Eine Oper aus Klanggebilden – die größte Choroper des 20. Jahrhunderts

Anton Urspruchs "Die heilige Cäcilia"


Essay, 2011

46 Seiten


Leseprobe


Eine Oper aus Klanggebilden – die größte Choroper des 20. Jahrhunderts

Anton Urspruchs „Die heilige Cäcilia“

Zahlreiche Cäcilienkirchen und Cäcilienvereine gedenken der Heiligen der Kirchenmusik.

Auch in einer ganzen Reihe von Kantaten – neben Händels Cäcilien-Ode – wird die am 22. November 230 n. Chr. als christliche Märtyrerin in Rom getötete Cäcilia besungen. Eine Oper zu diesem Thema war in der Geschichte des Musiktheaters bislang nicht zu erleben, obgleich „Die heilige Cäcilia“ Anfang des vergangenen Jahrhunderts komponiert wurde als ein richtungweisendes Meisterwerk, eine Partitur, die Maßstäbe setzt und – der Uraufführung harrt.

Im Nachlass des um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert viel gespielten, dann zusehends ausgebremsten Dichterkomponisten Anton Urspruch befindet sich diese bis heute unaufgeführte, fünfaktige Oper. Der Einsatz von Chören in dieser Oper geht weit über die üblichen Einsätze des Chores in sogenannten Choropern – wie Richard Wagners „Lohengrin“ und „Parsifal“ oder Modest Mussorgskis „Boris Godunow“ und „Chowantchina“ – hinaus und überbietet dabei sogar, was von Olivier Messiaen – thematisch durchaus verwandt – mit dem „Saint François d'Assise“ im zwanzigsten Jahrhundert hinsichtlich des Einsatzes von Chören in einer geistlichen Opernhandlung als neuer Maßstab gesetzt wurde.

Liszts Lieblingsschüler

Anton Urspruch wurde am 17. Februar 1850 in Frankfurt am Main in eine Theaterfamilie geboren.

Anton Urspruchs Großvater Philipp Jakob war Schauspieler, die Großmutter Antonietta Helene Succarini eine berühmte Sopranistin, die – laut Theodora Kircher-Urspruch, der Tochter des Komponisten, – auch unter Wolfgang Amadeus Mozarts Leitung in dessen Frankfurter Konzert im Jahre 1790 gesungen hat.

Nach dem Gymnasium genoss Anton Urspruch seine musikalische Ausbildung bei M. Wallenstein, Ignatz Lachner, Joachim Raff, und – ab 1871 – bei Franz Liszt in Weimar.

Hierüber berichtete Anton Urspruch am 24. Mai 1871 in einem Brief an den Frankfurter Konzertmeister Hassel-Barth: „[...] bei Liszt fand [ich]eine Aufnahme, welche ich mir auch in den kühnsten Träumen nicht hätte ahnen lassen können. Meine Kompositionen haben ihm ganz außerordentlich zugesagt, und umarmte und küsste er mich ein übers andere Mal stürmisch – ebenso gefalle ich Ihm als Pianist. Ich bin sein täglicher Gast und musizieren wir täglich mehrere Stunden zusammen. Montag spielten wir nicht weniger als 6 geschlagene Stunden.“[1] Urspruch widmete seine 4-händige „Sonate quasi Fantasia“ Liszt, der sich dazu Ende August 1871 äußerte, er werde dieses Werk mit Frau von Mackharoff „gehörig durchspielen und durchgrübeln“ .[2]

Liszt, der von seinen Schülern kein Honorar nahm, nennt seinen Lieblingsschüler „Antonio“ und tituliert ihn als „Vortrefflicher, lieber Freund“.

Fünf Jahre lang reiste Urspruch immer wieder nach Weimar, in den Kreis der Freunde um seinen Mentor Franz Liszt. Bereits im Jahre 1872 reüssierte er hier in einer Matinee als Interpret von Schumanns Sinfonischen Etüden .

Urspruchs Konzertdebüt in Kassel kommentierte Liszt in seinem Brief vom 12. Juni 1872, „Also, wackerer junger Herold, das Es-Dur Konzert wird bei der Tonkünstler Versammlung in Kassel vorgeritten von Anton Urspruch, dessen vollkommenen Erfolg mit Zuversicht begrüßt Dein wohlgesinnt ergebener F. Liszt.“[3]

Weitere Konzerte führten Urspruch im Oktober 1872 nach Leipzig und Amsterdam.

