Jugend und Rechtsextremismus in Leipzig

Eine empirische Untersuchung im Kontext differentieller Lerntheorien


Magisterarbeit, 2009

146 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Zusammenfassung

2. Einführung

3. Theoretische Grundlagen
3.1 Rechtsextremismus - Rassismus - Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit . . .
3.1.1 Rechtsextremismus - Definition und Probleme
3.1.2 Rassismus und Diskriminierun
3.1.3 Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
3.1.4 Auswirkungen der Begriffsvielfalt
3.2 Erklärungsansätze
3.2.1 Sozialwissenschaften
3.2.1.1 Modernisierungstheorien
3.2.1.2 Subkulturtheorien
3.2.1.3 Theorien der Politischen Kultur
3.2.1.4 Soziale Konflikttheorien
3.2.1.5 Faschismustheorien
3.2.2 Psychologie
3.2.2.1 Autoritarismustheorie
3.2.2.2 Dogmatismusansatz
3.2.2.3 Sozialisationstheorie
3.3 Allgemeine Lerntheorien
3.4 Differentielle Lerntheorien
3.4.1 Differentielle Assoziation nach SUTHERLAND
3.4.2 Differentielle Verstärkung nach BURGESS & AKERS
3.4.3 weitere Ansätze differentiellen Lernens
3.4.4 Bedeutung für die Erklärung von Rechtsextremismus und Rassismus . .

4. Die Untersuchung
4.1 Zielsetzungen
4.2 Forschungsdesign
4.2.1 Grundgesamtheit und Stichprobe
4.2.2 Datenerhebungsinstrument
4.2.3 Durchführungsphase
4.3 Datenauswertung
4.3.1 Datenaufbereitung
4.3.2 Datenanalyse - erste deskriptive Befunde

5. Ergebnisse
5.1 Rassismus
5.2 Andere Teilaspekte des Rechtsextremismus
5.3 Differentielle Lernerfahrungen

6. Schlussfolgerungen

7. Literatur und Anhang
7.1 Literaturverzeichnis
7.1.1 Literatur
7.1.2 Internetquellen
7.2 Tabellenverzeichnis
7.3 Abbildungsverzeichnis
7.4 Anhang
7.4.1 Anschreiben (Schulen)
7.4.2 Fragebogen

1. Zusammenfassung

Rechtsextremismus und Rassismus erfahren in Alltag und Wissenschaft eine widersprüchliche Behandlung. Zum Einen gibt es heftige und kontroverse Diskussionenüber die begriffliche und inhaltliche Bestimmung dieser Phänomene, zum Anderen gilt es, eine schier endlose Fülle von Erklärungsansätzen zuüberblicken. Ausgehend davon versucht die folgende Arbeit einenüberblick zu gebenüber die Phänomene Rechtsextremismus und Rassismus und maßgebende Erklärungsansätze aufzuzeigen. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die differentiellen Lerntheorien gegeben, deren Erklärungskraft zu oft unterschätzt wird. In einem zweiten Schwerpunkt der Arbeit wird eine Untersuchung vorgestellt, die an Leipziger Berufsschulen durchgeführt wurde und die spezifischen Lebensbereiche untersucht, in denen Rassismus gelernt wird. Dazu wurde eine Befragung von 123 Berufsschülern1 ausgewertet, die einerseits das bedenkliche Ausmaß rassistischer und rechtsextremer Einstellungen offen legt und andererseits - mit Hilfe der differentiellen Lerntheorien - verdeutlicht, dass vor allem die Familie und Peer Groups beim Erlernen rassistischer Einstellungen von Bedeutung sind. Daraus werden erste Annahmen abgeleitet, wie der Verbreitung von Rassismus in der Praxis begegnet werden kann.

2. Einführung

„Leipzig. Etwa zwei Dutzend junge Nazis haben am Dienstag abend, 30.01.07, eine anti- faschistische Veranstaltung im Leipziger Kino Cinedingüberfallen. Dabei wurden zwei Personen leicht verletzt sowie ein Auto und ein Schaukasten beschädigt. Die Polizei nahm nach eigenen Angaben zwölf Personen vorübergehend fest. Die »Bürgerinitiative gegen rechts« wollte in dem Kino Filme zeigen, dieüber die rechte Szene im Leipziger Stadtteil Lindenau informieren. Als die mit Videokameras, Zahnschutz, Handschuhen und CS-Gas ausgerüsteten Rechten erschienen, verbarrikadierten sich die Teilnehmer in dem Kino. Während die Neonazis versuchten, Verstärkung herbeizurufen, schritt eine Gruppe junger Antifaschisten ein, die zufällig in dem Viertel unterwegs war. Die Rechten verschwanden, als schließlich die Polizei erschien.“2

Dass Rechtsextremismus ein enormes Problem für unsere Gesellschaft darstellt, ist offensichtlich. Entsprechend beschäftigt sich eine Vielzahl gesellschaftlicher Akteure mit dieser Problematik. Doch dominierte die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus nach dem Zweiten Weltkrieg die Ansicht, dass die Phänomene lediglich Nachwirkungen des Nationalsozialismus unter Hitler und ihre Ursachen somit ebenfalls in diesem zu verorten seien. So sprach das Gros der Wissenschaftler meist von „Ewiggestrigen“3 und ignorierte die eigentliche Entwicklung. Denn es kam mehr und mehr ein „Rechtsextremismus ohne Nazis“4 auf, der sich spätestens in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Deutschland manifestiert hatte. Trotzdem erfuhr das Phänomen Rechtsextremismus in Wissenschaft, Politik undöffentlicher Wahrnehmung lange Zeit eine eher kapriziöse Behandlung. Hier ist vor allem die in Häufigkeit, Intensität und Relevanz massiv schwankende mediale Auseinandersetzung mit rechtsextremen Vorfällen, Wahlerfolgen rechter Parteien und ähnlichem zu bemerken. So war es zum Beispiel während der Vorfälle in Rostock, Hoyerswerda, Eberswalde und anderen Städten Anfang der 1990er Jahre zu einer starken Zunahme der Berichterstattung im Hinblick auf und zu einer größtenteils unsachgemäß geführten Debatteüber das neuerliche Aufkommen rechter Bestrebungen in Deutschland gekommen, begleitet von einer Welle von Verboten diverser Organisationen. Bis zur Jahrtausendwende nahm die Zahl derübergriffe und parallel dazu auch die mediale Aufmerksamkeit ab. Zu dieser Zeit häuften sich rechtsextreme Vorfälle aber erneut und es kam zum sogenannten „Aufstand der Anständigen“5. Diesem folgte dann ein (gescheitertes) Verbotsverfahren gegen die NPD und man befand sich in derselben Situation, wie knapp zehn Jahre zuvor. Heute ruht das Thema einmal mehr. TORALF STAUD hat diese Entwicklung in einem kurzen aber prägnanten Satz zusammengefasst: „Über Rechtsextremismus wird in Deutschland entweder hysterisch oder gar nicht geredet.“6

In der Wissenschaft dagegen gibt es seit Ende des Zweiten Weltkrieges eine kontinuierliche Beschäftigung mit dem Thema Nationalsozialismus und Rechtsextremismus - innerhalb der vorherrschenden Diskurse und in der entsprechenden Sprache7. So richtete sich erst in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts das Augenmerk auf aktuellere Entwicklungen - weg von der (historischen) Analyse des National- sozialismus. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden rechtsextreme Vorfälle nur als Nachwirkung des Hitlerfaschismus angesehen und auch als solche behandelt. Im Grunde genommen wurde nur versucht, sicher zu stellen, „dass Auschwitz nicht noch einmal sei“8 - der berühmte kategorische Imperativ der deutschen Geschichte nach THEODOR W. ADORNO. Erst in den letzten Dekaden befasste sich die Wissenschaft mehr und mehr mit den aktuellen Erscheinungen - und zwar relativ losgelöst vom historischen Nationalsozialismus. Damit war auch der Weg frei für eine Vielzahl von bestehenden und neuen Ansätzen, die auf unterschiedliche Weise versuchten, rechtsextreme Einstellungen und Verhaltensmuster zu erklären - im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Entwicklungen, Persönlichkeits- merkmalen und anderem. Dabei setzten sich bestimmte Ansichten und Erklärungsmuster durch, andere wurden missachtet oder zurückgedrängt (vgl. Kapitel 3.2).

Während die Forschung Extremismus bis in die 1980er Jahre grundsätzlich noch als den Totalitarismustheorien zugehörig ansah, wurde diese Exegese seit Anfang der 1990er Jahre mehr und mehr verworfen und versucht, dem komplexer werdenden Problemfeld des Rechtsextremismus gerecht zu werden. So wurden zum Beispiel vermehrt die sogenannten Mittelstandstheorien von THEODOR GEIGER oder SEYMOUR MARTIN LIPSETübernommen9, die Extremismus nicht als Randphänomen sehen, sondern als in allen gesellschaftlichen Schichten verortet - jenseits einer demokratischen Mitte. Heute gibt es nur noch eine Handvoll Vertreter der bundesdeutschen Rechtsextremismusforschung, die an dem totalitaristischen oder auch normativen Konzept festhalten.

Trotzdem wurde - und wird - durch die Bevorzugung dieses normativen Begriffes im staatlichen Kontext sowie durch eine unreflektierteübernahme in den Medien weiterhin ein Bild von Rechtsextremismus als Randphänomen erzeugt, das strikt von der Mitte zu trennen ist. Rechtsorientierte Gewalttäter werden als betrunkene Jugendliche oder Einzeltäter dargestellt, um jegliche Verbindung zur vermeintlich demokratischen Mehrheitsgesellschaft zu kappen10. Wie jedoch eine Reihe von Untersuchungen in den letzten Jahren gezeigt hat, ist dies mitnichten der Fall11.

Parallel zu dieser Erweiterung des Rechtsextremismusbegriffes gab es eine Pluralisierung der Erklärungsansätze; neben modernisierungstheoretischen werden JOHANN BACHER zufolge vor allem auch „belastungs- bzw. stresstheoretische, persönlichkeits- bzw. sozialisationstheoretische und kontrolltheoretische Erklärungsansätze“12 genutzt, um Rechtsextremismus zu erklären. Darüber hinaus gibt es noch Ansätze, wie etwa die Subkulturtheorie und andere, die von BACHER nicht genannt werden, auf die ich im Kapitel 3.2 noch näher eingehe. Er betont weiter, dass vor allem lerntheoretische Ansätze - genauer gesagt, die in dieser Arbeit zentralen differentiellen Lerntheorien - in diesem Zusammenhang bisher weitestgehend vernachlässigt wurden13. Die unterschiedlichen Erklärungen ergeben natürlich auch divergente, teilweise sogar gegensätzliche Handlungsansätze in der Praxis. Die differentiellen Lerntheorien versuchen dabei nicht, diese Fülle an Konzeptionen - sowohl in der Theorie, als auch in der Praxis - einfach nur um einen weiteren Ansatz zu bereichern, sondern streben eine Verbindung mit vorhandenen Ansätzen an. Sie erweitern also bestehende Konzepte, indem sie die relevanten Gruppen definieren, in denen rechtsextreme Einstellungen gelernt werden. BACHER formuliert das in seiner Untersuchung zu Ausländerfeindlichkeit so: „Im Vordergrund steht also nicht die Frage, wie Ausländerfeindlichkeit erworben wird, sondern wo.“14 Weiter heißt es dann: „Die Ergebnisse [der Arbeit Bachers, Anm. d. A.] unterstreichen die theoretische Schlussfolgerung, dass differentielle Lerntheorien bestehende Erklärungsmuster von Ausländerfeindlichkeit ergänzen können.“15

Rechtsextremismus ist, wie das Zitat am Anfang dieses Kapitels zeigt, ein gesellschaftliches Problem, das auch - oder gerade - Leipzig betrifft. Hier, in der Stadt der friedlichen Revolution von 1989/90, treffen sich alljährlich die Neonazis zu Demonstrationen, gibt es zwei aktive Kameradschaften sowie eine Bruderschaft16 und auch einen verbreiteten latenten Rechtsextremismus, der den Unmut der Bevölkerungüber die - realen oder scheinbaren - wirtschaftlichen, politischen und sozialen Missstände auszu- drücken scheint. Seit etwa 1998 gibt es in der Stadt regelmäßig mindestens zwei Rechtsextremismus-Studie“ sowie die Reihe „Deutsche Zustände“ von WILHELM HEITMEYER (HEITMEYER 1993 und 2002-2007) und vor allem die drei Untersuchungen „Vom Rand zur Mitte“, „Ein Blick in die Mitte“ sowie „Bewegung in der Mitte“ von OLIVER DECKER & ELMAR BRÄHLER (DECKER & BRÄHLER 2006, 2008(1) und 2008(2)).

Demonstrationen pro Jahr, die vor allem vom Hamburger Neonazi Christian Worch angemeldet wurden. Auch wenn mit den Jahren der Widerstand größer wurde und Worch letztendlich die restlichen seiner ursprünglich bis 2014 angemeldeten Demonstrationen absagte, kann die Stadt nicht aufatmen. Denn den Jobübernehmen jetzt andere: die hiesigen Kameradschaften - Freie Kräfte Leipzig sowie die Kameradschaft Schönefeld - oder die NPD mit dem 2008 neu gegründeten Stützpunkt ihrer Jugendorganisation JN (Junge Nationaldemokraten)17 versuchen weiterhin mitöffentlichen Auftritten ihre braune Propaganda zu verbreiten. Neben den Demonstrationen nutzen die Leipziger Kameradschaften auch jede andere Möglichkeit, sich zu profilieren. Sie verteilen Flyer in Supermärkten, nehmen an Veranstaltungen zum Thema Rechtsextremismus teil (und beteiligen sich aktiv daran), organisieren Konzerte, sind immer wieder an rechtsextremenübergriffen beteiligt18 und tun sich auch immer mehr in der LOK-Hooligan-Szene hervor19. Rechtsextreme Parteien sind in Leipzig ebenfalls vertreten. Der NPD-Kreisverband ist der größte sachsenweit, ferner ist die DSU in Leipzig vertreten und auch die Republikaner haben 2007 einen neuen Kreisverband gegründet. Neben den Aktivitäten und Vorfällen im Zusammenhang mit den Kameradschaften und Parteien gab es natürlich auch unzählige rechtsextreme Gewalttaten, Propagandadelikte und andere Straftaten. Dabei sind unter anderem die wochenlangen Krawalle einer Gruppe rechtsgerichteter Akteure in der GutsMuthsstraße im Stadtteil Lindenau, mehrere (zusammenhängende) fremdenfeind- liche Vorfälle im Stadtteil Reudnitz oder die antisemitischen Sprechchöre bei Spielen von LOK Leipzig zu nennen20.

Trotz dieser - mehr oder weniger organisierten - rechtsextremen Strukturen in Leipzig ist die Stadt diesen Begebenheiten nicht gänzlich ausgeliefert. Neben einem immer stärker werdenden bürgerschaftlichen Engagement und einem besonders gut ausgebauten Netzwerk freier Träger der Jugendhilfe und politischen Bildung hat die Stadt selbst einen gesonderten Arbeitsbereich geschaffen, der vor allem Rechtsextremismus bekämpfen soll - die Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention. Diese Stelle wurde 1999 als Folge der Eskalation der Situation um das Kirschberghaus Treff II in Leipzig-Grünau geschaffen21. Hier wurde in Leipzig erstmals das Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit angewandt - und scheiterte; rechte Jugendliche nutzten den Jugendtreff, um eine National befreite Zone zu errichten. Daraufhin wurde von der Stadt der Ma ß nahmenkatalog zur Eindämmung politisch motivierter Jugendgewalt22 entwickelt, dessen Umsetzung durch die Fachstelle ermöglicht werden soll. Sie soll dazu die Situation in der Stadt evaluieren, freie Träger und Projekte unterstützen und vernetzen, Projektarbeit an Schulen durchführen, Beratungsmöglichkeiten anbieten und gesellschaftliche Aktivitäten gegen Rechts fördern.

Dass Leipzig auch ein Zentrum der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus ist, zeigt die Vielzahl Veranstaltungen und Studien, die von Leipziger Wissenschaftlern durchgeführt wurden. Dazu nur eine kleine Auswahl: Die drei Studien „Vom Rand zur Mitte“, „Ein Blick in die Mitte“ und „Bewegung in der Mitte“ von OLIVER DECKER und ELMAR BRÄHLER, herausgegeben von der Friedrich-Ebert-Stiftung23, die Teilstudie des international vergleichenden Projektes „The European Dilemma: Institutional Patterns and Politics of ,Racial´ Discrimination“, die von Prof. HELENA FLAM vom Soziologischen Institut der Universität Leipzig zu institutioneller Diskriminierung durchgeführt wurde24, die HTWK-Studie „Fremdenfeindliche Einstellungen unter Jugendlichen in Leipzig“25 und die Veranstaltungsreihe „Die Welt zu Gast bei Wem? Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Migration in Sachsen, Deutschland und Europa“26 der HTWK Leipzig.

Diese und weitere Veröffentlichungen zeigen, dass Rechtsextremismus - wenn auch nicht ausschließlich - ein Jugendproblem darstellt und die Auseinandersetzung mit dieser Gruppe besondere Anstrengungen verlangt. Dennoch ist es falsch, anzunehmen, dass sich rechtsextreme Einstellungen und Verhaltensweisen lediglich in der Jugendphase zeigen und sich mit zunehmendem Alter und damit vermeintlich zunehmender Reife und Erfahrung in Wohlgefallen auflösen oder gar nur in bestimmten gesellschaftlichen Gruppen zu verorten wären.

Die Shell-Jugendstudien etwa zeigen regelmäßig, dass es unter Jugendlichen teilweise hohe Zustimmungen zu sogenannter Ausländerfeindlichkeit und anderen Indikatoren für Rechtsextremismus gibt. So stimmt eine Vielzahl von Jugendlichen der Aussage zu, dass es zu viele Ausländer gäbe bzw. der Zuzug von Migranten gestoppt werden sollte27. Die Anteile der Jugendlichen, die diese Meinungen vertreten, steigen dabei in den letzten Jahren signifikant an28. Die Studie „Querschläger“ von MAREK FUCHS et al.29, die für Bayern als repräsentativ gilt, zeigt ebenfalls ein ähnliches Bild. Auch wenn hier nur 5% der Jugendlichen ein festes rechtsextremes Weltbild haben, so ist die Zustimmung zu einzelnen Indikatoren doch eher hoch30. Die Ergebnisse der HTWK-Studie „Fremdenfeindliche Einstellungen unter Jugendlichen in Leipzig“31 sind sogar noch gravierender. So liegt der Studie zufolge das Ausmaß an fremdenfeindlichen Einstellungen unter Jugendlichen bei 40%, die Gewaltaffinität in diesem Zusammenhang ist mit 13% ebenfalls vergleichsweise hoch32.

BACHER hat in seiner Studie bei Nürnberger Berufsschülern ebenfalls Zustimmungen von 52% bei „eher ja“ und 27,5% bei „volle Zustimmung“ zu Ausländerfeindlichkeit ermittelt33. Dieses Ergebnis zeigt die Relevanz, die eine Untersuchung von Berufsschülern hat, denn gerade hier zeigen sich scheinbar die stärksten Ausprägungen rechtsextremer Einstellungen unter Jugendlichen. Auch andere Untersuchungen zeigen ähnliche Befunde, obwohl die Datenlage zu dieser Untersuchungsgruppe als unzureichend zu kennzeichnen ist. BACHER nennt dazu eine Untersuchung von MERKENS et al., die zeigt, „dass sich Auszubildende (Berufsschüler und Berufsschülerinnen in dualer Ausbildung) signifikant häufiger fremdenfeindlich äußern, als Schülerinnen und Schüler der 9. bis 12. Klasse anderer Schulformen“34. Eine weitere Untersuchung zu politischen Orientierungen von Auszubildenden wurde 1995 von URSULA BIRSL herausgegeben35. Des Weiteren zeigen auch Einzelergebnisse einiger anderer Studien die vergleichsweise hohe Zustimmung zu ausländerfeindlichen bzw. rechtsextremen Aussagen unter Berufsschülern. So zum Beispiel die 13. Shell-Studie von 2000, in der etwa die Einschätzung des Ausländeranteils als „zu hoch“ von 59,6% der Schüler, von 46,2% der Studenten und von 66,3% der Jugendlichen in einer Berufsausbildung angegeben wurde36. Die Ergebnisse der Studien, die zwar in ihrer Zahl sehr beschränkt, jedoch in den aufgezeigten Tendenzen sehr eindeutig sind, zeigen, weshalb gerade diese Gruppe von Jugendlichen für die vorliegende Arbeit ausgewählt wurde.

Nachfolgend wird im dritten Kapitel noch einmal ausführlich auf das Problem der Begriffsbestimmungen im Phänomenbereich des Rechtsextremismus eingegangen. Hier soll vor allem die problematische Verwendung des Begriffes Rechtsextremismus kritisch betrachtet und für die vorliegende Arbeit zentrale Begriffe, wie etwa Rassismus, operationalisiert werden. Nachstehend werden zentrale Erklärungsansätze für Rechtsextremismus, Rassismus etc. vorgestellt, die die Diskurse vor allem in den Sozialwissenschaften bestimmt haben und noch bestimmen. Da die differentiellen Lerntheorien einen zentralen Bestandteil meiner theoretischen Argumentation ausmachen, soll im Anschluss daran sowohl auf allgemeine lerntheoretische Konzepte, als auch auf die verschiedenen Vertreter der differentiellen Lerntheorien eingegangen werden. Im Mittelpunkt steht dabei der Ansatz der differentiellen Verstärkung nach BURGESS & AKERS (vgl. Kapitel 3.4). Damit ist die theoretische Fundierung meiner Arbeit abgeschlossen. Anschließend wird im vierten Kapitel die Untersuchung vorgestellt und ausgewertet. Dazu werden die genauen Hypothesen erarbeitet und das Forschungsdesign sowie die Auswertung der erhobenen Daten dargestellt. Im Anschluss daran werden im Teil fünf die zentralen Ergebnisse präsentiert und mit dem theoretischen Fundament verbunden. Im letzten Abschnitt werden aus den Ergebnissen der Studie erste praktische Schlussfolgerungen gezogen.

3. Theoretische Grundlagen

3.1 Rechtsextremismus - Rassismus - gruppenbezogene Menschen- feindlichkeit

Rechtsextremismus kann nicht als geschlossenes, einheitlich definiertes Konstrukt betrachtet werden. Vielmehr ist das, was darunter verstanden wird, abhängig von verschiedenen Faktoren, etwa dem jeweiligen Kontext des zu operationalisierenden Gegenstands, sowie von politischen und wissenschaftstheoretischen Auffassungen der beteiligten Akteure. So viele Wissenschaftler, Politiker und andere gesellschaftliche Akteure sich mit dem Phänomenbereich des Rechtsextremismus beschäftigen, so viele Verständnisse davon gibt es. Im Folgenden soll deshalb versucht werden, grundlegende Begriffe zu definieren und auch kritisch zu betrachten.

3.1.1 Rechtsextremismus - Definition und Probleme

Das Konstrukt Rechtsextremismus zu verstehen setzt voraus, sich mit dem Extremismusbegriff vertraut zu machen. Der Begriff Extremismus stammt aus dem Lateinischen, abgeleitet von extremus, dem Superlativ von exterus (=außen), also äußerst, entferntest, der gefährlichste oder schlechteste sowie von extremitas, dem äußersten Punkt oder Rand. Das Extremismuskonzept geht grundsätzlich von einer starren Achse aus, auf der die gesamte politische Bandbreite zwischen den Polen Linksextremismus und Rechtsextremismus abgebildet werden kann. Zwischen den Extrempunkten liegt eine klar von den extremen Rändern abgetrennte Mitte.

Die Einteilung politischer Lager stammt aus der Zeit der Französischen Revolution, als die Vertreter verschiedener Ideologien sich bezogen auf das Rednerpult im Parlament jeweils rechts, links oder mittig davon befanden, die politischen Äquivalente dazu waren der Konservativismus, der Sozialismus und der Liberalismus. Sämtliche Strömungen versuchten sich in den Folgejahren durchzusetzen, wobei es sowohl zwischen den Lagern, als auch innerhalb Auseinandersetzungen gab und dies in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu ersten extremistischen „Abspaltungen“37 führte. Sozialismus und Konservativismus entwickelten sich dabei als „Antworten auf die Entwicklung der kapitalistischen Industriegesellschaft des 19. Jahrhunderts“38, je extremer dabei die Entwicklung voran schreitete, desto extremer wurden auch die Spielarten der einzelnen politischen Lager, so wird vor allem seit Anfang des 20. Jahrhunderts von extremistischen Bestrebungen gesprochen.

Der politische Extremismusbegriff ist als relativ zu sehen, d.h. er bezeichnet immer eine Abgrenzung von Extremen zu einer Mitte, einem Nichtextremismus und ist grundsätzlich mit dem Gedanken einer demokratischen Gesellschaft verbunden. Diese Konstruktion geht also schon immanent davon aus, dass sich die extremen Ränder von der Mitte abgrenzen, die NEUGEBAUER zufolge eher „als durchschnittlich, gemäßigt, harmonisch und ausgleichend“39 betrachtet wird. Damit ist eine Wertung verbunden, der Begriff ist also normativ. Deswegen wird dieses Konstrukt oft als normativer Extremismus bezeichnet, der sämtliche „Einstellungen, Verhaltensweisen, Institutionen und Ziele [...], die sich gegen den demokratischen Verfassungsstaat richten“ einbezieht40. Das Konstrukt hat seine Wurzeln in den Totalitarismustheorien. Totalitarismus bezeichnet, nach JASCHKE, „das krasse Gegenteil des modernen freiheitlichen Verfassungsstaates und des Prinzips einer offenen, pluralen Gesellschaft“41. Diese Rivalität von Demokratie und Extremismus legitimiert somit das Konzept der wehrhaften Demokratie, mit dem Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) aufgespürt und bekämpft werden können.42 Extremismus wird in diesem Zusammenhang vor allem im Rahmen staatlicher Institutionen und Behörden als Arbeitsbegriff genutzt und wird von den Medien - oftmals unkritisch -übernommen und dominiert somit auch dasöffentliche Verständnis von (Rechts-)Extremismus.

Dieses normative Konzept wird stark kritisiert, da es eine Reihe von Problemen aufwirft. So wird nicht zwischen den verschiedenen Extremismen unterschieden - Rechts- und Linksextremismus werden auf Grund ihrer totalitären Ansprüche gleichgesetzt, immanente Unterschiede werden dabei oftmals ausgeblendet. Außerdem lassen sich in dieses eindimensionale System bestimmte Phänomene nicht einordnen, so zum Beispiel religiöser Extremismus43.

Auch in der Wissenschaft, allem voran der Sozialwissenschaft, gibt es starke Vorbehalte gegen den Extremismusbegriff. Nur ein kleiner Teil der Wissenschaftler benutzt diesen für seine Arbeit. In der bundesdeutschen Forschung ist dies vor allem eine kleine Gruppe um UWE BACKES und ECKHARD JESSE44. Die Kritik ist dabei schon im Extremismuskonzept selbst angelegt: die bereits erwähnte Eindimensionalität; sie bildet die Realität nur ungenügend ab. Eine Erfassung verschiedenster Phänomene ist nicht möglich. Dieses Schema gibt außerdem „keine Auskunftüber die Verteilung von demokratischen Potenzialen“45. Die Einordnung extremistischer Bestrebungen auf einer starren Achse lässt den Wissenschaftlern nur wenig Spielraum für die Zuordnung und Abgrenzung einzelner Phänomene. Eine adäquate sozialwissenschaftliche Analyse sozialer Prozesse ist durch seine Normativität ebenfalls nicht gegeben und es kann nicht davon ausgegangen werden, dass adäquate empirische Arbeiten und handlungstheoretischeüberlegungen auf der Grundlage des Extremismusbegriffes möglich sind.

Rechtsextremismus könnte im einfachsten Fall als Subalternation des Extremismus- konstruktes und damit lediglich als eine der möglichen Ausprägungen verstanden werden, was jedoch zu eng gegriffen wäre und den Phänomenbereich nicht annähernd erfasst.

Bei der Operationalisierung des Begriffes Rechtsextremismus ist immer der Kontext mit einzubeziehen, wodurch verschiedene Sichtweisen entstehen. So gibt es etwa ein amtlichverfassungsrechtliches Verständnis, einen politikwissenschaftlichen, soziologischen oder auch alltäglichen Begriff. Die jeweilige Definition ist dabei von den beteiligten Akteuren und der spezifischen Situation abhängig.

Das amtlich-verfassungsrechtliche Verständnis von Rechtsextremismus bedient sich des normativen Konzepts, in dem die extremen Ränder von der neutralen Mitte abgegrenzt werden und somit ein Bezug zur demokratischen Gesellschaft bzw. wehrhaften Demokratie hergestellt wird. Das Grundgesetz an sich kennt zwar keinen Extremismus- begriff, dieser wird von staatlichen Institutionen jedoch als Arbeitsbegriff verwendet, um Bestrebungen zu identifizieren und zu entgegnen, die die FDGO bedrohen. Von den Verfassungsschutzbehörden werden dazu bestimmte Grundmerkmale definiert und entsprechende Gruppierungen lokalisiert, die dann beobachtet und bei Verstößen gegen die FDGO bekämpft werden, wie etwa rechtsextreme Parteien oder Kameradschaften46. Im Fokus stehen dabei lediglich entsprechende verfassungswidrige Handlungen, das Grundgesetz verhindert die Sanktionierung rechtsextremer Einstellungen. Eine solche Sichtweise ist in diesem Kontext womöglich angebracht, um das genaue Arbeitsfeld von Verfassungsschutz und anderen Behörden zu bestimmen, jedoch für eine angemessene Erfassung aller Spielarten des Rechtsextremismus und die Entwicklung entsprechender Handlungsansätze ungeeignet.

RICHARD STöSS nennt neben dem amtlichen auch einen politikwissenschaftlichen Begriff. Aus dieser Sichtweise werden nicht nur Handlungen erfasst, sondern „die rechtsextreme Persönlichkeit insgesamt (und nicht nur ihre möglicherweise verfassungsfeindliche Praxis) ins Visier“ genommen.47 Rechtsextremismus gilt als „Sammelbegriff für verschiedenartige gesellschaftliche Erscheinungsformen, die als rechtsgerichtet, undemokratisch und inhuman gelten.“48, wobei STöSS auch auf die Vielzahl unterschiedlicher, teilweise sogar entgegengesetzter, Ideologien hinweist49 Die Unterscheidung nach Einstellung und Verhalten ist gerade in der Politikwissenschaft von Bedeutung, da das Einstellungspotential wesentlich größer ist, als das Ausmaß politischer Aktivitäten und eine adäquate politische Bildung zur Verringerung rechtsextremen Potentials und einer Stärkung der Demokratie ohne diese Erkenntnis nicht durchführbar wäre.

Ähnlich diesem politikwissenschaftlichen Verständnis spricht WILHELM HEITMEYER von einem „soziologischen Rechtsextremismus“50 Dieser ist ebenfalls weiter gefasst, als der verfassungsrechtliche Begriff und soll „dieökonomischen und sozialen Entstehungsmomente mit umfassen“51. Somit ist nicht nur der in Gruppen organisierte Rechtsextremismus erfasst, sondern auch entsprechende Ideologien und Persönlichkeitsmerkmale, wie Einstellungsmuster.

Eine wichtige und besondere Rolle spielt das alltägliche Verständnis von Rechtsextremismus. Dieses ist - transportiert durch die Medien - einerseits von einer besonderen Vielfältigkeit und andererseits durch eine gewisse Beschränktheit gekennzeichnet. Der Alltagsbegriff ist meist eine Mischform aus den zuvor genannten Diskursen, wobei er gewissen Schwankungen unterliegt, die durch die Berichterstattung in den Medien in besonderem Maße beeinflusst wird. So wird sich gerade im Nachfeld rechtsextremer Gewaltausbrüche dem verfassungsrechtlichen Begriff bedient und versucht, das bestehende - vermeintlich gefährdete - demokratische System zu schützen.

Durch die teilweise stark beschränkten Informationen, die der breiten Masse dabei vermittelt werden, entsteht ein spezielles, eigenes Bild vom Rechtsextremismus. Das Alltagsverständnis hat wiederum einen Einfluss auf die medialen und politischen Diskurse.

Neben den verschiedenen Begriffsverständnissen kann und muss beim Rechts- extremismus auch zwischen Ideologie und Struktur unterschieden werden52. Als Ideologie ist der Rechtsextremismus die Basis des Handelns und stellt gleichzeitig auch eine Rechtfertigungsstrategie dar, um dieses Handeln zu legitimieren. Mit Hilfe bestimmter Ideologieelemente soll unter anderem eine Art kollektive Identität gestiftet werden, um Anhänger zu binden und neue zu rekrutieren. Als idealtypische Ideologieelemente werden vor allem Rassismus, Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit oder auch Antisemitismus benannt, in neueren Veröffentlichungen aber vermehrt auch Antikapitalismus und der Kampf gegen die Globalisierung53. Es gibt jedoch eine Reihe weiterer Elemente, die unter das Konstrukt einer rechten Ideologie subsumiert werden können (siehe Abbildung 1). In der Wissenschaft wird meistens davon ausgegangen, dass erst das Zusammenspiel mehrerer Elemente ein rechtsextremesüberzeugungssystem bilden, nicht etwa nur das Vorhandensein eines der Elemente. Somit ist Rechtsextremismus als System - oder auch Syndrom - zu begreifen, von dem erst durch die Existenz von mehr als einem Ideologieelement die Rede sein kann54.

Als Struktur werden die einzelnen Ebenen des Rechtsextremismus bezeichnet. neben der Makroebene (Herrschaftssysteme) sind vor allem die Meso- und die Mikroebene von Bedeutung. Die Mesoebene beschreibt den organisierten Rechtsextremismus, etwa rechte Parteien, Kameradschaften oder Subkulturen, wie die rechtsextremistische Skinheadszene. Letztgenannte Ebene sind die einzelnen Akteure mit ihren individuellen Einstellungen und Verhaltensweisen. Diese Trennung ist vor allem im Hinblick auf die Praxis von Bedeutung. Die Bekämpfung rechter Gewalt erfordert andere Anstrengungen, als etwa die Auseinandersetzung mit rechtsextremen Parteien.

Aus den vorangegangenen Ausführungen wird deutlich, dass der Begriff Rechtsextremismus nicht unproblematisch ist und nicht unreflektiert verwendet werden sollte. Gerade im verfassungsrechtlichen Verständnis ergeben sich eine Fülle von Problemen. Zum einen negiert das normative Verständnis des Extremismusbegriffs jegliche Differenzen zwischen rechtem und linkem Extremismus - und das bei fundamentalen Unterschieden zwischen diesen beiden Polen. Außerdem klammert er das dazwischenliegende Spektrum als nicht relevant aus. In der Verwaltungspraxis dient der Begriff der Erleichterung von Orientierung und Kommunikation, was der Handlungsfähigkeit der Institutionen dienen soll.

Abbildung 1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die komplexe Realität jedoch kann mit diesem normativen Konstrukt nicht annähernd bedient werden. Diese Betrachtung - vor allem die Ablehnung, den Extremismus ebenfalls der Mitte zuzuordnen - verharmlost den Rechtsextremismus als Randphänomen und verkennt außerdem dessen Entstehungsmomente. Denn er ist letztendlich das Ergebnis eines Prozesses, der seinen Ursprung außerhalb dieses Extrems besitzt, nämlich in der Mitte der Gesellschaft. Ein bekannter Ansatz, diesem Problem zu begegnen, sind die sogenannten Mittelstandstheorien von THEODOR GEIGER und SEYMOUR MARTIN LIPSET. Sie schreiben jeder gesellschaftlichen Schicht ihren spezifischen Extremismus zu, eben auch der vermeintlich neutralen Mitte55. Zum Anderen kann die fundamentale Frage gestellt werden, ob es wirklich sinnvoll ist, die Fülle der Phänomene, die unter den Begriff des Rechtsextremismus gefasst werden, wirklich unter einen solchen Oberbegriff zu stellen. RICHARD STöSS etwa kritisiert, dass oft der Anschein erweckt würde, „als handele es sich um ein homogenes politisches Lager, in dem alle Beteiligten an einem gemeinsamen Strang ziehen.“56 Weiter betont er, „dass der deutsche Rechtsextremismus vielfältig zersplittert ist und diese Splitter oft gnadenlos verfeindet sind, liegt [...] vor allem auch an den unterschiedlichen ideologischen Traditionen, strategischen Konzepten und organisatorischen Bezugspunkten der einzelnen Fraktionen“.57 Es muss also auch die Frage gestellt werden, ob eine solche Konzentration der Phänomene unter das Konstrukt Rechtsextremismus dessen Informationsgehalt eher erhöht oder verringert. So kann es durchaus zu Problemen kommen, wenn sich mehrere Institutionen oder Akteure gemeinsam der Arbeit gegen Rechtsextremismus widmen wollen, es sich aber herausstellt, dass jeder ein anderes, möglicherweise sogar divergentes, Verständnis davon vertritt. Wäre es in solchen Zusammenhängen nicht besser, wenn sich etwa Vertreter der Antirassismusarbeit zusammenschließen und ihr spezifisches Betätigungsfeld behandeln, genauso wie Vertreter der Interkulturellen Arbeit, Akteure, die sich der Bekämpfung von Antisemitismus widmen und so weiter? Es besteht in der Wissenschaft weiterhin Uneinigkeit darüber, welche Eigenschaftenüberhaupt als Grundelemente des Rechtsextremismus zu betrachten sind. Dies ist vor allem durch Werturteile der beteiligten Akteure geprägt und außerdem vom jeweiligen Kontext abhängig. Dadurch ist es scheinbar unmöglich von einer einheitlichen Rechtsextremismusforschung, geschweige denn von einem einheitlichen Rechtsextremismusbegriff zu reden.

Dennoch bietet sich der Begriff in manchen Situationen an, etwa um die Kommunikation zwischen Akteuren zu vereinfachen, oder um in eine speziellere Thematik einzuführen. Hier muss aber von dem stark vereinfachenden und ungenauen Rechtsextremismusbegriff auf einen spezifischeren Begriff, wie etwa Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit, heruntergebrochen werden, um das Thema adäquat und präzise zu behandeln.

3.1.2 Rassismus und Diskriminierung

Im vorliegenden Text wird besonders der Rassismus aus dem vielschichtigen Phänomenbereich des Rechtsextremismus hervorgehoben. Das Konstrukt Rassismus stellt die entscheidende Grundlage meiner Arbeit dar, da in der Untersuchung vor allem nach rassistischen Einstellungen von jugendlichen Auszubildenden gefragt wird. Dazu habe ich mich mit verschiedenen Arbeiten zum Thema Rassismus auseinander gesetzt und versucht, einen gewissen Grundkonsens der Autoren herauszustellen und mir auf dieser Grundlage ein eigenes Begriffsverständnis zu erarbeiten. Da die Fülle der Schriften zum Rassismus stetig zunimmt, sich die meisten Autoren dabei jedoch an die Pioniere dieser Begriffstradition halten, werde ich mich diesem Vorgehen anschließen und lediglich auf die bedeutendsten Vertreter eingehen: Stuart Hall, Robert Miles, Albert Memmi, Étienne Balibar und Nora Räthzel. Diese Autoren haben das heutige Begriffsuniversum des Rassismus entscheidend geprägt, was u.a. daran zu erkennen ist, dass die anderen von mir ausgewählten Schriften, etwa von SIEGFRIED JÄGER oder HELENA FLAM, sich auf mindestens einen der vorgenannten Autoren stützen. Der folgende Definitionsversuch stellt eine Art Essenz der von mir behandelten Texte dar und versucht, das Phänomen möglichst genau zu erfassen, um es für meine Untersuchung nutzbar zu machen.

Rassismus ist ein historisch gewachsener Begriff. Dies impliziert einerseits, dass das Phänomen schon seit Menschengedenken einen funktionalen Bestandteil der Gesellschaft darstellt - und dieser nicht etwa als ein künstliches, abnormes Gebilde gegenüber steht. Es deutet andererseits aber auch auf einen stetigen Bedeutungswandel hin, der sein heutiges Erscheinen grundlegend bestimmt hat58. Rassismus war und ist - in seiner jeweiligen Form - deswegen so erfolgreich, weil er den Menschen eine scheinbar einfache und doch logische Lösung für ihre Probleme und Unsicherheiten anbietet. Entsprechende Entwicklungen und Zusammenhänge werden auf pseudowissenschaftlicher Grundlage erklärt, um somit die Privilegien der bedeutungsgebenden Gruppe zu legitimieren.

Werden Menschengruppen auf Grund gewisser äußerer Merkmale als „Rasse“59 konstruiert, werden dieser „Rasse“ bestimmte innere Eigenschaften zu- oder abgesprochen. Findet auf dieser Basis eine Bewertung statt, führt diese Bewertung zur Ausgrenzung der Gruppe beim Zugang zu bestimmten Ressourcen und wird diese Konstellation als natürlich gegeben dargestellt, kann von Rassismus gesprochen werden. Dieser erste Definitionsversuch verdeutlicht, dass eine einfache, allgemeingültige Beschreibung des Phänomens Rassismus nicht nur schwierig ist, sondern auch der Realität nicht gerecht würde, dennoch sind die aufgezählten Faktoren eine Art Minimaldefinition. Rassenkonstruktion, Bewertung und Macht (Grundlage der Ausgrenzung) werden von einer Vielzahl Autorenübereinstimmend als notwendige Faktoren bestimmt60. Außerdem wird meist auf die angebliche Natürlichkeit dieser Konstruktion hingewiesen.

Seit dem 18. Jahrhundert streitet die Wissenschaft darüber, ob es menschliche „Rassen“ tatsächlich gibt, in dieser Zeit entwickelten sich auch die sogenannten Rassentheorien oder Rassenlehren, erst in den letzten Dekaden wurde diese Ansicht jedoch mehr und mehr zurückgewiesen61. Es konnte - unter anderem mit Hilfe neuester medizinischer Techniken und Erkenntnisse - gezeigt werden, dass dies unhaltbar ist; die genetischen Unterschiede zwischen Vertretern einer „Rasse“ sind ebenso groß, wie zwischen Vertretern verschiedener „Rassen“. Da es das Phänomen Rassismus trotzdem gibt, kann mit STUART HALL und ÉTIENNE BALIBAR von einem „Rassismus ohne Rassen“62 gesprochen werden. „Rasse“ ist also nicht natürlich gegeben, sondern sozial konstruiert und somit „das Objekt des rassistischen Diskurses [ist], außerhalb dessen sie keine Bedeutung hat“63. Eine Gruppe wird als „Rasse“ definiert, wenn ihren Mitgliedern auf Grund natürlicher, realer oder zugeschriebener, äußerer Merkmale ebenfalls als natürlich gegebene innere Charaktereigenschaften oder soziale Verhaltensweisen zugesprochen werden. Äußere Merkmale und innere Eigenschaften werden dabei untrennbar verbunden, womit beide „als natürliches Resultat der Abstammung erscheinen“64. Da sowohl äußere Merkmale, als auch innere Eigenschaften und Verhaltensweisen von der bedeutungsgebenden Gruppe willkürlich gewählt werden können, handelt es sich bei der „Rasse“ um ein eindeutig soziales Konstrukt. So argumentiert auch ROBERT MILES, der den Begriff der Rassenkonstruktion entscheidend geprägt hat, dass bestimmte phänotypische Merkmale (relativ willkürlich) ausgesucht und mit bestimmten kulturellen Eigenschaften verbunden würden65. Dazu wird versucht, mit pseudowissenschaftlichen Theorien und Begründungszusammenhängen - kurz: einer Ideologie - zu beweisen, dass die „Rassen“ natürlich gegeben und unveränderbar seien und deswegen auch deren Vermischung zu verhindern sei, um die natürliche Ordnung nicht zu gefährden.

Oftmals werden lediglich zwei „Rassen“ konstruiert, die sich gegenüber stehen und - mit MEMMI - eine Dyade66 oder - mit HALL - „zwei binäre Gruppen“67 bilden; die eigene gilt dabei als höherwertig, die fremde als klar unterlegen, sie verkörpert sogar das genaue Gegenteil des Eigenen. „Das heißt also, weil wir rational sind, müssen sie irrational sein, weil wir kultiviert sind, müssen sie primitiv sein, wir haben gelernt, Triebverzicht zu leisten, sie sind Opfer unendlicher Lust und Begierde, wir sind durch den Geist beherrscht, sie können ihren Körper bewegen, wir denken, sie tanzen usw.“68 Demzufolge werden die als „Rassen“ konstruierten Gruppen in eine klar definierte Hierarchie eingegliedert. Fremdgruppen werden normalerweise negativ bewertet; nur in Ausnahmefällen werden sie positiver dargestellt, was jedoch ebenfalls der Abgrenzung dient. Die negative Bewertung äußert sich in der Beschreibung der Fremdgruppe als minderwertig in Bezug auf ein zentrales - im spezifischen Kontext relevantes - Merkmal und der daraus resultierenden „Ausgrenzung und Marginalisierung dieser Gruppe“69 Dieses Merkmal wird dabei relativ willkürlich gewählt und bezieht sich auf reale oder fiktive Unterschiede in diesem.

Jedoch kann erst dann von Rassismus gesprochen werden, wenn die definierende Gruppe ihre Konstruktion auch gegenüber der als minderwertig angesehenen Gruppe durchsetzen kann. Erst diese Macht, die Konstruktion der Gruppen vorzunehmen und sie auch zu behaupten, lässt eine Gruppe rassistisch agieren. Sie kann also Merkmale und Folgen der Rassenkonstruktion für die Beteiligten genau bestimmen und somit als minderwertig angesehene Gruppen vom Zugang zu konkreten Ressourcen ausschließen. Hat eine Gruppe jedoch nicht die Macht, ihre Deutungen durchzusetzen, handelt es sich nicht um Rassismus, denn „wenn eine untergeordnete Gruppe eineübergeordnete Gruppe als Rasse konstruiert, dann ist das zwar schädlich für die Handlungsfähigkeit dieser untergeordneten Gruppe sowie für die Perspektive einer selbstbestimmten Gesellschaft, kann aber nicht als rassistisch bezeichnet werden, solange sie nicht die Macht hat, ihre Definition und die damit einhergehenden Ausgrenzungspraxen gegen dieübergeordnete Gruppe durchzusetzen.“70

Wenn ich von einem weiten Rassismusbegriff71 ausgehe, betrifft die Konstruktion von „Rassen“ nicht nur biologische, sondern auch kulturelle oder psychologische Merkmale. Demnach können die unterschiedlichsten Gruppen als „Rassen“ konstruiert und in das Machtgefälle integriert werden. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte sich mehr und mehr ein Rassismus, der - unabhängig von biologischen „Rassen“ - Gruppen auf Grund zugeschriebener kultureller oder anderer Merkmale in eine Hierarchie einordnet und so vom Zugang zu bestimmten Ressourcen ausgrenzt. Dieser Rassismus ist dadurch subtiler und indirekter, als die klassische (biologische) Variante. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang oftüber Kultur-, Neo- oder auch differentialistischen Rassismus diskutiert. Ein weiterer sehr verbreiteter Begriff ist der sogenannte Rassismus ohne Rassen, der von ÉTIENNE BALIBAR und STUART HALL in die Rassismusforschung eingeführt wurde72. Auch ALBERT MEMMI spricht von einem „engen“ (biologischen) und einem „weiten Sinn“ des Rassismus, „der die biologischen Unterschiede möglicherweise auch sieht, sie jedoch nicht zur Grundlage seiner Beschuldigungen macht.“73 Die Autoren weisen mit diesem Konstrukt auf die Tatsache hin, dass die „Rasse“, anders als beim klassischen Rassismus, für die Konstruktion und Bewertung der Gruppen keine Bedeutung mehr hat. Die genannten Begriffe beschreiben im Grunde das gleiche Phänomen, jedoch konnte sich bisher keine Bezeichnung durchsetzen; ich werde im Folgenden vor allem den Begriff Kulturrassismus nutzen.

Weg vom biologischen Gedanken werden die Gruppen bestimmten Kulturen zugeordnet und in der Folge diese Kulturen bewertet und hierarchisiert. Ebenso wie die „Rassen“ werden verschiedene - in sich homogene - Kulturen konstruiert, ihren Mitgliedern bestimmte Merkmale und Charaktereigenschaften zugeordnet und als natürlich und unveränderbar angenommen. Auch NORA RÄTHZEL betont die Ablösung der „Rasse“ durch die Kultur und die damit verbundene veränderte Sichtweise74. Die Kultur bzw. ihre Intension wird situationsspezifisch definiert, so werden nach CHRISTOPH BUTTERWEGGE etwa „Sozialisation, Religion oder kulturelle Tradition zur Kennzeichnung der ausgegrenzten Fremdgruppe benutzt“75. Die Kulturen dürfen - den Verfechtern des Neorassismus zufolge - nicht vermischt werden, um auch hier die natürliche Ordnung nicht zu gefährden. MARK TERKESSIDIS spricht in diesem Zusammenhang von „Ethnozid“ oder „kulturellem Völkertod“76. Kulturelle Differenzen werden betont und als Begründung genommen, definiert wird, nämlich auf reale oder fiktive kulturelle Eigenschaften einer Gruppe. Vgl. MEMMI 1992, S.97ff.

andere Kulturen vom Zugang zu Ressourcen, die nur der eigenen (überlegenen) Gruppe zustehen, auszuschließen. Daher wird diese Variante auch als differentialistischer Rassismus bezeichnet, andere Kulturen werden nur solange akzeptiert, wie sie in ihren eigenen Sphären agieren. Die strikte Segregation ist demnach sowohl räumlich zu sehen, als auch sozial und/oder kulturell und eine logische Konsequenz aus dem Nebeneinander verschiedener Kulturen.

MEMMI definiert ebenfalls einen weiten Begriff, der sich von dem bisherigen etwas unterscheidet77. Der Autor bezeichnet als weiten Sinn von Rassismus einen Kreislauf von Angst und Aggression, der durch den Versuch entsteht, sich selbst im Kampf um ein bestimmtes Gut zu behaupten. Dieser Sinn hat mit biologischen Merkmalen erst einmal wenig zu tun, ist jedoch Voraussetzung für den biologischen Rassismus, da er versucht, die Angst des Individuums vor dem eigenen Untergang zu bekämpfen. Dazu werden die anderen Gruppen - die Konkurrenten - als minderwertig konstruiert und mit bestimmten Attributen besetzt. Auch hier werden nicht-biologische Merkmale angewandt: „Die Psychologie, die Kultur, die Sitten, die Institutionen, selbst die Metaphysik steuern ihr Teil an Ärgernissen bei. Die Rassisten verabscheuen die Araber jetzt nicht mehr wegen ihrer sonnenverbrannten Haut oder ihrer levantinischen Gesichtszüge, sondern weil sie - »machen wir uns doch nichts vor« - einer lächerlichen Kultur anhängen, ihre Frauen schlecht behandeln, grausam oder einfach rückständig sind.“78

Der Kulturrassismus dient vor allem den sogenannten Neuen Rechten als Legitimation für ihre nationalistischen, antisemitischen oder fremdenfeindlichen Ideologien, sowie der Abgrenzung vom - von der Majorität verachteten - historischen Rassismus der Nationalsozialisten, auch wenn er keineswegs eine neue Erfindung ist, sondern es ihn schon ebenso lange gibt, wie den biologischen Rassismus. Von den betreffenden Akteuren wird so versucht, die nach wie vor bestehenden Feindlichkeiten gegenüber minderwertigen Gruppen zu verschleiern und unter dem Deckmantel eines Verständnisses für andere Kulturen in breiten gesellschaftlichen Schichten zu etablieren.

Bei Rassismus sollte nicht nur zwischen dem klassischen biologischen Rassismus und seinem Nachfolger, dem Neo- oder Kulturrassismus unterschieden werden, sondern grundsätzlich auch zwischen Ideologie und Praxis. Beides kann in den unterschiedlichsten Konstellationen zueinander stehen. Die rassistische Ideologie stellt einen theoretischen Rahmen dar, der das rassistische Handeln legitimieren soll. Mit angeblich wissenschaftlicher Grundlegung wird zum Beispiel auf die Natürlichkeit und Unveränderbarkeit der Rassenunterschiede hingewiesen und Hierarchien mit Hilfe von vermeintlich geschichtlichen Wahrheiten oder kulturellen Attributen etabliert. Diese Begründungszusammenhänge machen rassistisches Verhalten erst möglich, da sie entsprechende Einstellungen in den meisten gesellschaftlichen Milieus verankern und somit eine gewisse Akzeptanz oder zumindest Toleranz diesen Feindlichkeiten gegenüber bewirken. Erst wenn die Praxis, also rassistisches Verhalten, durch die Ideologie abgesichert wird, kann sie sich in breiten gesellschaftlichen Bereichen etablieren und ihre verheerenden Auswirkungen zeigen.

Wirdüber Rassismus gesprochen, so wird dabei implizit auchüber Diskriminierung gesprochen. Ich schließe mich damit einer Reihe Autoren an, die Rassismus als Spezialfall der Diskriminierung ansehen, was bedeutende Auswirkungen auf das Verständnis des Konstruktes Rassismus hat. Mit HELENA FLAM nenne ich (negative) Diskriminierung „eine benachteiligende Behandlung von Personen aufgrund von Wesenseigenheiten, die der diskriminierten Person von der diskriminierenden zugesprochen werden. Diskriminierung beinhaltet, den Anderen als einen Vertreter eines geringgeschätzten bzw. gehassten Kollektivs zu betrachten, als gleichwertigen Menschen abzulehnen, ihm negative Eigenschaften zuzuschreiben und mit dieser Begründung den Anderen beim Zugang zu Ressourcen [...] zu benachteiligen oder den Zutritt zu diesen Ressourcen ganz zu versperren.“79 Diese Definition von Diskriminierung beinhaltet alle genannten Faktoren, die auch beim Rassismus als notwendig angesehen werden: die Konstruktion der Gruppen, deren Bewertung sowie Hierarchisierung (Machtfaktor). Sie kann sich dabei jedoch auf verschiedene Gruppen beziehen, etwa auf Prädikate, wie „Aussehensdetails, Hautfarbe, Religion, ¸Rasse‘ , Nation, sozialer Herkunft, Geschlecht, Behinderung, sexueller Präferenz usw.“80 Rassismus stellt in diesem Zusammenhang die Diskriminierung auf Grund von - als natürlich und unveränderbar angesehenen - „Rassen“ dar. Die Verbindung von Rassismus und Diskriminierung erfasst die Realität m.E. sehr adäquat, da von einer Vielzahl Akteure des sogenannten rechten Spektrums rassistische Einstellungen und Verhaltensweisen nicht isoliert gezeigt werden, sondern in einem Komplex mit Diskriminierungen auf Grund anderer Merkmale auftreten. So sind viele Rechtsextreme etwa auch feindlich gegenüber Behinderten und/oder Homosexuellen eingestellt oder vertreten traditionelle Geschlechterrollen, in denen die Frau in ihren Rechten stark eingeschränkt wird. Deshalb ist es mir sehr wichtig, darauf hinzuweisen, rassistische Einstellungen und Verhaltensweisen immer in einem größeren Zusammenhang zu betrachten und niemals separat von anderen Ausprägungen der Diskriminierung.

3.1.3 Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Ein weiterer Ansatz, Rechtsextremismus näher zu definieren und damit auf spezifische Ursachen- und Wirkungszusammenhänge hinzuweisen, ist die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit von WILHELM HEITMEYER. Dieses - von HEITMEYER Syndrom genannte - Konstrukt wurde und wird im Rahmen einer Langzeituntersuchung konzipiert und empirisch untersucht, die in der Reihe Deutsche Zustände 81 erscheint und zwischen 2002 und 2011 in insgesamt 10 Veröffentlichungen „unabhängig von dramatischen Ereignissen und regelmäßig den »klimatischen« Zustand dieser Gesellschaft [...] eruieren“ und dazu beitragen soll, diesen „der interessiertenöffentlichkeit vorzustellen, mithin einen Beitrag zur Selbstaufklärung der Gesellschaft zu leisten sowie eine Art der Selbstreflexion auf Dauer zu etablieren.“82 Dieses Konstrukt soll hier kurz Erwähnung finden, da es eng mit dem Rassismusansatz verbunden ist (es integriert diesen in einen größeren Zusammenhang, s.u.) und meiner Meinung nach ein hohes Potential beherbergt, Rechtsextremismus adäquat zu analysieren und zu bekämpfen.

Menschenfeindlichkeiten entstehen durch die „Betonung von Ungleichwertigkeit und [die] Verletzung von Integrität.“83 Ersteres beschreibt dieüberbetonung der eigenen Gruppe und der damit verbundenen Aufwertung und Darstellung alsüberlegen, sowie die gleichzeitige Abwertung der Fremdgruppe und der damit zusammenhängenden Darstellung als minderwertig oder unterlegen, HEITMEYER nennt dies „Ingroup“ und „Outgroup“84. Letzteres dagegen bezeichnet die unterschiedliche Einordnung von Zugehörigen einer spezifischen Gruppe nach Nützlichkeit oder Lebenswert, also einerökonomischen Brauchbarkeit - einem Kosten-Nutzen-Kalkül - nahe kommend. Eine dritte Dimension, die eher verhaltensbezogen ist, richtet sich auf die praktischen Folgen der Ungleichwertigkeit und Verletzung der Integrität. Nach HEITMEYER werden hier Angstfreiheit aufgekündigt sowie Macht gegen Unterlegene und Abgewertete demonstriert85.

Der Begriff der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit impliziert, dass es sich bei den Feindlichkeiten nicht um Verhältnisse zwischen einzelnen Individuen handelt, sondern um die Stellung zu speziellen Gruppen mit als „ abweichend empfundenem oder deklariertem Verhalten.“86 Die Konzeption beinhaltet sechs grundlegende Elemente zur Beschreibung von Ideologien der Ungleichwertigkeit87 und dem daraus resultierenden Handeln: Rassismus als zentrales Moment, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Heterophobie, Etabliertenvorrechte und Sexismus88. Dem Autor zufolge handelt es sich bei der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit um ein Syndrom, d.h. nicht jedes Element muss in seiner radikalsten Ausprägung auftreten, sondern gerade die Subtilität der Ausprägungen ist das Beachtenswerte an diesen Elementen, ebenso wie die - teilweise sehr starken - Zusammenhänge zwischen ihnen89.

HEITMEYER versucht, mit seiner Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit einen Ansatz jenseits eines Begriffsuniversums Rechtsextremismus zu etablieren, um den offensichtlich damit verbundenen Problemen zu entgegnen. Hierzu werden Konstrukte, wie Fremdenfeindlichkeit, Rassismus oder Antisemitismus nicht gegenüber oder als unvereinbar dargestellt, sondern in einem Syndrom verbunden, das versucht, die komplexe Realität ebenso komplex zu erfassen. Die Arbeit ist demnach richtungweisend und wird auch nach ihrem Abschluss noch starken Einfluss vor allem auf die bundesdeutsche Rechtsextremismusforschung haben.

3.1.4 Auswirkungen der Begriffsvielfalt

In meinen bisherigen Ausführungen wurde deutlich, dass es nur sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich ist, die beziehungsreiche Realität mit Hilfe wissenschaftlicher Konstrukte adäquat abzubilden. Das Problem besteht dabei sowohl in der meist ungenauen oder unzureichenden Erfassung der Probleme, als auch in der Vielzahl der beteiligten Akteure und dem damit verbundenen diffusen Begriffsverständnis. Da einzelne Einstellungen und Verhaltensweisen fast nie isoliert auftreten, sondern fast ausschließlich in einem Komplex, ist es oft sehr schwierig, von einem reinen Rassismus oder Antisemitismus zu reden. Die Konstrukte sind demnach miteinander verbunden und treten in einem, wie u.a. HEITMEYER es nennt, Syndrom auf. Dieses Zusammenwirken ist auch der Grund, weshalb ein einzelnes Phänomen kaum adäquat erfassbar ist. Daraus resultiert das teils diffuse Verständnis verschiedener gesellschaftlicher Akteure. Was ein Sozialwissenschaftler unter Rassismus versteht, muss nicht zwangsläufig mit demübereinstimmen, was ein Historiker oder ein Politiker darunter versteht. Dadurch ergibt sich nicht nur eine Fülle von verschiedenen Begriffen, sondern auch eine ganze Reihe unterschiedlicher Verständnisse ein und desselben Begriffs. Dies macht sowohl die Kommunikation untereinander schwierig, als auch eine effektive Bekämpfung der betrachteten Einstellungen und Verhaltensweisen. Während noch darüber gestritten wird, welches Phänomen denn nun bekämpft wird oder bekämpfen werden sollte, schaffen es die Akteure der Gegenseite, sich in der Gesellschaft zu etablieren und ihre Ideologien im Alltag zu verankern.

Die Pluralisierung der Konzepte und Ansätze hat demnach nicht nur Vorteile, sondern auch den schwerwiegenden Nachteil, dass das gesellschaftliche Engagement dadurch ausgebremst und ein angemessenes Handeln fast unmöglich gemacht werden kann.

Auch für die vorliegende Arbeit bestand das Problem, ein geeignetes Phänomen auszuwählen und genau zu definieren, weil nur so eine geeignete theoretische Konzeption der Arbeit, sowie die entsprechende Konstruktion des Erhebungsinstruments möglich war. Da der Rechtsextremismus ein eher problematisches Konstrukt ist, jedoch in Wissenschaft, Politik und anderen Bereichen der Gesellschaft nach wie vor stark verbreitet ist, habe ich mich dafür entschieden, ihn zumindest begrenzt zu nutzen. Rechtsextremismus wird von mir dabei vor allem dazu genutzt, theoretisch an die Thematik der Arbeit heranzuführen und an ein bereits vorhandenes Wissenüber den Gegenstandsbereich anzuknüpfen. Für mich bestand - und besteht - das Problem, dass es kaum einen geeigneten Gegenentwurf zu dem Begriff gibt, der allgemein verständlich und akzeptiert ist, sodass ich Rechtsextremismus aus Ermangelung einer Alternative nutze und nicht etwa auf Grund seines mit Recht umstrittenen Gehaltes. Aus diesem Grund habe ich mich auch dafür entschieden, das Konstrukt Rassismus als zentrales Element meiner Arbeit zu verwenden. Es besteht in diesem Zusammenhang eine gewisse Einigkeit darüber, was unter dem Begriff zu verstehen ist. Einige Phänomene, wie Fremdenfeindlichkeit, können in das Konstrukt Rassismus integriert werden, da sie sich zwar auf einige Teilaspekte dieses Konstruktes beziehen, jedoch im Allgemeinen eine geringere Reichweite besitzen. Andere Phänomene, deren Gehalt angezweifelt oder zumindest als redundant betrachtet werden kann, können durch Rassismus ersetzt oder ergänzt werden. So etwa die Ausländerfeindlichkeit, die per se keinen Gehalt hat, da sich die Feindlichkeit nicht gegen jeden Ausländer richtet, sondern nur gegen bestimmte Gruppen, die dann nicht auf Grund ihres Status als Ausländer diskriminiert werden, sondern wegen etwaiger abweichender kultureller Gewohnheiten, äußerlicher Merkmale etc. Der große, blonde Schwede zum Beispiel wird akzeptiert, aber nicht der kleine, dunkelhäutige Türke; der Amerikaner oder Franzose ist stets willkommen - der Iraner oder Marokkaner dagegen nicht.

Es gibt aber auch die Möglichkeit, Rassismus selbst in ein größeres Konstrukt einzubinden, in dem es zusammen mit anderen Fragmenten einen Indikator für menschenfeindliche Einstellungen und Verhaltensweisen darstellt, wie es etwa HEITMEYER mit seiner Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit macht. Rassismus wird von mir in der vorliegenden Arbeit als zentraler Bestandteil eines weiter gefassten Syndroms begriffen, das sich als Rechtsextremismus beschreiben lässt, ohne jedoch die Schwierigkeiten, die mit diesem Begriff einhergehen, außer Acht zu lassen. In das Syndrom werden weitere Elemente einbezogen, etwa Antisemitismus, Nationalismus oder Gewaltbefürwortung. Daher verwende ich im Folgenden sowohl Rassismus, als auch Rechtsextremismus und beziehe auch beide Konstrukte in die Auswertung meiner Untersuchung ein.

3.2 Erklärungsansätze

Die umfassende Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus macht es nötig, nicht nur die betreffenden Ideologien, Einstellungen und Verhaltensweisen etc. zu beschreiben, sondern sie auch zu erklären. Die Ursachenfindung für einzelne Phänomene des als Rechtsextremismus bezeichneten Begriffsuniversums stellt eine zentrale Aufgabe relevanter wissenschaftlicher Disziplinen dar, wodurch sich eine schier unüberschaubare Fülle an Theorien und Erklärungsansätzen ergibt. Oftmals werden dabei spezifische Ausschnitte nur isoliert behandelt, etwa das Wahl-(Protest-)Verhalten, klassische Konzepte lediglich unter neuem Gewand veröffentlicht oder es wird - nach JÜRGEN WINKLER - versucht, „das Auftreten eines Phänomens zu »erklären«, indem ad hoc Ursachen von Rechtsextremismus eingeführt werden“90, was die Reichweite und Aussagekraft vieler Ansätze anzweifelt oder zumindest einschränkt. Durch diese Pluralisierung der Ansätze in den verschiedensten Forschungstraditionen, die vor allem seit Anfang der 1990er Jahre stattfand, ist es schwierig, eine Systematik zu formulieren, die sämtliche Theorien und Ansätze erfasst. Deshalb soll dieser Anspruch einer allgemeingültigen Taxonomie des Rechtsextremismus an dieser Stelle gar nicht gestellt werden, es werden lediglich die dominierenden Konzepte kurz vorgestellt. Auch darüber, was die dominierenden Konzepte sind, kann gestritten werden. JOHANN BACHER zum Beispiel schreibt in seinem Artikel In welchen Lebensbereichen lernen Jugendliche Ausländerfeindlichkeit?, dass „ in der gegenwärtigen sozialwissenschaftlichen Diskussionüber Rechtsextremismus und Gewalt von Jugendlichen [...] vor allem vier Konzepte vertreten [sind]:

modernisierungstheoretische, belastungs- bzw. stresstheoretische, persönlichkeits- bzw. sozialisationstheoretische und kontrolltheoretische Erklärungsansätze.“91 Im Folgenden soll demnach auf Modernisierungstheorien, Subkulturtheorien, Ansätzeüber den Einfluss der politischen Kultur, Konflikttheorien, Faschismustheorien, Autoritarismus, Dogmatismus und Sozialisationstheorien eingegangen werden. Daneben gibt es noch eine Vielzahl weiterer Ansätze, die hier keine besondere Erwähnung finden sollen, wie etwa Milieutheorien, marxistische Ansätze, handlungstheoretische Konzepte oder neuere Forschungen der Emotionssoziologie. Die differentiellen Lerntheorien sind zentral für die vorliegende Arbeit und werden deshalb im Abschnitt 3.4 separat behandelt.

Die Erklärung von Rechtsextremismus oder Rassismus stützt sich zum Einen auf allgemeine Kriminalitätstheorien bzw. universelle Ansätze zur Erklärung jugendlicher Gewalt, zum Anderen wurde versucht, spezielle Ansätze für den Rechtsextremismus zu entwickeln. Eine eigenständige Rechtsextremismusforschung jedoch „existiert derzeit in Deutschland nicht. Zahlreiche zum Thema erscheinende Publikationen sind journalistische Beiträge oder beleuchten das Phänomen aus disziplinären Einzelperspektiven. Neben Politikwissenschaftlern beschäftigen sich auch Historiker, Soziologen, Pädagogen und Psychologen mit dem Phänomen“92.

3.2.1 Sozialwissenschaften

Übereinstimmend mit einer Reihe Autoren können zwei elementare Forschungsrichtungen unterschieden werden: die Sozialwissenschaften und die Psychologie bzw. Sozialpsychologie. Letztere werden im nächsten Kapitel näher beleuchtet. Trotz dieser weit verbreiteten Unterscheidung muss betont werden, dass sich die meisten aktuellen Theorien und Konzepte interdisziplinär verstehen, d.h. sie sind nicht rein soziologisch oder rein psychologisch. Eine Vielzahl der Ansätze integrieren sowohl soziale, kulturelle als auch psychologische Momente. Die hier gemachte Unterscheidung ist also lediglich eine Orientierungshilfe und keine objektive oder gar allgemeingültige Wahrheit.

Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze - auch kollektive oder makrosoziologische Ansätze genannt - gehen von der Betrachtungsebene der Gesellschaft aus. Entsprechende Rahmenbedingungen bedingen rechtsextreme bzw. rassistische Einstellungen und Verhaltensweisen bei den Individuen. Hierbei gibt es wiederum eine Fülle an unterschiedlichen Konzepten.

3.2.1.1 Modernisierungstheorien

Modernisierungstheorien zielen aufökonomische und soziale Bedingungen von Kollektiven ab, deren Mitglieder die einzelnen Individuen sind, die Situation eines Individuums wird dabei immer im Kontext des Kollektivs, also der Gesellschaft, gesehen. Ungleichgewichtszustände in diesem führen zu Unsicherheiten und Ängsten, die sich dann in spezifischen politischen Orientierungsmustern niederschlagen können. Ausgelöst werden diese Ungleichgewichtszustände durch verschiedene Faktoren, etwa „von nachhaltigenökonomischen (konjunkturellen und strukturellen) Krisen, von umbruch- artigem gesellschaftlich-politischem Wandel, von tief greifenden Modernisierungs- prozessen.“93 Die Unsicherheiten und Ängste bedingen eine Suche nach möglichst einfachen Lösungsstrategien, die der Rechtsextremismus scheinbar zu bieten hat.

Die Anfänge der Modernisierungstheorien lassen sich aufüberlegungen zur Anomie bei ÉMILE DURKHEIM oder auch bei ROBERT K. MERTON zurückführen94. Anomie bezeichnet dabei eine Norm- oder Regellosigkeit, die durch den Zusammenbruch existierender Regeln und Wertesysteme auf Grund eines rapiden Wandels des gesellschaftlichen Systems hervorgerufen wird. DURKHEIM hat den Begriff eingeführt, um eine soziale Desintegration zu erklären, die Individuen in den Zeiten großer gesamtgesellschaftlicher Veränderungen erfahren, er bezog sich dazu u.a. auf die Arbeitsteilung. Bezeichnend ist sein Werk „Der Selbstmord“, in dem DURKHEIM besonders den anomischen Selbstmord hervorgehoben hat95. MERTON verfeinerte DURKHEIMS Ausführungen indem er „ explizit sozialstrukturelle

Elemente der Gesellschaft in die Erklärung abweichenden Verhaltens mit ein[bezieht]“96 und eine individuelle von einer gesellschaftlichen Anomie trennt. Letztere ist die Diskrepanz zwischen kulturellen Zielen und den zur Verfügung stehenden, legitimen Mittel, diese Ziele zu erreichen. Die Diskrepanz gilt es zu lösen, wobei MERTON vier Lösungsstrategien unterscheidet: „ Innovation, Rebellion, Ritualismus und Rückzug97. Dieseüberlegungen sind Ausgangspunkt modernisierungstheoretischer Konzepte.

HOFSTADTER und LIPSET haben eine einflussreiche These aufgestellt, derzufolge Personen, die ihren Status in Gefahr sehen bzw. einen Verlust ihrer Privilegien befürchten, rechtsextreme Bewegungen unterstützen würden98. Durch diese Bedrängnisse neigen die Betroffenen dazu, diejenigen vom Zugang zu bestimmten Ressourcen auszuschließen und zu diskriminieren, die diese Bedrohung auslösen. In engem Zusammenhang damit steht der Begriff der relativen Deprivation. Auch hier werden potentielle Bedrohungen in den Mittelpunkt gerückt. Durch spezifische Entwicklungen in Gesellschaft undökonomie werden etwa traditionelle Berufsfelder durch neue ersetzt oder der Zugang zu bestimmten materiellen oder immateriellen Gütern erschwert, bestimmte Ziele können unter Umständen nicht mehr erreicht werden. Deprivation bezeichnet dabei den Widerspruch zwischen dem Ist- und dem Soll-Zustand, der eine Unzufriedenheit verursacht. Diese Unzufriedenheit wird dabei nicht als objektiv messbare Größe angesehen, sondern immer als subjektive Wahrnehmung der Betroffenen im Verhältnis zu einer genau definierten Gruppe. So kann es etwa sein, dass ein sogenannter Modernisierungsverlierer seine eigene Lage an der der Migranten misst und sich im Gegensatz zu diesen im Prozess der Ressourcenverteilung als benachteiligt ansieht. Ob dies nun objektiv der Fall ist, ist für den Betroffenen irrelevant, die subjektive Wahrnehmung der Bevorzugung Unberechtigter lässt die eigene Enttäuschung und Unsicherheit in einem rechtsextremen Einstellungs- und Handlungskomplex münden. Die Modernisierungsverlierer projizieren ihre Probleme auf Migranten, verschieben diese damit von der Gesellschaftsebene auf die Subjekt- bzw. Gruppenebene und biologisieren Konflikte und Verteilungskämpfe, wodurch eine Art Abwehrrassismus entsteht, der die eigene Sicherheit wiederherstellen oder zumindest erhöhen soll.

[...]


1 Nach Auskunft der DUDEN-Redaktion gilt das maskuline Genus in der deutschen Sprache als Genus commune, das verwendet wird, wenn das natürliche Geschlecht unwichtig ist oder männliche und weibliche Personen in gleicher Weise gemeint sind, z. B. Berufsschüler, Lehrer etc. Daher verzichte ich auf Schreibweisen mit Schrägstrich - und Klammerformen oder Formen mit großem I.

2 Junge Welt vom 31. Januar 2007, S. 5 (marxistisch orientierte Tageszeitung).

3 KLÄRNER & KOHLSTRUCK, 2006, S. 7.

4 Ebd., S. 7.

5 Nach dem Brandanschlag auf eine Düsseldorfer Synagoge am 3. Oktober 2000 forderte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in einer Rede einen „Aufstand der Anständigen“ (SPIEGEL-Online Artikel)

6 STAUD 2005, S. 9.

7 Man spricht erst seit den 1970er Jahren von Rechts extremismus, vorher wurde vorrangig der Begriff des Rechts radikalismus genutzt. Der Verfassungsschutz etwa verwendete bis 1973 diesen Begriff. Erst im Vorwort des Verfassungsschutzberichtes von 1974 wurde erstmals von „Extremismus“ gesprochen. Vgl. hierzu SCHUBARTH & STöSS 2000, S. 15f.

8 ADORNO 1993, S. 88.

9 Vgl. hierzu GEIGER 1930 und LIPSET 1972.

10 Der Sprengstoffanschlag auf das Oktoberfest 1980 oder die Ausschreitungen von Rostock 1992 sind nur zwei Beispiele. Bei dem Oktoberfestattentat riss der Rechtsextremist Gundolf Köhler sich und 13 weitere Menschen mit einer selbst gebastelten Rohrbombe in den Tod. Die Ermittlungen ergaben, dass Köhler ein isolierter Einzeltäter gewesen sei, obwohl u.a. Verbindungen zur sogenannten Wehrsportgruppe Hoffmann eindeutig nachgewiesen wurden. Die pogromähnlichen Ausschreitungen von Rostock- Lichtenhagen wurden ebenfalls einer Gruppe jugendlicher Einzeltäter zugeschrieben (u.a. von der Bundes- sowie Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern), die teilweise stark alkoholisiert gewesen sein sollen. Dem widersprechen jedoch die Bilder von sympathisierenden Anwohnern und nicht eingreifenden Polizeibeamten, die um die Welt gingen.

11 Hier sind u.a. zu nennen: die SINUS-Studie von 1980 (GREIFFENHAGEN 1981), die „Bielefelder

12 BACHER 2001, S. 335, eine solche Einteilung ist nicht als absolut anzusehen, andere Autoren können natürlich auch abweichende Einteilungen nutzen.

13 Ebd., S. 336.

14 Ebd., S. 337.

15 Ebd., S. 345.

16 Die Aryan Brotherhood, der Name ist angelehnt an die US-amerikanische, 1967 im San Quentin State Prison gegründete, Gang Aryan Brotherhood. Die deutsche Bruderschaft mit Sitz in Wurzen und Leipzig hat aber mit dieser nichts zu tun.

17 Vgl. „Monatsbericht April 2008“ des Verfassungsschutzes Sachsen.

18 So waren die Freien Kräfte Leipzig nachweislich in denüberfall auf das Plagwitzer Szene-Kino Cineding am 30. Januar 2007 verwickelt.

19 Gemeint ist die Hooligan-Szene um den Leipziger Fußballverein 1. FC Lokomotive Leipzig, deren Anhänger meist rechtsextremen Personenkreisen zugeordnet werden können.

20 Eine (unvollständige) Chronologie von entsprechenden Vorfällen in Leipzig und Sachsen bietet die Homepage des RAA Sachsen.

21 Mehr dazu u.a. in FABIAN et al. 2001 und unter http://www.trend.infopartisan.net/trd0299/t340299.html .

22 Der Maßnahmenkatalog ist in der Fachstelle einsehbar.

23 DECKER & BRÄHLER 2006, 2008(1) und 2008(2).

24 FLAM 2007.

25 FABIAN, et. al. 2001.

26 STOCK, TAUSCH & VOR 2008.

27 Vgl. Shell 2000, Band 1, S. 240f., S. 254ff., Shell 2006, S. 130 - 144.

28 Vgl. u.a. Shell 2006, S. 132, S. 133, S. 136, S. 138.

29 FUCHS, LAMNEK & WIEDERER 2003.

30 Die Zustimmung zu Fremdenfeindlichkeit liegt bei etwa 13%, zum Nationalsozialismus bei ca.12% (Vgl. FUCHS, LAMNEK & WIEDERER 2003).

31 FABIAN et al. 2001.

32 Vgl. FABIAN et al. 2001, S. 61-68. Beide Indikatoren können nochmals nach „etwas“ und „stark fremdenfeindlich“ unterteilt werden. Es wurden dabei Vergleiche mit anderen Städten durchgeführt, bei denen Leipzig stets die höchsten Werte verzeichnete.

33 BACHER 2001, S. 338, Tabelle 1.

34 BACHER 2001, S.334.

35 BIRSL, 1995.

36 Shell 2000, S. 241, Abbildung „Einschätzung des Ausländeranteils nach Status und Ressourcen (deutsche Jugendliche)“.

37 JASCHKE 2007, S.51.

38 JASCHKE 2007, S54.

39 NEUGEBAUER, 2000, S.13, siehe hierzu auch STöSS, 2000, S.18 (Grafik 1).

40 Ebd. S.14.

41 JASCHKE, 2007, S.34-35, dort zitiert nach SCHUBERT & KLEIN 2006, S. 289. JASCHKE nennt weiterhin sieben Merkmale, die Totalitäre Bewegungen kennzeichnen, ebd. S. 35ff.

42 Vgl. JASCHKE, 2007, S. 16-23.

43 Vgl. hierzu „Ausländerextremismus“ des Verfassungsschutzes, Bundesverfassungsschutzbericht 2006, S. 264.

44 Vgl. BACKES & JESSE, 2005.

45 NEUGEBAUER, 2000, S.18.

46 Vgl. dazu etwa Bundesverfassungsschutzbericht 2005, sowie die Verfassungsschutzberichte von Sachsen 2005 sowie Sachsen-Anhalt 2005.

47 STöSS, 2000, S.19.

48 Ebd., S.20.

49 Ebd., S.21.

50 HEITMEYER, 1993, S.13.

51 Ebd., S.13.

52 Vgl. hierzu GLASER & PFEIFFER, 2007; KLÄRNER & KOHLSTRUCK, 2006; SCHUBARTH & STöSS, 2000.

53 STöSS, 2005, S.45ff.; GLASER & PFEIFFER, 2007, S.26f.

54 Die genaue Definition, durch auf Grund welcher und vor allem wie vieler Elemente eine Person als rechtsextrem zu bezeichnen ist, ist nicht klar festgelegt. Hier herrscht in der vorhandenen Literatur eine offenkundige Uneinigkeit, die auf die Problematik des Rechtsextremismuskonstruktes (siehe unten) hinweist.

55 Mehr zu den Mittelstandstheorien siehe GEIGER, 1930 und 1932 sowie LIPSET, 1972.

56 STöSS 2000, S. 12.

57 Ebd. S. 12.

58 Vgl. GEULEN 2007, S. 7ff.

59 Der Begriff „Rasse“ wird von mir bewusst in Anführungszeichen gesetzt, um mich von dessen Akzeptanz als legitimes Konzept zu distanzieren.

60 Vgl. JÄGER 1992, S. 15, BUTTERWEGGE 1993, S. 191f., MILES 1989 und HALL 1989(1).

61 Siehe hierzu die sogenannte Rassendiskriminierungskonvention ICERD (in der Version vom 7.3.1966), die sich als eines der sieben Menschenrechtsabkommen der UN gegen rassistische Diskriminierung richtet. Unter der offiziellen Bezeichnung „Internationalesübereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung“ 1965 verabschiedet und 4 Jahre später in Kraft getreten, haben die Konvention bis heuteüber 170 Länder ratifiziert.

62 HALL 1989 (1) sowie BALIBAR 1992.

63 HALL 1989(1), S.913.

64 JÄGER 1992, S. 15, dort zitiert nach KALPAKA & RÄTHZEL 1990, S.14.

65 MILES 1989, S. 354f.

66 MEMMI 1992, S. 98f., MEMMI bezieht diese Dyade auf Rassist und Opfer, die eigene Gruppe (Rassist) kann nur durch die Definition der Gegengruppe bestehen.

67 HALL 1989(1), S.919.

68 Ebd., S. 919.

69 JÄGER 1992, S. 15, zitiert nach KALPAKA & RÄTHZEL 1990, S.14.

70 Vgl. Ebd., S. 15, zitiert nach KALPAKA & RÄTHZEL 1990, S.14.

71 ALBERT MEMMI etwa spricht in seinem Werk „Rassismus“ von einem engen und einem weiten Rassismusbegriff (siehe weiter unten). Ersterer ist d emnach die Konstruktion der Rasse auf der Grundlage tatsächlicher oder fiktiver biologischer Merkmale. Diese Definition hat es auch in die Encyclopaedia Universalis geschafft. Letzterer zielt eher auf das ab, was als Neo- oder Kulturrassismus

72 Vgl. JÄGER 1992, S. 220ff. ; BALIBAR 1992 und HALL 1989(1).

73 Vgl. MEMMI 1992, S. 97

74 Vgl. RÄTHZEL 2000.

75 BUTTERWEGGE & JÄGER 1993, S. 192.

76 TERKESSIDIS 1995, S. 63, 74.

77 MEMMI 1992, S. 97ff.

78 MEMMI 1992, S. 101.

79 FLAM, 2007, S. 9.

80 Ebd., S. 9.

81 HEITMEYER 2002 - 2007.

82 Ebd., Folge 1 (2002), S. 10.

83 Ebd., S. 17.

84 Ebd., S. 17.

85 Ebd., S. 17.

86 Ebd., S. 19, Hervorhebung im Original.

87 Vgl. dazu HEITMEYER 1993, S 13f.

88 Was der Autor unter diesen Begriffen versteht, ist nachzulesen bei HEITMEYER 2002 - 2007, Folge 1 (2002), S. 20.

89 Zu den Zusammenhängen vgl. Ebd., S. 31f., unter Anmerkung 4.

90 WINKLER 2000, S. 49.

91 BACHER 2001, S. 335.

92 http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsextremismus_in_Deutschland#cite_ref-52 .

93 STöSS 2005, S. 50.

94 Vgl. etwa LAMNEK 2007, S. 111ff.

95 Vgl. hierzu DURKHEIM 1983.

96 LAMNEK 2007, S. 116, Hervorhebung im Original.

97 Ebd., S. 116, Hervorhebung im Original.

98 Vgl. WINKLER 2000, S. 54.

Ende der Leseprobe aus 146 Seiten

Details

Titel
Jugend und Rechtsextremismus in Leipzig
Untertitel
Eine empirische Untersuchung im Kontext differentieller Lerntheorien
Hochschule
Universität Leipzig  (Fakultät für Erziehungswissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
146
Katalognummer
V162805
ISBN (eBook)
9783640776306
ISBN (Buch)
9783640776139
Dateigröße
1199 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rechtsextremismus, Rassismus, Lerntheorien, differentielle Lerntheorien, Berufsschule
Arbeit zitieren
Steffen Schönfelder (Autor:in), 2009, Jugend und Rechtsextremismus in Leipzig, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/162805

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Jugend und Rechtsextremismus in Leipzig



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden