Einzelne überwinden muss, um in der offiziellen Wirtschaft tätig zu sein. In der Schattenwirtschaft fielen diese Kosten nicht an, weshalb aus Sicht der Marktteilnehmer die Transaktionskosten den Nutzen in der offiziellen Wirtschaft verringern. Außerdem bedeutet jede Regulierung auch einen Eingriff in die persönliche Entscheidungsfreiheit (Weck, Pommerehne und Frey 1984, S. 23). Da die Markteilnehmer ökonomische Freiheit anstreben, versuchen sie, sich diesen Transaktionskosten zu entziehen. Dies führt zu der ersten Hypothese:

Hypothese S1: Je höher die staatlichen Regulierungen des Marktes sind, desto wahrscheinlicher wechselt ein Individuum in die Schattenwirtschaft über, um die Regulierungen zu umgehen.

Dass Unternehmer auf die zunehmende Politisierung in der Wirtschaft mit der Flucht in die Schattenwirtschaft reagieren, haben unter anderen Johnson, Kaufmann und Shleifer (1997) und Djankov u.a. (2001) gezeigt.

2.2.2 Schattenwirtschaft als Flucht vor der Steuerbelastung

Bereits bei der Definition der Schattenwirtschaft wurde die Vermeidung von Steuern erwähnt. Deshalb ist es auch zu erwarten, dass die Steuer- und Abgabenbelastung als eine der wesentlichsten Ursachen für die Entscheidung zur Schattenwirtschaft auftaucht (so z. B. Weck, Pommerehne und Frey 1984, S. 22).

Steuern werden vom Staat erhoben, damit er seine anfallenden Leistungen bezahlen kann. Im Modell der Steuerhinterziehung sind die Steuern jedoch aus der Sicht des Individuums in der offiziellen Wirtschaft zusätzliche Kosten, die den Ertrag aus der offiziellen Tätigkeit verringern. Dies führt zu einem zwangsläufigen Interessenskonflikt zwischen dem Staat und dem Bürger (Borgmann 1983, S. 139). Das Individuum wird deshalb versuchen, je nach finanzieller Belastung durch die Steuern, diese zu umgehen: „The bigger the difference between the total cost of labour in the official economy and after-tax earnings (from work), the greater the incentive to avoid this difference and to work in the shadow economy.“ (Schneider und Enste 2000b, S. 83)

Allingham und Sandmo (1972) unterstellen dem Akteur die Alternativen: entweder sein gesamtes Einkommen anzugeben oder Teile davon zu verheimlichen bis dahin, dass er das gesamte Einkommen dem Staate verschweigt. Es bestehe allerdings stets die Gefahr der Entdeckung durch einen Finanzbeamten. Je größer der gewählte verheimlichte Anteil, desto höher ist auch das Risiko der Entdeckung.

Die aus diesen Überlegungen abzuleitende Hypothese S2 lautet:

Je höher die Steuer- und Abgabenbelastung ist, umso wahrscheinlicher tritt ein Individuum in die Schattenwirtschaft ein.

Enste (2003) hat diesen Zusammenhang empirisch nachgewiesen, indem er überprüfte, inwieweit die Höhe der Staatsausgaben (als Maß für die Steuerbelastung) die Schattenwirtschaft beeinflusst. Dass höhere Steuern zu mehr Schattenwirtschaft führen, bestätigen auch die Ergebnisse von Tanzi (1999) und Schneider (2004).

Neben der direkten Steuerbelastung ist auch die Steuermoral ein Einflussfaktor auf die Schattenwirtschaft. Weck, Pommerehne und Frey (1984, S. 24) konstatieren

„Die Bereitschaft, in der Schattenwirtschaft tätig zu werden, hängt außerdem von der Staatseinstellung ab. Besteht das Gefühl, daß die eigenen Interessen durch die politischen Institutionen im allgemeinen gut vertreten werden, so wird die Bereitschaft gering sein, Steuern zu hinterziehen und den Staat durch Aktivitäten in der Schattenwirtschaft zu hintergehen“

Es ist aber denkbar, dass die Steuermoral eng mit anderen staatlichen Bedingungen zu- sammenhängt. So begreift Schneider (2004, S. 25) den Wertewandel als eine Funktion der Abgabenlast oder des Umfangs staatlicher Regulierungen. Steuermoral und die Akzeptanz staatlicher Normen hängen nach seiner Ansicht direkt von den staatlichen Bedingungen ab. Beurteilen die Menschen die staatlichen Bedingungen negativ, dann sind sie weniger bereit, einerseits Steuern zu zahlen und anderseits sich an Regulierun- gen zu halten. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass Schattenwirtschaft zu- nimmt.

Schneider und Enste (2000b, S. 83) warnen davor, die Erkenntnisse über die individuellen Entscheidungen zur Grundlage politischer Maßnahmen zu machen, denn dies vernachlässige auch, dass die Steuerzahler heterogen sind.

Die schattenwirtschaftsbefördernde Wirkung der Steuer kann sich unter Beachtung weiterer Faktoren, auf der Aggregatebene betrachtet, stark abschwächen, soweit, dass die Steuerbelastung international betrachtet als erklärende Variable für die Schattenwirtschaft gewaltig an Bedeutung verliert.

Friedmann u.a. (2000, S. 475) kommen generell nur zu Ergebnissen, die besagen, dass höhere Steuern mit geringerer inoffizieller Wirtschaft einhergehen. Sie begründen dies damit, dass Länder mit höheren Steuerbelastungen meist Industrieländer sind. Diese Länder verfügen generell über höhere Steuereinnahmen als vergleichsweise Entwicklungsländer und Transformationsländer. Die höheren Steuereinnahmen können dann für bessere institutionelle Angebote verwendet werden, die letztendlich den Anreiz zur Abwanderung in die inoffizielle Wirtschaft senken.

