Realität und Wahrheit im Film. Die Möglichkeiten der dokumentarischen Animation


Diplomarbeit, 2010

63 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Film
1.1 Filmgeschichte
1.2 Gedanken zum Kurzfilm
1.2.1 Träume
1.2.2 Die Idee der Bilderbewegung
1.2.3 Lumière - Licht
1.2.4 Der Kurzfilm als Vorfilm
1.2.5 Der Kurzfilm heute
1.3 Wie es ein guter Film wird
1.3.1 Erzähle etwas, aber nicht alles
1.3.2 Eine Geschichte braucht Konflikte
1.3.3 Narrativer Dokumentarfilm
1.3.4 Umsetzen des perfekten Drehbuchs
1.3.5 Filmmusik
1.3.6 Emotionen und Herz

2. Animation
2.1 Meine Animation
2.2 Animationsgeschichte und -ikonen
2.2.1 Walt Disney
2.2.2 Computeranimation
2.2.3 John Lasseter
2.2.4.1 Lotte Reiniger und der Scherenschnitt
2.2.4.2 Inspirationsquelle Reiniger
2.3 Animationsarten
2.4 Trickfiguren
2.4.1 Perfektion und Individualität
2.4.2 Inneres und Ä u ß eres Design
2.4.3 Das innere Bild

3. Dokumentarfilm
3.1 Geschichtliches
3.1.1 Grierson und Flaherty
3.1.2 Dokumentarfilmgeschichte
3.1.3 Ivens und Riefenstahl
3.1.4 Revolution der Technik
3.1.5 Direct Cinema
3.1.6 Cin é ma V é rit é
3.1.7 Individuelle Wirklichkeiten
3.2 Standpunkte
3.2.1 Mein Dokumenarfilm
3.2.2 Objektivität und Selektivität
3.2.3 Erinnerungen
3.2.4 Tod im Dokumentarfilm
3.2.4.1 Die Perzeption des Todes im Wandel
3.2.4.2 Tod auf der Leinwand
3.2.4.3 Vom Tod eines Kaninchens
3.2.5 Was kann die Animation beitragen?
3.2.6 Freiheit
3.2.7 Poesie und Zufall

4. AniDoku
4.1 Kann Animationsfilm dokumentarisch sein?
4.2 Beispiele
4.2.1 Waltz with Bashir
4.2.2 Waking Life
4.2.3 Creature Comforts
4.2.4 Gefälschte dokumentarische Animationen
4.2.5 Illustrierte Radiodokumentationen
4.2.6 Rotoskopie schafft Realität
4.2.7 Winsor McCay
4.2.8 Animation als Mittel der Distanz

Schlusswort

Vorwort

Diese Diplomarbeit beschäftigt sich mit den Themen Animations- und Dokumentarfilm und stellt die theoretische Grundlage für meinen praktischen Diplomteil dar. Das Wort ›AniDoku‹ ist erfunden und setzt sich dabei aus den Begriffen ANImation und DOKUmen- tation zusammen. Die AniDoku befasst sich mit dem Genre der dokumentarischen Anima- tion, das schon seit den frühen Tagen des Films existiert. Die Arbeit geht also der Frage nach Realität und Wahrheit im Film auf den Grund, und untersucht die Animation und den Dokumentarfilm im Einzelnen, um aufzuzeigen, worin die Möglichkeiten der dokumentari- schen Animation liegen.

Ich habe das Thema gewählt, um mich auf meinen Film my grandfathers story vorzube- reiten. Der Film handelt von meinem verstorbenen Großvater und wird meine Abschluss- arbeit sein. Auch wenn ich bereits zwei Animationsfilme gemacht habe, ist es jedesmal wieder aufregend, vor allem, wenn es wie hier, um ein sehr persönliches Thema geht. Mein erster Animationsfilm Der Panther entstand dabei im Rahmen eines Hochschulpro- jektes 2008, mein zweiter Film The White Rider 2009 während der Teilnahme an der Eu- ropean Animation Masterclass. Schon Willibald Alexis wusste, dass »der Reisende, der schon alles weiß, nichts sieht« (Koepp 1998, S.102) und so ist es auch für mich immer wieder eine neue Reise.

