Semantische Interferenz - Ursprung und Wirkungsweise des semantischen Interferenzeffektes


Thesis (M.A.), 2010

80 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Aufbau der Arbeit und Zielsetzung

2 Modelle des lexikalischen Zugriffs
2.1 Der lexikalische Zugriff nach Levelt et al. (1999)
2.2 Der lexikalische Zugriff nach Caramazza (1997)
2.3 Der lexikalische Zugriff nach Dell (1986)

3 Die Bild-Wort-(Interferenz)-Aufgabe

4 Zum Ursprung des semantischen Interferenzeffektes

5 Experimentelle Untersuchung

6 Methode
6.1 Teilnehmer
6.2timulusmaterial
6.3 Design
6.4 Prozedur/Vorgehen
6.5 Richtlinien

7 Auswertung
7.1 Fehlerraten
7.2 Reaktionszeitmittelwerte
7.3 Interferenzstatistische Datenanalyse
7.3.1 Überprüfung der Hypothesen

8 Diskussion
8.1 Zu den FaktorenOA und Ablenkertyp
8.2 Diskussion der Fehlerraten
8.3 Wo sitzt der semantische Interferenzeffekt?
8.4 Fazit
8.5 Probleme

9 Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Anhang

In einem Experiment zur Sprachproduktion sollten Probanden Bilder von Objekten benennen und zusammen mit den Bildern dargebotene Wortablenker ignorieren. Die Bilder und die Ablenker waren semantisch eng verwandt („Zange“ - „Bohrer“), semantisch entfernt verwandt („Zange“ - „Spaten“) oder nicht verwandt („Zange“ - „Becher“). Es zeigte sich, dass die Bilder in der semantisch entfernten Bedingung längere Benennzeiten als die Bilder in der nicht verwandten Bedingung aufwiesen. Demgegenüber wiesen die Bilder der engen Bedingung und der nicht verwandten Bedingung keine Unterschiede in den Benennzeiten auf. Die Manipulation der SOA erbrachte, dass Bilder bei einer SOA = -150 ms schneller als bei einer SOA = 0 ms benannt wurden. Die vorliegenden Resultate werden im Licht der „Lexical Selection by Competition Hypothesis“ (Roelofs, 1992; Levelt et al., 1999) und der „Response Exclusion Hypothesis“ (Mahon et al., 2007) untersucht. Es soll gefragt werden, wie semantische Bahnungs- und Interferenzeffekte entstehen und auf welcher Stufe des Sprachprozesses die Effekte anzusiedeln sind.

1 Einleitung

Innerhalb des Langzeitgedächtnisses werden sprachliche Einheiten zum ständigen Abruf bereitgehalten. Dazu ist ein spezielles Modul (das „lexikale Gedächtnis“ bzw. das „mentale Lexikon“) verankert, das zur Organisation des Sprachschatzes und des lexikalischen Vermögens beiträgt und in die Sprachverarbeitung eingeschaltet ist. Dieses Modul stellt die syntaktischen, morphologischen, phonologischen und semantischen Informationen von Wörtern, die zur Produktion und zum Verständnis einer Sprache benötigt werden, zur Verfügung (Jescheniak, 2002).

Bei dem Zugriff auf das Lexikon werden große Daten- und Informationsmengen in kürzester Zeit verarbeitet. So können Sprecher typischerweise zwischen zwei und drei Wörter pro Sekunde aus dem Lexikon auswählen und produzieren (Maclay & Osgood, 1959; Deese, 1984). Diese Auswahl geht zumeist fehlerfrei vonstatten. Die Fehler in der lexikalischen Auswahl liegen unter einem von tausend Wörtern (Garnham et al., 1982). Außerdem legen Schätzungen zum Umfang des Lexikons nahe, dass mehr als 50.000 Wörter darin abgespeichert werden (Aitchison, 1997; Seashore & Eckerson, 1940), wobei davon ausgegangen wird, dass die Sprecher einer Sprache mehr Wörter verstehen als produzieren können, da der passive Wortschatz den aktiven Wortschatz um ein Vielfaches übersteigt (Oldfield, 1963).

Das Lexikon wird typischerweise als eine Art Netzwerk verstanden, in dem sich Aktivation über miteinander verbundene Knoten ausbreitet. Unterschieden wird hierbei zwischen Prozessen zur Aktivation und Prozessen zur Auswahl einzelner Knoten (Roelofs, 1992). Zumeist wird dabei angenommen, dass mehrere Knoten gleichzeitig unter Aktivation stehen können, doch nur solche Knoten ausgewählt werden, die auch tatsächlich zur Produktion benötigt werden.

Doch welche Informationen enthalten die einzelnen Knoten? Unter welchem Mechanismus werden die Knoten ausgewählt?

Garrett (1980) konnte in einer Korpusuntersuchung Unterschiede in der Verteilung von Wort- und Lautvertauschungsfehlern zeigen. Wortvertauschungsfehler traten zumeist bei Elementen derselben syntaktischen Kategorie auf (*„a wife for his job“ VS „a job for his wife“). Demgegenüber traten Lautvertauschungsfehler außerhalb syntaktischer Kategorien auf (*„if the fap kits“ VS „if the cap fits“). Garrett (1980) zog hieraus den Schluss, dass beide Fehlertypen zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Produktionsprozesses entstehen und die Wörter nicht als unteilbare Einheiten innerhalb des mentalen Lexikons abgespeichert werden, sondern vielmehr in Form von syntaktischen, semantischen und phonologischen Einheiten. Außerdem lassen spontane und experimentell induzierte Zungenspitzenzustände (tip-of-the tongue states, TOT-Zustände) darauf schließen, dass bestimmte Elemente von Wörtern auch dann zur Verfügung stehen können, wenn auf den vollständigen lexikalischen Eintrag nicht zugegriffen werden kann (Brown & McNeill, 1966; Caramazza & Miozzo, 1997; Miozzo & Caramazza, 1997a, 1997b; Vigliocco et al., 1997).

