Jacques Derridas Gesellschaftskritik in "Marx' Gespenster"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

21 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Gespenst und Geist

3. Gespenster bei Marx

4. Derridas Begriffe
4.1. Dekonstruktion
4.2. Differänz
4.3. Spur

5. Verschiedene Dimensionen
5.1. Politik und die neue Internationale
5.2. Moral und Gerechtigkeit
5.3. Leben, Tod und Religion

6. Fazit

7. Biografie

8. Literatur
8.1. Primärliteratur:
8.2. Sekundärliteratur

1. Einführung

In dem 1995 veröffentlichten Werk „Marx’ Gespenster“ unternimmt Jacques Derrida den Versuch, eine Gesellschaftskritik zu formulieren.

Der Ursprung dieses Werkes ist ein Vortrag, welchen Derrida im April 1993 anlässlich der Eröffnung eines internationalen Kolloquiums mit dem Titel „Wither Marxism?“ („Wohin geht der Marxismus?“) an der Universität von Kalifornien hielt.

Das Buch besteht aus fünf Kapiteln, in denen unter anderem um den zentralen Begriff des „Spektralen“, dem was nicht mit dem Gegenwärtigen identisch ist, geht.

Derrida behauptet, dass eine angemessene Kritik der heutigen Welt Marx positiv aneignen und ihn dennoch grundsätzlich kritisieren muss. Er fordert sogar fast dazu auf, den „kritischen Geist“ von Marx zu bewahren und den Auftrag, den er der Nachwelt überliefert hat, die Welt gerechter und für die Menschen lebenswerter zu machen, nicht zu vergessen.

Gleichzeitig kritisiert er die traditionell-marxistischen Theorien, wie auch die gegenwärtige kapitalistische Gesellschaft und drängt auf einen Bruch mit der „Neuen Weltordnung“, welche sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem europäischen Kommunismus etablierte.

Mit dieser Arbeit möchte ich nun versuchen, einige Punkte aus dem Werk „Marx’ Gespenster“ aufzugreifen und näher auf diese einzugehen. Dies geschieht auf Grund des Umfangs und der Komplexität dieses Werkes jedoch nur exemplarisch. Auch werde ich im Folgenden einige speziell von Derrida gebrauchte Begriffe umreißen, die in seinen Werken eine zentrale Rolle spielen, wie z.B. die Dekonstruktion. Dies geschieht ebenso exemplarisch und soll der Versuch sein, einen kleinen Einblick in zentrale Themen in den Theorien Jacques Derridas zu geben.

2. Gespenst und Geist

Bei der Lektüre von „Marx’ Gespenster“ stellt sich einem sehr schnell die Frage, was es mit den Gespenstern und Geistern auf sich hat, welche sich durch das gesamte Werk hindurch ziehen. Dabei geht es nicht nur um Marx’ Gespenster, sondern auch um Derridas und Stirners. Dies erschwert die nähere Beschreibung und Eingrenzung, da die verschiedenen Geister bzw. Gespenster unterschiedliche und teilweise sogar gegensätzliche Eigenschaften aufweisen. Auch ist keine klare und eindeutige Definition zu geben, was genau das Gespenst von dem Geist unterscheidet. Und es ist fraglich, ob dies generell möglich und sinnvoll ist. Trotzdem werde ich im Folgenden versuchen, dem Unterschied zwischen dem Gespenst und dem Geist bzw. den Gespenstern und den Geistern nachzugehen.

Wichtig sind die Eigenschaften und Eigenarten, welche ein Gespenst nach Derrida aufweist und welche Vorraussetzungen erfüllt sein müssen, damit man vom Gespenst sprechen kann.

Dass Geist und Gespenst nicht dasselbe sind lässt sich relativ schnell feststellen, wie zwischen zwei Masken besteht eine Differenz zwischen beiden, diese lässt jedoch nicht so einfach erkennen, wo die Gemeinsamkeiten liegen.

Der Geist verkörpert sich im Gespenst, wenn er nicht mehr von diesem zu unterscheiden ist. Das Gespenst ist also eine bestimmte Erscheinungsform des Geistes, welcher zwischen den Erscheinungen unsichtbar bleibt, aber trotzdem in irgendeiner Form anwesend ist. Derrida bezeichnet das dadurch entstehende Phänomen als „Visier-Effekt“1, da uns etwas ansieht, was wir nicht sehen können.

Ein Geist ist also unsichtbar, während ein Gespenst für einen flüchtigen Moment eben dieses Unsichtbare sichtbar werden lässt.

Auch das Erscheinen eines Gespenstes lässt sich nicht kontrollieren, da es immer mit der Wiederkehr beginnt. Hieraus kann man schließen, dass es also schon einmal da gewesen sein muss, um überhaupt wiederzukehren.

Trotzdem ist das Gespenst immer zukünftig, es erscheint nur als das, wiederkommen oder kommen könnte.2 Dabei stellt sich die Frage, ob es dann überhaupt in der

Gegenwart existieren könnte. So trifft ein Gespenst nach Derrida nur ein, indem es nicht eintrifft.

Ein Gespenst kann so auch als Frequenz einer gewissen Sichtbarkeit des Unsichtbaren aufgefasst werden, es ist andererseits aber auch das, was man sich vorstellt zu sehen oder sich lediglich einbildet.3 Diese Tatsache erschwert es natürlich, ein Gespenst als dieses zu erkennen, da man sich nie sicher sein kann, ob dieses tatsächlich anwesend ist oder lediglich in der eigenen Vorstellung existiert.

Die Differenz zwischen Geist und Gespenst ist eine Differänz, welche später noch näher erläutert wird. Das Gespenst ist nämlich nicht nur die leibliche Erscheinungsform des Geistes, sondern auch das Warten auf eine Erlösung, also auf einen Geist.4

So ist das Gespenst bereits vor seinem ersten Erscheinen anwesend, entweder in Form der Erwartung oder des Versprechens einer Erscheinung.5 Das bedeutet aber, dass ein Gespenst, obwohl es nicht sichtbar wird, trotzdem ständig anwesend ist. Es ist gewissermaßen eine Beschwörung der Zukunft, deren Entwicklung unsicher ist. So gibt es weder eine Wirklichkeit vor den Geistern, noch eine Welt nach diesen, von wo aus die Geschichte neu geschrieben werden könnte.

So wird man in Zukunft lernen müssen, mit dem Gespenst zu leben, mit ihm zu sprechen und ihm zuzuhören, denn „sie sind immer da, die Gespenster, auch wenn sie gar nicht existieren, auch wenn sie nicht mehr sind, auch wenn sie noch nicht sind.“6

3. Gespenster bei Marx

Nicht nur in „Marx’ Gespenster“ spielen diese eine große Rolle, auch in Marx’ Werken selber treten immer wieder Gespenster, Geister und Phantome auf.

Nach Marx Überzeugung geht in Europa das „Gespenst des Kommunismus“7 um.

Derrida untersucht, in welcher Gestalt dieses existiert und ob es wünschenswert ist, dieses zum Verschwinden zu bringen.

Marx selber ist mit den „Mächten des alten Europas“, den Gegnern des Kommunismus einer Meinung, welche dieses Gespenst austreiben wollen, wobei sich das Gespenst des Kommunismus manifestieren soll und so in eine sichtbare Realität transformiert wird. Obwohl er nicht an sie glauben will hat er diese Gespenster beschworen um sie verschwinden zu lassen.

Bei Marx ist das „kommunistische Gespenst“ den Gefühlen der Angst und der Hoffnung verbunden, da es keine Gewissheit für die Zukunft gibt, sondern lediglich eine Ankündigung in Form eines Versprechens einer Möglichkeit sei.

Das marxistisch-revolutionäre Denken, in dem der Menschen ein geknechtetes und unterdrücktes Wesen ist, welches durch eine Umwälzung aller Verhältnisse befreit werden soll, ist die marxistische Gesellschaftskritik.

Marx beschwor das Gespenst des Kommunismus, wobei er nach einer Verkörperlichung des Gespenstigen suchte, welche auf die Zerstörung des Staates und das Ende des Politischen verweisen würde.

Denn nach Marx Ansicht entspringen die Gespenster direkt aus dem kapitalistischen Warenverkehr. Um sie auf ihren Ursprung zurückzuführen, welcher in der materiellen Produktion anzusiedeln ist, versucht er sie zu bändigen und zu entlarven.

Derrida versucht, Marx Kritik am Kapitalismus zu dekonstruieren und stellt fest, dass Marx von dem Gespenst, welches er versuchte auszutreiben selber heimgesucht wurde. Auch wirft er ihm vor, zu viele Gespenster auf zu einfache Weise auf einmal ausgetrieben zu haben und dies unter dem Vorwand sie würden gar nicht existieren.8

Marx unterscheidet jedoch zwischen dem Geist der Revolution und ihrem Gespenst.9 Er sagt allerdings auch, dass sich alle kommenden Revolutionen von dem Geist, sowie dem Gespenst der Vergangenheit abwenden müssen.

Für Marx ist das Gespenst für die historische Entwicklung des Geistes notwendig, daher bleiben sie auch für ihn nicht unterscheidbar.10

Trotzdem sucht Marx nach einer Trennung zwischen dem negativen Gespenst und dem positiven Geist, dies ist jedoch nicht so einfach möglich, da ein Gespenst nicht nur die fleischliche Erscheinung des Geistes darstellt, sondern auch das Warten auf eine Erlösung durch einen Geist.

