Semiotik und Methodologie von Computerspieltrailern und Eingangssequenzen


Magisterarbeit, 2008

124 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Status quo

3. Der Homo Ludens

4. Computerspiele - ein Definitionsversuch

5. Klassifizierung von Spielen
5.1 historische Fundierung
5.2 Einteilung gemäß Spielmechanik
5.3 Differenzierung gemäß den inhaltlichen Unterschieden
5.4 Übernahme von gruppenverwandten Medienangeboten

6. Die Erben der Filmwerbung

7. Die Spielfiguren
7.1 Arten von Spielfiguren
7.2 das Aussehen
7.3 Beispiele
7.3.1 die Barbie-Falle
7.3.1.1 Ms. PAC MAN
7.3.1.2 Prinzessin Toadstool
7.3.1.3 Lara Croft
7.3.1.4 Dark Mistress
7.3.1.5 Alice
7.3.1.6 Gina Timmins
7.3.1.7 Heather Mason
7.3.1.8 Kasumi
7.3.1.9 Nina Kalenkow
7.3.2 die einsamen Wölfe
7.3.2.1 Mario
7.3.2.2 Larry Laffer
7.3.2.3 Agent 47
7.3.2.4 Sam Fisher
7.3.2.5 Prince of Persia
7.3.2.6 Gordon Freeman
7.3.2.7 Sam Stone
7.3.2.8 Geralt von Riva
7.3.2.9 Tony Tough
7.4 Fazit

8. Der Sound
8.1 Musik
8.2 Geräusche
8.3 Gespräche

9. Beispiele
9.1 Shooter
9.1.1 „Field Ops“
9.2 Sportspiele
9.2.1 „Colin McRae Dirt”
9.3 Strategiespiele
9.3.1 “Age of Wonders - Shadow Magic”
9.4 Adventures
9.4.1 “Runaway 2 - The dream of the turtle”
9.5 Rollenspiele
9.5.1 „Gothic 3“
9.6 Simulationen
9.6.1 „Caesar IV“

10. Fazit

Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit einem besonderen Aspekt von Computerspielen: den Trailern und Eingangssequenzen. Beiden kommt sowohl in der Spielpräsentation als auch in der Vermarktung eine tragende Rolle zu. Um einen Eindruck von der wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung von Computerspielen zu erhalten, wird zunächst ihr aktueller Status nachgezeichnet. Anschließend wird die Nutzerseite näher beleuchtet, indem erstens kurz die Bedeutung des Spielens in der Kulturgeschichte erläutert wird, und zweitens im Hinblick auf die Zielgruppenuntersuchung aufgezeigt wird, welche Spielertypen es gibt. Danach schwenkt die Arbeit zu den Spielen selbst über und versucht das Forschungsobjekt ’Computerspiele’ mit Hilfe einer Definition zu erklären und einzugrenzen. Das Kapitel 5 widmet sich ausführlich der Klassifizierung von Spielen, da diese Einteilung zum einen die Basis für die spätere Analyse darstellt und zum anderen für das Gesamtverständnis der Spieleszene unerlässlich ist.

Anschließend geht die Arbeit zu ihrem eigentlichen Schwerpunkt über: den Trailern und Eingangssequenzen. Ihre historischen Wurzeln im Filmgeschäft werden dabei ebenso untersucht wie ihre wirtschaftlichen Aufgaben. Zusätzlich werden die Besonderheiten von Computerspieltrailern und Eingangssequenzen im Vergleich mit ihren Film-Pendants hervorgehoben und damit automatisch zentrale Hintergrundinformationen für die Detailanalyse vermittelt. Die drei wichtigsten ’Zahnrädchen’ für die Semiotik und Methodologie von Trailern und Eingangssequenzen sind: 1. die Spielfiguren, 2. der Sound und 3. die Spieldarstellung.

Daher behandelt Kapitel 7ausführlich die Konzeption von Spielfiguren und illustriert ihre Bedeutung anhand populärer Spielcharaktere.

Bevor schließlich repräsentative Beispiele im Detail anhand literaturwissenschaftlicher, betriebswirtschaftlicher und psychologischer Aspekte analysiert werden, beschäftigt sich das 8. Kapitel mit den Klangwelten der Computerspiele.

Alle diese Einzelaspekte werden schließlich in der Analyse der Beispiele mit der jeweiligen Spieldarstellung zusammengeführt, um im Rahmen einer Gesamtdeutung den Blick für die Komplexität von Computerspieltrailern und Eingangssequenzen zu schärfen.

Mit der in der Arbeit verwendeten Bezeichnung ’Computerspiele’ sind sowohl Spiele für die Plattform PC als auch Videospiele gemeint. Eine Begriffsdefinition wird häufig nur dann gebraucht, wenn Unterschiede zwischen beiden Spielformen hervorgehoben werden. Dies trifft für diese Arbeit nicht zu.

2. Der Status quo

„Computerspiele sind ein Zeitvertreib hauptsächlich männlicher Jugendlicher im Alter zwischen 12 und 25 Jahren“ lautet das Meinungsbild deutscher Nicht- beziehungsweise Gelegenheitsspieler über ein Phänomen der Popkultur, das längst Keller und Zimmernischen verlassen hat und über Kinderzimmer hinausgewachsen ist. Der am 7. April 2005 in Frankfurt gegründete Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware, kurz BIU, stellt nach Auflösung des VUDs (Verband der Unterhaltungssoftware Deutschland) nicht nur die neue Interessenvertretung der Entwickler und Publisher von Computer- und Videospielen dar, sondern erhebt in regelmäßigen Abständen auf Basis von Daten der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) sowohl ökonomische als auch soziologische Marktspiegel. Allein in Deutschland wurden im ersten Jahr Halbjahr 2007 fast 22 Millionen Computer- und Videospiele verkauft und damit ein Umsatz von 550 Millionen Euro erzielt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Allgemeine Marktentwicklung im ersten Halbjahr 2007 - Verkaufszahlen je nach Plattform in Millionen Stück (Quelle: BIU e.V.: Marktzahlen 2007. Computer- und Videospiele. Berlin 2007.)

Innerhalb von einem Jahr ist die Gesamtzahl der Nutzer von 19,7 Millionen (2006) auf 21,3 Millionen (2007) gestiegen. Davon sind 73 % männlich und nur 27 % weiblich.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 : Quelle: BIU e.V.: Marktzahlen 2007. Computer- und Videospiele. Berlin 2007. S.5. 2

Die Analyse der Altersgruppen bestätigt zwar die allgemeine Meinung, Games wären nur moderne Spielzeuge für Kinder, zeigt aber ebenso deutlich unerwartete Konkurrenz neben den vermeintlichen Alleinherrschern. Tatsächlich liegt die zusammengefasste Nutzergruppe der Kinder und Jugendlichen im Alter von theoretischen 0 bis 19 Jahren (G1) mit nur einem minimalen Vorsprung von 8 % vor der Nutzergruppe der jungen Erwachsenen von 20 Jahren bis zu den spielenden Senioren (G2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Quelle: BIU e.V.: Marktzahlen 2007. Computer- und Videospiele. Berlin 2007. S.6.

Ein Viertel aller Deutschen zählt also zur Gemeinde der Gamer und entbindet damit eindeutig die Computer- und Videospielszene von dem Vorurteil einer Minderheitenerscheinung. Ganz im Gegenteil hat sich der Status des Computerspiels innerhalb der Kultur für einige mehr, für andere weniger deutlich bemerkbar gefestigt.

Eine der größten Computerspielmessen der Welt, die Games Convention, lockt mittlerweile jedes Jahr mehr als 180 000 Besucher nach Leipzig, Tendenz steigend. Am 1. Oktober 2005 formte sich unter dem Namen „GIGA“ die erste Plattform für und mit Games und Gamern gleichermaßen im Fernsehen.

„GIGA Digital ist der erste deutsche Fernsehsender, bei dem es rund um die Uhr um die Themen Digital Lifestyle, Games und eSports geht. Kompetente Moderatoren schaffen einen einzigartigen Mix aus Gaming und Entertainment.“1

Das 2-Säulen- Konzept von „GIGA“ hat sich als Erfolgsrezept erwiesen: Mit mittlerweile 15 verschiedenen TV-Formaten erreicht „GIGA“ in den Sendegebieten Deutschland, Österreich und der Schweiz täglich 186 000 Zuschauer. Die dazugehörige Internetseite www.giga.de hat sich zur führenden Gaming Community Website gemausert. 19 Millionen Page Impressions, 385 000 Posts und Comments in der Community im Monat sowie allein 1,1 Millionen registrierte User sprechen eine eindeutige Sprache - sofern man sie versteht.

Genau das ist das Hauptproblem von Computer- und Videospielen heutzutage. Tom Putzki, Mitgründer von „Piranha Bites“ und „Phenomedia“ und einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der deutschen Spielszene, schildert seine Erfahrung wie folgt:

„Die gesellschaftliche Akzeptanz von Computerspielen ist in Deutschland nach wie vor wesentlich schlechter als in allen anderen relevanten Ländern. Computerspiele sind nur dann in der Öffentlichkeit präsent, wenn so etwas wie Erfurt passiert. Tief im deutschen Kopf ist immer noch verwurzelt: Spielen ist nichts Konkretes oder Wichtiges. Deutschland ist eben keine Spaßgesellschaft. Vielleicht eines Tages, aber im Moment wird die öffentliche Meinung immer noch von Politikern, Gewerkschaften, Jugendämtern, Kirchen vertreten. Personen, die mit dem, was wir machen, meistens nicht das Geringste zu tun haben.“2

Wie die BIU-Altersdaten belegen, sind es zwar nicht nur, aber doch hauptsächlich Teenager und junge Erwachsene, die die Computerspielwelt bevölkern und formen. Wer nicht Teil dieser Welt ist, kann sie nicht verstehen - im wahrsten Sinne des Wortes, denn längst hat sie eine eigene Sprache entwickelt. So ist es alles andere als selten, dass Eltern einen flüchtigen Blick auf den Bildschirm werfen, die Erklärungsversuche ihrer Kinder nicht verstehen (können) und dann, etwas von „sinnloser Zeitverschwendung“ murmelnd, kopfschüttelnd das Zimmer verlassen.

„Die Computerspielewelt ist eine Welt, die für Fremde schwer zugänglich ist. Beim Zusehen wird einem schwindlig, beim Zuhören versteht man kein Wort. Die Rede ist von DLS mit und ohne Fastpath, von Ping-Raten und Verzögerung in der Datenübermittlung. Jeder zweite Satz wird mit »Lol« oder »Rofl« beendet. Lol? Rofl? Lol wird einem dann erklärt - nachdem man mit der unbedachten Äußerung »Das war großartig! « schon darauf hingewiesen wurde, dass großartig nun wirklich kein Mensch mehr sagt. Lol also, erklärt man, ist nicht polnisch, sondern Gamer-Sprache und heißt laughing out loud. Rofl ist die Steigerung davon und heißt roling on the floor with laughter.3

Aufgrund dieser Hürden finden sich nur sehr selten gemeinsame Schnittstellen zwischen jung und alt. Und so tobt in Deutschland weiter ein Kampf um die Akzeptanz und Anerkennung eines vermeintlichen Kulturzwerges, der im Eiltempo zum Wirtschaftsriesen herangewachsen ist.

Mag es bisher kaum Möglichkeiten geben, diesen Generationenkonflikt zu entschärfen, so gibt es zumindest auf wissenschaftlicher Ebene multidisziplinäre Zugänge. Um die Jahrtausendwende hat sich aus den ersten zarten Forschungspflänzchen gar ein eigener Wissenschaftsbereich gegründet - die Ludologie bzw. Game Studies. Die Ludologie, abgeleitet vom lateinischen ludus = das Spiel, setzt sich mit den ästhetischen, technischen, strukturellen, kulturellen und kommunikativen Aspekten des Spiels allgemein auseinander.

Allerdings bilden dabei die Analyse, Theorie, Entwicklung und Geschichte digitaler Spiele den Betrachtungsschwerpunkt. Wichtige Beiträge kamen und kommen von Geisteswissenschaftlern, die die Debatte Ludologie vs. Narratologie in Gang setzten. Die Narratologen plädieren dafür, Spiele als eine weitere Form von Text zu verstehen und folglich traditionelle Analyseinstrumentarien anzuwenden. Die Ludologie vertritt hingegen die Position, in der das Prinzip der Simulation als Kernkonzept des Spiels aufgefasst wird. Daher hat sich neben Ludologie auch der neutralere Begriff Game Studies etabliert.

Der noch sehr junge Forschungszweig plagt sich derzeit hauptsächlich noch mit den üblichen Kinderkrankheiten herum: die Einigung auf grundlegende Termini und Kategorien, sowie Fragen der Kanonbildung. Außerdem gibt es in der Entwicklung des Forschungszweiges selbst geographisch große Gefälle. Der wissenschaftliche Diskurs wird momentan überwiegend von Akademikern aus den nordischen Ländern sowie von amerikanischen und britischen Forschern bestimmt. Dort gibt es bereits fest etablierte Institutionen, die als Schnittstellen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Lehre die Forschung vorantreiben. Der bis dato einzige europäische Knotenpunkt für Game Studies bildet das Center for Computer Games Research an der IT University of Copenhagen (ITU). In Deutschland gibt es bisher derartige feste Vernetzungen und Kooperationen nicht - die wenigen Spielforscher sind eher unverbindlich und durch Selbstorganisation strukturiert. Jedoch ist in letzter Zeit insofern ein wenig Bewegung in die Sache gekommen, als dass erste Professuren mit entsprechenden Schwerpunkten ins Leben gerufen und besetzt worden sind.

Ebenso wie für Spitzensportler gibt es auch für Gamer Weltranglisten, und in der Community begegnet man den Führenden mit großem Respekt und Anerkennung. Die Positionen werden längst nicht mehr allein vor dem heimischen Rechner erkämpft, sondern bei offiziellen Wettkämpfen.

„Ein Kinosaal mitten in Berlin, auf der Bühne sitzen zwei Jungen, haben Kopfhörer auf den Ohren und das kalte Licht der Bildschirme im Gesicht. Sie spielen ein Computerspiel, es geht um den Titel des deutschen Meisters. Hinter ihnen erhebt sich die Kinoleinwand, auf die das Spiel übertragen wird. Vor ihnen sitzen zweihundert Leute, sie haben Eintritt bezahlt und nun schauen sie zu und folgen der Kommentierung, die aus einer Kabine in der letzten Reihe kommt. […] Menschen, die noch nie mit dem Computer gespielt haben, sollten sich vorstellen, sie seien einen Moment lang gezwungen, sämtliche Weichen im Schienennetz der Bahn per Knopfdruck zu stellen. Ein Spieler, der während einer Sekunde an Maus und Tastatur nicht wenigstens vier Befehle gibt, hat keine Chance. Wer eine haben will, sollte dreißig Stunden pro Woche üben können.“4

Titel sind heiß begehrt, qualifizieren sie einen doch für den nächst höheren Titelkampf, der vielleicht in China oder Amerika ausgetragen wird. Zudem geht es nicht mehr nur um Prestige und Spaß - dem Sieger winken je nach Titel hoch dotierte Prämien.

„Der aktuelle Grad der Professionalisierung lässt sich am besten an den Turnieren ablesen, die in Amerika, Asien und Europa stattfinden. Dort kämpfen Nationalmannschaften für verschiedene Spiele gegeneinander, die Mitglieder werden von Elektronikfirmen gesponsert, Preisgelder gehen in die hunderttausend Dollar oder Euro.“5

Marcus Jauers Artikel liegt bereits über vier Jahre zurück. In der Zwischenzeit hat sich die Wettkampfszene weiter ausgebreitet und hat neue Formen entwickelt. Der Bereich der elektronischen Wettstreite, eSports genannt, hat eine derart große Fangemeinde angehäuft und damit natürlich professionelle Wettkämpfer hervorgebracht, dass Titelkämpfe live im Fernsehen oder per Internet-Livestream übertragen werden. „GIGA“ hat eigens dafür das Format eSports geschaffen, wo es ausschließlich um Wettkämpfe geht.

„GIGA eSports ist das Portal für professionelle Computerspieler. Hier erlebt der Zuschauer Zocken auf höchstem Niveau. Doch wofür steht der Begriff eSport überhaupt? Die Abkürzung steht für elektronischen Sport, also das Spielen von Computerspielen unter Wettbewerbsbedingungen.

GIGA ist bei den Highlights des eSports dabei und berichtet wie eine Sportschau über die Matches und Ergebnisse der größten Ligen (u.a. auch aus der Electronic Sports League). Neben Zusammenfassungen und Rückblenden sind die Größen der Szene als Gesprächspartner im Studio und berichten aus der Welt des eSports. Die wichtigsten Spiele der einzelnen Ligen sind dabei die Strategiespiele ’Warcraft 3’ und ’Starcraft: Broodwar’, die Shooter ’Counter-Strike’ und ’Battlefield 2’ sowie die Fußball-Simulation ’FIFA 2007’ und das Rennspiel ’Live for Speed’.“6

In Rekordzeit haben sich Computerspieler Ebenen erschlossen, die konventionellen Spielern entweder gänzlich versagt blieben oder sich nur durch jahre- oder gar jahrzehntelanger Aufbauarbeit eröffnet haben.

Das Kartenspiel „Poker“ hat den Durchbruch mittlerweile geschafft. Pokerspiele werden wie selbstverständlich im Fernsehen übertragen, Siegprämien in Höhe von zehn- oder hunderttausenden Dollar sind keine Seltenheit. Es gibt Berufsspieler, die ihren Lebensunterhalt mit Pokerturnieren bestreiten - manchmal mehr, manchmal weniger erfolgreich.

eSports und Poker haben dabei eine wichtige Gemeinsamkeit. Nicht die Tatsache, dass „GIGA“ mittlerweile auch ein Poker TV-Format anbietet, die Pokernight, sondern das Mittel mit dem es beide zu internationalen Turnieren und Fernsehübertragungen gebracht haben - das Internet.

