Nutzungsmotive von Lesern deutschsprachiger Zeitungen in Südamerika am Beispiel der Brasil Post

Eine empirische Analyse


Diplomarbeit, 2007

92 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


I. Inhaltsverzeichnis

II. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Das Phänomen der deutschsprachigen Presse im Ausland
1.2 Fragestellung
1.3 Stand der Forschung und Vorgehensweise
1.4 Gliederung der Arbeit

2 Der Uses-and-Gratifications-Approach
2.1 Der Ansatz
2.1.1 Entwicklung
2.1.2 Grundannahmen
2.1.3 Kritik
2.2 Empirische Forschung
2.2.1 Entwicklung von Typologien zu Mediennutzungsmotiven
2.2.2 Ergebnisse von Inter-Media-Vergleichen
2.2.3 Zusammenfassung
2.3 Übertragbarkeit auf die vorliegende Studie
2.4 Der Bedürfniskatalog für die Untersuchung der Brasil Post

3 Untersuchungsgegenstand
3.1 Brasilien
3.1.1 Kommunikative Rahmenbedingungen
3.1.2 Geschichte der deutschen Einwanderung
3.1.3 Integration der Deutschstämmigen
3.1.4 Entwicklung der deutschsprachige Presse
3.2 Die Brasil Post
3.2.1 Geschichte
3.2.2 Profil
3.2.3 Selbsteinschätzung
3.2.4 Zukunftsaussichten

4 Untersuchungsmethode
4.1 Datenerhebung
4.1.1 Datenerhebungstechnik
4.1.2 Der Fragebogen
4.1.3 Experteninterviews
4.2 Datenerfassung und -analyse

5 Nutzungsmotive der Brasil Post
5.1 Mediennutzungsverhalten
5.2 Gratifikationsitems
5.2.1 Ablenkung und Zeitvertreib
5.2.2 Information
5.2.2.1 Art der Information
5.2.2.2 Bedeutung der Medien als Informationslieferant
5.2.2.3 Rolle der deutschsprachigen Medien im Internet
5.2.2.4 Zusammenfassung
5.2.3 Persönliche Beziehungen
5.2.4 Persönliche Identität
5.2.4.1 Identifikation und Integration
5.2.4.2 Brückenfunktion
5.2.4.3 Werteverstärkung
5.2.4.4 Realitätsexploration
5.2.4.5 Zusammenfassung
5.2.5 Lernen
5.3 Fazit

6 Ausblick

III. Anhangsverzeichnis und Anhang

IV. Literaturverzeichnis

II. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Elemente des Nutzen- und Belohnungsansatzes

Abbildung 2: Brasilien mit seinen Bundesstaaten

Abbildung 3: Auswanderung von Deutschland nach Brasilien

Abbildung 4: Fotos aus Blumenau, Kleinstadt im Süden Brasiliens

Abbildung 5: Verteilung der wichtigsten Themen der Brasil Post im Jahr 1993..

Abbildung 6: Einschätzung der Brasil Post über ihre Reichweite, Leserkreis und Verbreitung

Abbildung 7: Fragen 1 - 4 des Fragebogens für die Brasil Post-Leser

Abbildung 8: Alter der Brasil Post-Leser

Abbildung 9: Bildungsniveau der Brasil Post-Leser

Abbildung 10: Herkunft der Brasil Post-Leser

Abbildung 11: Einfluss der Eltern auf den Kauf der Brasil Post

Abbildung 12: Durchschnittlicher Informationswert der Rubriken der Brasil Post

Abbildung 13: Bedeutung der Medien als Informationslieferant

Abbildung 14: Internetseiten als Informationsquellen

Abbildung 15: Auswanderergeneration der Brasil Post-Leser

Abbildung 16: Zusammenhang zwischen ausgewanderter Generation und ge- fühlter Staatsangehörigkeit

Abbildung 17: Zusammenhang zwischen gefühlter Staatsangehörigkeit und Sprache im Alltag

Abbildung 18: Image von Deutschland aus Sicht der Brasil Post-Leser

Abbildung 19: Werte, die Deutschland aus Sicht der Brasil Post-Leser zugeordnet werden

Tabelle 1: Motive der Medienzuwendung

Tabelle 2: Bedürfniskatalog als mögliche Nutzungsmotive der Brasil Post- Leser

Tabelle 3: Rubriken der Brasil Post

Tabelle 4: Beurteilung der Rubriken der Brasil Post nach Informationsori- entierung der Leser

Tabelle 5: Zusammenhang zwischen Internetnutzung und Staatsbürgerschaft

Tabelle 6: Vergleich zwischen Gesamtleserschaft der Brasil Post und Lesern mit Zuwendungsmotiv „Brücke zu Deutschland“

1 Einleitung

1.1 Das Phänomen der deutschsprachigen Presse im Ausland

Den wenigsten Deutschen ist bewusst, dass es auch im Ausland deutschsprachige Presseerzeugnisse gibt, die vor Ort produziert und publiziert werden. Teilweise bestehen diese Publikationen bereits seit mehr als 100 Jahren. Trotz der heutigen Möglichkeit, deutsche Zeitungen im Internet zu lesen oder zu abonnieren, werden diese Traditionsblätter immer noch gekauft.

Derzeit gibt es außerhalb des deutschen Sprachraums1 mehr als 3 000 deutsch- sprachige Zeitungen2, Zeitschriften und Internetportale, die sich allerdings in Art, Umfang und Qualität erheblich unterscheiden. Zusätzlich zu diesen Print- und Onli- nemedien gibt es weltweit noch etwa 400 Radio- und Fernsehprogramme in deut- scher Sprache. Allein seit 1990 sind rund 300 neue Zeitungen, Zeitschriften und Programme vor allem in den Ferienregionen in Südeuropa und der Türkei sowie in Osteuropa entstanden.3

Die USA ist das Land mit den meisten deutschsprachigen Auslandsmedien. Im europäischen Ausland und Russland erscheinen zwei Drittel der Medien.4 Etwa zehn Prozent der deutschsprachigen Publikationen erscheinen in Süd- und Mittelamerika, fünf Prozent in Asien, drei Prozent in Australien und Neuseeland und nur zwei Prozent in Afrika.5 Da bei dieser Arbeit deutschsprachige Zeitungen im Vordergrund stehen, wird im Folgenden nicht detaillierter auf Radio- und Fernsehprogramme, Zeitschriften und Internetportale eingegangen.

