Komik in der Kinderliteratur - Eine Betrachtung des Komischen im "Struwwelpeter" und in "Max und Moritz"


Examensarbeit, 2010

70 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

I. Einleitung

II. Die Komik
1. Wann finden Kinder etwas komisch?
2. Die Komik in Bild und Text
3. Komik und Pädagogik in der Kinderliteratur

III. Der Struwwelpeter
1. Der Struwwelpeter als komisch-didaktisches Kinderbuch
1.1 Sprachliche Besonderheiten im Struwwelpeter
2. Das eigentliche Titelblatt
3. Der Struwwelpeter - Der Titelheld
4. Die Geschichte vom bösen Friederich
5. Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug
6. Die Geschichte vom schwarzen Buben
7. Die Geschichte vom wilden Jäger
8. Die Geschichte vom Daumenlutscher
9. Die Geschichte vom Suppen-Kaspar
10. Die Geschichte vom Zappel-Philipp
11. Die Geschichte von Hans Guck-in-die-Luft
12. Die Geschichte vom fliegenden Robert
13. Zwischenfazit Struwwelpeter

IV. Wilhelm Busch - Max und Moritz
1. Max und Moritz - Eine Bubengeschichte in sieben Streichen
1.1 Sprachliche und gestalterische Besonderheiten bei Max und Moritz
2. Max und Moritz – das Vorwort
3. Erster Streich
4. Zweiter Streich
5. Dritter Streich
6. Vierter Streich
7. Fünfter Streich
8. Sechster Streich
9. Letzter Streich
10. Max und Moritz - der Schluß

V. Schlussbemerkungen

Literaturverzeichnis:

Abbildungsverzeichnis:

I. Einleitung

Sowohl Heinrich Hoffmanns Der Struwwelpeter als auch Buschs Bildergeschichte Max und Moritz zählen seit ihrem Erscheinen im 19. Jahrhundert nicht nur in Deutschland zu den beliebtesten Kinderbüchern. Ihre Geschichten erscheinen heute um einiges bekannter als Faust oder andere Klassiker der deutschen Literatur und so lassen sich ihre Auflagen mittlerweile ebenso wenig zählen wie ihre zahlreichen Parodien und Adaptionen.

Eine solche Beliebtheit ruft ebenso viele Kritiker hervor, welche die dargestellten Grausamkeiten als pädagogisch kontraproduktiv und gefährlich verurteilen. Dies wirft schließlich einige Fragen auf. Warum haben sich ausgerechnet diese beiden Werke etabliert und warum erfreuen sie auch heute noch Kinder, obwohl sie aus einer längst vergangen Zeit stammen?

Neben der Tradiertheit mit der Kinderbücher von Generation zu Generation weitergegeben werden, kann ein wesentlicher Bestandteil der Antwort auf diese Fragen sicherlich die Komik bilden, die in jenen in Erscheinung tritt und die dargestellten Grausamkeiten in den Hintergrund rücken lässt.

Gerade jüngere Kinder, die in einer von Regeln bestimmten Welt leben, erfreuen sich an dem normverletzenden Verhalten der Protagonisten. Da jedoch angenommen werden muss, dass Kinder durch ihre unterschiedliche Erfahrungswelt auch eine unterschiedliche Auffassung vom Komischen haben, soll hier zunächst untersucht werden, wann Kinder etwas komisch finden. Desweiteren soll betrachtet werden wie dieses in den Bildergeschichten übermittelt wird um den komischen Effekt auszulösen.

Im Hinblick auf die bereits erwähnte Kritik stellt sich zudem die Frage, ob ein pädagogisches Werk komisch sein kann oder ob ein komisches Werk auch pädagogisch wertvoll sein kann. Vielleicht bedingt das eine das andere sogar um das Interesse des Kindes zu wecken.

Im Anschluss folgt der Hauptteil dieser Arbeit. Hier werden schließlich die einzelnen Geschichten und Episoden der Werke Der Struwwelpeter und Max und Moritz auf die Rezeption ihrer Komik hin untersucht. Hierbei stellt sich insbesondere die Frage, welche Art von Komik hauptssächlich vorliegt und wodurch sie ausgelöst wird.

Für die vorliegende Arbeit wurde die 2009 von Reclam neuherausgegebene 1859 erschienene 28. Auflage mit dem Titel Der Struwwelpeter. Lustige Geschichten und drollige Bilder als Grundlage verwendet. Diese Version, des ansonsten für seine politisch riskanten Schriften bekannten Rütten&Loening Verlages, scheint mir abgesehen von der Schriftart und einigen behutsam modifizierten Zeichnungen, die heute gängigste Version des Kinderbuchklassikers zu sein.

Für Max und Moritz wurde die historisch-kritische Gesamtausgabe, die unter der Bearbeitung von Hans Ries 2002 erschien, zu Rate gezogen.

II. Die Komik

1. Wann finden Kinder etwas komisch?

Nach Neuß können neun komische Themengebiete gefunden werden, über die Kinder lachen können.[1] Die erste Kategorie stellt das Spiel mit der Sprache und deren Bedeutung dar. Hierunter fallen Wort- und Sprachspiele mit der Doppeldeutigkeit von Wörtern, aber auch Reime und Fäkalsprache.

Außerdem lachen Kinder über Konflikte, die durch besonders schlagfertige oder listige Antworten gelöst werden. Hierbei siegt meist das „Kleine“ überraschend über das „Große“.

Eng damit verbunden ist auch das Spiel mit den Erwartungshaltungen. In dieser häufig vorkommenden Kategorie tritt etwas Unerwartetes, Überraschendes anstelle des Erwarteten auf. Das Unerwartete verhält sich entgegen der Norm. Hierzu zählen Missverständnisse oder Verwechslungen.

Zu der vierten Kategorie zählt das Streiche spielen. Diese Streiche belustigen sowohl, wenn sie aktiv vom Kind selbst ausgeführt werden, als auch, wenn sie stellvertretend, wie im Beispiel von Max und Moritz, nacherlebt werden. Das Kind überschreitet hier die normativen Grenzen, die ihm im Alltag gesetzt werden.

Außerdem lachen Kinder über „heikle Themen“, die sie peinlich berühren und mit denen sie noch keine Erfahrungen haben. Als Beispiele können hier Sex aber auch Körpergeräusche sowie Wörter aus diesen Bereichen aufgeführt werden. Dies stellt auch eine Normbrechung dar, da diese „heiklen Themen“ von Erwachsenen als verpönt angesehen werden oder mit Heimlichkeit belegt werden und somit keine öffentlichen Themen sind.[2] Insbesondere durch diese Art von Humor versuchen sich Kinder an neue Themen heranzuwagen und sie für sich zu erschließen.

Auch die kleinen Unglücke anderer werden verlacht. Hierin kann ebenso ein kleiner Hang zum Grausamen, das komisch wirkt, bestehen. Es entsteht eine Schadenfreude beim Kind, wodurch ein anderer herabgesetzt werden soll. Das Ich erkennt die Normverletzung an und stellt die Norm wieder her. Es fühlt sich somit einem anderen gegenüber überlegen und eine Steigerung des Selbstwertgefühles findet statt.[3] Die Freude über die kleinen Unglücke scheint daher besonders groß zu sein, wenn die Leidtragenden Autoritätspersonen sind. Hierbei ist jedoch wichtig, dass die Unglücke keine realistisch schweren Folgen haben, so dass Mitleid mit dem Opfer entsteht. Die Folgen müssen demnach klein bleiben oder sie wirken wie im Struwwelpeter fiktiv und übertrieben. Diese Kategorie stellt schließlich die Hauptursache für das kindliche Lachen, insbesondere beim männlichen Geschlecht, dar.

Eine weitere Kategorie der kindlichen Komik ist die der Lebenslust und des Ideenreichtums. Hierzu zählen insbesondere der spielerische Humor und das Ausleben der Kreativität.

Außerdem scheinen Kinder besonders sensibel auf abnormes Aussehen, wie es beispielsweise bei der Hexe in Hänsel und Gretel zu finden ist, sowie auf merkwürdigen Klang und Gesang, zu reagieren.

Die letzte Kategorie stellt das Lachen über sich selbst da. Hierbei wird über eigene Dummheiten gelacht. Das Lachen wirkt hier erleichternd, dass nichts Schlimmes passiert ist und löst die innere Anspannung.

Zudem kann das Lachen auch als Reaktion „einer Befreiung von Fremdbestimmung, einengender Normen und Tabus“ angesehen werden.[4]

Es ist anzunehmen, dass Kinder leichter über kleine Regelwidrigkeiten lachen als Erwachsene, während ein Erwachsener beispielsweise von schlechtem Benehmen eher angewidert ist, verlachen jenes Kinder häufig. Das Verlachen ist gleichzeitig ein Zeichen dafür, dass eine Regelwidrigkeit stattfindet. Außerdem lachen Kinder oftmals bereits, wenn etwas komisch aussieht. In der Kinderliteratur wird dies ausgenutzt. Daher schildert sie häufig unschickliches Verhalten und zeigt viele bunte Bilder. Dennoch bestehen viele Parallelen zwischen Kinderlachen und Erwachsenlachen. In beiden Fällen scheint der Normbruch das hauptauslösende Moment des Komischen zu sein. Erwachsene lachen ebenso über Telefonstreiche im Radio, wie dies Kinder über ihre eigenen Telefonstreiche tun. Das grenzüberschreitende Element erweist sich also in beiden Fällen als gültig. Ein Unterschied kann jedoch in der Komplexität des Witzigen gefunden werden. Mit zunehmendem Alter scheint dieser subtiler zu werden. Auch scheint das Spektrum über was gelacht wird breiter zu werden, da nur Dinge, die sich mehr oder weniger in der Erfahrungswelt des Kindes befinden, wirklich komisch auf das Kind wirken können.