Auch Johnson, Kaufmann und Zoido-Lobatón (1999) wenden auf Grundlage empiri- scher Befunde ein, dass der Einfluss nicht eindeutig ist. Es komme viel eher auf die Kalkulierbarkeit und effektive Steuerlast an. Die Komplexität des Steuersystems kann ebenfalls wichtiger sein als die absolute Höhe der Steuerbelastung, stellen Schneider und Neck (1993) fest.

Individuen mögen sich außerdem an bestimmte Steuerhöhen gewöhnen und sie als gegeben hinnehmen, während ein Anstieg der Steuersätze wiederum starke Auswirkungen haben kann (vgl. Weck-Hannemann 1984, S. 173).

Die relative Belastung durch Steuern im Vergleich zu anderen Ländern spielt möglicherweise ebenfalls eine Rolle (Schneider und Enste 2000a, S. 87). Bei einem internationalen Ländervergleich wird dieser Aspekt jedoch vernachlässigt.

2.2.3 Die Opportunitätskosten: gute staatliche Qualität

Jeder Staat hat neben dieser - aus Sicht des Individuums - negativen Funktion als Re- gulierungs- und Steuereinziehungsbehörde, die Möglichkeit, durch ein gutes staatliches Angebot die Individuen von einer Tätigkeit in der offiziellen Wirtschaft zu überzeugen. Gemeint sind damit die Dienstleistungen des Staates. Sie fallen als Nutzen im offiziel- len Sektor an. Denn viele Angebote des Staates, wie die Rechtssicherheit, können nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die wirtschaftliche Tätigkeit nicht im Ver- borgenen geschieht. Zu den staatlichen Dienstleistungen gehören neben der Rechts- sicherheit auch die Infrastruktur oder die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen vor Gericht (Enste 2004, S. 70). Weiterhin ist in der Schattenwirtschaft auch der Zugang zu Kredi- ten und andern Kapitaldienstleistungen verwehrt (Loyaza 1996, S. 3). Von all diesen öffentlichen Gütern kann ein Unternehmen in der Schattenwirtschaft nicht profitieren, weshalb für inoffizielle Unternehmer der (potentielle) Nutzen aus den staatlichen Institutionen Opportunitätskosten darstellen und die Schattenwirtschaft unattraktiver macht (vgl. Loyaza 1996). Die aus dieser Annahme abzuleitende Hypothese lautet:

Hypothese S3a: Je geringer die Qualität staatlicher Institutionen ist, umso höher ist der Anreiz, in die Schattenwirtschaft zu fliehen.

Johnson, Kaufmann und Zoido-Lobatón (1999) kommen zu dem Resultat, dass durch höhere Steuereinnahmen und weniger Regulierung bessere öffentliche Güter angeboten werden können, was zu einer Verringerung der Schattenwirtschaft beiträgt.

Ein Kostenfaktor für die Betätigung in der Schattenwirtschaft ist die Entdeckungswahrscheinlichkeit und die Wahrscheinlichkeit der Verurteilung (Weck, Pommerehne und Frey 1984, S. 24). Diese Wahrscheinlichkeiten wiederum sind abhängig von der Qualität der Gesetze und des Rechts (vgl. z. B. Thum 2005, S. 15). Deshalb kann der Hypothese S3a die folgende beigestellt werden:

Hypothese S3b: Je höher die Qualität des Staates ist, umso höher ist auch die Entdeckungs- und Bestrafungswahrscheinlichkeit der illegalen Beschäftigung und umso geringer sind die Anreize, in der Schattenwirtschaft tätig zu sein.

Dreher, Kotsogiannis und McCorriston (2005) haben empirisch nachgewiesen, dass eine Erhöhung der institutionellen Qualität die Entdeckungswahrscheinlichkeit in der Schattenwirtschaft ansteigen lässt, woraufhin die inoffiziellen Unternehmer auch mit einer Verringerung ihrer Firmengröße reagieren.

Zusammengefasst senken also gute Institutionen über mehrere Wege das Ausmaß der Schattenwirtschaft. So können beide Hypothesen in eine gemeinsamen zusammengeführt werden.

Hypothese S3: Je höher die Qualität des Staates, umso geringer die Anreize, in der Schattenwirtschaft tätig zu sein.

Es stellt sich nun die Frage, ob nicht ein umgekehrter Zusammenhang zwischen Schattenwirtschaft und Qualität des Staates möglich ist. Die Schattenwirtschaft könnte als Ursache für schlechte Institutionen verantwortlich sein, da in Folge von Steueraus- fällen die Steuereinnahmen sinken. So gehen Johnson, Kaufmann und Zoido-Lobatón (1999, S. 2) davon aus, dass die sinkenden Steuereinnahmen (als Folge der Flucht der Unternehmer in die Schattenwirtschaft) die Bereitstellung von öffentlichen Gütern und Dienstleistungen erschweren und verschlechtern. Dies führt dann zu einem weiteren Anwachsen der Schattenwirtschaft. Nach der Ansicht der Autoren gibt es zwei Mög- lichkeiten: entweder befinden sich die Unternehmen in einem gut funktionierenden Staat mit moderaten Steuern und geringen Regulierungen in dem es sich lohnt, offiziell zu arbeiten, oder sie sind in einem Staat, der es nicht schafft, gute öffentliche Güter und Dienstleistungen anzubieten und in dem die Steuern und Regulierungen unverhältnis- mäßig hoch sind. In der letzten Situation sind dann folglich durch die höhere Schatten- wirtschaft auch die Staatseinnahmen auf Grund von Steuerausfällen geringer und es kommt zu einer weiteren Anwachsen der schlechten ökonomischen Situation.