Zudem zeichnen sich sprachliche Leistungen gehirngeschädigter Patienten durch einen erhöhten Anteil von Fehlleistungen aus, wobei bestimmte Charakteristika der Fehlleistungen Schlussfolgerungen über Prozesse der Sprachproduktion zulassen. Untersucht wird dabei zumeist, welche Ähnlichkeiten zwischen Fehlleistungen und den beabsichtigten Zielwörtern bestehen und welche Bedingungen dazu beitragen. Hierbei wird angenommen, dass nur bestimmte Bereiche der Sprachverarbeitung durch Schädigungen betroffen sind, wodurch Schwierigkeiten und Dissoziationen in der Geschwindigkeit, der Präzision und dem Zugriff ausgelöst werden, während andere Bereiche Leistungen zeigen, die mit Leistungen sprachgesunder Sprecher vergleichbar sind. Die Dissoziationen können zwischen semantischen Kategorien (Shelton et al., 1998; Caramazza & Shelton, 1998), Verben und Nomen (Berndt et al., 1997; Caramazza & Hillis, 1991) oder zwischen der Laut- und Schriftsprache (McCarthy & Warrington, 1985; Caramazza, 1997) entstehen.

Welche Modelle stehen zur Beschreibung von Sprachproduktionsprozessen zur Verfügung?

Die meisten Sprachproduktionsmodelle nehmen an, dass während der Produktion von Sprache drei verschiedene Prozessstufen durchlaufen werden. Es handelt sich hierbei um Konzeptualisierungs-, Formulierungs- und Artikulationsprozesse (Levelt, 1989). In einem ersten Schritt werden vorsprachliche Inhalte geplant bzw. erstellt. Daraufhin müssen die Planeinheiten in eine sprachliche Form umgesetzt werden, worauf die Artikulation der entsprechenden lexikalischen Einheiten einsetzen kann.

Zumeist wird die Annahme der „inkrementellen Verarbeitung“ getroffen, nach der alle beteiligten Komponenten des Verarbeitungsprozesses zum gleichen Zeitpunkt an unterschiedlichen Fragmenten der Äußerung arbeiten. Diese Annahme erlaubt eine derart schnelle Produktion der gesprochenen Sprache, wie sie tatsächlich zu beobachten ist (Levelt, 1989; Jescheniak, 2002).

Es stehen serielle und kaskadierende Modelle zur Auswahl. Serielle Modelle gehen davon aus, dass die Informationen der einzelnen Verarbeitungsstufen unabhängig verarbeitet werden (Levelt et al., 1999). Die verschiedenen Verarbeitungsebenen arbeiten autonom und geben erst dann ein Ergebnis an die folgenden Ebenen ab, wenn die Prozesse auf der vorhergehenden Ebene vollständig abgeschlossen sind (Levelt, 1989; Jescheniak, 2002). Kaskadierende Modelle gehen davon aus, dass die Informationen in einem ständigen Fluss über die einzelnen Teilsysteme fließen (Stemberger, 1985; Humphreys et al., 1988; Dell, 1986; Caramazza, 1997). Somit werden bereits Teilergebnisse auf die folgenden Verarbeitungsebenen abgegeben. Es findet entweder eine vorwärts gerichtete Aktivationsausbreitung (Humphreys et al., 1988; Caramazza, 1997) oder eine vor- und rückwärts gerichtete Ausbreitung statt (Dell 1986; Dell et al., 1997; Harley 1993a, Harley 1993b). Im Unterschied zu vorwärts-kaskadierenden Modellen verfügen interaktive Modelle über „Feed-Back“- Schleifen. Es hat zur Folge, dass Informationen einer höheren Verarbeitungsstufe Einfluss auf die Verarbeitung einer niedrigeren Stufe nehmen können. Aktivation breitet sich zwischen den Stufen „von oben nach unten“ (top-down) und „von unten nach oben“ (bottom-up) aus.

1.1 Aufbau der Arbeit und Zielsetzung

Werden die lexikalischen Einheiten in einem Wettbewerb ausgewählt, bei dem alle aktivierten Einheiten um die Auswahl konkurrieren (Roelofs, 1992, 1997; Levelt et al., 1999) oder üben Aktivationsniveaus der Konkurrenten keinen Einfluss auf die lexikalische Auswahl, da nur solche Einheiten ausgewählt werden, die das höchste Aktivationsniveau erreichen (Finkbeiner & Caramazza, 2006; Mahon et al., 2007; Mahon & Caramazza, 2009; Miozzo & Caramazza, 2003)?

Diese Arbeit gliedert sich in neun Abschnitte. Zunächst soll ein Überblick auf den Forschungsstand gegeben werden. Dazu sollen die Modelle von Levelt et al. (1999), Caramazza (1997) und Dell (1986) behandelt werden. Kapitel 2 behandelt den Einfluss von Ablenkerwörtern auf das Benennen von Bildern. Hierbei werden die unterschiedlichsten Ansätze, die derzeitig für die Erklärung des semantischen Interferenzeffektes zur Verfügung stehen, vorgestellt. In Kapitel 4 soll dem Sitz und der Funktionsweise des semantischen Interferenzeffektes nachgegangen werden. Gefragt werden soll, auf welcher Stufe der Sprachverarbeitung der semantische Interferenzeffekt auftritt und wie der Effekt funktioniert. In Betracht gezogen werden Ansätze, die den semantischen Interferenzeffekt auf einer konzeptuellen Ebene, einer lexikalischen Ebene oder einer post-lexikalischen Ebene ansiedeln.

Die Kapitel 5 bis 9 beinhalten die Beschreibung, Auswertung und Diskussion eines Experimentes, das im Juni 2010 an der Humboldt-Universität durchgeführt wurde. Hierbei sollten die Probanden Bilder von unbelebten Objekten benennen, während sie zusätzlich dargebotene Ablenkerwörter ignorieren sollten. In Kapitel 5 sollen die Hypothesen, die zu der Konzeption des Experimentes beigetragen haben, erläutert werden. Kapitel 6 behandelt die experimentelle Methode. Hier sollen Erläuterungen zum Design, zum Stimulusmaterial, zur Durchführung, zu den Probanden und zu den Richtlinien erfolgen. Die Kapitel 7 und 8 behandeln die Auswertung der Daten und die Diskussion der Ergebnisse. Der Ausblick in Kapitel 9 schließt die Arbeit ab.

2 Modelle des lexikalischen Zugriffs

2.1 Der lexikalische Zugriff nach Levelt et al. (1999)

Der von Levelt (1989), Roelofs (1992), Jescheniak & Levelt (1994) und Levelt et al. (1999) entwickelte Ansatz beschreibt den Prozess der Sprachproduktion in seinem vollen Umfang von der konzeptuellen Planung bis zur Artikulation.

Levelt et al. (1999) nehmen folgende Teilprozesse der Sprachproduktion an:

konzeptuelle Planung

lexikalische Auswahl

morphologische Enkodierung

phonologische Enkodierung und Syllabifizierung phonetische Enkodierung

Artikulation

Die erste Prozessstufe der Sprachproduktion besteht in der konzeptuellen Planung einer Äußerung (conceptual preparation). Auf der konzeptuellen Ebene werden die Konzepte bzw. die Sinneinheiten, die zur Produktion benötigt werden, ausgewählt. Das Ergebnis dieser Prozessstufe bilden „lexikalische Konzepte“, die anschließend in die lexikalische Auswahl auf der Lemma-Ebene eingehen (lexical selection). Auf der Lemma-Ebene werden syntaktisch spezifizierte Einheiten („Lemmata“), die mit den einzelnen „lexikalischen Konzepten“ verbunden sind, abgerufen. Als Nächstes setzen Prozesse zur morphologischen und phonologischen Enkodierung ein (word form retrieval). Es erfolgt der Zugriff auf „Morpheme“, die in „phonologische Wörter“ (syallabification) und „phonetische Gesten“ (phonetic encoding) übergehen. Zum Abschluss kann die Artikulation erfolgen (siehe Abbildung 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Schematische Darstellung des diskret-seriellen Lexikalisierungsprozesses:

Die lexikalische Auswahl vollzieht sich über zwei Stufen. Anschließend erfolgt die WortformEnkodierung über drei Stufen (nach Levelt, 2001, S.13465)

Der Zugang auf das Lexikon umfasst nach diesem Modelltyp zwei Schritte, da die syntaktisch spezifizierten („Lemmata“) und phonologisch spezifizierten Einheiten („Lexeme“) nacheinander abgerufen werden. Der erste Schritt umfasst den Zugriff auf die syntaktische Ebene, auf der die verschiedenen Lemmata sitzen. Der zweite Schritt umfasst den Zugriff auf die Ebene der Wortformen, auf der sich die Lexeme befinden. Es ist ein diskret-seriell gerichteter Lexikalisierungsprozess, da sich die Aktivation ausschließlich „von oben nach unten“ ausbreitet (Levelt, 1989).

Roelofs (1992) und Levelt et al. (1999) betrachten das Lexikon als eine Art Netzwerk, in dem sich Aktivation über drei Ebenen ausbreitet. Die oberste Schicht des Netzwerkes bildet die konzeptuelle Ebene. Es folgen die syntaktische Ebene und eine Ebene der Wortformen. Auf den einzelnen Ebenen lagern sich Knoten an, die miteinander verbunden sind und spezifische Funktionen erfüllen. Die Aktivation breitet sich „von oben nach unten“ aus. Zudem kann Aktivation von der mittleren Ebene auch zurück an die oberste Ebene fließen, während sie aber zwischen der mittleren und der untersten Ebene nur „von oben nach unten“ fließen kann. Es ist ein diskret-serieller Lexikalisierungsprozess (Schriefers et al., 1990; Levelt et al., 1999).

Es wird angenommen, dass Konzepte als Ganzes gespeichert bzw. repräsentiert werden. Jedes Konzept erhält somit seinen eigenen Knoten. Zwischen den Knoten bestehen unterschiedliche Typen an Verbindungen, die das Beziehungsgefüge der miteinander verbundenen Knoten spezifizieren (Collins & Loftus, 1975). Die Menge aller Konzepte, die mit einem bestimmten lexikalischen Konzept verbunden sind, tragen zu der Bestimmung der Bedeutung von diesem Konzept bei (Levelt et al., 1999).

