Der emanzipierte Mythos - Medea im Werk Heiner Müllers m. besonderem Augenmerk auf "Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

29 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Begriffserklärung Mythos

2. Der Medea Mythos in der Literatur
2.1 Der kolchisch-jolkische und der korinthische Mythos
2.2 Medeas universelle Charakterzüge

3. Heiner Müllers dramatisches Werk
3.1 Schrecken und Katastrophe
3.2 Intertextuelle Elemente
3.3 Geschichte und Mythos

4. Medea in Müllers Werk
4.1 Medeakommentar
4.2 Medeaspiel

5. Verkommenes Ufer, Medeamaterial, Landschaft mit Argonauten
5.1 Medeamaterial, Landschaft mit Argonauten
5.2 Landschaft mit Argonauten

Schlussbetrachtung

Einleitung

Antike Stoffe und ihre Rezeptionen haben bis heute nichts von ihrer Faszination verloren. Nach wie vor steht der Mensch im Bannkreis der mythologischen, meist in der griechischen Antike wurzelnden, Überlieferung.

„Mythos“ – ein Wort das heute in vielerlei Zusammenhang gebraucht wird. Es gibt eine Vielzahl moderner Mythen, die ebenso schnell verschwinden, wie sie die Gesellschaft beschäftigen. Jede Epoche hatte seine eigenen Mythen – die Suche nach dem heilige Gral im Mittelalter, die Formel der Alchimisten zur Herstellung von Gold, der Mythos des sagenhaften Atlantis, der bis heute fortbesteht, universelle, religiöse Mythen wie das „Fatum“, das Schicksal im Islam. Heutige Mythen lassen sich schwer zusammenfassen – eben weil sie so schnell wieder in Vergessenheit geraten und jede Generation, jede individuelle Gruppierung, seine eigenen Mythen hat.

Die Kenntnis der antiken Mythologie trägt wesentlich dazu bei, Eingang zu einer Vielzahl von moderner Literatur zu finden – auch wenn diese sich nicht sofort ersichtlich mit einem antiken Topos beschäftigt.

In vielfacher Gestalt haben antike Mythen per se Eingang in die moderne Literatur gefunden, wurden und werden von modernen Autoren übernommen und in abgewandelter Form in die moderne Zeit adaptiert. Dabei verliert sich aber nie das antike „Ur“- Thema, es wird in ein modernes Kleid gesteckt, aber die Fragen nach dem Schicksal, dem Gesetz, der Liebe und menschlichen Problemen bleiben dieselben wie vor 3000 Jahren, sie sind dem heutigen Leser - und Zuschauer - so bekannt und vertraut wie dem Damaligen.

Sei es der Zweifel am Rechtsstaat, wie ihn Antigone äußert, oder das Leiden und die Erlösung durch den Tod, sowie das Verhältnis einer Frau zur Mutter bei Elektra.

Der bekannte Mythos des Ödipus thematisiert die Suche eines Menschen nach seiner Herkunft, die Geschichte von Medea und Jason – ein Teil der Argonautensage – beschreibt den Betrug eines Mannes an seiner Frau.

Das Gesetz, seelisches Leiden, Identitätssuche, Betrug – Themen die die Literatur noch heute beherrschen und die Leser faszinieren. Als Konsens bleibt die Einsicht, dass die Menschen nur Spielbälle des Schicksals sind – sie können es nicht beeinflussen.

Am Beispiel der Medea – in der Originalfassung von Euripides, der sich eines noch älteren Mythos bediente – lassen sich neben dem Topos des Betruges noch weitere allgemein gültige Motive aufzeigen.

Adaptionen des Mythos von Jason und Medea ziehen sich durch die Jahrhunderte der Literaturgeschichte. Angefangen bei Euripides, über Grillparzer, bis zu Jahnn, Christa Wolff und eben Heiner Müller gibt es zahlreiche Bearbeitungen des Mythos Medea. Sie alle stellen unterschiedliche Attribute Medeas in den Vordergrund. Mal ist sie die mordende Mutter, mal die mythologische Zauberin, die betrogene Frau oder die einsame Fremde. Medea ist im Mythos all dies gleichzeitig.

Erstmals in der Literatur erwähnt wurde die Sage Medeas vom griechischen Epiker Hesiod. Bearbeitungen von Sophokles und Aischylos gelten als verschollen. Erhalten geblieben sind von den antiken Bearbeitungen des Mythos nur die von Euripides und die des Römers Seneca.

Euripides ‚Medea’ gilt bis heute als prägend für alle nachfolgenden Bearbeitungen. So beschreibt auch Heiner Müller Euripides, neben Hans Henny Jahn und Seneca, als Hauptquelle für seine Medea Bearbeitung „Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten“ aus dem Jahr 1982.

Müllers ‚Medeamaterial’ ist eine von vielen Adaptionen antiker Stoffe, die er verfasste.

Bereits 1965 stellte er mit ‚Philoktet’ sein erstes antikes Stück fertig. Darauf folgt eine Bearbeitung von Herakles, 1966 ‚Ödipus Tyrann’ und 1972 mit ‚Zement’, zwar kein Drama, das per se einen antiken Mythos behandelt, aufgrund des Vergleiches mit dem Medea Mythos jedoch Erwähnung bei den mythischen Stücken findet.