Erst als die ersten Spielforen im Netz ins Leben gerufen wurden, entdeckten die Gamer wie viele sie wirklich waren. Schlagartig wurden sie sich ihrer Größe, Struktur und Entwicklung bewusst und konnten unabhängig von ihren jeweiligen Standorten miteinander oder gegeneinander antreten. So entstanden die Bestenlisten, wurden Communities gegründet, in Foren Strategien bewertet, Spiele diskutiert und später auch Clans gegründet.

Die Clanbildungen kamen wiederum auf, als die MMORPGs, die Massive Multiplayer Online Role-Playing Games, das weltweite Netz eroberten. Das bis heute bekannteste MMORPG ist „World of Warcraft“ (WoW). Clans sind Gruppen, deren Mitglieder sich freiwillig zusammenfinden, um gemeinsame Interessen zu vertreten, zum Beispiel Gebiete im Spiel erkunden, Angriffe durchführen oder sich verteidigen.

Die soziale Komponente ist durch die Entwicklung der Multiplayeroption spürbar wichtiger geworden als es Outsider immer vermuten. Ständig finden in ganz Deutschland LAN-Partys statt, wo begeisterte Spieler stunden-, manchmal tagelang miteinander spielen, selbst wenn sie gegeneinander spielen.

3. Der Homo Ludens

Was sind das für Menschen, mit der die Spielindustrie jährlich Milliarden umsetzt? Männliche Teenager, die mit vorgehaltener Waffe durch virtuelle Welten streifen? Oder Hausfrauen und Mütter, die als Druiden geballte Elementarmagie auf ihre Feinde schleudern? Fest steht: Der Mensch als Spieler ist keine Erfindung der Neuzeit.

Der Historiker Johan Huizinga, der den Begriff Homo Ludens in seiner gleichnamigen Studie prägte, untersuchte die Bedeutung des Spiels für den Menschen durch sämtliche Evolutionsphasen hindurch und kam zu dem Ergebnis, dass Spielen eine menschliche Basiseigenschaft ist, die die heutigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wie Rechts- oder Politiksysteme hervorgebracht hat. Spielen offenbart dem Menschen seine Fähigkeiten, lässt sie ihn weiter entwickeln und fordert damit auch sein eigenes Denken heraus. Die im Spiel gewonnenen Erfahrungen setzen wir ein, um Probleme zu lösen, optimale Bedingungen zu schaffen oder auch einfach um uns ein neues, interessanteres Spiel auszudenken.

Im Vorwort positioniert Huizinga die Bedeutung des spielenden Menschen folgendermaßen:

„A Happier age than ours once made bold to call our species by the name of Homo Sapiens. In the course of time we have come to realize that we are not so reasonable after all as the Eighteenth Century, with its worship of reason and its naïve optimism, thought us; hence modern fashion inclines to designate our species as Homo Faber: Man the Maker. But though faber may not be quite so dubious as sapiens it is, as a name specific of the human being, even less appropriate, seeing that many animals too are makers. There is a third function, however, applicable to both human and animal life, and just as important as reasoning and making - namely, playing. It seems to me that next to Homo Faber, and perhaps on the same level as Homo Sapiens, Homo Ludens, Man the Player, deserves a place in our nomenclature.”7

Laut Huizinga sind folglich alle Menschen Spieler, doch spielen sie auch gleich? Haben sie Gemeinsamkeiten und lassen sich zu Gruppen zusammenfassen? Doch ist es überhaupt sinnvoll Spieler zu kategorisieren? Es ist nicht nur zweckmäßig, sondern ist ein zentraler Bestandteil der gesamten Spielindustrie. Für die Hersteller wie auch die Publisher (Verleger) ist es essentiell zu wissen, wer ihre Kunden sind und wie sie „ticken“. Es geht im Grunde um nichts anderes als um Zielgruppenforschung, die die Entwicklung neuer Spiele hochgradig mitbestimmt. Denn mit Computerspielen ist es in diesem Punkt wie mit allen anderen Produkten: Steht dem Produkt keine Nachfrage gegenüber und versteht es das Produkt nicht, eine neue, potentielle Nachfrage zu wecken, wird es zum Ladenhüter.

Die Zielgruppenforschung kennt viele verschiedene statistische, multivariate Verfahren um Kunden, mögliche Käufer und auch Nicht-Kunden zu segmentieren. Die Bandbreite reicht von kontinentweiten Gruppierungen bis hin zum Segment-of-one, d.h. einem Segment bestehend aus nur einem Individuum. Einige Modelle machen Aussagen darüber, wie viele Menschen in bestimmten Merkmalen oder Eigenschaften übereinstimmen, andere hingegen, wie weit man in einem künstlichen, mehrdimensionalen Raum mit dem Eigenschaftsbündel seines Produktes von den Präferenzen des größten Kundenstammes entfernt ist.

Ein in Deutschland sehr bekanntes Gruppierungsmodell ist die Sinus-Milieu-Studie, die bereits seit über 25 Jahren die Entstehung und Entwicklung von lebensweltlichen Milieus in Deutschland u.a. vom Heidelberger Institut Sinus Sociovision beobachtet und beschreibt. Die spezielle Lage und Ausdehnung der „Gruppierungsblasen“ definiert die soziale Lage und die Grundorientierung der Gruppenmitglieder. Zusätzlich gibt die Prozentangabe Auskunft über die anteilige Verteilung innerhalb der Gesamtbevölkerung Deutschlands.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Sinus-Milieus 2007.

(Quelle:Sinus Sociovision. www.sociovision.de [10.01.2008])

Da die Ludologie bestenfalls noch in den Kinderschuhen steckt, existiert bis dato ein derart detailliertes Analysemodell für die Gruppe der Computerspieler nicht. Jedoch gibt es einige wenige vielversprechende Einzelansätze, die bereits ersten „Stürme der Praxis“ - sei es das schwierige Schritthalten mit der neuesten Spielegeneration oder empirischen Untersuchungen - standgehalten haben. Dabei hat sich herauskristallisiert, dass die Gruppierung von Spielern untrennbar mit ihrer jeweiligen Spielmotivation verbunden ist. Die Antwort auf die Frage, warum Menschen Computerspiele spielen, weist auch darauf hin, mit welcher Art Spieler man es zu tun hat.

Die robusteste, weil direkt aus der Praxis abgeleitete Perspektive ist die der Spielentwickler. Sie haben über Beobachtungen, Befragungen und/oder Ableitungen anderer Daten die Bedürfnisse von Gamern untersucht. Aus ihren Ergebnissen heraus haben sie verschiedene Spielertypen identifiziert, deren jeweilige Spielbedürfnisse durch die Art Spiel befriedigt werden, die sie spielen. Die in fast allen Untersuchungsergebnissen auftauchenden und sich damit zu Basisspielertypen destillierten Zuordnungen sind die folgenden neun:

1. der Wettkämpfer spielt, um besser zu sein als andere Spieler,
2. der Entdecker spielt, um die Grenzen und Gesetzmäßigkeiten der Spielwelt zu erfahren. Er spielt, um als erster zu entdecken was andere noch nicht wissen,
3. der Sammler möchte die meisten und/oder seltensten Gegenstände während des Spiels sammeln,
4. der Leistungsorientierte spielt, weil er nicht nur kurzfristig, sondern langfristig besser als die anderen Mitspieler sein will. Er ist ständig bestrebt, die playlist anzuführen,
5. der Spaßmacher spielt allein des Spaßes wegen und genießt die sozialen Spieleffekte,
6. der Leiter spielt für den Kitzel, gefordert zu sein. Er möchte das Spielevent dirigieren,
7. der Geschichtenerzähler spielt, um eine alternative Welt zu kreieren oder darin zu leben. Er schafft sich Geschichten aus der Spielwelt,
8. der Darsteller spielt, um Showeffekte herbeizuführen und zu erleben,
9. der Denker spielt, um Rätsel zu lösen oder welche zu konstruieren.

Kaum ein Spieler ist eine „reine“ Repräsentation einer dieser Klassen, sondern eine Mischform aus zwei oder mehr Basistypen.

Vermarktungsexperten haben einen anderen Weg eingeschlagen, um die Welt der Gamer zu segmentieren. Das Beratungsunternehmen A.T.Kearney nutzt beispielsweise als Unterscheidungskriterium die Spielhäufigkeit und kommt damit zu den folgenden drei Gruppen:

1. Casual Gamer
2. Core Gamer
3. Hardcore Gamer

Die Gruppe der Hardcore Gamer besteht hauptsächlich aus Männern im Alter zwischen 16-24 Jahren, die täglich mindestens eine Stunde Computerspiele spielen. Dabei bevorzugen sie Spielarten mit hoher Produktqualität und Komplexität, beispielsweise Rollen-, Strategie- und Actionspiele.

Der typische Core Gamer hingegen ist zwischen 25 und 35 Jahren alt und spielt zwar ebenfalls regelmäßig, aber nicht so häufig wie ein Hardcore Gamer. Bemerkenswerterweise wird diese Gruppe nicht von Männern dominiert - der Frauenanteil liegt bei 50%. Die Core Gamer spielen besonders gern Simulationen, Rennspiele und Lernspiele.

Die dritte Gruppe ist die, für die das größte Wachstum in den nächsten zwei Jahren prognostiziert wurde: die Casual Gamers.

Sie sind mindestens 35 Jahre alt und der derzeitige Frauenanteil liegt bei 40 % - soll aber bis 2010 auf 63% ansteigen. Die Gelegenheitsspieler spielen, wie der Name schon sagt, unregelmäßig und präferieren daher Spiele mit geringer Komplexität und einem einfachen Spielprinzip. Karten-, Brett- und Casinospiele zählen darum zu ihren Favoriten.

Beide Vorgehensweisen kommen über unterschiedliche Prämissen zu interessanten und statistisch belegten Ergebnissen. Gleichzeitig verdeutlichen sie, dass erst die Kombination verschiedener Sichtweisen zu einem komplexen Modell wie der Sinus-Milieu- Analyse führen wird. Alter, Geschlecht und Spielhäufigkeit müssen genauso berücksichtigt werden wie die unterschiedliche Spielmotivation. Bringt man diese Informationen zusammen, erhält man Spielercluster, die einen wesentlich größeren Informationsgehalt besitzen, als die Einzelgruppierungen der Spielentwickler und Vermarktungsexperten.

In Hinblick auf die Trailer und Eingangssequenzen belegen beide Sichtweisen bereits, dass sich Spieler diese filmartigen Sequenzen unter verschiedenen Gesichtspunkten ansehen und gemäß ihren jeweiligen Vorlieben die Spiele selektieren: Hardcore Gamer stellen ganz andere Ansprüche an Spiele, die es auf ihren Rechner schaffen wollen, als beispielsweise Casual Gamer. Bereits im Trailer prüfen sie, ob das Spiel eben diesen Ansprüchen potentiell gerecht wird oder nicht.

4. „Computerspiele“ - Ein Definitionsversuch

„Computerspiel, das: Spiel, das mithilfe eines an den Personal Computer angeschlossenen Monitors, der als Spielfeld,-brett dient, gespielt werden kann.“, lautet der Worterklärungsversuch des deutschen Duden. Aber ist es wirklich so trivial? Erschöpft sich die Komplexität aktueller Spieletitel in diesem einen kurzen Satz? Natürlich nicht. Der Duden zielt auf einen allgemeinen Überblick und nicht auf wissenschaftliche Durchdringung ab. Dafür gibt es ja Fachlexika. Allerdings würde man dort eine umfassende Begriffserläuterung vergebens suchen. Der Grund für die ’Erklärungslücke’ liegt an der Tatsache, dass es bis heute keine einheitliche, international anerkannte Definition von Computerspielen gibt. Die Game Studies haben sich aus Praktikern und Wissenschaftlern der unterschiedlichsten Forschungsgebiete gebildet, deren verschiedene Definitionsschwerpunkte eine allgemeingültige Terminusfindung bisher verhindert haben.

Um diesem Manko Rechnung zu tragen, werden im folgenden einige der um die Herrschaft streitenden Herangehensweisen der populärsten Lager präsentiert, Überschneidungen herausgefiltert und zu guter Letzt diejenige Arbeitsdefinition vorgestellt, die Basis der vorliegenden Arbeit ist.

Zu Recht genießen Psychologen im Bereich der Ludologie große Anerkennung, da sie bisher unter anderen viel zur Klärung der Motivations- und Faszinationsfrage von Games beigesteuert haben. Seit tragischen Vorfällen wie beispielsweise dem Amoklauf von Emsdetten Ende November 2006 hat sich ein großer Zweig abgespaltet, der seither die Folgen des Computerspielens im Allgemeinen und die Wirkung von Spielen mit gewalttätigen Inhalten im Besonderen untersucht.

Einer der, wenn nicht sogar der führende Experte unter den Psychologen in Sachen Medien, darunter auch Computerspiele, ist der an der University of Southern California lehrende und forschende Professor Dr. Peter Vorderer. Mit seinem 2006 veröffentlichten englischsprachigen Buch „Playing Video Games“ und dem 2004 herausgegebenen „Lehrbuch der Medienpsychologie“ bietet er interessierten Kollegen eine Plattform, ihre Untersuchungen und Forschungsergebnisse vorzustellen, Denkanstöße zu liefern und Diskussionen anzuregen, die das Forschungsfeld weiter beleben.

In den meisten Fällen, so auch bei Vorderer selbst, geht es in den Aufsätzen um einen speziellen Aspekt der Computerspiele, wie zum Beispiel die Computervermittelte Kommunikation oder die Mensch-Computer-Interaktion, so dass das Problem einer umfassenden Definition geschickt umgangen wird. Erst der Medienwissenschaftler Christoph Klimmt hat es mit seiner Darstellung von Computerspielen und ihren psychologischen Wirkungen in den erlesenen Kreis der Autoren geschafft, deren Arbeiten gesammelt im „Lehrbuch“ von Professor Dr. Peter Vorderer herausgegeben wurden. Klimmts, von der medienpsychologischen Fachwelt akzeptierten Determination lautet wie folgt: „Computerund Videospiele sind interaktive Medienangebote, die zum Zweck der Unterhaltung hergestellt und genutzt werden.“8 Interaktivität sieht Klimmt also als das zentrale Merkmal an. Zudem nimmt er noch eine, sich an technischen Aspekten orientierte Unterscheidung zwischen Computer- und Videospielen vor, die er weiter untergliedert:

„Computerspiele sind Softwareprodukte, die zu Unterhaltungszwecken für den Einsatz auf Computern entwickelt werden. Das mit Abstand am weitesten verbreitete Computersystem ist der Personal Computer (PC) mit Microsoft-Windows-Betriebssystem. Für diese Rechner werden auch die meisten Spiele angeboten. Andere Systeme wie der Apple Macintosh spielen im Bereich der Computerspiele praktisch keine Rolle.

Videospiele sind demgegenüber Programme, die auf eigens für Spielzwecke gebauten Rechnern, so genannten Konsolen, ablaufen. Konsolen sind kleine, leicht zu bedienende Computer, die nicht universell einsetzbar sind wie Personal Computer. Da Videospiel-Konsolen transportabel, relativ klein und leicht sind, eignen sie sich im Gegensatz zum PC gut für den Gebrauch im Wohn- und Kinderzimmer. Moderne Konsolen bieten mittlerweile auch Funktionen, die früher nur dem PC vorbehalten waren, insbesondere die Möglichkeit, das Internet zu nutzen. Dadurch wächst die Bedeutung von netzbasierten Spielen, die zunächst durch die Verbreitung PC-basierter Internetzugänge entstanden war.

Eine Unterart der Konsolen sind tragbare Videospielgeräte für den Gebrauch unterwegs, so genannte Handhelds. Der bei weitem populärste Handheld ist der Game Boy von Nintendo. Mit dem Game Boy Color und dem Game Boy Advance versucht der Hersteller, den großen Erfolg des bereits seit 1989 auf dem Markt befindlichen Systems fortzuführen. Mittlerweile können einfache Videospiele auch mit Mobiltelefonen und persönlichen digitalen Assistenten (PDA) genutzt werden.“9

Warum weicht Klimmt von der ursprünglichen psychologischen Dimension auf die technische aus? Die Antwort darauf liefert er im „Fazit und medienpsychologischer Ausblick“ selbst:

„Der medienpsychologische Wissensstand über den Gebrauch und die Wirkungen von Computer- und Videospielen ist in zweifacher Weise unbefriedigend. Zum einen liegen nur wenige theoretische Modelle und empirische Ergebnisse vor, die zur Erklärung von Spielerleben und Spielwirkungen herangezogen werden können. Zum anderen ist das wenige vorhandene Wissen disparat; medienpsychologisch relevante Studien sind in vielen unterschiedlichen Bereichen der Psychologie sowie in angrenzenden Wissenschaftsdisziplinen durchgeführt und veröffentlicht worden. Es fehlen demnach nicht nur medienpsychologische Theorien und Untersuchungen, sondern auch eine bessere organisatorische Verankerung der Forschung über Computer- und Videospiele im Rahmen der (Medien-)Psychologie.

Zu keiner in den bisherigen Untersuchungen behandelten Fragestellungen liegen wirklich gesicherte und befriedigende Erkenntnisse vor - weder in der Medienpsychologie noch in anderen Bereichen der Psychologie. Künftige Studien und theoretische Überlegungen werden bei dem Versuch, unsere Wissenslücken zu schließen, der rasanten technischen, inhaltlichen und gesellschaftlichen Weiterentwicklung dieses Unterhaltungsmediums Rechung tragen müssen.“10

Neben der recht knappen ursprünglichen Begriffsumreißung erläutert Christoph Klimmt den zentralen Aspekt, die Interaktivität, genauer:

„Die zentrale Eigenschaft, die Computer- und Videospiele von herkömmlichen Unterhaltungsangeboten (z.B. Romanen, TV-Angeboten, Radiosendungen und Musik) unterscheidet, ist ihre Interaktivit ä t. Computer- und Videospiele laufen nicht in für alle Rezipient/inn/en gleicher Weise nach einer von den Produzent/inn/en vorab festgelegten Ereignisfolge ab. Vielmehr können - und müssen - Computer- und Videospieler/innen aktiv Einfluss auf den Verlauf des Spielgeschehens nehmen. Ihnen kommt also ein aktiver Part in der Nutzung des Medienangebots zu; sie sind gewissermaßen die treibende Kraft des Spielgeschehens.“11

Damit bezieht er über Umwege die Spieler und die Art des Spielens mit ein. Wie wir später sehen werden, ist dieses komponentenweise Vorgehen auch bei Jesper Juul zu finden. Christoph Klimmt fügt die einzelnen Aspekte nicht zu einer Definition zusammen, sondern schlägt in derselben Abhandlung eine weitere Herangehensweise vor. So versucht er, aus der Analyse einer repräsentativen Anzahl von Spielen grundsätzliche Elemente herauszudestillieren, um Games mit eben diesen Elementen definieren zu können. Das Ziel dieses Vorhabens wird jedoch umgelenkt, da außer der Interaktivität kein Element auffindbar ist, das in allen Spielen vorhanden wäre. So bleibt die Determination allein auf die Interaktivität bezogen. Die gefundenen Grundbestandteile weisen aber den Weg in eine Gruppierung der Spielgesamtheit, der wir uns bei der Klassifizierung der Computerspiele näher widmen werden.

Den nächsten Definitionsversuch steuert Jesper Juul aus seinem 2005 publizierten Buch „half-real“ bei. Jesper Juul war zu dieser Zeit Assistant Professor im Center for Computer Games Research der IT University of Copenhagen, der bereits erwähnten europäischen Denkfabrik für Game Studies. Seine Definition findet aber nicht etwa aufgrund seiner exponierten Position in Kopenhagen Eingang in diese Arbeit, sondern wegen der Vorgehensweise, mit der er zu folgender Definition gelangt ist:

„A game is a rule-based system with a variable and quantifiable outcome, where different outcomes are assigned different values, the player exerts effort in order to influence the outcome, the player feels emotionally attached to the outcome, and the consequences of the activity are negotiable.”12

Gewinnt man nach dem ersten Durchlesen den Eindruck es mit einem eckigen, kantigen, unhandlichen Konstrukt, einer Art definitorischer Wollmilchsau, zu tun zu haben, ist der Eindruck gar nicht so falsch. Juuls Begriffserklärung ist nämlich eine Synthese aus den populären Vorschlägen verschiedener Forscher, die er in Einzelteile zerlegt, verglichen ,bewertet und zu einem großen Ganzen zusammengefügt hat. Abbildung 5 zeigt aus welchen Quellen die einzelnen Komponenten stammen.

Die Leistung Jesper Juuls liegt folglich weniger darin, aus vielen Zutaten einen Kuchen gemacht zu haben, sondern in der Sammlung und Systematisierung der relevanten Grundelemente, oder bildlich gesprochen, in dem Zusammen- suchen der Zutaten und der Erstellung des Rezepts.

Zwei Personen, die in Jesper Juuls Übersicht mehrfach erwähnt werden, sind Katie Salen und Eric Zimmerman. Mit ihrem 2004 veröffentlichten Buch „Rules of Play“ haben sie nicht nur für weltweites Aufsehen gesorgt und eine katalysatorische Wirkung auf die Game Studies entfaltet, sondern diesem Forschungs- zweig das wohl erste Standard- werk seiner jungen Geschichte beschert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Game definitions compared

( Quelle: Juul, Jesper: half-real. Video Games between Real Rules and Fictional Worlds. Cambridge 2005 S.32)

Zwei Jahre später erschien, dank des ungeheuren Erfolges ihres Erstlingswerkes, mit „The Game Design Reader“ die ebenso erfolgreiche Erweiterung. Im Vorwort bezeichnet Warren Spector, ein auf über 20 Jahre Berufserfahrung zurückblickender Spielindustrieveterane und Mitentwickler diverser international erfolgreicher Titel wie zum Beispiel „Deus Ex“ oder „Thief. Deadly Shadows“, das Buch „Rules of Play“ als das beste und das erste wichtige Buch über Computerspiele.

„There have been many books written about games. Most are dry histories or even drier discussions of how one makes games [often by people who don’t seem ever to have come within a hundred yards of a development team!]. Books of games criticism - what makes games work or not work, how games make meaning, what place games have in world culture - are few and far between. Of these, Katie Salen and Eric Zimmerman’s Rules of Play is the best, the first important Book about electronic games.”13

Was macht Katie Salen und Eric Zimmerman so besonders? Was macht ihr Buch so besonders? Diese Fragen klären sich, sobald man einen Blick auf die Hintergründe beider Autoren geworfen hat.

„Katie Salen is a game designer, interactive designer, and design educator. Eric Zimmerman is a game designer, game design theorist, and the co-founder and CEO of gameLab. They have taught at universities including MIT, the University of Texas, Parsons School of Design, New York University, Rhode Island School of Design, and the School of Visual Arts.”14 , steht es weiß auf himmelblau auf dem Einband ihres Erfolgsbuches zu lesen. Sie sind beide beides: Praktiker und Theoretiker zugleich. Und das spiegelt sich in ihren Büchern wieder. Ihr außergewöhnlicher Hintergrund erlaubt es ihnen, Mittler zwischen beiden Lagern zu sein, Kommunikationshürden zu überwinden und scheinbar Unvereinbares zusammenzuführen. Ihre Sammlung und Aufbereitung von über 50 Jahren Forschungsgeschichte hat beinahe Vergessenes wieder ins Gespräch gebracht und erste feste Bezugspunkte geschaffen. So ist zum Beispiel der bereits 1945 gestorbene niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga mittlerweile jedem Ludologen ein Begriff, da er mit seinen kulturanthropologischen Untersuchungen zum Thema „Homo Ludens“ - der spielende Mensch - zu bis heute nachwirkenden Erkenntnissen kam.

Was also sagen diese beiden Ausnahmewissenschaftler zum Definitionsproblem der Computerspiele? Jeder, der einen Beitrag zur Computerspielforschung leistet, geht zwangsweise von einer Definition aus - ob er diese explizit benennt oder nicht. Daher tauchen in der Tabelle (vgl. Abb. 5) von Jesper Juul auch Katie Salen und Eric Zimmerman auf, wenngleich sie nie den Versuch gemacht haben, den Begriff ’Computerspiele’ umfassend und eindeutig zu determinieren. Sie vertreten vielmehr die Ansicht, dass eine unumstößliche Definition weder möglich noch nötig ist. Gerade weil so viele verschiedene Fachbereiche mit jeweils einzigartigen Perspektiven das Phänomen ’Computerspiele’ untersuchen, kann es bestenfalls subjektive, jedoch keinesfalls objektiv stimmige Begriffserklärungen geben. Auch die scheinbar alles in sich vereinende Worterklärung von Jesper Juul kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, denn bereits das für Christoph Klimmt zentrale Merkmal der Interaktivität ist nicht enthalten.

„Definitions can be slippery creatures, and we’re certainly not trying to assert that there is just one absolute definition of game, lurking out there somewhere, waiting to be found. Many great definitions exist today, illuminating concepts that can aid in research, theory and design. A definition of “game” that helps a game designer to create a new genre of commercial product will be very different from a definition that helps a sociologist to construct a new research problem about player behaviour. At the same time, both designer and sociologist might learn something unexpected by looking at their own work through the definitions of the other. This is the spirit of the Topic at hand, which brings different points of view to bear on the wonderfully troublesome task of defining games.”15

Es sieht fast so aus, als seien die „Game Studies“ schon in dieser Anfangsphase ihrer Entstehung auf ein philosophisches Problem gestoßen: Alle beteiligten Gruppen würden ein Spiel erkennen, wenn sie es sähen, jedoch vermag es niemand, das Wesen des Spiels, das dieser gemeinsamen Erkenntnis zugrunde liegt, zu benennen.

Woran mag das liegen? An der Tatsache, dass es schier unmöglich ist, die Fülle von unterschiedlichen Gesichtspunkten zu vereinen? Oder daran, dass die ständige Weiterentwicklung von Spielen rasend schnell Aktuelles in Veraltetes verwandelt und sich somit einer genauen Bestimmung immer wieder entzieht? Oder verhindern gar die Grenzen der Sprache das Einfangen des Begriffs? Was auch immer der Grund oder die Gründe sein mögen - die Erklärungslücke selbst ist mittlerweile fast unwesentlich geworden. Der innere Konsens, die stillschweigende Übereinkunft darüber, was ein Spiel ist, reicht allen Beteiligten aus. Daher verzichtet auch die vorliegende Arbeit auf eine stringente Definition, nutzt aber die von Christoph Klimmt und Jesper Juul angebotenen als Orientierung.

