BAPAK DARI MANA? Wo kommen Sie denn her?

Eine Reflexion über die deutsche Entwicklungszusammenarbeit


Fachbuch, 2011

99 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Kurzübersicht

Teil 1 Von der Missionierung zur Entwicklungszusammenarbeit
„Was machen DIE denn hier?"
Das Nord-Süd-Gefälle - Arm und Reich
Das Entstehen des Entwicklungsbegriffs
Historische Dekaden der Entwicklungspolitik.
Truman-Doktrin - Entwicklung durch höhere Produktion
Die Frühphase der Entwicklungshilfe in den 60er und 70er Jahren
Umdenken - Strukturanpassung Ende der 70er und in den 80er Jahren
Schritte zur Entwicklungspartnerschaft
Millenniumserklärung (ME) und die Millenniumsentwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDG)
Bilanz der bisherigen Bemühungen im Rahmen der Entwicklungspolitik

Teil 2 Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit
Vorbemerkung
Die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit
Internationale Organisationen
Europäische Union
Deutsche bilaterale Entwicklungszusammenarbeit
Kritik an der Struktur der deutschen EZ
Neue Formen deutscher Entwicklungszusammenarbeit ausserhalb der technischen, finanziellen und
personellen Zusammenarbeit
Geberkoordinierung durch programmorientierte Gemeinschaftsfinanzierung (PGF),
Korbfinanzierung und Bugdetfinanzierung
Korbfinanzierung („Basket Financing")
Sektorale Budgethilfe
Makroprogramme

Teil 3 ... budaya kita berbeda
Der Kulturbegriff
Zur Sinnhaftigkeit des Kulturbegriffs
Unsere Wahrnehmung - die Abstraktionsleiter
„Die" und Wir - wo liegen die Unterschiede?
1. Extended family -der grundlegende Unterschied?
2. Beziehungsgestaltung
3. Kommunikation
4. Macht - Erfolg - Sicherheit
5. Feminine/maskuline Kulturen
6. Unsicherheitsvermeidung
7. Zeitkonzepte
8. Reis und Brot

Teil 4 Fallbeispiel
Vorbemerkung
Der Beispielfall
Wir wollen ein neues Gesetz ...?
Die Krankheitssymptome des Gesundheitswesens
Ursachenforschung

Literaturverzeichnis

Anhang Reformkonzept EZ

VORWORT

Will man das Zentrum von Banda Aceh, eine Provinzhauptstadt an der Nordspitze Sumatras, mit dem Auto passieren, muss man die große Moschee auf einer großzügig angelegten Einbahnstraße umfahren, die sich mit teilweise vier Fahrspuren in einem S um den Komplex schlängelt. Sicher gibt es auch in der indonesischen Straßenverkehrsordnung eine Vorschrift, wonach man Kurven nicht schneiden darf; nur das schert in Aceh niemand. Wie an anderen Stellen auch werden Kurven gnadenlos geschnitten. Wahrscheinlich kommt es niemandem in den Sinn, dass dies regelwidrig sein könnte. Aber weil jeder sich so verhält und damit auf das entsprechende Verhalten eingerichtet ist, gibt es deswegen keine Unfälle.

Das war jedenfalls so lange so, bis ich mich dazu entschlossen hatte, mir nicht nur einen Wagen zuzulegen, sondern ihn auch noch selbst zu lenken. An der S-Kurve angekommen steuerte ich mein Gefährt natürlich elegant entlang einer Fahrspur, was mich auch gleich auf Kollisionskurs mit einem Mopedfahrer brachte. Noch heute bin ich unentschieden, ob ich mich dem Gesetz des Faktischen unterwerfen und Kurven schneiden soll – wie jeder es in Aceh tut – oder nicht. In jedem Fall ist es nicht mehr so gefährlich für uns alle, denn mittlerweile weiß ich ja, wie „die“ sich verhalten, und fahre entsprechend defensiv. Trotz allem bleibe ich aus acehnesischer Sicht natürlich ein unkalkulierbarer Risikofaktor im Straßenverkehr, denn für sie ist es völlig unvorhersehbar, was ich als Nächstes tun werde. Wenn es so etwas gäbe, hätte ich mir eine Warntafel ins Auto geklebt mit der Aufschrift „Hati-hati, awas supir orang buleh“ („Vorsicht, der Fahrer ist eine Weißnase“). Damit könnte ich „denen“ natürlich nicht erklären, dass ich mich an die Straßenverkehrsordnung halten möchte und was das für meine nächste Lenkbewegung bedeutet. Aber meine indonesi schen Zeitgenossen wären zumindest vorgewarnt. „Minta maaf[1] “, liebe Acehnsen, ich bin kein Verkehrsrowdy, ich kenne nur eure Regel hier nicht.

Eine nette Anekdote vielleicht oder doch etwas, von dem man mehr lernen kann? Deutschland leistet jährlich mehr als 8 Mrd. EUR Entwicklungshilfe, was knapp 0,4 % des Bruttosozialprodukts entspricht. Ungefähr zwei Drittel dieses Betrages werden als sogenannte echte[2] Entwicklungshilfe gewährt – also als Gelder für Vorhaben in Partnerländern. Der ganz überwiegende Teil dieser Mittel wird über Durchführungsorganisationen der deutschen Entwicklungshilfe ausgegeben, indem in Kooperation mit den örtlichen Partnern („Antragstellern“) bestimmte Projekte vor Ort durchgeführt werden. Es liegt auf der Hand, dass dies einen engen Kontakt zwischen der deutschen Seite (mit zumeist deutschen Projektverantwortlichen) und den Partnern in den Entwicklungsländern notwendig macht.

Mitarbeiter deutscher Entwicklungshilfeorganisationen durchlaufen zur Vorbereitung auf ihre Auslandstätigkeit zumeist ein Vorbereitungstraining bei der V-EZ in Bad Honnef, der von Inwent betriebenen Vorbereitungsstätte für Entwicklungszusammenarbeit. Auch wenn diese Vorbereitung den jeweiligen Mitarbeiter noch nicht zum Experten für das jeweilige Entwicklungsland macht (das Verhalten der Acehnesen im Straßenverkehr zum Beispiel wurde mir dort nicht erläutert), vermittelt sie doch ein ausbaufähiges Grundverständnis der Rahmenbedingungen für die künftige Tätigkeit im Ausland. Dies gilt sowohl für die Fragen des Aufbaus und der Instrumente und Zielsetzungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit wie auch für die politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Situation in den Partnerländern. Gegebenenfalls kommt eine Sprachausbildung hinzu.

Anders sieht es dagegen auf der anderen Seite, nämlich der unserer Partner vor Ort, aus. Mag man bei den Regierungsstellen in der jeweiligen Hauptstadt, die die Verhandlungen über die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit der deutschen Seite führen, noch gewisse Vorstellungen von Deutschland, den Deutschen und deren entwicklungspolitischen Ansätzen haben, hört das Verständnis in der Provinz schnell auf. In Aceh ist zu beobachten, dass den meisten Verantwortungsträgern auf indonesischer Seite auch nach sechs Jahren intensiver Kooperation mit westlichen Organisationen diese Fragen weitgehend ein Rätsel geblieben sein dürften; dies braucht auch nicht zu verwundern, denn man hat es ihnen nie erklärt.

Gerade in der abgelegenen Provinz eines Entwicklungslandes kann man nicht damit rechnen, auf intime Kenner der westlichen Kultur und westlicher Ansichten zu stoßen und schon gar nicht auf die der Deutschen und ihres komplizierten Entwicklungshilfeapparates. So wird die Abkürzung GTZ in Indonesien auch regelmäßig als „Gratis Tetapi Sulit“ gelesen, was wörtlich übersetzt „kostenlos, aber schwierig“ heißt. Das mag lustig klingen, ist es aber nicht, und wir sollten nicht noch stolz darauf sein.

Was aber im Zweifel noch fataler ist, mag der Umstand sein, dass unsere Partner mangels bisheriger Kontakte zu Ausländern bar jeder Vorstellung über deren „Anderssein“ sind. In vielerlei Hinsicht genügt die auffällige helle Hautfarbe als Hati-hati-Schild nicht. Nach 30 Jahren Isolation war für die Acehnesen der „Einfall“ der Tsunamihelfer in erster Linie ein Kulturschock.