“A word’s meaning or, more precisely, sense is represented by the total of the lexical concept’s labeled links to other concept nodes.” (Levelt et al., 1999, S.6)

Nachdem ein bestimmtes Konzept aktiviert wird, breitet sich Aktivation an die mit dem Konzept verbundenen Konzepte aus. Solche verbundenen Konzepte können die semantischen Eigenschaften näher spezifizieren oder semantisch strukturelle Beziehungen mit dem ursprünglich aktivierten Konzept eingehen. Zudem siedeln sich eine Vielzahl von Konzepten auf verschiedenen Ebenen der Spezifikation an (Rosch, 1973, 1975). Beispielsweise lassen sich Dinge und Objekte, sowohl auf einer Basis-Ebene der Spezifikation (z.B. „Säge“), einer übergeordneten Ebene der Spezifikation („Werkzeuge“) oder auch einer untergeordneten Ebene („Drahtsäge“) der Spezifikation benennen.

Aktivierte lexikalische Konzepte geben ihre Aktivation auf die syntaktische Ebene weiter. Hier erfolgt der Zugriff auf abstrakte syntaktische Einheiten („Lemmata“), die mit den konzeptuellen Einheiten verbunden sind. Es ist die erste Prozessstufe der Lexikalisierung. Sobald das Aktivationsniveau eines Lemmas die Aktivation der Wettbewerber übersteigt, wird es für die zweite Prozessstufe freigegeben.

“The basic idea is that, for any smallest time interval, given that the selection conditions are satisfied, the selection probability of a lemma node equals the ratio of its activation to that of all the other lemma nodes (the “Luce ratio”).” (Levelt et al., 1999, S.9)

Neben den Lemma-Knoten, die mit ihren Konzept-Knoten verbunden sind, siedeln sich Knoten zur Spezifizierung syntaktischer Merkmale (wie der Wortart und dem grammatischen Genus) an. Außerdem siedeln sich Knoten zur Spezifizierung von kontextsensitiven, diakritischen Parametern (wie Person und Numerus) an. Diese Parameter werden über grammatische Kodierungsprozesse festgelegt.

Die unterste Ebene („Form-Ebene“) enthält Morphem- und Segment-Knoten, die mit den Lemma-Knoten verbunden sind. Der Zugriff auf die unterste Ebene kann aber nur dann stattfinden, nachdem sich die lexikalische Auswahl vollzogen hat. So postulieren Levelt et al., dass nur solche Lemmata morphologisch enkodiert werden können, die zuvor lexikalisch ausgewählt wurden. Hierbei handelt es sich um die zweite Prozessstufe der Lexikalisierung. Die morphologische Enkodierung schließt die Erzeugung der morphologischen Form, der metrischen Beschaffenheit und der segmentalen Zusammensetzung von Wörtern ein.

“Crossing the rift is not an entirely trivial matter. The tip-of-the tongue phenomenon is precisely the momentary inability to retrieve the word form, given a selected lemma. Levelt (1989) predicted that in a tip-of-the tongue state the word’s syntactic features should be available in spite of the blockage, because they are lemma properties.” (Levelt et al., 1999, S.4)

Die phonetische Enkodierung bildet die letzte Stufe der Wortform-Enkodierung. Sie bereitet den Zugriff auf die sprechmotorischen Programme vor. Dabei werden zwei verschiedene Verarbeitungswege angenommen. Hoch-frequente Silben werden als Ganzes in einem Silbenlexikon gespeichert („silbische Route“), während niedrig- frequente Silben aus kleineren Einheiten zusammengefügt werden („segmentale Route“).

Welche Prozesse werden bei der Benennung von Bildern durchlaufen?

Nach der visuellen Analyse des Stimulus wird das passendste lexikalische Konzept aktiviert. Die Aktivation breitet sich zugleich zu anderen konzeptuellen Knoten aus, nämlich solchen Knoten, die mit dem zuerst aktivierten Knoten eine semantische Beziehung aufweisen. Hier können auch syntaktische Faktoren eine Rolle spielen. So nehmen Levelt et al. (1999) an, dass solche Konzepte bevorzugt werden, die derselben grammatischen Wortklasse entstammen.

Das zuerst aktivierte Konzept weist das höchste Aktivationsniveau auf. Es gibt aber nur einen Teil an die konkurrierenden Konzepte ab. Zudem breitet sich Aktivation auf die syntaktische Ebene aus. Das Lemma, das mit dem ursprünglich aktivierten Konzept verbunden ist, erhält die höchste Aktivation, semantisch konkurrierende Lemmata erhalten weniger Aktivation. Sobald ein Lemma aktiviert wird, aktiviert es außerdem Knoten, die syntaktische Eigenschaften beschreiben. Die syntaktischen Informationen tauchen somit zu einem frühen Zeitpunkt der Lexikalisierung auf. Nachdem das Ziel-Lemma ausgewählt wird, kann die morphologische Enkodierung stattfinden. Zu diesem Zeitpunkt stehen die morphologischen Angaben, metrische Strukturen (Betonung und Anzahl der Silben) sowie segmentale Informationen (Reihenfolge und Anzahl der Segmente) zur Verfügung. Nach der Erstellung eines phonetischen Plans kann das Objekt schließlich benannt werden.

2.2 Der lexikalische Zugriff nach Caramazza (1997)

Das unabhängige Netzwerkmodell („Independent Network Model“) von Caramazza (1997) basiert auf der Idee, dass sich das Lexikon über mehrere unabhängige Netzwerke organisiert, die jeweils über modalitäts-spezifische lexikalische Knoten verbunden sind. Der Fluss der Aktivation verläuft hierbei kaskadenartig „von oben nach unten“, wobei sich der vollständige Zugriff auf das Lexikon als zweistufiger Prozess vollzieht. Die erste Stufe besteht in der Auswahl von semantisch und syntaktisch spezifizierten lexikalischen Formen. Demgegenüber umfasst die zweite Stufe die Auswahl von phonologischen bzw. orthographischen Inhalten.

In dem lexikalisch-semantischen Netzwerk werden Wortbedeutungen als Bündel semantischer Merkmale repräsentiert und organisiert. Demgegenüber werden in dem lexikalisch-syntaktischen Netzwerk syntaktische Eigenschaften von Wörtern repräsentiert. Neben dem syntaktischen und dem semantischen Netzwerk existieren ein phonologisches und ein orthographisches Netzwerk. Diese enthalten modalitäts-spezifische lexikalische Repräsentationen (siehe Abbildung 2).

Die Knoten des syntaktischen Netzwerkes werden in Sub-Netzwerken organisiert. So gibt es ein Sub-Netzwerk, das Knoten der Wortklasse (Verb, Nomen etc.), und auch ein Sub-Netzwerk, das Knoten des Geschlechts (männlich, weiblich) enthält. Die Knoten innerhalb der einzelnen Sub-Netzwerke stehen in einem Wettbewerb und können sich gegenseitig in ihrer Aktivation hemmen. Wird der Knoten für die Wortklasse „Nomen“ ausgewählt, so werden die Knoten aller anderen Wortarten gehemmt.

Zu Beginn des Produktionsprozesses werden semantische Repräsentationen aus dem semantischen Netzwerk ausgewählt, die Aktivation auf das phonologische und das orthographische Netzwerk geben. Zudem erfolgt die schwache Aktivierung syntaktischer Merkmale im syntaktischen Netzwerk. Nach der Auswahl modalitäts- spezifischer Lexeme werden phonologische bzw. orthographische Eigenschaften aktiviert. Die Auswahl phonologischer bzw. orthographischer Eigenschaften beruht aber nicht auf der Auswahl der syntaktischen Eigenschaften, da das syntaktische Netzwerk nur schwache Aktivation erhält. Somit können auf phonologische und orthographische Eigenschaften von Wörtern auch dann zugegriffen werden, wenn die syntaktischen Eigenschaften nicht zur Verfügung stehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Das unabhängige Netzwerkmodell nach Caramazza (1997, S.197)

Miozzo & Caramazza (1997b) und Caramazza & Miozzo (1997) untersuchten, ob Probanden, die nicht in der Lage waren, Bilder zu benennen oder Definitionen zu geben, das grammatische Geschlecht der Zielwörter bestimmen konnten oder ob ihnen Informationen über die phonologische Form der Zielwörter zugänglich waren. Es zeigte sich hierbei, dass die Probanden mit einer überzufälligen Häufigkeit in den TOT-Zuständen richtige Aussagen über phonologische als auch syntaktische Eigenschaften der Zielwörter machten und die Angaben zu den phonologischen und syntaktischen Eigenschaften nicht miteinander korrelierten. Dies bestätigte, dass phonologische Eigenschaften unabhängig von syntaktischen Eigenschaften zur Verfügung stehen können.

Weisen die einzelnen Netzwerke Beschädigungen auf, können semantische Fehler auftreten. Dies ergibt sich aus der Annahme dekompositioneller Wortbedeutungen, da lexikalisch-semantische Repräsentationen ihre Aktivation parallel auch an all die Lexeme geben, die semantische Merkmale mit den Zielwörtern gemeinsam haben.

Auf diese Weise entstehen Kohorten von aktivierten Lexemen über eine Menge von Wörtern, die semantische Eigenschaften teilen. Bei Beschädigungen einzelner Netzwerke oder Beschädigungen der Verbindungen werden Lexeme gewählt, die am höchsten aktiviert sind, und das sind zumeist solche Lexeme, die semantische Eigenschaften mit den Zielwörtern teilen (Caramazza, 1997).

“A consequence of these assumptions is that under normal circumstances the cohort of activated lexemes is defined semantically— all the entries that share semantic features. In the eventuality of a problem in accessing the target lexeme, either because of damage directly at the lexeme level or because of damage to the connections from the semantic network to the lexeme level, the lexeme with the highest activation will be selected. This lexeme has a high probability of being semantically related to the target response.” (Caramazza, 1997, S.198)

Das Modell liefert auch die Erklärung von kontrastierenden semantischen Fehlern zwischen der schriftlichen und mündlichen Sprachproduktion gehirngeschädigter Patienten. Aufgrund der Annahme, dass Beschädigungen der P- und der O-Form- Netzwerke den Zugriff auf die benötigten Lexeme verzögern, wird das am höchsten aktivierte Lexem in jedem der Netzwerke produziert. Ausgewählte Lexeme sind semantisch mit den Zielwörtern verwandt, da aber beide Netzwerke unabhängig voneinander sind, müssen die am höchsten aktivierten Lexeme beider Netzwerke nicht miteinander übereinstimmen.

Beim Benennen von Bildern werden neben den semantischen Repräsentationen der Zielwörter auch semantisch verwandte Repräsentationen aktiviert. Daraufhin fließt Aktivation an das Netzwerk der phonologischen Output-Lexeme. Hier werden die phonologisch-segmentalen Informationen aktiviert und ausgewählt, so dass die Benennung der Bilder erfolgen kann.

2.3 Der lexikalische Zugriff nach Dell (1986)

In dem Modell von Dell (1986) und Dell et al. (1997) geben alle von der semantischen Ebene aktivierten Einträge ihre Aktivation nicht nur sofort an die Lemma-Ebene weiter, sondern auch an die Phonem-Ebene. Hinzu kommt, dass Aktivation nicht nur von der obersten Ebene zu den untergeordneten Ebenen fließt, sondern mit Hilfe eines „Feed-Back“ - Mechanismus auch wieder zurück. Es ist ein interaktives Modell der Aktivationsausbreitung in einem lexikalischen Netzwerk.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Das Lexikon nach Dell et al. (1997, S.805)

Das Lexikon verfügt über drei verschiedene Ebenen. Die oberste Ebene bildet die Wortbedeutungen ab. Die mittlere Ebene bildet die Wortformen ab und die unterste Ebene bildet die phonologischen Segmente ab (siehe Abbildung 3). Semantische Repräsentationen sind sowohl mit ihren Wortformen als auch den phonologischen Segmenten verbunden. Die Aktivation breitet sich „bi-direktional“ aus, so dass sie ungehindert und in alle Richtungen fließen kann. In den Modellen von Stemberger (1985) und Harley (1993) sind zudem hemmende Verbindungen vorgesehen. Die Wirkung dieser Verbindungen besteht darin, dass Knoten bei anderen Knoten das Absinken der Aktivation erwirken können.

Wortbedeutungen werden in Form von semantischen Merkmalen repräsentiert. Sie ergeben sich somit aus der Gesamtheit aller Merkmale über die sie verfügen und aus denen sie zusammengesetzt werden. Nach der visuellen Analyse eines Bildes erfolgt die Aktivation der semantischen Merkmale, die den semantischen Eintrag bilden. Darauf werden all diejenigen Einheiten der Lemma-Ebene aktiviert, die mit den einzelnen semantischen Merkmalen verbunden sind. Es werden die Zielwörter aber auch semantisch verwandte Konkurrenten aktiviert. Da die Aktivation auch auf die Phonem-Ebene fließt und von dort auch wieder zurück fließt, werden außerdem phonologische Konkurrenten aktiviert. Semantische und phonologische Aspekte üben somit einen ständigen Einfluss auf die Produktion. Die Zielwörter erhalten das höchste Ausmaß an Aktivation, da sie von allen aktivierten Einträgen die höchste Anzahl von semantischen Merkmalen mit dem zuerst aktivierten Konzept teilen.

Der am höchsten aktivierte Knoten wird ausgewählt und mit einem syntaktischen Rahmen verknüpft bzw. in ihn eingesetzt. Ein zusätzlicher Aktivationsimpuls gibt die Zielwörter zur phonologischen Enkodierung und Artikulation frei. Dies stellt die zweite Prozessstufe der lexikalischen Verarbeitung dar.

Das Hauptanliegen von Dell (1986) besteht darin, Sprechfehler gehirngeschädigter und sprachgesunder Sprecher zu erklären. Somit entstehen semantische Fehler dadurch, dass die Konzepte von zwei Wörtern semantische Merkmale teilen. Die gemeinsamen semantischen Knoten aktivieren die Zielwörter und die Konkurrenten auf der Lemma-Ebene. Konkurrenten werden hierbei fälschlicherweise ausgewählt und aktivieren Knoten auf der Phonem-Ebene. Lexikalische Fehler entstehen dann, wenn durch den phonologischen Zugriff solche Konkurrenten auf der Lemma- Ebene ausgewählt werden, die gemeinsame Phoneme mit den Zielwörtern teilen. Dies geschieht, da die Zielwörter von der Phonem-Ebene „Feed-Back“ - Aktivation an die Konkurrenten der Lemma-Ebene geben. Gemischte Fehler entstehen in dem Zusammenspiel von „Top-Down“ - Prozessen und „Bottom-Up“ - Prozessen. Die Konkurrenten, die den Zielwörtern sowohl semantisch als auch phonologisch ähnlich sind, erhalten Aktivation durch phonologische und semantische Knoten. Dadurch ist das Auftreten gemischter Fehler wahrscheinlicher als das Auftreten semantischer oder lexikalischer Fehler. Weiterhin können Fehler durch Lärm im System entstehen. Entweder entstehen sie durch den fehlerhaften Zugriff auf die Lemma-Ebene oder korrekt ausgewählte Zielwörter werden beim phonologischen Zugriff so stark verändert, dass sie nicht mehr erkennbar sind.

3 Die Bild-Wort-(Interferenz)-Aufgabe

Teilnehmer der Bild-Wort-Aufgabe (picture-word interference task) müssen Namen von verschiedenen Bildern benennen, während sie zusätzlich dargebotene Wörter ignorieren sollen. Die Abwandlungen des Aufgabentypus bestehen beispielsweise darin, Bilder oder Wörter zu kategorisieren (categorization task), eine lexikalische Entscheidung (lexical decision task) oder eine Genusentscheidung (genus decision task) zu treffen. Hierbei zeigt einer der wichtigsten Befunde, dass die Benennzeiten der Bilder ansteigen, wenn sie zusammen mit den Wörtern dargeboten werden und absinken, wenn sie allein dargeboten werden (Glaser & Glaser, 1989).

Schriefers et al. (1990) haben nachgewiesen, dass semantisch manipulierte und phonologisch manipulierte Ablenker einen unterschiedlichen Zeitverlauf bei der Bild-Wort-Aufgabe besitzen. Die Ergebnisse ihrer Experimente wurden als Hinweis auf einen seriell ausgerichteten Lexikalisierungsprozess interpretiert, der sich über zwei Stufen vollzieht. Während semantisch verwandte Ablenker die Benennzeiten verlängern, werden sie durch phonologisch verwandte Ablenker verkürzt.

In Experiment 3 verwendeten Schriefers et al. eine Rekognitionsaufgabe, bei der Probanden über Tastendruck Bilder als „alt” oder „neu” zu klassifizieren hatten. Weil der semantische Interferenzeffekt bei dieser Aufgabe nicht auftrat, nahmen die Autoren an, dass der Effekt nicht auf der konzeptuellen Ebene anzusiedeln sei. Würde der semantische Interferenzeffekt an die Auswahl oder an die Aktivation von den Einheiten der lexikalischen Ebene gebunden sein, so sollte er bei diesem Aufgabentypus verschwinden. Würde sich der semantische Interferenzeffekt auf der konzeptuellen Ebene ansiedeln, müsste er hingegen auftreten. Weil dies aber nicht beobachtet werden konnte, postulierten die Autoren, dass Interferenz auf einer lexikalischen Ebene zu finden sei.

Eine wesentliche Annahme des seriell ausgerichteten Lexikalisierungsprozesses besteht darin, dass Lemmata nur dann phonologisch aktiviert werden, wenn sie zuvor lexikalisch ausgewählt wurden. Um diese Annahme zu überprüfen, koppelten Levelt et al. (1991) eine Bildbenennungsaufgabe mit einer lexikalischen Entscheidungsaufgabe. Hierbei wurden Probanden aufgefordert, eine lexikalische Entscheidung über einen auditiv dargebotenen Reiz zu treffen. Der auditive Reiz wurde entweder mit einer SOA = +73 ms, einer SOA = +373 ms oder einer SOA = +673 ms dargeboten. Sofern die Zielwörter (z.B. „muziek“ [dt. Musik]) und Bilder („radio“ [dt. Radio]) eine semantische Verwandtschaft aufwiesen, ergaben sich für die SOA = +73 ms verlängerte Reaktionszeiten, was als Hinweis für die Aktivation der semantischen Konkurrenten gewertet wurde. Dass verlängerte Reaktionszeiten auch dann nachgewiesen werden konnten, wenn die Zielwörter („radar“ [dt. Radar]) und Bilder phonologisch verwandt waren, wurde als Hinweis für die phonologische Aktivation der Konkurrenten gewertet. Schließlich wurden Zielwörter („museum“ [dt. Museum]) dargeboten, die phonologisch mit semantischen Konkurrenten der Bilder verwandt waren. Dies übte keinen Einfluss auf die Reaktionszeiten aus und wurde als Hinweis dafür gewertet, dass nur ausgewählte Lemmata phonologisch aktiviert werden (Levelt et al., 1991).

Verlängerte Reaktionszeiten bei einer SOA = +73 ms für phonologisch verwandte und semantisch verwandte Zielwörter scheinen zunächst problematisch für diskret- serielle Modelle zu sein, da diese Effekte nicht zur selben SOA auftreten dürften. Gegen interaktive Modelle spricht allerdings die Abwesenheit semantischer Effekte bei der SOA = +373 ms und der SOA = +673 ms. Gegen vorwärts-kaskadierende Modelle spricht, dass die phonologische Aktivation der semantischen Konkurrenten nicht nachgewiesen werden konnte. Dell & O’Seaghda (1991,1992) argumentieren hingegen, dass die phonologische Aktivation der semantischen Konkurrenten zu gering gewesen ist, um sie innerhalb des Experimentes messen zu können. Levelt et al. (1999) postulieren demgegenüber, dass in einigen Fällen auch mehrere Lemmata ausgewählt werden können. Es ist aber nur gegeben, wenn sich zwei Konzepte so nahe stehen, dass sich die Bedeutungen nahezu überschneiden, so wie es beispielsweise bei Synonymen der Fall ist. So konnte Jescheniak (2002) bei der Bild-Wort-Aufgabe zeigen, dass Synonyme der Zielwörter ebenfalls lexikalisch ausgewählt werden können.

Die Ablenker in der Bild-Wort-Aufgabe lassen sich auf vielfältige Weise semantisch manipulieren. Zumeist zeigt sich jedoch, dass nur die Manipulation innerhalb einer semantischen Kategorie („Hund“ - „Katze“) den Interferenzeffekt auslöst (Lupker, 1979; Costa et al., 2005; Mahon et al., 2007).

Lupker (1979) konzipierte eine Reihe von Experimenten, bei denen die assoziative Stärke („church“ - „priest“ VS „church“ - „library“) sowie der Grad der Typikalität („nurse“ - „teacher“ VS „nurse“ - „painter“) manipuliert wurden. Hierbei zeigte sich, dass weder die Manipulation der assoziativen Stärke noch die Manipulation der Typikalität den semantischen Interferenzeffekt herbeiführen konnten.

Weil die assoziative Stärke nicht dazu beitrug, den semantischen Interferenzeffekt auszulösen, schlussfolgerte Lupker (1979), dass die Manipulation der assoziativen Stärke keinen funktionalen Einfluss bei der Bild-Wort-Aufgabe ausübt. Umgekehrt führte Lupker (1979) das Beispiel der lexikalischen Entscheidungsaufgabe an, bei der assoziativ gebildete Stimuli einen signifikanten Einfluss auf die Benennzeiten nahmen (Meyer & Schvaneveldt, 1971). Um den Einfluss der assoziativen Stärke genauer zu studieren, konzipierte Lupker (1979) ein Experiment, bei dem er die assoziative Stärke innerhalb einer semantischen Kategorie manipulierte („tiger“ - „lion“ VS „tiger“ - „bear“). Doch auch hierbei übte die assoziative Stärke keinen Einfluss auf die Benennzeiten aus. Stark und schwach assoziierte Ablenker lösten dasselbe Ausmaß an Interferenz aus. Danach verwendete Lupker (1979) typische und atypische Mitglieder einer semantischen Kategorie als Ablenker. So lässt sich nach Rosch (1973, 1975) die „semantischen Nähe“ zwischen den Mitgliedern einer semantischen Kategorie nach Typikalitätskriterien bemessen, weil semantische Kategorien über zentrale Repräsentationen verfügen, die den typischsten Vertreter einer Kategorie bzw. „Kernbedeutungen“ abbilden. Die semantische Nähe lässt sich nach diesem Ansatz als Nähe zum typischsten Vertreter einer semantischen Kategorie manipulieren. Das Experiment von Lupker (1979) zeigte jedoch, dass typische und atypische Ablenker dasselbe Ausmaß an Interferenz aufwiesen und die Manipulation der Typikalität keinen Einfluss auf die Benennzeiten brachte.

Im abschließenden Experiment überprüfte Lupker die Erklärung von Klein (1964) zum Ursprung der Interferenz in der Stroop-Aufgabe als eine mögliche Erklärung des semantischen Interferenzeffektes in der Bild-Wort-Aufgabe. Bei der Stroop- Aufgabe konkurrieren Farbwörter und die Farben, in denen die Wörter dargeboten werden (Stroop, 1935). Klein (1964) nahm an, dass zur Benennung der Farbwörter die Namen der Farben erst unterdrückt und aus dem Ausgabekanal (single motor- output channel) entfernt werden müssen. Hierbei üben Kriterien zur semantischen Relevanz einen Einfluss. Der Interferenzeffekt sollte demnach bei der Darbietung von nicht relevanten Wörtern sinken, also Wörtern, die keine Farben bezeichnen oder wenn sie Farben bezeichnen, nicht in derselben Farbe dargeboten werden (Klein, 1964). Um diese Erklärung zu überprüfen, verwendete Lupker konkrete und abstrakte Nomen als Ablenker („bed“ - „automobile“ VS „bed“ - „answer“). Wenn die Bildhaftigkeit der Ablenker einen Einfluss auf den Interferenzeffekt nimmt, dann sollten abstrakte Nomen viel weniger Interferenz als konkrete Nomen verursachen. Abstrakte Nomen lassen sich nicht als Bilder darstellen und scheiden als mögliche Antworten aus. Würde das Kriterium von Klein (1964) aber keinen Einfluss in der Bild-Wort-Aufgabe üben, dann müssten die beiden Ablenker dasselbe Ausmaß an Interferenz ausüben. Tatsächlich übten abstrakte Nomen weniger Interferenz als konkrete Nomen aus (Lupker, 1979).

Die lexikalische Wettbewerbshypothese (Roelofs, 1992) besagt, dass semantische Interferenz auf der Lemma-Ebene und damit auf den Prozess zur Lemma-Auswahl wirkt. Der semantische Interferenzeffekt ergibt sich daraus, dass das Lemma des Ablenkers mehr Aktivation durch das Bild, als das Lemma des Bildes durch den Ablenker erhält. Semantische Interferenz entsteht demnach als Folge davon, dass die lexikalischen Repräsentationen der Bilder und der Ablenker in den Wettbewerb zur lexikalischen Auswahl treten. Das Ausmaß der Aktivation steigt an, da sich die miteinander verbundenen Konzepte gegenseitig unter Aktivation setzen (Roelofs, 1992, 2003).

„The inhibition is the outcome of a trade-off between the priming of the distractor lemma node by the picture and the priming of the target lemma node by the dictractor word.” (Roelofs, 1992, S.121)

Dem Mechanismus liegt die Annahme zugrunde, dass sich die konzeptuellen Repräsentationen der Bilder und der Ablenker gegenseitig unter Aktivation setzen, aber aufgrund der Distanzen, die zur Ausbreitung der Aktivation überbrückt werden müssen, der Lemma-Knoten des Ablenkers stärkere Aktivation als der Lemma- Knoten des Bildes erhält. Dies geschieht aber nur dann, wenn die beiden Stimuli auf der konzeptuellen Ebene verbunden sind. Sind sie es nicht, so können sich die konzeptuellen Repräsentationen auch nicht gegenseitig aktivieren. Semantische Interferenz erfolgt, da die Aktivation des Ablenkers durch das Lemma des Bildes begünstigt wird.

[...]

Excerpt out of 80 pages

Details

Title
Semantische Interferenz - Ursprung und Wirkungsweise des semantischen Interferenzeffektes
College
Humboldt-University of Berlin  (Institut für deutsche Sprache und Linguistik)
Grade
1,3
Author
Year
2010
Pages
80
Catalog Number
V165360
ISBN (eBook)
9783640813797
File size
1009 KB
Language
German
Keywords
Psycholinguistik, Bildbenennung, Interferenzeffekt, Sprachproduktion
Quote paper
Matthias Süß (Author), 2010, Semantische Interferenz - Ursprung und Wirkungsweise des semantischen Interferenzeffektes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/165360

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