Gebärdensprache als Medium zur Kommunikation


Hausarbeit, 2010

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Gebärdensprache
2.1 Definition und Grundbegriffe
2.2 Historische Entwicklung des Gebärdens
2.3 Hören und Hörverlust
2.4 Bedeutung der Gebärdensprache
2.5 Diskriminierung von Hörgeschädigten

3 Resümee

4 Literatur

1 Einleitung

„Gehörlos ohne Gebärdensprache ist

wie ein Baum ohne Wurzeln.“

(Bollag 2008, 194)

Der Begriff Behinderung wird heute vielfach im Zusammenhang mit körperlicher oder geistiger Versehrtheit verwendet. Doch nicht immer ist ein solcher Umstand offensichtlich. Auch Menschen, deren physische und psychische Funktionen dem Anschein nach weitgehend in Takt sind, können eine Form der Behinderung aufweisen. So genügt es bereits, akustische Signale der Außenwelt nicht oder nur unzureichend wahrzunehmen, um unter Hörenden als behindert zu gelten. Gehörlose Menschen haben wie alle anderen das Recht, in der Gesellschaft gehört zu werden. Die Gebärden­sprache hilft ihnen dabei, sich mit anderen Hörgeschädigten, oder unter Zuhilfenahme eines Gebärdendol­metschers bzw. einer Gebärdendol­metscherin, mit Hörenden zu verständigen.

Im Folgenden soll ein kurzer Überblick zum Thema Gebärdensprache geschaffen werden. Beginnend mit einer Definition führt der Weg über die geschichtliche Entwicklung des Gebärdens zu einigen Gründen des Nicht-Hören-Könnens. Darauf folgend wird auf die Bedeutung der Gebärdensprache für hörbeeinträchtigte Menschen eingegangen. Überdies zeigen Beispiele unterschiedliche Varianten der Benachteiligung von Gehörlosen im alltäglichen Leben. Ein weiterer Abschnitt setzt sich generell mit der Darstellung beeinträchtigter Menschen in den Medien auseinander und vermittelt ein Bild, wie diese in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Ein Resümee fasst das Gesagte abschließend zusammen.

2 Gebärdensprache

„Erst die Gebärdensprache macht

aus einer Anzahl gehörloser Menschen

eine soziale Gemeinschaft.“

(Ebbinghaus / Heßmann 1989, 27)

2.1 Definition und Grundbegriffe

Unter Gebärdensprache ist eine eigenständige Sprache zu verstehen, die auf allen linguistischen Ebenen ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten aufweist. Sie ist eine Form der Kommunikation, die gehörlose und auch hörgeschädigte Personen zu ihrer Verständigung verwenden (vgl. Kaufmann 1990, 7). Daneben gibt es die künstlich geschaffenen, lautsprachbegleitenden Formen des Gebärdens, die sich auf die gesprochen Form der Sprache bezieht. Je nach Situation können lautsprachbegleitende Formen zum Einsatz kommen, welche den Sprecher bzw. die Sprecherin in verschiedener Weise dienen. Kaufmann (1990, 7) unterscheidet dabei drei Varianten:

- unterstützend – dabei wird gelegentlich ein Wort gebärdet
- synchron – jedes Wort wird gebärdet
- simultan – es wird gleichzeitig gesprochen und gebärdet.

Die eigentliche Grundbestandteile gebärdensprachlicher Äußerungen besteht nach Ebbinghaus und Heßmann (1989, 81) aus

- der manuellen Komponenten, bei der die Hände eine besondere Stellung einnehmen und als zentrales Element die Gebärden formen,
- der nonmanuellen Komponente, zu denen die absichtsvollen Bewegungen der Augen, dem Gesicht, Kopf und Oberkörper gehören,
- sowie der oralen Komponente, bei der die zur Gebärde gehörenden Wörter meist lautlos artikuliert werden.

Die Gebärdensprache dient als Kommunikationsform von Menschen mit Gehörlosigkeit. Diese recht neue Definition löste den ursprünglichen Begriff der Taubstummheit ab. In der Vergangenheit wurde davon ausgegangen, dass eine taube Person auch gleichzeitig stumm war. Diese terminologische Veränderung sollte deutlich machen, dass gehörlose Menschen durchaus über Sprache verfügen können. Gehörlosigkeit kann insofern aus medizinischer, audiologischer oder pädagogischer Sicht definiert werden. Als Oberbegriff wird jedoch in allen Bereichen die Formulierung Hörschädigung gebraucht (vgl. Jann 1991, 15ff.).