Dies gilt aber nicht nur für die Partnerseite. Auch vielen unter den lokalen Projektmitarbeitern bleibt der größere Zusammenhang ihrer Tätigkeit zumeist im Dunkeln. Sie basteln sich ihr eigenes Weltbild über die deutsche Seite zusammen, und zwar aufgrund fragmentarischer Beobachtungen und Erfahrungen und der darauf basierenden Mutmaßungen. Dabei wären sie eigentlich die Botschafter, die den Partnern ein zutreffendes Bild über die Deutschen und das System der deutschen Entwicklungshilfe vermitteln könnten; und es verblüfft ein wenig, dass man sich der Frage bisher offensichtlich kaum angenommen hat.

Kommunikation ist schon im eigenen Kulturkreis ein schwieriges Geschäft. Aber dort, wo zwei Welten aufeinanderprallen wie im streng muslimischen Aceh, kann misslungene Kommunikation leicht zur Enttäuschung von Erwartungen und Frustrationen auf beiden Seiten führen und damit ganze Projekte zum Scheitern bringen.

Unsere Vorstellung von Recht zum Beispiel – als verbindliche staatliche Regeln, die in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle befolgt werden und die bei Zuwiderhandlung die Chance der zwangsweisen Durchsetzung haben – stimmt nicht mit dem Gesetzesverständnis in Aceh überein. Recht hat hier wenig Verbindlichkeit und gleicht oft mehr einem öffentlichen Aufruf. Deshalb war die Mehrheit des Provinzparlamentes von der Empörung des Westens über eine 2009 verabschiedete Vorschrift offensichtlich völlig überrascht. Sie erlaubt es, Ehebrecher und Ehebrecherin zu steinigen. In Aceh meinte man, die Religion zwinge zu einer solchen Vorschrift. Dass aber wirklich jemals jemand auf Grund dieser Vorschrift gesteinigt wird, glaubte niemand. Sogar diejenigen unter den Parlamentarier, die vielleicht selbst davon bedroht sind, stimmten zu. Anders als bei den Taliban oder im Iran denkt in Aceh niemand daran, die Vorschrift auch zu vollstrecken.

Wie dieser Beschluss jedoch anderswo aufgenommen wird, war den acehnesischen Volksvertretern vermutlich nicht so recht bewusst und die Überraschung über die heftige Reaktion des Westens dann groß. Dabei hätte das Ganze wahrscheinlich vermieden werden können, wenn jemand im Vorfeld in freundlichen Worten unsere Sensibilität in solchen Fragen erörtert und einen anderen Lösungsweg aufzuzeichnen versucht hätte. Nun ist man auf beiden Seiten damit beschäftigt, die Sache wieder auszubügeln. Wie der Fall zeigt, erschweren solche Kommunikationsdefizite das Geschäft und sind dem Fortkommen der deutschen Vorhaben nicht gerade zuträglich.

Gleichzeitig zeigt der Fall sehr eindrücklich, dass wir erst einmal grundsätzlich klären sollten, was wir denn eigentlich meinen, wenn wir in Indonesien (und anderswo) über den Aufbau eines Rechtsstaates reden und Regierungen bei ihrer Gesetzgebung unterstützen (wollen). Es spricht vieles dafür, dass wir auch hier noch erhebliche Kommunikationsdefizite haben.

Juni 2010

Peter Becker

Kurzübersicht

Teil i enthält zunächst einen kurzen geschichtlichen Rückblick auf die Umstände, die zu einer Dominanz des Westens und einer Kolonialisierung weiter Teile der Welt durch Europäer und - infolge des spanisch-amerikanischen Krieges - auch die USA führten. Dem folgt eine chronologische Darstellung der verschieden Phasen, die Entwicklungshilfe und -zusammenarbeit seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs durchlaufen haben.

In Teil 2 wird ein Überblick über das System, die Struktur, die Instrumente und die Akteure der deutschen internationalen und bilateralen Entwicklungszusammenarbeit gegeben; ebenso wird auf neuere Finanzierungsformen wie die Budgethilfe und die Korbfinanzierung eingegangen.

Mit diesen beiden Teilen wird die Absicht verfolgt, die wichtigsten Informationen über deutsche und internationale Entwicklungszusammenarbeit zusammenzufassen, damit die deutschen Mitarbeiter sich bei der Aufnahme eines neuen Projektes/Vorhabens, zum Beispiel im Rahmen eines Workshops oder bei gemeinsamen gesellschaftlichen Veranstaltungen, präsentieren können, ohne zuvor alle Informationen erneut selbst recherchieren zu müssen.

Teil 3 beschäftigt sich mit dem Kulturbegriff und der systematischen Einordnung von Kulturunterschieden. Ausgehend von der Überzeugung, dass Generalisierungen und Typisierungen sich verbieten und allgemeine Verhaltensanweisungen für bestimmte Länder oder Regionen oftmals nur bedingt hilfreich sind, wird versucht, eine Methodologie aufzuzeigen, anhand derer sich Kulturunterschiede aufdecken lassen, bevor sie zu Stolpersteinen in der Zusammenarbeit werden können.

In Teil 4 macht mit einer Fallstudie die Probe aufs Exempel und versucht die in Teil 3 erörterten Fragen in den komplexeren Zusammenhang eines Falls aus dem Alltag zu stellen und damit für den Leser besser anschaulich zu machen.

Teil 1
Von der Missionierung zur Entwicklungszusammenarbeit

„Was machen DIE denn hier?“

Entwicklungsländer[3] sind u. a. dadurch definiert, dass der Staat viele der Fürsorgeaufgaben, die ihm nach westlichem Verständnis zukommen, nicht oder nur unzureichend wahrnimmt. Die Menschen sind deshalb noch heute weitgehend auf die Unterstützung durch die Großfamilie - ihre extended family - oder den jeweiligen Klan angewiesen, dem sie zugehören. Mangels zuverlässig funktionierender staatlicher Schutz- und Wohlfahrtseinrichtungen sind Unterstützung und gegenseitiger Beistand selbstverständlich. Wir sind oft über deren Umfang wundert, weil wir diese Aufgabe weitgehend an einen gut funktionierenden (Wohlfahrt-)Staat delegiert haben.[4] Das Solidaritätsprinzip endet in diesen kollektivistischen Gesellschaften jedoch zumeist abrupt mit den Familienbanden: Diejenigen, die nicht zur Familie oder zum Klan gehören, werden eher als Konkurrenten im Kampf um beschränkte Ressourcen und - wenn es hart auf hart kommt - sogar als Feinde angesehen; dem Schicksal von Mitgliedern anderer Klans steht man daher eher reserviert gegenüber.

Dies erklärt zumindest in Teilen die Tatsache, dass dieselbe Person, die sich nicht um ein auf der Straße liegendes Unfallopfer kümmert, gleichzeitig aus Fürsorge über Jahre hinweg klaglos erhebliche Teile des eigenen Einkommens für die Ausbildung des Bruders oder der Nichte aufwendet. Humanitäre Hilfe für Menschen, die man überhaupt nicht kennt - der Grundgedanke deutscher Entwicklungspolitik - findet deshalb nicht unbedingt eine Entsprechung in der Vorstellungswelt in den Köpfen unserer örtlichen Partner.

Man sollte deshalb nicht davon ausgehen, dass den ausländischen Partnern die Motive des deutschen Engagements sofort und ohne weitere Erläuterung einsichtig sind. Sofern diese Verständniskluft nicht beseitigt wird, darf man sich nicht wundern, von Regierungsstellen um neue handphones angegangen zu werden, obwohl (nach deutscher Vorstellung) doch sauberes Trinkwasser nötig wäre. Schon um diesem prinzipiellen Missverständnis vorzubeugen, dürfte es nützlich sein, mit den Partnern den größeren Kontext der deutschen Entwicklungspolitik und -zusammenarbeit zu erörtern.

Das Nord-Süd-Gefälle - Arm und Reich

Eine Erörterung zur deutschen Entwicklungshilfe macht natürlich zumindest einen kurzen Gang durch die Vergangenheit erforderlich, denn immer wieder wird die Frage aufgeworfen: „Warum seid ihr reich und wir sind arm?“ Haben nicht Kolonialismus und Überlegenheitsdenken des Westens die Aufteilung der Welt in Arm und Reich herbeigeführt oder zumindest maßgeblich dazu beigetragen? Ist Entwicklungshilfe nicht eine Art Schadensersatz für vergangene Missetaten, auf die man ohnehin Anspruch hat? Warum gebt ihr uns heute nicht Geld und lasst uns selbst machen (Idee der Budgetfinanzierung), anstatt uns erneut eure Vorstellungen aufzuzwingen?