In den Kinderliteraturklassikern, die sich seit geraumer Zeit durchsetzen konnten, scheint jedoch nicht nur altersspezifische Komik enthalten zu sein. Es sind hier zum Teil auch Dinge dargestellt, die erst für einen erwachsenen Rezipienten komisch wirken. Dies kann zur Freude des Vorlesers beitragen, welche sich sogleich auf das Kind übertragen kann und sorgt damit für eine angenehme Atmosphäre, denn auch Kindern ist es sicherlich unangenehm alleine zu lachen. Wenn der Vorleser beispielsweise von den Grausamkeiten in Max und Moritz verschreckt wäre und sie ihn nicht erheitern würden, würde sich diese Stimmung auf das Kind übertragen. Aber im Falle Max und Moritz können die Streiche ebenfalls die Wunschvorstellungen eines Erwachsenen befriedigen, sei es nachträglich einem gemeinen Lehrer oder dem jetzigen Chef eins auszuwischen. Diese befreiende Komik ersetzt somit nicht nur das Wunschdenken des Kindes, sondern auch des Erwachsenen, der sich in bestimmten Normen seiner Lebenswelt gefangen oder unterdrückt fühlt.

2. Die Komik in Bild und Text

Die Zeichnungen der beiden Werke erscheinen karikierend und stellen damit das Geschehen oder Gegenstände übertrieben dar. Während Hoffmanns Zeichnungen mit Absicht dilettantisch wirken und sie zum Teil daher als fratzenhaft angesehen werden, sind die Zeichnungen Buschs, der Kunst in Düsseldorf, Antwerpen und München studierte, von künstlerischer Qualität. Aber auch hier sind die Zeichnungen auf die Konturen des Darzustellenden beschränkt. Dennoch oder gerade aufgrund der Einfachheit werden die besonderen Wesenszüge der Figuren meist auf den ersten Blick sichtbar.

Es lässt sich leicht eine „Gestaltkomik“ ausfindig machen, die allein schon in der Differenz der Nachahmung zum eigentlichen Gegenstand in der Realität gefunden werden kann.[5] Je interessanter dabei die Differenz zur Norm ist, desto größer ist der komische Effekt, zumindest solange die Wiedererkennung mit dem Realen noch bestehen bleibt und beziehungsweise oder neue Wiedererkennungen geschaffen werden (zum Beispiel durch Personifikation bei Tieren). Daher reicht es bei einer bestimmten Eigenschaft zu übertreiben um die Komik auszulösen. Auch bestimmte Charaktereigenschaften können durch ihre Betonung und die Reduktion anderer Züge hervorgehoben werden. Diese Konzentrierung auf einzelne Elemente kann zusätzlich im Text erfolgen und somit unterstützend wirken.

Zur Komik in Bildergeschichten kann außerdem die Überraschung beitragen, wenn diese durch die Bildabfolge ausgelöst wird.

In den uns hier vorliegenden Bildgeschichten Max und Moritz und der Struwwelpeter zeigt sich, dass sowohl Bilder nicht ohne Text als auch der Text ohne die entsprechenden Bilder ansprechend rezipiert werden können. Beides scheint abhängig voneinander zu sein, denn nur im Zusammenspiel der beiden Elemente entsteht die groteske Wirkung und die Situationskomik. Nach Schopenhauer zu urteilen, bedarf das Anschauliche im Gegensatz zum Abstrakten, dem Gedachten, keinen Denkprozess und somit keiner Bestätigung von außen. Damit kann dem Anschaulichen unzweifelhaft Recht gegeben werden. In einem hierin resultierenden Konflikt kann schließlich die Komik gefunden werden.[6] Daher sind im Text des Struwwelpeters häufig konkrete Hinweise zu finden, welche die Aufmerksamkeit auf die Zeichnung lenken sollen, um den Aufwand der Denkleistung zwischenzeitlich im Interesse der Komik einzusparen. Ebenso wie in Max und Moritz ist die Abfolge der Bilder hier nahezu filmähnlich.

Zwar kann beispielsweise in der Geschichte des Suppenkaspars anhand der Bilder das Geschehen erschlossen werden, doch nur durch die Verse können diese Bilder zusätzlich mit Informationen versehen werden. Ebenfalls kann der Text durch das Bild bestätigt werden. Doch stört es nicht, wenn „die Logik des Bildaufbaus der Logik der Geschichte widerspricht“.[7] Daher können einzelne Bildelemente, wie lachende Gesichter, trotz der Erwähnung von Trauer gefunden werden .

Die Verse machen zudem die Identifikation mit den Figuren möglich und bauen die Dynamik auf. Da es sich sowohl in Der Struwwelpeter als auch Max und Moritz um Paarreime handelt, wird zudem das Erraten des zweiten Reimwortes ermöglicht. Zusätzlich dient die Sprache häufig als distanzierender Kommentar, der das Mitleiden verhindern soll.[8] Erst dadurch kann die Komik, die in solchen Fällen beispielsweise in Schadenfreude besteht, ermöglicht werden.

Jedoch muss bemerkt werden, dass das Bild sowohl im Struwwelpeter als auch bei Max und Moritz dem Text in der Rezeption meist vorangeht.

3. Komik und Pädagogik in der Kinderliteratur

Im Gegensatz zur Erwachsenenliteratur wird Kinderliteratur nicht von der eigentlichen Zielgruppe, den Kindern selbst, gekauft. Eltern oder Verwandte wählen die Bücher für Kinder aus und entscheiden dabei unter anderem nach pädagogischen Kriterien, während das Komische womöglich eher im Interessengebiet der Kinder liegt. Bücher, die als erfolgreich gelten sollen, müssen daher sowohl Kindern als auch Eltern gefallen. Dies scheint auf Der Struwwelpeter und Max und Moritz zu zutreffen.

Hier finden, wie auch in anderen Kinderbüchern, Normverletzungen statt, um einerseits das Komische hervorzurufen, aber auch um eine pädagogische Wirkung zu erzielen. Dies würde Lipps widersprechen, der festgestellt hat, dass Komik nur wenig Didaktisches beinhalten kann.[9]

Im Beispiel des Struwwelpeters würde dies bedeuten, dass das Gefühl des Komischen der Katastrophe überwiegt und somit ein Lustgewinn stattfinden kann. Dem Kind ist es angenehm zu lachen, denn Lachen ist die „Erwartung von Wohlbefinden“ und wirkt zudem „gesundheitsfördernd“[10].

Dennoch wäre es möglich, dass es die pädagogischen Botschaften wahrnimmt. Wenn es sich über die Figuren erhebt, kennt es die dort verletzten Normen entweder schon und sie werden durch Wiederholung verfestigt, oder es erahnt die Moral, die hier geschildert wird im Verlauf der Erzählung. Die Normen können folglich durch die Beobachtung des Gegenteils erlernt werden. Daher ist auch der Aufbau der Geschichten meist gleich und ähnelt dem eines Dramas. Zunächst findet eine Einleitung statt. Eine Situation wird geschildert. Es ist hier meistens schon zu erkennen welcher Normbruch, begangen wird. Ebenso ist an dieser Stelle das Szenario noch realitätsnah. Schließlich kommt es durch einen oder mehrere Normbrüche zur Katastrophe. Durch den normwiderherstellenden Gegner findet gleichzeitig eine Bestrafung des regelwidrigen Verhaltens statt. Hier wird besonders im Struwwelpeter die Fiktivität durch phantastische Elemente betont. Die Bestrafung lässt dennoch die Konsequenzen von Zuwiderhandlungen beim Kind deutlich werden und erzeugt zugleich eine Angst vor dieser. Diese Angst kann als eine moralische Entwicklungsstufe angesehen werden. Zugleich könnte das erzeugte Lachen jedoch ebenfalls eine Befreiung von Angst darstellen und eine Distanz zu den übertriebenen Strafen aufbauen.

