Twitter - Das Verbreitungsmedium für Alle

140 Zeichen zur Selbstbeschreibung der Gesellschaft


Hausarbeit, 2009

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung - Was machst du gerade?

2. Die Technik

3. Die Realität von Twitter
3.1. Das Massenmedium
3.1.2. Massenkommunikation nach Maletzke
3.1.1. Das Arena-Modell
3.1.3. Luhmanns Verbreitungsmedien
3.1.3.1. Nachrichten
3.1.3.2. Unterhaltung
3.1.3.3. Werbung
3.2. Privatinformationen
3.2.1. Selektionsregel
3.2.2. Alltägliches

4. Fazit - Der wohltuende Realismus

Literaturverzeichnis

1. Einleitung: Was machst du gerade?

Die Fragestellung “What are you doeing?”, die über der dafür vorgesehenen Eingabemaske zu lesen ist, müsste im Grunde genommen „Was möchtest du der Welt mitteilen?“ lauten. Lefe aus Köln freut sich in diesem Moment auf einen Erasco Linseneintopf zum Mittagessen1, dabei informiert Peter Klinglmüller seine Follower darüber, dass der Fußballclub Union Berlin auf wichtige Sponsorengelder verzichtet2, während Frank Wallitzek aus Bonn für kurzweilige Unterhaltung sorgt und ein lustiges Foto seiner beiden Katzen ins Internet stellt.3 So wie Lefe, Frank und Peter, die sich einander nicht kennen, kommunizieren derzeit insgesamt knapp 40 Millionen Nutzer weltweit über Twitter4 und tragen dazu bei, dass ein öffentlicher Raum entsteht, der eine erstaunlich große Anzahl an Mitteilungen mit einem immensen Themenspektrum beinhaltet, wie es bisher noch von keinem anderen Medium zuvor geleistet werden konnte. Bis zum Jahr 2013 sollen über eine Milliarde Nutzer den Microblogdienst verwenden und damit Twitter zum größten Online-Dienst im Internet machen5. Ein so reichhaltiges Kommunikations- und Themenangebot, das von jedermann mitgestaltet werden kann, und das für alle rezipierbar ist, muss weitreichende Konsequenzen für die Realitätskonstruktion der Gesellschaft haben. Zum ersten Mal könnte Bertolt Brechts Vorschlag von einem Kommunikationsapparat, der versteht, „nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen“6, Anwendung finden. Vieles deutet dennoch darauf hin, das Twitter auch als Massenmedium verstanden werden kann.

In der vorliegenden Arbeit werden die medialen Eigenschaften beider Begriffe aus konstruktivistischer Perspektive näher betrachtet, um zur Feststellung zu gelangen, dass es sich bei Twitter um eine Verschränkung von Kommunikationsapparat und Massenmedium handelt. Das soll heißen, dass die Aspekte beider Formen bestimmend für die Beschaffenheit des hier betrachteten öffentlichen Raumes sind. Twitter erfüllt die Funktionen der klassischen Massenmedien nach Niklas Luhmann: Repräsentation von Öffentlichkeit, Orientierung und Selbstverortung in der Gesellschaft. Zudem hat Twitter durch seine medialen Eigenschaften als Kommunikationsapparat das Potential, Realität realer zu konstruieren als es bisher die klassischen Massenmedien allein leisten konnten.

Um die genannten Punkte nachweisen zu können, ist es notwendig, wichtige technische Funktionen von Twitter darzustellen, um anschließend mit überwiegender Hilfe der Theorien von Niklas Luhmann die Aspekte der Medialität von Twitter und ihre Wirkung erläutern zu können. Dabei können dem Umfang dieser Arbeit entsprechend nicht auf alle Punkte eingegangen werden. Es sollte trotzdem deutlich werden, dass Twitter ein Medium ist, mit dessen Hilfe sich die Gesellschaft selbstbeschreibt, dass alle gesellschaftlichen Themen integriert, um private Themen ergänzt und damit als thematisch allesumfassend gelten kann.

2. Die Technik

„Twitter is like having a party in your pocket!”7 oder “Twitter is the best and easiest social marketing tool on the web - fast updates, low maintenance, potentially high impact and fun!”8 oder “Twitter is a online tool that lets you send messages & talk to whomever you ‘follow’ and whomever is following you”9. Diese Sätze, die aus der Twitter-Blogosphäre entnommen sind, sollen verdeutlichen, was Twitter für seine Netzwerk-Teilnehmer sein kann - nämlich eine öffentliche, informative, unterhaltsame und für Marketingzwecke zugebrauchende Kommunikationsplattform, mit der jeder Nutzer theoretisch10 selbst entscheiden kann, welche Blogs11 er von anderen empfangen möchte und welche Nutzer, die wir im Folgenden Follower nennen werden, seine Tweets abonnieren dürfen. Genau formuliert ist Twitter ein eindimensionales „Microblogging-Werkzeug“12, mit dem Information in den Umlauf gebracht wird und eine Reaktion nicht zwingend notwendig ist. Der Begriff Werkzeug deutet bereits darauf hin, dass es sich hier nicht notwendigerweise um eine Internetseite handeln muss, sondern Twitter ein Medium darstellt, das in anderen Medien integriert werden kann und selbst andere Medien integriert. So zum Beispiel ist Twitter einerseits mit Hilfe von Internetseiten, wie z.B. Facebook und StudiVZ oder auch mit SMS und Email nutzbar, und andererseits können alle öffentlichen Inhalte aus dem Internet mit Hilfe eines Hyperlinks im Tweet veröffentlicht werden, so dass Fotos, Videos, Audiofiles -der die Inhalte anderer Webseiten indirekt über Twitter verschickt werden. So entsteht eine integrierte Plattform, die charakteristisch für das Internet, im Besonderen für die Blogosphäre ist: „eine Mischung aus Informationsaustausch und sozialer Vernetzung“.13 Oder konkreter formuliert:

„Die Communitys […] in der Blogosphäre zeigen sich gegenseitig die Welt. So wird die Neugierde bedient und Informationsflut gleichzeitig thematisch gefiltert. War es bisher das Problem von Internetbesuchern, dass sie oft nicht wussten, wie sie auf neue Seiten kommen, die sie interessieren, so etablieren die Social-Software-Plattformen völlig neue Einstiegspunkte in das WWW“14.

Erwähnt werden muss, dass Twitter darüberhinaus seinen Nutzern die Möglichkeit bietet, die Nachrichten anderer Medien nicht nur aufzugreifen sondern auch private Themen öffentlich zu machen, so dass Privatheit und Öffentlichkeit offenbar endgültig miteinander vermischt15 werden - einem Vorgang, der bereits von anderen Medien bekannt ist.16 Die Verschränkung von Privatem und Öffentlichem mittels einer öffentlichen und massenmedialen „Used-generated“17 - Plattform, die alle gesellschaftlichen Themen (alle Programmbereiche) integriert, weltweit über verschiedene Kanäle und mobil nutzbar ist, hat weitreichende Folgen für die Selbstbeschreibung der Gesellschaft und die Konstruktion von Realität, auf die im nächsten Kapitel näher eingegangen werden soll.

3. Die Realität von Twitter

Um die Konstruktion von Realität durch Twitter beschreiben zu können, macht es Sinn einen Blick auf die Theorien Niklas Luhmanns, der dem operativen Konstruktivismus zuzuordnen ist und ausführlich das System der Massenmedien untersucht hat, zu werfen. Luhmann beschreibt in diesem Werk, welche Funktionen die Massenmedien in der Gesellschaft einnehmen, wofür sie verantwortlich sind und kommt zur Erkenntnis: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“.18 Damit ist gemeint, dass wir mit Hilfe der Massenmedien die Welt lesen können bzw. durch ihren Inhalt ein konstruiertes Bild der Realität geliefert bekommen. Denn systemtheoretisch betrachtet, beobachten Massenmedien mit Hilfe einer Unterscheidung, die die Differenz von System und Umwelt produziert, die „reale Realität“19, die aus ihren eigenen Operationen besteht - nämlich aus Kommunikation!20 In einem zweiten Schritt wird die Unterscheidung kommuniziert, so dass von Beobachtung zweiter Ordnung gesprochen werden kann. Wichtig ist, mit welcher Unterscheidung die Massenmedien die „reale Realität“ kommunizieren versuchen, da sie (die Unterscheidung) verantwortlich dafür ist „was für sie [die Massenmedien] oder durch sie für andere als Realität erscheint“21. Gemeint ist damit, dass die Massenmedien mit dem binäre Code Information / Nicht-Information22 arbeiten und damit eine Realität zweiter Ordnung konstruieren. Informationen für die Massenmedien sind im Allgemeinen Brüche oder Diskontinuitäten (z.B. Skandale, Verbrechen, Naturkatastrophen, Normverstöße), aber nicht Normales und Belangloses.