» Alles im Film entsteht aus pers ö nlichen Entscheidungen und Beziehungen, und in diesen spiegelt sich unweigerlich das Engagement des Regisseurs f ü r die Wahrheit und f ü r das, was ü ber diese Wahrheit gesagt werden muss. « (Rabiger, 2000, S.561)

Da my grandfathers story ein Kurzfilm werden soll, werde ich mich zuerst mit den Themen Film und Kurzfilm sowie der Frage, was eine gute Geschichte ist, auseinandersetzen, bevor ich im Folgenden näher auf die Animation, den Dokumentarfilm und schließlich den dokumentarischen Animationsfilm eingehe.

1. Jeder kennt Filme

Jeder kennt Filme, jeder schaut Filme, sie sind aus dem Leben Vieler nicht mehr wegzu- denken. Filme bewegen uns, erzählen uns Dinge aus der realen Welt und der Welt der Fanatsie und begeistern uns mit schönen oder traurigen Geschichten. Filme können spannend sein oder langweilig, aufregend oder beängstigend. Manchmal finden wir auch uns selbst oder Menschen, die wir kennen, in Filmen wieder. Wir lachen über Filme und klatschen in die Hände und wir suchen nach immer neuen Filmen, die uns wieder neue Geschichten über das Leben erzählen. Nichts wollen wir mehr als neue Geschichten zu hören.

1.1 Filmgeschichte

Doch wie entstand der Film? Meine Forschungen in der Filmgeschichte werden begleitet vom Suchen nach bewegten Bildern, von der Entdeckung der Fotografie2 und dem Stau- nen der Menschen über die Entschlüsselung der Bewegung durch Muybridges3 Reihenfo- tos von Tieren. Die Filmgeschichte ist geprägt von Edisons Kinetoskop4 und von der weltweit ersten öffentlichen Filmvorführung der Brüder Max und Emil Skladanowsky5 in Berlin, die aber erfolglos waren und so fast in Vergessenheit gerieten. Die Brüder Augus- te und Louis Lumière waren indes erfolgreicher und man schreibt ihnen die Geburtstunde des Kinos zu.

Bewegen wir uns durch den Strudel der Filmzeit, entdecken wir 1901 die ersten Wochen- schauen der Lumières, wir finden Georges Méliès6, einen Illusionskünstler, der die ersten Filme mit Handlung dreht7 und für die ersten wirklichen Kamerabewegungen zuständig ist. Diese verändern die Wahrnehmung der Zuschauer und es findet ein Wechsel in der Rezeption von Film statt — der Film löst sich vom Spiel des Theaters, löst sich vom star- ren Filmen von Szenen. Wir bewundern 1902 das erste Kino in den USA und sehen wie 1911 Hollywood zum Zentrum der Filmindustrie und zum Wahrzeichen eines ganzen Me- diums wird, wie die ersten Filmstudios entstehen und wie 1914 mit Gertie The Dinosaur der erste Zeichentrickfilm in die Kinos kommt, für den der Cartoonist Winsor McCay8 mehr als 10.000 Einzelbilder zeichnet. McCay wird auch oft als ›Vater des Zeichentricks‹ bezeichnet — wir kommen später nochmal auf ihn zurück.

1922 ist Nanook of the North von Robert J. Flaherty der erster Dokumentarfilm in Spiel- filmlänge. Der russische Regisseur Sergej Eisenstein9 dreht die Klassiker Streik (1924) und Panzerkreuzer Potemkin (1925). Er wird durch seine Montagetheorie und Montage- techniken zu einem der einflussreichsten Filmschaffenden aller Zeiten. Eisenstein war gegen die damaligen Filmregeln Hollywoods und erfand eine neue Art, Filme zu machen, doch ironischerweise war Hollywood von seinen Ideen und Visionen so begeistert, dass sie seitdem zum Standardrepertoire eines jeden Filmemachers gehören. 1927 werden 24 Frames per Second (fps) zur Norm in der Filmindustrie. 1929 verbindet Dziga Vertov10 in seinem Dokumentarfilm Der Mann mit der Kamera Filmtheorie und Filmkunst:

