Weibliche Vampire

Das klassische und das moderne Motiv


Magisterarbeit, 2009

79 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Vorgehensweise
1.2 Kognitive Hermeneutik

2 Die Vampirfigur
2.1 Ursprung und Einflüsse
2.2 Darstellung und Existenzgesetze
2.3 Der weibliche Vampir
2.3.1 in der Literatur
2.3.2 im Film

3 Sheridan Le Fanu: Carmilla
3.1 Basis-Analyse
3.1.1 Kurzdarstellung
3.1.2 Textwelt
3.1.3 Carmilla
3.1.4 Carmillas Opfer
3.2 Basis-Interpretation
3.2.1 Hypothese über das Textkonzept
3.2.2 Hypothese über das Literaturprogramm
3.2.3 Überzeugungssystem
3.3 Verfilmung
3.3.1 Kurzdarstellung
3.3.2 Carmilla und ihre Opfer

4 John A. Lindqvist: So finster die Nacht
4.1 Basis-Analyse
4.1.1 Kurzdarstellung
4.1.2 Textwelt
4.1.3 Eli
4.1.4 Oskar
4.2 Basis-Interpretation
4.2.1 Hypothese über das Textkonzept
4.2.2 Hypothese über das Literaturprogramm
4.2.3 Das Überzeugungssystem
4.3 Verfilmung
4.3.1 Kurzdarstellung
4.3.2 Eli und Oskar
4.3.3 Basis-Interpretation

5 Vergleich der weiblichen Vampire 1872 und 2004

6 Resümee

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Wenn Liebe dich unsterblich macht, wie lange willst du leben?“1

Dies ist einer der Sätze, der die Kinoplakate des unlängst erschienenen Vampirfilms Twilight - Bis(s) zum Morgengrauen zieren und schon damit auf den Gehalt der leichten Teenie-Kost verweisen. Und tatsächlich - die Vampire sind wieder einmal zurückgekehrt.

Den unappetitlichen Leichengeruch und das raubtierhafte Schwelgen im Opferblut hatten sie schon lange hinter sich gelassen, waren inzwischen geadelt und hatten sich überhaupt (und nicht nur optisch) ihrer Beute immer mehr angeglichen. So wurden über Jahrhunderte aus Schreckgespenstern vermeintliche Seelenverwandte. In Twilight, der 2008 einen erneuten Vampir-Boom in sämtlichen Medien ausgelöst hat, liegt immer noch Schrecken im Vampirdasein, aber gleichzeitig erzählt die Autorin Stephanie Meyer eine Liebesgeschichte, die in ihrer „Sie-konnten-zusammen-nicht-kommen-Thematik“ ihresgleichen sucht. Der Vampir „Adam“ wird vor allem aufgrund seines Vampirdaseins zum Helden, zum Idol, zum Liebesobjekt vieler junger Mädchen. Ein beinahe schon hysterischer Hype, den man so vermutlich noch nie bei einem Vampirbuch, bzw. -film erlebt hat, und der wahrscheinlich nur annähernd mit dem 1991 erschienenen Interview mit einem Vampir verglichen werden kann. Seit damals war es ruhig, rund um das Genre, das schon in der Vergangenheit immer wieder, vor allem in gesellschaftlichen Krisenzeiten an Interesse gewonnen hat und jetzt erneut mit einer Vampir-Variante aufwartet, die es so noch nicht gegeben hat.

Dass der Vampir, obwohl er doch bereits endlos oft gepfählt, verbrannt oder geköpft worden ist, wieder seinem Grab entsteigt und auf seine Leser, Zuschauer und Opfer jedes Mal noch ein bisschen anziehender wirkt als zuvor, liegt sicherlich an seiner Wandlungsfähigkeit. Wenngleich sich manche Merkmale des Vampirs ein wenig verändern, bleibt doch das Prinzipielle bestehen und bildet ein Gerüst, welches immer wieder mit neuem Inhalt gefüllt werden kann. 1991 ist es zum Beispiel der philosophierende Vampir Luis, der sich von Selbstzweifeln und „No-Future-Depressionen“ gequält in die Herzen der Rezipienten kämpft. Heute ist es ein Teenieidol, der sein menschliches Gegenstück in Twilight von Herzen liebt - leider entweder ausschließlich platonisch oder aber für immer vampirisch. Dies bildet wahrscheinlich den Reiz für eine übersexualisierte Gesellschaft, die plötzlich die Vorteile der Promiskuität vorgelebt bekommt. Nebenbei entsprechen beide Hauptdarsteller den gängigen Schönheitsidealen der jeweiligen Zeitspanne und den Sehnsüchten, des in erster Linie weiblichen Publikums.

Vielleicht ist es aus diesem Grunde vergleichsweise schwierig, vor allem in jüngerer Vergangenheit einen Film zu finden, in dessen Zentrum ein weiblicher Vampir steht. Die Vampirin stellt in der Tat eine Besonderheit des gesamten - auch des Literatur-Genres dar; sind es doch traditionell die männlichen Vampire, die bedrohen und verführen, wohingegen die weiblichen Blutsauger höchstens Gefährtinnen, Gespielinnen oder Dienerinnen ihrer potenten Anführer sind. Eventuell liegt das an der, der Vampirin innewohnenden Diskrepanz zwischen den erwarteten geschlechtsspezifischen Eigenschaften der Frau einerseits und der animalisch-männlichen Dominanz der Vampirgestalt andererseits, die hier zu einer ungewohnten Einheit verschmelzen.

Trotzdem gibt es sie, die weibliche Hauptfigur in der Vampir-Literatur und gerade weil sie eine Randerscheinung darstellt, soll sie Gegenstand dieser Arbeit sein. An zwei Beispielen der Vampirliteratur, zwischen deren Publikationen 137 Jahre liegen, soll die Funktion der Symbolik des weiblichen Vampirs dargestellt und bewiesen werden. Untersucht werden weiterhin die unterschiedlichen Verwendungen der Vampirsymbolik, um kulturell-epochale Probleme der Geschlechterrollen zu beschreiben und herauszuarbeiten ob, und welche spezifischen Themen, in der weiblichen Blutsauger-Figur implizit und explizit verborgen werden.

1.1 Vorgehensweise

Um auf den Sonderstatus des weiblichen Vampirs in Literatur und Film eingehen zu können, soll zunächst der Ursprung bzw. die vielen kulturell unterschiedlichen Einflüsse, welche die prominente Vampirfigur bedingen, kurz beleuchtet werden. Eben diese mannigfaltigen Vorstellungen sind es, die den Vampir wie wir ihn heute kennen geprägt haben. Doch was ist ein Vampir? Welche Eigenschaften und Fähigkeiten machen die Vampirfigur aus? Auf welche Weise wird sie dargestellt? Diesen Fragen widmet sich zunächst eine knappe Zusammenfassung verschiedener Ursprungstheorien und Existenzgesetzen, der anschließend eine Einsicht in die Literatur und den Film über weibliche Vampire folgt. Diese soll den Überblick über Figur und Genre vervollständigen und so Hintergrundinformationen für die darauf folgenden Ausführungen vermitteln. Damit herausgestellt werden kann, dass sogar Vampirtexte, zwischen deren Entstehung große Zeitspannen und damit auch Entwicklungen liegen, nicht nur Unterschiede, sondern auch viele Gemeinsamkeiten aufweisen, wurden folgende Texte ausgewählt: Die 1872 verfasste Novelle Carmilla von Sheridan Le Fanu und der Roman So finster die Nacht von John Ajvide Lindqvist aus dem Jahre 2007. Sowohl die Texte, als auch jeweils eine Verfilmung, werden nach der von Peter Tepe entwickelten Methode der kognitiven Hermeneutik2 interpretiert und in Beziehung gesetzt.

1.2 Kognitive Hermeneutik

Die kognitive Hermeneutik geht von der Annahme aus, dass sich in Arbeiten von Autoren, wie auch anderen „Schaffenden“, deren gesamtheitliche Weltanschauungen niederschlagen. Diese Phänomene können erklärt und mit Sicht auf z. B. den Autor interpretiert und abgeleitet werden. Diese auf einen Erkenntnisgewinn zielende Methode, möchte erörtern, wie z.B. ein Text beschaffen, warum ein Text derart beschaffen ist und welches Überzeugungssystem diesem zu Grunde liegt. Zu diesem Zweck werden zunächst eine Basis-Analyse und eine Basis-Interpretation des Textes vorgenommen. Die Basis-Analyse setzt sich mit der Beschaffenheit des Textes auseinander, während die Basis-Interpretation versucht, die vorliegende Beschaffenheit zu erklären. Die Frage warum ein Text ist wie er ist lässt sich natürlich nur anhand der Miteinbeziehung des Autors und seiner Intention beantworten. Hierbei spielt aber weniger die bewusste Absicht, sondern vielmehr die den Autor prägenden Instanzen eine entscheidende Rolle, die bewusst, aber auch unbewusst in das Werk mit einfließen. Ein Textkonzept und das Literaturprogramm sowie das Überzeugungssystem eines Autors ermöglichen die wissenschaftliche Erschließung eines Textes, oder auch wie in dieser Arbeit angewendet, eines Films.

2 Die Vampirfigur

Im modernen Leben sind sie schon längst auch bei Tageslicht anzutreffen: Vampire, die als „transsilvanische Trivialitäten“3 die Blutsauger für den Alltagsgebrauch tauglich machen. Es gibt Staubsauger die den Produktnamen Vampyr4 tragen und Thomas Gottschalk versuchte auch schon die Bunten Vampire von Haribo während eines „Betriebsfests bei Dracula“ unter das TV- Volk zu bringen.5 In der Sesamstrasse ist es Count Dracula, der schon den Kleinsten das Zählen beibringt, und später sind es, unter vielen anderen, Der kleine Vampir oder Graf Duckula, welche die Vampirfigur zum allseits und von allen Alterstufen gekannten und geliebten Kosmopoliten machen. Jeder erkennt und kennt also zum]indest die Figur fast überall auf dem Globus, was Spots, Filme, Bücher, Merchandising-Artikel und die zigfache Nutzung des Vampirs, auch als ironische oder satirische Metapher beweisen. Woraus sie aber entstand, wie genau sie sich zusammensetzt, wie mannigfaltig sie verwandt wurde und wird, und wie sich das auf die literarische und filmische Produktion, speziell weibliche Vampire betreffend auswirkte, soll im Folgenden dargestellt werden.

2.1 Ursprung und Einflüsse

Den genauen Ursprung der Vampirfigur, geschweige denn den Beginn des Mythos kennt die Forschung nicht. Auch wenn es viele Möglichkeiten und Ideen, sogar vermeintliche Beweise für die eine oder andere Theorie zu geben scheint, so bleibt der Vampir doch ein Geschöpf, dass sich aus multikulturellen Komponenten zusammensetzt, die sich durch die Jahrhunderte hindurch zu unserer heutigen Vorstellung sublimiert haben.

Fraglos lassen sich aber die Grundzüge des Vampirismus „zunächst einmal in der archaischen Vorstellung vom Blut als lebensspendende Kraft“6 finden und damit Spuren in den frühen Hochkulturen, die den Göttern rituell Blut opferten. Einige Vampir-Fachleute datieren den Zeitpunkt der Geburt des Vampir-Mythos [...] auf etwa 3000 Jahre vor Christus und lokalisieren den Ursprung dieser Legende im Indus-Tal.“7 In Indien ist es vor allem die schwarze G ö ttin Kali, die von ihren Anhängern mit Menschenblut ernährt und beschwichtigt wird.8 Andere Spuren finden sich in Ägypten, dem vorderen Orient oder Babylon, aber auch in Japan und China. Auch der afrikanische Kontinent kannte Ahnen, Vorfahren und Verwandte des heutigen Vampirs, und zwar bereits weit vor Christi Geburt.9 Immer handelte es sich dabei um Götter, Dämonen oder Verdammte und allen war der unstillbare Durst nach Blut, die damit einhergehende Nähe zum Tod und der Schrecken, den sie dadurch verbreiteten, gemein. Sehr häufig ist das geopferte oder gestohlene Blut nicht nur Nahrung, sondern auch Überträger der Eigenschaften des Donators, z.B. dessen Stärke oder Jugend, auf den Trinkenden. „Die Vielzahl dieser Überlieferungen wirkte auf das im Entstehen begriffene Abendland ein und verband sich mit den dort heimischen Vorstellungen und dem christlichen Gedankengut zu einer neuen Facette des Vampirmythos“10 Die Gestalten der Antike, die u.a. lediglich Abbildungen auf babylonischer oder syrischer Tonscherben und alte Aufzeichnungen in Sanskrit geblieben waren, gebaren unter diesen Einflüssen neue Schrecken.11 So wurden z.B. aus orientalischen Goulen, die sich von Leichen ernährten, Werwölfe und aus den Striges, den antiken Nachtvögeln, Kinderfressende Hexen - die sich als äußerst reale Bedrohung in den Vernichtungsprozessen und deren Hauptdokument - dem Hexenhammer - finden lassen.12 Man kann also schon allein aufgrund der Vielfalt nicht von einem einheitlichen „Menschheitsglauben“ ausgehen, sondern muss vielmehr vermuten, dass der Vampir ein Geschöpf „slavischer […] Folklore [ist], das sozusagen Karriere gemacht hat“13:

Die ersten menschlichen Vampire tauchten dort auf, wo sich besonders viele verschiedene Kulturen einfanden und mischten - nämlich im Balkangebiet. Bereits ab dem 12. Jahrhundert finden sich zunächst in England und Deutschland Aufzeichnungen über sogenannte Nachzehrer, die als lebendige Leichen Grabbeigaben und mitunter auch sich selbst im Sarg verzehrten und dabei schmatzende Laute von sich gaben - sogar Martin Luther hat diesbezüglich Zeugnisse hinterlassen14. Die Nachzehrer begannen bald Menschen in ihr Grab nachzuholen und avancierten vom unheimlichen Vorkommnis zur realen Bedrohung. Vor allem aus Deutschland gab es Mitte des 14. Jahrhunderts Berichte von wiederkehrenden Toten15 - doch die Schrecken der Zeit ab ca. 1500 waren beinahe konkurrenzlos Hexen und Zauberer, die mit ihrer schwarzen Magie ihr Unwesen trieben und so - beinahe scheint es - die Fortentwicklung des Vampirs behinderten. Erst als diese Bedrohung langsam abgeebbt war, und zwar „ausgerechnet im Zeitalter der Aufklärung[,] begann die Seuche des Vampirismus Europa zu erobern“16. Bereits im ausgehenden 17. Jahrhundert häuften sich die Vorkommnisse in Russland und Polen17, die später im Balkangebiet zu einer regelrechten Vampirepidemie gediehen. Immer wieder entstiegen jüngst Beerdigte ihren Gräbern und suchten die Lebenden heim, die daraufhin ebenfalls starben und ihrerseits wiederkehrten. Aus dieser Zeit der panischen Graböffnungen und Pfählungen, existieren schriftliche Berichte von Ärzten und Militärs, den Zeugen der für die Bevölkerung durchaus faktischen Bedrohung. In diesem Zeitraum lässt sich das Entstehen vieler der heute typischen Vampirmerkmale und -eigenschaften entdecken, auf die aber an späterer Stelle eingegangen werden soll.

Die dunklen Geschöpfe, die sich einst in Gespenstergeschichten und längst vergangenen Mythen verschiedenster Völker18 tummelten, hatten sich im 18. Jahrhundert zum Vampir zusammengesetzt. Tatsächlich entstammt auch der Begriff Vampir aus dem slavischen Sprachraum, wobei die genaue etymologische Herkunft bis dato ungeklärt geblieben ist.19 Während also prominente zeitgenössische Gelehrte wie Michael Ranft, Verfasser des „Tractat von dem Kauen und Schmatzen der Todten in Gräbern“20 oder Augustin Calmet, der „Vom Erscheinen der Geister und denen Vampyren“21 veröffentlichte, dem Vampir außerhalb des Balkans zu einer steilen Konjunktur verhalfen, indem sie nach aufklärerischen Begründungen für das Phänomen suchten; schuf sich die Bevölkerung ihre eigenen abergläubischen Erklärungen, welche die Figur noch immer prägen.

Die gegenwärtige Forschung hat viele Ansätze, welche die Vorkommnisse bzw. deren Interpretation rekapitulierbar machen sollen. Zum einen sind es die religiösen Spannungen innerhalb der multiethnischen Bevölkerung, deren naturnaher Glaubenshabitus sowohl unter den Druck des moslemischen Osmanischen Reichs, als auch unter den des christlichen Habsburgerreichs geriet. Es schien beinahe als kehrte die Natur [...] aus dem Kirchenbann, aus dem Untergrund zurück, als erlösender und erschreckender Exzeß des Gefühls, als Freiheit zu lieben und zu töten, als vermeßbare bewohnbare Erde und als unbewohnbarer unauslotbarer Abgrund22.

Die Vorstellung eines Toten, der wiederkehrt, lässt sich heute unter anderem durch die Substitution fehlender Jenseits- bzw. Sterbeelemente vor allem der aufoktroyierten Religion erklären23. Ohnehin war der Vampirglaube ein für die Kirche recht nützliches Werkzeug. Zusätzliche Exorzismen steigerten die Einnahmen24, Ungläubigen wurde mit den Konsequenzen gedroht und generell sicherte die christliche Kirche gegenüber der Glaubenskonkurrenz einen erheblichen Vorteil25. Nicht ohne Grund lassen sich in den traditionellen Mitteln zur Abwehr eines Vampirs so viele Elemente der christlichen Kirche finden.

Doch natürlich sind diese Glaubensfragen keine Erklärung für die unverwesten, blutverschmierten und häufig weitere Tote nach sich ziehenden Leichen in den geöffneten Gräbern. Faktisch geht man von verschiedenen Seuchen und Krankheiten aus, die diese Symptome verursacht haben könnten - hier seien zum Beispiel die Pest, Tollwut oder der Milzbrand genannt, die tatsächlich im 17. und 18. Jahrhundert wüteten26. Wahrscheinlich trägt auch das zu dieser Zeit häufig vorkommende „Lebendig-begraben-werden“ zum Mythos des erwachenden Toten bei - die teilweise abenteuerlichen Sargkonstruktionen im 19. Jahrhundert, zum Beispiel mit Klingelzug, durch den sich Scheintote „wieder ins Leben zurückmelden konnten“27, zeugen hiervon.

Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts ebbte die Vampirpanik durch die einsetzende Aufklärung nach und nach ab, zumal 1755 der Glaube an Vampire durch einen Erlass der Königin Maria Theresias schlichtweg verboten wurde28. Trotzdem war die Bedrohung durch die Revenants bis in das 20. Jahrhundert nachhaltig, denn „noch 1924 wurde in Transilvanien eine Frau mit fixierenden Hufeisen um die Handgelenke und einem durch das Herz getriebenem Holzpflock begraben“29. Nicht unerwähnt bleiben dürfen auch einige Menschen der Geschichte, die als Vampire von sich reden machten und so das heute bestehende Bild des Blutsaugers prägen. So verdankt der Prototyp des Vampirs, Dracula, seinen Namen einem äußerst grausamen Herrscher, der 1441 geboren wurde und die Walachei bzw. Transsilvanien gegen die Türken verteidigte. Vlad Draculea oder Vlad Tepes, was soviel bedeutet wie der kleine Teufel bzw. der Pfähler erlangte seine Berühmtheit durch die Pfählung tausender seiner Feinde30. Abgesehen von seiner perversen Lust an fließendem Blut, hat er mit dem klassischen Vampir nicht viel gemein, wird aber trotzdem in einigen Büchern und Filmen als der Ur- Vampir dargestellt.

Ähnlich berechtigt oder auch unberechtigt haben andere, meist brutale Mörder und Blutfetischisten, den Ruf ein Vampir gewesen zu sein. Wie zum Beispiel die „Blutgräfin Elisabeth Barthody“31, die mit Hilfe „ihres verkrüppelten Pagen“32 mehrere hundert Mädchen folterte und tötete, oder auch der Diktator Nicolae Ceausescu, von seinem Volk „Draculescu“ genannt, der sich mehrmals pro Woche „gereinigtes Säuglingsblut“ transfundieren ließ, um sich so seine Jugend zu erhalten33.

Einmal abgesehen von ihren realen Vertretern wurden die Vampire „für die Literatur [...] erst wichtig zu einer Zeit, in der sie für die Philosophie und Theologie längst indiskutabel geworden waren“34. So ist Heinrich August Ossenfelder mutmaßlich der erste Literat, der sich in Form des Gedichts Der Vampir bereits 1748 dem Thema gewidmet hat35 und ist dies auch ein halbes Jahrhundert, bis zu Goethes Braut von Korinth, geblieben. Da das Zeitalter der Aufklärung und die somit vorherrschende rationalistische Geisteshaltung die Auseinandersetzung mit einer derart abergläubischen und unerklärbaren Thematik nichts anzufangen wusste, sollte es noch bis zum Jahre 1816 dauern, bis im Dunstkreis Lord Byrons zwei der wohl bedeutendsten Vampirerzählungen entstanden. Ein Fragment von Lord Byron, der mit seiner Darstellung den „Siegeszug des männlichen Vampirs“36 einleitete und Der Vampyr alias Lord Ruthven von Wiliam Polidori, der „für sich in Anspruch nehmen [kann], die Vampirfigur, wie wir sie heute kennen, etabliert zu haben“37. Die dunkle Romantik ist es wohl, die so viele Autoren dem Motiv gewogen machen und schließlich den bis dato berühmtesten Vampirroman schlechthin generieren: Bram Stokers Dracula. Mit großer Wahrscheinlichkeit orientieren sich alle Vampirfiguren, die seither in mannigfaltigen Facetten erschaffen wurden, an eben dieser Verknüpfung unterschiedlichster Vampirmythen. Wie es dem äußerst anpassungsfähigen Geschöpf zu eigen ist, hat es sich von 1897 - der Veröffentlichung von Dracula - bis heute in derart vielen Varianten präsentiert, dass unmöglich, auch nur auf alle herausragenden eingegangen werden kann. Zutreffend aber ist, dass sich die vampirischen Geschöpfe zumindest größtenteils anhand der Stokerschen Dracula-Variante als solche identifizieren lassen. Er bildet die Grundlage aller folgenden Vampire.

2.2 Darstellung und Existenzgesetze

Die grundsätzlichen „vampiresken“ Eigenschaften, die auch den Gottheiten und Dämonen der Mythologie zugeordnet werden können, beschränken sich größtenteils auf das Konsumieren menschlichen Blutes, welches nicht zwingend geraubt sein musste. Viele besaßen die Fähigkeit zu fliegen und waren nachts aktiv38.

Die prägendsten Beeinflussungen erfuhr die Vampirfigur jedoch in Folge der Vampirpanik im 18. Jahrhundert, als der Volksglaube aus den nichtverwesenden Leichen blutrünstige Ungeheuer macht, denn hier wurde der Vampir zum Verstorbenen, der wiederkehrt, zum Untoten. Die Wiedergänger dieser Zeit verließen ihr Grab, taten sich am Blut der Lebenden gütlich, um ihre Existenz zwischen Leben und Tod fortführen zu können. Dies schloss man aus der Beobachtung wiederausgegrabener Leichen, welche unverwest und „prall gefüllt“ mit einer rötlichen Vewesungsflüssigkeit, die man fälschlicherweise für Blut hielt, waren. Da ein Vampirfund meist mehrere Todesopfer nach sich zog, nahm man an, dass sich der Vampir Gefährten sucht und sie gewissermaßen „ansteckt“. Auch die Vermutung, dass Vampire Gestaltenwandler sind, sich also in gewisse Tiere wie Wölfe, Katzen, Fledermäuse oder sogar in Nebel (so konnten sie unbemerkt dem Grab entsteigen) verwandeln können, gehört in diese Zeit.

Hinzukommt die These einiger Vampir-Forscher, der Werwolf könne einen primitiven Vorfahren des Vampirs darstellen39, bzw. sei später quasi in diesen eingegangen - zumindest bestehen diverse Gemeinsamkeiten. Aus diesen Einflüssen könnten zum Beispiel auch die typischen Fangzähne im Vampirgebiss geboren worden sein, denn in den Aufzeichnungen über die Vampire des 18. Jahrhunderts ist der berühmte Biss definitiv nicht erwähnt40 und gehört wohl zu den Sublimierungen, welche die Literatur später schuf.

Während abergläubische Handlungsweisen wie das Tragen von Masken bei und das niemals auf direktem Wege nach Hause gehen nach einer Beerdigung, damit man von vermeintlichen Wiedergängern weder erkannt, noch verfolgt werden konnte41, nach und nach verschwanden und sich meist nur in zeitgenössischen Aufzeichnungen wiederfinden lassen, sind andere Abwehrmittel zum festen Bestandteil der Vampirfigur geworden. Hierzu zählt natürlich, einmal abgesehen vom Tageslicht, der Knoblauch als wohl bekanntestes Mittel der Abwehr, der „als Heilknolle in der volksmedizinischen Tradition, insbesondere in Osteuropa, eine große Rolle“42 spielte. Aber auch das oftmals in der Literatur aufgegriffene Enthaupten und verbringen des Kopfes in fließende Gewässer, dürften hier ihren Ursprung gefunden haben. Die weitaus meisten der heute noch bekannten Abwehrmittel etablierte allerdings wie bereits angemerkt die Kirche. Hier wäre zunächst das Kreuz zu nennen, das bestenfalls aus derselben Holzart wie das Kreuz Christi gefertigt ist, oftmals - vor allem im Film - aber auch nur als Symbol dargestellt, wirksam ist. Überhaupt fürchtet der Vampir alles „geheiligte“, wie zum Beispiel Weihwasser oder Hostien; der beste Vampirjäger oder -killer ist ein Christ, der „wirklich glaubt“ und einen Pflock in die Brust des schlafenden Vampirs treibt. An diesen Beispielen ist ersichtlich, dass Vieles, was der Rezipient leichtfertig als bloße Fiktion abtut, durchaus tiefreligiösen Ursprung besitzt. Natürlich hat sich der Vampir seit dieser Zeit weiterentwickelt. Allerdings hat sich mehr die Technik der Jagd, als die Abwehrmaßnahmen verändert, immerhin werden Vampire auch noch heute mit UV-Licht gejagt, mit Weihwasser befüllten Gewehrkugeln zur Strecke gebracht und Knoblauch löst bei ihnen einen „anaphylaktischen Schock“ aus43.

Der weiteren Evolution der Vampirfigur wurde nach dem Abklingen der Vampirpanik in erster Linie durch die Literatur Vorschub geleistet:

Die Poeten des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts, fasziniert von neuen philosophischen, religiösen, volkskundlichen Interessen, von einer neuen Sensibilität, die wir mit einer gewissen Unsicherheit romantisch nennen, bemächtigten sich nicht nur langer verschollener literarischer Vorräte, sie waren auch auf die Authentizität echter Volksliteratur, echten Volksglauben aus.44

Viele der ursprünglichen Dispositionen des Vampirs blieben bei den Autoren, die sich dem Thema annahmen, erhalten und wurden lediglich durch neue ergänzt. Aus der abstoßenden, tierhaften Kreatur wird - initiiert von Lord Byron, bzw. Polidori - der nicht bloß sehr menschliche, sondern sogar adelige Vampir etabliert. Nicht zuletzt dank Stokers Dracula wird der „Graf“ zur attraktiven Erscheinung, mit hypnotischer Anziehungskraft und gleichzeitiger äußerst intelligenten und nicht weniger zielstrebigen Vorgehensweise. Um an das Blut seiner meist - immer noch- unschuldigen und nach wie vor entsetzten Opfer zu geraten, nutzt er jetzt auch sein menschliches Potential. Untersuchungen ergaben, dass tatsächlich nicht weniger als 70 Prozent aller literarischen Vampire tatsächlich Aristokraten sind45. In seinem literarischen Terrain entpuppt sich die Vampirfigur als äußerst diabolisch, ist aufgrund seiner Tarnung und Virulenz außerordentlich gefährlich und erfährt in den folgenden Jahrhunderten noch unzählige Ergänzungen und Veränderungen, weshalb es schier unmöglich ist Darstellung und Existenzgesetze allgemein gültig zu definieren. Aus der Lektüre und Sichtung zahlreicher schriftlicher, sowie filmischer Umsetzungen des Vampirmythos soll versucht werden, die Kennzeichen, die häufig und weit verbreitet Nennung finden, zu einer möglichst engen Annäherung an die „klassische Vampirfigur“ zusammenzufassen:

Ein Vampir ist eine bereits verstorbene weibliche oder männliche Person, die ihr Grab verlässt, um in einem Stadium zwischen Leben und Tod „unsterblich“ und „nicht-alternd“ zu existieren. Um diese Existenz zu garantieren, benötigt das Geschöpf Blut, das bestenfalls menschlich ist und von einem jungen bzw.

unschuldigen Opfer stammt. Die Beschaffung erfolgt beinahe immer gewalttätig oder wird durch, zum Beispiel hypnotische Fähigkeiten, erschlichen. Die Entnahme erfolgt durch einen Biss, häufig in Halsgegend, dessen markantes Zeichen die Bissspuren der beiden Eckzähne des Vampirs darstellen. Das Opfer stirbt nicht immer zwingend an diesem Biss, es sei denn, es wird restlos ausgeblutet. Häufig tötet der Vampir den oder die Gebissene trotzdem, um zu verhindern, dass ein neuer Vampir entsteht. Der Biss ist die einzige Möglichkeit ebenfalls Vampir zu werden, wobei der Blutsauger dies in einigen Fällen durch Gabe seines eigenen Blutes durchaus beeinflussen kann.

Der Vampir wird anhand seiner Blässe bzw. Blutarmut identifiziert, mit auffälligem Gebiss beschrieben und oft ohne sichtbares Spiegelbild. Er hat außergewöhnliche Kräfte, ist körperlich stark und kann nicht selten fliegen bzw. andere Eigenschaften von Tieren nutzen, in die er sich -wie zum Beispiel in eine Fledermaus- auch zu verwandeln vermag. Wölfe kommunizieren mit und folgen dem Revenant des öfteren. Vampire sind ausschließlich nachtaktiv und ruhen tagsüber in einem gut vor dem vernichtenden Tageslicht geschützten Sarg oder ähnlichem. Wohl aufgrund der adeligen Herkunft findet man sie häufig in Burgen, Schlössern und alten Ruinen. Will man den Vampir vernichten, ist er in seinem Domizil am verletzlichsten - sehr häufig pfählt man die Blutsauger ruhend in ihren Särgen. Als Waffe gegen den Angriff eignet sich Knoblauch, aber auch alles Geweihte oder verschiedene Symbole der Kirche, die ihn kurzfristig bannen, jedoch nicht töten können. Hat sich der Vampir ein Opfer auserkoren, setzt er sowohl seine mentalen, als auch körperlichen Fähigkeiten dazu ein, sich diesem zu bemächtigen - damit er jedoch in das Haus eines Opfers eintreten kann, benötigt er eine ausgesprochene Einladung.

2.3 Der weibliche Vampir

Die meisten Dämonen und Wesen der Vergangenheit, die dem Vampir Ahnen und sachliche Vorgänger sind und aus denen sich die unzähligen Vampirspezies entwickelt haben und wahrscheinlich auch zukünftig noch werden, sind definitiv weiblich. Eine ihrer möglichen Urmütter findet sich zum Beispiel im Talmud, in

Form der ersten Frau Adams, genannt „Lilith“. Besonders interessant ist, dass Lilith aus dem Paradies auf die „Nachtseite“ verbannt wird, weil sie sich Adam nicht unterordnen will46. Gott bestraft sie, weil sie sich nicht ihrem Geschlecht gemäß verhält, vielmehr selbst dominieren möchte, anstatt passiv zu sein. So wird sie zur Dämonin, zum „Schrecken der Nacht“47, die ihre eigenen Kinder frisst, wenn sie keine anderen bekommen kann und junge Männer verführt.48 In anderen Kulturen besaß Lilith dämonische Entsprechungen wie „Kali“ oder auch „Gorgo“.49 Ihre Töchter sind es, die in den folgenden Jahrhunderten als das destruktive Erbe ihrer Mütter in „nahezu allen Mythologien vorchristlicher Jahrtausende“50 als Nachtdämonen umhergeistern. Sie heißen Lamien, Lemuren, Empusen oder Striges und sie alle waren auf der Jagd nach menschlichem Blut oder Sperma, und waren weiblichen Geschlechts.51

Das Christentum schließlich „setzte die weibliche Triebhaftigkeit voraus und stellte die verderbte Natur der Frau ins Zentrum seines Weiblichkeitsbildes“52 - so wurden aus den Töchtern der Urdämonin, den Succubi oder Höllenhuren53 die Hexen, die ab 1500 verfolgt und verbrannt wurden. Nicht nur, dass Hexen mitunter im Ruf standen Menschenfleisch zu genießen, mit den Vampirinnen gemeinsam hatten sie das weibliche Potential zu verführen und somit vor allem das männliche Geschlecht ins Unglück zu stürzen. Nach der Vampirpanik - während der Vampire beider Geschlechter ihr Unwesen trieben - lebten die Blutsauger fortan in Kunst, Literatur und Film fort und waren bzw. sind noch heute dank Polidori, Stoker und Co größtenteils männlich kornnotiert. Neben dem potenten Übervampir finden sie sich sehr häufig als rollentypische Randfigur wieder, wobei es doch immer wieder regelrechte „Blütezeiten“ für die Vampirin gegeben hat, in denen sie sich als Hauptfigur gegen die männliche Vorherrschaft durchgesetzt hat.

2.3.1 in der Literatur

Wie bereits angedeutet finden die Lamien und Stringes der griechischen Antike ihre erste Erwähnung in der Literatur. So werden die Empusen im Werk Aristophanes, einem griechischen Dichter bereits 385 v. Chr.54 genannt, und auch Horaz, Dichter im römischen Reich, beschrieb eine Lamia in der „Ars Poetica“55. Die Hinwendung zur Vampirfigur sollte allerdings erst Jahrhunderte später, nach einer nicht mehr nachzuvollziehenden Evolution des Motivs, erst am Ende des 18. Jahrhunderts erfolgen. Die Vampirpanik der Balkanländer hatte sich langsam wieder gelegt, da fanden die menschlichen Vampire, kaum aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden, in einem neuen Sujet, der Kultur, zurück ins Leben. Die jetzt literarischen Vampire glichen den wissenschaftlichen Berichten, die überall in Europa kursierten nicht unwesentlich.

In dieser vorromantischen Zeit war es Goethe, der nicht nur eine der ersten, sondern die erste weibliche Vampirin erdichtete. Die Braut von Korinth56, vom Verfasser selbst als „vampirisches Gedicht“57 bezeichnet erschien 1797 und greift das Motiv der schönen Toten auf, die sich ihrem Schicksal nicht hingibt und ihren menschlichen Bräutigam verführt, dessen Blut trinkt und ihn auf diese Weise ins Totenreich nachholt. Deutlich ist die Abwendung der Vampirin vom Christentum und einem Gott, dessen „propagierte[s] Frauenbild (...) die Basis der vampirischen Verbannung ins Reich des Antichristlichen [ist]58, die sie wählt, um der „schwerbedeckten Enge“59 zu entfliehen. Trotzdem ist sie eine wahrhaft Liebende, die das Motiv der Liebe bis in den Tod und noch darüber hinaus in das 19. Jahrhundert und damit in die Romantik trägt.

Im 19. Jahrhundert entsteht sehr viel Vampirliteratur. „Vorallem die Populär- Literatur nahm sich dieses - wegen seiner symbolischen Qualität und seiner erotischen Assoziationsfülle - ergiebigen Stoffes an“60. Die Düsternis der Vampirfigur war vor allem für die Literaten der „Schwarzen Romantik“ bzw. den Autoren der „Gothic Novels“, die sich unter dem Einfluss der deutschen Romantik entwickelten, eine inspirierende Quelle.

In Cyprians Erz ä hlung61 von E.T.A. Hoffmann, die 1819 veröffentlich worden ist, wird die schöne Aurelie nach ihrer Hochzeit nächtens immer mehr zur menschlichen Lamie, die schlussendlich sogar ihren geliebten Gatten „mit der Wut der Hyäne in die Brust“62 beißt, bevor sie - entdeckt - stirbt. Auch in dem 1801 entstandenen Thalaba the Destroyer63 sucht die noch vor dem Vollzug der Hochzeitsnacht verstorbene Oneiza ihren Ehemann heim, wird aber von ihrem Vater gepfählt. Diese „toten Bräute , wie schon Goethes Braut von Korinth, lassen ihr Leben entweder verursacht durch den bevorstehenden oder den Vollzug der Ehe und werden zu Vampiren. Dies zeugt von der Auseinandersetzung des Genres mit den Initiationsriten der Frau und ihrer Schuld, die sie im Sinne der Erbsünde auf sich lädt. Dass die Bräute durch ihr „Vampirwerden“ gewissermaßen die sexuelle Initiative in einem streng geregelten Patriarchat ergreifen, wird nicht nur durch ihren Tod bestraft, sondern im Falle Oneizas mittels ihrer Pfählung sogar durch die Hand des Vaters - die wie eine inzestuöse Entjungferung anmutet.

Das eigene inzestuöse Begehren wird auch Egaeus zum Verhängnis, der seiner scheintoten Cousine Berenice alle Zähne zieht, um sich vor der auf Berenices Mund projizierten „Vagina dentata“ zu schützen. Edgar Allan Poe verfasste 1835 die alptraumhafte Kurzgeschichte Berenice64 und zeigt eine Vampirin, die allein durch männliche Imaginationskraft überhaupt zu einer solchen, bzw. zum Furcht- und Feindbild wird. Es scheint zu Beginn des 19. Jahrhunderts fast so, als „[halluzinierten] mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen Literatur und Kunst (...) die drohende Überflutung einer bis dahin von Männern dominierten Zivilisation durch eine zu allem entschlossene weibliche Sexualität“65.

Diese, nur den Geliebten betreffende aktive Sexualität der Totenbräute, wurde bald durch eine neue, weitaus aggressivere und mächtigere Vampirspezies ergänzt - durch die „Femme fatale“.

„Die Femme fatale (...) ist asozial, sadistisch, nekrophil, vollkommen selbstbezogen. Sie ist Kurtisane, die Hure Babylon, sie ist eine Blut, Geld und Leben aussaugende Vampirin.“66 Sie versinnbildlicht die männliche Furcht einer in steife Geschlechterkodizes verhafteten Gesellschaft vor der selbstbestimmten Frau, die sexuell nicht vom Mann abhängig ist. Zum einen weil sie unter Umständen auch dem eigenen Geschlecht zugetan ist und zum andern weil sie durch ihre Vampirzähne selbst fähig ist zu penetrieren. Gleichzeitig symbolisiert die Femme fatale aber auch die schöne, verführerische Frau, deren erotische Versprechen zur schizophrenen Wunschvorstellung ausarten, wobei die Lust und Angst, Lust und Gewalt, Lust und Macht, Lust und Tod gerade in der ambivalenten Vampirfigur keinen Widerspruch erfahren. John Keats entwarf 1819 eine solche La Belle Dame sans Merci67, die im gleichnamigen Gedicht einen heldenhaften Ritter, der sich von ihr als „faery’s child“68 täuschen lässt, wie schon „kings and princes“69 vor ihm, mit „starved lips“70 in den Tod reißt.

Weitaus provokanter ist die Verführung des Romuald in Die liebende Tote71 von Théophile Gautier aus dem Jahre 1836. Der Geistliche Romuald, der sich „von frühester Jugend an (...) zum Priester berufen“72 fühlt, verfällt der verstorbenen, aber zurückgekehrten Kurtisane Clarimonde „beim ersten Angriff und ohne Wiederstand“73. In ihrem Bann gefangen, bricht der Geistliche mit allen Regeln und Überzeugungen und lebt ein dekadentes Leben als Clarimondes Liebhaber.

Clarimonde sein eigen zu nennen, hieß zwanzig Mätressen zu besitzen; so beweglich, so veränderlich, so verschieden war sie; das reinste Camäleon! Sie erreichte, dass man Clarimonde mit Clarimonde betrog, indem sie Wesen, Art und Schönheit der Frau annahm, die ihrem Geliebten zu gefallen schien.74

Trotz seiner Entdeckung, dass sich Clarimonde nächtens heimlich an seinem Blut gütlich tut, ist er nicht fähig etwas an seiner Hingebung zu verändern. Erst sein alter Mentor Serapion heilt ihn von seiner Besessenheit und Clarimonde muss ausgegraben und mit Weihwasser benetzt - obwohl sie eine wahrhaft Liebende war - zu Staub zerfallen.

[...]


1 http://www.moviemaze.de/media/poster/2604/twilight.html [28.06.09]

2 Tepe, Peter: Kognitive Hermeneutik, Würzburg 2007.

3 Meurer, Hans: Vampire - Die Engel der Finsternis. Freiburg 2001. S. 116 Künftig zitiert als Meurer

4 Ebd.

5 Vgl. http://www.youtube.com/watch?v=fw0LIC6ZMzQ [29.06.2009]

6 Flocke, Petra: Vampirinnen. „ Ich schaue in den Spiegel und sehe nichts “. Tübingen 1999. S. 9. Künftig zitiert als Flocke

7 Detlef Klewer: Die Kinder der Nacht. Vampire in Film und Literatur. Frankfurt am Main 2007. S. 17. Künftig zitiert als Klewer

8 Vgl. Borrmann, Nobert: Vampirismus oder die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. München 2000. S. 44. Künftig zitiert als Borrmann

9 Vgl. Klewer. S. 17ff

10 Borrmann S. 47

11 Vgl. ebd. S. 43f

12 Vgl. ebd. S. 47f

13 Frenschkowski, Marco: Keine spitzen Z ä hne - Von der interkulturellen Vergleichbarkeit mythologischer Konzepte: das Beispiel des Vampirs. In: Bertschik, Julia; Tuczay, Christa (Hrsg.): Poetische Wiederg ä nger. Tübingen 2005. S. 59 Künftig zitiert als Bertschik/Tuczay

14 Vgl. Dieter Sturm, Klaus Völker (Hrsg.): Von denen Vampiren oder Menschensaugern, München 1968. S. 441. Künftig zitiert als Sturm/Völker

15 Vgl. ebd. S. 525f

16 Borrmann S. 52

17 Vgl. ebd.

18 Ebd.: „Slowaken, polnische Stämme, Ukrainer, Deutsche und Rumänen teilen sich

die Region mit Zigeunern und Ungarn. Ein Teil dieser Bevölkerung stammt aus Asien (Zigeuner, Indien) oder führt seinen Ursprung auf Asiaten zurück, wie die Ungarn (Magyaren).“

19 Vgl. Klewer S. 59

20 In: Sturm/Völker S. 467ff

21 In: ebd. S. 476ff

22 ebd. S. 541

23 Vgl. Kreuter, Peter Mario: Der Vampirglaube in S ü dosteuropa. Berlin 2001. S. 146

24 Vgl. Borrmann S. 48

25 Vgl. Klewer S. 49

26 Vgl. Borrmann S. 106ff

27 Ebd. S. 98

28 Vgl. Meurer S. 54

29 Klewer S. 52

30 Vgl. Meurer S. 36 ff

31 Ebd. S. 32ff

32 Vgl. ebd.: Ein Motiv, dass später in der Vampir-Literatur häufig aufgegriffen wird.

33 Vgl. Borrmann S. 169f

34 Sturm/Völker S. 505

35 Vgl. Borrmann S. 62

36 Hans Richard Brittnacher: Ä sthetik des Horrors - Gespenster, Vampire, Monster, Teufel und ünstliche Menschen in der phantastischen Literatur. Frankfurt am Main 1994. S. 171. Künftig zitiert als Brittnacher

37 Meurer S. 55

38 Vgl. Borrmann S. 42ff

39 Vgl. ebd. S. 41

40 Beispielhaft angeführt werden können hier die gesammelten „Dokumente“ in: Dieter Sturm, Klaus Völker (Hrsg.): Von denen Vampiren oder Menschensaugern, München 1968. Für den Vampir dieser Zeit war das „Würgen“ seiner Opfer arttypisch. Wie genau das Blut ausgesaugt wurde ist nicht überliefert. Vgl. S. 455

41 Vgl. Klewer S.42f

42 Meurer S. 121

43 Vgl. Blade. Ufa/BMG. USA 1998

44 Sturm/Völker S. 539

45 Vgl. Klewer S. 18

46 Vgl. http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/details/quelle/WIBI/ zeichen/l/referenz/25027///cache/356c31b32f/#h11 [28.06.2009]

47 Ebd.

48 Vgl. ebd.

49 Meurer S. 20

50 Volckmann, Silvia: Gierig saugt sie seines Mundes Flammen. In: Berger,

Renate/Stephan,Inge (Hrsg): Weiblichkeit und Tod in der Literatur. Köln 1987. S. 155

51 Vgl. Dieter Sturm, Klaus Völker S. 507f

52 Flocke S. 13

53 Vgl. Meurer S. 20

54 Vgl. Klewer S. 26

55 Vgl. ebd. S. 56

56 Goethe, Johann von : Die Braut von Korinth. In: Sturm/Völker S. 15ff

57 Goethe-Handbuch: in 4 Bänden, hrsg. Von Bernd Witte, Stuttgart 1996. S.289

58 Flocke S. 38

59 Goethe, Johann von : Die Braut von Korinth. In: Sturm/Völker S. 19; Z.162

60 Gunter E. Grimm: Monster und Galan. Graf Draculas filmische Metamorphosen. In: Jahrhaus, Oliver; Neuhaus, Stefan (Hrsg.): Der fantastische Film -Geschichte und Funktion in der Mediengesellschaft. Würzburg 2005. S. 42

61 Hoffmann, E.T.A.: Cyprians Erz ä hlung. In: Sturm/Völker S. 22ff

62 Ebd. S. 36

63 Southey, Robert: Thalaba, The Destroyer. In: The Poetical Works of Robert Southey. London 1837. Bd. 4

64 Poe, Edgar Allan: Berenice. In: Vampire: Anthologie. München 1967

65 Hans Richard Brittnacher: Phantasmen der Niederlage - Ü ber weibliche Vampire und ihre m ä nnlichen Opfer um1900. In: Bertschik/ Tuczay S. 169

66 Borrmann S. 232

67 http://www.bartleby.com/126/55.html [28.06.2009]

68 Ebd.

69 Ebd.

70 Ebd.

71 Gautier, Théophile: Die liebende Tote. In: Sturm, Dieter; Völker, Klaus. S. 86ff

72 ebd. S. 88

73 ebd. S. 112

74 ebd. S. 118

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Weibliche Vampire
Untertitel
Das klassische und das moderne Motiv
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Germanistisches Institut)
Veranstaltung
Magisterarbeit
Note
2,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
79
Katalognummer
V167876
ISBN (eBook)
9783640847945
ISBN (Buch)
9783640843572
Dateigröße
692 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
weibliche, vampire, motiv
Arbeit zitieren
Laura Helm (Autor:in), 2009, Weibliche Vampire, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/167876

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