Urspruchs künstlerischen Selbstzweifeln begegnete Liszt, in seinem Schreiben vom 23. Februar 1873 aus Pest, Urspruch dürfe „die Unzufriedenheit mit seiner bisherigen Arbeit, ‚diese Haupttugend der Künstler’, nicht zu weit treiben, seine Manuskripte nicht verbrennen, aber bewahren zur Verbesserung und Abklärung späterhin.“[4] Liszt konstatierte weiter: „Im Klavierspielen brauchen Sie nur ruhig fortzufahren und öfters in Konzerten mit dem Publikum zu verkehren. [...]indem ich Ihnen empfehle gewissenhaft und getrost vorwärts zu streben, verbleibt ihnen stets, mit voller Anerkennung ihrer ausgezeichneten Talente [,] freundlichst ergebener F. Liszt.“[5]

Weitere Erfolge als Pianist und Komponist erzielte Anton Urspruch in Hannover und auf dem Tonkünstlerfest in Sondershausen. 1877 wurde er als Lehrer für Klavier und Komposition an das Hoch’sche Konservatorium berufen. Seine frühen Werke erschienen bei Schott, Breitkopf & Härtel, Steyl & Thomas, sowie bei A. Cranz in Hamburg. Dessen Tochter Emmy heiratete Anton Urspruch im März 1881.

Es folgten die Kompositionen der Symphonie in Es-Dur , op. 14 und das Raff gewidmete Klavierkonzert , das Urspruch zumeist selbst am Klavier interpretierte.

Urspuchs Opernerstling „Der Sturm“, auf ein Libretto von Pizzarri nach Shakespeare, wurde 1888 unter der musikalischen Leitung von Otto Dessoff in Frankfurt uraufgeführt. Einen großen Erfolg errang zwei Jahre später in Elberfeld die Uraufführung von Urspruchs Oratorium „Die Frühlingsfeier“, op. 26 für Chor, großes Orchester und Tenor-Solo auf eine Ode von Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803) Klopstock.

Als Urspruchs „Meisterwerk“ bezeichnet die Tochter des Komponisten die Oper „Das Unmöglichste von Allem“, für die sich Urspruch, nach Lope de Vegas Lustspiel „El major imposible“, das Libretto selbst verfasst hat: „Es war eine komische Oper im feinsten kunstvollen Sinne, deren Aufbau, Sanglichkeit und Grazie immer großen Beifall fand bei allen Aufführungen. Die Uraufführung in Karlsruhe [am 5. November] 1897 leitete Felix Mottl, danach folgte[n] Darmstadt“ – am 25. November 1897 unter Hofkapellmeister de Haan – „Weimar, Leipzig, Köln [20. Oktober] 1898 [Musikalische Leitung: Arno Kleffel; Regie: Alois Hofmann], Elberfeld und Frankfurt 1899 und Prag unter Leo Blech. Letztere war wohl die glänzendste Aufführung, die der damals bekannte Kritiker Dr. Batka hervorragend beurteilte. Führende Musiker und Kritiker begrüßten es lebhaft, dass nun endlich eine komische Oper erschienen sei von kultiviertem Geschmack und geistreichem Witz, so meisterhaft im Aufbau und sinnvoller Kunst in der thematischen Verarbeitung, dass man seit den Mozart-Opern nichts ähnliches kenne.“[6]

Ein Jahr später erfolgte die Uraufführung des geistlichen Oratorium s „Ave Maris Stella“, op. 24, in Düsseldorf.

Dass Urspruch dieses Werk Johannes Brahms gewidmet hat, mag als Positionierung anti Wagner verstanden werden, im Sinne der deutlichen Polarisierung von Wagnerianern und Brahmsianern seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.

Verglichen mit „andere[n] zeitgenössische[n] Richtungen [...], z. B. Reger und Richard Strauss“, habe Urspruch sich „als fortschreitender ‚Moderner’“ gefühlt, „der tief verantwortlich weiterbauen, nicht umstürzen wollte“. So habe er im letzten Lebensabschnitt „mit dem Gefühl der Berufung an sich und seinem eigenen Stil weiter“ gearbeitet.[7]

Im Spannungsfeld von Liszt und Wagner

„Wagner’sche Anklänge werden“ – so Urspruchs Tochter – „kaum verspürt, und Urspruch hat sich diesem Einfluss wohl bewusst entzogen, obwohl er nicht teilnahm an den wilden Richtungskämpfen zwischen Neudeutschen und deren Gegnern, die ja auch abscheuliche Ausmaße annahmen, die selbst eine so vornehme Natur wie Clara Schumann zu Beschimpfungen hinriss gegen Liszt.“[8]

Theodora Kircher-Urspruchs Behauptung der Distanz Anton Urspruchs zu Richard Wagners Werk und Kunstideal ist jedoch in Frage zu stellen.