» Er setzt seine Theorie vom › Kamera-Auge ‹ beispielhaft in die Tat um: Der Held des Films ist kein Mensch, sondern die Kamera selbst. Sie rast auf Autos durch die Stadt, klettert auf Schornsteine, hängt an der Au ß enseite von fah- renden Z ü gen. Montiert werden diese Sequenzen mit Szenen aus Labor und Schneideraum. « 11

Orson Welles12 Debütfilm Citizen Kane (1941) setzt einen Meilenstein der Filmgeschichte — er erweitert den Kanon der filmästhetischen Ausdrucksmittel. Die Japaner beeindru- cken mit Godzilla (1954) und durch die Konkurrenz des in den 1960er Jahren aufkom- menden Fernsehens muss das Kino neue Technologien entwickeln, um weiterhin das Publikum anziehen zu können. Durch die neue Technik des Breitwandformats entstehen Monumentalklassiker wie Ben Hur (1959). Jean-Luc Godard dreht im Stile der französi- schen Nouvelle Vague 13 Au ß er Atem (1960) und in den 1950er und 1960er Jahren kom- men die Autokinos auf, ein Zentrum für junge Liebende. In den 1990er Jahren erschaffen Spezialeffekte ungeahnte Kinowelten, Titanic und Jurassic Park aus dem Jahr 1997 sind Kassenerfolge.

Diese Liste an großartigen Filmen ließe sich endlos weiterführen, denn der Kinofilm wur- de schnell zu einem zentralen Bestandteil des kulturellen Lebens und zu einer mächtigen wirtschaftlichen Industriemaschinerie. Filmstars sind heutzutage bekannter als Politiker oder Nobelpreisträger und für viele sind sie Modeikonen, Sexsymbole und Leitbilder für Schönheit und Erfolg.

1.2 Gedanken zum Kurzfilm

my grandfathers story soll ein Kurzfilm werden. Aber was ist ein Kurzfilm, was bedeutet kurz im Zusammenhang mit Film und dem Erzählen einer Geschichte? Ist ein Kurzfilm schlicht ein kurzer Film, ein Film, der nicht lang ist, ein Film, der eine Handlung schnell erzählt oder lediglich ein Film, der nur einen bestimmten Aspekt beleuchtet, ein einzelnes Puzzleteil heraushebt, eine Wahl trifft? Als Synonyme für kurz finde ich Worte wie klein, gestutzt, beschnitten, gekappt, knapp und karg und plötzlich klingt das Wort Kurzfilm et- was verzweifelt, mutlos, als ob eine Art Unzulänglichkeit bestätigt wird, mehr ein Achsel- zucken als ein fester Fuß auf dem Boden. Wenn man sich selbst als Regisseur von Kurz- filmen betrachtet - ist das nicht in etwa so, als ob man zugibt, es nicht den ganzen Weg geschafft zu haben? Die Aussichten und Hoffnungen waren groß, das Ziel blieb klein.

Wurde klein und kurz. Weil wir kurzsichtig waren und unsere Visionen, die aus unserem Meisterwerk einen richtigen Film hätten machen können, einen Film, der nicht mit einem Achselzucken begleitet worden wäre, klein und eben kurz blieben.

Oder ist der Kurzfilm nicht vielmehr Fenster eines einzelnen, erzählenden Momentes, der manchmal genauer hinsieht, tiefer gräbt als wenn man dem Ganzen Zeit gibt? Als ob man die Finger zu einem kleinen Rahmen formt und hindurchschaut und diesen Teil der Welt dadurch viel intensiver, genauer, schärfer sieht. Doch einen solch konzentrierten Moment zu Filmen ist nicht einfach. Als eine schwierig zu meisternde künstlerische Kurz- form, einem an schwierigen Begebenheiten nicht armen Gebiet, kann der Kurzfilm aber vielleicht die Art von Film sein, der mit eleganter Kürze, destillierten Gedanken, kristalliner Schrift, überraschenden Wendungen und Auflösungen sowie besonderer Ausdrucksweise die Aufmerksamkeit punktuell auf etwas Besonderes lenken kann.

