Josephinismus - Reformen und ihre Spannungsfelder in Österreich


Seminararbeit, 2002

33 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Zum Begriff des Josephinismus

2. Voraussetzungen des Josephinismus
2.1 Staatskirchliche Tradition Österreichs
2.2 Verhältnis der österreichischen Länder zum Heiligen Römischen Reich
2.3 Modernisierung als existentielle Notwendigkeit
2.4 Geistige Strömungen und der Jansenistische Kreis Wiens

3. Die Reformen
3.1 Finanz-, Steuer-, Regierungs- und Verwaltungsreformen
3.1.1 Ausgangslage vor den grossen Reformen
3.1.2 Haugwitzsche Reformen
3.1.3 Fundament für den Wohlfahrtsstaat des aufgeklärten Absolutismus
3.1.4 Ära Kaunitz
3.2 Kirchenpolitische Reformen
3.2.1 Die Reform der Kirche eine Notwendigkeit der Zeit
3.2.3 Wirtschaftspolitischer Hintergrund der Kirchenreform
3.2.4 Auflösung oder Erneuerung der Kirche durch den Staat?
3.2.5 Vernünftige Gottesverehrung und Episkopalismus
3.2.6 Reform des Klosterwesens
3.2.7 Pfarregulierungen
3.2.8 Generalseminare
3.2.9 Von der toleranten Mission zum Toleranzpatent von 1781
3.2.10 Bildungs-, Gesundheits- und Fürsorgepolitik

4. Das Scheitern der Reformpolitik Josephs II.

Literaturverzeichnis

Vorwort

Mein Interesse bezieht sich allgemein formuliert auf die Wurzeln unseres heutigen Zusammenlebens. Es veranlasste mich, die Zeit des liberalen Rechts und auch des säkularisierten Wohlfahrtsstaates hinter mir zu lassen, um zu den Anfängen der Institutionalisierung eines souveränen Staates zu gelangen. Ich fragte mich, wie diese Reformen wohl ausgesehen haben mögen, auf dem Weg vom mittelalterlichen Personenverbandsstaat, über die Union von Ständestaaten zu einem institutionalisierten Gesamtstaat, und stiess dabei auf die josephinischen Reformen.

Die josephinischen Reformen versuchten die Gesellschaft effizient zu organisieren. Neben dem Nützlichkeitsdenken war ein starker Glaube an christliche Werte jedoch noch vorhanden. Der Josephinismus versinnbildlicht für mich einen Versuch, aufklärerisches Gedankengut mit einem ethischen Anspruch in die politische Realität umzusetzen. Gekennzeichnet sind die Reformen auch von der Vorstellung, Glaube und Vernunft liessen sich vereinen. Die kirchenpolitischen Reformen tragen noch keine liberalen Züge. Die Institutionalisierung entpuppt sich dabei teilweise als verständnislos und blind gegenüber gewissen Werten, die schwierig mit Nützlichkeitskriterien zu messen sind.

Meine Neugier wurde ebenfalls von der Tatsache anzogen, dass dem Habsburgerstaat im Gegensatz zu anderen absolutistischen Regierungen, die an mangelnder Reformfähigkeit scheiterten, ein Übermass an Reformen zum Verhängnis wurde. So versuche ich in dieser Arbeit dem spezifisch österreichischen Weg der Aufklärung nachzugehen, indem ich die dringendsten oder einschneidensten Neuerungen dieser reformfreudigen Zeit unter Maria Theresia und Joseph II. charakterisiere. Dabei versuche ich die wesentlichsten Reformen aller Lebensbereiche einzubeziehen, um die unterschiedlichen, jedoch zusammenhängenden theresianisch-josephinischen Reformen in ihrer Einheit einzufangen. So stellen die kirchenpolitischen Reformen nicht etwa nur das Resultat eines Reformkatholizismus dar, sondern stehen in der Konsequenz eines alle gesellschaftlichen Bereiche erfassenden Nützlichkeitsdenkens. Ich werde in meiner Arbeit auch der Frage nachgehen, welche Charakteristiken der Geschichte Österreichs auf die Zeit des Josephinismus wirkten und wo die Voraussetzungen und Entwicklungslinien der josephinistischen Reformen zu finden sind. Da das Verhältnis zwischen Kirche und Staat den Josephinismus besonders prägte, wird dieser Erörterung einen gebührenden Platz eingeräumt. Dabei versuche ich u.a. die wirtschaftspolitischen Vorstellungen hinter den kirchenpolitischen Reformen aufzudecken. Ich widme mich auch der Frage, ob die josephinischen Reformen mit ihrer Radikalität die Kirche zunehmend auflösten, oder ob es darum ging, die Missstände der Kirche zu beseitigen und den Katholizismus zu reformieren. Zunächst werde ich mich aber mit dem Begriff des Josephinismus, der sich in im vergangenen Jahrhundert erheblich gewandelt hat, näher auseinandersetzen.