Doch scheint nach näherer Betrachtung im Struwwelpeter immer eine Balance zwischen dem erzieherischen Element und der Komik vorzuherrschen. Nur durch ein Gleichgewicht ist die Möglichkeit gegeben, dass die Folgen des Handelns sehr wohl erkannt werden aber ein komischer Effekt bleibt. Würde die Komik generell überwiegen bestünde die Gefahr, dass die Folgen des Dargestellten ins Nichts verkehrt werden. Dieser Ausgleich zwischen Grausamkeit und Komik wird mit einer abschließenden Strophe gefestigt, in der die Folgen geschildert werden und die Figur noch einmal verlacht werden kann. Allerdings sind die Meinungen hierzu ambivalent. Kritiker merken bereits seit 1852 (zum Beispiel im pädagogischen Jahresbericht für Deutschlands Volksschullehrer) an, dass dieses Bilderbuch „die Autorität des Erziehers untergrabe“ und „die Erfolge freundlicher Mahnungen wie ernsthafter Warnungen, Drohungen, ja sogar Strafen...“ vereiteln würden sowie den „guten Geschmack“ verderbe.[11] In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts hingegen wurde das angsteinflößende Element hervorgehoben und Der Struwwelpeter galt als Musterbeispiel der „schwarzen Pädagogik“.[12]

Steinlein hingegen sieht nur in einigen Geschichten das Lachgefühl überwiegen, durch welches die „Komik der Befreiung“ gegeben ist, die gleichzeitig „eine Befreiung vom Primat der pädagogischen Funktion einschließt“.[13] In anderen Geschichten ist seiner Meinung nach die Abschreckungspädagogik vorherrschend. Anders verhielte es sich hingegen bei Max und Moritz, weil hier die schwarze Pädagogik satirisch verwendet wird, indem die Erwachsenen zunächst gestraft werden. Eventuell ließe sich jedoch beides am besten unter dem Begriff schwarzer Humor charakterisieren, weil seine speziellen Merkmale des Grausamen, Makaberen und des Tabubruchs in den Geschichten anzutreffen sind.

Eine These könnte allerdings ebenso lauten, dass Kinder dadurch, dass die Figuren ihre normbrecherischen Wünsche ersatzweise ausleben, sie nicht mehr das Bedürfnis haben sich regelwidrig zu verhalten.

Denkbar wäre demnach, dass sich Kinder in die Figur hineinwünschen, die ihre Wünsche auslebt. Der Text und das Phantastische der Geschichte schaffen jedoch gleichzeitig eine Distanz zum Geschehen, weswegen die Kinder ihre Identifikationsfigur zugleich verlachen können. Damit können sie erkennen, dass sie sich selbst bei einem solchen regelwidrigen Verhalten verlachen würden. Dies wird von Hutchesons Komiktheorie unterstützt, in der niemand „Objekt des Lachens oder des Spotts“ sein möchte.[14] Folglich müssten sie zunächst auch das fehlerhafte Verhalten als solches Erkennen können. Somit könnte der Komik eine pädagogische Wirkung zukommen.

Auch die Tatsache, dass Parallelen im Aufbau der Moraldidaktik und des Komischen gefunden werden können, unterstützt die These, dass beide erfolgreich nebeneinander existieren können. Beim Kind wird zunächst eine Situation der Forderung mit dem Geschehen und dem in Wirklichkeit richtigen Handeln geschaffen, eine Verblüffung erzeugt, wie sich das Geschehen durch den Normbruch auflöst und schließlich wird der komische Effekt ausgelöst.[15] Daher muss sich beides nicht gegenseitig ausschließen und Didaktik und Komik können koexistieren. Die Ernsthaftigkeit der Geschichten hätte somit durchaus eine Wirkung auf das lachende Kind. Die Freude des Kindes steigert zudem das Interesse am Buch. Durch sie wird die Aufmerksamkeit geweckt, die notwendig ist, um einen Lerneffekt erzielen zu können.

III. Der Struwwelpeter

1. Der Struwwelpeter als komisch-didaktisches Kinderbuch

Im Jahr 1845 erschien erstmals das von Dr. Heinrich Hoffmann verfasste Kinderbuch Der Struwwelpeter. Später wurde dieses Urmanuskript noch mit der gar traurigen Geschichte mit dem Feuerzeug und der Geschichte vom Zappel-Philipp (beide zweite Auflage) und den letzten beiden Geschichten Hans Guck-in-die-Luft sowie vom Fliegenden Robert (beide fünfte Auflage) ergänzt, so dass sich insgesamt die zehn Geschichten, welche Kinder noch heute erheitern, finden lassen.

Der Titelheld wechselte auf besonderen Wunsch der Kinder mit der dritten Auflage von der letzten auf die Titelseite. Ebenso ist in dieser erstmals die heutige Reihenfolge der Geschichten zu finden. Die Umstellung des Druckes 1858 nutze Hoffmann, um die Bilder vollständig zu bearbeiten.[16]

Der Frankfurter Kinderarzt und Psychiater Hoffman versuchte mit diesem Werk ein pädagogisch wertvolles Vers- und Bilderbuch zu erschaffen, da ihm die zeitgenössische Kinderliteratur nicht sonderlich kindgerecht schien. So kam es, dass er durch seine Arbeit als Kinderarzt die dilettantischen Zeichnungen anfertigte und sie mit einfachen Reimen versah, welche seine kleinen Patienten beruhigten und erfreuten. Worin jedoch die Begeisterung für gerade dieses Werk liegt, dass es zu einem solchen Klassiker wurde, lädt die Wissenschaft zu Spekulationen ein, denn der Erfolg läuft den Theorien der fortschrittlichen Pädagogik zuwider.[17]

Ebenso mag die Aussage Hoffmanns verblüffen, dass Kinder den Struwwelpeter zerstören können müssen, um damit einen normbrecherischen Akt wie ihn dessen Charaktere begehen, vollziehen zu können, da dies ein „kindlicher Entwicklungsgang“ ist, den es zu fördern gilt.[18]

Auch für einen Erwachsenen, der sich nur noch dunkel aber positiv aus seiner Kindheit an die Geschichten erinnert, scheint zunächst die Grausamkeit mit der Hoffmann seine Erzählungen versieht zu überraschen. Doch jene Grausamkeiten werden von Kindern nicht in dem gleichen Maße wahrgenommen. Es kann angenommen werden, dass diese in Ihrer Erfahrungswelt noch zu sehr von der Realität entfernt sind. Sie scheinen daher für sie um einiges übertriebener als für einen Erwachsenen, welcher vergleichbare Dinge aus der Wirklichkeit kennt. Zudem wird durch die naiven Zeichnungen, den Geschichten die Ernsthaftigkeit genommen.

Dennoch war Hoffmanns Anspruch nicht nur ein vergnügliches Kinderbuch zu erschaffen, sondern auch ein didaktisch wertvolles. Da Kinder insbesondere durch das Auge lernen, versuchte er mit dem Struwwelpeter einen Lerneffekt beim Kind zu erzeugen, indem er die Folgen des Unrechttuns abbildete, anstelle wie in bisherigen Kinderbüchern moralische Vorschriften und Mahnungen aufzuzählen.[19]

Insbesondere Kinder im Vorlesealter schenken diesen Zeichnungen große Beachtung, da sie durch diese den Text ‚mitlesen’ können. Daher handelt es sich bei dem Werk Der Struwwelpeter tatsächlich um lustige Geschichten und drollige Bilder mit 15 schön kolorierten Tafeln für Kinder von 3 - 6 Jahren, wie uns der Titel des Urmanuskriptes verrät, schließlich ist ein Kind bereits ab drei Jahren fähig Widersinniges zu erkennen.[20] Insbesondere das Adjektiv „drollig“ scheint hier auf den naiv-unschuldigen kindlichen Charakter hinzuweisen.[21]

Im naiv-kindlichen Charakter der Figuren in Der Struwwelpeter scheint auch der Grund der Normverletzungen, die sie begehen, zu liegen. Kinder können sich gut mit den Protagonisten des Bilderbuchs identifizieren, da sie so ihre geheimen normbrecherischen Wünsche ausleben können und das Außerhalb der Norm kennenlernen. In diesen Normverletzungen und ihrer Wiederherstellung kann sogleich das Komische gefunden werden.

1.1 Sprachliche Besonderheiten im Struwwelpeter

Als sprachliche Besonderheit fällt im Struwwelpeter die durchgängige Verwendung des Paarreimes auf. Diese Reime können sich außerdem in den Geschichten wiederholen („Miau! Mio! Miau! Mio! /...lichterloh!“),[22] wodurch die Merkfähigkeit erhöht wird. Zudem wirken die Verse auf Kinder nicht kompliziert und verschlüsselt, wie dies bei Gedichten normalerweise der Fall ist, sondern sogar verständlicher als die Alltagssprache.[23] Die meist unterschiedliche Länge der Strophen trägt außerdem zum Spannungsaufbau bei.

Desweiteren erhalten die einzelnen Texte durch die Verwendung einer bestimmten Assonanz oder Alliteration ihre spezifische Textgestalt („ Brunnen, bitterböse, biss, Bein, bis, Blut, bitterböse, bitterlich, Bett, Bein, bittre“[24] ).[25] Sie weisen somit einen sprachspielerischen Charakter auf.

Eine weitere Eigenheit in Der Struwwelpeter ist sicherlich das Diminutiv. Dieser wird häufig eingesetzt um Dinge oder Personen kleiner erscheinen zu lassen, sie werden in Relation zu dem anderen herabgewertet. Dies lässt zugleich Sympathien entstehen und unterstützt die amüsierende Wirkung. Ähnliches gilt für die vorkommenden Lautmalereien. Ebenso finden sich Interjektionen, welche die Situationen dramatisieren („Doch, weh!“)[26]. Auch Elemente des Bänkelliedes („Seht“)[27], welche eine Aufforderung darstellen den Blick auf die Zeichnungen zu wenden, sind mehrfach auszumachen und fordern die Aufmerksamkeit des Rezipienten heraus.