Die Ursachen für die Gründung der zahlreichen deutschsprachigen Zeitungen sind vielfältig. Dazu muss zunächst beleuchtet werden, warum Deutsche oder Deutsch- stämmige weltweit zu finden sind. Die Ursprünge dafür lassen sich bereits in das 17. und 18. Jahrhundert zurückverfolgen, als Deutsche vor allem Richtung Osten aus- gewandert sind. Später zog es Millionen von Deutschen in mehreren Schüben nach Nord- und Südamerika. Allein sieben Millionen davon ließen sich in den USA nieder. Des Weiteren wurden als Folge der Weltkriege und damit einhergehenden Gebiets- verlusten insgesamt rund 20 Millionen Deutsche vertrieben, die heute noch in Ost- und Mitteleuropa ansässig sind. Heutzutage kommt hinzu, dass Deutsche vermehrt für längere Zeit im Ausland verweilen, sei es beruflich oder um dort ihren Lebensabend zu verbringen.6

Die ursprüngliche Aufgabe der deutschen Auslandszeitungen war es, die Interessen der deutschen Einwanderer in der fremdsprachigen Umwelt zu vertreten sowie in- nerhalb der Kolonien das Zugehörigkeitsgefühl zum deutschen Volkstum und die Verbindung mit der alten Heimat aufrecht zu erhalten.7 Diese Aufgaben bestehen heute teilweise immer noch. Dazugekommen sind Zeitungen mit einer speziellen Zielgruppe wie beispielsweise Wirtschaftszeitungen8, Minderheitenblätter9, Touris- tenmagazine oder Sprachlernzeitschriften. Somit setzt sich die Leserschaft der deut- schen Auslandspresse je nach Land und Historie unterschiedlich zusammen. Sie reicht von Angehörigen deutscher Minderheiten über deutschsprachige Geschäfts- leute oder Touristen bis hin zu Sprachschülern im Ausland oder Auslandsstuden- ten.10

Allerdings lesen heute nicht nur Deutsche oder Deutschstämmige diese Publikationen. Auch die fortschreitende Verbreitung der deutschen Sprache in Osteuropa, die auf die wirtschaftliche Bedeutung der Bundesrepublik sowie die Erweiterung der EU zurückzuführen ist, begründet ein Interesse an diesen Zeitungen.11 Die älteste, heute noch existierende deutschsprachige Auslandszeitung ist die 1727 gegründete St. Petersburgische Zeitung.12 Auf Südamerika bezogen ist es das Argentinische Tag blatt aus Buenos Aires, Argentinien, das 1889 gegründet wurde.

Da sich diese Arbeit auf Südamerika konzentriert, soll hierbei auf die Besonderhei- ten in der Entwicklung der deutschsprachigen Presse auf diesem Kontinent einge- gangen werden. Deutsche Siedler ließen sich damals überwiegend in geschlosse- nen Siedlungen nieder. Dadurch bot sich die Möglichkeit, das Deutschtum nicht nur zu bewahren, sondern auch weiterzuentwickeln. So entstanden vor allem in Para- guay, Brasilien und Argentinien Gebiete mit „großen deutschen Landstrichen“13. So- mit waren die Rahmenbedingungen für die Gründung von deutschsprachigen Zei- tungen ideal.

Die Zusammensetzung der einzelnen auslandsdeutschen Kolonien war allerdings sehr unterschiedlich und vielfältig, so dass sich dies auch in der deutschen Ausland- spresse widerspiegelte. Es gab konfessionelle oder neutrale Blätter, solche, die sich an die Reichsdeutschen richteten oder solche, die vor allem die seit Generationen im Lande wohnenden Deutschen als Zielgruppe hatten.14 Dazu kamen Blätter für Landwirte wie der Urwaldbote in Brasilien, aber auch Jahreskalender sowie sonstige Tageszeitungen und Fachzeitschriften.

Heute sind die größten und bekanntesten deutschsprachigen Zeitungen aus dieser Region das bereits erwähnte Argentinische Tagblatt aus Buenos Aires, die Brasil Post und die Deutsche Zeitung aus Brasilien, der chilenische Condor aus Santiago de Chile sowie die Aktuelle Rundschau aus Paraguays Hauptstadt Asunción. Alle dieser genannten Auslandspublikationen erscheinen wöchentlich, außer der para- guayanischen Aktuellen Rundschau, die zweimal im Monat herausgegeben wird. Die Auflagen bewegen sich zwischen 7 000 (Condor) und 20 000 (Brasil Post und Argentinisches Tagblatt) Exemplaren. Die Aktuelle Rundschau aus Paraguay hat eine Auflage von rund 10 000 Einheiten. Über die Auflage der Deutschen Zeitung in Brasilien liegen keine aktuellen Quellen vor.15

1.2 Fragestellung

Eine Vielzahl an deutschsprachigen Medien im Ausland hat heute mit enormen wirt- schaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, insbesondere durch den Auflagen- schwund und das geringe Anzeigenaufkommen.16 Die negative Auflagenentwicklung hat hierbei mehrere Ursachen: Zum einen trifft der allgemeine Trend in allen Me- dienbereichen - zunehmende Zielgruppenorientierung und damit einhergehende Ausdifferenzierung der Medienangebote17 - auch auf auslandsdeutschen Zeitungen zu. Des Weiteren kämpften viele Traditionsblätter in den vergangenen Jahrzehnten mit dem Wandel ihrer Leserschaft, da das Publikum zunehmend veraltet und immer mehr sterben. Junge Leser hingegen zu gewinnen, ist oft aus sprachlichen Gründen nicht möglich, da diese die deutsche Sprache immer weniger pflegen.18

Durch diese enorm schwierigen Rahmenbedingungen ist es erstaunlich, wie man- che Traditionsblätter immer noch überleben können. Die Gründe dafür lassen sich jedoch nicht pauschalisieren, da deutschsprachige Auslandsmedien je nach Entste- hungsgeschichte vor erheblichen anderen Herausforderungen stehen. Zeitungen, die durch Vertreibung19 oder Touristenströme20 entstanden sind, lassen sich nicht mit Publikationen vergleichen, die von ausgewanderten Deutschen ins Leben gerufen wurden.

Da sich diese Arbeit auf Südamerika konzentriert, bezieht sich die Untersuchung le- diglich auf Publikationen, die durch die Auswanderung Deutscher entstanden sind. Als Untersuchungsgegenstand dient die 1950 gegründete Brasil Post aus São Paulo (Brasilien).

Auffällig an der Brasil Post ist, dass kaum einer der Redakteure eine journalistische Ausbildung hat und dies auch in der journalistischen Qualität der Texte deutlich wird. Des Weiteren vermittelt die Zeitung immer noch ein etwas verklärtes Deutsch- landbild. In dieser Arbeit soll untersucht werden, welche Motive die Leser dazu be- wegen, die traditionelle Wochenzeitung immer noch zu kaufen und zu lesen. Letzt- endlich könnten sie heutzutage aktuelle deutsche Nachrichten im Internet lesen oder importierte deutsche Zeitungen kaufen. Ist es der regionale Informationsaspekt oder die Gewohnheit, weshalb die Zeitung immer noch gekauft wird? Welche Rolle spielt dabei die deutsche Sprache? Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt der Auswanderergeneration und den Zuwendungsmotiven? Welches Deutschlandbild haben die Leser und wird dieses durch die Zeitung vermittelt? Die- sen Fragen soll im Rahmen dieser Arbeit auf den Grund gegangen werden.