Friedman u.a. (2000, S. 360) haben mit Hilfe von Instrumentalvariablen versucht, einen exogenen Einfluss der Qualität der Institutionen auf die Schattenwirtschaft zu messen. Dafür verwenden sie Instrumente, die La Porta u.a. (1999) entwickelten. Friedman u.a. kommen zu dem Schluss, dass auch ein exogener Anteil der Qualität als Ursache für Schattenwirtschaft anzusehen ist.

Die Wirkung der staatlichen Qualität kann durchaus auf den einzelnen Unternehmer unterschiedlich stark ausfallen. So stellen Hibbs und Piculescu (2005) fest, dass vor allem bei kleinen Unternehmen der Nutzen aus staatlichen Angeboten geringer ist als bei einem großen Unternehmen.5

Weiterhin kann ein Zusammenhang zwischen der staatlichen Qualität und der Wahr- nehmung der Steuerbelastung bestehen, wie Weck, Pommerehne und Frey (1984, S. 22) feststellen: „Da die Steuerausgaben im allgemeinen nicht direkt mit spezifischen Aus- gaben des Staates in Verbindung gebracht werden können, wird der Steuerzahler dar- über hinaus dazu tendieren, den Nutzen aus den öffentlichen Leistungen zu unterschätzen.“ Sind die angebotenen staatlichen Institutionen und Dienstleistungen gut,

so sind die Steuerbelastung und Regulierungen eher akzeptabel und wirken sich insge- samt weniger negativ auf die individuelle Entscheidung aus.

2.3 Auswirkungen der Schattenwirtschaft

Die Frage, ob Schattenwirtschaft allgemein eher positiv oder negativ für einen Staat ist, kann zurzeit weder aus wissenschaftlicher Sicht noch aus politischer Sicht eindeutig beantwortet werden. Ricks (1995, S. 111) stellt fest: „ (...) es gibt zwar keine ernstzunehmende Politik, die für Schwarzarbeit eintritt, aber nicht wenige Politiker praktizieren ein erstaunliches Maß an Toleranz.“ Schneider (2004, S. 76) meint, dass die Folgen komplex und nicht eindeutig nachteilig zu beurteilen sind. So sind insbesondere in OECD-Staaten sogar positive Wirkungen zu vermuten.6

Zu den eventuellen Vorteilen der Schattenwirtschaft für die offizielle Wirtschaft zählen unter anderem die Nutzung brachliegender Ressourcen, zusätzliche Einkommen für niedrig Qualifizierte oder mehr Wettbewerb unter Handwerkern (Enste 2002, S. 60). Positive Folgen sind z. B. die Wirkung der Schattenwirtschaft als „shockabsorber“ bei einem Rückgang der offiziellen Wirtschaft (Karmann 1988, S. 105). Dies begründet Karmann damit, dass durch einen Nachfragerückgang nach Arbeit in der offiziellen Wirtschaft die Arbeiter in die inoffizielle Wirtschaft überwechseln und dort weiterhin ein gewisses Entgelt erhalten.

Insgesamt betrachtet, müssen zur Beurteilung der Schattenwirtschaft aber die negativen Auswirkungen beachtet werden. Zu ihnen gehört an erster Stelle der Verlust an Steuer- geldern, dies bestätigten Johnson, Kaufmann und Zoido-Lobatón (1998) empirisch. Der Steuerausfall hat negative Auswirkungen auf die Staatseinnahmen und das institutio- nelle Umfeld, was langfristig für die gesamte Wirtschaft schädlich ist.7 Darüber hinaus sind auch Wettbewerbsverzerrungen durch niedrige Preise denkbar (Enste 2002, S. 61).

Neben rein ökonomischen Folgen sind auch gesamtgesellschaftliche zu befürchten. So ist Ricks (1995, S. 111) der Auffassung, dass “der expandierende Schattensektor (..) als ein alarmierendes Zeichen der fortschreitenden Zersetzung und Unterminierung staatli- cher Autorität und privater Wirtschaftsmoral angesehen werden (sollte).“

Nach dieser Beschreibung der wesentlichen Ursachen für die Schattenwirtschaft befasst sich das folgende Kapitel 3 analog mit den Ursachen für Korruption.

3. Korruption

Allgemein geht man davon aus, dass es schon immer den Anreiz zu Korruption gegeben hat. Dies liegt - so meint Schwitzgebel (2003, S. 70) - an der „Mächtigkeit menschlicher Grundverfassung“, die unabhängig von den jeweiligen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zur Geltung gelangt. Trotzdem fällt das Verständnis über den Gegenstand der Korruption von Kultur zu Kultur unterschiedlich aus. Ähnlich wie bei Schattenwirtschaft hängen die gegenwärtigen Definitionen der Korruption von einem modernen Verständnis der Gesellschaft ab, auch wenn der Begriff der Korruption schon seit der Antike existiert. Grundlage des heutigen Korruptionsbegriff ist insbesondere die Vorstellung, dass eine Gesellschaft eine Differenzierung zwischen Recht und Politik und zwischen privatem und öffentlichem Raum macht (Bluhm und Fischer 2002, S. 12). Johnston (1996, S. 337) drückt dies folgendermaßen aus: „An absolute autocrat cannot be corrupt, in the modern sense of the concept, until some limitations are placed on his power.”