Insgesamt lässt sich die verwendete Sprache als leicht verständlich für Kinder dieser Altersgruppe charakterisieren. In den Geschichten und Bildern wird sich zudem auf das Wesentliche beschränkt. Die daraus resultierende Kürze der Erzählungen scheint dem Alter der Zielgruppe angemessen.

2. Das eigentliche Titelblatt

Das eigentliche Titelblatt ist gleichzeitig die Seite des Buches, der sowohl Kinder als auch Erwachsene am wenigsten Beachtung schenken. So verwundert es kaum, dass es im Verlauf der Zeit von der Titelseite in den meisten Ausgaben auf den Buchrücken gewandert ist. Trotzdem kann man ihm eine einleitende Funktion zusprechen. Es schildert in seiner Strophe und in seinen Bildern zwar die Welt so, wie sie sein sollte und ist damit dem Inhalt des Buches völlig entgegengesetzt, indirekt sind in den Reimen jedoch bereits die ersten Anspielungen auf die kommenden Geschichten zu finden („Wenn sie ihre Suppe essen...“).[28] Dies spiegelt sich in den Bildern am unteren Rand wieder. So sitzt hier beispielsweise der Suppenkaspar wohlgenährt und Suppe essend am Tisch, während das Christkind vom Himmel herab Spielzeug fallen lässt. Unter diesem Spielzeug kann der aufmerksame Betrachter Attribute aus den folgenden Geschichten finden. So sind Flinte, Trommel und Paulinchens ungeliebte Puppe zwischen den ausgeschütteten Spielzeugen auszumachen.

Zudem verspricht der Vers als Belohnung des Artigseins ein Kinderbuch als Geschenk vom Christkind. Offensichtlich bezieht sich dies auf eben dieses Kinderbuch des Struwwelpeters, welches ursprünglich ein Weihnachtsgeschenk von Hoffmann an seinen Sohn darstellte.

Allerdings fällt hier die Einsamkeit der artigen Kinder auf. Während die Bösewichte Aufmerksamkeit geschenkt bekommen, sind sie unbeachtet und mit unzufriedenen Mienen gezeichnet. Die Überhäufung mit Spielzeug kann dieses Problem offensichtlich nicht lösen, sondern nur die Zuwendung ihrer Bezugspersonen, welche sie notfalls mit normverletzendem Verhalten einfordern müssen.

Eine Komik könnte demnach hier allerhöchstens im Wiederspruch mit den eigentlichen Geschichten gefunden werden. Die Traurigkeit der braven Kinder betrachtend scheint auch dies jedoch eher tragikomisch zu wirken.

3. Der Struwwelpeter - Der Titelheld

Auf dem Titelbild wird der Titelheld der Struwwelpeter, der in Hoffmanns handschriftlicher Vorlage zunächst nur das „Struwwel- und Nagel-Kind“ hieß, vorgestellt. Allerdings änderte Hoffmann seinen Namen noch in dieser Vorlage in Struwwelpeter und der eigentliche Peter, der Daumenlutscher wurde in Konrad umbenannt.[29]

In den späteren Geschichten kommt dem Titelhelden keine weitere Funktion mehr zu. Dennoch macht das Bild des Struwwelpeters und die dazugehörige Strophe jedem Leser deutlich, um was es sich bei dem vorliegenden Werk handelt. Der Struwwelpeter steht hier exemplarisch für die Kinder, die nicht gehorchen wollen auf einem Podest auf dem eine Erklärung über seine Person zu finden ist. Manche erkennen in seiner Pose gar die „Ecce-homo-Gestalt“ des Johannesevangeliums verkörpert und fühlen sich durch den Text „sieh einmal, hier steht er“ bestätigt.[30]

Der Inhalt des Textes ist durch die Betrachtung des Bildes eigentlich schon vorweggenommen. Das Bild der Urfassung zeigte ihn mit zerzausten Haaren, die ihm ins Gesicht hingen, Schere und Kamm schwebten neben ihm. Der heutige Struwwelpeter scheint im Vergleich dazu gepflegter. Man sieht einen Jungen mit gesund rosigen Wangen, viel zu langen ungekämmten Haaren, einer Art Afro-Frisur, und wie der Leser erfährt, seit fast einem Jahr ungeschnittene Fingernägel. Die Hände sind dabei weit vom Körper weggestreckt, da er sich sonst mit seinen Fingernägeln eventuell verletzen könnte. Es scheint unmöglich mit diesen irgendetwas anfassen zu können. Damit gibt er trotz seines mitleiderhaschenden Blickes, der auch ein wenig auf seine Hilflosigkeit hinweist, ein lustiges Bild ab. Betont wird in dem mit Schere und Kamm umrahmten Kasten das Abstoßende an ihm. So heißt es hier „Pfui! Der Struwwelpeter!“ und „garst’ger Struwwelpeter“. Dieser ihm verliehene abwertende Spitzname und das symbolische Zeigen mit dem Finger auf ihn („Sieh einmal, hier steht er“) weist darauf hin, dass diese Gestalt zu verlachen ist. Außerdem macht er den Eindruck eines widerspenstigen und eigenwilligen Kindes („kämen lies er nicht sein Haar“), das damit von der Norm des braven Kindes abweicht.[31]

4. Die Geschichte vom bösen Friederich

Die erste Geschichte im Struwwelpeter ist die des bösen Friederichs. Gleich das erste Bild erinnert an den Titelhelden Struwwelpeter. Friederich steht ähnlich wie dieser erhöht auf einer Mauer und streckt die Gliedmaßen triumphierend von sich. Auch der Kleidungsstil mit dem Halstuch wirkt ähnlich. Das erste Bild ist zudem dreigeteilt. Es zeigt die einzelnen Grausamkeiten, die in der Strophe näher erklärt werden. Wir erfahren hier, dass Friederich „ein arger Wüterich!“[32] war, also ein Junge von der schlimmsten Sorte, der im Bild überdimensionalen Fliegen die Flügel ausreißt und Vögel und Stühle totschlägt. Letzteres klingt für das geübte Kinderohr bereits komisch, da es sich bei Stühlen schließlich ohnehin um ein lebloses Objekt handelt. Es kann jedoch ebenso gut überlesen werden. Daher ist anzunehmen, dass diese Eigentümlichkeit reimschematisch bedingt ist.

Des weiteren erfährt der Leser, dass er Katzen quält und sogar Gretchen auspeitscht und sieht sogleich seine Gräueltaten verbildlicht: Eine durch einen Stein erschlagene Katze und das weinende Gretchen sehen wir vor uns.

Das bösartige Verhalten scheint demnach kein Einzelfall, sondern gang und gäbe zu sein. Hierdurch wird eine gewollte Abneigung gegenüber Friederich und seinem grenzüberschreitenden Verhalten aufgebaut ( „Und höre nur, wie bös er war…“)[33] und Mitleid mit Gretchen erzeugt. Durch die Verniedlichungsform „-chen“ wird dieses außerdem verstärkt.

Die Starre der Opfer wird durch die Mauer und die Vertikalkomposition des Bildes unterstützt. Während die Opfer passiv bleiben, bewegt sich Friederich in das nächste Bild. Hier ist ein Hund wassertrinkend am Brunnen zu sehen, auf den Friederich mit seiner Peitsche zuläuft. Im darauffolgenden Bild peitscht er den Hund aus, doch der Hund erhebt sich aus der Starrheit der Opferrolle und wird aktiv in dem er Friederich ins Bein beißt. Friederich wird in diesem Moment zum Opfer und die plötzliche Wendung erzeugt Schadenfreude beim Rezipienten. Jenes ist möglich, da Friederich, auch wenn er sich nun in der Opferrolle befindet, immer noch als „Der bitterböse Friederich“ und nicht als mitleidenswürdig charakterisiert wird. Dieser und der folgende Vers („Der schrie und weinte bitterlich“) klingen somit äußerst hämisch.[34] Dies wird jedoch noch gesteigert, wenn der unterlegen wirkende Hund die Peitsche als Siegtrophäe nach Hause trägt. Es zeigt sich dadurch eine Wendung zum Positiven des Kleinen (auch, wenn der Hund zuvor als groß beschrieben wurde, so scheint er im Vergleich mit dem gewalttätigen Friederich und der Vorgeschichte der vermeintlich Unterlegene zu sein), das durch seine Aktivität über das Große überraschend den Sieg davon trägt, wodurch die Situation verlacht werden kann. In der ersten Version des Kinderbuches wirkte der Hund jedoch ebenso gefährlich, wenn nicht sogar Friederich überlegen auf den Betrachter. An dieser Stelle könnte jedoch über die offensichtliche Selbstüberschätzung Friederichs gelacht werden.