1. Zum Begriff des Josephinismus

Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Habsburgermonarchie von einem durch Zentralisierung und Säkularisierung gekennzeichneten Modernisierungsschub erfasst, als ihr in den Schlesischen Kriegen die schmerzliche Erfahrung der Überlegenheit des preussischen Militär- und Verwaltungsstaates vor Augen geführt wurde. Diese Reformen unter Maria Theresia markieren den Beginn der modernen Staatlichkeit Österreichs[1]. Joseph II., der 1780 den Thron bestieg, systematisierte und radikalisierte die von Maria Theresia eingeleiteten Reformen. Dabei wurden verschiedensten Bereichen des politischen und gesellschaftlichen Lebens neue Strukturen von oben auferlegt. Neben umfangreichen kirchenpolitischen Erneuerungen fanden in der Zeit Maria Theresias und Josephs II. auch grosse Veränderungen in der Rechtssprechung, der Verwaltung, der Agrarverhältnisse, der Rechtsstellung der Bauern und der Gesundheits- und Fürsorgepolitik statt. Für diese Reformen, die auf alle damals zur österreichischen Monarchie gehörenden Gebiete - von der belgischen Kanalküste bis nach Siebenbürgen, von Böhmen bis Mailand und von Freiburg im Breisgau bis Galizien - einen Einfluss ausgeübt haben, wird der Begriff „Josephinismus“ gebraucht, der im frühen 19. Jahrhundert aufgekommen ist und uns auf die reformerische Persönlichkeit Josephs II. verweist, obwohl dieser Begriff heute mehr umfasst als nur die Reformen seiner Herrschaftszeit.[2]

Seit 1830 wird der Begriff „Josephinismus“ für die theresianischen und josephinischen Reformen verwendet, sein Umfang blieb jedoch bis ins 20. Jahrhundert auf die kirchenpolitischen Reformen beschränkt. So behandeln Eduard Winter in seinem 1943 erschienen Werk „Der Josefinismus“ wie auch Ferdinand Maass in seiner 1951-61 erschienenen Quellenedition lediglich den kirchenpolitischen Aspekt des Josephinismus-Begriffs. Für die heutige Forschung ist das Begriffsverständnis von Fritz Valjavec massgebender. In seinem 1944 publizierten Buch „Der Josephinismus. Zur geistigen Entwicklung Österreichs im 18. und 19. Jahrhundert“ beschränkt er sich nicht nur auf die kirchenpolitische Seite, sondern fasst den Josephinismus als eine rund 100 Jahre umfassende politische und weltanschauliche Reformbewegung und als österreichische Sonderform der deutschen Aufklärung auf. Diesem weitergefassten Begriffsverständnis schlossen sich auch die für die heutige Forschung bedeutenden Gelehrten Elisabeth Kovács, der Schweizer Peter Hersche und Karl Otmar Freiherr von Aretin an. So verengen wir den Begriff „Josephinismus“ im heutigen Gebrauch weder auf die Herrschaftszeit Josephs II., noch auf den kirchenpolitischen Aspekt. Elisabeth Kovács sieht im „Josephinismus“ „die spezifisch österreichische Form einer allgemeinen Bewegung“, wobei mit allgemeiner Bewegung die europäische Aufklärung angesprochen ist. Karl Otmar Freiherr von Aretin schreibt: „Es handelt sich ja keineswegs nur um ein Staatskirchensystem, sondern der ganze Staat, seine Wirtschaft, seine sozialen Verhältnisse, seine Verwaltung und vieles mehr sollten verändert werden. [...] Das von Joseph geplante Staatskirchentum war nur ein Teil dieser Reform, aber ein Teil, ohne den alles andere nicht gelingen konnte.“ Und Harm Klueting bemerkt bezugnehmend auf Aretins Begriffverständnis, „’Josephinismus’ – wenn man an diesem Begriff festhalten will - gab es seit den Tagen Karls VI. und vor allem unter Maria Theresia“.[3] Der Josephinismus umfasst also nach heutigem Verständnis die vielschichtige gesellschaftliche, politische und kulturell-geistige Bewegung von einer „monarchischen Union von Ständestaaten“ (Otto Brunner) hin zur zentralisierten Bürokratie des monarchischen Absolutismus in Österreich und ist nach Harm Klueting nichts anderes als eine konventionelle Chiffre für den Reformabsolutismus oder in anderen Worten die theresianisch-josephinischen Reformen.[4]

Von diesem heute üblichen Begriffsverständnis ausgehend werde ich in diesem Aufsatz versuchen die Voraussetzungen, Einflüsse, Charakteristiken und die Bedeutung des Josephinismus näher zu beleuchten.

2. Voraussetzungen des Josephinismus

Seit Mitte des 18. Jahrhunderts kam es in ganz Europa zu einer starken Bevölkerungszunahme, welche neue gesellschaftliche Probleme schuf, wie etwa die Notwendigkeit von wirtschaftlichen Veränderungen und Verbesserungen in Landwirtschaft, Handel und Gewerbe. Zudem fand mit dem Eindringen der Aufklärung ein tiefgreifender Bewusstseins- und Verhaltenswandel statt. Harm Klueting bezeichnet den Josephinismus als „ reaktive Reformbewegung[5], der auf diese grossen Veränderungen des 18. Jahrhunderts reagierte. Doch diesen grossen Veränderungsprozessen unterlagen auch andere Länder Europas. Welche Charakteristiken der Geschichte Österreichs waren bedeutsam für die spezifisch österreichische Form europäischer Aufklärung, die in den theresianisch-josephinischen Reformen zum Ausdruck kam und den österreichischen Weg in die moderne Staatlichkeit begründet? Einige dieser Momente der Geschichte Österreichs begünstigten den Modernisierungsprozess, andere wiederum hemmten die Veränderungen eher und gaben dadurch der theresianisch-josephinischen Reformzeit die spezifische Prägung.

2.1 Staatskirchliche Tradition Österreichs

Österreich weist eine lange staatskirchliche Tradition auf, welche die Modernisierungsprozesse des 18. Jahrhunderts entscheidend mitprägte. Nicht nur für Harm Klueting[6] ist das österreichische Staatskirchentum ein Charakteristikum der Geschichte Österreichs im 18. Jahrhundert. Auch Erich Zöllner[7] zählt es neben den aufklärerischen Ideen, dem „Geist der Zeit“, wie er so schön sagt, zu den Entwicklungslinien des Josephinismus. Fritz Valjavec hebt den konfessionellen Unterschied hervor, wenn er schreibt: „Die starke Verbindung Österreichs mit dem Katholizismus überhaupt, hinderte jedoch die Aufklärung an einer vollen Besitzergreifung des Staates und seines politischen Apparates, wie das etwa in protestantischen Ländern Deutschlands möglich war.“[8]

Nach dem Westfälischen Frieden setzte eine energische Rekatholisierung ein, sodass es zwischen Österreich und dem Katholizismus bald zu einer untrennbaren symbiotischen Beziehung kam. Schon im ausgehenden 16. Jahrhundert hatte die Fürstenmacht ein katholisches Bildungsmonopol errichtet, das durch eine staatlich-kirchliche Bücherkontrolle abgerundet wurde. Unkatholische Theologie sowie oppositionell-ständische Politiktheorie wurde aus dem Verkehr gezogen. Gerade die frührationale Philosophie, die vor allem unter den Calvinisten grosse Verbreitung fand, litt darunter. Unter Kaiser Leopold I., der ein barock-katholischer Herrschermythos umgab, wurden die drei Hauptländer der Habsburger, Österreich, Böhmen und Ungarn, mit der himmlischen Dreifaltigkeit verglichen. Heinz Schilling[9] betont den Verdienst dieses barocken Staatspathos, das entscheidend zum Gelingen der absolutistischen Reformen seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert beitrug. Dass das Haus Österreich seine Ländermassen zu einem in sich differenzierten, aber doch einem einheitlichen Willen gehorchenden Gesamtstaat zusammenschmieden konnte, habe es der Leistung der integrierenden katholischen Glaubenseinheit zu verdanken.

Auf dieser Basis bauten die durch Zentralisierung und Säkularisierung gekennzeichneten theresianischen Staatsreformen in der Mitte des 18. Jahrhunderts auf. Die Vereinheitlichung des Untertanenverbands und seine Unterordnung war nur eine Seite der Kirchen- und Religionspolitik, die andere hatte die Einordnung der Kirche in den Staat vor Augen, was bereits im Spätmittelalter begann und im konfessionellen Absolutismus des 18. Jahrhunderts vollendet wurde. Die Habsburgermonarchie als katholischer Staat hatte es jedoch schwieriger als protestantische Staaten, Religion und Glauben nach eigenem Gutdünken dem Staatszweck zu Nutzen zu machen, da es sich um eine von Rom aus regierte Universalkirche handelte. Der österreichische Kaiser konnte nie völlig verhindern, dass Personen von ausserhalb auf das religiöse und kirchliche Leben Einfluss nahmen. Diese Spannung des katholischen Staatskirchentums verzögerte die Staatsbildung und verlangte von der Regierung Maria Theresias und Josephs II. politisches Geschick, um die Kirche und den Klerus in derselben Weise unterzuordnen, wie das mit dem Adel und den Städten geschehen war. Der Josephinismus verwandelte die katholische Kirche in eine Staatsinstitution für Wohlfahrt, Bildung und Kultur. So wurde die Kirche von einem Bündnispartner der Monarchie zunehmend zum Instrument des Absolutismus, dessen neuem Nützlichkeitsdenken Klöster und andere kirchliche Institutionen zum Opfer fielen. Es begann sich ein neues Bündnis zwischen Reformabsolutismus, Jansenismus und Aufklärung anzubahnen.[10]

[...]


[1] Schilling, Höfe und Allianzen, S.315

[2] Klueting, Der Josephinismus, S.1

[3] Klueting, Der Josephinismus, S.2

[4] Klueting, Der Josephinismus, S.6

[5] Klueting, Der Josephinismus, S.3

[6] Klueting, Der Josephinismus, S.3

[7] Reinalter, Der Josephinismus, S.23

[8] Valjavec, Der Josephinismus, S.7

[9] Schilling, Höfe und Allianzen, S.309

[10] Klueting, Der Josephinismus, S.5

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Josephinismus - Reformen und ihre Spannungsfelder in Österreich
Hochschule
Université de Fribourg - Universität Freiburg (Schweiz)  (Lehrstuhl für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit)
Veranstaltung
18.Jh - Reformen und ihre Spannungsfelder
Note
1,5
Autor
Jahr
2002
Seiten
33
Katalognummer
V16417
ISBN (eBook)
9783638212786
ISBN (Buch)
9783640462865
Dateigröße
452 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Josephinismus, Reformen, Spannungsfelder, Reformen, Spannungsfelder
Arbeit zitieren
Edgar Hegner (Autor:in), 2002, Josephinismus - Reformen und ihre Spannungsfelder in Österreich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16417

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