„Definitions are not perfect creatures. They have weaknesses, holes and exceptions. And while we might know a game when we see one, the details are always open for debate. There may never be a definitive answer to the question, “What is a game?” but that’s perfectly all right with us. Definitions are concepts that do work: they are, to quote MIT scientist Marvin Minsky, “things to think with.” In identifying what games are and what they are not, in using definitions to refashion our preconceptions of games, we can open up new spaces to see what games are, what they should be, and what they might become.”16

5. Klassifizierung von Spielen

Was die Gruppierung von Computerspielen betrifft, steht man zwar vor einem ähnlichen Problem wie bei der Begriffsdefinition, kann sich aber nicht vor einer Lösung drücken. Erst die Klassifizierung offenbart Genres mit spezifischen Eigenschaften, die wiederum Basis der späteren Traileranalyse sind. Um dem Anspruch der vorliegenden Arbeit, nämlich zu jedem Genre einen Stellvertreter vorstellen und zu analysieren, gerecht zu werden, braucht es eine schlüssige Klassifizierung. Doch welche?

Die Vorstellung aller für dieses Kapitel durch die Hände der Autorin gewanderten Genreeinteilungen wäre eine eigene Arbeit wert und würde den Rahmen dieser deutlich sprengen. Die Vielfalt der Quellen, über Fachzeitschriften, „Wikipedia“, den Games Convention Guide, Zeitungsartikel bis hin zu einer Flut von Fachbüchern, hat die Anwendung eines besonderen Kniffs notwendig gemacht. Die vielen Klassifizierungsvorschläge wurden auf ihre grundlegenden Herangehensweisen untersucht und im Ergebnis daraus vier Hauptpfade gewonnen:

1. historische Fundierung
2. Differenzierung gemäß den inhaltlichen Unterschieden
3. Einteilung gemäß Spielmechanik
4. Übernahme von gruppenverwandten Medienangeboten

5.1. historische Fundierung

Der im vorherigen Kapitel häufig zitierte Jesper Juul unterscheidet lediglich zwei Basisgruppen von Spielen, in die sich alle gängigen Untergruppen einordnen lassen:

„Playing a game is an activity of improving skills, in order to overcome these challenges, and playing a game is therefore fundamentally a learning experience. This takes different forms in different games, but we can outline two basic ways in which games are structured and provide challenges for players: that of emergence (a number of simple rules combining to form interesting variations) and that of progression (separate challenges presented serially).”17

Durch die Analyse von Spielen allgemein, angefangen bei „senet“ - einem ägyptischen Brettspiel, das sich bereits als Grabbeigabe der etwa 2686 v.Chr. beigesetzten Hesy-re findet - über Kartenspiele wie Canaster oder Skat bis hin zu Computerspielen, hat Jesper Juul die beiden Grundelemente ausgemacht und sie auf Games angewendet. In Ermangelung einer besseren Übersetzung werden emergence und progression englisch belassen.

Emergence ist die älteste und damit ursprüngliche Spielstruktur, die sich laut Jesper Juul heute vor allem in Karten- und Brettspielen, aber auch in Sport,- Action- und allen Strategiespielen wiederfindet. Zentrales Merkmal sind die meist wenigen Spielregeln, die jedoch viele Spielvariationen zulassen und so den Spieler strategisch fordern.

Progression ist die ’jüngere’ Struktur, in der es darum geht, vordefinierte Aktionen entweder in vorgegebener oder beliebiger Reihenfolge zu absolvieren, um das Spiel abzuschließen beziehungsweise zu gewinnen.

„Games of progression“ hielten mit dem Aufkommen von Adventure-Games Einzug in die Computerspielewelt. Sie bedeuten für den Spieldesigner ein großes Maß an Spielkontrolle, da er durch die Programmierung den (einzigen) Weg vorzeichnet, der zum Erfolg führt. Daher finden sich bei progressiv strukturierten Spielen gehäuft Filmen entlehnte Schnitte und Sequenzen sowie komplexe Erzählstrukturen. Beides dient dazu, den Spieler die starke Kontrollinstanz der Spielentwickler so wenig wie möglich spüren zu lassen und die Regeln ’nett verpackt’ zu vermitteln.

Kernmerkmal der „Games of emergence“ ist die bereits erwähnte Asymmetrie zwischen dem einfachen Regelwerk einerseits und der enormen Komplexität des Spielvorgangs andererseits. Juul führt als klassisches Beispiel Schach an, dessen Regeln kurz und knapp dargelegt werden können, während die unterschiedlichen Züge und Strategien mehrere Bücher füllen.

Die populärsten Typen, auf die im Zuge der spielmechanischen Herangehensweise noch genauer eingegangen wird, ordnet Juul seiner Zweiersystematik unter. Er gliedert wie folgt:

Spiele allgemein (inklusive Computerspiele) Games of emergence Games of progression

- fast alle Actionspiele • Adventures
- alle Strategiespiele
- alle Multiplayerspiele
- Kartenspiele
- Brettspiele

Er leugnet nicht, dass auch seine Einteilung Mixtypen zulässt, die nicht eindeutig einzuordnen sind. Jedoch ist dies ein ’Makel’ den er mit allen anderen Forschern, die sich an einer Gruppierung versucht haben, teilt.

Eine zweite, ebenfalls auf Historie basierende Klassifizierung, schlägt der Journalist Steven Poole in seinem Buch „Trigger Happy“ vor. Anders als Juul hat Poole aber nicht die Geschichte des Spiels insgesamt betrachtet, sondern sich auf die Entwicklung von Computerund Videospielen konzentriert. Da fast immer die in den 80ern aufgekommenen so genannten Arcade-Games aus den Spielhallen Ausgangspunkt seiner Klassifizierung sind, lässt auch das Ergebnis einiges an Aktualität und die Berücksichtigung neuester Entwicklungen vermissen. Nichts desto trotz zeigt diese Einteilung im Vergleich mit aktuelleren deutlich, welchen Weg Computerspiele genommen haben und welche Genres seit Beginn an ’funktionieren’. Deshalb wird auch Steven Pooles Typisierung vorgestellt.

Er unterscheidet folgende neun sogenannte „Spielfamilien“:

1. shoot-’em-ups 2. racing games 3. platform games (jump-’n’-runs)

4. fighting games 5. God games 6. real-time strategy games

7. sports games 8. role-playing games9. puzzle games

“Perhaps the purest, most elemental videogame pleasure is the heathen joy of destruction. You’ve got your finger hovering over the trigger, you line up an enemy and you fire. Such is the task presented by that venerable videogame genre, the shoot-‘em-up.“18

, charakterisiert Steven Poole seine erste Spielefamilie. Die zweite beschreibt er folgendermaßen:

“In most sorts of videogame, ‘feel’ is at base more important than fancy graphics or speed for its own sake. But in the racing game, graphics and speed are part of the ‘feel’. Every increase in technological power enhances the genre’s unique pleasure: the feeling of hurling a vehicle around a realistic environment at suicidal velocities.”19

Bestimmendes Merkmal der „platform games” ist die Steuerung einer Spielfigur, deren Aktionen sich fast ausschließlich aufs Springen und Laufen beschränken. Daher trägt dieses Genre auch den Namen „jump ’n’ run“. Urvater dieser bis heute existierenden Klasse von Spielen ist das 1981 von der Firma Nintendo entwickelte Spiel „Donkey Kong“. Der damals noch namenlose ’Jumpman’ sollte später der berühmteste Klempner der Welt werden: Super Mario.

Der Kern der „fighting games“ ist schnell erklärt: zwei Kontrahenten stehen sich gegenüber und versuchen, je nach Kampfsportart, ihren Gegenüber zum Beispiel mit Kung Fu oder mittels verschiedener Boxtechniken K.o. zu schlagen.

„Fighting games allow players to battle each other’s characters on screen with an array of absurdly exaggerated martial arts moves; with fists and feet or with swords and flame.”20

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Donkey Kong

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7: Street Fighter II

Die fünfte Klasse trägt den auf den ersten Blick mythologisch anmutenden Namen „God Games“. Was versteht Steven Poole genau darunter?

„Oh yes, the computer can make us divine. Should you want to build a city from scratch, construct a substructure of water pipes, sewers, power lines and underground trains, populate it with citizens, determine tax levels, build museums, parks, houses and office blocks, and then destroy the whole imaginary metropolis by calling an earthquake on their heads - sure, you can do that. It’s called SimCity. Or perhaps you want to operate on a larger scale: create a neolithic tribe and over the course of thousand of years send them out to colonise the land, discover ironwork, sailing and electricity. Play Civilisation. Compete against other gods in a polytheistic mythology? Populous. There are similar ’God Games’ for the fields of global industry, railroad buliding and even rollercoaster parks.“21

Poole nennt auch gleich den vermutlich ersten Vertreter dieser Spezies: „SimCity“. Ursprünglich ausschließlich aus der Vogelperspektive spielbar, mit immer gleich aussehenden Vierecken als Häuser und schwarzen Punkten als Menschen und Autos zugleich, haben die Kinder und Enkel des Spiels besonders graphisch enorm zugelegt. Aus allen möglichen Perspektiven kann man sich nun die Früchte seiner Bau- und Managementarbeit ansehen. Neben vielen neuen, detailreichen Gebäuden sind aber auch neue Aufgaben hinzugekommen. Mit Nachfolgern wie „Tropico“ boten sich dem User neue Schauplätze; in diesem Fall eine idyllische Karibikinsel. Titel wie „Theme Park World“ oder „Rollercoaster Tycoon“ entfernten sich vom ursprünglichen Städtebau und verwandelten ihre Spieler dafür in Planer, Konstrukteure und Manager von Freizeitparks. Die von Poole als „God Games“ bezeichneten Spiele erfreuen sich folglich nach wie vor größter Beliebtheit.