Aufschlussreich sind theoretische Überlegungen des Komponisten Urspruch zur Vereinigung von Wort und Ton, im Zusammenhang mit seinem Opus „Frühlingsfeier“ :

„Wollen nun solche Gedanken und Bilder zu Musik werden, so betrachte man es als besonders glückliche Fügung, wenn die ihnen vom Dichter gegebene Wortfassung die technische Möglichkeit zur Musikbildung in sich schließt. Dies ist, seitdem die wahre große Dichtkunst sich von ihrer natürlichsten Genossin, der Musik, entfernt und zur Literatur herabgestimmt hat, weit seltener der Fall, als man gemeinhin annehmen sollte. Die Musik hat andere Gesetze der Form und der Ausdrucksmittel als die Poesie. Ist diese nicht mit Rücksicht auf jene von vornherein entworfen, oder waltet nicht eine glückliche zufällige Übereinstimmung, so kann selten, namentlich bei Sprachkunstwerken von größerer Ausdehnung, ein glücklicher Musenbund geschlossen werden.“[9]

Im nachfolgenden Absatz beruft sich Urspruch sogar ausdrücklich auf Wagner, dessen theoretische Kunstschriften er offenbar durchaus verinnerlicht hat:

„Beide stehen nun in diesem zweiten Teil im Banne der ‚Welt im Kleinen’, die musikalische Malerei, ja die Detailmalerei tritt in ihr Recht, die Farbe verdrängt die Linie, ja, um die Wagnersche geistvolle Deutung einer von Schiller auf die Poesie angewandten Bestimmung zu gebrauchen – dem ‚naiven’ Stil wird der ‚sentimentalische’ entgegengesetzt. Ausgehend von dieser nun mikrokosmischen Welt, folgend dem in der Natur sich offenbarenden Gott, wird die Dichtung jetzt selbst zur Offenbarung und Predigt einer wahren Naturreligion.“[10] Dies knüpft deutlich an Wagners Idee der Kunstreligion an.

[...]


[1] Theodora Kircher-Urspruch: Gedenkschrift zum 125. Geburtstag von Anton Urspruch. (17. 2. 1850 – 11. 1. 1907). Lebens- und Werkskizze eines Komponisten um die Jahrhundertwende. Typoskript im Nachlass der Familie.

[2] zitiert nach Theodora Kircher-Urspruch, a. a. O.

[3] zitiert nach Theodora Kircher-Urspruch, a. a. O.

[4] zitiert nach Theodora Kircher-Urspruch, a. a. O.

[5] zitiert nach Theodora Kircher-Urspruch, a. a. O.

[6] Theodora Kircher-Urspruch, a. a. O.

[7] Theodora Kircher-Urspruch, a. a. O.

[8] Theodora Kircher-Urspruch, a. a. O.

[9] Anton Urspruch: Zur Aufführung meiner Komposition der Klopstockschen „Frühlingsfeier“, a. a. O.

[10] Anton Urspruch: Zur Aufführung meiner Komposition der Klopstockschen „Frühlingsfeier“, a. a. O.

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Eine Oper aus Klanggebilden – die größte Choroper des 20. Jahrhunderts
Untertitel
Anton Urspruchs "Die heilige Cäcilia"
Veranstaltung
Musiktheaterwissenschaft
Autor
Jahr
2011
Seiten
46
Katalognummer
V168554
ISBN (eBook)
9783640868827
ISBN (Buch)
9783640868681
Dateigröße
10338 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Untersuchung über die im Particell abgeschlossene, in Partiturreinschrift aber nur bis Anfang des zweiten Aktes vollendete letzte Oper von Anton Urspruch (1850 - 1907) enthält als Anhang die Erstveröffentlichung des vollständigen Librettos.
Schlagworte
eine, oper, klanggebilden, choroper, jahrhunderts, anton, urspruchs, cäcilia
Arbeit zitieren
Prof. Dr. Peter P. Pachl (Autor:in), 2011, Eine Oper aus Klanggebilden – die größte Choroper des 20. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168554

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