So kann argumentiert werden, dass eine aus europäischer Sicht korrupte Handlung in anderen Teilen der Welt als kulturell notwendig oder sogar wünschenswert gilt. In China stellen die „sozialen Beziehungen“ (chinesisch: guanxi), die eng verbunden sind mit Patronage, Klientelbeziehungen, Seilschaften oder Nepotismus, einen wichtigen Teil des alltäglichen Lebens dieser Kultur dar (Heberer 2005, S. 331). Es existieren historisch gewachsene Unterschiede zwischen den Kulturen in Bezug auf die moralische Bedeutung der Bevorzugung der eigenen Großfamilie, des Stammes oder der politischen Partei, trotzdem ist dies kein unüberwindliches Hindernis, um international die Korruptionsgrößen zu vergleichen. Denn Eigen (1995, S. 159), Gründer von Transparency International, einer Institution die sich der Bekämpfung der Korruption widmet, betont, dass „dies nicht dazu verleiten (sollte) zu glauben, daß in irgendeinem Land der Erde die heimliche Bereicherung der Entscheidungsträger auf Kosten der Allgemeinheit erlaubt sei.“

Zurzeit beschäftigen sich insbesondere in der westlichen Welt verschiedene Organisati- onen und Forscher damit, die Ursachen von Korruption aufzudecken und Methoden zu ihrer Bekämpfung zu entwickeln. Ein wichtiger Ansatz dabei ist die international ver- gleichende Forschung. Sie benötigt eine Definition des Phänomens, die auf die verschiedensten Kulturen anzuwenden ist. Damit schließt sich schon von vornherein eine rein rechtliche Definition aus (von Alemann 2005). Eine weitere Anforderung, die sich an einen Korruptionsbegriff stellt, ist die Berücksichtigung verschiedenster Phänomene wie Geschenke, Bestechung oder Vorteilsnahme.

3.1 Definition von Korruption

Es existieren je nach Forschungsfrage verschiedene Definitionen zur Korruption, worauf an dieser Stelle nicht weiter eingegangen wird, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.8 Ungeachtet der möglichen Definitionen bezieht sich diese Arbeit auf die Definition der Organisation Transparency International, denn deren jährlich erstellter Korruptionsindex (Corruption Perceptions Index = CPI9 ) zum Ausmaß der Korruption in einzelnen Ländern bildet die Datengrundlage für diese Arbeit. Transparency International (2006) definiert „ (...) Korruption als den Missbrauch von öffentlicher Macht zu persönlichem Nutzen.“

Nach dieser Definition bedarf es nur weniger Indizien, um von Korruption sprechen zu können. Von dieser Definition ausgehend, werden nun im folgenden Teil dieses Abschnitts wesentliche Merkmale einer korrupten Handlung veranschaulicht.

Zu jedem Korruptionsfall gehört zunächst eine Person mit einer Machtposition. Oft handelt es sich dabei um einen Politiker oder Beamten aus der Verwaltung oder Justiz. Im Besitz der Person mit der anberaumten Macht befindet sich nun ein bestimmtes Recht. Aus ökonomischer Sicht spricht man davon, dass diese Person ein bestimmtes Gut besitzt, über das sie frei verfügen kann. Damit besitzt diese Person eine objektive Bestechungsmöglichkeit, wie es Schmidt (2003, S. 87) ausdrückt, denn aus der Perspektive einer anderen Person (der Korrumpierenden), die an diesem Gut interessiert ist, erscheint eine „freie“ Verfügung über dieses Recht attraktiv. Eine freie Verfügung meint hier die Missachtung von Regelungen und Gesetzen.

Der Begriff des Missbrauchs verweist darauf, dass es sich um ein illegales Verhalten handelt. Denn der Machtinhaber (Korrumpierte) müsste sich infolge seiner ihm anbe- raumten Macht in all seinen Entscheidungen an feste Regeln halten. Im korrupten Tausch10 ist dieses Gebot verletzt, weil „(...) etwas getauscht wird, was eigentlich nicht tauschbar sein sollte (...)“ (Ricks 1995, S. 221).

Die Prinzipal-Agent-Theorie, die oft Verwendung findet, um die Korruption besser zu erläutern (vgl. z. B. Rose-Ackerman 1978, S. 6), kann auch den Missbrauch deutlicher erklären. Das Grundmodell sieht folgendermaßen aus: eine Prinzipal-Agent-Beziehung besteht zunächst aus zwei Personen (oder Personengruppen), dem Prinzipal und dem Agenten. Auf die Korruption angewendet, versteht man unter dem Prinzipal gemeinhin das Wahlvolk, in dessen Auftrag die Staatsbediensteten handeln. Von Alemann (2005, S. 30) wendet sich jedoch gegen diese Deutung, da sie den Begriff überstrapaziere. Deshalb kann unter dem Prinzipal auch eher die Person verstanden werden, die in der Hierarchie einer Organisation oder Institution dem Agenten übergeordnet ist. Der Kern der Beziehung zwischen den beiden ist ein Auftrag, den der Agent vom Prinzipal erhält und den er im Sinne des Prinzipals erfüllen soll. Zur Erfüllung steht ihm ein gewisser Handlungsspielraum zu. Außerdem ist die Entlohung des Agenten unabhängig von dem direkten Erfolg, da es sich meist um Aufträge handelt, wie die Gesetzesformulierung in der Politik, bei denen der Erfolg einerseits nicht garantiert und anderseits schwer mess- bar ist. Das Wesentliche der Korruption, im Rahmen der Prinzipal-Agent-Theorie analysiert, besteht darin, dass der Vertrag11 gebrochen wird (Stykow 2002, S. 91). Dies ist möglich, da keine vollständige Überwachung des Agenten möglich ist, ohne dass dies übermäßig hohe Kosten mit sich bringt. Daraus entsteht die Möglichkeit und gleichzeitig das Problem, dass der Agent seine Position nicht nur im Sinne des Prinzi- pals, sondern auch zum eigenen Vorteil ausnutzen kann. Solange es sich dabei nur um einen Diebstahl handelt, kann noch nicht von Korruption gesprochen werden, denn hierfür ist immer ein Dritter notwenig. Im Rahmen des Modells bezeichnet man ihn als „Klient“. Der Agent „bedient“ diese Person. Korruption ist dann eine Tauschhandlung zwischen Agenten und Klienten, die zwar einem oder beiden einen direkten oder indirekten materiellen oder immateriellen Vorteil bringt, aber als Vertragsbruch zwischen Agent und Prinzipal zu verstehen ist (Stykow 2002, S. 91).

Das Gut, um dessen Austausch es geht, kann verschiedene Formen besitzen. Es macht einen Unterschied, ob es sich um Bestechung handelt, um einem an sich legalen „Grundgeschäft“ weitere Vorteile abzuringen, oder ob es um ein Gut geht, was sonst nirgendwo am Markt zu erhalten ist (Schmidt und Garschagen 1988, S. 567). Der ersten Fall tritt ein, wenn ein Bürokrat einen privaten Unternehmer in der Vergabe eines öffentlichen Auftrages auf Grund von Bestechungsgeldern bevorzugt. Vom zweiten Fall kann dann gesprochen werden, wenn ein Straffälliger mit Hilfe von Bestechung einer Strafe entgehen kann.

Der Prinzipal und der Agent können je nach Korruptionsart verschiedene Rollen in der Gesellschaft einnehmen. In einer reinen wirtschaftlichen Korruption ist kein Angestell- ter des Staates nötig. In dieser Arbeit sind insbesondere illegale Tauschakte zwischen einem Staatsbediensteten und einem privaten Unternehmer von Interesse. Der Staatsbe- dienstete kann wiederum verschiedene Positionen einnehmen, was zu der Unterscheidung zwischen der administrativen und politischen Korruption führt. Der erste Fall spielt sich meist auf niedriger Ebene in der Verwaltung ab, z. B. wenn ein alkoholisierter Autofahrer einen Verkehrpolizisten besticht. Politische Korruption ist dann der Fall, wenn jemand mit Hilfe von Bestechungsgeldern auf höherer Ebene (in der Politik) Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt (Jain 1998, S. 18).

Zur Vereinfachung wird des Weiteren von einem (korrupten) Bürokraten gesprochen, auch wenn damit sowohl ein einfacher Angestellter oder Beamter des öffentlichen Dienstes (administrative Korruption) als auch ein Politiker (politische Korruption) ge- meint sein könnte.

In der obigen Definition des Korruptionsbegriffs ist weiterhin der „private Nutzen oder Vorteil“ enthalten. Es geht dabei nicht nur um monetär messbare Nutzen, auch immaterielle Vorteile sind relevant. Außerdem spielt es keine Rolle, ob der Nutzen oder Vorteil für nur einen der beiden entsteht oder ob er beiden Beteiligten zugute kommt. Der Korrumpierende selbst benötigt die (monetären oder nichtmonetären) Mittel, um dem Korrumpierten den Nutzen oder Vorteil verschaffen zu können.12

Es geschieht Korruption meistens direkt oder indirekt zum Nachteil von Dritten. Dritte sind dabei oft die Konkurrenten des Korrumpierenden die keine Bestechungsgelder be- zahlt haben und nun benachteiligt sind. Da die Korruption vor allem aber ein Täter- Täter-Delikt ist (von Alemann 2005, S. 24), entsteht der Schaden aber größtenteils indi- rekt zu Lasten der öffentlichen Hand oder einem schwer identifizierbaren Gemeinwohl. Das Problem dieses „Gemeinwohls“ ist, dass eine große Gruppe, sich nur schwer orga- nisieren kann, wie Olson (1998) festgestellt hat, weshalb sie als Benachteiligte, die Täter auch seltener verfolgen können. Viele empirische Studien zu den Folgen der Kor- ruption verdeutlichen deren Schädlichkeit. Insbesondere das wirtschaftliche Wachstum und die ausländischen Investitionen werden negativ beeinflusst, wie Tanzi und Davoodi (2002a) oder Mauro (1995) nachgewiesen haben.

Das Phänomen der Korruption lässt sich nach verschiedenen noch nicht genannten Merkmalen unterteilen, wie nach der Größe (große - kleine) oder der Zeitdauer (situative Korruption - Netzwerkkorruption) (vgl. Höffling 2002, S. 32).

3.2 Ursachen der Korruption

An theoretischen Ansätzen zur Erklärung der Korruption mangelt es nicht.13 Die Theo- rie der rationalen Wahl eignet sich am besten für die Untersuchung der Korruption unter Berücksichtigung der Schattenwirtschaft, weshalb diese Theorie den Ausgangspunkt für die Analyse bildet.

In der Definition „Korruption ist der Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil“, ist die wichtigste Handlungsabsicht für korruptes Verhalten schon enthalten: der private Nutzen und Vorteil. Damit findet aus der Sicht der ökonomischen Theorie das Problem des korrupten Tausches seinen Grund in der individuellen Nutzen- maximierung. Man geht davon aus, dass jedes Bestechungsgeld den Nutzen der Akteure erhöht, weshalb es darauf ankommt, sich insbesondere den Kosten zuzuwenden und die Gelegenheiten zu analysieren, die Korruption erleichtern.14 Maßgeblich sind es institutionelle Bedingungen, die Kosten und Gelegenheiten erhöhen oder verringern. Ein Ansatz, der dies berücksichtigt und auf der rational choice theory aufbaut, ist das Modell des rent seeking.

