Partei Rechtsstaatlicher Offensive - Schill. Eine Bestandsaufnahme der ersten relevanten rechtspopulistischen Partei Deutschlands


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

40 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der politische Kontext
2.1 Das Wahlsystem
2.2 Das Parteiensystem
2.3 Die Stärken und Schwächen der Regierung
2.4 Die Stärken und Schwächen der Opposition
2.5 Der außenpolitische Kontext

3 Der gesellschaftliche Kontext

4 Der wirtschaftliche Kontext

5 Der Akteur
5.1 Die Geschichte der P.R.O.
5.2 Programmatik
5.3 Die Mitglieder- und Organisationsstruktur
5.4 Die Strategie

6 Der Werdegang des Akteurs
6.1 Die Wahlergebnisse
6.2 Die Struktur der Wählerschaft
6.3 Die Partei in der Regierung
6.4 Die Ursachen des Aufstiegs und Abstiegs

7 Die Auswirkungen auf die Demokratie
7.1 Die Reaktionen der Parteien
7.2 Die Reaktionen der Medien
7.3 Die Reaktionen der Gesellschaft
7.4 Die Auswirkungen auf die politische Kultur
7.5 Mehr oder weniger Demokratie?

8 Fazit

9 Literaturverzeichnis

10 Anhang
10.1 Definitionen
10.3 Wahlergebnisse

1 Einleitung

Der Erfolg der Hamburger Schill-Partei hat die deutsche Parteienlandschaft erschüttert. Erstmals erhielt eine rechtspopulistische Partei in Deutschland fast 20% der Stimmen und wurde darüber hinaus sofort zur zweitstärksten Fraktion einer Regierungskoalition.

Ich möchte in dieser Arbeit die Schill-Partei, ihre Geschichte, Organisation und Programmatik analysieren. Ich verwende dabei das im Seminar „Rechtspopulismus in Europa“ entworfene Analysedesign, dass ich jedoch an die Gegebenheiten angepasst und auf Grund des Umfangs um einige Unterpunkte gekürzt habe. Das Design legt bewusst einen Schwerpunkt auf die Kontextbedingungen, in denen die rechtspopulistische Partei aufgekommen ist.

Ich beschränke mich in dieser Arbeit auf die Untersuchung der Gebiete, in denen die drei bisher wichtigsten Wahlen für die Schill-Partei stattfanden: Hamburg, Sachsen-Anhalt und Deutschland, wobei ich den Schwerpunkt auf Hamburg gelegt und die Ausführungen über Deutschland relativ kurz gehalten habe. In Kapitel 8 werden aus gegebenem Anlass fast ausschließlich die Auswirkungen auf die Demokratie in Hamburg beleuchtet.

Die Partei wird im Volksmund Schill-Partei genannt, offiziell heißt sie jedoch Partei Rechtstaatlicher Offensive (P.R.O.). Ich werde im Folgenden nur den offiziellen Namen benutzen.

Die Begriffsdefinitionen, die der Arbeit zu Grunde liegen, stammen aus dem Seminar und befinden sich im Anhang. Dort sind außerdem Graphiken und Tabellen zu den Wahlergebnissen der P.R.O. zu finden.

2 Der politische Kontext

2.1 Das Wahlsystem

In allen betrachteten Wahlsystemen gibt es die in Deutschland übliche 5%-Klausel. Sie verhindert das Einziehen von Kleinst- und Splitterparteien in die Parlamente und stellt für neue Parteien eine ernstzunehmende Hürde dar. Auf weitere Einzelheiten der Wahlsysteme wird im Folgenden eingegangen.

Das Hamburger Wahlsystem begünstigt die Chancen einer kleinen, neuen Partei stark. Schon die Statt-Partei profitierte 1993 vom reinen Verhältniswahlrecht, das die Bedeutung des Spitzenkandidaten deutlich erhöht und das Fehlen von den Wählern bekannten und beliebten Direktwahlkreiskandidaten, der zweiten und dritten Reihe einer Partei, neutralisiert. So blieben die Kandidaten der P.R.O., abgesehen von Ronald Schill selbst, weitestgehend im Hintergrund. Nach der Wahl blickte die Öffentlichkeit dann überrascht auf die größtenteils unbekannten Abgeordneten, die in der Bürgerschaft saßen.

In Sachsen-Anhalt wird nach dem personalisierten Verhältniswahlrecht gewählt. 49 der mindestens 99 Sitze werden mit relativer Mehrheit in den Wahlkreisen direkt vergeben, die restlichen über geschlossene Listen anhand der Zweitstimmen bestimmt. Der Eintritt einer neuen Partei in den Landtag ist durchaus möglich, aber nicht so einfach wie in Hamburg.

Auch auf Bundesebene wird nach personalisierten Verhältniswahlrecht gewählt, weitere Einzelheiten würden den Umfang dieser Arbeit sprengen.

2.2 Das Parteiensystem

Es kann sowohl für die betrachteten Länder als auch für den Bund von einem moderat oder niedrig polarisierten Parteiensystem gesprochen werden. In Hamburg befanden sich bei Gründung der P.R.O. die SPD (36,2%), die CDU(30,7%) und die Grün-Alternative Liste (GAL) (13,9%) in der Bürgerschaft. Die DVU verpasste 1997 mit 4,98 % nur knapp den Einzug. Die SPD stellte seit 44 Jahren ununterbrochen die Regierung, seit 1997 erstmals gemeinsam mit den Grünen. Eine relevante Antisystempartei gab es in Hamburg nicht, auch die 1993 erfolgreiche STATT-Partei ist nicht als solche einzuordnen.

Das Parteiensystem Sachsen-Anhalts vor der Wahl 2002 ist das am stärksten polarisierte dieser Untersuchung. Neben der Mitte-links SPD (35,9%) und der Mitte-rechts CDU (22,0) befinden sich die linksgerichtete PDS (19,6%) und die rechtsradikale DVU (12,9%) im Landtag. Die Ausrichtung des Parteienwettbewerbs ist durch die beiden nach außen orientierten Parteien nicht mehr eindeutig zentripetal, koalitionsfähig sind ebenfalls nicht alle Parteien miteinander.

Auf Bundesebene ist das Parteiensystem moderat polarisiert, mit 5 – bzw. nach der Wahl 2002 - 4 Parteien, die eine bipolare Koalitionsstruktur, eine geringe ideologische Distanz und einen zentripetalen Parteienwettbewerb ausmachen. Das deutsche Parteiensystem hat sich über die Jahre als sehr stabil erwiesen, das Aufkommen neuer relevanter Parteien wurde durch das Parteiensystem nicht erleichtert.

2.3 Die Stärken und Schwächen der Regierung

Die Hamburger SPD konnte nach ihrem schlechten Wahlergebnis von 1997 zwischen einer Koalition mit den Grünen oder mit der CDU wählen. Entgegen Befürchtungen einiger Kritiker war die Regierungsbeteiligung der GAL nicht wirtschaftsschädlich, sondern eher „geräuschlos“[1] und pragmatisch.

Zu Beginn der Legislaturperiode kam es aufgrund von Unregelmäßigkeiten in der Sozialbehörde zum Rücktritt von Sozialsenatorin Fischer-Menzel (SPD), später gab es wegen desselben Themas einen Untersuchungsausschuss gegen Bürgermeister Runde.

Zu den Stärken der rot-grünen Regierung unter Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) und der Zweiten Bürgermeisterin Krista Sager (GAL) gehörte die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Mit der Arbeit von Wirtschaftssenator Thomas Mirow war die Wirtschaft sehr zufrieden, Handelskammer, Handwerkskammer und die Hamburger BDI-Vertretung lobten den SPD-Senator ausdrücklich. Als Mirow 1997 sein Amt antrat lag die Arbeitslosenquote bei 13%, 2001 betrug sie nur noch 8,3%, was deutlich unter der Bundesquote von 9,4% liegt.[2] Zu den wirtschaftspolitischen Erfolgen des Senats werden die Ansiedlung der Produktionsstätte für den Airbus A380 (damalige Annahme: 4000 neue Arbeitsplätze) und die Hafencity, das mit 1,5 Mio. Quadratmetern größte Städtebauprojekt Europas, gerechnet. Die Bertelsmann Stiftung lobt in einer Studie zudem die erfolgreiche Haushaltskonsolidierung und den Verwaltungsabbau der Hamburger Regierung, die in Anbetracht der angespannten Haushaltslage bei sehr hoher Verschuldung den Handlungsspielraum der Politik vorerst erhalten konnten.

Gemäß der im Bundesvergleich sehr guten ökonomischen Situation in der Hansestadt lag die SPD in den Umfragen bezüglich der Wirtschaftskompetenz deutlich vor der CDU.[3] Kurz vor der Wahl verlor sie die Wirtschaftskompetenz allerdings an die CDU,[4] was nur mit einer starken Wechselstimmungsdynamik und schlechter Performance der SPD im Wahlkampf zu erklären ist. Näheres zur wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Lage in Kapitel 4.

Die Grünen setzten im Wahlkampf den Focus auf den Umwelt- und Verbraucherschutz, die Schul- und Verkehrspolitik und das „Verhindern von Schill“. Die SPD wollte ihren Wahlkampf hingegen auf die Themen Wirtschaft, Arbeit, Bildung, Forschung und soziale Gerechtigkeit ausrichten[5] und somit die Innere Sicherheit ausblenden, obwohl oder gerade wegen ihres Wahldebakels 1997, bei dem der ehemalige Bürgermeister Voscherau das Thema im Wahlkampf offensiv angegangen[6] und gescheitert war.[7] 1997 stellte sich die Situation der inneren Sicherheit in der Tat sehr kritisch dar: Hamburg war führend im Bereich der Jugendkriminalität und hatte die meisten Straftaten im Zusammenhang mit Drogen sowie die größte Anzahl von Dealern in Deutschland vorzuweisen. Eine Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen fand damals heraus, dass es nirgendwo in Deutschland so viele Schulschwänzer gibt und so viele Jugendstrafverfahren eingeschränkt werden, dass die Strafverfahren länger dauern, aber dass auch nirgendwo der Unterschied zwischen Arm und Reich so groß ist. Der Senat unter Bürgermeister Runde hat diese schlechten Zustände im Bereich der Inneren Sicherheit verbessert. Vier Jahre nach dem schlechten Wahlergebnis für die Hamburger SPD ist die Zahl der Drogentoten und die Anzahl der Raubdelikte erheblich gesunken, die Strafjustiz verhandelt schneller und auch die Zahl der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger sinkt. In dieses Bild passt, dass die öffentlichen Verkehrsmittel Hamburgs einer ADAC-Studie Studie zufolge die sichersten, saubersten und pünktlichsten in Deutschland sind.[8] Trotzdem wurde der Regierung bei der Inneren Sicherheit keine Problemlösungskompetenz zugeschrieben. Hierfür können drei Gründe genannt werden. Erstens die schlechte Eigenwerbung der Regierung: ein spröder Innensenator Wrocklage, der es nicht vermochte, seine Politik den Medien zu „verkaufen“[9] und ein Bürgermeister, der laut Die Zeit[10] ein allseits beliebter Mann war, mit den Attributen nett, uneitel und kumpelhaft beschrieben, dem aber das Charisma fehlte und der seine Erfolge nicht vermitteln konnte. Von den Wählern wurde Runde als sachbezogen und zurückhaltend wahrgenommen.[11] Zweitens handelte es sich bei den Verbesserungen nicht um eine grundlegende, radikale Verbesserung der Lage, sondern nur um punktuelle, kontinuierliche Verbesserungen. Drittens gab es einen gewachsenen, tiefen Vertrauensmangel der Wähler gegenüber der Kompetenz der SPD in Bezug auf die Kriminalitätsbekämpfung. Ob Hafenstraßenkonflikt, Dealer im Schanzenviertel, organisierte Bettlerbanden oder geschlossene Heime für jugendliche Schwerstkriminelle: stets hat sich die Hamburger SPD einem Flügelkampf hingegeben, Linke gegen Rechte, Schul- und Sozialsenator gegen Innen- und Justizsenator, Liberalität gegen Repression. Dadurch wurden Entscheidungen in die Länge gezogen und für viele Bürger unzumutbare Zustände, oft auch sogenannte „rechtsfreie Räume“ zum Teil über Jahre hinweg toleriert.14 Auch wenn am Ende anerkannte und öffentlich begrüßte Konsenslösungen gefunden wurden, so hatte die lange Zeit der „Unsicherheit“ doch ein tiefsitzendes Unbehagen gegenüber der Sicherheitspolitik der SPD geweckt. Im Wahlkampf 2001, der von dem Politikneuling Schill dominiert wurde, äußerte sich der ehemalige Erste Bürgermeister Vorscherau (SPD) kritisch zu der Sicherheitspolitik seiner Partei: „Durch Erfüllung unserer Aufgaben hätten wir ihn (Schill, Anm. des Verfassers) verhindern können. Besten Gewissens haben wir aufgrund interner Verspannungen und nach zwanzig Jahren Flügelstreit einander bekämpfender Bataillone die Erledigung, ja überhaupt das Aufgreifen des Themas verpasst.“[12]

Die PDS-tolerierte SPD-Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt hatte vor der Wahl 1998 in einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen in einer Skala von +5 bis –5 die Note +1 bekommen.[13] Vor der Wahl 2002 bekam sie die ungewöhnlich schlechte Note – 0,7. Hauptursache für diesen eklatanten Vertrauensverlust war die schlechte wirtschaftliche Lage. Sachsen-Anhalt hatte die schlechtesten wirtschaftlichen Eckdaten und die höchste Arbeitslosigkeit in Deutschland vorzuweisen. Im Gegensatz zur Wahl 1998 wurde der SPD 2002 in den Bereichen Wirtschaft und Arbeit praktisch keine Problemlösungskompetenz mehr zugesprochen. Ebenfalls außergewöhnlich schlecht wurde der Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) beurteilt. Er konnte nicht von seinem Amtsbonus profitieren und führte die SPD in eine erdrutschartige Niederlage.

Zu den Schwächen der rot-grünen Bundesregierung zählten die wirtschaftliche Entwicklung und die Lage auf dem Arbeitsmarkt.[14] Besonders das Vertrauen der Wähler darauf, dass die Regierung das Problem der Arbeitslosigkeit erfolgreich lösen könne, ist in den vier Jahren seit 1998 stark gesunken. Die Wirtschaftslage war schlechter als bei Regierungsantritt Schröders, der es nur zum Teil schaffte, die weltwirtschaftliche Lage glaubhaft als Ursache darzustellen. Reformen wurden hauptsächlich auf dem Gebiet der „weichen Politikfelder“ angegangen: Atomausstieg, Homo-Ehe, Staatsangehörigkeitsrecht usw. Zu den Stärken der Bundesregierung gehörten neben den populären Spitzenkandidaten Schröder und Fischer auch die Reaktion auf das Hochwasser im Sommer 2002 und die Festlegung, nicht am Irak-Krieg teilnehmen zu wollen.

2.4 Die Stärken und Schwächen der Opposition

Abgesehen von dem Bürgerblockintermezzo in den 50er Jahren war die CDU in Hamburg ununterbrochen in der Opposition. Nur in den 80er Jahren schaffte sie es zweimal, knapp stärkste Partei zu werden, ansonsten lag sie meist abgeschlagen hinter der SPD. Zuletzt war sie die einzige Oppositionspartei, 1997 schafften es weder die FDP, noch die STATT-Partei in die Bürgerschaft. Ole von Beust war bei dieser Wahl erstmals als Spitzenkandidat der CDU angetreten und hatte 30,7% erreicht. Die Wahl 2001 war seine letzte Möglichkeit, aus der zweiten Reihe der CDU zu treten. Überregional trat von Beust in der Vergangenheit besonders dadurch hervor, für einen CDU-Politiker auffällig liberale Positionen zu vertreten. Die Zeit beschrieb ihn vor der Wahl als nett und erfolglos.[15] Die CDU richtete ihren Wahlkampf auf die Themen Innere Sicherheit, Bildung, Verkehr und „Parteien-Filz“ aus.[16] Das Vertrauen der Wähler in die Kompetenz eines CDU-geführten Senats war vor der Wahl sehr gering und nahm bis zur Wahl noch weiter ab.[17] Die FDP versuchte mit dem Parteineuling Rudolf Lange, Admiral a.D., aus der Bedeutungslosigkeit herauszukommen und wieder in die Bürgerschafft einzuziehen. Sie entschied sich für die Wahlkampfthemen Innere Sicherheit, Verkehr, Bildung und Wirtschaft.

Die Opposition in Sachsen-Anhalt konnte stark von der Schwäche der SPD-Regierung profitieren. Der CDU-Spitzenkandidat Böhmer wurde trotz relativ großer Unbekanntheit deutlich besser benotet als der amtierende Ministerpräsident.[18] Die FDP profitierte zum einen von ihrer populären Spitzenkandidatin Cornelia Pieper, zum anderen davon, dass sie als bisher nicht im Landtag vertretene Partei als eine neue, unverbrauchte Kraft angesehen wurde. Zudem konnte die FDP sich gut als wirtschaftspolitisch-kompetente Partei und für den Regierungswechsel notwendigen Koalitionspartner positionieren.

Auf Bundesebene hat die CDU/CSU-Opposition im Wahlkampf schlecht auf die Hochwasserkatastrophe reagiert, außerdem gelang es ihr nicht, in der Irak-Frage die Meinungsführerschaft zu erlangen. Zu ihren Stärken gehörten die Kompetenzen, die ihr in Bezug auf die Themen Wirtschaft, Arbeit und Zukunft zugeschrieben wurden. Allerdings schaffte es der Spitzenkandidat Stoiber nicht, größere Popularität im Norden und Osten des Landes zu erlangen. Ein strategischer Fehler der FDP scheint es laut Forschungsgruppe Wahlen gewesen zu sein, sich nicht auf einen Koalitionspartner festgelegt zu haben.[19] Die große Mehrzahl der FDP-Anhänger wollte eine Koalition mit der Union, konnte sich dessen aber nicht sicher sein. Die PDS litt unter der geringen Proteststimmung und unter dem eindeutigen Anti-Kriegskurs der Regierung. Sie schaffte es nicht einmal im Osten, sich als relevante Kraft zu positionieren.

2.5 Der außenpolitische Kontext

Die Wahl zur Hamburger Bürgerschaft am 22. September 2001 wurde überschattet von den Anschlägen vom 11. September in den USA. Für einige Tage wurde der Wahlkampf ausgesetzt und die Parteien - mit Ausnahme der P.R.O. - thematisierten die Anschläge nicht im Wahlkampf. Besondere Brisanz verlieh der 11. September der Hamburger Wahl, weil ein Teil der Terroristen um Mohamed Atta die Anschläge in Hamburg-Harburg geplant hatten. Außer Schill machte niemand den Hamburger Behörden den Vorwurf, die Anschläge nicht verhindert zu haben. Gemeinhin wird angenommen, dass große (außenpolitische) Krisen die Bürger näher an ihre Regierung rücken lassen. Eine derartige wahlrelevante Wirkung hat es in Hamburg allerdings nicht gegeben. Die Frage, ob die Terroranschläge ihre Wahlentscheidung beeinflusst hätten, beantworteten 90% der befragten Hamburger mit nein.[20] Weder Außen- noch Bundespolitik haben bei dieser Landtagswahl eine entscheidende Rolle gespielt. Der 11. September stellte höchstens ein weiteres Mosaiksteinchen im generellen Misstrauen der Hamburger gegenüber der SPD-Sicherheitspolitik dar.

Die außenpolitische Lage in den Wochen vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt wurde durch den Nahostkonflikt beherrscht. Weder dieser Konflikt noch die religiösen Ausschreitungen in Indien, der Sturz eines Flugzeugs in ein Mailänder Hochhaus oder die Präsidentschaftswahl in Frankreich hatten einen nennenswerten Einfluss auf die Geschehnisse in Sachsen-Anhalt und den Wahlkampf der P.R.O..

Die Außenpolitik spielte bei der Bundestagswahl eine wahlentscheidende Rolle. Beginnend mit der auch außenpolitisch relevanten Antisemitismusdebatte um Jürgen W. Möllemann und die FDP bis hin zur die Wahlkampfendphase dominierenden Debatte um die deutsche Beteiligung an einem möglichen Irakkrieg spielte der außenpolitische Kontext eine große Rolle.

3 Der gesellschaftliche Kontext

Um den gesellschaftlichen Kontext zu beleuchten, beginne ich mit einem Blick auf die Bevölkerungsstatistiken unter besonderer Berücksichtigung der ausländischen Bevölkerung, da bei rechtspopulistischen Parteien oft eine Interdependenz zwischen Ausländeranteil und Erfolgschancen unterstellt wird. Danach gehe ich näher auf das wichtigste Thema für die P.R.O., die Kriminalität, ein.

2001 betrug die Gesamtbevölkerung der Freien und Hansestadt Hamburg 1 726 363 Menschen, davon 837 726 männlich und 888 637 weiblich, gegenüber dem Vorjahr ist das ein Plus von ca. 0,9%.[21] Die ausländische Bevölkerung betrug 261 108 Menschen, davon 141 220 männlich und 119 888 weiblich, gegenüber dem Vorjahr ein Minus von 1,4%. Überproportionaler Anteil der ausländischen Bevölkerung in HH sind die 20-45 Jährigen, ältere Jahrgänge sind stark unterproportional vertreten. Insgesamt ist die Gesamtbevölkerung wesentlich älter als die ausländische. Der Anteil der ausländischen Bevölkerung lag 2001 in Hamburg bei 15,1%, was mit Abstand die höchste Quote im Ländervergleich darstellt. Von 2001 auf 2002 hat sich die ausländische Bevölkerung in Hamburg von 260 587 auf 255 561 verringert, während die deutsche Bevölkerung sich von 1 462 579 auf 1 472 036 erhöht hat. Das Bevölkerungswachstum ist demnach nicht auf die ausländische sondern auf die deutsche Bevölkerung zurückzuführen, wobei der Grund dafür in Zu- und Fortzügen und nicht in einem Anstieg der Geburtenrate zu finden ist. Die Hamburger Bevölkerung ist durch einen hohen Anteil an Senioren und einen ebenfalls hohen Frauenanteil gekennzeichnet.[22] Erwerbstätig sind 57% der Bevölkerung, 34% sind Angestellte, 12% Arbeiter, 4% Beamte und 7% Selbstständige. Die durchschnittliche Haushaltsgröße in Personen beträgt 1,86, der Bundesdurchschnitt liegt bei 2,18. Auffällig ist zudem, dass ein Drittel der wahlberechtigten Hamburger Singles sind. Im Laufe des Wahlkampfes ist das Thema Innere Sicherheit immer wichtiger geworden, es stieg von 34% auf 59% auf der Agenda der wahlentscheidenden Themen.[23] Die Wahrnehmung, dass die Kriminalität ein sehr großes Problem in Hamburg sei, ist insofern überraschend, als eine Umfrage eines Düsseldorfer Sozialwissenschaftlers ergeben hat, dass sich die Hamburger genauso sicher fühlen wie Düsseldorfer oder Dresdner, die aber dem Kriminalitätsthema in ihren Städten keinen großen Stellenwert beimessen.[24] Das subjektive Bedrohungsgefühl in Hamburg ist im Detail sehr unterschiedlich: bei Frauen, älteren Bürgern, Arbeitslosen, Menschen mit eher niedrigem Bildungsstand und CDU-Anhängern ist es eher hoch, bei Männern, Akademikern, Berufstätigen, Besserverdienenden und SPD/GAL-Anhängern eher gering.[25] Bezüglich der Kriminalitätsdebatte muss berücksichtigt werden, dass der Unterschied zwischen reicher und armer Bevölkerung in Hamburg seit den 70ern beständig gestiegen ist. Die sozioökonomischen Differenzen sind in der Hansestadt ausgesprochen groß, sie reichen von einem durchschnittlichen Einkommen von 24 000 Euro und 12,5% Sozialhilfeempfängern in Wilhelmsburg bis zu einem Durchschnittseinkommen von 70 000 Euro und 1% Sozialhilfeempfängern in Blankenese.[26]

Das Land Sachsen-Anhalt hat unter großem Bevölkerungsschwund zu leiden. Im Zeitraum von 1990 bis 2001 musste die Bevölkerungsabnahme insgesamt mit 309 848 Menschen beziffert werden.[27] Das hängt sowohl mit dem starken Geburtenrückgang als auch mit den vielen Abwanderungen zusammen. Der Bevölkerungsschwund ist in den letzten Jahren wieder angestiegen und hat 2001den höchsten Wert seit den wendebedingten Abwanderungen 1991 erreicht. Die ausländische Bevölkerung federt den Bevölkerungsschwund etwas ab. Von 1990 bis 2001 ist die deutsche Bevölkerung in Sachsen-Anhalt von 2 868 191 Menschen auf 2 533 921 gesunken. Die ausländische Bevölkerung hingegen ist von 17 906 auf 46 705 Menschen angewachsen. Die Ausländerquote in Sachsen-Anhalt lag 2001 bei 1,8%, dass ist die geringste Quote eines deutschen Bundeslandes.[28] Bei den 20-65-jährigen ist das seltene Phänomen eines Männerüberschusses zu beobachten.[29] Die Innere Sicherheit war in Sachsen Anhalt kein dominierendes Thema. In der bereits zitierten Bertelsmann-Studie nimmt das Land im Bereich „Sicherheit“ einen Mittelfeldplatz ein. Diese Tatsachse überrascht nicht, da die Kriminalitätsproblematik hauptsächlich in Ballungsräumen an Brisanz gewinnt und Sachsen-Anhalt mit 21 Landkreisen und 3 Stadtkreisen (Halle, Dessau, Magdeburg) eindeutig ländlich geprägt ist.

[...]


[1] Infratest dimap S.59.

[2] http://www.destatis.de/jahrbuch/jahrtab13.htm.

[3] 43% SPD, 34% CDU; „Wirtschaft hervorragend, Stimmung miserabel“, in: Die Zeit Nr.39, 20.9.01, S.28f.

[4] http://www.forschungsgruppewahlen.de/Ergebnisse/Letzte_Wahl/Analyse_Hamburg_2001.pdf, S.2.

[5] Infratest dimap, S.6.

[6] Der Wahlkampfslogan des britischen Premiers Blair „Law and order is a labour issue“ wurde damals von der Hamburger SPD kopiert.

[7] Die Hamburger SPD erreichte 1997 36,2%, das ist ihr mit Abstand schlechtestes Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik.

[8] „Stadt voller Misstrauen“, in: Die Zeit Nr. 38 vom 13.9.01, S.6.

[9] Carini/Speit (2002), S.84.

[10] „Alle mögen Ortwin“, in: Die Zeit Nr.39, 20.9.01, S.13.

[11] Infratest dimap, S.65.

[12] „Filz, Schill, Terror“, in: Die Zeit Nr. 39, 20.9.01, S.13.

[13] http://www.forschungsgruppewahlen.de/Ergebnisse/Letzte_Wahl/Analyse_Sachsen-Anhalt_2002.pdf.

[14] http://www.forschungsgruppewahlen.de/Ergebnisse/Letzte_Wahl/Analyse_Bundestagswahl_2002.pdf.

[15] „Halbstark in Hamburg“, in: Die Zeit Nr. 44, 25.10.01, S.8.

[16] Infratest dimap, S.61.

[17] Infratest dimap, S.76.

[18] http://www.forschungsgruppewahlen.de/Ergebnisse/Letzte_Wahl/Analyse_Sachsen-Anhalt_2002.pdf.

[19] http://www.forschungsgruppewahlen.de/Ergebnisse/Letzte_Wahl/Analyse_Bundestagswahl_2002.pdf.

[20] Infratest dimap, S. 86.

[21] Diese und die folgenden Angaben sind vom Statistischen Landesamt Hamburg: www.statistik-hamburg.de.

[22] Der Frauenanteil beträgt 53%, der Anteil der 60-jährigen und älteren 23,1%, der Bundesdurchschnitt liegt bei 22,4%. Infratest dimap, S.102f.

[23] Carini/Speit, S.75.

[24] „Hauptstadt des Versprechens“, in: Die Zeit Nr.51, 12.12.02, S.8.

[25] Carini/Speit, S.75.

[26] http://www.hamburg.de/fhh/behoerden/behoerde_fuer_inneres/statistisches_landesamt/profile/profileka.htm.

[27] Diese und die folgenden Angaben sind vom Statistischen Landesamt Sachsen-Anhalt: www.stala.sachsen-anhalt.de.

[28] http://www.destatis.de/jahrbuch/jahrtab2.htm.

[29] http://www.stala.sachsen-ahalt.de/Internet/Home/Daten_und_Fakten.

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Partei Rechtsstaatlicher Offensive - Schill. Eine Bestandsaufnahme der ersten relevanten rechtspopulistischen Partei Deutschlands
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Politische Wissenschaft)
Veranstaltung
Oberseminar: Rechtspopulismus in Europa
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
40
Katalognummer
V16590
ISBN (eBook)
9783638213943
Dateigröße
881 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Partei, Rechtsstaatlicher, Offensive, Schill, Eine, Bestandsaufnahme, Partei, Deutschlands, Oberseminar, Rechtspopulismus, Europa
Arbeit zitieren
Marcus Dräger (Autor:in), 2003, Partei Rechtsstaatlicher Offensive - Schill. Eine Bestandsaufnahme der ersten relevanten rechtspopulistischen Partei Deutschlands, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16590

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