2.2 Historische Entwicklung des Gebärdens

Die erste ausgewiesene Unterrichtung so genannter taubstummer Kinder ist aus dem 16. Jahrhundert bekannt. In einem spanischen Kloster unterrichtete der Mönch Pedro Ponce de León (* 1510, † 1584) erfolgreich taubstumme Schüler aus adeligen Familien, indem er ihnen ‚das Sprechen ohne Gehör’ beibrachte (vgl. Paul 1998, 57). Als Pionier der Gehörlosenpädagogik gilt der französische Gelehrte Charles-Michel de l’Epée (* 1712, † 1789). Der Theologe unterrichtete in Paris taube Kinder und gründete die Institution Nationale des Sourds-Muets de Paris als erste Schule für Gehörlose. In den USA war es der Geistliche Thomas Hoppkins Gallaudet (* 1787, † 1851), der sich um taube Kinder kümmerte. Sein Sohn, Edward Miner Gallaudet, gründete die spätere Gallaudet-Univertity für gehörlose Student/inn/en.

Das Gebärden war seit den ersten Schulgründungen im 18. Jahrhundert auch in Europa ein Thema. 1880 fand in Mailand der 2. internationale Kongress der Gehörlosenfachleute statt. Die Grundsatzentscheidung fiel dabei jedoch für eine rein lautsprachliche Bildung und Erziehung gehörloser Personen durch Hörende aus. Danach galt die Frage des Umgangs mit Gehörlosen als entschieden und das Thema Gehörlosigkeit wurde daraufhin weitgehend tabuisiert (vgl. Kaufmann 1990, 9).

Die heutige Gebärdensprache wurde in den 1960 Jahren vom amerikanischen Linguisten William C. Stokoe Jr. (* 1919, † 2000)‚ am Gallaudet College in Washington D.C. entwickelt. Aus­gehend von Amerika kam es auch in Europa zu einer Gebärdensprach-Bewegung. Allen voran stand der Hamburger Linguist Siegmund Prill witz (*1941) und Penny Boyes Braem aus Basel. Obwohl es beispielsweise in Deutschland viele Diskussionen verschiedenster Wissenschaftler zum Thema Gebärden­sprache gab, konnte keine maßgebliche Einflussnahme in Bezug auf die Erziehung und Bildung von Gehörlosen erreicht werden.

Eine Schlüsselrolle spielte die Schweizer Stadt Zürich, in der die erste Gehörlosenschule im deutschsprachigen Raum gegründet wurde. Dies stärkte den gesellschaftlichen Stellenwert der Gebärdensprache in der Bildung und Erziehung „normalbegabter Gehörloser“ (Kaufmann 1990, 9). Erst in den letzten Jahren wurde, speziell in den Niederlanden und in Skandinavien, das Einbeziehen der Gebärdensprache in den Unterricht erprobt (vgl. Leonhardt 2002, 152).

2.3 Hören und Hörverlust

Durch das Hören werden äußere, akustische Reize über das Ohr aufgenommen und im Gehirn zu einem Sinn verarbeitet. Hören steht mit anderen Sinnen in Verbindung. Auf Grund der Sinneswahrnehmung über das Gehör kann der Mensch situationsbedingt agieren und reagieren. Das Erlernen gesprochener Sprache ist eng mit dem Hören verbunden. Der verbale Spracherwerb erfolgt in der Regel bereits von Geburt an. Funktioniert bei einem Kind der Gehörsinn nicht, kann es auch keinerlei Wortklangbilder aufnehmen. Dies ist jedoch Voraussetzung für die Denkabläufe und die innere Stimme (vgl. Paul 1998, 30f.). Genau genommen ist die Gehörlosigkeit keine gesonderte Hörstörung. Der Grund des inaktiven Gehörsinns liegt in einem hochgradigen Schallempfindungsschaden einer Person (vgl. Leonhardt, 2002, 53). Es gibt allerdings Menschen, die verbale Sprache erlernen und erst nach dem Spracherwerb ertauben. Leonhardt (2002, 85) formuliert dazu:

„Ertaubte also sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene, bei denen eine totale oder praktische Taubheit nach Abschluss des natürlichen Spracherwerbs (also postlingual) eingetreten ist. Sie können Sprache und andere Schallereignisse nicht mehr auditiv wahrnehmen.“

Von Ertaubten sind wiederum schwerhörige Personen zu unterscheiden. Diese haben gegenüber prälingual ertaubten Personen den Vorteil, dass sie ihre erworbene Fähigkeit zur lautsprachlichen Kommunikation sowie das verbliebene Hörvermögen unterstützend einsetzen können. Eine genaue Abgrenzung zwischen solchen, die nach dem Spracherwerb schwerhörig wurden und jenen, die bereits seit Geburt an schwerhörig sind, ist jedoch kaum möglich. Der Grund dafür liegt in der ungenügenden Definition des Spracherwerb-Begriffs (vgl. Leonhardt 2002, 84).

Die Gebärdensprache dient der Verständigung zwischen und mit gehörgeschädigten Menschen. Besonders in den ersten Lebensjahren ist es für ein gehörloses Kind sehr einfach, Gebärden zu erlernen – vorausgesetzt, die Bezugspersonen kommen dem Kind auf halbem Weg entgegen und beziehen Gebärden in ihre Kommunikation mit ein (vgl. Prillwitz et al. 1991, 81). In manchen Fällen kann es bei Kindern zu einer verzögerten Lautsprach­entwicklung kommen. Hierbei lässt sich eine gebärdenunterstützte Kommunikation einsetzen. Voraussetzung ist, dass beim Kind ein Lautspracherwerb zu erwarten und ein gewissen Maß an kontrolliert einsetzbarer Gestik vorhanden ist. Nahe Bezugspersonen können durch eine frühe Nutzung bestimmter Gebärden das Kind – neben der Lautsprache – durch eine visuelle Verdeutlichung unterstützen. Durch die sprachbegleitenden Gebärden lernt das Kind, eine Tätigkeit mit einem Wort bzw. einer bestimmten Gebärde zu verbinden. Nach Tetschner und Martinsen (1992) kann diese Form der Kommunikation für folgende drei Gruppen von Menschen hilfreich sein:

- Menschen, die Lautsprache verstehen, aber nur unzureichende Möglichkeiten besitzen, sich auszudrücken. Dazu zählen Personen mit schweren Störungen des Sprechens, fortschreitenden Muskelerkrankungen oder Menschen im Zustand des Locked-In-Syndroms (vollständiges Gelähmtsein bei normalem Bewussteins).
- Menschen, die Unterstützung zum Lautspracherwerb benötigen bzw. deren lautsprachliche Fähigkeiten nur dann verständlich sind, wenn sie bei Bedarf über ein zusätzliches Hilfsmittel verfügen. Dazu zählen Kinder, bei denen eine schwere Sprachentwicklungsverzögerung vorliegt.
- Menschen, für die Lautsprache als Kommunikationsmedium zu komplex ist und die daher eine geeignete Ersatzsprache benötigen. Zu dieser Gruppe gehören Personen mit schweren kognitiven Behinderungen (vgl. Braun o. J., o. S.).

2.4 Bedeutung der Gebärdensprache

Hörende Menschen erleben gehörlose Personen meist als defizitär oder behindert. Gehörlose ihrerseits verstehen sich selbst nicht als Behinderte, sondern eher als sprachlich-kulturelle Minderheit (vgl. Kaufmann 1990, 8). Wird der Terminus der Behinderung auf die Gehörlosen-Gemeinschaft bezogen, so kann allenfalls jemand als behindert gelten, der der Gebärdensprache nicht mächtig ist (vgl. Ebbinghaus / Heßmann 1989, 31). Wie einerseits Kultur Sprache hervorbringt, so ist andererseits Sprache auch an der Entwicklung der Kultur beteiligt, wie es u. a. im Fall der Gehörlosen geschieht. Dem­zufolge stellt Gebärdensprache für diese Personen neben dem kommunikativen Aspekt auch ein bedeutsames Mittel dar, um sich als Mitglied in einer Gemeinschaft fühlen zu können (vgl. Leonhardt 2002, 153). Allerdings beherrschen viel Gehörlose die Gebärdensprache gar nicht mehr, besonders jene Personen, die nach 1980 geboren wurden. Ein Großteil diese Menschen fühlt sich in der Welt der Hörenden zu Hause und erachtet das Gebärden als nicht notwendig. Möglich wurde diese Entwicklung durch ein günstiges psychosoziales Umfeld. In dem mehr Zeit für Erziehung investiert wurde als noch vor einigen Jahrzehnten. Dennoch sind Gehörlose auch noch im Erwachsenenalter in der Lage, die Gebärdensprache zu erlernen (vgl. Bollag 2008, 194f.).

In Österreich gibt es keine genauen Daten über die Anzahl gehörloser Menschen. Verena Krausneker, Sprachwissenschaftlerin an der Universität Wien, schätzt die Zahl auf etwa 8 000 bis 10 000 (vgl. Dirtl 2008, o. S.). Ebenso gibt es Unklarheit über die Anzahl der gehörlosen Studierenden. Das Wissenschaftsministerium geht österreichweit von 20 bis 40 Personen aus. Es wird ferner angenommen, dass viele gehörlose Menschen erst gar nicht inskribieren, da sie fürchten, ohne die nötige Unterstützung das Studium nicht abschließen zu können (vgl. ORF 2010, o. S.). Die Zahl der Gehörgeschädigten in Deutschland betrug im Jahr 1999 rund 14 Millionen, davon sind etwa 80 000 Personen gehörlos (vgl. Leonhardt 2002, 63). Europaweit wird die Anzahl der Gebärdensprachbenutzer/innen auf etwa 500 000 Personen geschätzt. Die Gebärdensprache ist zurzeit allerdings nur in sieben europäischen Ländern anerkannt (vgl. Krausneker 2001, o. S.).

Im Großen und Ganzen gelingt gehörlosen Menschen die Bewältigung des Alltags. Soziale Interaktionen mit Hörenden sind jedoch auf die notwendigsten kommunikativen Ressourcen begrenzt. Bleibt dies für das private Leben eher ohne Konsequenzen, so zeigt sich im Berufsleben von Hörbeeinträchtigten ein anderes Bild. Aus einer Studie des Instituts für Translationswissenschaft an der Karl-Franzens-Universität Graz geht hervor, dass viele gehörlose Frauen ohne entsprechende Ausbildung lediglich Hilfstätigkeiten verrichten. Frauen werden gegenüber Männern in der Gesellschaft in vielen Bereichen diskriminiert. Dies spiegelt sich auch bei der Gruppe von Gehörlosen wider, so Sylvia Grünbichler, Leiterin der Studie: Sind in der Gruppe gehörloser Männer 60 Prozent erwerbstätig, so beträgt die Zahl bei gehörlosen Frauen nur 33 Prozent. Zudem wird an veralteten Berufsbildern festgehalten, ebenso sind die Ausbildungsmöglichkeiten verbesserungswürdig (vgl. Türk 2009, o. S.).

Um gehörlosen Menschen die Möglichkeit zu geben, tiefer in die Welt der Hörenden vorzudringen, gibt es die Möglichkeit der Hilfe durch Gebärdensprachdolmetscher/innen. Dabei soll das Dolmetschen keine neue Abhängigkeit schaffen, sondern der Selbsthilfe von gehörlosen Menschen dienen. Beispielsweise kann ein Arztbesuch ohne Gebärdensprachdolmetscher/in zu einem Spießrutenlauf werden. Die unzureichende Kommunikation kann dazu führen, dass sich die ohnehin schon vorhandenen, gesundheitlichen Beschwerden durch das Verschreiben falscher Medikamente verschlimmern. Die Vermittlung zwischen medizinischem Personal und Patient/in durch eine/n Dolmetscher/in ermöglicht es, solche Risiken zu minimieren. Zudem kann eine solche Vorgehensweise zu einer selbstbestimmten Integration der hörgeschädigten Person führen (vgl. Ebbinghaus / Heßmann 1989, 120-123).

In der Praxis ist dieses theoretische Beispiel nicht immer anzutreffen. In einem von mir geführten Interview mit einer Gebärdensprachdolmetscherin (sie wollte anonym bleiben, doch nennen wir sie Frau F.) erzählte sie mir über die Schwierigkeiten der Gehörlosen in der sozialen Interaktion. Im Zusammenhang mit einer ärztlichen Konsultation sehe das Gespräch zwischen Mediziner/inne/n und Patient/in meist so aus, dass Arzt oder Ärztin nicht die gehörlose Person anspricht, sondern diese übergeht. Stattdessen wird der/die Dolmetscher/in als direkte/r Ansprechpartner/in herangezogen. Allein dieses Verhalten stelle eine Diskriminierung dar, so Frau F.

„Dann redet der Arzt ständig mit mir und erklärt mir, was dem Gehörlosen fehlt, anstatt dass er mit ihm redet und ihm das erklärt. Er glaubt, nur weil er (der Gehörlose, Anm. H.A.O.) nichts hört muss er mit mir reden. [...] Also manche Ärzte sind schon arrogant, und das merken die Gehörlosen gleich, die sitzen schon so verängstigt da, und dann werden sie noch ‚kleiner’.“

Frau F. wies darauf hin, dass eine Kommunikation zwischen Arzt bzw. Ärztin und Patient/in auf gleicher Ebene erfolgen müsse. Aus ihrer Erfahrung könne sie jedoch sagen, dass dies oftmals nicht der Fall sei:

„Darum muss man, wenn man mit dem Gehörlosen in die Praxis kommt, gleich entscheiden, wie man sich positioniert, das muss schnell gehen. Ich stell mich dann gleich hinter den Arzt, der schaut dann zuerst komisch, was ich da will, aber irgendwann läuft es dann, so muss er mit dem Gehörlosen reden und ich gebärde simultan. [...] Stellen Sie sich vor, ich setze mich neben den Gehörlosen (Pause), da hat man verloren, dann redet der Arzt nur mit mir und der Gehörlose wird ignoriert. So eine Dreierbeziehung funktioniert nicht. [...] Er (der Arzt, Anm. H.A.O) sagt mir, wie er (der Gehörlose, Anm. H.A.O.) die Medikamente zu nehmen hat, aber ich bin ja nicht sein Aufpasser, ich bin ja neutral, aber das versteht der Arzt oft nicht.“

Dörner (2003, 126ff.) weist darauf hin, dass Mediziner/innen den Patient/inn/en mit einer entsprechenden Grundhaltung gegenüberzutreten haben, die vor allem Menschen mit Behinderungen nicht diskriminiert. Insofern geht es um die Frage der Sichtweise beider Seiten. Die differente Sichtweise von behindert und nicht-behindert zeigt sich in den Worten der Autobiographie von Fredi Saal:

„Immer wenn ich mit einem Nicht-Behinderten zusammenkomme, versucht er als erstes, mir irgendwie zu helfen [...]. Diese merkwürdigen Nicht-Behinderten kommen nicht mal auf die Idee, mich zunächst mal in meinem Sosein, in meiner Existenz, zu der meine Behinderung nun mal gehört wie meine sonstigen Eigenschaften, zu akzeptieren, obwohl ich sie doch auch in ihrer Nicht-Behinderung akzeptiere.“ (Dörner 2003, 128)

Als Vertretung gehörloser bzw. hörbeeintächtigter Menschen tritt in Österreich die Kommission Gebärdensprache des Österreichischen Gehörlosenbunds (ÖGLB) auf. Ziel der Kommission ist

- der Erhalt der Vielfalt der Österreichischen Gebärdensprache sowie
- eine mit Vertreter/inne/n aus allen österreichischen Bundesländern (ÖGS-Muttersprachler/innen) gemeinsam erarbeitete Standardisierung der Sprache (vgl. ÖGLB 2009, o. S.).

2.5 Diskriminierung von Hörgeschädigten

Im österreichischen Bundesverfassungsgesetz (BVG, §1, Art. 7, Abs. 1) wurde im Jahr 1997 festgelegt:

„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.“

Die ÖNORM B1602 sieht für eine barrierefrei Schul- und Ausbildungsstätten sowie deren Begleiteinrichtungen unterschiedliche Hilfestellungen für hörbeeinträchtigte Menschen vor. In Punkt 3.2.6.1.4 zur raumakustische Gestaltung heißt es:

„Lautsprecheranlagen in Hörsälen müssen entweder mit den speziellen Übertragungsanlagen an den Plätzen für hörbehinderte Menschen gekoppelt sein oder über drahtlose Anlagen möglichst den gesamten Raum abdecken. So ausgestattete Räume sind entsprechend zu kennzeichnen.“

In Punkt 4.8.3 zur Ausstattung von Fernsprechzellen ist festgelegt:

„Diese Fernsprechstelle muss mit einer Verstärkeranlage (lautstärkeregelbar und Induktion) für hörbehinderte Menschen ausgestattet und als solche gekennzeichnet sein. Diese Fernsprechstelle muss für hörbehinderte und gehörlose Menschen zusätzlich mit Textübertragung dem Stand der Technik entsprechend ausgerüstet jederzeit frei zugänglich [...] sein.“

Trotz dieser und vieler weiterer gesetzlicher Bestimmungen ist eine Barrierefreiheit für hörgeschädigte Menschen nur vereinzelt gegeben. Werden die angesprochenen Punkte auf die Alpen-Adria Universität Klagenfurt übertragen zeigt sich, dass solche Richtlinien zur Umsetzung lt. ÖNORM nicht eingehalten wurden. Diese Tatsache trägt mitunter zur geringen Anzahl hörbeeinträchtigter Student/inn/en bei.

Menschen mit einer (Hör-)Schädigung werden von der Gesellschaft häufig ausgegrenzt. Nach Reichmann-Rohr (1994, 33) kann von Ausgrenzung oder Aussonderung gesprochen werden, wenn bestimmte Personen an den „[...] durchschnittlich herrschenden Arbeits-, Lern-, Leben- und Genussverhältnissen“ nur gering oder gar nicht Anteil nehmen können. Menschen mit Behinderungen dürfen jedoch nicht benachteiligt werden. Auf Grund dieser Tatsache wird immer wieder der Ruf nach Integration behinderter Menschen laut. Integration bedeutet dabei die gleichwertige Teilhabe eines Menschen an allen Bereichen unserer Gesellschaft.

An Hand eines Beispiels aus den Medien soll Ausgrenzung an gesellschaftlichen Ereignissen dargestellt werden. Der hörbehinderte Herr H. fühlte sich durch das unzureichend untertitelte Fernsehangebot des Österreichischen Rundfunks (ORF) diskriminiert und klagte deshalb den öffentlich-rechtlichen Rundfunksender. In einer Schlichtungsvereinbarung sowie einem späteren Vergleich verpflichtete sich der ORF,

„[...] bei allen Videos on Demand von Sendungen, zu denen die APA Transkripte erstellt, diese Transkripte auf der on-Demand-Plattform TVthek möglichst früh nach Ablieferung der Transkripte durch die APA zur Verfügung zu stellen. Des Weiteren verpflichtete sich der ORF, bei den auf der TVthek zur Verfügung gestellten Videos on Demand Untertitel zur Verfügung zu stellen, sofern diese Untertitel für das Fernsehen vorliegen.“ (ÖGLB 2009, o. S.).

3 Resümee

Gebärdensprachliche Fähigkeiten sind zur Selbstbehauptung Gehörloser oder hörgeschädigter Personen von großer Bedeutung. Die Einschränkung in der verbalen Kommunikation führt zu Konsequenzen in ihrem sozialen Leben. Das Erlernen der Gebärdensprache ist ein Weg, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Kann sich ein gehörloses Kind die Kommunikation mittels Gebärden bereits im Kindesalter aneignen, ermöglicht es ihm eine Form der Verständigung. Im weiteren Leben sichert die Gebärdensprache eine größtmögliche Integration in die Welt der Hörenden. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch die Offenheit und Akzeptanz der Gesellschaft wichtig, um Menschen mir Beeinträchtigungen gleichwertig zu behandeln.

In der beruflichen Praxis sind viele hörbeeinträchtigte Menschen noch immer mit Hilfstätigkeiten beschäftigt. Bildung an Hochschulen ist für viele kaum möglich. Gesetzlicher Regelungen und Vorschriften für bauliche Maßnahmen sollen Barrieren für behinderte Menschen abbauen. In der Realität werden hörbeeinträchtigte Personen allerdings nach wie vor diskriminiert. Ebenso Menschen mit anderen Beeinträchtigungen. Damit solche Individuen nicht mehr als „defizitäre Wesen“ dargestellt werden, braucht es „positive Gegenkonzepte“, wie es Peter Radtke von der Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien in München formuliert. Nur so kann das Bewusstsein der hörenden Bevölkerung verändert werden. Solange dies nicht geschieht, dreht sich die Diskussion um Integration und Benachteiligung im Kreis:

„Die Forderung nach Integration wird bestehen bleiben, solange Aussonderung von Menschen stattfindet. Wird allerdings von Anfang an Nichtaussonderung als Lebensrecht anerkannt, wird Integration nicht mehr notwendig.“ (Paul 1998, 45; kursiv im Original)

4 Literatur

Bollag, Fiona (2008): Das Mädchen, das aus der Stille kam. 2. Auflage. Bergisch Gladbach: Lübbe.

Braun, Ursula (o. J.): Keine Angst vor Gebärden. URL: http://www.uni-leipzig.de/~gbpaed/2005/service/braun2.htm (28.05.2010).

Dirtl, Theresa (2008): Studie zeigt Ausgrenzung von Gehörlosen auf. URL: http://www.dieuniversitaet-online.at/beitraege/news/studie-zeigt-ausgrenzung-von-gehorlosen-auf/10.html (30.05.2010).

Dörner, Klaus (2003): Der gute Arzt. Lehrbuch der ärztlichen Grundhaltung. 2., überarbeitete Auflage. Stuttgart: Schattauer.

Ebbinghaus, Horst / Heßmann, Jens (1989): Gehörlose, Gebärdensprache, Dolmetschen. Chancen und Integration einer sprachlichen Minderheit. Hamburg: Signum.

Jann, Peter A. (1991); Die Erziehung und Bildung des gehörlosen Kindes. Zur Grundlegung der Gehörlosenpädagogik als Wissenschaft. Heidelberg: Schindele.

Leonhardt, Annette (2002): Einführung in die Hörgeschädigtenpädagogik. 2., neu bearb. und erw. Aufl. München; Basel: Reinhardt.

Kaufmann, Peter (1990): Lautsprachbegleitendes Gebärden (LBG) in der Erziehung und Bildung gehörloser Kinder. Luzern: Schweizerische Zentralstelle für Heilpädagogik (SZH).

Krausneker, Verena (2001): Stand der rechtlichen Anerkennung europäischer Gebärdensprachen. URL: http://www.oeglb.at/html/print.php?id=VK2002-03-06-4422 (01.06.2010).

Paul, Karin (1998): Die schulische und soziale Integration von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Schwerhörigkeit. In: Müller, René J./Hans, Maren (Hg.in): Hörgeschädigte in der Schule. Integration in Schule und Freizeit. Neuwied: Luchterhand.

ORF (Österreichischer Rundfunk) (2010): Hilfe für gehörlose Studenten. URL: http://wien.orf.at/stories/430841/ (29.05.2010).

ÖGLB (Österreichischer Gehörlosenbund) (2009): Verfahren gegen ORF wegen mangelnder Untertitelung von Online-Videos beendet. URL: http://www.oeglb.at/?id=LH2009-12-18-3414&vid=0&srch= (31.05.2010).

Prillwitz, Siegmund et al. (1991): Zeig mir deine Sprache! Elternbuch Teil 1: Zur Früher­ziehung gehörloser Kinder in Lautsprache und Gebärden. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Hamburg: Signum.

Türk, Marietta (2009): „Viele Gehörlose arbeiten als Hilfsarbeiter“. URL: http://derstandard.at/1256745555700/Interview-Viele-Gehoerlose-arbeiten-als-Hilfsarbeiter (30.05.2010).

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Details

Titel
Gebärdensprache als Medium zur Kommunikation
Hochschule
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
15
Katalognummer
V165489
ISBN (eBook)
9783640811625
Dateigröße
407 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Diskriminierung, Gebärdensprache, Kommunikation
Arbeit zitieren
MMag. Herbert Adrian Ortner (Autor:in), 2010, Gebärdensprache als Medium zur Kommunikation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/165489

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