Shleifer und Vishny (1993, S. 600ff) entwickelten ein Grundmodell für den korrupten Bürokraten. Die Autoren charakterisieren den korrupten Staatsdiener durch die beson- dere Monopolstellung, die ihm die anberaumte Macht gewährt, über ein Gut. Konkret könnte es sich bei dem Gut um Pässe, Unternehmer- oder Importlizenzen handeln. Pri- vate Personen haben ein Interesse an diesem Gut und fragen es nach. Der Bürokrat kann nun frei über die Vergaben entscheiden, da ihm die Monopolstellung die dafür nötige Macht verleiht. Es bleibt dem Bürokraten überlassen, seine Macht zu missbrauchen oder nicht. Zu den illegalen Verhaltensweisen gehört einerseits die Beschränkung der Her- ausgabe dieses Gutes oder anderseits die Erhebung von Bestechungsgeldern. Shleifer und Vishny gehen davon aus, dass der Bürokrat seine Position stets dazu benutzt, um sich selbst zu bereichern. Seine Entscheidung hängt letztendlich von institutionellen Bedingungen ab, die auch erklären, warum in manchen Ländern die Korruption ausge- prägter ist als anderswo. Zu der wichtigsten Bedingung gehört dabei die Erweiterung des Machtbereichs des Bürokraten, denn sie verstärkt seine Monopolstellung. Wenn ein Bürokrat über mehr Macht verfügt, kann er diese ceteris paribus auch öfters missbrau- chen.

Bevor gezeigt wird, welche Aspekte die Macht des Bürokraten konkret erweitert, ist ein Blick auf die Sichtweise des privaten Unternehmers zu werfen. Ausgangspunkt ist dafür die Annahme eines Marktes, an dem ein freier Wettbewerb herrscht. Die einzelnen Unternehmer müssen sich unter diesen Bedingungen den Marktpreisen unterwerfen. Diese sind annahmegemäß niedriger, als wenn ein Markteilnehmer eine Monopolstellung innehält. Der Unternehmer ist nun versucht, mit Hilfe von Ressourcen seine Stellung zu verbessern und Privilegien zu erlangen, um der Monopolsituation näher zu kommen. Dazu stehen ihm legale aber auch illegale Wege offen. Entweder er entwickelt neue Produkte (die am Markt begehrt nachgefragt werden) oder er versucht, seine Interessen innerhalb der gesetzlichen Regelungen offen im Bereich der Politik durchzusetzen, indem er Lobbyarbeit betreibt (Jain 1998, S. 16). Die dritte Möglichkeit wäre, auf dem illegalen Weg durch Bestechungszahlungen an Politiker oder Beamte der öffentlichen Verwaltung, Vorteile gegenüber ihren Konkurrenten durchzusetzen (vgl. Jain 1998, S. 16). Diese dritte Möglichkeit ist nicht weit entfernt von legaler Lobbyarbeit. Auch hier versuchen Gruppen, die über finanzielle und personelle Mittel verfügen, ihre Interessen politisch durchzusetzen. Dabei zielen sie unter anderem auch auf die Einführung von Gesetzen ab, die ihre Situation verbessern. Dies führt letztendlich zu einer steigenden Regulierung des Marktes, die jedoch nicht allen Teilen der Gesellschaft zugute kommt. In einer Gesellschaft, in der wirtschaftliche Vorteile hauptsächlich durch politische Einflussnahme erzielt werden, ist es nicht unwahrscheinlich oder verwunderlich, dass dort auch die Korruption einen Weg zur Interessendurchsetzung bildet, meint De Soto (1989, S. 191).

Die Korruption bietet dem Unternehmer und dem Bürokraten jeweils die Möglichkeit, den Nutzen zu erhöhen, wenn die Monopolstellung des Bürokraten größer ist. Im Folgenden werden die Rahmenbedingungen erläutert, die für die Erweiterung des Ermessenspielraumes förderlich sind.

3.2.1 Machterweiterung ermöglicht Korruption

Wie vergrößert sich die Macht des Bürokraten? Von zentraler Bedeutung ist insbeson- dere die Macht der staatlichen Seite auf die Wirtschaft. Politiker und Beamte ziehen im Prinzip ihre Macht aus den gesetzlichen Vorschriften und Regelungen. So sind es auch üblicherweise die staatlichen Regulierungen auf dem Markt (Marktregulierungen), die den Ermessenspielraum des Bürokraten und damit das rent seeking Verhalten fördern, denn jede Regulierung ist zunächst erst einmal eine Machterweiterung des Staates.15 Ein umfassender Gesetzeskatalog zu den Vorschriften in der Wirtschaft erweitert die Macht des Staates. Dies steigert auch die Macht des einzelnen Bürokraten, der im Auftrag des Staates handelt.

Da Unternehmen in so gut wie allen Staaten gezwungen sind, einmal oder öfters mit dem Staat in Kontakt zu kommen, um z. B. Lizenzen zu erwerben, hängt jeder Unter- Bürokraten vorhanden sind, weil dort die Motivation zum Geldverdienen durch Armut und geringe Gehälter im öffentlichen Dienst höher ist. nehmer letztendlich von der Entscheidungsmacht der Bürokraten ab. Diese können dann ihre Position und die „Zwangslage“ des Unternehmers zum eigenen Vorteil ausnutzen und Schmiergelder verlangen, um überhaupt tätig zu werden oder schneller zu arbeiten. Wenn die Abhängigkeit der Unternehmen vom Staat größer ist, so ist die Macht der Bürokraten größer und damit die Wahrscheinlichkeit der Korruption.

Der Anstoß für solche Regulierungen kommt selbstverständlich oft aus der Wirtschaft selbst. Sind die Regulierungen einmal eingerichtet, ist jedes Unternehmen gezwungen, diese zu befolgen. Dadurch erhalten dann nicht nur die von den Regulierungen profitie- renden Firmen Begünstigungen, sondern die Staatsdiener erlangen dadurch einen erweiterten Machtbereich. Wenn in einem Staat neben zu hoher Regulierungen auch weniger Wettbewerb unter den Bürokraten herrscht, so befördert dies zusätzlich die Korruption, da so die privaten Personen nur von einem einzigen Bürokraten abhängig sind (Shleifer und Vishny 1993, S. 608).

Einige Unternehmer profitieren ebenfalls von einem größeren Ermessenspielraum des Bürokraten, wenn er seine Stellung am Markt gegenüber Konkurrenten durch Korruption verbessern will. Denn nur ein Bürokrat, der über einen gewissen Ermessensspielraum verfügt, kann ihm auch helfen, seine Anliegen und Interessen auf illegalem Wege durchzusetzen. Außerdem entstehen durch Beschränkung des Wettbewerbs am Markt für einige Unternehmen höhere Renten, was wiederum zum „Vorteil“ für gierige Bürokraten werden kann: „(...) where competition is restricted profits increase and politicians can grasp the opportunity to assign these profits - in exchange for a share.“ (Lambsdorff 2005a, S. 16)

Warum die Regulierungen zu mehr Korruption führen, hängt auch damit zusammen, dass sich den Unternehmern Anreize bieten, die Regulierungen zu umgehen, weshalb sie dann auch bereit sind, Bestechungssummen zu zahlen (Enste 2004, S. 72). In Kapitel 4 wird dieser Aspekt noch vertieft. Zusammenfassend fließen die Argumente in die Hypothese K1 ein:

Hypothese K1: Je mehr Regulierungen am Markt vorherrschen, umso höher ist die Macht der Bürokraten und folglich die Wahrscheinlichkeit zur Korruption.

Djankov u.a. (2001, S. 4) haben anhand der Anzahl von Prozeduren, die ein Unterneh- men durchlaufen muss, um den Zugang zum Markt zu finden, nachgewiesen, dass „(...) stricter regulation of entry is associated with sharply higher levels of corruption (...)“. Abed und Davoodi (2002, S. 496) sehen die Korruption auf Grund einer empirischen Analyse prinzipiell als ein Kennzeichen fehlender struktureller Reformen. Dies bedeutet unter anderem mangelnde Privatisierung von Unternehmen und starke Bestimmung der Preise und des Finanzsektors durch den Staat. Die Beseitigung dieser Defizite minimiert nach Ansicht der Autoren auch die Anreize des rent seeking.

Hohe Regulierungen sind verbunden mit einer Lähmung des Wirtschaftsprozesses. Deshalb argumentierten einige Autoren insbesondere vor einigen Jahrzehnten in der Korruptionsforschung, Korruption umginge hauptsächlich verstaubte bürokratische Wege und Strukturen, was letztendlich die Effizienz steigere (vgl. z. B. Huntington 1968, 1999). Gegen die Korruption als positives Mittel sind mehrere Forscher ins Felde gezogen. So z. B. Mydral (1968,1999), der den Einwand erhob, dass die korrupten Bürokraten die Verwaltungsprozeduren verlängern, um Bestechungsgelder zu fordern. Damit erhöhen korrupte Bürokraten die Transaktionskosten für den Eintritt in die Wirtschaft (vgl. auch Rose-Ackerman 1978, S. 90). Dieses letzte Argument zeigt: die Kausalität zwischen Regulierungen und Korruption muss nicht unbedingt eindeutig sein. Auch Kaufmann und Wei (2000) geben auf Grundlage empirischer Forschung zu bedenken, dass die hohen Regulierungshürden die Ursache von hoher Korruption seien. Korrupte Bürokraten seien vielmehr selbst an der Einrichtung solcher Regulierungen interessiert, um mehr Möglichkeiten zur Erhebung von Bestechungsgelder zu schaffen.

3.2.2 Steuerbelastung und Korruption

Neben staatlicher Marktregulierung ist auch die Höhe der Steuerbelastung eine Einflussmöglichkeit des Staates auf die Wirtschaft, da die Steuersätze ebenfalls als ein Macht- und Kontrollinstrument und eine Regulierung der wirtschaftlichen Tätigkeit zu bewerten ist. Ebenso wie Regulierungen bietet das Steuersystem viele Gelegenheiten zur Korruption (Tanzi 1998a, S. 114ff).

Der Zusammenhang von Steuerbelastung und Korruption kann weiterhin mit einer Ver- bindung zwischen der Korruption und der Schattenwirtschaft begründet werden. Rose- Ackerman (1999, S. 21) formuliert diese folgendermaßen: „High nominal tax rates lead to bribes and other types of tax avoidance which lead to even more avoidance, and so forth in a vicious spiral.” Auch Schneider und Dreher (2006a, S. 6) gehen davon aus, dass eine höhere Steuerbelastung zu mehr Bestechungsgeldern führt. Im Kapitel 4 wird auf diese Verknüpfung beider Delikte vertieft eingegangen. Hypothese K2 lautet:

HpotheseK2: Je höher die Steuer- und Abgabenbelastungen sind, umso höher ist die Macht der Bürokraten und folglich die Wahrscheinlichkeit, dass Korruption auftritt.