1.3 Stand der Forschung und Vorgehensweise

Auslandszeitungen sind eine besondere Gattung von Zeitungen, da sie sich an eine kulturelle Minderheit richtet, deren wichtigstes Kriterium die gemeinsame Sprache ist. Trotz dieser Besonderheit hat die deutsche Kommunikationsforschung das Phänomen der Auslandspresse bisher ziemlich vernachlässigt. Die wenigen Untersuchungen konzentrieren sich auf spezielle Teilbereiche und können somit nicht verallgemeinert und übertragen werden.

So stehen beispielsweise die deutschsprachigen Zeitungen in Mittel- und Osteuropa im Fokus von diversen Publikationen.21 Dabei konzentrieren sich die Untersuchun- gen meist auf die Medien in Osteuropa nach 1989, vor allem in Bezug auf die Inte- gration der östlichen Nachbarländer in ein gemeinsames Europa. Allerdings stehen auch historische Aufarbeitungen im Vordergrund einzelner Studien über diese Re- gionen.22

Des Weiteren wurde der deutschsprachigen Auslandspresse insbesondere während des Dritten Reiches besondere Aufmerksamkeit zuteil.23 Im Zuge der expansionisti- schen Bestrebungen des deutschen Nationalsozialismus und der gezielten Verbrei- tung von nationalem Gedankengut wurden die auslandsdeutschen Zeitungen zu be- gehrten Propagandaobjekten. Somit liegen in der Literatur auch ideologisch gefärbte Beschreibungen der Auslandspresse aus dem Dritten Reich vor. Auch Minderheitenzeitungen aus der Vergangenheit wie die jüdische Wochenzei- tung Semanario Israelita aus Buenos Aires oder die katholische Wochenzeitung Der Deutsche in Polen wurden immer wieder Gegenstand von historischen Untersu- chungen.24 Viele der geschichtlichen Abhandlungen wie auch Hendrik Groths Publi- kation „ Argentinisches Tageblatt “ 25 oder Hans Steinitz´ Veröffentlichung „ Der Auf- bau “ 26 stammen allerdings aus der Feder von ehemaligen Mitarbeitern, was auf das geringe Interesse der deutschen Kommunikationsforschung hinweist.27 In den ver- gangenen zehn Jahren rückte hingegen die Situation von Minderheitenmedien in der Bundesrepublik bzw. die Integration von Ausländern in die deutsche Gesell- schaft durch die Medien in das Blickfeld des Forscherinteresses.28 Auch in Brasilien wurde die fremdsprachige Presse kaum wissenschaftlich erforscht, da sie dort nie politische Bedeutung erlangt hat.29 1931 beschäftigte sich Hans Geh- se ausführlich mit der Geschichte der deutschsprachigen Presse in Brasilien.30 1994 wurde an der katholischen Universität Eichstätt eine Diplomarbeit über dieses The- ma geschrieben. Allerdings stand dabei - im Gegensatz zu der vorliegenden Arbeit - eine Inhaltsanalyse der Zeitungen im Vordergrund.31

Weitere Abschlussarbeiten der letzten Jahre, die sich mit deutschsprachiger Presse im Ausland beschäftigt haben, beschränken sich zumeist auf die Darstellung der Si- tuation in einem Land bzw. einer Zeitung.32 Es handelt sich dabei in der Regel um eine historische Abhandlung oder um eine Inhaltsanalyse der jeweiligen Zeitungen. Da diese Arbeit jedoch ihren Fokus auf die Nutzungsmotive der Leser einer deutschsprachigen Zeitung richtet, ist eine Übertragbarkeit der Arbeiten auf die vor- liegende Untersuchung - abgesehen von Teilaspekten - nicht möglich.

Der Autorin sind in der deutschsprachigen Literatur keinerlei Untersuchungen be- kannt, die sich explizit mit den Nutzungsmotiven der Leser einer deutschsprachigen Auslandszeitung auseinandergesetzt haben, abgesehen von einer Magisterarbeit an der Universität Münster aus dem Jahr 2004.33 Die Anwendbarkeit dieser Arbeit ist jedoch eingeschränkt: Zum einen handelt es sich hierbei um eine Studie über die Residenten- und Touristenpresse am Beispiel der Costa del Sol- Nachrichten aus Spanien, deren Entwicklung nicht mit der durch Auswanderung entstandener Presse zu vergleichen ist. Vor allem aber wurden innerhalb der Arbeit grundsätzliche Fehler gemacht: Beispielsweise wurde der „Uses-and-Gratification-Approach“ als Weiterentwicklung des Nutzen- und Belohnungsansatzes dargestellt. Aus diesem Grund wird im Folgenden nicht weiter auf diese Arbeit eingegangen.

Bei den oben erwähnten Abschlussarbeiten ist trotz aller inhaltlicher Unterschiede die Anwendung von Teilaspekten möglich. Sie beschäftigen sich zwar nicht mit den Nutzungsmotiven der Leser, dafür aber mit den Funktionen einer Zeitung. Diese wiederum können unter Umständen deckungsgleich mit den Motiven der Medienzu- wendung sein wie beispielsweise die Funktionen „Informations- und Servicefunktion“ oder die Funktion „Die Zeitung als Brücke zur Heimat“. Deshalb werden diese Funk- tionen im Abschnitt 2.4 bei der Suche nach möglichen Motiven zur Hilfe genommen.

Als wissenschaftlicher Ansatz zur Ermittlung der Nutzungsmotive der Leser erscheint der Uses-and-Gratifications-Approach sinnvoll zu sein. Im Gegensatz zur Medienwirkungsforschung steht in der Gratifikationsforschung (auch Nutzen- und Belohnungsansatz genannt) die Motivation der Rezipienten zur Medienzuwendung im Vordergrund. Eine Grundannahme der Uses-and-Gratifications-Forschung ist, dass sich die Rezipienten ihrer Bedürfnisse und Motivationen zur Mediennutzung bewusst sind, beziehungsweise dass sie diese zumindest erkennen können, wenn sie bei einer Befragung damit konfrontiert werden.34

Die Brasil Post hat in ihrer mehr als 50-jährigen Geschichte noch nie eine Leserum- frage gemacht und die Nutzungsmotive ihrer Leser untersucht. Die Einschätzung über die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe erfolgte bislang lediglich durch Leserbriefe und persönliche Kontakte. Deshalb wurde im Rahmen dieser Arbeit eine Leserum- frage durchgeführt. Zusätzlich zu der Umfrage wurden Experteninterviews mit den Geschäftsführern der Brasil Post geführt, die ebenfalls als Grundlage der Arbeit die- nen.

1.4 Gliederung der Arbeit

Im folgenden Abschnitt wird zunächst der Uses-and-Gratifications-Approach mit sei- ner Entwicklung, seinen Grundannahmen und Forschungsrichtungen vorgestellt.

Anschließend werden einige Ergebnisse der empirischen Forschung dargestellt und die Gratifikationsdimensionen ausgewählter Forscher erläutert. Nach einer Überprü- fung der Übertragbarkeit des Ansatzes auf die vorliegende Untersuchung wird ver- sucht, mit Hilfe eines in der Wissenschaft bereits entwickelten Motivkatalogs die möglichen Nutzungsmotive für die vorliegende empirische Studie zu kategorisieren. Dabei wird der Motivkatalog auf die spezifischen Bedürfnisse des Untersuchungsge- genstandes angepasst, unter anderem durch die Übertragung der in anderen Studi- en untersuchten Funktionen der deutschsprachigen Auslandszeitungen.

Im dritten Abschnitt wird zunächst ein Überblick über Brasilien und seine Einwande- rungsgeschichte wie auch die Entstehung der deutschsprachigen Presse gegeben. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Integration der Deutschstämmi- gen. Anschließend wird der Untersuchungsgegenstand Brasil Post mit seiner Ge- schichte, seinem Profil, seiner Selbsteinschätzung und seinen Zukunftsaussichten vorgestellt. Das vierte Kapitel behandelt die Datenerhebungstechnik, die Datener- fassung und -analyse.

Im fünften und wichtigsten Absatz wird die Umfrage auf das Mediennutzungsverhalten der Brasil Post -Leser und ihrer Nutzungsmotive zur Medienzuwendung geprüft, analysiert und erläutert. Dabei werden die im Abschnitt 2.4 entwickelten Gratifikationen des Bedürfniskatalogs einzeln beleuchtet und untersucht. Im abschließenden Fazit werden die Untersuchungsergebnisse zusammengefasst. Zusätzlich erfolgt der Versuch, die Nutzungsmotive zu bewerten und abzustufen.

Der letzte Abschnitt überprüft die Generalisierbarkeit und Übertragbarkeit der Ergeb- nisse auf andere deutschsprachige Zeitungen. Des Weiteren wird untersucht, ob sich der Uses-and-Gratifications-Approach als sinnvoller wissenschaftlicher Ansatz erwiesen hat. Zusätzlich erfolgen ein Ausblick und eine Zukunftsprognose für die Brasil Post.

2 Der Uses-and-Gratifications-Approach

Die zentrale Fragestellung der Medienwirkungsforschung lautet: „Was machen die Medien mit den Menschen?“. Die Forschungsrichtung konzentriert sich somit darauf, welche Wirkungen die Medien auf die einzelnen Personen hat und welche Einstel- lungsänderungen sie auslösen. Dem individuellen Rezipienten wird zwar eine aktive Rolle zuerkannt, die jedoch als störende Variable im Stimulus-Response-Modell wahrgenommen wird.35 Das S-R-Modell besagt, dass Medieninhalte von allen Men- schen gleich wahrgenommen werden und sie nahezu identische Reaktionen auslö- sen.

Zu Beginn der 70er Jahre richtete die Massenkommunikationsforschung den Fokus ihrer Untersuchungen auf das aktive Publikum. Nun lautete die Frage: „Was machen die Menschen mit den Medien?“. Damit wurde die bisherige Annahme, der Prozess der Massenkommunikation sei eine „einseitig-lineare Vermittlung der Aussage vom Kommunikator zum Rezipienten“36 fallen gelassen.37

In theoretischer Hinsicht kann das zielgerichtete Handeln mit zwei Strängen der Handlungstheorie verknüpft werden: dem normativen beziehungsweise dem dispo- sitionalen Paradigma der Handlungstheorie sowie dem interpretativen Paradigma.38 Die erste Perspektive erklärt die Handlungen des Individuums auf der Basis von so- ziologischen Faktoren wie beispielsweise Werte oder Normen sowie aus psychologi- schen Gründen wie Bedürfnisse oder Einstellungen. Die zweite Perspektive leitet das Handeln des Publikums aus der Theorie des symbolischen Interaktionismus ab, das dem Menschen die Fähigkeit zur Reflexion zuspricht.39 Letztere Perspektive wird jedoch nur selten für empirische Untersuchungen herangezogen.40

Die Publikumsforschung im Allgemeinen sucht Antworten darauf, wer, wann und wie oft welche Programme im Radio hört oder im Fernsehen sieht sowie mit welchen Gewohnheiten die Rezipienten Zeitungen und Zeitschriften lesen. Dabei bleiben die Gründe für die Mediennutzung allerdings unbekannt. Warum sich Individuen be- stimmten Medien und deren Inhalten zuwenden und welche Motive dahinter stehen, wird in der modernen Gratifikationsforschung41 (Uses-and-Gratifications-Approach) untersucht.42 Unklar ist dabei noch, inwieweit sich das Publikum tatsächlich aktiv verhält oder wie viel Gewohnheit hinter dem Mediennutzungsverhalten steckt.43

2.1 Der Ansatz

2.1.1 Entwicklung

Erste Gratifikationsforschungen wurden bereits in den 40er Jahren des 20. Jahrhun- derts betrieben. Berelson stellte beispielsweise schon 1949 die möglichen Gratifika- tionen einer Zeitung fest: Information und Interpretation der Ereignisse sowie Hilfe im täglichen Leben, zum Beispiel für soziale Kontakte und soziales Prestige.44 Einen wichtigen Schritt zur Entwicklung der Gratifikationsforschung gelang Herta Herzog im Jahr 1940, indem sie die Motive von Hausfrauen, Radio zu hören, unter- suchte.45 Hierbei fanden die Rezipienten durch die Nutzung des Massenmediums eine Kompensation ihrer nichterfüllten Wünsche und Träume, den Ausgleich der ei- genen Situation durch Identifikation mit besser wirkenden Lebensstilen, die Möglich- keit, eigenes Versagen auf die Figuren dieser Handlung zu projizieren sowie Ratschläge zur besseren Ausübung ihrer täglichen Rolle. Herzog beschrieb in ihrer Untersuchung das Prinzip der „eskapistischen Mediennutzung“.

Rund zwanzig Jahre später wurde das „Escape“-Konzept von Katz und Foulkes noch weiter beschrieben:46 Die tägliche Rollenausübung in der Industriegesellschaft löst Spannungen und Deprivationen47 aus, die die Menschen zu starkem Medien- konsum eskapistischen Inhalts verleitet. Somit entstehen psychologische Prozesse wie beispielsweise die Identifikation mit einem Darsteller. Dadurch erlangen die Re- zipienten kompensatorische Gratifikationen, die unter Umständen zur „Narkotisie- rung von anderen Rollenverpflichtungen“48 führen können wie zum Beispiel die Staatsbürgerschaft.

Typische eskapistische Inhalte haben dabei folgende Merkmale: Sie laden die Zuschauer ein, ihre wirklichen Probleme zu vergessen und sich passiv zu entspannen. Sie lösen Emotionen aus, lenken von den Regeln und Normen der Realität ab und bieten zusätzlich noch Vergnügen und stellvertretende Erfüllung von Wünschen. Eskapistische Inhalte können somit auch als Realitätsverzerrung bezeichnet werden, in der die Träume und Wünsche des Publikums bedient werden.49

Realitätsorientierte Inhalte hingegen machen den Rezipienten auf die Probleme der Realität aufmerksam, appellieren an seine Aktivität und Wachsamkeit, regen zum Denken an, stellen realistische Situationen dar und bieten Einsicht in Probleme.50

2.1.2 Grundannahmen

In den 70er Jahren formulierte Elihu Katz folgende Hypothesen als Grundannahmen der Uses-and-Gratifications-Forschung:51 Das Publikum ist aktiv und hat bestimmte Erwartungen an die Massenmedien. Die Medienrezeption dient der Bedürfnisbefrie- digung des Rezipienten. Diese sind in der Lage, ihre Bedürfnisse und Motivationen zu äußern, zumindest müssen sie sie erkennen, wenn sie bei einer Befragung damit konfrontiert werden.

Die Gratifikationsforschung beschäftigt sich mit den sozialen und psychologischen Ursprüngen von Bedürfnissen, die Erwartungen an die Massenmedien oder andere (nicht-mediale) Quellen stellen. Daraus resultieren verschiedene Muster der Medi- enzuwendung, deren Konsequenzen die Bedürfnisgratifikation oder andere Resulta- te sind.52

Abbildung 1: Elemente des Nutzen- und Belohnungsansatzes

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schenk (2002), S. 632

Mittlerweile haben sich innerhalb der Gratifikationsforschung verschiedene Forschungsrichtungen entwickelt, deren Anzahl sich allerdings je nach Autor unterscheiden.53 Da diese jedoch für die vorliegende Arbeit keine Rolle spielen, wird im Folgenden nicht näher darauf eingegangen.

2.1.3 Kritik

Der Uses-and-Gratifications-Approach ist ein umstrittener Ansatz. Vor allem im theoretischen Bereich werden Mängel gesehen: Es sei eher eine Forschungsstrate- gie als eine Theorie. Das Fehlen eines eindeutigen theoretischen Konzeptes räu- men auch die Forscher und Begründer des Ansatzes Jay G. Blumler und Elihu Katz ein: „The lack of a uses and gratifications theory as such could be regarded as a source of weakness.“54 Allerdings wird eine Anbindung an einige soziologische und psychologische Theorien für möglich gehalten. Auch das Eskapismus-Modell steht unter Kritik, da eskapistische Mediennutzung nicht nur bei mangelnder sozialer Inte- gration auftreten kann, sondern auch in Gruppen, bei denen eine bestimmte Medi- ennutzung zur Norm wird.55

Der Hauptkritikpunkt an der Gratifikationsforschung ist allerdings die starke Orientie- rung am Individuum, da die übergeordneten sozialen Strukturen weitestgehend aus- geklammert bleiben.56 Dieser Kritik kann in dieser Arbeit allerdings teilweise begeg- net werden.57

2.2 Empirische Forschung

2.2.1 Entwicklung von Typologien zu Mediennutzungsmotiven

Die Messung der Gratifikationen stellt sich bislang als außerordentlich problematisch dar. Die Forscher sind darauf angewiesen, dass sich die Rezipienten ihrer eigenen Motive der Mediennutzung bewusst sind und diese auf Fragen hin äußern können. In der empirischen Forschung gibt es drei prinzipielle Strategien, um die Motive der Mediennutzung zu messen.58

1. Die Inferenzmethode: Es wird versucht, die Motive durch die Messung ande- rer Variablen abzuleiten.
2. Manipulation der Bed ü rfnisse im Labor: Die Versuchspersonen geben über ihre Bedürfnisse bezüglich verschiedener Kommunikationsinhalte Auskunft.
3. Der Selbstbericht: Die Motivationen der Mediennutzung werden von den Pro- banden genannt. In offenen Fragen werden die Teilnehmer nach den Grün- den der Mediennutzung gefragt (z.B. „Warum lesen Sie...?“). In geschlosse- nen Fragen können die Probanden auf Listen mit verschiedenen Bedürfnis- sen ihre Gratifikationen „wiedererkennen“ und ankreuzen.

Bei der letztgenannte Methode ist die Gefahr allerdings groß, dass die Teilnehmer nach Kriterien der „sozialen Erwünschtheit“ antworten.59 Die Gratifikationsitems60, die in verschiedenen Studien zur Kategorisierung genutzt werden, unterscheiden sich in Art und Zahl erheblich. Allerdings decken alle die wesentlichen Motive der Medienzuwendung im präkommunikativen, kommunikativen und postkommunikati- ven Bereich ab.

Tabelle 1: Motive der Medienzuwendung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schenk (2002), S. 642

Greenberg hat beispielsweise in den 70er Jahren eine Studie über die Nutzung des Fernsehens erstellt. Dabei geht er von acht Motivationsdimensionen aus: Entspan nung, Geselligkeit, Information, Gewohnheit, Zeitf ü ller, Selbstfindung, Spannung und Eskapismus.61 Die Skala von Greenberg wurde als Modell für die Entwicklung vieler weiterer Skalen im amerikanischen Raum verwendet.

In der Entwicklung der Fragebögen bzw. der Items werden meist qualitative Vorstu- dien wie offene Fragen oder Gruppendiskussionen durchgeführt, um einen Eindruck von der Dimension der Motive zu erlangen.62 Ein bekanntes Beispiel hierfür ist eine Studie von McQuail über die Fernsehnutzung von jungen Briten. Anhand von Vorge- sprächen und unstrukturierten Antworten fand McQuail folgende Typologie an Zu- schauer-Gratifikationen:63

1. Ablenkung/Zeitvertreib: „Escape“ aus der alltäglichen Routine oder von der Last der Probleme, emotionale Befreiung
2. Pers ö nliche Beziehungen: Geselligkeit, soziale Nützlichkeit
3. Pers ö nliche Identität: Persönlicher Bezug, Realitätsexploration, Wertever- stärkung
4. Kontrolle der Umgebung

Unter der ersten Kategorie (Ablenkung/Zeitvertreib) versteht McQuail die Flucht aus dem Alltag und deren Probleme sowie die emotionale Befreiung. Die zweite Katego- rie (Pers ö nliche Beziehungen) charakterisiert die „persönliche Beziehung“ des Rezi- pienten zu dem Showmaster (Geselligkeitskategorie) sowie den sozialen Nutzen, in- dem der Rezipient mit dem neuen Wissen an Konversationen mit wirklichen Perso- nen in der Umgebung teilnehmen kann. Unter die dritte Kategorie (Pers ö nliche Identität) fällt der persönliche Bezug des Rezipienten aus seinem eigenen Leben zu dem Programm. Des Weiteren versteht McQuail unter Realitätsexploration, dass sich der Rezipient über bestimmte Probleme, die ihm selbst begegnet sind, und die im Programm aufgegriffen werden, Gedanken machen kann. Zusätzlich wird er sich tendenziell eher Programmen zuwenden, die die Werte, an die er glaubt, verstärken. In der vierten Kategorie (Kontrolle der Umgebung) ist das Bedürfnis der Menschen beschrieben, Informationen über die Welt zu besitzen.

2.2.2 Ergebnisse von Inter-Media-Vergleichen

Vor allem in den 70er Jahren wurde der Fokus der Gratifikationsforschung auf den Vergleich zwischen den verschiedenen Medien gerichtet. Dabei erstellten Katz et al. eine richtungsweisende Studie über die Bedürfnisse und Mediennutzungsgewohnheiten der Bevölkerung in Israel. Es wurde untersucht, inwieweit die einzelnen Medien zur Erfüllung von Bedürfnissen beitragen, die zuvor in verschiedene Interessensbereiche eingeordnet wurden:64

1. Kognitiver Bereich: Information, Wissen
2. Affektiver Bereich: Emotionale Erfahrungen, Unterhaltung
3. Integration: Glaubwürdigkeit, Vertrauen in den Staat
4. Interaktiver Bereich: Kontakt zur Umwelt

Zusätzlich zu dieser Kategorisierung wurde unterschieden, auf welche personalen und sozialen Systeme (Familie, Freunde, Gesellschaft, Welt) sich das Bedürfnis bezog und inwieweit das Medium dieses Bedürfnis bestärkt oder abschwächt. Das Ergebnis der Untersuchung zeigte deutlich, dass die Funktionen der Massenmedien hauptsächlich auf der kognitiven und der integrativen Ebene liegen. Dabei wird die Bedeutung der Medien für jeden Einzelnen umso wichtiger, „je größer die räumliche und soziale Distanz zu einem Bezugssystem ist“65. Auf dem Informationssektor stellt die (Tages-)Zeitung das wichtigste Medium dar.66

Eine Studie von Infratest im Auftrag der KtK67 kam zu dem Ergebnis, dass die Beur- teilung der Massenmedien im Wesentlichen von der Beurteilung der Informations- leistung abhängt. Dabei wird nicht nur die Tageszeitung als ein leicht erreichbarer aktueller Informationsträger empfunden, sondern auch der Rundfunk.68 Es ist auffällig, dass sich die meisten Forschungen auf die Motivation zur Fernseh- nutzung beziehen. Zahlen aus dem Jahr 1997 belegen, dass mehr als zwei Drittel aller zu diesem Zeitpunkt publizierten Studien das Fernsehen betrafen.69 An zweiter Stelle rangiert die Beschäftigung mit Hörfunkrezipienten. Der Anteil der Untersu- chungen über Printmedien bewegt sich lediglich zwischen 11 und 17 Prozent.70 Aus diesem Grund wird der bisherige Forschungsstand von Wissenschaftlern noch nicht als befriedigend bezeichnet.71

2.2.3 Zusammenfassung

Die Dimensionen der Gratifikationsleistungen unterscheiden sich je nach Wissen- schaftler erheblich. Während Katz et al. die Gratifikationen in kognitive, integrative, affektive und interaktive Bed ü rfnisse unterteilten, gelangten McQuail et al. zu den vier Dimensionen Ablenkung, pers ö nliche Beziehungen, pers ö nliche Identität und Kontrolle der Umgebung. Greenberg fand insgesamt acht Dimensionen: Entspan- nung, Geselligkeit, Information, Gewohnheit, Zeitf ü ller, Selbstfindung, Spannung und Eskapismus.

Die meisten empirischen Untersuchungen haben sich darauf beschränkt, Motivkata- loge zu erarbeiten und zu überprüfen, inwieweit der Rezipient die einzelnen Motive zur Mediennutzung heranzieht. Dass dabei die psychologischen und sozialen Ur- sprünge der Bedürfnisse und Motive ausgeblendet bleiben, wird von manchen Wis- senschaftlern kritisiert.

2.3 Übertragbarkeit auf die vorliegende Studie

Der Uses-and-Gratifications-Approach ist, wie unter Punkt 2.1.3 beschrieben, ein umstrittener Ansatz, da nach verbreiteter Meinung ein theoretisches Gesamtkonzept fehlt. Trotzdem wird dieser Ansatz für die vorliegende Studie als sinnvoll angese- hen, weil er als wissenschaftliche Grundlage zur Lösung der Forschungsfrage als das geeignetste Instrument erscheint. Er lenkt den Fokus auf die Bedürfnisse der Menschen, die zu einer Medienzuwendung führen. Indem die einzelnen Gratifikatio nen untersucht werden, kann ein Rückschluss darauf gezogen werden, welche Moti- ve die Leser der Brasil Post dazu bewegen, die Zeitung zu lesen und zu kaufen. Vor allem aber kann in dieser Arbeit dem Hauptkritikpunkt - das Ausklammern der übergeordneten sozialen Strukturen - zumindest teilweise entgegengesetzt werden. Sicherlich findet allein durch die Leserumfrage eine starke Orientierung am Individu- um statt, allerdings spielen bei einer deutschsprachigen Auslandszeitung mit ihren deutschen oder deutschstämmigen Lesern gerade die sozialen Umstände eine wichtige Rolle, da sie ein Grund für die Medienzuwendung sein können. Sie werden deshalb im Rahmen der Untersuchung thematisiert und analysiert. Wie bereits erläutert hat sich die Gratifikationsforschung bislang hauptsächlich mit den Motiven der Rezipienten zur Fernsehnutzung beschäftigt. Somit ist eine Über- tragung der Gratifikationsitems auf die Bedürfnisse und Motive der Leser einer deutschsprachigen Auslandszeitung nicht vollständig möglich. Als sinnvollster Grati- fikationskatalog für die vorliegende Studie erscheint die Typologisierung von Mc- Quail, da die Übereinstimmung mit den möglichen Bedürfnissen der Brasil Post - Le- ser am höchsten ist.

2.4 Der Bedürfniskatalog für die Untersuchung der Brasil Post

Für die Entwicklung der Gratifikationsdimensionen werden außer dem von McQuail entwickelten Motivkatalog auch noch Studien über andere deutschsprachige Aus- landszeitungen hinzugezogen. Diese haben sich zwar - wie im Abschnitt 1.3 bereits erläutert - nicht ausdrücklich mit den Nutzungsmotiven beschäftigt, sondern vielfach nur mit den „Funktionen“ einer Zeitung, aber da diese mit den Motiven der Leser de- ckungsgleich sein können, werden sie in der Ausarbeitung des Motivationskatalogs berücksichtigt.72

Zu den geläufigen und am häufigsten genannten Funktionen der deutschsprachigen Auslandspresse gehören: Information und Service, Vermittlung der deutschen Spra- che, Verbindung zur Heimat, Unterhaltung, Identität und Erhalt deutscher Traditio- nen sowie Zusammenhalt der Volksgruppe und Meinungsplattform.73 Die Gratifikationsdimensionen von McQuail sind in der ursprünglichen Version: Ab- lenkung/Zeitvertreib, Pers ö nliche Beziehungen, Pers ö nliche Identität und Kontrolle der Umgebung. In dieser Arbeit wird das Gratifikationsitem Kontrolle der Umgebung jedoch durch Information ersetzt. Des weiteren wird der Bedürfniskatalog durch das bei deutschsprachigen Auslandszeitungen spezifische Bedürfnis Lernen ergänzt.74 Alle Untersuchungsinhalte der einzelnen Bedürfnisse werden auf den Untersuchungsgegenstand angepasst. Somit ergibt sich für die vorliegende Untersuchung folgender Bedürfniskatalog:

1. Ablenkung und Zeitvertreib
2. Information
3. Pers ö nliche Beziehungen
4. Pers ö nliche Identität
5. Lernen

Die Untersuchung zu der Gratifikation Ablenkung und Zeitvertreib soll überprüfen, inwieweit Spaß und Entspannung sowie die Flucht („Escape“) aus der täglichen Routine für die Leser der Brasil Post ein Nutzungsmotiv darstellen. In diesem Zu- sammenhang wird auch die Frage nach der Gewohnheit gestellt. Bei dem Bedürfnis Information gilt es herauszufinden, welche Bedeutung die Infor- mationsleistung der Brasil Post im Vergleich zu anderen Medien hat. Auch ist wich- tig, welche Art der Informationen die Leser interessiert. Zusätzlich soll analysiert werden, welche Rolle das Internet als Informationsdienstleister spielt und ob das Le- sen einer deutschsprachigen Zeitung im Internet eine Alternative darstellten würde. Der dritte Abschnitt (Pers ö nliche Beziehungen) untersucht die persönlichen Bezie- hungen des Lesers zur Basil Post, ob er einen sozialen Nutzen aus der Gemein- samkeit „Ich lese auch die Brasil Post “ ziehen kann, ob die Zeitung als Meinungs- plattform dient und ob sie zum Zusammenhalt der Volksgruppe oder zum Erhalt der Traditionen beiträgt.

Das Bedürfnis Pers ö nliche Identität stellt die Frage nach der eigenen Identifikation und Integration der Rezipienten in Brasilien und nach der Brückenfunktion der Brasil Post als Bindeglied zwischen Deutschland und Brasilien. Des Weiteren soll überprüft werden, inwieweit die Leser ihre eigenen Wertvorstellungen und ihre Alltagsprobleme in der Brasil Post wiederfinden.

Zuletzt steht das Bedürfnis nach Lernen beziehungsweise die Rolle und Bedeutung der deutschen Sprache in der Brasil Post im Vordergrund.

Tabelle 2: Bedürfniskatalog als mögliche Nutzungsmotive der Brasil Post -Leser

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Zusammenstellung

3 Untersuchungsgegenstand

3.1 Brasilien

Brasilien ist mit einer Fläche von 8,5 Millionen Quadratkilometern und einer Einwohnerzahl von 186 Millionen Menschen der fünftgrößte Staat der Welt. Er nimmt knapp 50 Prozent des südamerikanischen Kontinents ein und ist das einzige portugiesischsprachige Land Lateinamerikas.75 Die regionale Verteilung der Bevölkerung ist sehr ungleich. Drei Viertel der Gesamtbevölkerung lebt auf zehn Prozent der Fläche, mehr als 40 Prozent leben im Südosten des Landes.76

Brasilien ist von enormen Gegensätzen sozialer und regionaler Art geprägt. Im Sü- den gibt es technischen und wirtschaftlichen Fortschritt und somit vergleichsweise moderne Wirtschaftsstrukturen. Im Norden und Nordosten hingegen sind Armut und Unterentwicklung stark ausgeprägt. 18 Prozent der Brasilianer leben an oder unter der Armutsgrenze. Diese starken Kontraste führen zu großen sozialen Problemen wie Kriminalität und Drogen.77

Die brasilianische Bevölkerung stammt im Wesentlichen von drei Ethnien ab: Den indianischen Ureinwohnern, den eingewanderten Europäern (zumeist Portugiesen) und den Afrikanern (überwiegend aus den westlichen Küstengebieten südlich der Sahara). Brasilianer sind zu 85 Prozent römisch-katholisch und zu elf Prozent protestantisch. 60 Prozent der Brasilianer sind unter 30 Jahre alt.78

Wirtschaftlich gesehen hat sich Brasilien gewaltig verändert. 1970 galt Brasilien noch als Agrarland, da seine Exporte zu 85 Prozent aus Nahrungsmitteln und Vieh bestanden. Im Jahr 2000 sah das Bild schon ganz anders aus: Der Exportanteil an Nahrungsmitteln und Vieh betrug lediglich 17 Prozent, es überwogen Maschinen und Transportmittel mit 28 Prozent und Grundstoffe mit 20 Prozent.79 Heute gilt Bra- silien nicht mehr als Dritte-Welt-Land, sondern als Schwellenland mit positiven Zu- kunftsaussichten. Die vier wichtigsten Handelspartner sind die USA, Argentinien, China und Deutschland.80

Die deutschsprechende Bevölkerung in Brasilien lebt fast ausschließlich in den süd- lichen Staaten Rio Grande do Sul, Santa Catarina, Paraná, São Paulo und Espírito Santo.81 Allein in São Paulo leben rund 400.000 Deutschsprachige oder Deutsch stämmige.82 Die Gesamtzahl der ganz oder teilweise Deutschstämmigen beträgt je nach Quellenangabe zwischen zweieinhalb und fünf Millionen Menschen.83 Die Zahl der Deutschsprechenden wurde im Jahr 1979 auf zwei Millionen geschätzt84, wobei die heutige Zahl erheblich niedriger sein dürfte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Brasilien mit seinen Bundesstaaten

Quelle: www.brasilien.know-library.net

[...]


1 Deutschland, Österreich und Schweiz

2 Tages- oder Wochenzeitungen, Kirchenblätter, Publikationen von Wirtschaftskammern, Schülerzei- tungen etc.

3 Siehe Globus 4/2005, S. 9

4 A.a.O.

5 Vgl. N.N. (2003), S. 56

6 Hartwig (2001), S. 119

7 Gehse (1931), S. 13 - 14 sowie Hartwig (2001), S. 120

8 Beispiel: Das Bulgarische Wirtschaftsblatt in Sofia

9 Beispiel: der Aufbau in New York für deutschsprachige Juden in den USA

10 Vgl. Akstinat (1999), S. 11 f.

11 Hartwig (2001), S. 119

12 Globus 4/2005, S. 9

13 Bergmann (1994), S. 12

14 Arndt/Olson (1973), S. 98

15 Im Internet sowie in Büchern liegen nur sehr veraltete Auskünfte vor. Die Redaktion selber verweigert Auskünfte. Mehr Informationen über die Deutsche Zeitung im Abschnitt 3.2.

16 Stausberg (1999), S. 4

17 Hasebrink/Rössler (1999), S. 7

18 Vgl. Fruk (2005), S. 515

19 Vornehmlich Mittel- und Osteuropa

20 Vornehmlich Urlaubsgebiete im südlichen Europa und der Türkei

21 Siehe u.a.: Firsching (2005), Ifa dokumente (2004), Olhausen (2005), Frick (1995)

22 Vlg. bspw.: Zigon (2004)

23 Vgl. Deutschtum im Ausland (1938)

24 Vgl. hierzu: Nordblom (2000), Schirp (2001).

25 Groth (1996).

26 Steinitz (1989)

27 So war Kerstin Schirp (Schirp 2001) zwei Jahre lang bei der Semanario Israelita tätig. Hans Steinitz (Steinitz 1989) war Chefredakteur bei dem Aufbau und Hendrik Groth (Groth 1996) hat sein Volontariat bei dem Argentinischen Tagblatt absolviert.

28 Vgl. bspw. Hartwig (2001)

29 Vgl. Arndt/Olson (1973), S. 98 sowie von Steinburg (1994), S. 8

30 Gehse (1931)

31 Siehe von Steinburg (1994)

32 Siehe bspw.: Sittig (2003), Zihn (2002), Eißer (2004), Kaufmann (2003)

33 Böhm (2004)

34 Vgl. Abschnitt 2.1.2 (Grundannahmen)

35 Schenk (2002), S. 605

36 Maletzke (1998), S. 105

37 Vgl. Schenk (2002), S. 605f. sowie Jäckel (2005), S. 70f.

38 Schenk (2002), S. 606

39 Rose (1973), S. 264-282

40 Schenk (2002), S. 607

41 Auch Nutzen- und Belohnungsansatz genannt

42 Siehe Schenk (2002), S. 625f.

43 Rubin (1984), S. 67-77

44 Berelson (1949), S. 111-129

45 Herzog (1940), S. 64-93

46 Vgl. Katz/Foulkes (1962), S. 377-388

47 Entzug von etwas Unterwünschtem

48 Zitiert nach Schenk (2002), S. 628

49 Schenk (2002), S. 629

50 Schenk (2002), S. 629

51 Vgl. Blumler/Katz (1974)

52 Ebd.

53 Merten sieht zwei ausdifferenzierte inhärente Forschungsrichtungen während Rubin von sechs ver- schiedenen Forschungsrichtungen spricht. Vgl. Merten/Giegler/Uhr (1992), S. 82; sowie Rubin (2000), S. 137 - 152, bes. S. 140 f.

54 Blumler/Katz (1974), S. 15

55 Schenk (2002), S. 630-634

56 Ebd.

57 Näheres dazu im Kapitel 2.3 (Übertragbarkeit auf die vorliegende Untersuchung)

58 Schenk (2002), S. 641 f.

59 Vgl. Messaris (1977), S. 320 ff.

60 Motive zur Medienzuwendung

61 Greenberg (1974), S. 71-92

62 Schenk (2002), S. 644

63 Vgl. McQuail/Blumler/Brown (1972), S. 135 - 165

64 Schenk (2002), S. 650 ff.

65 Zitiert nach Schenk (2002), S. 651

66 Der Grund dafür könnte allerdings sein, dass zum Erhebungszeitpunkt das Fernsehen in Israel noch nicht vollkommen institutionalisiert war.

67 Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems

68 Schenk (2002), S. 655 f.

69 Goertz (1997), S. 19

70 Studien über Zeitschriften: 11 Prozent; Bücher: 14 Prozent; Tageszeitungen: 17 Prozent.

71 Schenk (2002), S. 684

72 Zum Beispiel ist eine Funktion einer deutschsprachigen Auslandszeitung „Bindeglied zwischen dem deutschen Sprachraum und den fremdsprachigen Ländern“. Diese „Brückenfunktion“ kann auch ein Motiv der Leser zur Medienrezeption sein.

73 Vgl. u.a. Sittig (2003), S. 127 ff., Kaufmann (2003), S. 16 ff., Eißer (2004), S. 32 ff., Akstinat (1999), S. 11

74 Das Bedürfnis Lernen bezieht sich insbesondere auf den Sprachlerneffekt.

75 www.wikipedia.de, zugegriffen am 05.06.2007

76 Kohlhepp (2003), S. 20

77 www.auswaertigesamt.de, zugegriffen am 08.06.2007

78 www.brasilianische-botschaft.de, zugegriffen am 08.06.2007

79 Vgl. Kohlhepp (2003), S. 43

80 Angaben von Creditreform Dresden vom 08.09.2006 auf www.admin.crefoinfo.de, zugegriffen am

08.06.2007

81 Vgl. Oberacker (1997), S. 169 sowie Bergmann (1994), S. 223

82 Hörl (2004), S. 182

83 Siehe Bergmann (1994), S. 221, Oberacker (1979), S. 169 und S. 222, Kohlhepp (2003), S. 20 sowie Brasilianische Botschaft auf www.brasilianische-botschaft.de, zugegriffen am 08.06.2007

84 Oberacker (1979), S. 169

Ende der Leseprobe aus 92 Seiten

Details

Titel
Nutzungsmotive von Lesern deutschsprachiger Zeitungen in Südamerika am Beispiel der Brasil Post
Untertitel
Eine empirische Analyse
Hochschule
Universität Hohenheim
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
92
Katalognummer
V168012
ISBN (eBook)
9783640903108
ISBN (Buch)
9783640902934
Dateigröße
2222 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Südamerika, deutsche Zeitungen, deutschsprachige Gemeinden, deutschsprachige Zeitungen, Brasilien, Argentinisches Tagblatt, Argentinisches Tageblatt, Deutsche Zeitung, Brasil Post, Argentinien, Chile, Paraguay
Arbeit zitieren
Heidrun Lieb (Autor:in), 2007, Nutzungsmotive von Lesern deutschsprachiger Zeitungen in Südamerika am Beispiel der Brasil Post, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168012

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