Marx wollte mit dem Gespenst Schluss machen, dafür musste er es greifbar machen und besitzen, allerdings ohne von ihm besessen zu werden; dies war wohl die Schwierigkeit. Das Gespenst war ein Nichts für Marx, es durfte nicht sein, auch wenn es eine gewisse leibliche Gestalt aufwies.11

Marx liebte die Gespenster nicht, er wollte nicht an sie glauben und war ihnen gegenüber eher feindlich eingestellt, so beschwor er sie und versuchte sie gleichzeitig zu zerstören und zu verleugnen.12

Diese Heterogenität findet sich auch in den Geistern des Marxismus bzw. Marx wieder, von denen es mehr als einen gibt, so war es trotz seiner Jagd auf die Gespenster Marx Anliegen, den Geist der Revolution wieder zu finden und nicht ihr Gespenst wieder umgehen zu machen.13

4. Derridas Begriffe

Das Denken Jacques Derridas lässt sich in eine Strömung einordnen, welche auch als „Philosophie der Differenz“14 bezeichnet wird, da sie sich aus der Kritik des identifizierenden Denkens herleiten lässt.

An die Auffassung Heideggers und Adornos, das die vom Identitätsdenken bestimmte Tradition der europäischen Philosophie nicht einfach transformiert oder verlassen werden kann, schließt Derrida an. Mit der Arbeit an dieser Tradition ging die Arbeit an einer „Dekonstruktion“ der Philosophie einher. Der Begriff der Dekonstruktion ist einer der von Derrida geprägten bzw. entwickelten Begriffe.

Da im Verlauf des Werkes „Marx’ Gespenster“ immer wieder verschiedene dieser speziell von Derrida gebrauchten Ausdrücke vorkommen, werde ich im Folgenden versuchen, einige davon näher zu beschreiben und deutlich zu machen, worum es sich dabei handelt.

4.1. Dekonstruktion

Unter Dekonstruktion versteht man allgemein ein in den siebziger Jahren ausgebildetes analytisches Verfahren in der Philosophie und Literaturwissenschaft. Hauptvertreter der Dekonstruktion ist Jacques Derrida, aber auch in den Werken von Jacques Lacan und Paul de Man ist diese von Bedeutung.

Die sich aus dem Poststrukturalismus heraus entwickelte Dekonstruktion leugnet die Gültigkeit traditioneller philosophisch-metaphysischer Grundbegriffe. Nach Derrida entstehen Subjektivität und Objektivität erst in einem Zustand den er als

„Bewegungen der Differenz“ bezeichnet. Wichtig ist der Widerspruch zwischen der vom Autor angenommenen Textaussage und dem, was ein Text wirklich aussagt; dies soll durch eine dekonstruktivistische Interpretationsstrategie heraus gearbeitet werden.

Dekonstruktion soll jedoch nicht als Systementwurf oder Theorie verstanden werden, vielmehr zeichnet sie sich durch Fragebereitschaft oder einen Perspektivenwechsels aus. So ändert sich die Perspektive, von der aus Derrida denkt ständig, dabei wird sie vom Gegenstand, um den es geht, mitbestimmt.15

[...]


1 Derrida, Jacques: Marx’ Gespenster, S. 22

2 vgl. Derrida, Jacques: Marx’ Gespenster, S 69

3 vgl. Derrida, Jacques: Marx’ Gespenster, S. 162

4 vgl. Derrida, Jacques: Marx’ Gespenster, S 215

5 vgl. Derrida, Jacques: Marx’ Gespenster, S 257

6 Derrida, Jacques: Marx’ Gespenster, S. 276

7 Derrida, Jacques: Marx’ Gespenster, S. 18

8 vgl. Derrida, Jacques: Marx’ Gespenster, S. 274

9 vgl. Derrida, Jacques: Marx’ Gespenster, S. 181

10 vgl. Derrida, Jacques: Marx’ Gespenster, S. 173

11 vgl. Derrida, Jacques: Marx’ Gespenster, S. 57

12 vgl. Derrida, Jacques: Marx’ Gespenster, S. 81 f

13 vgl. Derrida, Jacques: Marx’ Gespenster, S. 181

14 Kimmerle, Heinz: Jacques Derrida, S. 17

15 vgl. Kimmerle, Heinz: Jacques Derrida, S. 24

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Jacques Derridas Gesellschaftskritik in "Marx' Gespenster"
Hochschule
Universität Hamburg  (Fakultät für Erziehungswissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar (Seminar II)
Note
2
Autor
Jahr
2004
Seiten
21
Katalognummer
V162956
ISBN (eBook)
9783640771455
Dateigröße
412 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jadques Derrida, Karl Marx, Dekonstruktion, Differänz, Spur, Marxismus
Arbeit zitieren
Juliane Loll (Autor:in), 2004, Jacques Derridas Gesellschaftskritik in "Marx' Gespenster", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/162956

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