Im dritten Bild ist Friederich nun zu Hause in seinem Bett zu sehen. An diesem wacht ein Arzt. Jenes unterstreicht seine momentane Hilflosigkeit. Der Text betont zudem seine Schmerzen im Bein, welches seine erzwungene Passivität deutlich machen soll. Trotzdem wirkt der letzte Vers der dritten Strophe, in dem es heißt „gibt ihm bitt’re Medizin“ verhöhnend. Jene bittere Arznei kann im Kontrast zu den Vorzügen, die der Hund im letzten Bild gewonnen hat, gesehen werden. Dieser sitzt nun an Friederichs Tisch und nimmt seine Mahlzeit zu sich. Hier wird folglich nochmals die Überlegenheit des Hundes demonstriert, welcher als Symbol des Triumphes die Peitsche bei sich trägt. Damit besteht auch die Schadenfreude weiter und es wurde die Ordnung mit der Bestrafung des bösen Friederichs wiederhergestellt.

Außerdem wird der Hund in dieser Szene vermenschlicht. Er sitzt an dem Tisch mit einem Lätzchen, isst Wurst, Kuchen und trinkt Wein. Er passt sogar vorsorglich auf die Peitsche auf und hat somit keine tierischen Eigenschaften mehr. Diese Verfremdung eines Hundes, der so tut als wäre er Friederich, wirkt nun zusätzlich auf den Betrachter komisch.

5. Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug

Das fröhliche Paulinchen ist die einzige Mädchenfigur in den Erzählungen des Struwwelpeters. Zugleich ist es die einzige Geschichte in der ein Gegenstand und nicht eine Hauptfigur der Titelheld ist. Paulinchen wagt sich in die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug mit einer naiven Neugierde an das Feuerzeug und benutzt dieses trotz Verbot der Eltern als Spielzeug. Sie verletzt mit ihrem Leichtsinn nicht nur die Norm vom bedachten Handeln, sondern weicht auch vom mädchenhaften Rollenverständnis ab, wenn sie es vorzieht mit dem Feuer zu spielen anstelle mit ihrer Puppe, die sie, wie die Bilder zeigen, lieblos behandelt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenB 1[35]

Die Spiellust und das Vergnügen bilden bei dem Vorgang des Anzündens des Feuerzeuges das einzige Interesse. Der Gegenstand wird demnach zweckentfremdet zu einem Spielzeug. Damit liegt ein weiterer Normbruch vor. Psychoanalytisch betrachtet, stellt Groddek fest, dass das Spiel mit dem Feuerzeug einen Onanieakt darstellt. Wie beim bösen Friederich die aggressiven Wünsche, können in dieser Geschichte also die sexuellen Wünsche in der Phantasie ausgelebt werden. Die Komik an dieser Stelle liegt in diesem Moment in der Befreiung des „Verdrängungsdrucks“.[36]

Grotesk wirkt hier zudem die Warnung und das Verhalten der Katzen Minz und Maunz, die anstelle eines Zeigefingers mahnend ihre Pfoten erheben und ihre Mahnungen stets wiederholen: „Der Vater (Mutter) hat’s Verboten! / Miau! Mio! Miau! Mio! / Lass stehn! Sonst brennst du lichterloh!“, und später der Hilferuf „Herbei! Herbei! Wer hilft geschwind? / Im Feuer steht das ganze Kind! / Miau! Mio! Miau! Mio! / Zu Hilf’! Das Kind brennt lichterloh!“ und „Miau! Mio! Miau! Mio! / Wo sind die armen Eltern? Wo?“.[37] Gerade in der letzten Strophe, die auch als Abgesang gesehen werden kann, werden die Katzen zunehmend vermenschlicht, da sie um das Kind trauern und weinen. Dieser Eindruck wird im dazugehörigen Bild, das Minz und Maunz neben der Asche des Mädchens mit Taschentüchern und Trauerschleifen zeigt, sogar verstärkt und wirkt dadurch komisch. Der Reim „Tränen fließen/ Wie’s Bächlein auf den Wiesen“[38] verstärkt die Komik lautlich und zieht die Situation ins Groteske. Den Kindern muss es schwerfallen die trauernden Katzen ernst zu nehmen, denn durch ihre Vermenschlichung wiedersprechen auch diese der Norm und dem Wissen der Kinder. Die Vermenschlichung hat jedoch ihre Grenze in den ermahnenden Ausrufen gefunden, denn die Katzen können nicht in das Geschehen helfend eingreifen. Ebenso werden ihre vorrausschauenden Bitten und die anschließenden Hilferufe einfach ignoriert. Könneker sieht hierin eine Parodie auf den Chor im antiken Drama. Das „klassische Muster“ des Dramas wird zudem von Hoffman persifliert, wenn er dieses in das „häuslich-familiäre[] Milieu“ überträgt.[39] Dies wird insbesondere durch den sich wiederholenden „Miau! Mio! Miau! Mio!“- Gesang der Katzen hervorgehoben.

Damit ist das Szenario nicht als wahrscheinlich zu erachten. Es fällt schwer Mitleid mit Paulinchen zu entwickeln. Diese tanzt im vorletzten Bild zwar nicht mehr fröhlich umher, aber dennoch ist sie, wenn auch panisch, in einer Tanzbewegung abgebildet.

Bemerkenswerterweise brennt sie hierbei „lediglich“ am Rücken, ihre dem Betrachter zugewandte Vorderseite bleibt im Bild verschont.

Die Sprache der Bilder scheint für den Verlauf der Rezeption von besonderer Bedeutung, da auch der Text ausdrücklich auf die Bilder hinweißt („…grad wie ihrs auf den Bilde schaut…“)[40]. Durch die Bildsprache wird der Kontrast vom fröhlichen Paulinchen, das mit dem lustig flackernden Feuer spielt, bis hin zum „Häuflein Asche“[41] und den Tränen der Katzen verdeutlicht. Aber auch in der Katastrophe befindet sich das verniedlichende Element, so ist von einem „Häuf lein Asche“ die Rede und die „Tränen fließen/ Wie’s Bäch lein auf den Wiesen“[42] ebenso sind ihre nicht mit verbrannten „Schuh’, so hübsch und fein“[43] und stehen groteskerweise unversehrt vor ihren Überresten. Dieser verniedlichende Kontrast zur Katastrophe und die Erinnerung an das Schöne, wie an den Bach auf der Wiese, der im Hinblick auf die weinenden Katzen zudem eine maßlose Übertreibung darstellt, verharmlosen zum einen das Geschehen und lassen das Grausame komisch wirken.

Die Komik überwiegt somit in diesem Szenario der Katastrophe und das Schicksal Paulinchens kann verlacht werden. Das Verlachen scheint eine Reaktion der Schadenfreude zu sein, die wiederum als Zeichen einer moralischen Belehrung gewertet werden kann. Gleichzeitig mit der Schadenfreude stellt sich beim Rezipienten außerdem ein Gefühl der Erhabenheit über das fehlerhafte Geschehen ein.

Außerdem muss bemerkt werden, dass sich eine Ermahnung an die Eltern, die ihre Aufsichtspflicht vernachlässigen, in den letzten beiden wörtlichen Reden der Katzen befindet. Auch hierdurch könnte sich eine Art Schadenfreude beim Rezipienten einstellen.

6. Die Geschichte vom schwarzen Buben

Die Geschichte vom schwarzen Buben hat eine besondere politisch-pädagogische Funktion. Wie in Wann finden Kinder etwas komisch bereits erwähnt, lachen Kinder über das Andersartige, ihnen Unbekannte. Dies führen dem Leser die drei Jungen Ludwig, Kaspar und Wilhelm vor. Sie lachen gemeinsam den schwarzen Jungen wegen seiner anderen Hautfarbe aus, da diese „so schwarz wie Tinte sei“[44]. Die Situation, in der sich die drei Jungen befinden, scheint keine alltägliche zu sein. Man erfährt, dass sie außerhalb des Tores spielen und sieht sie von unten mit einer Hand auf den Jungen lachend zeigen. In der anderen Hand halten sie ein ihnen zugewiesenes Attribut (Reif, Fähnchen, Brezel). Der schwarze Bube hält einen Sonnenschirm in seiner Hand. Der Rezipient erfährt, dass er dieses tut, um sich von der brennenden Sonne zu schützen. Da man derzeit nur noch selten Personen sieht, die Sonnenschirme mit sich tragen und ein Schirm in erster Linie verwendet wird, um sich vor Regen zu schützen, kann bereits dieses Bild amüsierend auf ein Kind wirken. Zur damaligen Zeit diente der Sonnenschirm zum Schutz vor Bräune, daher wirkte es auch damals grotesk, wenn eine ohnehin dunkelpigmentierte Person diesen trug. Auch der Reim „Die Sonne schien ihm aufs Gehirn, / Da nahm er seinen Sonnenschirm“[45] verstärkt das Groteskwirkende an der Figur des Mohren.[46]

Das zweite Bild scheint eine Reaktion auf den letzten Vers der ersten Strophe („so schwarz wie Tinte sei“)[47] zu sein. Man sieht den großen Nikolas mit einem ebenso überdimensionierten Tintenfass und einer Schreibfeder. Hierin liegt das phantastische Moment der Erzählung. Nikolas ist eine überdimensionale Autoritätsperson, die durchaus furchterregend und respekteinflößend zu sein scheint, denn jeder Betrachter kennt diese Figur bereits aus den anderen elterlichen Erzählungen.