Die höheren Steuerbelastungen müssen nicht unbedingt die Ursache für einen gestei- gerten Einflussbereich von Staatsbediensteten sein. Möglich ist auch der umgekehrte Zusammenhang. Höhere Steuern sind unter Umständen das Resultat höherer Korruption (vgl. Gray und Kaufmann 1998). Weil infolge von Machtbestrebungen der Staatsdiener die Steuerausgaben steigen und deshalb Politiker und Bürokraten die Steuern erhöhen.16 Außerdem sind nicht allein die absolute Höhe der Steuerbelastung, sondern auch die Komplexität der Steuergesetze, die Anzahl der Kontakte zwischen Steuerzahler und Finanzbeamten oder die fehlende Transparenz die eigentlichen Ursachen, warum Korruption im Zusammenhang mit dem Steuersystem so oft auftaucht (Tanzi 1998b).

Exkurs: Weniger Staat ist nicht die Lösung

Aus den bisherigen Annahmen könnte der Schluss gezogen werden, dass weniger Staat (weniger Regulierung) automatisch zu weniger Korruption führt. Diese Schlussfolgerung ist jedoch aus mehreren Gründen verkürzt.

Erstens haben Deregulierungsmaßnahmen überall auf der Welt in den letzten Jahrzehn- ten gezeigt, dass Korruption nicht automatisch dadurch verschwindet (Mény und Sousa 2001, S. 2828), denn es öffnen sich durch zunehmende Privatisierung neue Wege des Machtmissbrauchs, wie bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen (Rose-Ackerman 1996). Zweitens existiert natürlich eine Reihe weiterer Faktoren, die ein korruptes Verhalten fördern, die mehr oder weniger unabhängig von der Staatstätigkeit sind. Diese können in dieser Arbeit nicht umfassend behandelt werden. Nur ein Ausschnitt der Ursachen der Korruption ist hier berücksichtigt.

[...]


1 Diese Definition bezieht sich auf die Arbeit von Cassel und Caspers (1984).

2 Weitere Synonyme sind Schwarzarbeit, die inoffizielle, irreguläre oder nichtregistrierte Wirtschaft oder die Parallelwirtschaft. Auch die Begriffe versteckte Wirtschaft oder Untergrundwirtschaft bezeichnen oft den gleichen Sachverhalt. Zur unterschiedlichen Bedeutung verschiedener englischsprachiger Bergriffe vgl. Eilat und Zinnes (2000, S. 12).

3 Wenn im Folgenden von der Höhe der Schattenwirtschaft gesprochen wird, ist damit immer die Höhe der Schattenwirtschaft als Anteil am gesamten Bruttoinlandsprodukt gemeint.

4 Für eine umfangreiche Darstellung der Ursachen der Schattenwirtschaft vgl. z. B. (Schneider und Enste 2000a).

5 Weshalb für kleine Unternehmen die Kosten des Staates bei der Entscheidung für oder gegen einen offiziellen Status viel höher ins Gewicht fallen (vgl. Hibbs und Piculescu 2005).

6 Überblick zu den Folgen der Schattenwirtschaft auf den Wohlstand und das Wachstum (Eilat und Zinnes 2000, S. 43ff).

7 Eine schlechte wirtschaftliche Situation kann aber auch erst Schattenwirtschaft verursachen, wenn keine Arbeitsmöglichkeiten in der offiziellen Wirtschaft mehr zu finden sind. Eilat und Zinnes (2000, S. 46) konstatieren, dass die Schrumpfung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) mit einem Anstieg der Schattenwirtschaft zusammenhängt.

8 Zur Problematik der Definitionen zur Korruption siehe Kaufmann (1998, S. 131f), Johnston (1996, S. 322-325) und Zimmerling (2005).

9 Alle Abkürzungen die in dieser Arbeit verwendet werden, sind im Anhang B aufgelistet.

10 Nach Schmidt (2003, S. 88) ist der Tauschvorgang ein zentrales Merkmal für die Korruption.

11 Im Rahmen der Prinzipal-Agent-Theorie muss es sich bei dem Vertrag nicht nur um einen aus dem Bereich des Staates oder der Wirtschaft handeln. Auch ein Geistlicher, der sich bestechen lässt, um seine Schweigepflicht zu verletzen, ist korrupt (vgl. dazu Neckel 1995).

12 Hinzu kommen auf beiden Seiten des korrupten Tauschs die subjektive Bestechungswilligkeit (Schmidt 2003, S. 87).

13 Beispielsweise die Modernisierungstheorie (Korruption als Phänomen eines Transformationsprozess), die Moraltheorie (Verfall guter Sitten), Gesellschaftstheoretische Ansätze (strukturelle Probleme einer Gesellschaft), die Elitentheorie (Macht verführt zur Korruption), die Theorie des abweichenden Verhaltens (Störung einer sozialen Beziehung), die Spieltheorie (Gefangenendilemma), die Systemtheorie (Vertrauen).

14 Der Nutzen der Korruption kann dann höher sein, wenn die persönliche monetäre Situation der Akteure miserabel ist. So begründen Gray und Kaufmann (1998), dass in ärmeren Ländern deshalb mehr korrupte

15 Wobei Jain (1998, S. 19) anmerkt, dass jedes Gesetz das individuelle rent seeking befördert.

16 Enste (2003) nimmt zur Schätzung der Steuerbelastung die Höhe der Staatsausgaben, da er davon ausgeht, dass diese auf Grund der Machterweiterung der Staatsbediensteten zustande gekommen ist.

Ende der Leseprobe aus 116 Seiten

Details

Titel
Korruption und Schattenwirtschaft
Untertitel
Eine international vergleichende Untersuchung zu den Ursachen und gemeinsamen Beziehungen
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Soziologie)
Note
1,5
Autor
Jahr
2006
Seiten
116
Katalognummer
V168914
ISBN (eBook)
9783640871155
ISBN (Buch)
9783640871223
Dateigröße
844 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Korruption, Schattenwirtschaft
Arbeit zitieren
Maria Neubauer (Autor:in), 2006, Korruption und Schattenwirtschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168914

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