Zur Beteiligung Deutschlands an den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit


Masterarbeit, 2010

86 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1.1 Themeneinführung
1.2 Inhalt und Untersuchungsziele

2. Pierre de Coubertins Olympische Idee
2.1 Bedeutung der ersten Olympischen Spiele
2.2 Ziele der Olympischen Idee
2.3 Deutschlands Bedeutung in der Entstehungsgeschichte der Olympischen Idee

3. Willibald Gebhardt und seine Bedeutung für die deutsche Olympia-Beteiligung
3.1 Biographie Gebhardts
3.2 Gebhardts Engagement für eine Olympia-Beteiligung Deutschlands
3.3 Gründung des deutschen Olympia-Komitees

4. Einladung Deutschlands zu den Olympischen Spielen
4.1 Der olympische Kongress in der Sorbonne
4.2 Sport-politische Differenzen als Folge des Deutsch-Französischen Krieges
4.3 Coubertins Zwiespalt zwischen nationalen Interessen und Olympischer Idee
4.4 Die „Gil-Blas-Affäre“

5. Innerdeutscher Konflikt um die Beteiligung Deutschlands
5.1 Reaktion der Deutschen Turnerschaft
5.2 Reaktion von Zentralausschuss und Sportbund
5.3 Konflikt zwischen Turnen und Sport
5.4 Reaktion der deutschen Politik
5.5 Reaktion der deutschen Bevölkerung
5.6 Absage der oppositionellen Sportverbände

6. Maßnahmen des deutschen Komitees zugunsten einer Olympia-Beteiligung
6.1 Innerdeutsche Diplomatiebestrebungen des deutschen Komitees
6.2 Kontakte zu Coubertin
6.3 Diplomatische Beziehungen zum griechischen Organisationskomitee
6.4 Vermittlungsbestrebungen mit Frankreich

7. Die Aufstellung einer deutschen „Achtungsvertretung“
7.1 Gewinnung einer Turnmannschaft
7.2 Protest der Deutschen Turnerschaft und Gegenströmungen
7.3 Vorbereitungen der deutschen Olympia-Mannschaft
7.4 Das Abschneiden Deutschlands

8. Fazit

Bibliographie

1. Einleitung

1.1 Themeneinführung

„Citius, altius, fortius“ oder im Deutschen „schneller, höher, stärker“ – dieser Leitspruch des französischen Barons Pierre de Coubertin aus dem Jahr 1891 drückt den Grundgedanken der modernen Olympischen Spiele aus und ist auch noch heute nach wie vor Leitbegriff für die Olympische Bewegung. Diese Komparative standen zum Ende des 19. Jahrhunderts in engem Zusammenhang mit dem allgemeinen sozialen, wirtschaftlichen und kolonialistischen Rekord- und Expansionsstreben der führenden Industriestaaten und sollten in der Folgezeit eben auch für die Sport- und Olympia-Bewegung des 20. und 21. Jahrhunderts zum Grundsatz werden.

Die modernen Olympischen Spiele sind in den vergangenen 114 Jahren zu einem fest etablierten Bestandteil des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens geworden. Für die Völkerverständigung und Annäherung der unterschiedlichsten Kulturen haben die Olympischen Spiele eine große Bedeutung erlangt. Die Olympische Bewegung expandierte vor allem seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in rasantem Ausmaß, was sich auf Teilnehmer, Zuschauer, Wettbewerbe, Medieninteresse sowie auch die sportliche Leistung bezieht. Die Olympischen Spiele erlebten vor allem durch die Medialisierung der Gesellschaft einen erheblichen Aufstieg und haben inzwischen eine enorme kulturelle, soziale sowie wirtschaftliche Bedeutung erlangt. Bei den insgesamt 46. Olympischen Spielen und 29. Sommer-Spielen im Jahr 2008 in Peking nahmen 11.126 Sportler aus 204 Nationen an insgesamt 302 Wettbewerben in 28 Sportarten teil. Weltweit verfolgten das Ereignis etwa 4,7 Milliarden Zuschauer im Fernsehen, was rund 70 Prozent der Weltbevölkerung entspricht. Die Einnahmen des Internationalen Olympischen Komitees aus Fernsehrechten und Sponsorengeldern betrugen für die Spiele im Jahr 2008 rund drei Milliarden Euro[1].

Die Olympischen Spiele hatten zudem einen entscheidenden Einfluss auf die „Versportlichung“ der Gesellschaft im 20. Jahrhundert. Die Expansion der Olympischen Spiele bewirkte einen weltweiten „Sport-Boom“, der vor allem seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Industriestaaten zu verzeichnen ist. Dies bezieht sich sowohl auf den Aktivensport, als auch auf den Zuschauersport. Hierbei hat die Entwicklung der Olympischen Spiele einen entscheidenden Anteil. Darüber hinaus hatten die Olympischen Spiele seit jeher große politische Bedeutung. Bereits die Entstehungsgeschichte der ersten Olympischen Spiele war von erheblichen politischen Widerständen geprägt. Im deutschen Nationalsozialismus wurden die Olympischen Spiele im Jahr 1936 in Berlin zum Instrument der „Nazi-Propaganda“. Auch in den 80er Jahren, bei den Spielen 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles, wurden sie zu einem Politikum, das aufgrund des „Kalten Krieges“ in Boykottierungen mündete. Nicht nur die Olympischen Spiele, sondern überhaupt ist Sport im Laufe der Jahrhunderte immer wieder instrumentalisiert worden. Hier sind die römischen Gladiatorenkämpfe als Kaiserpropaganda, der italienische „Calcio“ als Popularitätssteigerung der „Medici“, die mittelalterlichen Ritterturniere als Stärkung der Ritter-Position oder die deutsche Turnbewegung als Verbesserung der Militärtüchtigkeit zu nennen.

Die rasante Entwicklung der Olympischen Spiele hätte wohl auch ihr Initiator, der französische Baron Pierre de Coubertin, nicht für möglich gehalten, als er im Jahr 1880 die Idee zur Wiederbelebung der antiken Olympischen Spiele hatte. Diese Idee des Pariser Pädagogen und Historikers, der von 1863 bis 1937 gelebt hat, stand im engen Zusammenhang mit den archäologischen Ausgrabungen der antiken olympischen Sportstätten der Jahre 1875 bis 1881, einer steigenden Mobilität sowie einer weltweit aufstrebenden Sportbewegung gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die antiken Olympischen Spiele, die sich über eine Zeitspanne von knapp 1.200 Jahre erstreckten und im griechischen Olympia zwischen 776 vor Christus und 393 nach Christus stattfanden, sollten wiederbelebt werden, sodass Coubertin daher auch Athen als Austragungsstätte für die ersten neuzeitlichen Olympischen Spiele auserkoren hatte. Die Renaissance der Olympischen Idee erfuhr in den Folgejahren jedoch große Widerstände, die in großem Maße auch die Frage nach einer Beteiligung Deutschlands mit sich brachte. Protektionistische, nationalistische und chauvinistische Gründe spielten dabei eine wesentliche Rolle. Hinzu kamen finanzielle, strukturelle und inhaltliche Bedenken der Olympia-Gegner.

1.2 Inhalt und Untersuchungsziele

Diese Master-Thesis mit dem Thema „Zur Beteiligung Deutschlands an den ersten Olympischen Spiele der Neuzeit“ bezieht sich auf die Vorgeschichte der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit im Jahr 1896 in Athen. Dabei wird hauptsächlich der Zeitraum zwischen den Jahren 1894 und 1896 berücksichtigt. Im Fokus der Arbeit steht die Situation in Deutschland im Hinblick auf eine Teilnahme an den ersten Olympischen Spielen. Deutschland beteiligte sich letztlich an den Spielen, doch war das deutsche Mitwirken bis kurz vor Beginn der Olympischen Spiele ungewiss und das Ergebnis eines langwierigen, äußerst problematischen Prozesses. Diese Arbeit untersucht die politischen Hintergründe des deutschen Olympia-Konflikts. Sie zeigt die Positionen Deutschlands und Frankreichs auf und erklärt, warum der deutsch-französische Konflikt zur vorläufigen Absage Deutschlands geführt hat. Die Arbeit untersucht, was die Reaktionen Deutschlands auf Coubertins Olympische Idee waren und warum die Teilnahme Deutschlands zu scheitern drohte. Im Anschluss daran wird untersucht, wie es schließlich doch gelingen konnte, die Teilnahme Deutschlands durchzusetzen.

Zu Beginn der Arbeit werden die Inhalte Coubertins Olympischer Idee skizziert. Die Bedeutung Deutschlands für die Vorgeschichte der Olympischen Spiele im Hinblick auf die deutschen Olympia-Ausgrabungen, der Sportbewegung in Deutschland sowie dem Bedeutungszuwachs für die Olympischen Spiele durch eine deutsche Teilnahme werden anschließend thematisiert. Im darauf folgenden Kapitel beschäftigt sich die Arbeit mit Willibald Gebhardt und skizziert dessen Lebensweg sowie seine Bedeutung für die deutsche Olympia-Beteiligung und die Gründung des deutschen Olympia-Komitees. Daraufhin werden die Olympia-Einladung Coubertins an Deutschland und deren Hintergründe analysiert. Hierbei werden die Kontaktaufnahme zu Deutschland, die sogenannte „Gil-Blas-Affäre“ sowie Coubertins Zwiespalt zwischen nationalen und internationalen Interessen beleuchtet. Im Anschluss an die Darstellung der außenpolitischen Kontroversen wird der innerdeutsche Olympia-Konflikt thematisiert. Dazu beleuchtet die Arbeit die Gründe für die vorläufige Absage Deutschlands, wobei die anti-olympische Grundeinstellung und der deutsch-französische Konflikt analysiert werden. Anschließend beschreibt die Arbeit die Reaktionen auf die Olympia-Einladung Deutschlands, wobei hier die Argumente der Deutschen Turnerschaft, des Zentralausschusses und des Sportbundes für eine Boykottierung der Spiele sowie die Reaktionen von Politik und der Bevölkerung in Deutschland erläutert werden. Darüber hinaus wird der Konflikt zwischen Turnen und Sport analysiert. Im nachfolgenden Kapitel werden die Aktivitäten des deutschen Olympia-Komitees zugunsten einer Abwendung des Olympia-Boykotts dargestellt, indem sowohl die innen-, als auch die außenpolitischen Vermittlungsversuche und diplomatischen Bestrebungen Willibalds Gebhardts skizziert und bewertet werden. Im Anschluss daran werden die unmittelbaren Vorbereitungen auf die Olympia-Teilnahme einer deutschen „Achtungsvertretung“, die kurzfristige Gewinnung einer deutschen Turnmannschaft und der daraus resultierende Protest durch die Deutsche Turnerschaft thematisiert. Hierbei wird analysiert, wie das deutsche Komitee sein Vorhaben trotz der Widerstände durchsetzen konnte und woraus die letztliche Schwächung der Turnerschaft resultierte. Anschließend wird das Abschneiden der deutschen Mannschaft bei der Olympia-Premiere beschrieben. Die Arbeit endet mit einem abschließenden Fazit, das Untersuchungen und Erkenntnisse zusammenfasst und in ein Gesamtresümee münden lässt.

Die Untersuchungen dieser Arbeit bedienen sich zahlreicher Quellen sowie Literatur, die aufgeführt und miteinander verglichen wurden. Sämtliche Zitate und Verwendungen von Quellen und Literatur wurden gekennzeichnet und in Fußnoten angeführt. Bei den Quellen handelt es sich zum einen um Autobiographien von Pierre de Coubertin, in denen er zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Geschehnisse im Vorfeld der ersten Olympischen Spiele aufgearbeitet hat. Darüber hinaus dienten diverse Briefwechsel Pierre de Coubertins als Quellen, die vor allem den von Coubertin herausgegebenen Werken „Olympische Erinnerungen“, „Der Olympische Gedanke“ und „21 Jahre Sportkampagne“ entstammen. Zudem lagen zahlreiche Briefe und Stellungsnahmen von deutschen Presseinstitutionen, Sportvereinen, Sportverbänden, vor allem der Deutschen Turnerschaft sowie von Willibald Gebhardt und dem deutschen Olympia-Komitee zugrunde, die insbesondere in Willibald Gebhardts Werk „Soll Deutschland sich an den Olympischen Spielen beteiligen?“, Ferdinand August Schmidts Publikation „Die Wiederbelebung der Olympischen Spiele“ sowie in den Quelleneditionen des Carl-Diem-Instituts „Dokumente zur Frühgeschichte der Olympischen Spiele“, „Ewiges Olympia“ und „Der Olympische Gedanke“, zu finden sind. Nicht nur die Quellenlage, sondern auch sekundärliterarische Veröffentlichungen zu diesem Thema sind recht ergiebig. Hier sind vor allem Karl Lennartz Werke „Die Beteiligung Deutschlands an den Olympischen Spielen 1896 in Athen“ sowie „Langlauf durch die olympische Geschichte“, Andreas Höfers Publikation „Der olympische Friede“ und „Olympia – Geliebt und Gehasst“ von Klaus Ulrich zu nennen, die ebenfalls in die Untersuchungen dieser Arbeit eingeflossen sind.

2. Pierre de Coubertins Olympische Idee

2.1 Bedeutung der ersten Olympischen Spiele

Der französische Baron Pierre de Coubertin, ein adeliger Historiker und Pädagoge, hatte Ende der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts erstmals die Idee von der Wiederbelebung der Olympischen Spiele, nachdem er die antike Olympia-Kultur der Hellenen mit großer Akribie und voller Faszination studiert hatte und sich davon begeistern ließ.[2] Mit dem Hintergrund von pädagogischen sowie sportpolitischen Zielen entwickelte Pierre de Coubertin seine Olympische Idee, die im Gegensatz zu den antiken Olympischen Spielen eine internationale Wettkampfform mit Teilnehmern aus den unterschiedlichsten Ländern vorsah. Gemeinsam mit dem französischen Dominikanerpater Henri Didon, der ihn in seinen Planungen unterstütze, schuf der Baron das olympische Motto „Citius, altius, fortius“ oder im Deutschen „höher, schneller, stärker“.[3] Durch den aufkommenden Sportgedanken und der zunehmenden Bedeutung von immer mehr Sportarten sah Coubertin die Zeit als geeignet für eine Renaissance der Olympischen Spiele. Auch die Ausgrabungen der olympischen Wettkampfstätten Ende der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts und die damit verbundene Renaissance der hellenischen Kultur bestätigten Coubertins Vorhaben und verstärkten seine Hoffnung auf die Erfolgsaussichten seiner Idee. Zu dieser Zeit war die Neuentdeckung Olympias durch den weit verbreiteten Philhellenismus des 19. Jahrhunderts befruchtet worden.[4] Daher trat er im Jahr 1880 erstmals an die Öffentlichkeit heran und propagierte fortan in Frankreich die Olympische Bewegung. Im Jahr 1892 hielt Coubertin in der Pariser Sorbonne vor großem französischem Publikum einen Vortrag zu seinem Vorhaben und bezeichnete sein „Olympisches Manifest“ dabei selbst als „großartiges und heilsames Werk“[5], nachdem er die nationalen sowie internationalen Vorteile und positiven Wirkungen herausgestellt hatte. Zur Verbreitung seiner Idee machte es sich Coubertin zu Nutze, dass er zu vielen Vertretern von Sportverbänden aus zahlreichen Ländern gute Kontakte hatte und über ausgezeichnete diplomatische Beziehungen verfügte. Im Jahr 1894 rief Pierre de Coubertin erstmals zu einem internationalen Sportkongress in der Pariser Sorbonne auf, zu der er Teilnehmer aus vielen verschiedenen Ländern einlud und in der er seine Olympische Idee erstmals einem internationalen Publikum vorstellte. Im Rahmen dieses Kongresses am 23. Juni 1894, der Geburtsstunde der modernen Olympischen Spiele, gründete man das Internationale Olympische Komitee und beschloss die Durchführung der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit.[6]

Pierre de Coubertin war ein Anhänger des modernen Humanismus, dessen Lebenswerk die Olympischen Spiele darstellten und der für die Durchsetzung seiner Idee eine unermüdliche Schaffenskraft entwickelte.[7] Pierre de Coubertin wollte durch die Olympische Bewegung sämtliche Menschen an seiner Idee beteiligen und sie dafür begeistern. So sollten die Spiele nicht nur eine Angelegenheit für Hochleistungssportler und die Olympia-Teilnehmer sein, sondern darüber hinaus für überhaupt alle sporttreibenden Menschen existent sein und die Leute dazu animieren, Sport zu treiben.[8] Die Bedeutung der ersten Austragungen der Olympischen Spiele war im Verhältnis heutiger Maßstäbe jedoch sehr klein. Die Spiele waren nicht mehr als gesellschaftliche Ereignisse mit lokalem Volksfestcharakter. Die zweiten und dritten Spiele in Paris 1900 und St. Louis 1904 fanden im Rahmen von Weltausstellungen statt und bildeten daher nur das Rahmenprogramm. Die Messebesucher begutachteten lieber das Messegelände, als dass sie die olympischen Wettkämpfe besuchten. In der Bevölkerung maß man den Spielen keine allzu große Bedeutung zu. Sie waren eine Nischenattraktion, was letztlich auch bei der olympischen Premiere 1896 nicht anders war. Die Spiele waren „sehr zum Unmut Pierre de Coubertins unzeremonielle Attraktionsveranstaltungen“[9]. Es war keine Massenattraktion, sondern vielmehr ein Randprogramm, zu dem die Griechen keinen allzu großen Bezug hatten. Was für uns heute völlig normal und anerkannt ist, war damals vielfach als eine Angelegenheit für Exoten verpönt. Während wir heutzutage den Sinn von sportlichen Höchstleistungen und Rekord- und Wettkampfbestrebungen als gegeben ansehen, erkannten die Menschen diesen Sinn damals noch nicht. Das Streben, in einer Sportart besser zu sein als Andere, ohne dabei einen finanziellen, wirtschaftlichen oder politischen Nutzen zu verfolgen, war damals eine unbekannte Größe, die man nicht nachvollziehen konnte. Sport war nicht Teil der Gesellschaft, wie es heute der Fall ist. Hinzu kam, dass die Berichterstattung der ersten Spiele mangelhaft war. Es gab nur wenige Sportberichterstatter, die die Ergebnisse häufig verspätet, fehlerhaft oder auch gar nicht in der Presse veröffentlichten. Auch die Chancengleichheit, die Coubertin ursprünglich als eines der wichtigsten Ziele der Spiele angesehen hatte, war in der Praxis der ersten Olympischen Spiele nicht gegeben. Offiziell durften zwar nur Amateure an den Start gehen, wie es Coubertin auf Druck der Öffentlichkeit beschlossen hatte, doch war der Grad eines Amateurstatus in der Praxis oftmals nur schwer abzugrenzen und zudem häufig nicht zweifelsfrei nachprüfbar. Das führte dazu, dass auch mehr oder minder professionelle Athleten starteten und anderen Sportlern keinerlei Chance ließen. Damit waren riesige Leistungsunterschiede und oftmals eindeutige, spannungslose Wettkampfverläufe verbunden. Genau wie es der Charakter der Industrialisierung sowie des aufstrebenden Imperialismus suggerierte, galten auch die ersten Olympischen Spiele als „Symbol der Erfolgsgesellschaft und ihrer Leistungshierarchie“[10], was in Bezug auf Sport zu diesem Zeitpunkt eine Neuerscheinung darstellte, für die die überwiegende Bevölkerung noch keinerlei Verständnis hatte.

Das IOC um Pierre de Coubertin hatte sich im Vorfeld der Spiele bewusst dazu entschieden, die Sportler unter der Flagge ihres jeweiligen Landes und nicht nationenunabhängig starten zu lassen, auch wenn die politische Brisanz dadurch erst ihren Nährboden erhalten hatte. Trotz der daraus resultierenden Probleme, vor allem im Hinblick auf den deutsch-französischen Konflikt, hielt Coubertin diese Entscheidung für den Fortbestand der Olympischen Spiele für unerlässlich, da durch die Nationenzugehörigkeit verstärkte Motivation und ein zusätzlicher Anreiz sowohl für die Sportler, als auch für die Zuschauer geschaffen werden konnten, was für Bedeutung und Begeisterungsfähigkeit der Olympischen Idee essentiell waren. Diesen Zwiespalt sah auch der Historiker Helmut Schelsky, indem er in seinem Werk „Friede auf Zeit“ einen nationenunabhängigen Wettbewerb zwar mit einer unproblematischeren Entpolitisierung verband, darin jedoch den Nachteil eines geringeren Identifizierungsgrades und schlechterer Möglichkeiten für Völkerverständigung und Friedensbestrebungen erkannte.[11] Trotz der politischen Probleme und der relativ geringen Bedeutung war die Olympia-Premiere ein wichtiger Grundstein und für den späteren Erfolg der Olympischen Spiele eine wichtige Voraussetzung. Auch wenn Coubertin im Vorfeld der Spiele mit wesentlich mehr Teilnehmernationen, Sportlern und öffentlichem Interesse gerechnet hatte, so ist die erste Austragung der Olympischen Spiele angesichts der großen politischen Widerstände letztlich als Erfolg zu werten, zumal es gelang, immerhin Athleten aus 13 verschiedenen Nationen zu einer gemeinsamen Sportveranstaltung und einem friedlichen Wettstreit zusammenzuführen.

2.2 Ziele der Olympischen Idee

Pierre de Coubertins Olympische Idee unterstand zwei Zielrichtungen. Zum einen verfolgte er damit soziale Ziele und zum anderen politische Intentionen. Coubertin erhoffte sich von der Olympischen Bewegung erzieherische Einflüsse. Durch eine Sporterziehung wollte er die sportliche Betätigung bei der Bevölkerung vorantreiben, was sich auch auf den Schulsport mit Sport als erzieherischem Gut beziehen sollte. Sport sollte nach der Ansicht Coubertins den Charakter sowie die Persönlichkeit stärken und auch die Sittlichkeit und Tugenden der Menschen wie Fleiß, Ordnung und Disziplin fördern, was durch regelmäßiges Training gefördert würde. Außerdem sollte der Sport laut Coubertin eine Stärkung des Körpers und Gesunderhaltung bewirken. Durch die Olympischen Spiele sollte der Sport in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt werden. Menschen sollten sich dadurch für sportliche Betätigung sensibilisieren und begeistern lassen. Sie sollten sich durch die Olympische Idee faszinieren lassen und trainieren, um ähnliche Leistungen vollbringen zu können. Coubertin war ein Anhänger des Strebens nach sportlichen Höchstleistungen, was er jedoch auf Druck der protestierenden, den professionellen Sport ablehnenden Öffentlichkeit relativieren musste, indem er die Teilnahme an den Spielen für professionelle Sportler verbieten musste, sodass nur Amateursportler daran teilnehmen durften.

Außerdem sah Pierre de Coubertin in der Olympischen Idee auch einen politischen Nutzen, was er in seiner ersten großen Rede, dem „Olympischen Manifest“[12], im Jahr 1892 in der Pariser Sorbonne erstmals der Öffentlichkeit erläuterte. Coubertin war Pazifist und beabsichtigte, durch die Olympischen Spiele das Zusammenwachsen der Welt zu beschleunigen. Er beabsichtigte mit diesem Internationalisierungsprozess eine verbesserte Völkerverständigung und eine Entwicklung hin zu einer friedlicheren Welt, was durch ein friedliches und harmonisches Wettkämpfen erreicht werden sollte.[13] Coubertin beschrieb den Friedensgedanken seiner Olympischen Idee in seinem „Olympischen Manifest“ in der Pariser Sorbonne am 25. November 1892 folgendermaßen: „An dem Tag, an dem es in die Sitten des alten Europa eingedrungen sein wird, wird der Sache des Friedens eine neue und mächtige Stütze erwachsen sein.“[14] Durch diesen Begegnungsprozess sollten den Menschen laut Coubertin fremde Völker und Kulturen näher gebracht und Vorurteile abgebaut werden. Coubertin war der Meinung, dass der Zeitpunkt einer Wiederbelebung der Olympischen Spiele gekommen sei, da die steigende Mobilität durch die Erfindungen der Eisenbahn und des Telegraphs bereits zu einem erheblichen Zusammenwachsen der Welt geführt habe und dass sich die Sportbeziehungen zwischen den Ländern in Form von internationalen Wettkämpfen durch bessere Kommunikation und schnelleres Reisen enorm vereinfacht hätten. Der französische Baron formulierte diesen Gedanken im Vorfeld der Spiele folgendermaßen: „Die Idee der Wiederbelebung […]war das vernünftige Ergebnis einer großen Bewegung. Das 19. Jahrhundert hat überall die Neigung zu den Leibesübungen wiedererstehen sehen. […] Zu gleicher Zeit haben die großen Erfindungen […] die Entfernungen aufgehoben und die Menschheit hat ein neues Leben zu führen begonnen.“[15] Coubertin bezeichnete die Olympische Idee im Jahr 1892 in seiner Rede über das „Olympische Manifest“ als „Freihandelssystem der Zukunft“[16] und hegte die Hoffnung, dass die Olympische Bewegung die Welt im Sinne der Völkerverständigung zusammenwachsen lassen und Frieden schaffen könne. Die Beziehungen zwischen verschiedenen Ländern verbessert werden, womit Coubertin vor allem das verfeindete Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich meinte.

Eine weitere Absicht Coubertins war die Gleichheitsidee des Sports. Er sah den Sport als einzige neutrale und objektive Institution an, die sich durch Chancengleichheit für jeden Sportler sowie durch eine konforme Bewertung auszeichnet. Der Sport implizierte einen Gleichheitszustand. Während die Schere zwischen Armen und Vermögenden sowie Unterprivilegierten und Mächtigen außerhalb des Sportwesens im Zuge der Industrialisierung immer größer wurde, sorgte der Sport immerhin für einen vorübergehenden Abbau sozialer Hierarchien. Zwar zielten die zahlreichen, neu gegründeten Sportvereine auf die gehobene Mittelschicht, doch führte die ständeunabhängige Wettkampfausübung und das objektive Reglement zu Gleichheit. Im sportlichen Wettkampf war ungeachtet des Gesellschaftsranges nur die gezeigte Leistung von Bedeutung. Hier konnte ein Unterprivilegierter einem höher Gestellten eine Niederlage beifügen. Sport war für Coubertin leistungsorientiertes Handeln, dessen Erfolge objektiv und messbar sind. Außerdem war er vom charakterbildenden, Tugenden stärkenden Wert des Sports überzeugt. Der französische Baron war von der „religio athletae“ überzeugt, die dem Sportler das Ziel vorgibt, sich zu erkennen, zu leiten und zu überwinden. Coubertin sagte, dass Sport zum Sieg des Willens führe, wobei es sich um ein Ideal der Menschheit handele. Coubertin war der Meinung, dass eine erfolgreiche Sporterziehung auch zu politischem Erfolg führen würde. Erziehung war für Coubertin ein politisches Instrument. Er vertrat den Standpunkt, dass es ohne eine sportive Erziehung sowohl keine soziale, als auch politische Stabilität geben könne. Die aus sportlicher Erziehung resultierenden Charaktereigenschaften hätten laut Coubertin einen erheblichen Einfluss auf den späteren Erfolg von politischen Bestrebungen eines Landes. Darüber hinaus wollte Coubertin mit Hilfe der Olympischen Spiele die Gegensätze der unterschiedlichen Sportarten beseitigen und die Vertreter der einzelnen Sportbereiche zu einer gemeinschaftlichen, kooperierenden Sportbewegung vereinen. Der Rückgriff Coubertins auf den mehr als 2.000 Jahre alten Mythos der Olympischen Spiele als Renaissance der Antike hatte nach Ansicht der Historikerin Ulrike Prokop jedoch nur einen instrumentalen Hintergrund, um die Begeisterungsfähigkeit der Menschen zu erhöhen: „Die Schwierigkeiten der Durchsetzung einer internationalen Sportbewegung führten auch Coubertin ganz pragmatisch zur Suche nach Mitteln, die die Objektivität des internationalisierten Sports kultisch überhöhen und damit anschaulich einüben. Dies führte zur ganz instrumentalen Erfindung der Olympischen Spiele als kultischer Institution.“[17] Pierre de Coubertin gab das Ziel aus, dass der internationale Sport wieder eine Rolle in der Welt spielen müsse.[18] Ein weiteres Ziel des Barons war die Zusammenführung des traditionellen Turnens und des Sports, der ab der Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem in Großbritannien, Frankreich und Amerika einen enormen Aufschwung erfahren und zu einer allgemeinen Sportbewegung geführt hatte. Im Jahr 1889 erhielt Pierre de Coubertin von der französischen Regierung den Auftrag, die Fragen der allgemeinen Körpererziehung zu studieren. Im Rahmen dieser sport-kulturellen Studien erkannt er, dass der Athletismus, also die olympischen Sportarten außer dem Turnen, in den weitaus meisten Ländern nur eine untergeordnete Rolle spielte und dass es große Kontroversen zwischen dem Turnen und anderen Sportarten gab.[19] Der französischen Baron formulierte diese Problematik folgendermaßen: „Überall hatte ich Zwietracht und Bürgerkrieg zwischen den Anhängern oder den Gegnern der einen oder anderen Übungsart gesehen.“[20] Coubertin wollte diesem immer weiter voran schreitenden Konflikt, der laut Coubertin ein baldiges Aussterben des Athletismus zur Folge gehabt hätte, mit seiner Olympischen Idee begegnen und die beiden zerstrittenen Lager durch eine gemeinsame, Sport und Turnen vereinende Großveranstaltung zusammenführen.

2.3 Deutschlands Bedeutung in der Entstehungsgeschichte der Olympischen Idee

Deutschland und Griechenland verband nicht nur ein äußerst freundschaftliches Verhältnis, sondern auch ein gemeinsamer Sportgedanke, der auf den Hellenen in der Antike beruhte. Der Begründer der deutschen Leibesübungen, Johann Christoph Friedrich Gutsmuths, führte die griechische Gymnastik der Antike bereits im dem Jahr 1785 in Deutschland ein, nachdem er die hellenischen Schriften studiert hatte. Im Zuge des deutschen Humanismus griffen deutsche Gelehrte zu dieser Zeit auf sämtliche Kulturgüter der griechischen Antike zurück, wozu auch die Leibesertüchtigung zählte. Überzeugt und fasziniert von der griechischen Tradition und Körperschulung gab Gutsmuths das Ziel der Harmonie zwischen Körper und Geist aus und praktiziere seit Ende des 18. Jahrhunderts in der Erziehungsanstalt Schnepfental die hellenische Körpererziehung. Als Verfechter der hellenischen Olympia-Bewegung setzte er sich bereits Anfang des 19. Jahrhunderts für die Wiedereinführung der Olympischen Spiele ein, allerdings nicht als internationales Sportfest, sondern wie es auch in der Antike praktiziert wurde als ein nationaler Wettkampf. Somit kam die Idee der Renaissance der Olympischen Spiele nicht von Pierre de Coubertin, sondern bereits fast 100 Jahre zuvor von einem Deutschen, wenn auch in anderer Durchführungsform. Gutsmuths Idee der Wiederbelebung der antiken Olympischen Spiele war damals jedoch nicht zustande gekommen, weil sie in Deutschland auf allseitige Ablehnung stieß.[21]

Die sportlichen Ideale Gutsmuths mit Sport als grundlegendem Erziehungsinstrument und der Einführung des Schulsports wurden in Deutschland Anfang des 19. Jahrhunderts von Friedrich Ludwig Jahn aufgegriffen und in Form des Turnens erfolgreich weitergeführt. Unter Jahn erlangten die Leibesübungen fortan enorme Verbreitung und große Popularität, die weltweit Maßstäbe setzten. In Deutschland hatte man erstmals die Idee einer olympischen Renaissance, hatte durch die Ausgrabungen Olympias für den Grundstein der Olympischen Bewegung gesorgt und genoss im 19. Jahrhundert durch die weite Verbreitung von Turnen und Leibesübungen eine weltweite Vormachtstellung im Sport, sodass eine deutsche Abstinenz bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit eine besonders bedauerliche und unlogische Erscheinung gewesen wäre.[22]

Pierre de Coubertin veröffentlichte im Jahr 1892 seine Olympische Idee, die die baldige Wiedereinführung der antiken Olympischen Spiele der Hellenen mit dem Unterschied einer internationalen Durchführungsform propagierte. Doch die Vorleistungen, die diese Idee erst ermöglichten, datieren bereits aus dem Jahr 1875. Damals hatten deutsche Forscher große Teile der antiken Wettkampfstätten Olympias systematisch freigelegt und so den Geist der Olympischen Spiele mit neuem Leben erfüllt. Die deutschen Archäologen Ernst Curtius, Wilhelm Dörpfeld, Adolf Böttinger und Georg Treu, die Architekten Friedrich Adler und Richard Bohn sowie Kartograph Johann August Kaupert bewirkten mit ihren prestigeträchtigen und für großes Aufsehen sorgenden Ausgrabungen, dass der durch neuartige Erkenntnisse über die Geschichte der Körperkultur des Altertums wiederbelebte Olympische Gedanke in die Öffentlichkeit und in die Wahrnehmung der Bevölkerung gelangen konnte. Diese Archäologen ebneten mit ihren bahnbrechenden Freilegungen in den Jahren 1875 und 1881, die im Auftrag des Deutschen Archäologischen Instituts und unter der Leistung von Ernst Curtius sowie drei Jahre später unter Wilhelm Dörpfeld von Statten gingen, den Weg für die späteren Arbeiten Coubertins und ermöglichten somit erst die Olympische Bewegung.[23] Der deutsche Archäologe und Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann hatte „die Keimzelle zu einer kommenden Olympia-Renaissance gelegt“[24], wie es der Historiker Joachim Gerstenberg ausdrückte. Winckelmann hatte sieben Jahre zuvor die Vorarbeiten für seine Landsmänner um Curtius und Dörpfeld geleistet, indem er sich im Jahr 1868 intensiv mit der Historie des antiken Olympias beschäftigt und konkrete Planungen für die Ausgrabungen der hellenischen Wettkampfstätten ausgearbeitet hatte. „Ohne ihre erfolgreichen Ausgrabungen wäre ein so schnelles Vordringen der hellenischen Idee und die Wiedereinführung der Olympischen Spiele gar nicht möglich gewesen.“[25]

Deutschland war an den Ausgrabungen Olympias am meisten interessiert und konnte daher auch die weitaus größten Erfolge bezüglich der bedeutendsten Ausgrabungen erreichen. Bereits im Jahr 1829 hatte Frankreich Ausgrabungen in Olympia durchgeführt, diese jedoch nach der Freilegung kleinerer Tempelanlagen aufgrund zu großer Hitze nach nur sechs Wochen wieder eingestellt und später aufgrund zu hoher Ausgrabungskosten nicht wieder aufgenommen. Diese Aktivitäten Frankreichs geschahen jedoch mit wesentlich geringerem zeitlichem und finanziellem Aufwand und verbuchten bei weitem nicht den Erfolg wie später die deutschen Archäologen.[26] Deutschlands großes Interesse an den Freilegungen und die Bereitschaft, große finanzielle Mittel dafür aufzuwenden, war zum einen mit Image- und Prestigebestrebungen zu erklären und lag darüber hinaus an den weit verbreiteten humanistischen, mit der hellenischen Kultur sympathisierenden Tendenzen in Deutschland begründet. Vor allem der preußische König Friedrich Wilhelm IV. hatte das Projekt in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts entscheidend unterstützt, nachdem Ernst Curtius mit großem Engagement darum geworben und seine Idee erstmals im Jahr 1852 in einem Vortrag mit dem Titel „Olympia“ in Berlin veröffentlicht hatte. Durch die deutsche Reichsgründung im Jahr 1871 und die damit verbundene Erstarkung des nationalen Gefühls eines vereinigten Deutschlands sowie die aufkommenden imperialistischen Tendenzen erhielt die Idee von deutschen Olympia-Entdeckungen einen weiteren entscheidenden Nährboden.[27] Die Olympia-Freilegungen wurden zu einer nationalen Angelegenheit, indem die prestigereichen Ausgrabungserfolge die neue Einheit und Stärke Deutschlands unter Beweis stellen sollten. Auch die griechische Regierung konnte man für das Vorhaben gewinnen, weil auch sie sich daraus einen Prestigegewinn erhoffte. Außerdem pflegte Griechenland ein freundschaftliches Verhältnis mit Deutschland, sodass man an einer derartigen die diplomatischen Beziehungen stärkenden, beidseitigen Gewinn bringenden Kooperation interessiert war.[28]

Auch Pierre de Coubertin wertete die Olympia-Ausgrabungen Deutschlands als Voraussetzung für seine Olympische Idee und sah sie als wichtige Vorleistung für die Wiederbelebung der Olympischen Spiele an. Dass Deutschland die archäologischen Arbeiten durchgeführt hatte und Frankreich dies aufgriff, um die antiken Spiele wiederzubeleben, war für Coubertin ein Akt der friedvollen, internationalen Kooperation, den er unter Berücksichtigung der hellenischen Kultur und der damit verbundenen Ehrerbittung gegenüber Griechenlands als erfolgreiche Völkerverständigung wertete. Dieses europäische Gemeinschaftsprojekt beschrieb der französische Baron in seiner Autobiographie „21 Jahre Sportkampagne“ im Jahr 1908 folgendermaßen: „Deutschland hatte das ausgegraben, was von dem alten Olympia noch vorhanden war, warum sollte Frankreich nicht die alte Herrlichkeit wiederherstellen?“[29] Mit dieser Äußerung wollte Coubertin jedoch nicht nur den Kooperationsgedanken eines internationalen Friedensprojekts ansprechen, sondern wollte darüber hinaus auch seine französischen Landsmänner für seine Idee begeistern, indem er die Wiederbelebung der antiken Spiele als imperialistisches Streben zur Verbesserung von Frankreichs Stellung sowie als Prestigegewinn anpries.

3. Willibald Gebhardt und seine Bedeutung für die deutsche Olympia-Beteiligung

3.1 Biographie Gebhardts

Karl August Willibald Gebhardt wurde am 17. Januar 1861 in Berlin geboren. Der Sohn eines Buchdruckers war neben seinen Verdiensten für die Beteiligung Deutschlands an den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit ein Naturwissenschaftler, der vor allem im Bereich der Lichttherapie forschte und wesentlich zu deren Entwicklung beitrug. Willibald Gebhardt studierte nach dem Abitur ab 1879 an der Universität in Marburg sowie an der Humboldt-Universität in Berlin Chemie und promovierte im Jahr 1885. In einem Zweitstudium widmete er sich in den darauf folgenden Jahren der Physiologie und Hygiene und übernahm neben diversen Arbeiten als Naturwissenschaftler gemeinsam mit seinem Bruder das Geschäft des Vaters, wo er fünf Jahre lang arbeitete. Im Jahr 1890 wanderte Gebhardt in die USA aus, um dort als Wissenschaftler Karriere zu machen. Dort arbeitete er selbstständig als Naturwissenschaftler mit den Schwerpunkten Hygiene und Gesundheit und spezialisierte sich auf moderne Lichtheilverfahren. In diesem Zusammenhang entstand auch Gebhardts Interesse an sportlichen Betätigungen als gesundheitsfördernde Körperertüchtigung. In den USA entwickelte sich seine Vorliebe für den Sport, sodass er auch selbst sportlich aktiv war und mit großem Engagement den Fechtsport betrieb. Nach seiner Rückkehr aus den USA im Jahr 1895 erfuhr Gebhardt von der Olympischen Idee Pierre de Coubertins und beschloss, sich dieser Bewegung anzuschließen. Gebhardt setzte sich in den darauf folgenden Jahren erfolgreich für die Verbreitung der Olympischen Idee sowie für die Beteiligung Deutschlands an den Olympischen Spielen ein. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland arbeitete er hauptberuflich als Unternehmer und Erfinder.[30]

Willibald Gebhardt spezialisierte sich als Wissenschaftler im Bereich der physiologischen Chemie. Zahlreiche Gebrauchsmuster und Patente für verschiedene Instrumente des Lichtheilverfahrens und Geräte für eine diätische Ernährung als Heilverfahren wurden auf seinen Namen am Deutschen Patentamt eingetragen. Auf dem Gebiet der elektrischen Lichtbäder war Gebhardt in Europa Pionier. Diese Art von Bädern lernte er während eines Besuchs der Weltausstellung im Jahr 1893 in Chicago kennen und führte sie daraufhin in seiner 1895 gegründeten Kurbadeanstalt Karlsbad in Berlin als Heilverfahren ein. Im Jahr 1898 veröffentlichte er seine wissenschaftlichen Arbeiten in dem Werk „Die Heilkraft des Lichts“.[31]

Ab 1903 begann er damit, seine medizinischen Erkenntnisse auch in den Bereich des Sports zu übertragen und entwickelte fortan in einem privaten Laboratorium trainingswissenschaftliche Untersuchungen. Dabei führte er körperliche Messungen durch, die sich unter anderem auf die Bestimmung des spezifischen Gewichts, die Muskelkraft sowie die Lungenfunktion bezogen. Als promovierter Naturwissenschaftler forderte Gebhardt schon früh nach amerikanischem Vorbild trainingswissenschaftliche Untersuchungen der Sportler zur Leistungsoptimierung und die Einrichtung von wissenschaftlichen „Trainieranstalten“. Die wissenschaftliche Erforschung des aufstrebenden Sportwesens zu Beginn des 20. Jahrhunderts war ihm ebenso ein Anliegen wie die Vermittlung der olympischen Werte der Persönlichkeitsbildung sowie in der schulischen Erziehung. Seine Idee von trainingswissenschaftlichen Instituten scheiterte jedoch am fehlenden Interesse von möglichen Förderern, sodass er diesen Forschungsbereich aus wirtschaftlichen Gründen fortan wieder verließ. Gebhardt war ein äußerst vielseitiger Wissenschaftler, der auf den unterschiedlichsten Gebieten forschte.[32] Im Februar 1908 heiratete er Katharina Zurkalowski, ebenfalls eine Wissenschaftlerin, mit der er auch zusammenarbeitete und überraschte wenig später mit der gemeinsamen Erfindung einer neuartigen Kaffeemaschine. Gebhardts Bedeutung als Wissenschaftler war jedoch zu keinem Zeitpunkt groß gewesen, sodass er finanziell nie besonders erfolgreich war. Willibald Gebhardt starb am 30. April 1921 in Berlin bei einem Verkehrsunfall.[33]

3.2 Gebhardts Engagement für eine Olympia-Beteiligung Deutschlands

Seinen historischen Bekanntheitsgrad erlangte der Willibald Gebhardt zweifelsfrei nicht als Naturwissenschaftler, sondern hauptsächlich als Begründer der Olympischen Bewegung in Deutschland und Förderer der modernen Olympischen Spiele. Für die Olympischen Spiele in Athen 1896, in Paris 1900 sowie in St. Louis 1904 gründete er jeweils das nationale olympische Komitee Deutschlands, um die Teilnahme deutscher Sportler zu ermöglichen und in die Tat umzusetzen. Gebhardt ist als Begründer der Olympischen Bewegung in Deutschland anzusehen. Sein langjähriges Ziel, Deutschland an den Olympischen Spielen zu beteiligen, ist als sein Lebenswerk anzusehen. Um dieses Ziel zu erreichen, musste er bei den ersten drei Spielen jedes Mal aufs Neue mit unnachgiebigem Engagement und großem diplomatischem Geschick gegen Oppositionelle ankämpfen, wobei die Teilnahme an den ersten Spielen in Athen zweifelsfrei die problematischste war. Gebhardt war dem Sport stets tief verbunden und erkannte früh die positiven Wirkungen des Sports als erzieherische Methode der Persönlichkeitsentwicklung wie auch als Völkerverständigung und Friedensstärkung. Willibald Gebhardt war Pazifist und äußerte sich im Jahr 1896 folgendermaßen über den Sinn sportlicher Betätigung: „Der Sport ist eine Perle des Friedens und ein menschenfreundlicher Friedensstifter.“[34]

Gebhardt wurde im Jahr 1896 als erster deutscher Vertreter in das Internationale Olympische Komitee berufen, nachdem er sich ein Jahr lang mit großem Engagement für eine Berücksichtigung Deutschlands im IOC eingesetzt hatte. Auch die Teilnahmen Deutschlands 1900 in Paris und 1904 in St. Louise gelangen unter der maßgeblichen Federführung Gebhardts trotz erneuten erheblichen Widerständen. Als deutscher „Chef de Mission“, also als Delegationsleiter, begleitete er die deutschen Mannschaften zu den Olympischen Spielen 1896, 1900 und 1904 und war zugleich deutscher Vertreter im Internationalen Olympischen Komitee. Im März 1904 gründete er gemeinsam mit dem lange Zeit oppositionellen „Zentralausschuss zur Förderung der Volks- und Jugendspiele“ das erste dauerhafte nationale olympische Komitee für Deutschland, nämlich den „Deutschen Reichsausschuss für Olympische Spiele“, die DRAfOS. Gebhardt wurde Geschäftsführer der DRAfOS, der weltweit das erste dauerhafte nationale olympische Komitee darstellte.[35]

Im Dezember 1895 veröffentlichte Gebhardt einen Aufruf zur Bildung eines Komitees für die Beteiligung Deutschlands an den Olympischen Spielen. Trotz des großen Widerstands von Vertretern für Turnen und Sport, der Deutschen Turnerschaft, des „Zentralausschusses zur Förderung für Volks- und Jugendspiele“ sowie des „Deutschen Bundes für Sport, Spiel und Turnen“, aber mit Unterstützung einiger angesehener Adeliger und in geringem Maße sogar durch den deutschen Kaiser Wilhelm II., gelang es Willibald Gebhardt schließlich, im Dezember 1895 das „Komitee für die Beteiligung Deutschlands an den Olympischen Spielen in Athen 1896“ zu gründen. Gebhardt gelang schließlich mit großem diplomatischem Geschick und unnachgiebigem Einsatz die Beteiligung Deutschlands an den ersten Olympischen Spielen in Athen trotz zahlreicher Widerstände und der bedeutendsten deutschen Sportverbände als Opposition. Außerdem war Gebhardt ab 1897 Gründungsmitglied des ersten Deutschen Fechterbundes. Im Jahr 1906 legte Willibald Gebhardt sein Amt im DRAfOS nieder und beendete 1909 überraschend auch seine Tätigkeit als deutscher IOC-Vertreter. In beiden Positionen wurde der junge, ebenso engagierte Journalist und Sportwissenschaftler Carl Diem sein Nachfolger. Die Gründe für diese Amtsniederlegungen waren wohl finanzieller Natur, da er sich fortan verstärkt um seinen beruflichen Werdegang kümmern musste.[36]

Mit seinen guten Beziehungen zu zahlreichen Ländern in Europa und der Beteiligung Deutschlands an den ersten Olympischen Spielen trug er erheblich zur Völkerverständigung und zur Erweiterung internationaler Kontakte bei. Seine vielfältigen internationalen Kontakte hatten sogar dazu geführt, dass man Gebhardt als potentiellen Staatsgegner ansah und ihn über mehrere Jahre unter staatliche Überwachung stellte. Seine unnachgiebigen Bemühungen im IOC, schon 1904, 1908 und 1912 die Olympischen Spiele in Deutschland auszurichten, blieben vor allem aufgrund des Entgegenwirkens Frankreichs erfolglos. Nach mehr als einem Jahrzehnt intensivem Engagement für eine Olympia-Austragung in Deutschland gelang es Gebhardt schließlich im Juli 1912, den Zuschlag für die Spiele 1916 zu erreichen. Diese Spiele sollten in Berlin stattfinden, wo man im Jahr 1912 damit begann, das ursprüngliche Olympia-Stadion zu errichten. Der Erste Weltkrieg verhinderte jedoch die ersten Olympischen Spiele auf deutschem Boden.[37]

Der Olympischen Bewegung blieb Willibald Gebhardt auch ohne offizielles Amt immer verbunden. Im Jahr 1916 forderte er vergeblich, dass die Olympischen Spiele trotz des Krieges stattfinden müssten, da sie Frieden bewirken würden. Außerdem kritisierte er den DRAfOS, dass er sich unter der Federführung von Carl Diem seit 1917 im Zuge immer stärker aufkommender nationaler Tendenzen offiziell von der internationalen Olympischen Bewegungverabschieden würde. Gebhardt protestierte vehement gegen die Idee des DRAfOS, zukünftig nur noch „Deutsche Kampfspiele“ mit ausschließlich deutschen Teilnehmern veranstalten zu wollen. Außerdem engagierte er sich in den darauf folgenden Jahren immer wieder um die weitere Beteiligung Deutschlands an den Olympischen Spielen. Er kritisierte die Entscheidung des IOC, aufgrund des Ersten Weltkrieges Deutschland sowie die Alliierten von der Teilnahme an kommenden Olympischen Spielen wie denen im Jahr 1920 in Antwerpen auszuschließen. Gebhardt musste seit Beginn seiner Olympia-Bemühungen immer wieder gegen nationale und chauvinistische Interessen und Vorurteile ankämpfen, wobei der Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich hierbei eine tief greifende Problematik darstellte. Gebhardt war Humanist und sah den internationalen Frieden sowie die Völkerverständigung seit jeher als wichtigste Ziele des Sports an, die er durch den internationalisierenden Charakter der Olympischen Bewegung zu stärken versuchte. Aus der Sicht Gebhardts hatten das IOC in Person von Coubertin und der DRAfOS mit Diem durch ihren Deutschland isolierenden Kurs gegen die olympischen Grundsätze verstoßen. Er kritisierte die Abkehr von der Olympischen Idee und der zunehmenden Orientierung an nationalen Idealen. Willibald Gebhardt befürchtete das Scheitern der Olympischen Idee und sah nur in einer politischen Erneuerung des Internationalen Olympischen Komitees die Möglichkeit, die von nationalen Interessen geprägten Fronten nach dem Ersten Weltkrieg zu überwinden. Daher schlug er die Gründung eines „Völkerbundes für Olympische Spiele“ vor. In Deutschland zeigte man allerdings keinerlei Interesse an Gebhardts Ansinnen, nachdem auch Carl Diem diese Idee abgelehnt hatte. Somit waren die meisten Forderungen Gebhardts zur Erhaltung der internationalen Olympischen Idee sowie seine diplomatischen Vermittlungen zwischen Deutschland und dem IOC zwischen den Jahren 1914 und 1921 vergeblich gewesen.[38]

Die große Bedeutung, die Gebhardt als Begründer der deutschen Olympia-Bewegung erlangte, war damals nicht sonderlich anerkannt. Vielmehr sah man den Humanisten Gebhardt in Deutschland als anti-nationalistischen Gegenspieler an, der die immer stärker werdenden nationalen Tendenzen während und nach dem Ersten Weltkrieg ablehnte und deshalb bewusst ausgegrenzt wurde. Daher verlor er im Laufe der Jahre immer mehr an Mitspracherecht. Auch beruflich hatte Gebhardt zunehmend Misserfolg und konnte nach 1914 keinerlei neuen Erfindungen vorweisen. Dies führte dazu, dass er in finanzielle Schwierigkeiten geriet, die ihn bis an sein Lebensende begleiteten. Sein ungewöhnliches Engagement für die Olympische Bewegung und die Olympia-Beteiligung Deutschlands waren für Gebhardt reine Freizeitbeschäftigung. Er verdiente für diese Leistungen nie etwas, sondern finanzierte die Olympische Idee zum Teil sogar selber mit. Er handelte dabei nie aus wirtschaftlichem Interesse, sondern ausschließlich aus ideellem Antrieb. Für seinen großen Einsatz wurde er im Jahr 1908 mit dem königlich-preußischen Kronorden vierter Klasse ausgezeichnet. Darüber hinaus wurde er in den Jahren 1896 und 1906 für seine Verdienste für die Olympische Bewegung vom griechischen König Georg I. geehrt.[39]

3.3 Gründung des deutschen Olympia-Komitees

Weil er als Unternehmer in den USA auf Dauer erfolglos war, kehrte Willibald Gebhardt Anfang 1895 nach Deutschland zurück. Dort erfuhr er in Berlin durch den griechischen Botschafter Kleon Rangavis von der Wiederbelebung der Olympischen Spiele. Außerdem hörte er vom mangelnden Interesse Deutschlands an einer Olympia-Teilnahme. Gebhardt ergriff daraufhin die Initiative und beschloss, der voran schreitenden Spaltung innerhalb des deutschen Sport- und Turnwesens mit der Gründung eines übergeordneten Verbandes zu begegnen. Gebhardt veröffentlichte daher im April 1895 einen Aufruf für eine „Ausstellung für Sport, Spiel und Turnen“, die vom 1.Juni bis 31.August 1895 im Berliner Reichstagsgebäude stattfinden sollte. Diese Ausstellung unterstand Gebhardts Ziel, mit Einfühlungsvermögen die einzelnen Organisationen der Turn- und Sportbewegung in Deutschland zusammenzuführen. Diese Ausstellung war überhaupt die erste olympische Aktivität in Deutschland und wurde von der Öffentlichkeit äußerst positiv angenommen.

Nach dieser geschickten Heranführung Gebhardts an die Olympische Idee, beschloss er einen Verband zu gründen, um die Teilnahme an den Olympischen Spielen durchsetzen zu können. Er gründete im September 1895 den „Deutschen Bund für Sport, Spiel und Turnen“, der sämtliche zerstrittene Sportorganisationen in Deutschland zusammenführen sollte. Gebhardt wurde stellvertretender Vorsitzender dieses Bundes. Sein Hauptbestreben, den Bund von einer Teilnahme Deutschlands an den Olympischen Spielen zu überzeugen, scheiterte allerdings bereits in den ersten Sitzungen am Widerstand der führenden Sportorganisationen. Das durch den Deutsch-Französischen Krieg von 1870 bis 1871 nach wie vor schwer belastete Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich war maßgeblich dafür verantwortlich, dass der größte Teil der Sportbewegung in Deutschland eine ablehnende Haltung gegen die Olympische Idee einnahm, da sie in Person von Pierre de Coubertin durch einen Franzosen initiiert worden ist und somit als französische Angelegenheit angesehen wurde. Die Vertreter der Deutschen Turnerschaft und des „Zentralausschusses für Volks- und Jugendspiele“ sprachen sich daher vehement gegen eine Olympia-Teilnahme aus, weil sie dem nationalen Selbstwertgefühl widersprechen würde. In der Folgezeit wurde der „Deutsche Bund für Sport, Spiel und Turnen“ zunehmend von der Turnerschaft geleitet und auch beherrscht, sodass die Aussichten auf eine deutsche Olympia-Teilnahme immer schlechter wurden. Alle weiteren Überzeugungsversuche Gebhardts scheiterten, sodass er bereits am 18.November 1895, also nur zwei Monate nach Gründung des Bundes, seinen stellvertretenden Vorsitz aufgab und aus dem Bund austrat. Dieser plötzliche Austritt verdeutlichte Gebhardts Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit, sich gegen die Übermacht der Deutschen Turnerschaft durchsetzen zu können. Gebhardt suchte nun fieberhaft nach einer anderen Möglichkeit, seinen Traum von einer deutschen Olympia-Beteiligung doch noch durchsetzen zu können.[40]

Willibald Gebhardt veröffentlichte Anfang Dezember 1895 einen Aufruf zur Bildung eines Komitees für die Beteiligung Deutschlands an den ersten Olympischen Spielen, den er in allen bedeutenden deutschen Zeitungen publizieren ließ. Mit dieser neuen Taktik wollte Gebhardt sicher gehen, dass Gegner der Olympischen Bewegung wie die Deutsche Turnerschaft im Gegensatz zur Gründung des Sportbundes außen vor blieben und diesmal ausschließlich Befürworter einer deutschen Olympia-Teilnahme zusammen kamen. Mit dieser Maßnahme wollte Gebhardt die Kräfte für eine Olympia-Beteiligung bündeln, da er erkannt hatte, dass er selbst machtlos war. Er war davon überzeugt, dass seine Idee durch die Unterstützung anderer Olympia-Sympathisanten wesentlich mehr Gewicht bekommen, die Öffentlichkeit in wesentlich breiterem Spektrum davon erfahren und der Opposition durch die Deutsche Turnerschaft somit deutlich mehr Widerstand geboten werden würde. Gebhardts Aufruf hatte schließlich Erfolg, sodass sich 40 Personen aus den unterschiedlichsten Gebieten, Institutionen und Gesellschaftsschichten zusammenfanden. Die meisten dieser Leute gehörten allerdings dem Bekanntenkreis Willibald Gebhardts an. Am 13.Dezember 1895 trafen sich die Olympia-Befürworter im Berliner Hotel „Zu den vier Jahreszeiten“ zu ersten Gesprächen. Mit dem griechischen Botschafter Kleon Rangavis hatte Gebhardt einen ausgezeichneten Redner eingeladen, der auch die letzten Zweifel einiger Gäste beseitigen und schließlich sämtliche Anwesenden davon überzeugen konnte, dass es sich lohnen würde, mit vereinten Kräften um eine deutsche Olympia-Beteiligung zu kämpfen. Rangavis argumentierte damit, dass eine Teilnahme Deutschlands eine ausgesprochen große gesellschaftliche Bedeutung habe, dass Deutschlands Image damit gestärkt werden würde und dass die Deutschen in Griechenland im Gegensatz zu den Franzosen gern gesehene Gäste seien.[41]

Die Versammlung endete schließlich einvernehmlich mit dem Beschluss zur Gründung des „Komitees für die Beteiligung Deutschlands an den Olympischen Spielen zu Athen“. Dieses Komitee war das erste nationale olympische Komitee für Deutschland. Es gelang Gebhardt, den Erbprinzen Philipp Ernst Hohenlohe-Schillingsfürst, Sohn des damaligen Reichskanzlers und Ministerpräsidenten von Preußen, als Präsident sowie den Prinzen Albert von Schleswig-Holstein als Vizepräsidenten zu gewinnen. Gebhardt stellte sich bezüglich der Repräsentation des Komitees bewusst in den Hintergrund und übernahm selbst lediglich das Amt des Schriftführers. Er war jedoch nichtsdestotrotz der faktische Wortführer der Organisation und zeichnete für nahezu alle Maßnahmen und Tätigkeitsfelder verantwortlich. Die beiden Vorsitzpositionen vergab er bewusst an bekannte Persönlichkeiten von hohem Rang, um somit Ansehen und Macht der neu entstandenen Organisation zu stärken.[42]

4. Einladung Deutschlands zu den Olympischen Spielen

4.1 Der olympische Kongress in der Sorbonne

Pierre de Coubertin versandte zu Beginn des Jahres 1894 Einladungen zur Teilnahme am ersten olympischen Kongress, der am 16. Juni 1894 in der Pariser Sorbonne, dem historisch bedeutenden Universitätsgebäude der französischen Hauptstadt, stattfinden sollte. Auf diesem bedeutenden Kongress, an dem sich letztlich 2.000 Gäste und 79 Vertreter aus zwölf verschiedenen Ländern beteiligten[43], sollten die konkreten Pläne der Wiederbelebung der Olympischen Spiele im internationalen Plenum besprochen und in die Tat umgesetzt werden. Sämtliche Teilnehmerländer sollten dieser Versammlung beiwohnen, um Pierre de Coubertins Visionen zu erfahren, sich am Entstehungsprozess zu beteiligen und eigene Ansichten und Ideen einzubringen. Daher war es von großer Wichtigkeit, möglichst alle bedeutenden Staaten, darunter neben den europäischen Industrieländern auch Amerika und Australien, zu erreichen und einen jeweiligen Vertreter zu diesem Kongress einzuladen. Bei diesen Vertretern handelte es sich um Botschafter, Sportfunktionäre oder Delegierte von bedeutenden nationalen Sportvereinen oder -verbänden.[44]

Pierre de Coubertin war sich darüber bewusst, dass eine Teilnahme an den Olympischen Spielen eines Landes auch eine Beteiligung am ersten olympischen Kongress voraussetzt. Die Ausgrenzung und Fernhaltung eines Landes vom Kongress, hätte Beleidigungsempfinden und Boykottierung zur Folge gehabt. Eine möglichst breit gefächerte Staatenbeteiligung mit großer kultureller Vielfalt war eines der Hauptinhalte Coubertins Olympischer Idee und seines Internationalismus. Ein friedvolles Wettstreiten der unterschiedlichsten Kulturen mit den Zielen des weltweiten Friedens und der Völkerverständigung waren die Hauptintentionen Coubertins. Auch im Hinblick des sportlichen Wertes, dem Leistungsniveau sowie dem Image der weltweiten Olympischen Bewegung war es wichtig, alle bedeutenden Industriemächte zu beteiligen, um die Zukunft der Olympischen Idee nicht zu gefährden. Daher durfte eine solch bedeutende Nation wie Deutschland keinesfalls bei den Olympischen Spielen fehlen, zumal Deutschland aufgrund seiner Turntradition eine große Sportbegeisterung sowie ein hohes Maß an sportlicher Leistungsfähigkeit vorzuweisen hatte. Für das Image der Olympischen Idee wäre das Fehlen Deutschlands ein herber Rückschlag gewesen, worüber sich auch Pierre de Coubertin im Klaren war.[45] Nichtsdestotrotz war Deutschland der einzige bedeutende Industriestaat, der zum ersten olympischen Kongress keine offizielle Einladung erhielt. An der wegweisenden Versammlung im April 1894 nahm daher kein deutscher Vertreter teil. Nun stellt sich die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass Deutschland trotz seiner großen Bedeutung für die Wiederbelebung der Olympischen Spiele und seiner großen Sport- und Turntradition nicht zum ersten olympischen Kongress eingeladen wurde.

4.2 Sport-politische Differenzen als Folge des Deutsch-Französischen Krieges

Die Wiederbelebung der Olympischen Spiele war von Grund auf ein Politikum. Deutschland und Frankreich waren Ende des 19. Jahrhunderts verfeindet. Es bestanden keinerlei diplomatische Kontakte. Die tief verwurzelten nationalistischen und auch chauvinistischen Ansichten beider Länder führten zu großer gegenseitiger Abneigung und zuweilen sogar zu Hass. Der Deutsch-Französische Krieg in den Jahren 1870 und 1871 war 1894 erst gut 20 Jahre vorbei und nach wie vor fest in den Köpfen der Menschen verankert. Die verlustreiche Kriegsniederlage aus dem Jahr 1871 verursachte vor allem bei den Franzosen große Antipathien gegenüber Deutschland. Das beidseitige Weltmachtstreben im Zuge von Imperialismus und Kolonialismus verstärkte den deutsch-französischen Konflikt zusätzlich.

[...]


[1] Zahlen bei http://www.olympic.org, 04.08.2010

[2] Vgl. Frenzen: Olympische Spiele, S. 9 f.

[3] Vgl. Malter: Olympismus, S. 4 f.

[4] Vgl. Müller: Internationale Olympische Akademie, S. 5

[5] Coubertin: Der Olympische Gedanke, S. 1

[6] Vgl. Schöbel: Olympia und seine Spiele, S. 134 f.

[7] Vgl. Müller: Olympische Studien, S. 26

[8] Vgl. Frenzen: Olympische Spiele, S. 11

[9] Soziologie der Olympischen Spiele, S. 100

[10] Winkler: Sport und politische Bildung, S. 24

[11] Vgl. Schelsky: Friede auf Zeit, S. 24

[12] Vgl. Coubertin: Le Manifeste Olympique, S. 66 f.

[13] Vgl. Lenk: Wirklichkeit der Olympischen Spiele, S. 11 f.

[14] Coubertin: Der Olympische Gedanke, S. 1

[15] Coubertin: Der Olympische Gedanke, S. 11

[16] Coubertin: Le Manifeste Olympique, S. 78

[17] Prokop, Soziologie der Olympischen Spiele, S. 40

[18] Vgl. Diem: Ewiges Olympia, S. 117

[19] Vgl. Mezö: Die modernen Olympischen Spiele, S. 19

[20] CDI: Die Olympischen Spiele 1896, S. 2

[21] Vgl. Mezö: Die modernen Olympischen Spiele, S. 19

[22] Vgl. Harbott: Olympia, S. 74 – 75

[23] Vgl. Gerstenberg: Die Wiedergewinnung, S. 115

[24] Gerstenberg: Die Widergewinnung, S. 19

[25] Harbott: Olympia, S. 77 – 78

[26] Vgl. Lennartz: Olympia von 393 bis 1896, S. 127 f.

[27] Vgl. Harbott: Olympia, S. 82 – 83

[28] Vgl. Mezö: Geschichte der Olympischen Spiele, S. 216

[29] Coubertin: Der Olympische Gedanke, S. 1

[30] Vgl. Huhn: Der vergessene Olympier, S. 16 f.

[31] Vgl. Hamer: Willibald Gebhardt, S. 4 f.

[32] Vgl. Hamer: Willibald Gebhardt, S. 30 f.

[33] Vgl. Huhn: Der vergessene Olympier, S. 105 f.

[34] Gebhardt: Soll Deutschland, S. 3

[35] Vgl. Hamer: Willibald Gebhardt, S. 4 f.

[36] Vgl. Krüger: Olympische Spiele, S. 82

[37] Vgl. Huhn: Der vergessene Olympier, S. 100 f.

[38] Vgl. Huhn: Der vergessene Olympier, S. 100 f.

[39] Vgl. Huhn: Der vergessene Olympier, S. 105 f.

[40] Vgl. Huhn: Der vergessene Olympier, S. 38 f.

[41] Vgl. Huhn: Der vergessene Olympier, S. 47 f.

[42] Vgl. Lennartz: Geschichte des deutschen Reichausschusses, S. 31 f.

[43] Zahlen bei Ulrich: Olympia, S. 16

[44] Vgl. Müller: Von Paris bis Baden-Baden, S. 25 f.

[45] Vgl. Lennartz: Geschichte des deutschen Reichsausschusses, S. 1 f.

Ende der Leseprobe aus 86 Seiten

Details

Titel
Zur Beteiligung Deutschlands an den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
2,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
86
Katalognummer
V165858
ISBN (eBook)
9783656086208
ISBN (Buch)
9783656087656
Dateigröße
748 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
beteiligung, deutschlands, olympischen, spielen, neuzeit
Arbeit zitieren
Master of Arts Christian Werth (Autor:in), 2010, Zur Beteiligung Deutschlands an den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/165858

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