„Mit dieser Art der Selbstbeobachtung reizt die Gesellschaft sich selbst zu ständiger Innovation. Sie erzeugt: ‚Probleme‘, die ‚Lösungen‘ erfordern, die ‚Probleme‘ erzeugen, die ‚Lösungen‘ erfordern. Sie reproduziert damit zugleich Themen, die die Massenmedien aufgreifen und in Information transformieren können“23.

Die Massenmedien kommunizieren danach ständig über die Wirkung ihrer Kommunikation und sind deshalb verantwortlich „für die Produktion der Eigenwerte der modernen Gesellschaft“24 und dafür, dass sich der Einzelne in der modernen Gesellschaft selbstverorten und orientieren kann.25 Diese Orientierungsfunktion der Massenmedien wird bei Niklas Luhmann durch drei Programmbereiche erzeugt: Nachrichten, Unterhaltung und Werbung. (Die Einteilung soll in den folgenden Kapiteln verwendet werden, da sie eine sehr gute Möglichkeit darstellt, das umfangreiche Inhaltsangebot und Themenspektrum von Twitter zu kategorisieren). Damit die These dieser Arbeit haltbar bleibt, muss in einem ersten Schritt untersucht werden, ob Twitter tatsächlich die Eigenschaften eines Massenmediums besitzt und zumindest teilweise die Funktionen der traditionellen Massenmedien erfüllt26 und im Falle des Zutreffens in einem zweiten Schritt erläutert werden, warum Twitter ein abweichendes Bild der bisher bekannten durch klassische Massenmedien konstruiertes Bild der Realität gestaltet.27 Im dritten Schritt wird veranschaulicht weshalb Twitter das Potential hat, einen stärkeren Bezug zur Realität zu entwerfen.28

3.1. Massenmedialität

Dargestellt wurde bereits, dass Twitter kommuniziert und damit einen Beitrag zur Realitätskonstruktion im Sinne Luhmanns leistet. Weiter muss analysiert werden, ob die Eigenschaften von Twitter denen der Massenkommunikation entsprechen, damit es die Orientierungsfunktionen der klassischen Massenmedien erfüllen kann. Anschließend kann gezeigt werden, dass Luhmanns Programmbereiche auch bei Twitter existieren. Drei Betrachtungsweisen (Maletzke, Arena-Modell, Luhmann) sollen verdeutlichen, ob die Verwendung des Begriffs Massenmedium für Twitter geeignet erscheint.

3.1.1. Massenmedium nach Maletzke

Gerhard Maletzke, der als Begründer der Massenkommunikationsforschung in Deutschland gilt, fand eine Definition von Massenkommunikation, die bereits massenhaft kommuniziert wurde. Seiner Ansicht nach ist Massenkommunikation dadurch bestimmt, dass „sie ‚öffentlich‘ ist […], dass sie ‚durch technische Mittel verbreitet‘ wird […], dass sie ‚indirekt‘ erfolgt […] und dass sie ‚einseitig‘ stattfindet“29. Diese Begriffsbestimmung trifft in weiten Teilen auch auf Twitter zu. Offensichtlich ist, dass die Kommunikation ausschließlich durch technische Mittel verbreitet wird und indirekt erfolgt, d.h. eine räumliche Distanz zwischen den Kommunikationspartner liegt. Nicht ganz in der Deutlichkeit spielen die Begriffe ‚öffentlich‘ und ‚einseitig‘ bei Twitter eine wichtige Rolle. Bei genauerer Betrachtung ist festzustellen, dass der Sender des Tweets sein Publikum völlig unabhängig von der Anzahl seiner Follower nicht genau bestimmen kann. Zum einen sind alle öffentlichen Tweets von Allen, die einen Internetzugang besitzen in der sogenannten Timeline30 nachlesbar und zum anderen werden interessante Tweets von den Followern des Senders aufgegriffen und zum Beispiel als sogenannter Retweet (RT) innerhalb des Netzes weitergegeben.

[...]


1 Vgl. Lefe. In: Twitter, URL: http://twitter.com/Lefe (30.08.2009).

2 Vgl. Peter Klinglmüller. In: Twitter, URL: http://twitter.com/pk2604 (30.08.2009).

3 Vgl. Frank Wallitzek. In: Twitter, URL: hhtp://twitter.com/frankwallitzek (30.08.2009).

4 Vgl. Knüwer, Thomas: Twitter will künftig mit Unternehmen Geld verdienen. In: Zeit Online, URL: http://www.zeit.de/online/2009/31/twitter-firmenaccounts-einnahmen (03.09.2009) [S. 1].

5 Vgl. ebd., [S. 1].

6 Brecht, Bertolt. In: Kursbuch Medienkultur, Düsseldorf 2004, S. 260.

7 Micek, Deborah/Warren Whitlock: Twitter Revolution. How Social Media and Mobile Marketing is Changing the Way We Do Business & Market Online, Las Vegas 2008, S. 32.

8 Ebd., S. 32.

9 Ebd., S. 32.

10 Theoretisch deshalb, da nicht kontrollierbar ist wer empfängt. Siehe Kapitel 3.1.1.

11 Blogs: im Folgenden auch Tweets genannt: Kurze Einträge mit maximal 140 Zeichen.

12 Ebersbach, Anja u.a.: Social Web. Konstanz 2008, S. 77.

13 Ebersbach: Social Web, S. 77.

14 Ebd., S. 204.

15 Vermischung von Privatheit und Öffentlichkeit, siehe Kapitel: 3.2. und 4.

16 Vgl. Hickethier, Knut: Einführung in die Medienwissenschaften, Stuttgart 2003, S.213.

17 Used-generated-Content: Von den Nutzern selbst erstellte Inhalte. Potentielle Nutzer sind alle Institutionen, Firmen, Politiker, Privatpersonen, traditionelle Massenmedien mit Zugang zum Internet.

18 Luhmann, Niklas: Realität der Massenmedien, Wiesbaden 2004, S. 9.

19 Ebd., S. 12.

20 Vgl. ebd., S. 13.

21 Ebd., S. 14.

22 Vgl. ebd., S. 36.

23 Ebd., S. 141.

24 Ebd., S. 177.

25 Vgl. ebd., S. 177.

26 Siehe Kapitel 3.1.

27 Siehe Kapitel 3.2.1.

28 Siehe Kapitel 3.2.2.

29 Maletzke, Gerhard. In: Helmut Schanze (Hrsg.): Metzler Lexikon Medientheorie Medienwissenschaft. Ansätze - Personen - Grundbegriffe. Weimar 2002, S. 191.

30 Timeline: Alle öffentlichen Tweets erscheinen hier geordnet nach dem Verbreitungsdatum.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Twitter - Das Verbreitungsmedium für Alle
Untertitel
140 Zeichen zur Selbstbeschreibung der Gesellschaft
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft)
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
17
Katalognummer
V166693
ISBN (eBook)
9783640828470
Dateigröße
468 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Twitter, Medien, Microblogging, Blogs, Niklas Luhmann, Gesellschaft, Öffentlichkeit, Privatheit, Verbreitungsmedium, Massenmedien
Arbeit zitieren
Felix Wende (Autor:in), 2009, Twitter - Das Verbreitungsmedium für Alle, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/166693

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Twitter - Das Verbreitungsmedium für Alle



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden