Die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt:

Die Konstruktion des ‚schwulen Staatsfeindes’.

Homosexualität als ‚grundsätzlich heilbares Übel’

Lesbische Frauen im NS-Staat

Die Praxis der Verfolgung homosexueller Männer

Die gesellschaftliche Akzeptanz der Verfolgung

Die Homosexuellenverfolgung im NS-Staat: Ein ‚Homocaust’?

Literatur:

Die Konstruktion des ‚schwulen Staatsfeindes’.

Die Verfolgung und Diskriminierung von Homosexuellen ist keine spezifische Erscheinung des Nationalsozialismus. Die Kriminalisierung der gleichgeschlechtlichen Liebe lässt sich bis ins frühe Mittelalter verfolgen[1], in Deutschland gab es seit 1871 mit dem § 175 RStGB eine reichsweite Strafverordnung die die gesetzliche Grundlage zur Verfolgung von Homosexuellen schuf. Gleichwohl nahm die Verfolgung insbesondere schwuler Männer im Dritten Reich spezifische Züge an. Grundlegend dafür war die Herauslösung des Homosexuellendiskurses aus den bisher zuständigen Agenturen der Medizin und Justiz und seine politische Aufladung. Schwule waren nicht mehr länger ‚nur’ Kranke oder Kriminelle, sondern wurden in der NS Propaganda zu Feinden der Volksgemeinschaft und damit zu Staatsfeinden stilisiert. „Nicht ‚arme kranke Menschen’ sind zu ‚behandeln’ sondern Staatsfeinde auszumerzen“[2] so der Schlusssatz eines einschlägigen Artikels im ‚Schwarzen Korps’, dem propagandistischen Zentralorgan der SS aus dem Jahre 1937. Im Sinne des Ideals einer völkisch formierten Gesellschaft galt es für die Nationalsozialisten all diejenigen ‚auszumerzen’ oder ‚umzuerziehen’, die sich der Volksgemeinschaft widersetzten oder entzogen. Auch die Verfolgung schwuler Männer war Element dieser Politik. Dabei basierte die Konstruktion des Homosexuellen als Staatsfeindes vor allem auf drei Argumenten, die sich immer wieder in der nationalsozialistischen Propaganda finden lassen:

Zum einen fürchtete man eine Beeinträchtigung des Bevölkerungswachstums durch die ‚Zeugungsverweigerung’ schwuler Männer. In einer Rede des Reichsführer SS Heinrich Himmler, die er am 18. Februar 1937 in Bad Tölz vor Höheren SS-Führern hielt, heißt es: „Es gibt unter den Homosexuellen Leute, die stehen auf dem Standpunkt: was ich mache, geht niemanden etwas an, das ist meine Privatangelegenheit. Alle Dinge, die sich auf dem geschlechtlichen Sektor bewegen, sind jedoch keine Privatangelegenheiten, sondern sie bedeuten das Leben und das Sterben des Volkes, bedeuten die Weltmacht und die Verschweizerung.“[3]

Vor dem Hintergrund des Fortbestehens der Volksgemeinschaft verlor die Sexualität im NS jeglichen privaten Charakter. Sie wurde rein auf die Fortpflanzung hin definiert. Und so verwundert es auch nicht, dass in der Ideologie der Machthaber jede Abweichung im sexuellen Verhalten, insbesondere die Homosexualität, sofort das Fortbestehen des Volkes in Frage stellte. Himmler hantierte in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder mit einer ganzen Reihe von Zahlenbeispielen, die die Relevanz dieser Gefahr verdeutlichen sollten[4]. Allerdings griff er dabei auf völlig unterschiedliche Zahlen zurück, was verdeutlicht, wie wenig durchdacht die These vom bevölkerungspolitischen Schaden durch die Homosexualität war. Sie fand auch keinen ernsthaften Einzug in die Überlegungen der NS Bevölkerungsforschung, die sich ansonsten akribisch mit den Ursachen des Bevölkerungsrückganges im Dritten Reich auseinandersetze. Vielmehr diente sie fast ausschließlich als Argument für die Diskriminierung und Verfolgung von Schwulen. Deren Homosexualität sollte als Symptom sterbender Völker dargestellt werden.

Aber nicht nur den Fortbestand der Volksgemeinschaft, sondern auch deren Funktionstüchtigkeit sahen die NS-Ideologen durch die Homosexualität in Gefahr. Die Furcht vor der Fremdheit der Homosexuellen, ihre Interna, ihren Geheimnissen und ihrer nur Eingeweihten zugänglichen Art des Vergnügens wurde überhöht zu der Behauptung, Schwule hätten die Eigenschaft einen ‚Staat im Staate’ zu bilden. So warnte Himmler in der Rede in Bad Tölz eindringlich davor, dass die Auswahl von Untergebenen nach dem „erotischen Prinzip“ die Zerstörung des Staates zur Folge hätte[5]. Homosexuelle hätten die Eigenschaft, sich wiederum mit Homosexuellen zu umgeben und dabei Heterosexuelle nicht nur auszuschließen, sondern geradezu „kaputtzumachen“. Himmler befürchtete also nicht nur, dass sich die Homosexuellen der Kontrolle des Staates entziehen würden, sondern auch dass sie ihr ‚Anders sein’ gegen diesen Staat einsetzten. Die homophobe Angst vor dem Fremden ließ diese Schwulen nicht nur als unkontrollierbar, sondern auch als aggressiv erscheinen, was die Behauptung, sie seien eine Gefahr für den Staat zusätzlich legitimieren sollte.

Aber nicht nur durch ihren angeblichen Hang zur Gruppenbildung sollten Homosexuelle den Staat gefährden. Dieser Staat war als Männerstaat konzipiert, der getragen werden sollte von Kameradschaft, Mut und Ritterlichkeit. Genau diese Eigenschaften wurden Homosexuellen aber abgesprochen. Um den homosexuellen Mann als Gegenbild zum Männerideal des Dritten Reiches zu konstruieren, bedienten sich die Nationalsozialisten einer ganzen Reihe von Stereotypen, die einem sexistischen Frauenbild entnommen und auf die Schwulen übertragen wurden: sie seien verweichlicht, feige, hätten eine Neigung zur Lüge und ein unstillbares Mitteilungsbedürfnis. Diese ‚weibischen’ Männer waren aber im von klaren Geschlechterrollen bestimmten Gesellschaftsbild der Nationalsozialisten ein Fremdkörper, der nicht zu dulden war. Insbesondere da er drohte, die ,saubere’ Kameradschaft unter Männern erotisch aufzuladen, ein unverzeihliches Verbrechen vor dem Hintergrund einer gerade auf dieser Kameradschaft aufbauenden Staatsideologie.

Homosexualität als ‚grundsätzlich heilbares Übel’

Die Typisierung des Homosexuellen im NS war keine Neuerfindung, sondern griff viele Elemente auf, die bereits vor 1933 den Homosexuellendiskurs bestimmten. So verwundert es auch nicht, dass die Frage nach den Ursachen der Homosexualität, die die Sexualwissenschaft lange Zeit beschäftigt hatte, auch im NS eine große Rolle spielte[6]. NS spezifisch war jedoch wiederum, dass diese Frage über Leben und Tod der Betroffenen entscheiden konnte. Wurde das ‚Laster’ der Homosexualität im Laufe des Lebens erworben oder war es angeboren? Von der Klärung dieser Frage hingen nicht zuletzt auch die ‚Heilungschancen’ der Betroffenen und damit deren Rückführung als ‚brauchbares Mitglied’ in die Volksgemeinschaft ab. Der Umgang der Nationalsozialisten mit der Homosexualität war von dem Versuch geprägt, zwischen zwei Gruppen zu differenzieren. Man ging davon aus, dass es innerhalb der schwulen Gemeinschaft eine kleine Minderheit von ‚Abnormalen’ gab. Sie galten als Verführer, als ‚Seuchenherd’ und ‚Kristallisationspunkte des Ekels’ und waren somit voll von der NS typischen Ausmerzungsideologie betroffen. Doch der Anteil dieser Gruppe wurde nur auf ca. 2% geschätzt. Daneben gab es die große Gruppe der ‚Verführten’. Sie waren die „durch Neigung homosexuell Gewordenen – die durch zu reichlichen Genuss von Frauen überdrüssig, die in ihrem Parasitenleben neue Lebensreize suchten“[7]. Bei ihnen hoffte man durch Umerziehung eine ‚Heilung’ erreichen zu können. Den Nationalsozialisten ging es weniger um die Vernichtung der Homosexuellen als um die Ausmerzung des Phänomens Homosexualität an sich. „Der seine Homosexualität auslebende Mann war [...] zum Staatsfeind diskriminiert worden. Der seine Homosexualität unterdrückende oder ihrer beraubte Mann aber war in der Kosten-Nutzen Rechnung für die Volksgemeinschaft tragbar“[8]. Man versuchte also die ‚Spreu vom Weizen’ zu trennen, eine Maxime, die auch die Verfolgungspraxis gegenüber Homosexuellen prägte. Dies soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die ‚Umerziehungsmaßnahmen’, denen viele als Verführte geltende Homosexuelle ausgesetzt waren, oftmals von großer Brutalität geprägt waren.

[...]


[1] Vgl. Grau, Günter (Hrg.), Homosexualität in der NS-Zeit. Dokumente einer Diskriminierung und Verfolgung, Frankfurt/M 1993, S.29.

[2] Zit. nach Rönn, Peter von, Politische und psychiatrische Homosexuellenkonstruktion im NS-Staat. Teil I Die Politische Genese des Homosexuellen als Staatsfeind, Zeitschrift für Sexualforschung 11 (1998), S.123.

[3] Hier und im Folgenden zit. nach Smith, Bradley F. ; Peterson Agnes F., Heinrich Himmler. Geheimreden 1933 bis 1945, Frankfurt/M u.a. 1974, S.93ff.

[4] Vgl. Jellonnek, Burkhard, Homosexuelle unter dem Hakenkreuz. Die Verfolgung der Homosexuellen im Dritten Reich, Paderborn 1990, S. 27.

[5] Interessanterweise begründet Himmler die Behauptung, Schwule würden ihre Untergebenen nicht nach dem Prinzip der Leistung auswählen mit dem Hinweis, dies sei ja bei der Auswahl von weiblichen Untergebenen durch Heterosexuelle auch selten der Fall. „Es sind nur Männer hier, folglich kann man das sehr ruhig sagen“. Die untergeordnete Rolle, die Frauen im NS-Staat spielen mussten, schien dies allerdings nicht zum Problem werden zu lassen.

[6] Überhaupt war die Entwicklung der Sexualwissenschaften über 1933 hinaus im großen ganzen von Kontinuität geprägt. Ausnahme hierbei waren nur Wissenschaftler, die in der Weimarer Republik emanzipatorische Ziele verfolgt hatten wie Magnus Hirschfeld und Wilhelm Reich. Vgl. Jellonnek, Homosexuelle, a.a.O., S. 22.

[7] So der Lagerkommandant von Auschwitz Rudolf Höß in seinen autobiographischen Aufzeichnungen. Zit. nach Rönn, Homosexuellenkonstruktion, a.a.O., S.122.

[8] Jellonnek, Homosexuelle, a.a.O. S. 35.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Institut für Geschichte)
Veranstaltung
Hauptseminar Fremdheit und Selbstverständnis. Kategorien deutscher Politik im 20. Jahrhundert.
Note
1,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
18
Katalognummer
V1667
ISBN (eBook)
9783638110327
Dateigröße
404 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Homosexuelle im NS Staat, Homocaust, Lesben, Schwule, Ausgrenzung, Verfolgung, Rosa Winkel
Arbeit zitieren
Jost Wagner (Autor:in), 2001, Die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1667

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