Nummer sechs in Steven Pooles Auflistung bildet der Typ der „real-time strategy games“. Poole bezeichnet ihn als Geschwister-Genre zu den „God Games“, womit er betont, dass nicht die strategische Komponente allein diese Gruppe rechtfertigt, sondern:

„Its natural milieu is that of war. Again in a godlike position (single-handedly overseeing all military operations), the player is briefed by advisers (actors in video clips), and must then carry out certain missions by issuing commands to numerous small troop units on the battlefield.”22

Es geht also um Krieg, ob zwischen Mensch oder anderen Rassen; und das in Echtzeit. Hinter Nummer sieben verbirgt sich das das älteste alle Computerspiele: das Sportspiel. 1972 erblickte mit „Pong“ das erste Computerspiel, damals noch in einem Spielautomaten, das Licht der Welt.

„Perhaps the most perverse-looking class of videogame on first inspection ist he sports game. After all, videogames are supposedly played in darkened rooms by people who never get any real physical exercise. But in their hovels they can be tennis demons, baseball stars or gifted golfers, or control a whole football or basketball team to world victory.”23

Das vorletzte Genre formen für Poole die RPGs - die Role-playing-Games. Zentral ist hierbei, wie der Name schon sagt, der digitale Stellvertreter, in dessen Rolle und damit auch Spielwelt der Spieler Abbildung 8: Pong schlüpft.

„If God games hold out the opportunity of transcending one’s individuality, RPGs offer the player a chance to be fully individual in a world where an individual has real power, where the inexplicable is no longer actually supernatural but domesticated and quantifiable (magic, assessed numerically, is stripped of all its magicality), and where actions always have deterministic consequences for character or events. […] But what RPGs really have going for them is the sense (or perhaps the illusion) of being involved in an epic, mythical story, however clichéd its details might be.”24

In der „Tomb Raider”-Serie steuert der User Lara Croft durch verschiedene Schauplätze und Abenteuer. In „Runaway“ 1 und 2 übernimmt der Spieler die Rolle des Brian Basco und versucht Gina zu retten. Trotzdem würde heute kaum jemand eines der Spiele als Rollenspiel bezeichnen, da ein wesentliches Merkmal fehlt: die Charakterentwicklung. Lara und Brian bleiben wir sie sind - weder lernen sie neue Fertigkeiten noch können sie bestehende ausbauen. Ein Rollenspiel bietet zusammenfassend die Übernahme einer entwicklungsfähigen Spielfigur und nicht einer fest definierten Marionette.

Die letzte eigenständige Klasse hat Steven Poole für die „puzzle games“, die Rätselspiele, reserviert. Hier geht es nicht um die Steuerung von Heerscharen von Orks oder Elfen, oder um eine möglichst perfekte Hand-Auge-Koordination. Hier wird der Geist gefordert, ist der Problemlöser, der Kombinierer, der Logiker unter den Spielern gefragt.

„At the most basic level, a videogame puzzle presents the player with a required action that cannot be performed directly. You must therefore find the intermediate steps and execute them in the right order. […] But a great puzzle game in its own right requires a combination of perfect simplicity (both in terms of rules and gameplay) and lasting challenge.”25

Gemäß Pooles Definition gehören sowohl „Tetris” als auch beispielsweise die Adaption von Agatha Christies „Mord im Orient Express“ zu dieser Art von Spielen. Wer beide Spiele kennt, dem werden sicherlich zunächst mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten in den Sinn kommen und tatsächlich würde „The Adventure Company“, Publisher des Agatha Christie Mordfalles, ihr Spiel nie mit „Tetris“ in einem Atemzug nennen. Dies ist ein eindeutiger Hinweis darauf, dass es in der Alltagssprache der Spielentwickler und der Gamer selbst andere Klassifizierungen geben muss.

5.2. Einteilung gemäß Spielmechanik

Zwei die es genau wissen müssen, da sie an der Schnittstelle zwischen Herstellern und Usern stehen und daher immer auf dem neuesten Stand sind, sind die Fachzeitschrift „PC Games“ und die Organisatoren der Spielemesse „Games Convention“.

Für René Meyer, Autor des „Games Convention Guides“, ist für die Typisierung von Spielen „nicht nur die Art des Spielens, sondern auch ihre Darstellung“26 maßgeblich. Zugleich weist er auch darauf hin, dass heute sehr viele der Spiele keine reinen, sondern Mixtypen sind und dass die Abgrenzungen zwischen den Genres unscharf sind und häufig Grauzonen beinhalten.

Der „Games Convention Guide“ schlägt neun verschiedene Gruppen vor:

1. Geschicklichkeitsspiele 2. Adventures 3. Action-Adventures

4. Ego-Shooter 5. Rollenspiele 6. Strategiespiele

7. Wirtschaftssimulationen 8. Sportspiele 9. Gesellschaftsspiele

Die Einteilung der Fachzeitschrift „PC Games“ ist nicht statisch und passt sich immer laufenden Marktentwicklungen an. Derzeit, d.h. in der Ausgabe 02/2008, finden sich die folgenden 10 Cluster:

1. Strategiespiele 2. Aufbauspiele und WiSims (Wirtschaftssimulationen)

3. Einzelspieler-Shooter4. Mehrspieler-Shooter 5. Action-Adventure

6. Rollenspiele und Action-Rollenspiele 7. Online-Rollenspiele

8. Adventures 9. Sportspiele 10.Rennspiele

Warum fehlt eine Gesellschaftsspieleklasse? Oder warum gibt es gleich zwei Shooter- Gruppen? Aktuell erfreuen sich besonders Shooter-Titel einer enormen Beliebtheit und gehören daher zu den meist verkauften Spielen. Zudem zieht der Erfolg weitere Spieleproduktionen nach sich, so dass auch mengen- und anteilsmäßig an der gesamten Spieleauswahl zwei Shootergruppen durchaus gerechtfertigt sind und lediglich den aktuellen Trend widerspiegeln. Das ist auch der Grund warum es keine Gesellschaftsspielegruppe bei „PC Games“ gibt. Die geringe Anzahl von erfolgreichen Spielen dieser Art auf dem Markt verhindert eine eigene Gruppierung. Daraus erklärt sich auch, warum neben den Sportspielen die Rennspiele einen zusätzlichen Block bilden.

Dieser Arbeit liegt ein Gruppierungsschema zugrunde, das eine Mischung aus den letzten beiden Vorschlägen ist. Damit wird erreicht, dass sowohl die Analyse des Gesamtmarktes, wie sie der Games Convention Guide anbietet, als auch die an neuesten Strömungen und Entwicklungen ausgerichtete Perspektive von „PC Games“ berücksichtigt werden. In Hinblick auf die spätere, detailliertere Analyse der jeweiligen Trailer und Eingangssequenzen, sowie auf die zwei angesprochenen Punkte, die es zu berücksichtigen gilt, gründet sich die vorliegende Arbeit auf dieser Klassifizierung:

Shooter Strategiespiele Simulationen Abenteuerspiele Sportspiele Rollenspiele Echtzeit rundenbasiert Actionspiele Adventures MMORPGs Die genaue Definition der einzelnen Klassen findet sich bei der detaillierten Analyse eines Gruppenrepräsentanten.

Auf die drei anderen Klassifizierungsmethoden wird trotz der Wahl eines ’Konkurrenzschemas’ nicht verzichtet, da grundlegende Ideen beider Konzepte uns bei der späteren Analyse von Beispielen wieder begegnen werden.

5.3. Differenzierung gemäß den inhaltlichen Unterschieden

Ein besonders in Deutschland renommierter Wissenschaftler auf dem Gebiet der Medienforschung ist Professor Jürgen Fritz. Der Professor für Sozialpädagogik, Interaktionspädagogik und komplexe Kommunikation im Fachbereich Sozialpädagogik der Fachhochschule Köln war einer der ersten, die sich mit Computerspielen und deren Wirkung auseinandergesetzt haben. Bereits 1984 formulierte Fritz nach Untersuchungen damals aktueller Spieletitel die beiden Kategorien „Knöpfchen- und Köpfchenspiele“.27 Im Entwicklungsverlauf ließen sich dann jedoch immer mehr Spiele nicht mehr in diese klaren Formen pressen und lösten damit die ursprüngliche Zweiteilung ab. Die Pädagogin Traudl Bünger bemerkte zu dieser Ablösung: „Diese Klassifizierungen hatten so lange Bestand, bis das ’bipolare Universum’ der ’Knöpfchen- und Köpfchenspiele’ vom Facettenreichtum moderner Bildschirmwelten gesprengt wurde.“28

Jürgen Fritz hat daher sein Merkmalsspektrum um ein Element erweitert und damit einen Gruppierungsraum geschaffen, den er selbst gern als „Landkarte“ bezeichnet. Fritz selbst erklärt sein Modell so:

„Geht man von diesen Spielforderungen aus, lassen sich zwei ’Pole’ im Universum der Bildschirmspiele ausmachen: Denken und Action. Die Lage der einzelnen Bildschirmspiele im Universum läßt sich zunächst davon bestimmen, ob ein Spiel in seinen Spielforderungen eher von Denkprozessen oder eher von unmittelbarem aktionsgeladenen Handeln bestimmt ist. Ordnet man die Bildschirmspiele danach bipolar zu und zieht man irgendwo eine Trennlinie zwischen ihnen, hat man auf der einen Seite die ’Denkspiele’ (oder auch ’Köpfchenspiele’) und auf der anderen Seite die ’Actionspiele’ (oder auch ’Knöpfchenspiele’).

Dieses bipolare Universum, das in der Anfangszeit der Bildschirmspiele recht gut geeignet war, sich in der Vielfalt der Spiele zurechtzufinden, reicht in seiner ordnenden Funktion heute nicht mehr aus. Hinzukommen müsste ein dritter Pol, der eine weitere Ausdehnungsrichtung in der Entwicklung der Bildschirmspiele bezeichnet: die Spielgeschichten. Spiele dieser Art enthalten sowohl Elemente der Denkspiele als auch solche der Actionspiele. Wesentlich an den Spielgeschehen ist, daß der Spieler durch sein spielerisches Handeln nicht nur eine Welt entfaltet, sondern im Entfalten der Welt auch eine Geschichte: seine Geschichte als Entwicklung seiner Spielfigur in dieser Welt.“29

Je nachdem wie stark bei einem Spiel die einzelnen Dimensionen ausgeprägt sind, entscheidet sich, ob ein Spiel mehr oder weniger von dem jeweiligen Achsenende angezogen wird. Die Analyse und Kombination aller Dimensionsausprägungen bestimmt schließlich den endgültigen Platz im Gesamtmodell. Dieses, an die Clusteranalyse der Marktforscher erinnernde Modell, birgt trotz oder gerade wegen seines sowohl simplen als auch logischen Aufbaus so einige Tücken. Angesichts der Komplexität vieler Spieltitel heutzutage ist es sehr schwer, die bestimmenden Spielmuster zu finden. Als Anhaltspunkte schlägt Fritz jedoch vor, auf die folgenden Merkmale besonders zu achten:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 9: Landkarte der Bildschirmspiele (Quelle: Fitz, Jürgen: Zur „Landschaft“ der Computerspiele. In: Handbuch Medien. Computerspiele. Hg. v. Jürgen Fritz/Wolfgang Fehr. Bonn 1997, S. 88.)

1. Spielziele und dynamische Elemente 2. die beweglichen Spielelemente

3. Spielinhalt und Spielgeschichte 4. Spielforderungen

5. Sichtweise 6. Zeit

7. Art der Einflussnahme

Seine Liste will und kann natürlich nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Stattdessen will Fritz mit seinem Modell Anregungen und Perspektiven zur weiteren Forschung bieten. Seine drei Basisdimensionen Geschichte, Denken und Action sollten wir jedoch im Hinterkopf behalten.

Ein weiterer Vertreter dieser, eher an den inhaltlichen Anforderungen orientierten Vorgehensweise, ist Lee Sheldon. Bevor er 1994 begann, Computerspiele zu entwickeln, arbeitete Lee Sheldon zwanzig Jahre lang beim Fernsehen, genauer gesagt schrieb und produzierte er Erfolgsserien wie „Star Trek - die nächste Generation“, „3 Engel für Charlie“ oder „Quincy“. Dies deutet darauf hin, dass Sheldon vielleicht doch besser zu den Vertretern passen würde, die Spiele einteilen, indem sie die Gruppierung verwandter Medien übernehmen. Tatsächlich ist Lee Sheldon ein Grenzgänger oder besser gesagt ein Hybrid. Anders als die meisten seiner Kollegen geht er nämlich von vornherein von zwei friedlich nebeneinander existierenden Klassifikationen aus, die beide ihre Daseinsberechtigung und Gültigkeit besitzen.

Lee Sheldon besteht auf den Unterschied zwischen Spieltyp und Spielgenre. Spieltypen sind für ihn mediale Spezialformen, die es ausschließlich in der Welt der Computerspiele gibt, während Game-Genres Gruppen beschreiben, die es in gleicher Form in anderen Medienformaten auch gibt.

Die zentralen Merkmale, die ihn zu seiner Typisierung gebracht haben, führt er wie folgt aus:

„Throughout the book, I’ve discussed issues that are common to character creation and storytelling across various game types. Each type of game presents unique challenges and opportunities.“30

Werfen wir zunächst einen Blick auf Sheldons „Game Types“:

1. Action 2. Adventure 3. Role-Playing

4. Simulations a) combat b) social

5. Strategy 6. Multiplayer

Lee Sheldon sieht als eine zentrale treibende Kraft im Bereich der Actionspiele die sich ständig steigernden Anforderungen, die Welt mit den sich darin handelnden Figuren sowie allem bewegbaren Inventar naturwissenschaftlich korrekt darzustellen.

[...]


1 GIGA Digital Television GmbH: Hintergrundinformationen. Köln 2007, S. 3.

2 Putzki, Tom: Auf dem Holodeck. In: Der Schnitt 30 (2003), S. 28.

3 Kohlenberg, Kerstin: Schlachten in der Cyber-Welt. In: Die Zeit 12 (2005), S. 4

4 Jauer, Marcus: Tower Rush aus der Tiefe des Raumes. Videospiele erobern das Kino und das Fernsehen. In: Süddeutsche Zeitung vom 14.01.2004, S. 13.

5 Ebd., Seite 13.

6 GIGA: Hintergrundinformationen, S. 12. 6

7 Huizinga, Johan: Homo Ludens. A study of the Play-Element in Culture. Routledge 1998, S. 1. 8

8 Klimmt, Christoph: Computer- und Videospiele. In: Lehrbuch der Medienpsychologie. Hg. v. Roland Mangold/Peter Vorderer/Gary Bente. Göttingen 2004, S. 696.

9 Ebd., S. 696 f.

10 Ebd., S. 710 f.

11 Klimmt: Computer- und Videospiele, S. 701.

12 Juul, Jesper: half-real. Video Games between Real Rules and Fictional Worlds. Cambridge 2005, S. 36. 14

13 Spector, Warren: Foreword. In: The Game Design Reader. A Rules of Play Anthology. Hg. V. Katie Salen/Eric Zimmerman. Cambridge 2006, S. xi.

14 The MIT Press: The Game Design Reader. A Rules of Play Anthology. Hg. V. Katie Salen/Eric Zimmerman. Cambridge 2006, Text auf dem Einband.

15 Salen, Katie/ Zimmerman, Eric: What is a game? How can we define what makes a game a game? In: The Game Design Reader. A Rules of Play Anthology. Hg. V. Katie Salen/Eric Zimmerman. Cambridge 2006, S. 77.

16 Ebd., S. 80.

17 Juul: half-real, S. 5.

18 Poole, Steven: Trigger Happy. The inner life of videogames. London 2000, S. 36.

19 Ebd., S. 39.

20 Ebd., S. 45. 20

21 Ebd., S. 48.

22 Ebd., S. 49 f.

23 Ebd., S. 51.

24 Ebd., S. 54. 22

25 Ebd., S. 56.

26 Meyer, René: Games Convention-Guide. Was wird hier eigentlich gespielt? Leipzig 2004. S. 22.

27 Fitz, Jürgen: Zur „Landschaft“ der Computerspiele. In: Handbuch Medien. Computerspiele. Hg. v. Jürgen Fritz/Wolfgang Fehr. Bonn 1997, S. 87.

28 Bünger, Traudl: Narrative Computerspiele. Struktur & Rezeption. München 2005, S. 15.

29 Fritz: „Landschaft“, S. 87.

30 Sheldon, Lee: Character Development And Storytelling For Games. Boston 2004, S. 325. 26

Ende der Leseprobe aus 124 Seiten

Details

Titel
Semiotik und Methodologie von Computerspieltrailern und Eingangssequenzen
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Philosophische Fakultät)
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
124
Katalognummer
V168887
ISBN (eBook)
9783640868414
ISBN (Buch)
9783640868445
Dateigröße
4471 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Games;, Game Studies;, Trailer;, Filmsequenzen;, Computerspiele;, Shooter;, Adventure;, Simulationen;, Rollenspiel;, RPG;, MMORPG;, Fantasy;
Arbeit zitieren
Anja Fischer (Autor:in), 2008, Semiotik und Methodologie von Computerspieltrailern und Eingangssequenzen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168887

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Semiotik und Methodologie von Computerspieltrailern und Eingangssequenzen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden