Formen des religiösen Gebrauches des entheogenen Sakramentes Ayahuasca unter besonderer Berücksichtigung des Aspektes ihrer Kriminalisierung


Diplomarbeit, 2001

92 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung
1.) Annäherungen und Grundlagen: Entheogene und religiöse Erfahrung
2.) Historische Dimensionen entheogener Religion

II. Das Entheogen Ayahuasca
1.) Botanik und Phytochemie von Banisteriopsis caapi
2.) Additive in Ayahuasca-Tränken
3.) DMT: Molekulare Brücke zur Geistwelt ?

III. Formen des sakramentalen Gebrauchs von Ayahuasca
1.) Indigene Formen des amazonischen Ayahuasca-Gebrauchs
A. Intention des Ayahuasca-Gebrauches in südamerikanischen
Stammeskulturen
B. Ayahuasca im Schamanismus der Tukano-Indianer
C. Die Verwendung von Ayahuasca bei den Shuar
2.) Vegetalismo: Ayahuasca als entheogenes Sakrament der amazonischen Mestizen
A. Kosmologische Motive und konzeptuelle Dimensionen der visionären
Erlebnisräume amazonischer Vegetalistas
B. Heilung mit Ayahuasca in Iquitos, Peru
3.) Santo Daime, Uniao do Vegetal und Barquinha: Kirchlich institutionalisierte
Formen entheogener Religion in Brasilien
A. Der Santo Daime Kult: Die Religion der Königin des Waldes
1. Historische Aspekte von Santo Daime.
2. Konzeptuelle Elemente der Santo Daime Doktrin
4.) Der sakramentale Gebrauch von Ayahuasca in der westlichen Welt
A. Santo Daime in Europa und den USA
B. Dezentralisierte Ayahuasca-Rituale zwischen Neoschamanismus und Psychotherapie

IV. Die Kriminalisierung entheogener Religiosität
1.) Ist Ayahuasca eine Gefahr für die Gesundheit?
2.) Legalisierung von Santo Daime in den Niederlanden

V. Ayahuasca: Agens einer globalen Revitalisierung des sakramentalen Gebrauchs
psychoaktiver Pflanzen?

VI. Bibliographie

I. Einleitung

Mit Entheogenen malst Du die Dinge, Oh Geber des Lebens! Mit Liedern tauchst Du sie in Farbe, Du vermengst mit Farbe all das, was auf der Erde leben soll .

( Acolmiztli Nezahualcoyotl (ca. 1450))

Gegenstand dieser Arbeit ist der Wandel des entheogenen Trankes Ayahuasca von einer traditionellen „Lehrerpflanze“[1] lokaler schamanistischer Traditionen des amazonischen Regenwaldes zu einem sakramentalen Agens mystischer Selbst- und Gotteserfahrung mit globaler Relevanz. Diese Aneignung erfolgte in den vergangenen Jahrzehnten durch eine häufig als „Neoschamanismus“ bezeichnete Bewegung, die stammeskulturell – möglicherweise neolithisch verwurzelte - Techniken der Bewußtseinsveränderung und Heilung revitalisiert und aufgreift und mit neuen, an ein post-industriekulturelles Milieu angepaßten Bedeutungsdimensionen und esoterischen Konzeptionen von individueller und kollektiver Transformation versieht. Im Rahmen dieses Prozesses sehen wir uns heute der Entfaltung eines Spannungsfeldes gegenüber, das aus der Prohibition vieler entheogener Pflanzen und Substanzen aufgrund ihrer Klassifikation als nicht verkehrsfähige „Betäubungsmittel ohne anerkannten therapeutischen Nutzen“ in Anhang I des Betäubungsmittelgesetzes erfolgt. Die entheogenen Prinzipien solcher Pflanzensakramente wie Ayahuasca (Dimethyltryptamin), Peyote (Meskalin), Psilocybinpilze (Psilocybin) oder Ganja (THC) sind hier allesamt erfaßt; Herstellung, Handel, Weitergabe und Besitz unterliegen massiven Strafen. Das Betäubungsmittelgesetz trägt Fragen der religiösen Freiheit bisher keine Rechnung, es erfolgt keinerlei Unterscheidung von intentionalem rituell-religiösem Ge -brauch und hedonistisch-addiktivem Miß- brauch. Naturgemäß wird dieser Umstand von den Ausübenden entheogener Religionsformen, seien sie privat oder kollektiv, als ein nachhaltiger Eingriff in das Grundrecht der religiösen Freiheit erfahren, gar als eine Form inquisitorischer Repression.

Im Jahre 1999 erfolgten erstmals europaweit Razzien, Verhaftungen und Beschlagnahmungen im Umfeld lokaler Gemeinden der brasilianischen Santo Daime Religion, in deren Gottesdiensten Daime (Ayahuasca) eine zentrale Rolle einnimmt. Dies zeigt deutlich auf, daß das Problem nicht marginalisiert werden kann, sondern einer sorgfältigen Aufarbeitung bedarf. Allochthone Gebräuche wie die Verwendung psychoaktiver Sakramente werden mit zunehmender Globalisierung und Pluralisierung von Kultur, Religion und Gesellschaft verstärkte Anforderungen an die Tiefenschärfe, Adäquanz und Ausgewogenheit von Gesetzestexten und deren Auslegung stellen. Die vorliegende Arbeit soll am Beispiel von Ayahuasca und insbesondere der Santo Daime Religion dabei zu berücksichtigende Dimensionen ins Blickfeld rücken. Ich werde hierbei zunächst das traditionelle religiöse Umfeld des Gebrauchs dieses Trankes darstellen, um dann im zweiten Teil der Arbeit zu zeigen, welche Rolle Ayahuasca in euroamerikanischen Vorstellungen und religiösen Praktiken eingenommen hat. Insbesondere soll hierbei das Problemfeld der Kriminalisierung des Gebrauchs dieses religiösen Sakramentes ausgeleuchtet werden.

1.) Annäherungen, Begriffe und Grundlagen: Entheogene und religiöse Erfahrung

Seit jeher haben psychoaktive Stoffe als Katalysatoren spiritueller Erfahrungen gedient. Werden diese Pflanzen und Substanzen historisch oder zeitgenössisch vorwiegend in einem religiösen Kontext genutzt, nenne ich sie Entheogene[2]. Das hier behandelte Thema gehört in den Kontext ekstatischer Religiosität und berührt weitere Forschungsgebiete der Religionswissenschaft wie den Schamanismus[3] und die Mystik. Die komplexen Dimensionen des Diskurses insbesondere über das Forschungsgebiet des Schamanismus können hier nur am Rande berührt werden[4]. Vielmehr steht im Zentrum dieser Arbeit der religiöse Gebrauch eines bewußtseinsverändernden Trankes, der ursprünglich hauptsächlich in Kulturen verwendet wurde, die als schamanistisch geprägt aufgefaßt werden können. Ich begreife den Schamanismus hier - sehr weit gefaßt - als ein kulturübergreifend anzutreffendes Phänomen, dessen wesentliches Merkmal die Induktion eines Kontaktes zur Geistwelt durch Techniken der Bewußtseinsveränderung darstellt[5]. Natürlich finden mystisch-schamanische ASC[6] -Erfahrungen nicht in einem kulturellen Vakuum statt, sondern verlaufen entlang kulturspezifischer Vorgaben. Die Erlebnisse in einer anderen Wirklichkeit werden erst mit Hilfe kultureller Deutungsmuster kommunizierbar; der/die SchamanIn begegnet in der Anderswelt den Entitäten, denen in seiner Kultur Be- deutung zukommt. Individuelle (schamanische) Erfahrung befindet sich hier immer in einem komplexen Wechselspiel zu den in einem bestimmten historischen und mythologischen Kontext stehenden kulturellen Konstruktionen von säkularer und spiritueller Wirklichkeit[7].

Die Mystik berührt das Thema, da in ihr das auf unmittelbarer spiritueller Erfahrung beruhende Ausrichten des Denkens, Fühlens und Handelns auf eine empirisch nicht meßbare Wirklichkeit zentral ist[8]. Der mystischen Erfahrung liegen nach W. T. Stace (1961) fundamentale, kultur- und religionsübergreifende Charakteristika zugrunde. Diese sind z. B. : Wahrnehmung von Einheit, Transzendenz von Raum und Zeit, tief empfundene positive Stimmung, Gefühl der Heiligkeit, intuitives Wissen um die Existenz einer anderen Realität, Paradoxien, Unaussprechlichkeit der Erfahrung, Flüchtigkeit der Erfahrung sowie positive Veränderungen in Einstellung und Verhalten gegenüber der Umwelt.

Mystisches Erleben kann spontan auftreten, läßt sich aber auch durch die Instrumentalisierung verschiedener Techniken der Bewußtseinsveränderung provozieren. Zu diesen Auslösern religiöser Trance und Ekstase[9] gehören etwa die rhythmische Stimulation in verschiedenen sensorischen Modalitäten, sensorische Deprivation, anhaltendes Tanzen und Fasten, Überanstrengung, Schlafentzug, Schmerzen etc. In der religiös-rituellen Praxis finden sich gemeinhin effektive Mischformen dieser Auslöser von veränderten Bewußtseinszuständen. Aus neurophysiologischer Sicht bewirken all diese Techniken Veränderungen der Neurochemie des Gehirns, wie sie natürlich genauso auch durch Drogen und psychoaktive Stoffe bewirkt werden können (Gladigow, 1978).

Zur Anerkennung der Authentizität des mystischen Erlebens unter dem Einfluß von Entheogenen trug nicht unwesentlich das berühmte Karfreitags-Experiment bei, das von Walter Pahnke gemeinsam mit dem Religionspsychologen Walter Houston Clark, einem der Mitbegründer der Society for the Scientific Study of Religion, unter der Aufsicht des Psychologieprofessors Timothy Leary durchgeführt wurde.

Diese Studie sollte den experimentellen Beweis für die Hypothese liefern, daß die psychoaktive Substanz Psilocybin genuine spirituelle Erfahrung katalysieren kann. Als Testgruppe wurden 20 entheogenunerfahrene Theologiestudenten und 10 weitere Studenten, die als Helfer und Führer der anderen fungieren sollten, ausgewählt. Am Karfreitag des Jahres 1962 trafen sich die Studenten in der Kapelle der Universität Boston. Eine Hälfte der Studenten erhielt im Doppelblindversuch ein Placebo, welches zwar physiologische Wirkungen hatte, jedoch nicht psychoaktiv war, während die anderen 15 Studenten Psilocybin verabreicht bekamen. Die anschließenden Berichte der Studenten wurden von ehemaligen Schullehrern auf der Basis der neun klassischen Kennzeichen mystischer Erfahrung evaluiert, die von Walter Stace in seinem grundlegenden Werk Mysticism and Philosophy aufgezählt werden. Die Ergebnisse zeigten, daß die Probanden, welche Psilocybin eingenommen hatten, Erfahrungen gemacht hatten, die nicht unterscheidbar, d.h. identisch zu den Kategorien mystischer Erfahrung waren, die durch Staces Typologie der (nicht entheogen-induzierten) mystischen Erfahrung bezeichnet wurden (Smith, 2000: 21f.).

In den Kontext der Auseinandersetzung um wahre und künstliche Mystik fiel auch die Huxley-Zaehner Debatte. Der in Oxford lehrende Professor für östliche Religion und Ethik, R.C. Zaehner, war der Wortführer gegen die von dem Schriftsteller Aldous Huxley[10] propagierte „Drogenmystik“, der er jegliche Authentizität absprach. Zaehner (1961: 12): „ The importance of Huxley´s Doors of Perception, is that in it the author clearly makes the claim that what he experienced under the influence of mescaline is closely comparable to a genuine mystical experience. If he is right, the conclusions are alarming.“[11] Auch wenn Pahnkes Experiment methodische Schwächen hatte (siehe Doblin, 1995), machte es doch deutlich, daß sogenannte Drogenmystik phänomenologisch anderen Formen der Mystik gleichzustellen war. Walter Stace, die damalige Autorität in Fragen der Mystik, antwortete auf die Frage, ob die Drogenerfahrung der mystischen Erfahrung ähnlich sei mit den Worten: „ Es ist nicht eine Frage der Ähnlichkeit zu mystischen Erfahrungen; es ist mystische Erfahrung.“ (zit. i. Smith, 2000: 24).

Neurotheologie ist zur Zeit das Schlagwort, unter dem die Frage nach den biologischen Grundlagen von Spiritualität gestellt wird. So erschien kürzlich in Newsweek[12] ein umfangreicher Artikel mit dem Titel: „God and the brain: how we´re wired for spirituality “ und die Washington Post titelte: „ Tracing the Synapses of our Spirituality[13]. Inhalt der Artikel ist die Suche von Neurowissenschaftlern nach den biologischen Korrelaten des religiös-mystischen Erlebens. Hier wird mit Hilfe komplexer Technologie gemessen, welche Hirnareale etwa das Gefühl vermitteln, eins mit dem Universum zu sein oder welche Regionen im Gehirn während eines meditativen Samadhi-Erlebnisses aktiv sind.

In diesen Kontext fällt auch die Forschung von Michael Persinger von der Laurentian University in Sudbury. Ihm ist es mit Hilfe eines helmartigen Apparats, der schwache elektromagnetische Ströme um die Köpfe von Versuchspersonen aussendet, gelungen, in 4 von 5 Personen eine paranormale Erfahrung auszulösen, z. B. das Gefühl, daß ein fühlendes Wesen hinter ihnen steht. Einige brechen in Tränen aus, andere haben die Wahrnehmung, von Gott berührt worden zu sein. Aber es kommt auch vor, daß die Versuchspersonen Angst empfinden und von Dämonen und bösen Geistern sprechen.

Persinger hat die Schläfenlappen von mehr als 900 Personen elektromagnetisch behandelt. Die Versuchspersonen, so fand er dabei unter anderem heraus, bezeichnen ihre paranormalen Wahrnehmungen dabei mit den Namen, die ihre Kultur solchen Erscheinungen zuweist: Jesus, die heilige Jungfrau Maria, Mohammed, etc. Persinger glaubt aufgrund seiner Forschungen zu zeigen, daß Gottesvorstellungen und religiöse Systeme nicht einzigartig seien. Vielmehr seien sie Facetten von bestimmten, universal anzutreffenden Gehirnfunktionen, und könnten daher keinerlei dogmatische Wahrheit beanspruchen. „ Religion is a property of the brain, only the brain and has little to do with what´s out there[14], so Persinger, der darauf abzielt, Religion in die Nähe einer Halluzination zu rücken. Der Reduktionismus, Religion sei gleichzusetzen mit einer paranormalen Erfahrung, die im Fall der Versuche von Persinger häufig noch nicht einmal im engeren Sinne mystisch zu nennen ist[15], tritt hier offenkundig zu Tage.

Der Anthropologe Michael Winkelman (2001) stellt die offenkundige Tatsache fest, daß die grundlegenden in der Neurotheologie formulierten Ideen, nämlich das mystisch-spirituelle Erfahrungen durch intentionale Bewußtseinsveränderung erzeugt werden können, uralt sind. Sie kommen Winkelman zufolge universal in den im Schamanismus - der wahrscheinlich ältesten religiösen Praxis der Menschheit - vorzufindenden Technologien zur Veränderung des Bewußtseins zur Anwendung. Die Praktiken der Schamanen weisen laut Winkelman in verschiedenen Teilen der Welt kulturübergreifend so große Ähnlichkeiten auf, weil sie angeborene Hirnprozesse reflektieren (Winkelman, 2001). Schamanismus aktiviere sozioemotionale und mit dem Selbst zusammenhängende Strukturen und Funktionen des Gehirns, und beeinflusse therapeutisch die serotonergen und endorphinen Neurotransmitter-Systeme des Gehirns. Winkelman stellt die Anomalie fest, daß in der modernen Welt die uralten schamanischen Techniken der Bewußtseinsveränderung trotz Aufklärung und Technologisierung nicht verschwinden, sondern im Gegenteil im sog. „Neoschamanismus“ eine umfassende Renaissance und zunehmende Popularität erfahren, insbesondere unter den gebildeteren Segmenten der Bevölkerung (ebd.).

Das Thema dieser Arbeit, der spirituelle Gebrauch des psychoaktiven Sakraments Ayahuasca, fällt in eben diesen Bereich der Renaissance schamanisch verwurzelter Techniken der Bewußtseinsveränderung. Im nächsten Kapitel soll nun zunächst ein Blick auf die historischen Dimensionen des religiösen Gebrauchs entheogener Pflanzen geworfen werden.

2.) Historische Dimensionen entheogener Religion

Häufig wurde die Auffassung vertreten, daß Religionen ihren Ursprung in erster Linie drogeninduzierter mystisch-schamanistischer Schau metaphysischer Wirklichkeiten verdanken[16]. Sicher gibt es gute Gründe, die Bedeutung von Drogenerlebnissen bei der Ausbildung religiösen Verhaltens und der ursprünglichen Ermöglichung religiöser Ekstase anzunehmen. Dieser Standpunkt kommt etwa im folgenden Zitat des Anthropologen Dan Russell zum Ausdruck, der eine umfangreiche Untersuchung zur Bedeutung von psychoaktiven Pflanzen in den antiken Kulturen des Mittelmeerraumes vorlegte (1998: 1):

Herbal magic, real pharmaco-shamanism, is at the core of all matriarchal cultures. The Goddess does not separate from her herbal magic, from her invention of medicine. The central sacrament of all Paleolithic, Neolithic and Bronze Age cultures known is an inebriative herb, a plant totem, which became metaphoric of the communal epiphany. These herbs, herbal concoctions and herbal metaphors are at the heart of all mythologies. They include such familiar images as the Burning Bush, the Tree of Life, the Cross, the Golden Bough, the Forbidden Fruit, the Blood of Christ, the Blood of Dionysos, the Holy Grail (or rather its contents), the Chalice (Kalyx: 'flower cup'), the Golden Flower (Chrysanthemon), Ambrosia (Ambrotos:'immortal'), Nectar (Nektar:'overcomes death'), the Sacred Lotus, the Golden Apples, the Mystic Mandrake, the Mystic Rose, the Divine Mushroom (teonanacatl), the Divine Water Lily, Soma, Ayahuasca ('Vine of the Soul'), Kava, Iboga, Mama Coca and Peyote Woman. The transition from tribal to patriarchal culture - the invention of chattel slavery - changed the sanctioned interpretation of this imagery and criminalized the power-rites to which it referred.

Als eine der explizitesten Proponenten dieser These vermutet die Mythenforscherin Mary Barnard[17] bereits in den sechziger Jahren eine tiefe ursprüngliche Symbiose zwischen religiösem Erleben und bewusstseinsverändernden Pflanzen:

Half a dozen important mythological themes the shaman's journey, the food of immortal life, the food of occult knowledge, the fate of the disembodied soul, the communication with the dead, plant-deities all converge on this point; that is, on some actual food (usually a drug plant) ritually consumed, not symbolically but for the experience it confers.

Which was more likely to happen first, the spontaneously generated idea of an afterlife in which the disembodied soul, liberated from the restrictions of time and space, experiences eternal bliss, or the accidental discovery of hallucinogenic plants that give a sense of euphoria, dislocate the center of consciousness, and distort time and space, making them ballon outwards in greatly expanded vistas? The latter experience might have had an almost explosive effect on the largely dormant minds of men, causing them to think of things they never had thought of before. This, if you like, is direct revelation.

Looking at the matter coldly, unintoxicated and unentranced, I am willing to prophesy that fifty theobotanists working for fifty years would make the current theories concerning the origins of much mythology and theology as out-of-date as pre-Copernican astronomy.

Leider existiert auch nach wie vor kein interdisziplinäres Forschungsprojekt, welches den Nachweis für einen entheogen-induzierten Ursprung der Religion führen könnte. Die Diskussion soll an dieser Stelle nicht vertieft werden, ich möchte jedoch anmerken, daß es wenig naheliegend erscheint, daß sich bereits die frühesten Hominiden durch elaborierte Trommelrhythmen in Trance versetzten; die These, sie hätten mit der Nahrung psychoaktive Pilze oder Pflanzen zu sich genommen, scheint plausibler[18].

Es ist wiederholt vermutet worden, daß Entheogene einen adaptiven evolutionären Vorteil verschaffen könnten. Terence McKenna (1992: 52) spekuliert über Entheogene als Katalysatoren kultureller und individueller Entwicklung. Diese Vorstellung ist für viele Forscher naheliegend, da sie den Schamanismus als eine archetypische und adaptive Verhaltensweise des Neolithikums, möglicherweise gar des Paläolithikums begreifen. (Russell, 1999: 25f.; siehe auch Winkelman, 2000). Dies ist ein durchaus umstrittener Standpunkt. Doch neben den zur Verfügung stehenden archäologischen Funden, die Auskunft über das hohe Alter der Verwendung von psychoaktiven Pflanzen liefern, wissen wir heute durch die Erkenntnisse der Ethnobotanik (Schultes u. Hofmann, 1980; Rätsch, 1999, Furst, 1990), daß Entheogene in einer Vielzahl der bekannten Stammeskulturen teils zentrale religiöse Bedeutung aufweisen, auch wenn dies in der frühen ethnographischen Literatur nicht immer in vollem Umfang gewürdigt wurde.

Anlaß zu Spekulationen über die Rolle von Entheogenen in der Evolution des Bewußtseins gibt auch ihre Ähnlichkeit zu endogenen Neurotransmittern[19]. So ist z.B. Serotonin, einer der wesentlichen Neurotransmitter des Gehirns, von zentraler Bedeutung für eine Vielzahl von Funktionen des ZNS (Winkelman, 1999: 218ff.). Serotonin ist ein endogenes Tryptaminderivat, also eine körpereigene Substanz, die eine enge chemische Verwandtschaft zu den wichtigsten entheogenen Wirkstoffen aufweist. Die Entheogene Teonanacatl (Psilocybin), Ololiuqui (LSA)[20] sowie Ayahuasca (Dimethyltryptamin) enthalten ebenfalls dem Serotonin eng verwandte Tryptamine.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dimethyltryptamin

Die körpereigenen Neurotransmitter Norepinephrin (Adrenalin) und Dopamin sind Phenethylaminderivate, wie auch Meskalin, das entheogene Prinzip der Peyote-Religion der nordamerikanischen Indianer. Endorphin ist eine Bezeichnung für körpereigenes Morphium. Der schmerzstillende Transmitter ist praktisch identisch mit diesem Bestandteil des Harzes des Schlafmohns, welches als Opium bekannt ist. Von den elf bisher bekannten endogenen Neurotransmittern sind fast alle chemisch und funktional Kopien von psychoaktiv wirksamen Pflanzenalkaloiden (Callaway, 1999: 250ff.). Der Neurochemiker David Nichols, der seit mehr als 30 Jahren mit Psychoaktiva arbeitet, beschreibt seine Forschung wohl aus diesem Grund kurzerhand als das „Design molekularer Untersuchungen von Gehirnfunktionen“ (Nichols, 1998: 40).

. Es muß die Frage gestellt werden, warum die endogenen neuroaktiven Agenten, die solch eine zentrale Bedeutung in der Steuerung des Verhaltens von Wirbeltieren einnehmen, eine so enge Verwandtschaft zu den entheogenen Substanzen aufweisen, die in psychotropen Sakramenten enthalten sind. Ich möchte an dieser Stelle keine evolutionsgeschichtlichen Schlüsse aus diesen Fakten ableiten, sondern nur noch hinzufügen, daß Roland Fischer 1970 in einem interessanten Experiment nachweisen konnte, daß geringe Dosierungen von Psilocybin die Wahrnehmung objektiver Wirklichkeit positiv beeinflussen können (Fischer, 1970; McKenna, 1992: 52). In dieser Hinsicht sind auch die Experimente von Max Knoll interessant. Er generierte in Versuchspersonen mittels elektrischer Impulse experimentell erzeugte Phosphene[21], wie sie auch unter dem Einfluß von Entheogenen entstehen. Eine Kategorisierung der von den Versuchspersonen reproduzierten Zeichen ergab, daß mehr als die Hälfte von diesen den traditionellen magischen Zeichen identisch waren, die aus zahlreichen paläolithischen und neolithischen Felszeichnungen bekannt sind (Ripinsky-Naxon, 1993:148ff.).

Zahlreiche archäologische Funde geben uns heute Aufschluß über das hohe Alter des rituellen Gebrauchs entheogener Pflanzen. Ich möchte an dieser Stelle einige historische Pinselstriche einflechten, um die religiöse Bedeutsamkeit von psychoakiven Substanzen zu untermauern.

Eine der ältesten Hinweise auf prähistorischen Gebrauch psychoaktiver Pilze begegnet uns in den tanzenden anthropomorphen Pilzgeistern, die auf Höhlenmalereien im algerischen Tassili n´Ajjer- Massiv abgebildet sind. Die Bilder sind möglicherweise Ausdruck einer rituellen Kommunion mit dem Pilzgeist bzw. einer Psilocybin-Vergiftung, wie es vielleicht ein besorgter Mediziner heute ausdrücken würde. Vermutlich sind die tanzenden anthropomorphen Wesen, wie mir der Archäologe K. H. Striedter vom Frobenius Institut in Frankfurt mitteilte, der Rundkopfperiode zuzurechnen, welche die ältesten Malereien in der Zentralsahara umfaßt. Laut Striedter ist die absolutzeitliche Datierung dieser Zeichnungen nach wie vor strittig, wird im allgemeinen jedoch vor dem 6. Jahrtausend v. Chr. angesetzt. Striedter selbst hält es jedoch für fraglich, ob es sich bei den ikonischen Elementen wirklich um Pilze handelt. Die Felsbilder selbst ließen diesen Schluß nicht zu. Der/Die LeserIn möge anhand der Abbildungen selbst entscheiden. Es existieren weitere interessante Darstellungen aus dieser Periode im Tassili. So etwa der Maskenträger aus Aouanrhat und eine Darstellung mit pilzartigen Elementen aus Tin Aboteka (Ripinsky-Naxon 1993 152ff; McKenna 1992: 109f.).

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Im Gefolge seiner Symbionten Birke und Kiefer gedeiht der Fliegenpilz wahrscheinlich seit dem Ende der letzten Eiszeit auf den Ebenen der sibirischen Taiga. Auf 1000 v. Chr. datierende Petroglyphen, die in der Nähe des Pegtymel-Fluß gefunden wurden, zeigen zahlreiche pilzförmige Motive. Es ist bekannt, daß der rituelle Gebrauch des Fliegenpilzes im äußersten Norden und Osten des eurasischen Kontinents über lange Zeit ein wichtiges Element im Schamanismus der sprachlich und kulturell nah verwandten Stämme der Korjaken, Kamtschadalen, Tschuktschen, Samojeden und Jukagiren war (Dobkin de Rios: 1990: 30ff.).

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Vermutlich wurde schon 5000 v. Chr. rituell Peyote (Abb. links) gegessen. Dies legt zumindest der Ausgrabungskontext eines auf 5000 v. Chr. datierten Peyote-Fundes nahe (Schultes 1997:3).

Eines der prominentesten Beispiele für entheogene Religion begegnet uns im Soma-Kult der indoeuropäischen Stämme. Erstmalig schriftlich fixiert wurden die brahmanischen Hymnen an das vergöttlichte Entheogen vermutlich um 800 v. Chr.. Im Rig-Veda finden sich 120 Hymnen und zahlreiche weitere Referenzen an das Entheogen Soma. „ Wir haben Soma getrunken, wir sind unsterblich geworden, wir sind im Licht angekommen, wir haben die Götter gefunden“ (Rg-Veda VIII, 48), sangen die Priester des Soma-Kultes in ihrer poetisch-religiösen Ekstase, möglicherweise hervorgerufen durch den bereits erwähnten Pilz Amanita muscaria[22] (siehe dazu: Wasson 1972 u.1986; Heinrich 1998.).

Die Bedeutung der Tatsache, daß im Zentrum der ältesten Schriften der indischen Religionsgeschichte ein entheogener Kult steht, sollte nicht verkannt werden, denn die Grundideen der späteren indischen Religions- und Yogasysteme sind bereits in den Veden angelegt, so daß man nicht umhin kann, eine Verbindung von den Wirkungen des entheogenen Somas zu den Vorstellungskomplexen zu ziehen, die das geistige Fundament des religiösen Konglomerats bilden, welches heute vielfach als Hinduismus bezeichnet wird. Selbst Mircea Eliade, der in seinen Schriften entheogenen Pflanzen meist pejorativ und eher nebensächlich behandelte, erkennt die primäre Signifikanz von Soma für die Entwicklung aller darauffolgenden Formen der indischen Mystik, dessen Motor die Suche nach Methoden war, die erhabenen Wirkungen des Soma zurückzuerlangen. Eliade schreibt (1978: 212):

"We will not stop to consider the surrogates and substitutes for the original plant in the cult. It is the role that these plants play in Indian thought that is important. Very probably such experiences were confined to priests and a certain number of sacrificers. But they had considerable repercussions by virtue of the hymns that praised them and especially by virtue of the interpretations the hymns called forth. The revelation of a full and beatific existence, in communion with the gods, continued to haunt Indian spirituality long after the disappearance of the original drink. Hence an attempt was made to attain such an existence by the help of other means: ascetism or orgiastic excesses, meditation, the techniques of Yoga, mystical devotion... . In addition, the quest for absolute freedom gave rise to a whole series of methods and philosophoumena that, in the last analysis opened out into new perspectives and vistas, unsuspected in the Vedic period. In all these later developments, the god Soma played not a very prominent role; it is the cosmological and sacrificial principle that he signified, which ended by preempting the attention of theologians and metaphysicians.

Von Gordon Wasson und Carl Ruck (Wasson et al. 1984) stammt die Theorie, daß auch im antiken Mysterienkult von Eleusis die Einnahme eines entheogenen Trankes im Mittelpunkt stand. Dieser Standpunkt ist nach wie vor umstritten, und wird von Altertumsforschern eher als nicht hinreichend belegt oder unwahrscheinlich erachtet. Forscher wie Ripinsky-Naxon (1993: 160) und Robert Fuller, (2000: 7) betrachten es aber heute als gesichert oder höchst wahrscheinlich (Smith, 2000: 18), daß der Inhalt des Kykeon psychoaktiv war. Da sie für den Verlauf dieser Arbeit nicht zentral ist und eine eingehende Diskussion erfordern würde, zeichne ich die Argumentation von Wasson und Ruck an dieser Stelle jedoch nicht nach.

In den letzten Jahren hat es verschiedene wissenschaftliche Publikationen gegeben, die sich mit der Frage auseinandersetzen, ob und welche Rolle Entheogene im frühen Christentum gespielt haben. Der Religionswissenschaftler Dan Merkur geht in seinem Buch The Mystery of Manna (2000) von einer ungebrochenen Tradition des sakramentalen Entheogen-Gebrauchs aus, angefangen bei Moses und Manna bis hin zu Jesus und dem Eucharist. Er versucht zu begründen, daß Manna in der Zeit von Moses noch Gegenstand öffentlichen Wissens war, bevor es zu einem Mysterium der Priester und Propheten des Salomonischen Tempels wurde. Philo von Alexandria, Jesus und einige andere Juden des ersten Jahrhunderts kannten das Mysterium und wollten es laut Merkur wieder öffentlich zugänglich machen, scheiterten jedoch aufgrund von Verfolgung und generellem Desinteresse ihrer Zeitgenossen. Das Geheimnis, so Merkur, wurde dann zu einem Mysterium sowohl innerhalb des rabbinischen Judentums als auch in der syrischen christlichen Kirche.

Clark Heinrich (1998) und David Spess (2000) gehen der Frage nach der Bedeutung von psychoaktiven Pflanzen in Alchimie und westlicher Esoterik nach. Dan Russell (1998) beleuchtet das gnostische Christentum unter dem Aspekt des Gebrauchs psychoaktiver Pflanzen.

An dieser Stelle mögen diese keineswegs vollständigen Ausführungen zu den historischen Ausformungen des religiösen Gebrauchs psychoaktiver Pflanzen genügen. Warum gab es seit Menschengedenken eine solch innige Verbindung zwischen Drogen und Religion? Der Grund liegt wohl in der speziellen Kapazität von entheogenen Pflanzen, mystische Erfahrungen zu ermöglichen. Auf der Basis einer umfangreichen Phänomenologie der Bewußtseinsveränderung durch entheogene Pflanzen (Erfahrungsberichte in Metzner, 1999; Merkur, 1998; Masters, 1966; Grof 1978; 1985) läßt sich sagen, daß ihre Wirkung häufig wie eine Identifikation des erlebenden Subjekts mit der Tiefenstruktur des eigenen Bewußtseins erfahren wird, das nun selbst sowohl als Schöpfer der Objekte der Wahrnehmung wie auch als Schöpfer der vormaligen Ich-Einheit rezipiert wird. Aus dieser Perspektive erhält die Welt wie sie aus dem Alltagsbewußtsein erscheint, vielfach den Charakter einer illusionären Existenz, während der mystische Bewußtseinszustand sich als Heimkehr zum wahrhaftigen Ursprung und gleichzeitig als transpersonales Ziel von kollektiver und individueller Evolution übermittelt. Die Entfaltung dieser Erfahrung wird als Auflösung von Raum und Zeit, sowie der dualistischen Gegensätze von Innen und Außen, zwischen Subjekt und Gegenstand der Erfahrung, traditionell als Unio mystica konzipiert. Das dauerhafte Verweilen in diesem Bewußtseinszustand (nicht das temporäre, wie bei der Entheogenerfahrung), bzw. das Aufgehen aller bedingten Zustände in der letzten Wahrheit und Grundlage des Seins bildet höchstes Ziel zahlreicher Heilslehren, insbesondere vieler Traditionen des Hinduismus (bspw. Yoga, Advaita Vedanta), des Buddhismus und des esoterischen Christentums.

Entheogene beinhalten das Potential, keinesfalls jedoch die Garantie, ein temporärer Zeuge des Bewußtseinszustands der Unio mystica zu werden. Es erfolgt jedoch meistens keine dauerhafte Transformation durch diese Erfahrung, die ja dadurch als Erfahrung gekennzeichnet ist, daß sie zeitlich begrenzt stattfindet und zurück in das Alltagsbewußtsein mündet. Häufig bleibt diese tiefgreifende Erfahrung aber als ein Wegweiser im Gedächtnis, der zu einer Auffassung des individuellen Lebensweges als Suche nach Möglichkeiten der dauerhaften Verwirklichung und Wiederherstellung dieses Bewußtseinszustandes führt. Wiederholte mystische Erfahrung kann somit zum mystischen Sein führen. Um dies zu erreichen, dienen häufig religiöse Modelle der Läuterung und Lebensführung, die in religiösen Doktrinen verdichtet sind[23].

II. Das Entheogen Ayahuasca

Der Amazonas mit den ihn umgebenden Regenwäldern hat die Phantasie der Menschen schon immer zu Höhenflügen angetrieben. Dies gilt sowohl für seine Ureinwohner als auch für die Menschen, die nach 1541 im Gefolge von Francisco de Orellana diesen primordialen Garten betraten. Die Flora und Fauna dieses größten Waldes, der (noch) auf unserem Planeten zu finden ist, hat in den vergangenen Jahrhunderten massiv unter dem Einfluß westlicher „Zivilisation“ gelitten, unter den Herrschafts- und Eroberungsneurosen einer nach Wachstum und Fortschritt strebenden materialistischen Kultur. Genauso wie die Natur, wurden auch die Menschen, die hier ursprünglich lebten, an den Rand der Ausrottung gebracht[24]. Dazu trugen eingeschleppte Epidemien, Sklavenjagden, erzwungene Umsiedlungen von Eingeborenen durch Missionare (reducciones), Massaker und die Verpflanzung ganzer Dörfer während des Gummibooms genauso bei, wie die Ausbeutung der hier beheimateten Menschen bei der Gewinnung von Gold, der Abholzung wertvoller Bäume und der Erlangung anderer Güter. Im 20. Jahrhundert erloschen allein in Brasilien 87 indigene Gruppen vollständig (Luna 1991: 9.). Auch heute schreitet die Assimilierung und der Prozeß der Akkulturation der verbliebenen indigenen Kulturen unaufhaltsam voran. Häufig mit verheerenden Folgen für die Menschen, die sich oft am unteren Ende der sozialen Hierarchie wiederfinden, in der ihr eigenes kulturelles Erbe, ihre Fähigkeiten und Traditionen nach wie vor als primitive und zu überwindende Daseinsform betrachtet werden. Indigenes Wissen ist auch heute meilenweit von der Anerkennung seiner genuinen Bedeutsamkeit entfernt; ungemilderte Profitsucht rechtfertigt weiterhin Ökozid und Genozid, nicht nur in Amazonien. Biopiraterie ist trotz der 1992 in Rio de Janeiro verabschiedeten Artenschutzkonvention, die vorsieht, daß für die Benutzung der genetischen Reichtümer anderer Länder Abgaben entrichtet werden, nach wie vor ein Thema.. Ein Pharmaunternehmen, das die traditionellen Heilkräuter der Indianer für die Entwicklung von Medikamenten benutzen will, muß sie am Gewinn beteiligen. Trotzdem geht an die Herkunftsländer, die fast alle auf der südlichen Erdhalbkugel liegen, bislang kaum ein Pfennig. Dadurch verliert die Dritte Welt jährlich über fünf Milliarden Dollar, heißt es in einem Bericht der Vereinten Nationen.

Doch entsteht zunehmend auch ein Bewusstsein, welches sich der Notwendigkeit eines respektvollen Umgangs mit den Traditionen von Stammeskulturen gewahr ist. Eine Äußerung wie die folgende von D. A. Posey bringt dieses Gewahrsein stammeskultureller Weisheit, ohne dabei in Romantizismus und Exotismus zu verfallen, zum Ausdruck (Posey 1987: 8, zit. in Luna, 1991 9):

Recognition of the value of indigenous knowledge by our civilization would permit Indians to be seen as major intellectual contributors to humanity, rather than mere exotic footnotes to the pages of history books. This recognition could provide an ´ideological bridge´ through which Amerindians can prosper in a modern, multi-ethnic society with the dignity they need and the respect they deserve.

Zu dieser Anerkennung indigenen Wissens gehört natürlich auch die ernsthafte Auseinandersetzung mit der religiösen Welt dieser Menschen. Diese religiöse Welt ist maßgeblich vom Ethos des universal anzutreffenden Handlungs- und Vorstellungskomplexes durchdrungen, der mit der religiösen Metapher Schamanismus umschrieben wird.

Eine wachsende Anzahl Angehöriger der westlichen Kultur nimmt heute persönliche und kollektive Defizite in einem im 17. Jh. verankerten mechanistischem Denken wahr. Für diese Menschen ist die Erfahrungswelt der SchamanInnen mit zunehmender Heilserwartung und Attraktivität ausgestattet. Warum ist gerade der Schamanismus, die wahrscheinlich archaischste aller menschlichen Formen der strukturierten Begegnung mit dem Numinosen, mit solch einer Anziehungskraft für den modernen Menschen des anbrechenden Jahrtausends ausgestattet? Dies ist eine sehr komplexe Frage, die hier nicht erschöpfend behandelt werden kann. Es liegt jedoch auf der Hand einen Grund hierfür, in der zunehmenden Entfremdung und Separation von der Natur zu sehen, die im Gefolge der nachhaltigen Zerstörung der Biosphäre von den Mitgliedern der auf euroamerikanischen Wertvorstellungen basierenden Gesellschaften immer massiver als ein schmerzlicher Verlust erfahren wird.

Eine entzauberte, tote, zum bloßen Rohstoff degradierte Umwelt scheint vielen heute als unerträgliches Sinnbild einer evolutionären Sackgasse. Diese Krise führt dazu, Ausschau nach sinnerfüllteren Modellen der Interaktion und Anpassung zu suchen, welche die Pflege, Bewahrung und den liebevollen Respekt zu allen Lebensformen der Natur berücksichtigen, und gegenüber profitmaximierenden Werten und Geisteshaltungen in den Vordergrund stellen. Schamanismus ist möglicherweise eine adaptive, spirituell-ökologische Technik mit paläolithischen Wurzeln, die sich wie keine andere (dies bezeugt ihr hohes Alter) als erfolgreiche Institution der harmonischen Vermittlung zwischen Mensch und ihn umgebender Welt - Mensch, Tier, Pflanze, Natur, Kultur, Geist – bewährt hat. Eine der zentralen Medien der Kommunikation mit den spirituellen Bereichen der Wirklichkeit ist in schamanisch geprägten Gesellschaften die elaborierte Verwendung psychoaktiver Pflanzen.

In der komplexen Umwelt des Amazonas-Bassins ist diese kulturelle Tradition ausgeprägter anzutreffen und unversehrter bewahrt worden, als in allen anderen Teilen der Welt. „Wir haben keine Religion, wir trinken Ayahuasca“, bringt es ein Schamane der peruanischen Shipibo auf den Punkt. Ayahuasca fungiert hier als Metapher für die reichhaltige pharmakoschamanistische Tradition dieses Areals, die elementarer Bestandteil der ursprünglichen Religionen des südamerikanischen Regenwaldes war und ist. Bei den Yagua heißt es, Kontakt zu den Geistern der Pflanzen durch deren Einnahme sei der „einzige Weg zum Wissen“ (Chaumeil 1983: 33, zit. i. Luna, 1991) Im Amazonas-Bassin waren es natürlich die stammeskulturell organisierten Ureinwohner, die diese Tradition zunächst entwickelten und weitergaben. Luis Eduardo Luna (1986) zählt mehr als siebzig verschiedene Stämme auf, die Ayahuasca rituell nutzen. In Peru, Ecuador, Brasilien, Kolumbien und Venezuela ist ferner eine umfangreiche Verbreitung von Vegetalistas, Curanderos und Ayahuasqueros anzutreffen. Diese erfüllen eine wichtige Funktion in der Volksmedizin der sozial schwächeren Bevölkerungssegmente, die sich den „Segen“ moderner Medizin nicht leisten können (Luna, 1986; Dobkin de Rios, 1972). Pizarros Priester nannten die heiligen Sakramente der amazonisch-andinen Kulturen un delusio del demonio. Wenn wir heute von den heiligen Pflanzensakramenten fremder Kulturen sprechen, ist es nicht länger vertretbar, wie in der Vergangenheit unreflektiert vielfach zu pejorativen Etiketten verkommende Begriffe wie Drogen, Narkotika, Rauschgifte, Halluzinogene, gar Psychotomimetika etc. zu verwenden. Diese Bezeichnungen entspringen allesamt ideologischer Befangenheit und zeugen von einem Mangel kulturrelativistischer Einsicht. Es sollte selbstverständlich sein, den Elementen fremder Religionen gegenüber zunächst einmal eine Haltung der Achtung und des Respekts einzunehmen. Es ist daher notwendig, uns die eurozentristischen Dimensionen solcher Etikettierungen bewußt zu machen. Nicht nur amerindianische Religiosität wurde in der Vergangenheit zu häufig und mit unsäglichen Folgen zu primitiven Aberglauben abgewertet, nur um sie durch unsere eigenen, vermeintlich überlegenen, Ideologien und Glaubenssysteme zu ersetzen. Den traditionellen Konzepten des Umgangs mit diesen Pflanzen ist daher Raum zu geben. Das Wort Entheogen spiegelt diese Bemühung, den traditionellen spirituellen Bedeutungszusammenhängen bewusstseinsverändernder Pflanzen Ausdruck zu verleihen.

[...]


[1] Im amazonischen Schamanismus beziehen Schamanen ihre Macht vor allem von Natur- und Pflanzengeistern. Der Kontakt zu den Geistern wird meist durch die Einnahme psychotroper Pflanzen hergestellt, die manchmal auch „doctores“ genannt werden. Es herrscht die Auffassung, daß die Schamanen von den Geistern der Pflanzen instruiert werden, wie bestimmte Heilungen oder Diagnosen von Krankheiten erzielt werden können (Luna, 1992: 232).

[2] Der Begriff Entheogen wurde 1970 auf einem informellen Komitee von Gordon Wasson, Jonathan Ott und anderen Forschern eingeführt (Ott, 1995:113). Er diente als Ersatz für pejorative Bezeichnungen von psychoaktiven Pflanzen mit halluzinogenen Wirkeigenschaften. Der Terminus ` Halluzinogen ` akzentuiert westliche, pathologisierende Konzepte von Wahnidee und Täuschung (lat. halucinari: faseln, ins Blaue reden (Rosenbohm, 1991:15)) in Zusammenhang mit Pflanzen, die in den Kulturen, in denen eine traditionellen Verwendung erfolgt, eine hohe Wertschätzung als Vermittler höherer Wahrheit erfahren. Andere westliche Bezeichnungen für diese Substanzen wie etwa ´ Psychotomimetika ´ (eine Psychose nachahmend) können noch viel weniger ernsthaft für eine Betrachtung ihres religiösen Bedeutungsgehalts herangezogen werden. Der von Osmond und Huxley eingeführte Begriff Psychedelikum (daher eine Substanz, die die Seele sichtbar werden läßt) ist mit zahlreichen Bedeutungen der westlichen Gegenkultur der sechziger Jahre belegt, und daher unpassend für die historische und ethnographische Beschäftigung mit dem Thema. Aus diesem Grund entscheide ich mich in dieser Arbeit für die Verwendung des Begriffs ´Entheogen´, der mittlerweile besonders in der englischsprachigen Literatur weite Verbreitung erfahren hat. Der Begriff leitet sich vom griechischen Wort ´entheos´ ab, das von den Griechen für die Beschreibung poetischer und prophetischer Inspiration verwendet wurde. Ein Entheogen ist eine Substanz, die unter bestimmten Umständen in einem Individuum die subjektive Erfahrung des Göttlichen hervorruft. Es ist kein theologischer Begriff, da er sich auf keine spezifische Gottheit bezieht.

[3] Die ersten Berichte über das Phänomen, das heute als Schamanismus in aller Munde ist, kamen über russische Völkerkundler, die das Leben nordsibirischer Volksstämme beschrieben, in den abendländischen anthropologischen und religionswissenschaftlichen Diskurs. Schon damals, im neunzehnten Jahrhundert, meinte man zu erkennen, daß der Schamanismus kein nur auf den sibirischen Stamm der Tungusen beschränktes Phänomen sei, sondern in der Kulturgeschichte der Menschheit eine weite Verbreitung erfahren hat. So war etwa der Amerikaner Roland Dixon der Auffassung, daß es keinen wesentlichen Unterschied zwischen einem Schamanen und einem „gewöhnlichen“ Medizinmann gab (Hultkrantz, 1989: 56). Ungeachtet dessen wurde das Wort `Schamane` jedoch in erster Linie zu einem Begriff, mit dem vor allem charismatische Persönlichkeiten, die dem tungusischen Mystikertypus entsprachen, bezeichnet wurden (ebd.). Der Begriff stammt von dem Wort ´saman` aus der Sprache der sibirischen Tungusen. Möglicherweise steht das tungusische Wort in einer etymologischen Beziehung zur indoeuropäischen Verbwurzel `sa`, ´wissen´. Der/die SchamanIn wäre somit wörtlich der/die `Wissende` (Ripinsky-Naxon, 1993: 69; eine andere Deutung des Wortes bei Hamayon 1998: 182)).

Integrale Bestandteile des tungusischen (Ur)schamanismus sind die kosmologische Dreiteilung der Welt in eine Alltags-, Ober- und Unterwelt, sowie der Glaube an die Existenz verschiedener, spiritueller Wirklichkeiten, die von einer Vielzahl Geistwesen bewohnt werden. Diese Anderswelt kann von dem/der SchamanIn mittels des Eintritts in einen veränderten Bewußtseinszustand, die schamanische Trance, besucht werden. In dieser anderen Wirklichkeit erwirbt sich der/die SchamanIn spezielle Hilfsgeister, die ihm bei seinen magischen Handlungen zur Seite stehen. Zentral ist weiterhin das Phänomen der schamanischen Krise, jenes Auftauchen einer schweren Krankheitssymptomatik, die einem Individuum nachdrücklich anzeigt, daß es zu einer Karriere als Schamane berufen ist. Auch scheint es für SchamanenInnen charakteristisch, daß er/sie die Fähigkeit, in die Anderswelt zu reisen, in einen therapeutischen Kontext stellt. Die von ihm/ihr in der schamanischen Trance gewonnenen Erkenntnisse stehen im Dienst der Mitglieder seines/ihres Stammes.

[4] So gibt es in der Schamanismusforschung bis heute keinen Konsens darüber, was eigentlich die konstituiven Merkmale des als Schamanismus bezeichneten Phänomens darstellen. Eliade hat in seinem wohl einflußreichsten Werk zum Thema (1975) eine auch heute noch populäre Minimaldefinition eingeführt. Eliade erhebt den Gebrauch von Ekstasetechniken zur Herstellung eines veränderten Bewußtseinszustands, der die Interaktion mit der Geistwelt zum Wohle der Gemeinschaft ermöglicht, zum Kern des Schamanismus. Der ekstatische Zustand des Schamanen wurde von Eliade vor allem als magischer Flug konzipiert. Gegen diese Charakterisierung des Schamanentums durch Kategorien wie Trance und Ekstase wenden sich Forscher wie Roberte Hamayon. Einerseits sind laut Hamayon Mängel in der semantischen und deskriptiven Präzision dieser Begriffe hinderlich bei der Schilderung der Praxis des Schamanen (1993: 6). Ein Satz wie „der Schamane fällt in Trance“ gibt Hamayon zufolge meist den subjektiven Eindruck eines Forschers wieder, weniger eine empirisch überprüfte Wirklichkeit. Einflußreiche Konzeptualisierungen des Schamanen als Ekstasespezialisten, wie die von Eliade hätten zu a priori Annahmen und Erwartungen an das Verhalten von Schamanen geführt, die im Feld ungeprüft immer wieder als gegeben vorausgesetzt und bestätigt gesehen wurden. Andererseits bestehe keine Notwendigkeit, eine abendländisch geprägte „ekstatische Terminologie“ (1998: 183) zur Beschreibung schamanischer Phänomene heranzuziehen. Vielmehr könne ein Rückgriff auf emische Begriffe, die das Wirklichkeitsverständnis einer fremden Kultur aus der Innenperspektive beschreiben, die Nachteile etischer Begrifflichkeiten wie Trance und Ekstase überwinden. Für Hamayon ist das Wesentliche des Schamanismus auch weniger die physiologische oder psychologische Qualität eines veränderten Bewußtseinszustandes, als die durch die Gemeinschaft vorgenommene, kulturelle Interpretation eines bestimmten Zustands als Kontakt zur Geistwelt. Einen ähnlichen Standpunkt nimmt Horst Figge (1973) in Hinblick auf Phänomene der Geistbesessenheit (spiritpossession) ein. Er sieht Spiritpossession nicht in erster Linie als einen Zustand veränderten Bewußtseins, sondern als das Einnehmen einer kulturell vorgeformten Geistrolle. Figge ist der Auffassung, daß das eigentliche Phänomen der Besessenheit nicht notwendig mit einem Trancezustand verbunden sei. Vielmehr sei das signifikante Moment der Besessenheit das Einnehmen einer erlernten Geistrolle. Jeder Mensch verfüge über verschiedene psychologische Rollen, die, je nach situativen Kontext das Handeln und Empfinden einer Persönlichkeit steuern. Laut Figge sei der entscheidende Einfluß einer Besessenheit die psychologische Identifikation mit einer bestimmten Geistrolle, bei der es gleich ist, ob sie mittels einer Trance oder durch andere Techniken erreicht wird. Forscher wie Daniel Noel (1997) hingegen betonen vor allem, daß der Schamanismus über weite Strecken ein Konstrukt westlicher Imagination sei. Für die neoschamanistische Bewegung sei vor allem das Bild des Schamanentums relevant, welches zunächst von Eliade, später von Autoren wie Castaneda gezeichnet wurde. Noel zufolge können diese aber nicht als Tatsachenberichte über traditionellen indigenen Schamanismus gelten, sondern spiegeln die individuellen Sehnsüchte der Autoren wieder. Mehr als die Schamanen sei die Ethnologie der Begründer der spirituellen Bewegung des Neoschamanismus. Für den Anthropologen Michael Taussig (1987) sind Begriffe wie mystische Reise, Ritualleiter etc. Elemente einer offenkundig männlich-faschistischen Geisteshaltung. Taussig glaubt, der Schamane als „Wilder Mann“ und „Besitzer von Magie“ sei ein koloniales Konstrukt. Er betont vor allem die soziale Funktion des Schamanen.

[5] Insofern fallen hier also mitunter auch magisch-religiöse Praktiker unter den Begriff, die als Heiler, Hexer, Medien, Vegetalistas, Curanderos etc. spezifiziert werden können. Sie teilen nicht zwangsläufig die dem „klassischen“ Schamanismus zugeschriebenen Charakteristika wie z. B. Seelenreise, Transformation in Tiergeister oder Jagdmagie. Siehe hierzu auch Winkelman, 2000: 64ff.)

[6] ASC = Altered States of Consciousness.

[7] Siehe hierzu z. B. Gimello (1982: 63): „ Mysticism is inextricably bound up with, dependent upon, and usually subservient to the deeper beliefs and values of the tradition, cultures and historical milieux which harbour it “. Auch Steven Katz (1982: 66) vertritt den Standpunkt, mystische Erfahrung sei „ (...) at least in respect of some determinative aspects, culturally and ideologically grounded“ (zit. i. Fuller, 2000: 174).

[8] E. O´Briens Feststellung, daß es für die Wissenschaft kein Thema gibt, welches eine beständigere Provokation darstellen würde als die Mystik, gilt natürlich nach wie vor. Wie wollen wir diesen Begriff definieren? Für W. James ist ein „Bewusstsein von Erleuchtung“ das Kennzeichen eines mystischen Bewußtseinszustandes. Underhill beschreibt Mystik als „die Wissenschaft der letzten Dinge, die Wissenschaft von der Vereinigung mit dem Absoluten, und sonst nichts“. Dumoulin hingegen betont eine „unmittelbare Beziehung zur absoluten spirituellen Wirklichkeit“ als Kennzeichen von „wahrer“ Mystik (Austin, 1998:15). Im Rahmen dieser Arbeit ist aus Gründen des Umfangs keine vertiefende Diskussion der verschiedenen Auffassungen von Mystik und Mystizismus möglich.

[9] Trancezustände sind ein nahezu universales Phänomen, wie man seit den viel zitierten statistischen Erhebungen der Anthropologin Erika Bourguignon (1973) weiß. Form und Inhalt der Trance wird offensichtlich von zweierlei Komponenten, einer neurophysiologischen und einer kulturellen, determiniert. Der Terminus Trance hat in der Forschungsgeschichte und natürlich auch im alltagssprachlichen Gebrauch uneinheitliche Verwendung gefunden, und wurde allgemein auf verschiedene Phänomene angewendet, die unter dem Oberbegriff „veränderte Bewußtseinszustände“ gefaßt werden können. Insbesondere wird das Wort Trance häufig benutzt, um Bewußtseinszustände des Typs Ekstase zu bezeichnen. Vielfach wird der Begriff auch benutzt, vor allem umgangssprachlich, um Zustände emotionaler Ergriffenheit oder der Selbstvergessenheit anzudeuten. Mir geht es hier um die Form der Trance, die auch religiöse Trance oder rituelle Trance genannt wird. In einer Vielzahl von Religionen (etwa der afrikanischen Yoruba oder den afrobrasilianischen Neureligionen wie Umbanda oder Candomblé, wird diese rituell eingeleitete Trance von einem Phänomen begleitet, welches von den die Trance ausübenden Individuen und der Kongregation der Gläubigen als die Einkehr eines Geistwesens in den physischen Körper eines Mediums gedeutet und erfahren wird. Besessenheit ist im westlichen Kulturkreis ein eher seltenes oder obskures Phänomen, dem mit Skepsis oder Unbehagen begegnet wird. Hier ist man nicht von Geistern besessen, sondern von Vorstellungen bzw. Ideen, Konsumwünschen, sexuellen Phantasien und dergleichen. Die dämonische Besessenheit ist ein Thema von Hollywood, ebenso wie durch Voodoo-Zauber gelenkte Zombies. Rituell erzeugte und kontrollierte Besessenheit, um die es hier geht, wird außer in einigen religiösen Bewegungen nicht angestrebt.

Schon Platon unternahm eine Systematisierung verschiedener Formen der Trance. Im Phaedrus spricht er von mania, einem Wort, welches vielfach als Wahnsinn oder Raserei übersetzt wird, von Platon aber in einem Kontext gebraucht wird, der auf Trancephänomene verweist. Platon unterscheidet zwei Formen von mania. Eine, die aus menschlichen Krankheiten hervorgeht, und eine, deren Ursache ein göttlicher Zustand (theias exallages) ist. Von dieser göttlichen mania gäbe es vier Varianten, die jeweils von einer bestimmten Gottheit inspiriert seien: mantische (Apollo), die zur Divination führt, poetische (Musen), erotische (Eros und Aphrodite) und telestische (telestike) Trance (Dionysos). Die mit dem Gott der Rauschdrogen verbundene Trance wird als telestisch beschrieben, was bedeutet, sie beinhalte teletai (Riten), gleichsam rituelle Trance. Nirgends in Platons Schriften findet sich ein genauer Hinweis, was er unter diesen teletai versteht, aber er läßt uns zumindest wissen, daß sie, was auch sonst, mit Opfern, Tanz und Musik zu tun haben (Rouget 1985:189). Gilbert Rouget versucht zu begründen, daß die telestische Trance eine Bezeichnung für spiritpossession, d.h. Geistbesessenheit ist (ebd.:196).

[10] Aldous Huxley (1894 – 1963) war in den 50er Jahren zum eloquenten Fürsprecher der psychedelischen Bewegung geworden. Huxley, der aus dem gelehrten englischen Bürgertum stammte, schildert seine erste Erfahrung mit Meskalin, welches er im Beisein von Dr. Osmond einnahm (Huxley, 1994: 16): Ich blickte weiter auf die Blumen, und in ihrem lebendigen Licht glaubte ich das qualitative Äquivalent des Atmens zu entdecken – aber eines Atmens ohne das wiederholte Zurückkehren zu einem Ausgangspunkt, ohne eine wiederkehrendes Verebben; nur ein Fluten von Schönheit zu immer größerer Schönheit, von tiefer zu immer tieferer Bedeutung. Wörter wie „Gnade“ und „Verklärung“ kamen mir in den Sinn, und eben dafür standen diese Worte auch. Meine Augen wanderten von der Rose zur Nelke und von diesem gefiederten Erglühen zu den glatten Schnörkeln des Gefühl verströmenden Amethysts der Iris. Die beseligende, Schau, Sat Chit Ananda, Seins-Gewahrseins-Seligkeit - zum erstenmal verstand ich, losgelöst von der Bedeutung der Wörter (...), worauf sich diese bedeutungsvollen Silben beziehen. Huxley hatte durch Meskalin endlich eine ekstatische Erfahrung machen können, eine Erfahrungsdimension, die ihm immer verschlossen geblieben war, möglicherweise aufgrund der Last von „ zwanzig Tonnen rationalem Denken “, die auf ihm ruhten. Seine frühen, von agnostischem Zynismus geprägten Ideenromane sind voller Figuren, die zwar gemäß der Mode in der guten Gesellschaft der zwanziger Jahre mit den Motiven von Askese, Mystik und (fernöstlicher) Religion kokettieren, deren Beschäftigung damit aber von intellektuellem Spiel, romantischer Verklärung oder dekadentem Exotismus getragen bleibt. Seit Mitte der 30er Jahre konvertierte Huxley mehr und mehr vom zynischen Kommentator seines Zeitgeschehens zum intellektuellen Mystiker. Er wird Schüler von Swami Prabhavananda, der in Hollywood ein Zentrum der hinduistischen Vedanta-Lehre gegründet hatte, in deren Mittelpunkt die Lehren der Upanischaden standen. Er versuchte zeitweise ein autonomes Lebensmodell in der Mojave Wüste zu verwirklichen. Er wandte sich gegen die Vermarktung und Prostutition der Wissenschaft, gegen dumpfen Fortschrittsglauben und trat für eine Versöhnung von Glaube und Wissenschaft ein.. Als Frucht dieser eingehenden Periode des Studiums der Mystik und der vergleichenden Religionswissenschaft publizierte er die umfangreiche Anthologie Die ewige Philosophie, eine mehrere Jahrtausende umspannende, kommentierte Sammlung mystisch-religiöser Weisheit aus Ost und West. Psychedelika waren das Faible seiner späten Jahre. Er schlug vor, im therapeutischen Setting aus dem tibetanischen Totenbuch zu lesen, um Patienten zu kurativen mystischen Erfahrungen zu führen. Viele Zeitgenossen reagierten erschrocken auf Huxleys Hinwendung zu bewußtseinsverändernden Substanzen. Ihm wurde z.B. von Thomas Mann Eskapismus vorgeworfen. Mann verurteilte das Herbeiführen eines Zustands, „ in dem alles Menschliche mir gleichgültig wird und ich gewissenlosem ästhetischen Selbstgenuß verfalle “ und nannte Die Pforten der Wahrnehmung ein „ verantwortungsloses Buch, das nur zur Verdummung der Welt und zu ihrer Unfähigkeit beitragen kann, den todernsten Fragen der Zeit mit Verstand zu begegnen “ (zit. in Schumacher, 1987: 112.). Andere wie etwa Arthur Köstler, machten ethische Einwände gegen seine „Drogenmystik“ geltend, die Vorstellung von einer „Instant-Mystik“ war vielen zuwider, man pflegte die moralische Forderung, mystisches Erleben müsse hart und mit Entbehrung erarbeitet werden. Huxley hielt dagegen, nur der sittlich an sich arbeitende Mensch würde die wirklich profunden Schichten der psychedelischen Ekstase erfahren können. Er versucht nachzuweisen, daß letztlich faßt alle visionäre Erfahrung induziert auftritt, d.h. auf Techniken psychophysiologischer Manipulation der Neurochemie beruht. Huxley wundert sich über die Ablehnung seiner Ideen. Er stellt fest: Wie merkwürdig, daß Belloc und Chesterton das Lob des Alkohols singen dürfen (der für ungefähr zwei Drittel aller Autounfälle und drei Viertel aller Gewaltverbrechen verantwortlich ist) und als gute Christen und feine Kerle angesehen werden, während jemand, der es wagt darauf hinzuweisen, daß es vielleicht noch andere und weniger schädliche Abkürzungswege zur Ich-Transzendenz gibt, wie ein gefährlicher Drogenteufel und gottloser Verführer der schwachköpfigen Menschheit behandelt wird.“ (ebd.).

[11] Als Antwort auf Huxleys „ Doors of Perception “ unternahm Zaehner auf dem Campus seiner Universität ein Experiment mit Meskalin. Er hatte einige humorvolle Einsichten, die er aber als eher trivial einstufte (Rudgley, 1999: 241). Huxleys Erfahrungen seien von „ enthusiastischer Übertreibung “ getragen (zit. i. Smith, 2000: 20). Um Huxley zu widerlegen schrieb er das Buch Mysticism: Sacred and Profane (1957). Er führt hier die Unterscheidung von drei Arten der Mystik ein: in der Naturmystik vereinigt sich der Mystiker mit der bloßen Natur; in der monistischen Mystik verschmilzt die Seele mit einem unpersönlichen Absoluten; und schließlich existiere die theistische Mystik, in der sich die Seele endlich dem höchsten Ziel gegenüber sieht: dem lebendigen und persönlichen Gott. Allenfalls die ersten beiden Formen der Mystik könnten durch Drogen erfahren werden. Zaehners Deutung ist offenkundig theologisch verankert; er kann hier wohl sein eigenes christliches Wertesystem nicht so ganz abstreifen. Zaehner kam zu dem Schluss, Drogenmystik sei „ künstlich “ und zutiefst „ antireligiös “ (Rudgley, 1999: 241). Rudgley (ebd.): „ Eine bemerkenswerte Folgerung, für einen Mann, der sich sein ganzes akademisches Leben lang dem Studium der religiösen Traditionen Indiens und Irans verschrieben hatte (und schwergewichtige Bände über den Hinduismus und den Zoroastrismus verfaßt hatte), die jeweils die psychoaktive Soma-Pflanze bei ihren archaischen religiösen Riten eingesetzt haben !“

[12] Newsweek, 7.5.2001

[13] Washington Post, 17.6. 2001

[14] Washington Post, 17.6. 2001

[15] Die Versuchspersonen erleben im allgemeinen offenbar Varianten des Phänomens der „sensed presence“, aber nicht die typischen Charakteristika mystischer Erfahrung, d.h. etwa Auflösung der dualistischen Subjektobjekt-Bezogenheit.

[16] So z. B. von dem Anthropologen Weston La Barre 1972 in seinem Essay „Hallucinogens and the Shamanic Origins of Religion“. La Barre stellt hier fest, daß alles menschliche Wissen bezüglich des Übernatürlichen in letzter Konsequenz von Ekstasespezialisten bzw. Visionären stammt. Die Urform ekstatischer Erfahrung findet sich La Barre zufolge in der religiösen Matrix des Schamanismus, und dieser wiederum sei nachweislich essentiell mit dem Gebrauch psychoaktiver Pflanzen verbunden.

[17] Barnard, 1966: 16-24, zit. i. Smith 2000: 19.

[18] Neben psychoaktiven Pflanzen waren wohl auch Erschöpfungszustände durch deprivatorische Erfahrungen, die durch Hunger und anstrengende Jagdausflüge sowie Krankheit und Verletzung ausgelöst wurden, vorkulturelle Prototypen von Ekstasetechniken. Sowohl rituelles Fasten als auch erschöpfende rituelle Tänze und Flagellantentum können als elaborierte kulturelle Mimesis dieser ursprünglichen Auslöser des Kontaktes zum Übernatürlichen betrachtet werden (siehe Gladigow, 1978 25).

[19] Der Prozeß der chemischen Übertragung an den Synapsen beruht auf der Aktivität von Trägerstoffen, die als Neurotransmitter bezeichnet werden. Wenn ein Nervenimpuls das Ende eines Axons erreicht, werden hier genau abgemessene Mengen von Botenstoffen in den Spalt zwischen den Synapsen freigesetzt (Zimbardo, 1995: 125).

[20] Aus der „Allgemeinen Geschichte der Dinge in Neu-Spanien“, die im 16. Jh. von dem Franziskanermönch Bernardino de Sahagun veröffentlicht wurde, geht hervor, daß die Azteken einen heiligen Pilz benutzten, den sie Teonanacatl (Fleisch der Götter) nannten. Ololiuqui nannten die Azteken die Samen der Trichterwinde (Turbina corymbosa und Ipomea violacea) (Rudgley 1999:259; 289)

[21] Phosphene sind neurophysiologisch erzeugte optische Wahrnehmungen mit zeichenhaften Charakter, die durch Dunkelheit, mechanischen Druck auf die Augen und durch den chemischen Einfluß psychoaktiver Substanzen entstehen.

[22] Es kann heute nicht als unanzweifelbar gelten, daß Soma tatsächlich der Fliegenpilz war (vgl. d. Flattery u. Schwartz, 1989, Spess 2000). Die Hinweise die Wasson zusammengetragen hat, sind jedoch möglicherweise die schlüssige Annäherung an die Identität des Entheogens. Führende Spezialisten der Indologie sehen meistens keine Gründe, der Amanita Beweislage zu widersprechen. So bspw. Stella Kramrisch, führender Experte für religiöse indische Kunst: „ Wasson beweist jenseits aller Zweifel, daß Soma aus Amanita muscaria hergestellt wurde. Er hat fast 3000 Jahre der Unwissenheit über die „Pflanze der Unsterblichkeit“ richtiggestellt. “ Die renommierte Indologin O´Flaherty, stand der Hypothese zunächst skeptisch gegenüber, betrachtet sich heute jedoch als vollkommen konvertiert, in Hinblick auf Wassons These. Professor Ingalls von der Harvard Universität resümiert: „ Die grundsätzlichen Fakten über die Somapflanze wie sie im Rig-Veda beschrieben wird, legen keine gute Rechenschaft ab, für die vorhergehenden Identifizierungsversuche. Sie sind jedoch perfekt geeignet, die Identifizierung mit dem Amanita muscaria oder Fliegenpilz zu stützen. Nicht all die Epitheta, die Wasson heranzieht, müssen so gedeutet werden, wie er es vornimmt, aber selbst dann bleibt immer noch genug in seiner Argumentation, um zu überzeugen. Wassons Identifizierung ist eine wertvolle Entdeckung.“ Der Anthropologe Weston La Barre ist gar überzeugt: „ Der Zusammenschluß von linguistischen, botanischen, ethnographischen und ökologischen Beweisen ist erheiternd. Die Identifizierung von Soma als Amanita muscaria ist definitiv, und das Sanskrit Puzzle von 2000 Jahren, von den Brahmanas bis heute, kann nun als letztgültig gelöst betrachtet werden.“ Levi-Strauss: „ Die Arbeit von Herr Wasson begründet überzeugend, daß unter all den möglichen Kandidaten für Soma, Amanita muscaria der weit und breit plausibelste ist.“ (Smith, 2000: 57ff.).

[23] Der Anthropologe Victor Turner (1989) hat darauf hingewiesen, daß die Gründungsphase von religiösen Bewegungen vielfach mit einem weitverbreiteten Erleben von Ekstase unter ihren Anhängern einhergeht. Das flüchtige Moment der Ekstase, von Turner als „spontane Communitas“ bezeichnet, würde jedoch im Prozeß der Institutionalisierung von Religionen durch Doktrinen und moralische Codes - „normative Communitas“ – abgelöst. Die institutionalisierten Formen von Communitas nennt Turner "normativ", da sie auf der Etablierung normativer Regeln und Strukturen basieren, in denen das Anti-Strukturelle der spontanen Communitas auf Dauer aufrechterhalten, bzw. in sozial konstruktive Bahnen gelenkt werden soll. Normative Communitas läuft natürlich immer Gefahr, die unmittelbare Verbindung zum ursprünglich ekstatischen Impetus mit der zunehmenden Formation von Struktur zu verlieren.

[24] Die Bevölkerungsdichte im Amazonas-Bassin war neueren Studien zufolge vermutlich wesentlich höher, als dies in der Vergangenheit angenommen wurde. Davon ausgehend, dass bereits im 16. und 17. Jh. von den Einfallenden Eroberern Epidemien mit einer Sterblichkeitsrate von 75% unter den Stämmen des Amazonas verbreitet wurden, schließt Thomas P. Myer (1988, zit. i. Luna, 1991: 9) auf eine ursprüngliche Bevölkerungszahl an den unteren Huallaga und Pastaza Flußläufen, die im Jahre 1524 möglicherweise 10 Millionen überstieg. 1654 gab es hier noch 106500 Einwohner. Die Cocamas vom Ucayali zählten vielleicht mehr als 1.200.000 Menschen. 1651 verblieben hier noch 1650 Seelen. Sollten diese Daten wahr sein, stehen frühere Theorien über die Fähigkeit des Amazonasgebietes, eine Vielzahl von Menschen zu ernähren, als unterschätzende Mythen dar, und die Stammeskulturen dieser Region verfügten über ein heute ausgelöschtes, hoch effizientes Wissen über die agri- bzw. hortikulturelle Nutzung der Ressourcen ihrer Umwelt.

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Details

Titel
Formen des religiösen Gebrauches des entheogenen Sakramentes Ayahuasca unter besonderer Berücksichtigung des Aspektes ihrer Kriminalisierung
Hochschule
Universität Bremen  (Fachbereich Religionswissenschaft)
Note
gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
92
Katalognummer
V1673
ISBN (eBook)
9783638110365
Dateigröße
2019 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ayahuasca, Ekstase, Drogen, Halluzinogene, Santo Daime, DMT
Arbeit zitieren
Silvio Andreas Rohde (Autor:in), 2001, Formen des religiösen Gebrauches des entheogenen Sakramentes Ayahuasca unter besonderer Berücksichtigung des Aspektes ihrer Kriminalisierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1673

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