1.2.1 Träume

Filme sind nur kurz im Verhältnis zu anderen Filmen die nicht kurz sind. Der Kurzfilm als eigenständiges Genre impliziert etwas Anderes, als wäre da mehr, etwas das nicht nur einfach kurz ist. Man will wissen wo der Rest davon ist, weil es eben nur eine Kurzform ist, eine Abkürzung, ein Akronym. Wir wissen das, wenn wir den Kurzfilm sehen. Wir se- 10 Konrad Frank - Schriftliche Diplomarbeit - AniDoku hen das etwas fehlt und wir begreifen, dass wir nur einen Teil von etwas sehen - nur ein kurzes Stück Weg einer langen Allee, einen Ausschnitt aus etwas Größerem. Ich will ei- nen Ausschnitt zeigen, einen Auszug aus dem Leben meines Opas — ein Fenster zu sei- nen Gefühlen, seinem Denken, seinen Ideen und Visionen und seinem Leiden. Ein Fens- ter zu seiner Erinnerung und damit auch meiner eigenen Erinnerung und meinen Träu- men.

Meine Träume sind Kurzfilme. Regisseure von Spielfilmen, Romanciers, die Köpfe von multinationalen Unternehmen sind da anders, wenn sie schlafen, träumen sie einen ein- zigen langen Traum, der die ganze Nacht andauert. Dort ist Kontinuität und Ordnung, es gibt ein System. Ein Traumhaus, das genug Platz für ihre gesamte Lebenserfahrung bie- tet. Ihre Träume sind komplexe Studien ihrer Sinneseindrücke, Geschichten mit den vie- len Facetten eines jeden Momentes, nichts scheint zufällig zu passieren. Was sie träu- men, umfasst das große Ganze, die Welt in der wir leben. Sie haben stets alles im Blick.

Meine Träume sind anders. Sie dauern nur ein paar Augenblicke und erreichen mich in Wellen von verworrenen Blitzlichtern, Sturmwolken von Bildern, die auf eine Landschaft runterregnen und dabei die Zeit erschaffen - im Augenblick des Träumens. Verwobene Geschichten, die die Variablen auf immer neue Weise durcheinander wirbeln, bewegte Bilder aus einer anderen Welt.

1.2.2 Die Idee der Bilderbewegung

Die Idee der Bilderbewegung ist so alt wie das Bildermachen, die Erschaffung der Illusion von Zeit aus starren Bildern von jeher ein Traum, ein inneres Begehren der Menschen. Als die Menschen entdeckten, dass das menschliche Auge und das Gehirn in der Lage sind, eine schnelle Abfolge von stehenden Bewegungsphasen zusammenhängend wahr- zunehmen, erschufen sie zur Verwirklichung ihrer Träume dunkle Gewölbe14, Zauberla- ternen15, Lebensräder16 und entdeckten das Kino der Daumen17 — lange vor der Entdeckung des ersten Films. Diese ersten Filme waren kurz, aber es war auch nicht die Dauer dieses sensationellen Ereignisses auf das es ankam; die eigentliche Sensation war die schiere Machbarkeit der maschinellen Wiedergabe von Szenen. Das Rattern eines metallenen Apparates ließ etwas wie Leben, mehr eine Illusion von Leben, entstehen, wo vorher nur eine ausdruckslose, leere Wand war.

Zu Beginn gab es nur Kurzfilme ohne Dramaturgie. Man filmte einfach etwas ab, denn die Technik ermöglichte nur die Aufnahme einer kurzen Zeitspanne und die Länge eines Films hing von der Geduld des Filmvorführers ab. Früher wurden die Filme von Hand ab- gespielt und, je nachdem ob der Filmvorführer gelangweilt war, betrunken oder er die Ko- pie schon zu oft gesehen hatte, konnte auch ein langer Film schnell durch den Projektor gedreht werden und somit zu einem Kurzfilm verkommen. In den frühen Tagen des Films lag die Länge also in den Händen des Filmvorführers, nicht in den Händen der Träumen- den.

1.2.3 Lumiére - Licht

Unsere Träume sind den Filmen nicht immer ähnlich, auch wenn wir das Kino lange schon träumten, bevor es da war. Es war 1895 in einem kleinen Coffeeshop am falschen Ende von Paris, als die Brüder Lumiére18, die Brüder des Lichts, begannen, Filme in der Öffentlichkeit zu zeigen. Die Filme, die sie in dieser Nacht zeigten, wirkten, als trügen sie alle Kurzfilme die noch folgen würden bereits in sich — wie ein Symbol oder ein Zeichen, wie einen Fingerabdruck. Es war, als würde man in dieser Nacht die Schrift dessen lesen, was noch kommen würde. Diese Filme waren Kurzfilme: kurz und einfach. Einer von ih- nen zeigt einen Zug in einen Bahnhof einfahren, während Leute, die in der Fabrik der Brüder Lumiére arbeiten, aus den Fabriktoren strömen und auf den Zug warten. Manch einer bekam beim Zuschauen Angst, da dieses Gespenst an der Wand, der Film, neu war. Das Publikum fühlte sich wie im Theater. Es gab noch keine Kamerabewegungen, keine Schnitte — Bewegungen innerhalb einer Szene passierten nur durch die Darsteller, so wie auf einer Theaterbühne.

Schon in dieser ersten Schrift des Lichts fällt etwas auf: die Unterschrift, das Schicksal eines Namens, des Namens Lumiére. Auf Französisch bedeutet ›Lumiére‹ Licht, und es ist, als ob sie mit ihrem Namen einen Satz begannen, dessen einzig logische Fortsetzung die Geburt des Films sein musste. Denn Film ist das Spiel des Lichts, die Variation von Licht auf einer Wand. Eine Wand, die sie in Frankreich ›la mur‹ nennen — die Wand, ›l'amour‹ — die Wand der Liebe.

Liebe treibt auch mich zu meinem Kurzfilm, die Liebe zum Geschichtenerzählen, eine Liebe die ich schon als kleines Kind in den Theatern dieser Welt in mich aufsog. Damals, als mir meine Eltern auf der Puppenbühne die Wirren um den Dreißigjährigen Krieg, ei- nen sommernächtlich rauschenden Liebestraum oder die Angst, Sehnsucht und Begierde nach ewiger Jugend vorspielten. Doch auch die Liebe zu meinem Großvater und das In- teresse an seinem Leben. Vielleicht werden Kurzfilme ja von Liebenden für die Liebe ge- macht, oder von Verrückten für Liebhaber, von Liebhabern für Verrückte, für Suchende, Zapper, Ungeduldige, Schlaflose, für die die ganze Welt ein Kurzfilm ist, der ihnen nie kurz genug erscheint, für die mit den kleinen Zeitnischen. Aber sie werden oft von Leuten gemacht, die uns, ihrem Publikum, kurz die Zeit geben, fasziniert, erstaunt, bewegt oder berührt zu sein. Sie wollen uns verführen und auf eine Reise ins Detail und an persönli- che Orte sowie auf eine Reise mit besonderen Blicken, Eindrücken und Beobachtungen mitnehmen

1.2.4 Der Kurzfilm als Vorfilm

Bis in die 1970er Jahre fungierten diese kurzen Reisen hauptsächlich als Vorfilme. Damit rückte der Kurzfilm in das Interesse der jungen Filmemacher und Schauspieler. Er wurde für sie zu einem Experimentierfeld, das seinen Höhepunkt in der avantgardistischen Kurzfilmbewegung in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts fand, als der Kurzfilm ein eigenständiges, ästhetisches Kunstmittel wurde und damit dem kommerziel- len und publikumsorientierten Langfilm entgegenstand. Nach der Zeit des Zweiten Welt- kriegs und damit einer Zeit, in der der Kurzfilm als Hilfsmittel der Propaganda mit kriegs- relevanter Thematik und einem berichtenden dokumentarischen Charakter eingesetzt wurde, fungierte der Kurzfilm in den 1950er Jahren erneut als Vorfilm. Er passte sich so wieder den Regeln des Unterhaltungskinos an, wurde jedoch bald aus finanziellen Eng- pässen der Kinobetreiber von Werbung und Filmtrailern verdrängt und führt seitdem eher ein Schattendasein. Das betrifft die große kommerzielle Kinolandschaft. Die kleineren Programmkinos bedienen seit einiger Zeit erfolgreich ein anderes, eigenes Publikum und man bekommt so zum Beispiel im LUX-Kino in Halle (Saale) vor jedem Film einen Kurz- film zu sehen. In den 1980er und 1990er Jahren erschienen viele dramatische Kurzspiel- filme, welche auch bereits vorher existierten, jedoch kaum Beachtung fanden. In ihnen wurde der Aspekt der Kürze als mögliches Mittel für die Dramaturgie und den Hand- lungsablauf erstmals erschöpfend genutzt. In dieser Zeit verlor der Kurzfilm allerdings als künstlerisch anspruchsvolles und facettenreiches Medium in Kino und Fernsehen an Be- deutung. Er konnte sich bis heute nicht gegen die Serien, Slapstickkomödien oder Do- kumentationen durchsetzen.

1.2.5 Der Kurzfilm heute

Durch die Verbreitung des Internets erlebte der klassische Kurzfilm eine Renaissance. Videoportale und die schnelle, direkte und kommunikative Art des Web 2.0 bieten Profes- sionellen sowie Amateur- und Laienfilmern eine ungeahnte Verbreitungsmöglichkeit. Das World Wide Web erschließt ein grenzenloses Publikum, das sehr einfach und schnell zu erreichen ist. Doch das Internet ist nicht die einzige Möglichkeit, den eigenen Film zu präsentieren. Deutschland ist ein Land mit langer Kurzfilmtradition und es gibt viele, her- vorragend organisierte und internationale Festivals. Festivals bieten dem eigenen Film ein interessiertes Publikum, die Chance auf Renomée und Preise, Festivalflair sowie den Austausch von Ideen und Anregungen mit anderen Filmemachern. In Deutschland gibt es außerdem viele anerkannte Filmschulen, die konstant erfolgreiche Filme produzieren, wie beispielsweise Our Wonderful Nature von Tomer Eshed beweist. Dieser Film konnte schon auf großen, internationalen Festivals Preise gewinnen und ist sogar für den Stu- denten-Oscar nominiert worden. Deutsche Kurzfilme zu einem deutschen Publikum zu bringen sollte offizielle Politik werden.

1.3 Wie es ein guter Film wird

1.3.1 Erzähle etwas, aber nicht alles

Um einen Film zu machen, zu drehen, zu zeichnen oder einfach damit anzufangen braucht man neben viel Energie, Fantasie und Organisation vor allem eine gute Idee. Man sollte von der eigenen Idee überzeugt sein, man sollte sie mögen, sie als wichtig empfinden, denn nur dann empfindet auch das Publikum den Film als wichtig, als über-zeugend. Nur dann hat man die Energie für einen längeren Zeitraum dahinter zu stehen, denn einen Film zu machen und vor allem einen Film abzuschließen, bedeutet immer eine Menge harter Arbeit. Sicher sind bestimmte Geschichten für einen Autor wesentlich spannender als für andere, also sollte man bestimmte Dinge objektivieren und sie fundamental machen, so dass sie jeden etwas angehen könnten. Wenn man anderen von der eigenen Idee erzählt, sollten Augen leuchten, das Gegenüber sollte sofort spüren das einem die Geschichte am Herzen liegt, etwas bedeutet, denn nur dann wird er auch Interesse daran haben, später diesen Film zu sehen. Wenn es einen selbst interessiert, kann man auch andere begeistern. Man sollte sich selbst, den Protagonisten in der Geschichte und so auch das Publikum überraschen. Der Zuschauer liebt nichts mehr als eine gute Geschichte, die zum Nachdenken anregt, die Gefühle hervorruft und ihn im Innersten berührt.

[...]


1 Mein Großvater Dietrich Frank, eigene Zeichnung, 2009.

2 1839 von Joseph Nicéphore Niepce, Jacques Daguerre und William Talbot entwickelt.

3 1830 - 1904. Fotograf und Pionier der Fototechnik.

4 Kinetoskop ist der erste Filmbetrachter und wurde 1891-92 von William Kennedy Laurie Dickson, Chef-Ingenieur bei Edison, entwickelt.

5 1. November 1895.

6 1861 - 1939. Er zählt zu den Pionieren der Filmgeschichte und gilt als Erfinder des narrativen Films und der Stop-Motion-Filmtechnik.

7 1902, Le voyage dans la lune.

8 Konrad Frank - Schriftliche Diplomarbeit - AniDoku

8 1871 - 1934. McCay war Karikaturist, Comiczeichner und Pionier des Zeichentrickfilms.

9 1898 - 1941. Sowjetischer Regisseur.

10 1896 - 1954. Sowjetischer Filmemacher.

11 11 http://www.filmtutorial.de/05-1920-1930/index.php.

12 1915 - 1985. Amerikaner Regisseur, Autor und Schauspieler.

13 Nouvelle Vague (frz.: ›Neue Welle‹) ist eine Stilrichtung, die im französischen Kino der späten 1950er Jahre entstand.

14 Camera obscura kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "dunkle Kammer". Sie ist mit einem kleinen Loch versehen und wird deshalb oft kurz als Lochkamera bezeichnet. Durch das Loch (Blende) wird das Bild von außen auf die Rückwand des Kastens projiziert, allerdings auf dem Kopf stehend und seitenverkehrt.

15 Laterna Magica, Mitte des 17. Jahrhunderts vom österreichischen Jesuit Athanasius Kirche erfunden. Ein durch Kerzenschein erleuchtetes Bild wurde durch eine Linse vergrößert an die Wand projiziert. Der frühe Film gilt als Spätform der historischen Projektionskunst.

16 Erfunden von Joseph Plateau und Simon Stampfer 1832/33 und ist ein Gerät, das beim Betrach- ter den Eindruck bewegter Bilder erzeugte. Eine rotierende, mit einer Kurbel zu drehende Scheibe, die mit Bildern einzelner Bewegungsphasen bemalt war, wurde durch ebenfalls rotierende Seh- schlitze angeschaut. Dies erweckte beim Betrachter die Illusion, dass sich die Figuren bewegen.

17 Der Sigenot von 1470 war das erste Daumenkino der Geschichte, hergestellt in der Handschriftenwerkstatt von Ludwig Henfflin.

18 Auguste Marie Louis Nicolas Lumière und Louis Jean Lumière, französische Fotoindustrielle, Erfinder des Kinematografen (griech. kinein: bewegen, graphein: schreiben), eines Filmaufnahme- und wiedergabegerätes, das Techniken von Edisons Kinetoskop und der Laterna Magica kombiniert und aus dem die Bezeichnung ›Kino‹ abgeleitet ist. Die Aufführung 1895 in Paris gilt als Geburts- stunde des Kinos.

Ende der Leseprobe aus 63 Seiten

Details

Titel
Realität und Wahrheit im Film. Die Möglichkeiten der dokumentarischen Animation
Note
2,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
63
Katalognummer
V166197
ISBN (eBook)
9783640818570
ISBN (Buch)
9783656826996
Dateigröße
666 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Animation, Dokumentarfilm, Kurzfilm, Poesie, Objektivität, Selektivität, Direct Cinema, Grierson, Flaherty, Ivens, Riefenstahl, Cinema Verite, Tod, Bashir, Waking Life, Creature Comforts, Radiodokumentationen, Rotoskopie, McCay, Disney, Computer, Computeranimation, Lasseter, Lotte Reiniger, Trickfiguren, Design, Drehbuch, Filmmusik, Emotionen, Geschichte, Filmgeschichte, Lumiere
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Konrad Frank (Autor:in), 2010, Realität und Wahrheit im Film. Die Möglichkeiten der dokumentarischen Animation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/166197

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