Die Antworten auf solche Fragen zu finden ist schwierig, weil die Ursachen multikausal sind, und wir können natürlich nur einen flüchtigen Blick auf ein paar Ereignisse werfen.

Waren das ottomanische Reich und die muslimische Kultur in Spanien[5] (von China gar nicht zu reden[6] ) Mitteleuropa bis Ende des 14. Jahrhunderts weit überlegen, so hat das Blatt sich ab dem 15. Jahrhundert zugunsten der Europäer gewendet. 1492 wurde Granada von Ferdinand und Isabella zurückerobert, die Ottomanen vor Wien geschlagen, und China zog sich in die selbstgewählte Isolation zurück.[7] Das aufkommende Zeitalter der Aufklärung ging mit erheblichem technischem Fortschritt einher. Die Entwicklung des Schiffstyps Karavelle - eine Kombination aus der schnellen, aber hochseeuntauglichen Galeere des Mittelmeers und der sturmerprobten, aber schlecht steuerbaren Kogge - machte Reisen um die Südspitze Afrikas herum möglich. Kanonen und Schießpulver ermöglichten die Entsendung kleiner, aber trotzdem schlagkräftiger Einheiten, was lange Reisen zuließ.[8] Die protestantische Arbeitsmoral, nach der Nichtstun als Sünde angesehen wurde, trug wesentlich zu den technischen Errungenschaften bei und stand im krassen Gegensatz zur muslimischen Welt, die das Tor der Wissenschaft als geschlossen glaubte und körperliche Arbeit eher als Strafe Gottes betrachtete.

Die technische Überlegenheit führte zu einer Monopolisierung der Fernhandelsbeziehungen zugunsten der Europäer und, mit zunehmendem Fortschritt in der Seefahrt, zu Kolonialisierung und Ausbeutung in vielen der heutigen Entwicklungsländer. Die schlimmste Form der Ausbeutung hat wohl Schwarzafrika (neuerdings „Sub Sahara Afrika“, was missverständlich sein dürfte, weil Südafrika nicht dazugehört) durch die Sklaverei erfahren. Man schätzt, dass ihr zwischen 1500 und 1850 zwischen 12 und 20 Mio.

Menschen zum Opfer gefallen sind,[9] die Sklavenzüge der Araber noch nicht einmal eingerechnet. Der Verlust an Menschen war nicht nur ein Verlust an Arbeitskräften, sondern auch ein Verlust an Intelligenz und darauf basierenden Entwicklungschancen. Andererseits waren in Schwarzafrika bis zum Eintreffen der Europäer sowohl die Schrift als auch das Rad unbekannt.[10] Dies wird auf die durch die geografische Lage bedingte Isolation zurückgeführt (Wüsten im Norden und Süden, kaum Häfen), die keinen oder nur geringen Kontakt zur Außenwelt zuließ.

Aber auch das Verhalten der Kolonialmächte war höchst unterschiedlich. Für England und Frankreich war die Herrschaft über die Kolonien in erster Linie eine kulturelle Verpflichtung, die aus einer Berufung zur zivilisatorischen Mission entsprang. Lord Lugan hatte die Doktrin vom "doppelten Mandat" formuliert: wirtschaftlicher Nutzen ja, aber vor allem die Verpflichtung, die "farbigen Rassen" auf eine höhere Stufe der Zivilisation zu führen.[11] Dies hat einen beachtlichen Einfluss auf die heutige Entwicklung gehabt. Während Malaysia (und das spätere Singapore) das „Glück“ hatten, seit dem 19. Jahrhundert britische Kolonien zu sein,[12] verfolgten die Niederlande in Indonesien nur wirtschaftliche Interessen und waren wenig an Bildungs- und Gesundheitsfragen der Bevölkerung interessiert.[13] Allein der damit einhergehende Mangel einer einheitlichen Sprache zum Zeitpunkt der Staatsgründung Indonesiens stellt selbst heute noch ein erhebliches Manko dar.

Auch die Ausstiegsstrategien der Kolonialmächte hatten einen nicht unerheblichen Einfluss auf das weitere Schicksal der jeweiligen Region. Während die Briten rechtzeitig versuchten, geeignete Nachfolger aufzubauen, und für die äußere Stabilität der werdenden Staaten sorgten, klammerten die Franzosen sich lange an ihre Kolonien und wurden schließlich - zumeist mit militärischen Mitteln - zum Verlassen des Landes gezwungen. Zeit für eine geordnete Übergabe blieb damit kaum, und während man sich in Singapore noch bis 1994 des britischen Privy Councils als Revisionsinstanz bedient hat,[14] hat man in Vietnam und anderswo das französische Erbe über Bord geworfen. Die Niederlande hatten den Höhepunkt ihrer Macht am Ende des Zweiten Weltkriegs schon längst überschritten. Sie verfügten daher wohl weder über die Kraft noch über einen Plan, das nach der japanischen Okkupation nur notdürftig wiederhergestellte Kolonialregime auf die neue indonesische Regierung in Jakarta zu übertragen. Deren direkter Einfluss blieb deshalb zunächst auch auf die Umgebung von Jakarta beschränkt. Instabilität, kriegerische Auseinandersetzungen und Separationsbestrebungen hemmten die Entwicklung des ressourcenreichen Landes und führten später zu einem unheilvollen Zentralismus unter Suharto.

Ganz anders dagegen das Beispiel China, an dem sich zeigt, wie ein Staat sich trotz der von den Europäern im 19. Jahrhundert aufgezwungenen, nachteiligen Verträge innerhalb von nur 60 Jahren praktisch vom Nullpunkt an aufrappeln kann. Offensichtlich hat es die unter den Mandarinen über Jahrhunderte eingeübte Disziplin in der Bevölkerung, gepaart mit der religiös bedingten Fähigkeit zur klaglosen Hinnahme von Leiden, der kommunistischen Regierung erlaubt,[15] diesen ökonomischen Gewaltakt mit all seinen grausamen Begleitumständen zu stemmen - eine Entwicklung, die in Indonesien so nie möglich gewesen wäre. Auch in Vietnam hat sich in der Hinsicht Erstaunliches getan. Russland, obwohl nie in kolonialer Abhängigkeit, ist eher das Gegenbeispiel. Und schaut man schließlich auf die Geschichte Japans,[16] lässt sich wohl kaum abschätzen, wo Indonesien, Laos, Kambodscha und all die anderen heute stünden, hätten die Europäer keinen Fuß auf Asien gesetzt.

Ohne Zweifel hat die Politik des Westens im 20. Jahrhundert zum Beispiel im Nahen Osten, im Iran und im Irak oder in Kambodscha und Vietnam (Kuba sollten wir auch nicht vergessen) nicht gerade dazu beigetragen, dass die Länder in diesen Regionen sich ungestört entwickeln konnten. Ohne Zweifel hat auch der Umstand, dass Schwarzafrika von den Europäern über Jahrhunderte in politischer Vormundschaft gehalten wurde, zu dem Chaos beigetragen, das Regierungen der Nachkolonialzeit in vielen Ländern angerichtet haben. Dennoch: Ein generelles Urteil darüber, ob der Westen nun daran „schuld“ ist, dass es arme und reiche Länder auf dieser Welt gibt, lässt sich so nicht fällen. Zumindest für Staaten wie Deutschland, die kaum oder gar nicht in koloniale Aktivitäten verwickelt waren, böte die Vergangenheit nur schwache Gründe, sich in Entwicklungshilfefragen zu engagieren. Die Gründe müssen also andere sein und im Jetzt liegen: in unserer Werteordnung, die es uns verbietet, tatenlos danebenzustehen, wenn andere im Elend leben. Trotz aller technischen Fragen und politischen Rücksichtnahmen, die die EZ erfordern mag, sollte man diese Zielsetzung nicht aus den Augen verlieren.

Das Entstehen des Entwicklungsbegriffs

Der Entwicklungsbegriff wurde zunächst im kolonialen Diskurs verwendet, etwa im britischen Colonial Development Act[17]. Der Begriff bezog sich dabei ausschließlich auf die wirtschaftliche Nutzung von Ressourcen wie Land, Mineralien oder Holzvorkommen, während die zweite Aufgabe - die gesellschaftliche Entwicklung - mit Begriffen wie "Fortschritt" oder "Wohlfahrt" beschrieben wurde. Nur Ressourcen konnten entwickelt werden, keine Menschen und keine Gesellschaften. Die militärische Unterstützung der europäischen Kolonialmächte durch die USA während des Zweiten Weltkrieges versetzte die Amerikaner in die Lage, nach Kriegsende die Aufgabe der den freien Handel behindernden Kolonialsysteme zu fordern. In diesem Zusammenhang reifte im amerikanischen State Departement die Idee heran, "zivilisatorischen Fortschritt" in "wirtschaftliche Mobilisierung" aufgehen zu lassen; "Entwicklung" wurde dadurch zum Leitbegriff. Damit wurde die These zum Gesetz erhoben, wonach die Höhe der Zivilisation eines Landes sich an der Höhe seiner Produktion ablesen lässt. Kein Grund mehr, den Gegenstandsbereich von "Entwicklung" auf Ressourcen zu beschränken; auch Menschen und ganze Gesellschaften können - ja müssen - fortan als Objekte von Entwicklung begriffen werden.[18]

Heute wird der Entwicklungsbegriff in verschiedenen Zusammenhängen unterschiedlich gebraucht. Er ist auch nicht unumstritten, weil er vor allem durch die Konzepte der Geberstaaten und der von ihnen dominierten Einrichtungen, wie der Weltbank und des IWF definiert wird. Aram Ziai[19] ist deshalb nur einer unter vielen Stimmen, der das ganze Konzept als eurozentrisch, autoritär und entpolitisierend wirkend kritisieren. Für den hier in Rede stehenden Zweck kommt es jedoch gerade auf die sicht der Geberländer an, weshalb für den Moment auf eine Definition von Kevenhörster und van den Boom[20] zurückgegriffen werden, die wohl die momentane Position der Geberseite am besten widerspiegelt. Danach ist Entwicklung ein normativer Begriff, der Vorstellungen von der gewünschten Richtung des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Wandels bündelt und auf theoretischen Annahmen über die Ursachen von Unterentwicklung und typische Ablaufmuster sozioökonomischer Transformation beruht.

Im Hinblick auf die Ursachen der Unterentwicklung hatten sich zunächst im Groben zwei Richtungen herausgebildet, die unter den Stichworten „Tradition der Dependenzansätze“ und als „Tradition der Modernisierungsansätze“ bekannt geworden sind. Beide Ansätze ähneln sich darin, dass sie sich am Entwicklungsmodell der Industrieländer/Geberstaaten orientieren und dementsprechend Entwicklung in erster Linie als einen ökonomischen Prozess verstehen. Die Ansätze unterscheiden sich aber darin, dass die Dependenztheorien für die mangelnde Entwicklung äußere Einflüsse verantwortlich machen, während die Modernisierungstheorie die Ursachen hierfür auf Umstände innerhalb der Entwicklungsländer zurückführt[21]. So wurden als Begründung für Unterentwicklung häufig endogene Ursachen der Gesellschaften in den Entwicklungsländer angeführt, wie beispielsweise eine entwicklungsresistente, traditionsorientierte Kultur und Werteordnung und ein starkes Bevölkerungswachstum, welches das ökonomische Wachstum bei weitem übersteigt.

Die Dependenztheorie, die in den 1960er Jahren in Lateinamerika entstand, war zum großen Teil marxistisch geprägt[22]. Sie sah den Kolonialismus, und in seinen Nachwehen einen Weltmarkt, auf dem Entwicklungsländer vorwiegend als Rohstofflieferanten dienten, als Grund für deren Zurückbleiben in der Entwicklung an und ging davon aus, dass die Industrienationen die Entwicklungsländer in einer künstlichen strukturellen Abhängigkeit zu sich halten[23]. Nicht nur durch den Niedergang des kommunistischen Lagers Ende der 1980er, sondern auch, weil der Wirtschaftsboom in verschiedenen asiatischen Staaten nicht erklärt werden konnte, hat dieser Ansatz heute seine Bedeutung verloren.

Modernisierungstheorien entstanden in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und stellten bis in die 1970er Jahre das vorherrschende Paradigma der Entwicklungstheorie dar. Als ihre Wurzeln gelten die von Max Weber 1905 in „Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“[24] entwickelten Ideen. Auf ihre Umsetzung wird im Folgenden näher eingegangen.

Historische Dekaden der Entwicklungspolitik

Truman-Doktrin - Entwicklung durch höhere Produktion

US-Präsident Harry S. Truman war es, der in seiner Regierungserklärung am 20. Januar 1949 den heutigen Begriff Entwicklungsländer prägte und die Vorstellung ins Leben rief, diese Länder könnten in einer wirtschaftlichen Aufholjagd Wohlstand und Frieden erlangen. Entwicklung und "zivilisatorischer Fortschritt" wurden, entsprechend der zuvor genannten These, gleichgesetzt mit gesteigerter Produktion. Im Juli 1949 entsandte die Weltbank daraufhin eine erste Beratermission nach Kolumbien, die zu einem richtungweisenden schluss kam:

"Kurzatmige und sporadische Anstrengungen können das Gesamtbild kaum verbessern. Nur durch eine umfassende inangriffnahme der gesamten ökonomie zusammen mit den Sektoren Erziehung, Gesundheit, Wohnen, Ernährung kann der Teufelskreis [der Armut] entscheidend gebrochen werden."

Eine deutliche und nachhaltige Erhöhung der Produktion verlangte aber nicht nur verbesserte Produktions- und Anbaumethoden und Know-how, sondern setzte vielmehr auch eine Anpassung der Gesellschaft und damit einen generellen Wandel in deren Werten und Anschauungen voraus. Welten prallten aufeinander, wie sie verschiedener kaum sein konnten. Dies war die Geburtsstunde von Entwicklungshilfeagenturen und der dazugehörigen Administration, die seitdem auf alle möglichen Aspekte des Lebens der Entwicklungsländer mehr oder minder erfolgreich Einfluss zu nehmen versuchen. Entwicklungshilfe war dabei zunächst von den mechanistischen Modellvorstellungen der Planer geprägt; den Gewohnheiten, Hierarchien oder Weltauffassungen und dem sozial­kulturellen Gewebe einer Gesellschaft wurde wenig Beachtung geschenkt. Kritische Stimmen tragen vor, man habe überall die gleichen Blaupausen für institutionelle Veränderung angewendet, an deren Umrissen meist das US-amerikanische Vorbild abzulesen war. Nichts sollte da mehr in Jahrhunderten reifen wie in den kolonialen Zeiten, sondern die Entwicklung ganzer Gesellschaften sei zu einer ingenieursaufgabe geworden, die sich, wenn schon nicht in einigen Jahren, so doch in ein paar Jahrzehnten erledigen lasse.[25] Wir werden uns später noch etwas ausführlicher mit dieser universalistischen Denkweise auseinandersetzen.[26]

Die Frühphase der Entwicklungshilfe in den 60er und 70er Jahren

In den späten sechziger Jahren wurde jedoch zunehmend klar, dass die ursprünglichen Vorstellungen von Entwicklung als schlichter Nachbau des westlichen Systems und die darauf basierenden Entwicklungspläne sich nicht verwirklichen ließen. Man kam auch in Expertenkreisen zu der Erkenntnis, dass es mit hohen Wachstumsraten alleine nicht getan war. Armut vermehrte sich gerade im schatten von Reichtum, die Arbeitslosigkeit zeigte sich wachstumsresistent und der Ernährungslage war mit dem technischen Fortschritt allein nicht Herr zu werden. Der Ansatz, ökonomischen und sozialen Fortschritt weitgehend gleichzusetzen, war anscheinend nicht aufgegangen. so musste auch Robert McNamara als damaliger Präsident der Weltbank 1973 resümieren:

"Trotz eines Jahrzehnts eines beispiellosen Anstiegs des Bruttosozialprodukts haben die ärmsten Teile der Bevölkerung davon relativ wenig Nutzen gehabt. Hauptsächlich die oberen 40 % haben davon profitiert."

und weiter:

„Wir sollten danach streben, absolute Armut bis zum Ende dieses Jahrhunderts auszurotten. Das heißt praktisch, Unterernährung und Analphabetentum zu beseitigen, Kindersterblichkeit zu vermindern und die Lebenserwartung auf das Niveau der entwickelten Welt zu heben."

In den Mittelpunkt rückten deshalb Programme der Armutsbekämpfung, zur Unterstützung von Kleinbauern und der ländlichen Entwicklung. Damit wurde die grundsätzliche Logik der Truman-Idee aber nicht aufgegeben, sondern nur der Bereich von Entwicklungshilfe erweitert. Arbeitslosigkeit, Ungleichheit, Armutsbeseitigung, Grundbedürfnisse, Frauen und schließlich die Umwelt gerieten in den Fokus der Aufmerksamkeit und man versuchte diesen (oft aus westlicher sicht definierten) Problemen mit speziellen "strategien" zu begegnen. Spötter sagen, Entwicklungshilfe sei seitdem zum Selbstläufer und zum „Entwicklungsgeschäft“ geworden: Während auf der einen Seite fortwährend neue Krisenlagen erzeugt würden, sprießten auf der anderen Seite immer neue Strategien zu ihrer Bewältigung.

Umdenken - Strukturanpassung Ende der 70er und in den 80er Jahren

1980 betrug die Verschuldung von ca. 160 Entwicklungsländern rund 2,1 Billionen US- Dollar und drängte die Volkswirtschaften dieser Länder zunehmend in die Schuldenfalle. Deshalb wurden erste Ansätze zur Schuldenreduzierung durch die Bretton-Woods- Institutionen[27] entwickelt. Diese Überlegungen führten in den 1980er und 1990er Jahren zu den sogenannten Strukturanpassungsprogrammen des IWF, bei denen weitere Kredite oder Entschuldungen von der Erfüllung strenger Auflagen (Konditionalitäten) abhängig gemacht wurden. Ziel war, eine makroökonomische Stabilität und Währungsstabilität durch Kürzung von Staatsausgaben, Liberalisierungen im Finanzsektor und Privatisierung von Staatsbetrieben zu erreichen. Diese Programme waren politisch äußerst umstritten, weil sie den Regierungen in den Schuldnerstaaten und - soweit vorhanden - auch den demokratisch gewählten Parlamenten das Heft des Handelns praktisch aus der Hand nahmen. Die Fremdbestimmung des Regierungshandelns kratzte nicht nur an den Grundfesten staatlicher Souveränität, auch die Wirkungen waren eher fragwürdig. Die Hauptkritik an diesen Programmen war die Vernachlässigung der sozialen, ökologischen und kulturellen Aspekte der Nehmerländer. Oft wurde mit den Programmen auch das Gegenteil erreicht. Ein schönes Beispiel dafür ist Indonesien, das im August 1997 in den Strudel der Asien- Finanzkrise gerissen wurde. Zwei Rettungspakete des IMF vom Oktober 1997 und Januar 1998 trugen nicht unmaßgeblich dazu bei, dass der Wert der Rupia (IDR) von 2.400 IDR pro Dollar Mitte 1997 auf 17.500 IDR im März 1998 fiel. Da die meisten Investitionen in Indonesien mit vormals zinsgünstigen Dollarkrediten finanziert wurden, die Refinanzierung naturgemäß aber in Rupia erfolgt, führte der Währungsverfall schnell zum Kollaps. Obwohl das Problem also nicht in überzogenen Staatsausgaben zu suchen war, wurde Indonesien vom IWF zu drastischen Einschnitten im Staatshaushalt gezwungen,[28] die das Problem nicht nur verschärften, sondern letztlich zum Sturz der Regierung Soharto beitrugen (was man bedauern mag oder auch nicht).

Schritte zur Entwicklungspartnerschaft

Die HIPC-Entschuldungsinitiativen und Armutsbekämpfungsstrategien (ab 1996)

Wie immer mehr deutlich wurde, lag der wirtschaftliche Hintergrund der Verschuldung vieler Entwicklungsländer nicht originär in laxem Haushaltsmanagement oder überzogenen Staatsausgaben, sondern in einer zunehmenden Verschlechterung der Bedingungen für den Außenhandel.

Nach der sogenannten Prebisch/Singer-These[29] führen niedrige Einkommenselastizität bei der Nachfrage nach Primärgütern und hohe Einkommenselastizität bei der Nachfrage nach Industriegütern zu Einkommensüberschüssen in Industrieländern und zu einer starken Abhängigkeit der Entwicklungsländer aufgrund stark schwankender Exporterlöse ihrer Primärgüter. Oder einfacher gewendet: Aufgrund der unterschiedlichen Verhandlungsmacht bleiben die Kreditraten für importierte Kaffeeverarbeitungsmaschinen gleich, auch wenn der Exportpreis für Kaffee sinkt.

Dies führte 1996 auf Anregung der G 7, der Weltbank und des IWF zur sogenannten HIPC- Initiative (HIPC = heavily indebted poor countries), mit der eine Entschuldung hochverschuldeter armer Länder erreicht werden sollte. Auf dem G-7-Gipfel in Köln 1999 wurde die Entschuldungsinitiative auf Betreiben der deutschen Bundesregierung erweitert (HIPC II). Ziel der Initiative ist es, die Verschuldung der betroffenen Länder auf ein wirtschaftlich erträgliches Niveau zu senken. Dabei soll natürlich vermieden werden, dass die Länder über kurz oder lang wieder in die gleiche Situation geraten. Gleichzeitig soll der Schuldenerlass zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse im Schuldnerstaat führen. Für die Teilnahme an der Initiative gelten daher feste Abläufe und Regeln, sogenannte Konditionen. Hauptvoraussetzungen für Verhandlungen über einen Schuldenerlass sind die Vorlage einer nationalen Armutsbekämpfungsstrategie (PRSP) und eine Vereinbarung mit dem IWF über ein makroökonomisches Programm. Damit soll erreicht werden, dass zusätzlicher Spielraum für Ausgaben zur Armutsbekämpfung und für Investitionen entsteht. Länder, die von einer Entschuldung profitieren, sollen die frei werdenden Mittel bei der Umsetzung wirtschaftlicher und sozialer Reformen einsetzen.

Der PRSP-Prozess - Nehmerländer entwickeln ihre Konzepte

Im Mittelpunkt der Entschuldungsinitiative stehen die schon erwählten PRSP (Poverty Reduction Strategy Papers), also Strategiepapiere zur Armutsminderung. Der neue Ansatz zur Armutsbekämpfung wurde im Herbst 1999 auf der gemeinsamen Jahrestagung des IWF und der Weltbank vorgestellt. Nach den schon angedeuteten Fehlschlägen der bis dahin stark an Gebervorgaben orientierten Entwicklungshilfepolitik sollten die Entwicklungsländer nun in Eigenverantwortung Strategien zur Armutsbekämpfung entwickeln, unter Beteiligung ihrer gesellschaftlichen Gruppen (unter anderem Parteien und Parlamente, Gewerkschaften, Unternehmerverbände und Kirchen, Nichtregierungsorganisationen und Genossenschaften, Verbände und Basisgruppen).

Die PRSP sind jedoch mehr als nur interne Strategiepapiere. Als operatives Instrument werden sie zwischenzeitlich hinsichtlich vieler Aspekte von IWF und Weltbank sowie vieler bilateraler Geber verwendet. Die Strategiepapiere zur Armutsreduzierung bilden die bereits erwähnte Hauptvoraussetzung für den weitgehenden Schuldenerlass im Rahmen der HIPC- Initiative. Zum anderen müssen im Rahmen der Zusammenarbeit mit IWF und Weltbank alle Länder, die konzessionäre IDA-Kredite[30] und IWF-Mittel in Anspruch nehmen wollen (ca. 70 ärmere Länder), eine Armutsbekämpfungsstrategie erstellen.

Das wesentliche Element der PRSP ist eine Armutsanalyse, die umfasst: eine Definition von Armut, die Beschreibung der armen Bevölkerungsgruppen (regionale, ethnische, geschlechterspezifische Charakteristika) sowie die Analyse der Ursachen von Armut und der Haupthindernisse für deren Überwindung. Es müssen mittel- bis langfristige Ziele, Zielindikatoren sowie Indikatoren zur Messung des Programmforschritts formuliert und eine integrierte Strategie zur Reduzierung der Armut entwickelt werden. Die PRSP müssen eine Berechnung der Kosten der Strategie, die Ermittlung der eigenen Ressourcen und der zu erwartenden Höhe externer finanzieller und technischer Unterstützung enthalten und in einem partizipativen Prozess erarbeitet werden. Der Prozess der Überwachung und Auswertung muss dargelegt sein.

Die PRSP sollen alle drei Jahre weiterentwickelt werde. In der Zwischenzeit sind jährliche Fortschrittsberichte (sog. progress reports) zu erstellen. Allerdings ergibt sich in der Praxis das Problem, dass die Erstellung von PRSP wegen des langwierigen, partizipativen Prozesses mehr Zeit in Anspruch nimmt, als zuweilen zur Verfügung steht, sodass momentan auch vorläufige PRSP akzeptiert werden.

Wie all diese komplizierten Papiere und reports von den zumeist schwachen Verwaltungen in solchen Ländern überhaupt ausgearbeitet werden sollen, ist natürlich eine gute Frage. Wahrscheinlich wird man sich größtenteils internationaler Berater bedienen, die die Dinge dann aus ihrer westlichen Sicht analysieren. Ob das der Sache wirklich zuträglich ist, mag man bezweifeln.

Millenniumserklärung (ME) und die Millenniumsentwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDG)

Die Millenniumserklärung (ME) wurde im September 2000 von den Staats- und Regierungschefs von 150 Ländern anlässlich eines von den Vereinten Nationen

veranstalteten Gipfeltreffens in New York verabschiedet. Damit wurde der Versuch unternommen, eine neue globale Partnerschaft für die Entwicklung aller Regionen dieser Welt zu etablieren. Die ME fasst die Herausforderungen für die Weltgemeinschaft zu Beginn des neuen Jahrtausends in vier programmatischen Handlungsfeldern zusammen:

- Frieden, Sicherheit und Abrüstung
- Entwicklung und Armutsbekämpfung
- Schutz der gemeinsamen Umwelt
- Menschenrechte, Demokratie und gute Regierungsführung

Die darauf basierenden MDGs sind naturgemäß etwas umfangreicher und enthalten die folgenden acht zeitlich und inhaltlich quantifizierbaren Ziele, die bis 2015 erreicht werden sollen. So wird angestrebt:

- den Anteil der Weltbevölkerung, der unter extremer Armut und Hunger leidet, halbieren,
- allen Kindern eine Grundschulausbildung ermöglichen,
- die Gleichstellung der Geschlechter
- die politische, wirtschaftliche und soziale Beteiligung von Frauen fördern, besonders bei der Ausbildung,
- die Kindersterblichkeit verringern,
- die Gesundheit der Mütter verbessern,
- HIV/AIDS, Malaria und andere übertragbare Krankheiten bekämpfen,
- den Schutz der Umwelt verbessern und
- eine weltweite Entwicklungspartnerschaft aufbauen

In der Folgezeit wurden zahlreiche Konferenzen und Tagungen gehalten, die sich mit verschiedenen Aspekten der Implementierung der Millenniumsziele und der Evaluierung der Fortschritte bei deren Umsetzung beschäftigt haben. Der Vollständigkeit halber soll hier ein kurzer Überblick gegeben werden:

Monterrey Konsensus (2002)

Bei der Konferenz über Entwicklungsfinanzierung, die vom 18. bis 22. März 2002 von den Vereinten Nationen im mexikanischen Monterrey ausgerichtet wurde, wurde über die Fortschritte bei der Finanzierung der Milleniumsziele diskutiert. Die Teilnehmer waren sich einig, dass ausländische Direktinvestitionen die Wirtschaft in den Entwicklungsländern stärken sollten und der internationale Handel als Motor für Entwicklung gefördert werden müsse. Die Industrieländer müssten hierzu ihre Märkte für Produkte aus den Entwicklungsländern öffnen und die Interessen von Entwicklungsländern bei der Reform der internationalen Handels- und Finanzarchitektur berücksichtigen. Schließlich müsse die internationale Gemeinschaft ihre Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit erhöhen und die Abstimmung verbessern.

Paris-Deklaration (2005)

Am 2. März 2005 trafen sich die für Entwicklung zuständigen Minister aus Industriestaaten und Entwicklungsländern sowie die Chefs der multi- und bilateralen Entwicklungsinstitutionen auf einer Tagung in Paris. Sie bekundeten dabei im Hinblick auf die Fünfjahresbilanz der Millenniumserklärung und der Millenniums-Entwicklungsziele (MDG) ihre Entschlossenheit, weitreichende, durch Monitoring überprüfbare Maßnahmen zu ergreifen, um die Modalitäten der Abwicklung und Verwaltung von Maßnahmen der EZ zu reformieren.

Die „Erklärung von Paris über die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit“ stellt einerseits klar, dass für die Erreichung der MDGs zwar eine volumenmäßige Erhöhung der Leistungen für Entwicklungshilfe (ODA) und anderer Entwicklungsressourcen erforderlich sei. Andererseits müsse aber auch die Wirksamkeit dieser Leistungen signifikant gesteigert werden. Dazu seien auch Anstrengungen der Partnerländer notwendig, die Staats- und Verwaltungsführung hinsichtlich der Leistungen zu verbessern (mit Hilfe der Geberländer, versteht sich). Damit wurde - zumindest theoretisch - der Wandel von der geberorientierten Entwicklungshilfe zur nehmerorientierten Entwicklungszusammenarbeit vollzogen, ein Prozess, der bereits mit der PRSP eingeleitet worden war. Die Kernpunkte der sehr detaillierten Übereinkunft können wie folgt zusammengefasst werden:

Ownership

Stärkung der Eigenverantwortung und der Rolle der Nehmerländer im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit

Anpassung an die Systeme der Partner

Ausrichtung der EZ an den Strukturen, Strategien und Systemen der Partner, Stärkung nationaler Strukturen und Systeme wie des Haushaltsprozesses und die Harmonisierung von Geberverfahren, eine angepasste Synchronisierung mit den nationalen Verfahren und Systemen des Partnerlandes

Harmonisierung

Abstimmung von Geberaktivitäten der EZ, gemeinsame, transparente und effektive Verfahren und Senkung der Transaktionskosten für Geber und Partnerland

Ergebnisorientiertes Management

Verstärkte Ausrichtung der EZ auf Ergebnisse und Wirkungen

Beiderseitige Verantwortung und Rechenschaftspflicht

Gemeinsame und gegenseitige Rechenschaftspflicht von Partnerländern und Gebern, unter Einbeziehung von Parlamenten und der Öffentlichkeit

Alle Ziele sind mit Indikatoren untersetzt, die bis 2010 erreicht werden sollen. Die Praxis (in 2009) zeigt aber, dass hier noch ein hartes Stück Arbeit vor uns liegt.

Milleniums+5-Gipfel (2005)

Im September 2005 hat in New York der sogenannte Millennium+5-Gipfel stattgefunden, der durch die Tagung in Paris vorbereitet wurde. Gegenstand war, wie erwähnt, eine erste Evaluation dessen, was im Hinblick auf die MDGs erreicht wurde. Das Ergebnis klingt wenig euphorisch. Es wird wohl noch erheblicher Anstrengungen beider Seiten - der internationalen Gemeinschaft und der Entwicklungsländer - bedürfen, um die MDGs bis 2015 weltweit zu erreichen.

Notstandsgipfel für MDG (2007)

Im Juli 2007 hatte der britische Premierminister Gordon Brown angesichts mangelnder Fortschritte bei der Verwirklichung der MDGs die Regierungschefs und wichtige Unternehmensführer zu einem Notstandsgipfel (Emergency Summit) für die MDGs aufgerufen. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon griff diese Initiative auf und lud für den 25. September 2008 zu einem „hochrangigen Treffen“ der UN-Generalversammlung zu Beratungen über die MDGs nach New York ein. Der Einladung folgten fast hundert Staats­und Regierungschefs bzw. deren Stellvertreter, Repräsentanten zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie über 20 Vertreter der weltweit größten gemeinnützigen Stiftungen. Das Treffen hatte in erster Linie politische Symbolkraft; gemeinsame Beschlüsse oder auch eine gemeinsame Gipfelerklärung gab es nicht. Das Treffen diente vor allem der Ankündigung neuer Initiativen, darunter des Global Malaria Action Plans und der Task Force on Maternal Mortality.[31]

Konferenz von Accara (2008)[32]

Vom 2. bis zum 4. September 2008 trafen sich die Regierungen zum dritten hochrangigen Forum über die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit in Accra, der Hauptstadt Ghanas, um über die bisherige Umsetzung der Pariser Erklärung Bilanz zu ziehen und einen neuen Aktionsplan, die Accra Agenda for Action (AAA), zur weiteren Verwirklichung der Erklärung zu beschließen. Die Aktionsagenda umfasste die folgenden drei Themenbereiche:

- Stärkung eigenverantwortlicher Entwicklungsprozesse
- Aufbau stärkerer und umfassenderer Entwicklungspartnerschaften
- Ergebnisorientierung und Rechenschaftspflicht in der EZ

Von der Bundesregierung wurde die Accra-Konferenz als „Meilenstein für die internationale Entwicklungszusammenarbeit" bewertet. Dagegen beurteilten die Welthungerhilfe und terre des hommes gemeinsam mit zahlreichen anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen das Abschlussdokument von Accra kritischer: Es werde dem eigenen Anspruch einer „Aktions“- Agenda nicht gerecht, da es zu wenige handlungsorientierte und zeitgebundene Ziele formuliere. Selbst die MDGs werden in dem Dokument ohne das Zeitziel 2015 genannt. Wie nicht anders zu erwarten, wurden dagegen die Aussagen, zivilgesellschaftliche Organisationen als „unabhängige und eigenständige Entwicklungsakteure" zu stärken, positiv beurteilt.

Konferenz von Doha (2008)

Die Hoffnungen richteten sich nach dem Forum in Accra auf die Doha-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, von der neue Impulse ausgehen sollten. Bei dieser zweiten Weltkonferenz der UN über Entwicklungsfinanzierung (Financing for Development, FfD), die vom 29. November bis 2. Dezember 2008 in Doha, der Hauptstadt des Arabischen Emirats Katar, stattfand, stand das gesamte entwicklungspolitische Themenspektrum auf der Agenda. Es reichte von der Mobilisierung heimischer Ressourcen und der klassischen Entwicklungszusammenarbeit über die Rolle von Auslandsinvestitionen und des Handels bis hin zur Frage weiterer Schuldenerlasse und der Reform der internationalen Finanzarchitektur.

Ziel war es zu überprüfen, ob die Regierungen ihre Zusagen der ersten FfD-Konferenz von Monterrey in 2002 eingelöst hatten; darüber hinaus wurden gemeinsame Antworten auf neue Herausforderungen der Entwicklungsfinanzierung formuliert. Die Diskussion stand unter dem Eindruck der sich damals abzeichnenden Krisentendenzen auf den globalen Finanzmärkten, dem rapiden Anstieg der Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel und Erdöl sowie der Kosten des Klimawandels für die Entwicklungsländer.

Bilanz der bisherigen Bemühungen im Rahmen der Entwicklungspolitik

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die bisherige Bilanz der Entwicklungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit fällt allen wohlgemeinten Ansätzen zum Trotz eher bescheiden aus. Dabei scheint es nicht so sehr am Geld oder am guten Willen zu scheitern, sondern eher an der Komplexität des Problems. William

Easterly, Professor für Nationalökonomie an der New York University und langjähriger ranghoher Berater der Weltbank, hat sein Buch „The white mans burden"[33] der Frage gewidmet, warum die westlichen Anstrengungen, dem Rest der Welt zu helfen, so viel Schlechtes und so wenig Gutes bewirkt haben. Er teilt die Welt der Entwicklungshilfe in die der Planer und die der „Sucher" auf, wobei die Planer die Vertreter des klassischen Entwicklungshilfeansatzes mit einem umfassenden Top-down-Ansatz sind, der versucht, das System als Ganzes zu reformieren. Im Gegensatz dazu legen die Sucher Koordinationsbemühungen weitgehend beiseite und folgen einem Bottom-up-Ansatz, indem sie versuchen, vor Ort die Bedürfnisse der Armen zu befriedigen.

Es ist hier sicher nicht der Ort, die Frage auszudiskutieren, aber man muss Easterly und den vielen anderen Kritikern zumindest darin recht geben, dass die Ausbeute bisher gering war, wenn man die enormen Summen Geldes betrachtet, die bisher in die Entwicklungshilfe geflossen sind, und dass trotz (oder vielleicht gerade wegen) all der schönen Dokumente, der neuen Ideen und der entwickelten Instrumente wenig bei den wirklich Bedürftigen ankommt.

Die meisten der Leser - so auch ich - werden sich nicht in der Position befinden, die generelle Linie der Entwicklungshilfepolitik zu beeinflussen; wir müssen uns wohl oder übel in die generellen Gegebenheiten einfinden. Und wie überall, so dürfte auch hier die Wahrheit vermutlich in der Mitte liegen. Ohne massive Veränderung im politischen System, zum Beispiel bei der Korruptionsbekämpfung, kann es keinen Fortschritt geben, aber ohne konkrete Verbesserungen bei der nächsten Krankenstation auch nicht.

Nach fünf Jahren massiver Wiederaufbaubemühungen hat sich im Stadtbild von Banda Aceh vieles geändert. Vor allem die Anzahl teurer Pkws im Straßenverkehr ist erheblich gestiegen, was mich immer wieder in Staunen versetzt. Für meine Nachbarn, arme Leute ohne Krankenversicherung, hat sich dagegen wenig getan. Die Tür zum „Puskesmas", dem örtlichen Gesundheitszentrum gleich neben meinem Haus, ist ihnen nach wie vor verschlossen. Wohlgemeinte Workshops in angenehmer Umgebung für das Personal der Gesundheitsdienste mögen manchmal sinnvoll sein, manchmal füllen sie aber nur die Taschen von Experten und örtlichen Veranstaltern. Wie dem auch sei, sie alleine lösen das Problem sicher nicht.

Top down hin oder Bottom up her - letztlich verbleibt es doch in der Hand der Verantwortlichen vor Ort, ob all das viele Geld den wirklich Bedürftigen zugutekommt oder nicht. Aber dazu muss man vielleicht doch von einigen Strategien, die uns in Deutschland oder in Europa selbstverständlich erscheinen, Abstand nehmen. Darüber soll in Teil 3 vertieft nachgedacht werden.

Zunächst wollen wir jedoch etwas Grund für diese Überlegungen schaffen und uns den Instrumenten und der Organisation der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zuwenden.

Teil 2
Die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit

Vorbemerkung

Selbst für Indonesier mit ihrer Vorliebe für Abkürzung ist es eine echte Herausforderung, sich nur einige der vielen Kürzel zu merken, die für die Institutionen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit stehen. Was sich inhaltlich hinter diesen Kürzeln und Namen verbirgt, warum Deutschland überhaupt über so viele verschiedene institutionen verfügt, wie sie arbeiten und was man sich von ihnen erwarten kann, bleibt den meisten unverständlich, ebenso die feinsinnigen unterschiede zwischen technischer, finanzieller und personeller Zusammenarbeit. Dies gilt im Übrigen nicht nur für unsere ausländischen Counterparts. Auch für mich als Newcomer war dies anfangs mehr als nur verwirrend und brachte mich nicht nur einmal in die peinliche Situation, entsprechende Fragen meiner indonesischen Kollegen nur unzureichend beantworten zu können. informationsdefizite auf der Partnerseite bleiben jedoch häufig nicht ohne Folgen, denn oftmals verleiten sie zu falschen Erwartungen.

So gab zum Beispiel ein CIM-Kollege die Geschichte zum Besten, dass der Leiter seiner Anstellungsbehörde die Welt nicht mehr verstand, als er erfuhr, dass er dem deutschen Berater ein Ortsgehalt zu zahlen habe. Er dachte, das müsse doch umgekehrt sein und er würde ein Zubrot erhalten. Noch größer war dann die Enttäuschung, als sich herausstellte, dass der CIM-Mann keine weiteren Euros für dringend erforderlich gehaltene Beschaffungen seiner Behörde im Rucksack hatte, wie das doch bei der GTZ sonst üblich sei. Da habe er sich ja auf einen ganz schlechten Deal eingelassen. Die weitere Zusammenarbeit gestaltete sich dann auch schwierig. Sicher ein Extremfall, aber es genügt ja schon, wenn man dem Bupati (Landrat) mitteilen muss, dass sein sorgsam ausgearbeiteter Brief und der beigefügte Maßnahmenplan viele gute Ideen enthalten, das eigene Projekt aber halt leider der falsche Ansprechpartner für dererlei Dinge sei.

Im folgenden Abschnitt soll daher in geraffter Form eine Zusammenfassung der Struktur der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gegeben werden, die es den Verantwortlichen vor Ort hoffentlich etwas erleichtern möge, unseren Partnern schon im Vorfeld einen Überblick und die Denk- und Arbeitsweise auf der deutschen Seite zu geben.

Die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit

Die Globalisierung macht natürlich nicht vor den Türen der

Entwicklungszusammenarbeit halt. Das BMZ schreibt in diesem Zusammenhang:[34]

„Lösungen für die immer drängender werdenden globalen Entwicklungsprobleme mit weltweiten Ursachen und Auswirkungen können nicht von einzelnen Staaten allein gefunden werden - sie erfordern multilaterale Zusammenarbeit. Viele globale Fehlentwicklungen stellen ein gemeinsames Risiko für alle Staaten dar, insbesondere Klimawandel, Gefährdung der biologischen Vielfalt, instabile Finanzmärkte und HIV/AIDS. Bestimmte globale Strukturen, wie z. B. handels-, finanz- und umweltpolitische Rahmenbedingungen, können entwicklungshemmend wirken. Und auch die traditionellen Projektansätze einzelner Geberländer erreichen keine ausreichende strukturbildende Wirkung."

Dies erfordert ein deutsches Engagement im Rahmen der internationalen EZ und damit eine Mitwirkung in den internationalen Organisationen, die auf diesem Sektor tätig sind.

Internationale Organisationen

Rund ein Drittel der Mittel des BMZ werden über multilaterale Einrichtungen und Organisationen ausgegeben. Empfänger sind vor allem die Vereinten Nationen, deren Sonderorganisationen (IFAD, UNESCO, FAO, ILO, WHO u. a.) und Programme/Fonds (UNDP, UNFPA, UNV, UNICEF, UNIFEM, UNHCR u. a.) sowie die internationalen Finanzierungsinstitutionen (Weltbank, IWF, regionale Entwicklungsbanken).

im Zusammenhang mit dem bereits angedeuteten Umdenken in der Entwicklungszusammenarbeit seit den 1990er Jahren wurde zur Umsetzung der globalen Entwicklungsziele eine Reihe sogenannter innovativer Instrumente geschaffen, an denen sich Deutschland als guter internationaler Player ebenfalls beteiligt. Dazu gehören z. B. die Globale Umweltfazilität (GEF) zur Finanzierung globaler Umweltgüter, Treuhandfonds (z. B. Treuhandfonds zur Gegenfinanzierung der Kölner Entschuldungsinitiative HIPC lí, mehrere Treuhandfonds der Vereinten Nationen für Afghanistan) sowie themenbezogene multilaterale Sonderfonds (Globaler Gesundheitsfonds - GFATM, Klimaschutzfonds im Nachgang zum Bonner Klimagipfel). Schließlich werden auch einige internationale Nichtregierungsorganisationen wie der Internationale Familienplanungsverband (IPPF) und die Internationale Vereinigung zur Erhaltung der Natur und natürlicher Ressourcen (íUCN) gefördert.

[...]


[1] „Ich bitte um Entschuldigung“

[2] D. h. ohne Schuldenerlass, Studienplatzkosten und Kosten für die Aufnahme von Flüchtlingen

[3] Vgl. Definition des Begriffs "Entwicklungsland" unten, S. 30

[4] Einzelheiten unten zum Stichwort „Kollektivismus".

[5] Karen Armstrom; The Battle For Good; The Random House Publishing Group, New York, 2001, S. 33 ff.

[6] Gavin Menzies; 1421 The year China discovered the world; Banatam Press; 2003, S. 62 ff.

[7] Gavin Menzies, a. a. O. (FN 6), S. 83 f.

[8] Frank Welsh; A History of South Africa, Haper Collins Pulisher, London; 2000, S. 7

[9] Schätzungen von P. Rinchon, Moreau de Jonnes und Carl Saunders

[10] Fernand Braudel; The History of Civilizations; Penguin Books, New York 1995, S. 124

[11] Wolfgang Sachs, Zur Archäologie der Entwicklungsidee, Teil 1, in: Entwicklungspolitischer Informationsdienst des Evangelischen Pressedienstes, 13.1.1989

[12] Unter vielen: Josef Kennedy, History of Malaya, Kyle, Palmer & Co, Garamond, Neudruck 2007

[13] Fernand Braudel, a. a. O. (FN 10), S. 266; ebenso Colin Brown; A Short History of Indonesia; Allen & Unwin, Crows Nest, 2003, S. 208

[14] The Singapore Legal System, Singapore Academy of Law, www.singaporelaw.sg/ content/ LegalSyst.html#Section7

[15] Fernand Braudel, a. a. O. (FN 10), S. 204 ff.

[16] Guter Überblick (wenn auch nicht auf dem neuesten Stand) bei Braudel, a. a. O., S. 276 ff.

[17] Inkraft getreten am 19.11.1029, aufgehoben am 19.11.1998

[18] Wolfgang Sachs, a. a. O. (FN 11)

[19] Aram Ziai; Zur Kritik des Entwicklungsdiskurses, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 10/2010, S. 23-29

[20] Paul Kevenhörster/ Dirk van den Boom: „Entwicklungspolitik', Wiesbaden, 2009, S. 19

[21] Uwe Anders „Entwicklungspolitik/-hilfe“, in: Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch Internationale Politik, 9. völlig überarbeitete Auflage, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 2004, S. 85-95

[22] vgl. Kevenhörster/ van den Bloom, a.a.O. (FN 20) S. 20

[23] Uwe Andersen meinte: „Entwicklung der Industrieländer und Unterentwicklung der Entwicklungsländer seien nur zwei Seiten derselben Medaille“ a.a.O. (FN 21) S 87

[24] Max Weber, 1920-1921: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie erscheinen in drei Bänden, Band 1: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus sowie, Tübingen 1920, 9. Auflage, 1988

[25] Wolfgang Sachs, a. a. O. (FN 11)

[26] Siehe unten Teil 3, S. 62

[27] Dazu zählen der IMF und die Weltbank, die bereits 1944 im amerikanischen Bretton Woods gegründet wurde, mit der ursprünglichen Absicht, den Wiedeaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg zu finanzieren.

[28] Collin Brown; A short history of Indonesia: the unlikely nation? ; Allen & Unwin, 2003, S. 226 ff. m. w. N.

[29] Raúl Prebisch, The Economic Development of Latin America and its Principal Problems, (1949), und Hans Wolfgang Singer, Postwar Price Relation Between Underdeveloped and Industrialized Countries, (1950).

[30] Die International Development Assosiation (IDA) wurde 1960 als Teil der Weltbank mit dem Ziel gegründet, die ärmsten Länder der Welt zu unterstützen. Sie vergibt nominal zinslose Kredite an sogenannten eligible countries. Diese Länder werden von der IDA mit folgenden Eigenschaften definiert:

- Sie haben ein Bruttonationalprodukt von weniger als 1025 US-Dollar pro Kopf.
- Ihnen fehlt die Kreditwürdigkeit, um Kredite auf dem freien Markt aufzunehmen.
- Sie weisen eine hohe Leistungsfähigkeit in der Umsetzung wachstumsfördernder Politikmaßnah­men auf.

[31] UN-Pressemitteilung „Global leaders set to meet at UN to chart progress towards development goals" vom 24. September 2008.

[32] Quelle: Die Wirklichkeit der Entwicklungshilfe, 16. Bericht 2007/2008, S. 11

[33] William Easterly, The white man's burden, Penguin Books, New York (2007).

[34] BMZ, Medienhandbuch 2008/2009, S. 110

Ende der Leseprobe aus 99 Seiten

Details

Titel
BAPAK DARI MANA? Wo kommen Sie denn her?
Untertitel
Eine Reflexion über die deutsche Entwicklungszusammenarbeit
Autor
Jahr
2011
Seiten
99
Katalognummer
V165653
ISBN (eBook)
9783640813490
ISBN (Buch)
9783640813520
Dateigröße
1138 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Peter Becker ist Regierungsdirektor beim Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern und zurzeit Rechtsberater des Senates im Königreich Kambodscha sowie Gastdozent an der Royal University for Rule and Ecomonics in Phnom Penh
Schlagworte
Entwicklungszusammenarbeit, Entwicklungshilfe, Dritte Welt
Arbeit zitieren
Peter Becker (Autor:in), 2011, BAPAK DARI MANA? Wo kommen Sie denn her?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/165653

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