Müller verfasste nicht nur Adaptionen antiker Stoffe, sondern verwendete auch klassische Vorlagen, wie Shakespeare in dem Stück ‚Hamletmaschine’, Grillparzer in ‚Germania 3’, oder Bertold Brecht in ‚Schlacht’, sowie viele weitere Anspielungen und Zitate. Trotzdem sind Müllers Dramen durchaus neu und anders. Müller unterscheidet zwischen dem „Stoff“ – das sei die Geschichte, „die er freilich nicht selbst erfinden kann“[1] und der Form. Und eben diese ist das besondere an Müllers Werk, „diese ist seine Leistung und sehr wohl neuartig“[2], wie Rainer E. Schmitt bemerkt.

Joachim Pfeiffer beschreibt in seiner Abhandlung „Arbeit am Mythos – Ödipus in der deutschsprachigen Literatur“ die Funktion des Mythos für den französischen Soziologen Levi-Strauss: „Ein Mythologem definiert sich durch die Gesamtheit seiner Fassungen, alle Varianten sind konstitutive Bestandteile des einen Mythologems“.[3] Somit ergebe sich, dass alle Rezeptionen und Bearbeitungen eines antiken Mythen- Stoffes auf ihre eigene Art an dem Mythos weiterschreiben. Sie stellen schon bekannte Themen heraus, erschaffen aber durch ihre Rezeption wiederum neue – die von wieder anderen Autoren neu bearbeitet werden. Somit schafft auch Müller nicht allein durch die besondere Form seiner antiken Bearbeitungen Neues. Er stellt Themen – und vor allem Bezüge – in den Vordergrund, die vor ihm kein anderer so gesehen hat.

So ist die jüngere deutsche Geschichte ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch Müllers Werk zieht. Das gilt auch für seine Antik –Stücke. So wurde „Ödipus Tyrann“ „plötzlich ein Stück über Chruschtschow, der ja über eine Missernte gestürzt war, den Zusammenbruch seines Landwirtschaftsprogramms“.[4] Auf die Bühne gebracht wurde das Stück schließlich als „eine Afrikanisierung des Ödipus.“[5]

In Euripides Vorlage zum „Medeamaterial“ sieht Müller unter anderem „die Gastarbeiterfrage: „Medea, die Barbarin. [...] Unsere Asylgesetzgebung, die unter anderem die Trennung von Müttern und Kindern [...] ermöglicht, basiert ja auf Mustern der Sklavenhaltergesellschaft, die bei Euripides nachzulesen sind.“[6]

Medea ist in Heiner Müllers Bearbeitung nicht nur die „Asylantin“, „Medeamaterial“ ist die Geschichte der betrogenen, verzweifelten Frau, ein Liebesdrama, das Medeas Verzweiflung und ihren Hass auf Jason in den Vordergrund stellt. Das in drei Szenen aufgeteilte, als dramatisches Werk jedoch nur im Ansatz erkennbare Stück weist ebenso antike, wie moderne Elemente auf, so dass es eine zeitlose Wirkung erhält.

In dieser Arbeit möchte ich zunächst die Bedeutung des Begriffes „Mythos“ näher erläutern. Gerade in der Literaturwissenschaft ist eine klare Abgrenzung des Mythos Begriffes schwer zu ziehen. Von antiken Mythen-, über historischen-, bis hin zu heutigen – medialen – Mythen wird für ganz unterschiedliche Phänomene derselbe Begriff benutzt. Oft, und in den verschiedensten Zusammenhängen gebraucht, muss hier zunächst herausgestellt werden, wie der Mythos, mit dem sich Müller beschäftigt, definiert, und, daran anschließend, wie der Mythos Medea in der Literatur adaptiert wird. Ein literaturgeschichtlicher Diskurs ist bei einem mythischen Thema unerlässlich, so dass ich die werkimmanente Interpretation, die ich in Teil fünf der Arbeit ausführlich behandeln werde, damit ergänzen werde.

[...]


[1] Rainer E. Schmitt, „Geschichte und Mythisierung – Zu Heiner Müllers Deutschland Dramatik“, Berlin, 1999, S. 32; künftig zitiert als Schmitt

[2] ebd.

[3] http://www.ahg-ahaus.de/fachschaften/tewocht/oedipus/pfeiffer.html

[4] Heiner Müller, „Krieg ohne Schlacht“, Köln, 1994, S. 203; künftig zitiert als: Müller, 1994

[5] ebd., S. 203

[6] ebd., S. 320

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Der emanzipierte Mythos - Medea im Werk Heiner Müllers m. besonderem Augenmerk auf "Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten"
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Philosophische Fakultät)
Veranstaltung
HS Antikrezeption im deutschsprachigen Drama
Note
2,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
29
Katalognummer
V16289
ISBN (eBook)
9783638211840
Dateigröße
720 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Zu Mythen in der Literatur, bes. der Medea Mythos, Dramatik Heiner Müllers, Müllers Medea Rezeptionen vom Medeaspiel, über Medeakommentar bis zum Hauptteil über &quot,Verkommenes Ufer...&quot,
Schlagworte
Mythos, Medea, Werk, Heiner, Müllers, Augenmerk, Verkommenes, Ufer, Medeamaterial, Landschaft, Argonauten, Antikrezeption, Drama
Arbeit zitieren
Nadia Hamdan (Autor:in), 2003, Der emanzipierte Mythos - Medea im Werk Heiner Müllers m. besonderem Augenmerk auf "Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16289

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