Nikolas gibt in einer wörtlichen Rede nun den drei Jungen die Anweisung das Lachen zu unterlassen und löst somit den Konflikt der Geschichte aus, wie jedoch alle Kinder in Der Struwwelpeter, missachten sie die gutgemeinte Anweisung. Anstelle dessen lachen sie Niklas[48] ins Gesicht und den „armen schwarzen Mohr“ nur noch stärker aus. Wie schon zuvor, in der ersten Strophe mit dem Diminutiv Mohr chen, wird hier mit der „arme[] schwarze[] Mohr“ versucht Mitleid und Sympathie für diesen zu gewinnen.[49] Der Rezipient kann nicht umhin sich auf die Seite des Niklas und des Mohren zu stellen. Die Reaktion des Niklas kann zudem bereits erahnt werden.

In der dritten Strophe erfährt man, dass er „bös und wild“[50] wurde. Sogleich wird im zweiten Vers dieser Strophe auf das Bild verwiesen. Hier sieht man Niklas die immer noch gut gelaunten Jungen mitsamt ihren Attributen in das Tintenfass tauchen. Es scheint so als wären ihre Bewegungen die gleichen, die im ersten Bild zu sehen sind. Sie wirken neben dem großen Niklas jedoch klein und hilflos. In der Strophe erfährt man weiter, dass sie mit dem ganzen Körper eingetaucht wurden und Kaspar sich ohne Erfolg wehrte indem er „Feuer“ schrie.[51] Dies wirkt befremdlich, da man eigentlich Hilfeschreie vermutete, zeigt jedoch auch den „sensationell-bedrohlichen Aspekt der Strafe“[52]. Im Gegensatz zu den bisherigen Geschichten erfolgt hier nun eine Strafe durch eine personale Autorität. Diese ist es schließlich, die durch die Bestrafung die Norm wieder herstellt. Die Jungen, die den Mohren verlacht haben, werden nun selbst geschwärzt und haben das gleiche Schicksal.

Die Schadenfreude scheint sich mit dem Aufkommen des vierten Bildes nun auf dem Höhepunkt zu befinden. Die drei Jungen laufen hier prozessionsartig mit ihren Attributen Reif, Fähnchen und Brezel dem Mohren mit seinem Sonnenschirm hinterher. Sie sind dabei sogar noch „viel schwärzer als das Mohrenkind“[53], womit ihnen die räumliche Zeichnung fehlt. Dies verstärkt den unrealistischen Eindruck. Zudem befinden sie sich, wenn auch in eine Richtung gedreht, immer noch in der gleichen gestischen Position wie auf dem Anfangsbild. Damit strahlen sie auch die gleiche Freude wie bisher aus. Könneker stellt hierzu fest, dass diese „gestische Stereotypie“ den „phantastisch-irrealen Charakter der Geschichte“ verstärkt.[54] Tatsächlich wirkt die Darstellung mit den farbigen Bändern am Rand und den bunten Blümchen zu übertrieben, um als Strafakt ernstgenommen werden zu können. Somit verliert die Szene das Bedrohliche und kann verlacht werden. Die drei Jungen werden folglich aus dem gleichen Grund ausgelacht für den sie auch den Mohren ausgelacht haben. Schwarzsein wird hier als Strafe angesehen, während der Mohr nichts dafür kann, wird das Verlachen der anderen Drei hier legitimiert.

7. Die Geschichte vom wilden Jäger

Die Geschichte vom wilden Jäger stellt die einzige Erzählung im Struwwelpeter dar, deren Hauptcharakter ein Erwachsener ist. Zudem begeht der Jäger kein grobes Unrecht. Daher scheint diese Geschichte keine belehrende Wirkung zu beabsichtigen. Der Jäger läuft mit dem Ziel einen Hasen zu schießen durch die Felder. Währenddessen versteckt sich der Hase zwischen Blättern. Die Geste der Hände des Hasen hierbei scheint den Jäger bereits zu verhöhnen.

Im zweiten Bild ruht sich der Jäger im Sonnenschein aus. Die Sonne ist hier mit einem breiten Lächeln dargestellt. Durch den Text erfährt der Leser, dass er schläft und dabei schnarcht. In diesem Moment stiehlt ihm der „kleine Has’“[55] vorwitzig das Gewehr und seine Brille und hat ihn somit überlistet. Es wird für Kinder eine Spannung erzeugt, da sie befürchten müssen, der Jäger könnte vorzeitig erwachen und den Hasen bei seinem Raubzug bemerken. Dies ist jedoch nicht der Fall und so kann auf der nächsten Seite betrachtet werden, wie der Hase, die Brille des Jägers auf der Nase, mit dem Gewehr auf den fast blind ohne Brille wirkenden Jäger zielt. Wieder wird an dieser Stelle das Diminutiv „Häs chen[56] verwendet, womit die Sympathien auf Seiten des Hasen gezogen werden sollen. Der Jäger fürchtet sich hier vor dem kleinen Hasen. Dies wirkt komisch, da der Jäger, der zuvor noch als „wild“[57] charakterisiert wurde, eigentlich das Große und Mächtige darstellt, nun aber Angst vor einem kleinen Häschen hat. Somit tritt eine Art verkehrte Welt Phänomen auf, in dem die Autorität verhöhnt wird.[58] Eventuell soll hier auch eine Identifikation mit dem kleinen Hasen erzeugt werden. Die Identifikation mit dem Kleinen, das den Jäger in die Flucht schlägt, wodurch der Jäger verlacht wird, kann somit das Selbstwertgefühl des Rezipienten steigern. In diesem Sinn muss wohl eher der Hase als der Jäger als Held dieser Geschichte bezeichnet werden.

In der darauffolgenden Strophe wird dies erneut betont. Es ist wieder der „wilde Jägersmann“[59], der vor dem Hasen flieht. Weil er nicht mehr weiter weiß, springt er in ein tiefes „Brünnchen“[60] und zeigt somit seine Feigheit, die im starken Kontrast mit der anfangs vermuteten Tapferkeit, die mit einem Jäger assoziiert wird, steht.

Der Hase beginnt auf den Jäger herab zu schießen. Die Flinte dient hier als Machtinstrument, ähnlich der Peitsche in der Geschichte des bösen Friederichs, die den Triumph des Hundes symbolisierte.

Auf dem letzten Bild ist zudem die Jägersfrau, die aus einem Haus herausblickt, zu sehen. Der Schuss des Hasen scheint ihre Kaffeetasse getroffen zu haben und damit eine Kettenreaktion ausgelöst zu haben: Die Kaffeetasse fällt der Frau aus der Hand. Der Kaffee trifft „des Häschens Kind, der kleine Haas“[61] und verbrennt dessen Nase, währenddessen bewegt er sich tanzend und hält triumphierend den Kaffeelöffel in der Hand. Durch die Schädigung des Hasen entsteht nun wiederum ein Gleichgewicht, da sowohl Mensch als auch Tier ein Unglück wiederfährt. Allerdings muss bemerkt werden, dass es hiermit einen Unbeteiligten trifft, die Strafe also nicht rechtmäßig zu sein scheint, wenn sie durch die triumphierenden Jubelbewegungen des Hasen überhaupt als eine solche anerkannt werden kann. Es scheint sich hierbei vielmehr um ein erneutes Bild-Echo auf den triumphierenden Hund in der Geschichte des bösen Friederichs zu handeln.[62]

Des weiteren ist in dieser Geschichte des Struwwelpeters die Vermenschlichung des Tieres am ausgeprägtesten. Während der Hund sich in der böse Friederich noch mit der tierischen Waffe Beißen zur Wehr setzte, nimmt der Hase hier von Beginn an rein menschliche Wesenszüge an. Er ist listig, trägt eine Brille und beginnt den Angriff durch eine menschliche Waffe, auch sein Kind wirkt durch den Löffel anthropomorphisiert. All diese menschlichen Attribute der Hasen können demnach als komisch betrachtet werden, da eine große Diskrepanz zu den tierischen Eigenschaften herrscht, die selbst keinen komischen Effekt auslösen können.

8. Die Geschichte vom Daumenlutscher

Die Geschichte vom Daumenlutscher Konrad scheint zunächst diejenige aus dem Struwwelpeterkomplex, auf die das Prädikat „Abschreckungspädagogik“[63] am deutlichsten zutrifft.

Im ersten Bild sieht man Konrad frontal vor einem Fenster stehen, die Arme weit von sich gestreckt. Im Vordergrund steht seine Mutter, welche gleich zwei Drohgebärden ausübt. Zum einen der weisende Regenschirm, zum anderen die erhobene linke Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger. Dabei steht sie dem Leser abgewendet gegenüber. Auch in dem dazugehörigen Text droht ihm seine Mutter, wenn er Daumen während ihrer Abwesenheit lutsche, so komme der Schneider und schneide sie mit der Schere ab. Erwartungsgemäß hält sich Konrad nicht an diese Anweisung und man sieht ihn im zweiten Bild, diesmal verschämt zur Seite gedreht, am Daumen lutschen.

Die Folge von dem ungezogenen Verhalten kann man auf der nächsten Seite sehen. Die Tür geht auf mit einem „Bauz“-Geräusch und der Schneider springt förmlich in das Bild. Noch im Fliegen schneidet er Konrad die Daumen ab. Dabei fliegen seine Haare im Wind und er verliert seinen Hut. Konrad hat hierbei ein schmerzverzehrtes Gesicht und streckt das rechte Bein und den linken Arm von sich, außerdem fließt das Blut seiner Hand auf den Boden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenB 3

Die Strafe scheint hier besonders hoch, denn im Gegensatz zum Töten von Vögeln und Katzen kann Daumenlutschen als minderes Unrecht angesehen werden. Trotzdem überwiegt das Grausame weder in dem Bild noch in der dazugehörigen Strophe. Die überdimensionale Schere und der skurril wirkende Schneider ermöglichen ein Verlachen, dass allerdings außerdem als Reaktion auf den Schock gesehen werden muss.[64] Die Größe der Schere entspricht hier Konrads Angst in diesem Moment.[65] Das Bedrohliche und die Strafangst, des Rezipienten, die nach Ecksteadt eine Kastrationsangst ist,[66] werden somit in das Komische verkehrt. Das Lachen wird damit zu einer „Überwindung von Furcht“.[67]

In der Strophe wird jedoch zudem die grausame Situation zum einen durch die lyrische Form, zum anderen durch die Onomatopoesie entschärft („Bauz!; klipp und klapp“)[68]. Außerdem kann bemerkt werden, dass das Geschilderte eine deutlich übertriebene Grausamkeit darstellt, die betont unrealistisch ist. Eine ähnliche damit vergleichbare Komik der übertriebenen Grausamkeit lässt sich im Erwachsenenalter schließlich in Kill Bill[69] oder in Ritter der Kokosnuss wiederfinden, wenn König Arthus dem schwarzen Ritter begegnet und diesem im Kampf die Gliedmaßen entfernt.[70] Die Grausamkeit scheint hier dem Betrachter ebenfalls, dadurch dass sie nicht moralisch legitimiert werden kann, übertrieben und unverhältnismäßig. In letzterem Fall existieren auch Parallelen im Hinblick auf die Provokation des Daumenlutschers und des schwarzen Ritters. Eine solche Komik kann jedoch mit der subjektiven Schmerz- beziehungsweise Ekelschwelle kollidieren.

Im letzten Bild sieht man Konrad wieder alleine im Bild stehen. In der Ausklangsstrophe zum Bild kommt seine Mutter gerade nach Hause. Hier wird festgestellt, was geschehen ist und dass Konrad traurig aussehe. Im Bild ist hier jedoch ein leichtes Lächeln auf seinem Gesicht zu erkennen.

Die Wirkung dieser Geschichte wäre demzufolge keineswegs Alptraum auslösend. Dadurch, dass das Szenario als unrealistisch verlacht werden kann, während das Spiel mit dem Feuer noch real mögliche Folgen zeigte, erscheint hier die intendierte Abschreckungspädagogik als solche wirkungslos.

9. Die Geschichte vom Suppen-Kaspar

In der Geschichte vom Suppenkaspar sieht man auf dem ersten Bild Kaspar, einen dicklichen Jungen mit blonden Haaren und rundem Gesicht. Die äußeren Merkmale unterscheiden sich sehr deutlich vom Kaspar aus der Geschichte vom schwarzen Buben. Es scheint sich daher nicht um das gleiche Kind zu handeln.

Kaspar trägt eine Serviette um den Hals und ist dem Betrachter zugewandt. Dabei streckt er seine Arme in die Luft und hebt das rechte Bein in die Höhe. Er scheint wütend von einem Bein zum anderen zu stampfen.[71] Neben ihm steht ein Tisch mit einem Suppenteller und überdimensionalem Löffel, der größer als der Teller zu sein scheint. Es ist jedoch anzunehmen, dass dieser Widerspruch nicht bewusst wahrgenommen wird. In der ersten Strophe erfährt der Leser, dass Kaspar bisher ein guter Esser war, sich jedoch nun weigert seine Suppe zu essen. Diese Information erhält der Leser in einer wörtlichen Rede, die trotzig wirkt. Die Aussage „Ich esse meine Suppe nicht!“ wird hier dreimal wiederholt. Auch in den nächsten beiden Strophen sind die jeweiligen Endverse die gleichen: Der Suppenkaspar besteht darauf seine Suppe nicht zu essen und wird dadurch zum Normbrecher. Jedoch sieht man, dass ihm jener Starrsinn nicht sonderlich bekommt. So ist er bereits im zweiten Bild, zu dem man explizit aufgefordert wird es sich genau anzusehen („… ja sieh nur her!“)[72], um einiges abgemagerter in der gleichen Pose des ersten Bildes zu sehen. Dies gilt ebenso für das dritte Bild, nur dass der Suppenkaspar hier noch magerer ist und anscheinend keine Kraft mehr hat sein Bein zu heben. Durch die Floskel „o weh und ach! Wie ist der Kaspar dünn und schwach!“[73] soll zudem scheinheilig Mitleid erzeugt werden. Der Kontrast vom gut genährten Jungen zum Hungertod innerhalb von fünf Tagen erscheint indes überspitzt, wodurch die struwwelpetertypische Komik entsteht.

Bemerkenswert ist hier außerdem, dass der Tisch ebenso wie der Suppenkaspar im Verlauf der Geschichte schrumpft. Nur der Suppenteller selbst scheint gleich groß zu bleiben. Damit ist eine optische Norm gebrochen. Zudem beugt die gleiche Gestik des Suppen-Kaspars in den ersten drei Bildern, wie bereits in der Geschichte mit dem Mohren angesprochen, der Ernsthaftigkeit der kommenden Katastrophe voraus. Dies gilt auch für die Abwesenheit der Autoritätspersonen, die für den Tod mitverantwortlich gemacht werden können.

Die vierte Suppenkaspar-Figur ist folglich bereits dürr wie „ein Fäd chen[74]. Dies scheint außerdem einen recht amüsanten Vergleich darzustellen. Wieder verursacht das Diminutiv einen verharmlosenden Charakter der Katastrophe, die im nächsten Bild und im letzten Vers folgt. Kaspar ist gestorben. Ironischerweise steht auf seinem Grab eine Suppenschüssel.

Während die erzieherischen Botschaften in den „Du-darfst-nicht“ - Geschichten, wie Friederich und Paulinchen, durch Beobachten der Katastrophe trotz der Komik aufgenommen werden können, scheint in der „Du-musst“ - Geschichte die Komik die erzieherische Wirkung aufzulösen. Die Folgen der Geschichte scheinen zu realitätsfern. Außerdem sind sich Kinder sicherlich bewusst, dass die Nahrungsmittelmöglichkeiten nicht nur aus Suppe bestehen. Erfolgsversprechend scheint bei diesem „Du-musst“ – Fall die komische Abschreckungspädagogik daher nicht zu sein. Eine motivierende Pädagogik, die dennoch komisch ist, wie dies bei Popeye der Fall ist, scheint an dieser Stelle vielleicht ratsamer.

10. Die Geschichte vom Zappel-Philipp

Im Gegensatz zum Suppen-Kaspar sind in der Geschichte vom Zappel-Philipp die Autoritätspersonen Vater und Mutter anwesend. Die Geschichte schließt allerdings an die Thematik Essen und Tischsitten an. Die Familie sitzt gemeinsam am Essenstisch. Der Vater deutet schon das Geschehen in einer rhetorischen Frage voraus „Ob der Philipp heute still / Wohl bei Tische sitzen will?“ und ermahnt ihn daraufhin im „ernsten Ton“. Währenddessen scheint die aus Betrachtersicht mittig sitzende Mutter zu Belehrungen schon gar nicht mehr fähig zu sein und beobachtet daher das Geschehen schweigend.[75] Dabei hält sie sich bereits von Beginn an eine altertümliche Brille vor ihre Augen, welches die beobachtende Strenge, unter der Philipp steht, betont.

Dies lässt vermuten, dass der Konflikt schon länger zu bestehen scheint. Als typisches Struwwelpeterkind hört Philipp nicht auf seinen Vater, der ihn am Ende der Strophe anspricht und nochmals betont, wie sehr ihm sein Verhalten „missfällt“. Das Verhalten Philipps scheint sogar eine regelrechte Auflehnung gegenüber den Eltern darzustellen. Dies kann auch anhand des wechselnden Versmaßes („…Was zu ihm der Vater spricht / er gaukelt / Und schaukelt, / er trappelt / Und zappelt / Auf dem Stuhle hin und her…“)[76] erkannt werden. Die Auflehnung und das provozierende Verhalten gegenüber einer Autorität erweckt hier bei Kindern Spannung, die später durch Komik gelöst werden kann.

In der zweiten und dritten Strophe erfolgt mehrmals eine direkte Ansprache („Seht“) an den Rezipienten, die Aufmerksamkeit soll auf das Bild gelenkt werden und wird dadurch bei dem Kind gesteigert. Die Rezeption des Textes ist hiermit eng mit dem Bild verbunden. Philipp schaukelt mit dem Stuhl und hält sich am Tischtuch fest als dieser droht zu kippen. Daraufhin geschieht die Katastrophe. Philipp fällt mit dem Stuhl um und reißt das Tischtuch sowie die Teller und die Flaschen mit sich. Obwohl dieses Ereignis erwartet werden kann, so überrascht es doch in seiner Plötzlichkeit und seinem Ausmaß und wirkt daher komisch.

Mit dem letzten Bild klingt nun die Erzählung aus. Der Junge ist unter dem Tischtuch und dem Essen begraben, die Eltern stehen erbost daneben und sind ebenso bestraft wie Philipp, da sie nun nichts mehr zu essen haben. Die Schadenfreude kann daher in zweierlei Hinsicht stattfinden.

[...]


[1] Neuß, Norbert: Humor von Kindern. Empirische Befunde zum Humorverständnis von Grundschulkindern. In: Televizion 16/2003/1.

[2] Ebd. Neuß S.14.

[3]Lachen als Akt der Selbstaffirmation: Thomas Hobbes. In: Bachmeier, Helmut (Hrsg.): Texte zur Theorie der Komik. Stuttgart: Reclam, 2005. S.16.

[4] Rathmann, Claudia: Was gibt’s denn da zu Lachen. Lustige Zeichentrickserien und ihre Rezeption durch Kinder unter besonderer Berücksichtigung der präsentierten Gewalt. Hrsg.: Bilandzic, Helena; Gehrau, Volker; Hasebrink, Uwe; Rössler, Patrick: Reihe Rezeptionsforschung Bd.3. München: Reinhardt Fischer Verlag, 2004. S.27.

[5] Ebd. Ries S.87f.

[6]Inadäquate Subsumtion: Arthur Schopenhauer. Bachmeier, Helmut (Hrsg.): Texte zur Theorie der Komik. Stuttgart: Reclam, 2005. S.46.

[7] Ebd. Der Struwwelpeter, Nachwort S.74.

[8] Ebd. Rathmann S.34.

[9]Die Befriedigte und enttäuschte Erwartung: Theodor Lipps. In: Bachmeier, Helmut (Hrsg.): Texte zur Theorie der Komik. Stuttgart: Reclam, 2005. S.90.

[10] Auflösung gespannter Erwartung: Immanuel Kant. In: Bachmeier, Helmut (Hrsg.): Texte zur Theorie der Komik. Stuttgart: Reclam, 2005. S.24.

[11] Ebd. Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur von 1800-1850, Sp.476.

[12] Ebd. Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur von 1800-1850, Sp.477.

[13] Ebd. Steinlein S.20.

[14] Sittenverfeinerung und Konversation: Francis Hutcheson. In: Bachmeier, Helmut (Hrsg.): Texte zur Theorie der Komik. Stuttgart: Reclam, 2005. S.22f.

[15]Das Komische - Ein Kipp-Phänomen: Wolfgang Iser. In: Bachmeier, Helmut (Hrsg.): Texte zur Theorie der Komik. Stuttgart: Reclam, 2005. S.117ff.

[16] Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur von 1800-1850. Brunken, Otto; Hurrelmann, Bettina; Pech, Klaus Ulrich (Hrsg.). Stuttgart: Metzler, 1998. Sp. 464f.

[17] Ebd. Der Struwwelpeter (Reclam), S.60.

[18] Ebd. Der Struwwelpeter (Reclam), S.68f.

[19] Ebd. Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur 1800-1850, Sp.466.

[20] Feuerhahn, Nelly: Das Lachen des Kindes. In: Ewers, Hans-Heino (Hrsg.): Komik im Kinderbuch. Erscheinungsformen des Komischen in der Kinder- und Jugendliteratur. Weinheim, München: Juventa Verlag, 1992. S.34.

[21] Steinlein, Rüdiger: Kinderliteratur und Lachkultur. Literarhistorische und theoretische Anmerkungen zu Komik und Lachen im Kinderbuch. In: Ewers, Hans-Heino (Hrsg.): Komik im Kinderbuch. Erscheinungsformen des Komischen in der Kinder- und Jugendliteratur. Weinheim, München: Juventa Verlag, 1992. S.19.

[22] Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug, Strophe 2, 4 und 6.

[23] Lypp, Maria: Die Kunst des Einfachen in der Kinderliteratur. In: Günter Lange (Hrsg.): Taschenbuch der Kinder- und Jugendliteratur. Bd. 2. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 2000. S.834.

[24] Die Geschichte vom bösen Friederich, Strophe 2 und 3.

[25] Könneker, Marie-Luise : Dr. Heinrich Hoffmanns „Der Struwwelpeter“. Untersuchungen zu Entstehungs- und Funktionsgeschichte eines bürgerlichen Bilderbuchs. Stuttgart: Metzler, 1977. S.94.

[26] Ebd. Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug, Strophe 5.

[27] Ebd. Die Geschichte vom Zappel-Philipp, Hans Guck-in-die-Luft, fliegenden Robert.

[28] Ebd. Der Struwwelpeter S.7.

[29] Ebd. Der Struwwelpeter, Anhang S.58

[30] Ebd. Der Struwwelpeter, Nachwort S.67.

[31] Der Struwwelpeter, die Titelgeschichte.

[32] Die Geschichte vom bösen Friederich, erste Strophe.

[33] Ebd. Friederich, erste Strophe.

[34] Ebd. Friederich, zweite Strophe.

[35] Im Folgenden erfolgt die Bildzählung der Bilderreihenfolge der einzelnen Geschichten.

[36]Ersparung eines psychischen Aufwands: Sigmund Freud In: Bachmeier, Helmut (Hrsg.): Texte zur Theorie der Komik. Stuttgart: Reclam, 2005. S.94f.

[37] Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug, zweite, vierte, sechste und achte Strophe.

[38] Ebd. Feuerzeug, achte Strophe.

[39] Ebd. Könneker S.108 f.

[40] Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug, dritte Strophe.

[41] Ebd. Feuerzeug, siebte Strophe.

[42] Ebd. Feuerzeug, achte Strophe.

[43] Ebd. Feuerzeug, siebte Strophe.

[44] Die Geschichte vom schwarzen Buben, erste Strophe.

[45] Ebd. schwarzen Buben, erste Strophe.

[46] Ebd. Könneker S.112.

[47] Ebd. schwarzen Buben, erste Strophe.

[48] Wird zu Beginn der Geschichte noch der Name ‚Nikolas’ verwendet, so wird grundlos er im Folgenden in ‚Niklas’ umbenannt.

[49] Ebd. schwarzen Buben, zweite Strophe.

[50] Ebd. schwarzen Buben, dritte Strophe.

[51] Ebd. schwarzen Buben, dritte Strophe.

[52] Ebd. Könneker S.114.

[53] Ebd. schwarzen Buben, vierte Strophe.

[54] Ebd. Könneker S.114.

[55] Die Geschichte vom wilden Jäger, vierte Strophe.

[56] Ebd. Jäger, vierte Strophe (kursive Hervorhebung d. Verf.).

[57] Ebd. Jäger, erste Strophe.

[58] Ebd. Könneker S.115.

[59] Ebd. Jäger, erste Strophe.

[60] Ebd. Jäger, neunte Strophe.

[61] Ebd. Jäger, neunte Strophe.

[62] Ebd. Der Struwwelpeter, Nachwort S.75.

[63] Ebd. Steinlein S.20.

[64] Ebd. Steinlein S.20.

[65] Ebd. Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur 1800-1850 Sp.471f.

[66] Eckstaedt, Anita: Der Struwwelpeter Dichtung und Deutung. Eine psychoanalytische Studie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1998. S.104.

[67] Bachtin, Michail: Grundzüge der Lachkultur. In: ders.: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. München: Hanser, 1969. S. 35.

[68] Die Geschichte vom Daumenlutscher, dritte Strophe.

[69] Quentin Tarantino: Kill Bill 1&2. Miramax Films: 2003/04.

[70] Monthy Python: Ritter der Kokosnuss (Originaltitel: Monty Python and the Holy Grail). Michael White Productions: 1975.

[71] Ebd. Eckstaedt S.108.

[72] Die Geschichte vom Suppenkaspar, zweite Strophe.

[73] Ebd. Suppenkaspar, dritte Strophe.

[74] Ebd. Suppenkaspar, vierte Strophe.(Kursive Hervorhebung d. Verf.)

[75] Die Geschichte vom Zappel-Philipp, erste Strophe. (Kursive Hervorhebung im Text).

[76] Ebd. Zappel-Philipp, erste Strophe.

Ende der Leseprobe aus 70 Seiten

Details

Titel
Komik in der Kinderliteratur - Eine Betrachtung des Komischen im "Struwwelpeter" und in "Max und Moritz"
Hochschule
Universität Mannheim  (Neuere Germanistik II)
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
70
Katalognummer
V165132
ISBN (eBook)
9783640808441
ISBN (Buch)
9783640808885
Dateigröße
983 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Wissenschaftliche Arbeit zur Zulassung zum ersten Staatsexamen über die komischen und pädagogischen Aspekte in der "Struwwelpeter" von Heinrich Hoffmann und "Max und Moritz" von Wilhelm Busch.
Schlagworte
komik, kinderliteratur, eine, betrachtung, komischen, struwwelpeter, kinderbuch, max&moritz, wilhelm busch, heinrich hoffmann
Arbeit zitieren
Kerstin S. Lammer (Autor:in), 2010, Komik in der Kinderliteratur - Eine Betrachtung des Komischen im "Struwwelpeter" und in "Max und Moritz", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/165132

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