Kontinuität und Wandel amerikanischer Werte in der Science–fiction Trilogie "Back to the future"


Magisterarbeit, 1998

101 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung – Das Ziel dieser Arbeit

2. Die Handlung der Trilogie
Back to the Future I
Back to the Future II
Back to the Future III

3. Die Zeitreise als Subgenre der Science fiction
— Ursprünge, Grundregeln und Themen

4. Die Werte einer Nation – Die amerikanische Ideologie

5. Der historische Kontext der Trilogie – Die Ära Reagan

6. Die Propagierung der ausgesuchten Werte in der Trilogie
6.1. Back to the Future I: “If you put your mind to it, you can accomplish anything”
6.2. Back to the Future II: “Was wäre, wenn das jeder täte”
6.3. Back to the Future III: “Your future is whatever you make it”

7. Zusammenfassung: Die Zeitreise als Träger des Spannungsbogens
— Die Funktionen von Kontinuität und Wandel in der Trilogie

Quellen
Filmographie:
Literatur zu Kapitel 3: Die Zeitreise als Subgenre der Science fiction
Literatur zu Kapitel 4: Die Werte einer Nation – Die amerikanische Ideologie
Literatur zu Kapitel 5: Der historischen Kontext der Trilogie – Die Ära Reagan
Literatur zu Kapitel 6: Die Propagierung der ausgesuchten Werte in den Filmen
Literatur zu Kapitel 7: Zusammenfassung:
Die Zeitreise als Träger des Spannungsbogens
Lexika und Enzyklopädien:
Weitere Quellen:

Anhang
Daten und Details zu den Filmen:
Back to the Future I
Back to the Future II
Back to the Future III
Weitere Ergänzungen zum Text
Kapitel 5: Der historische Kontext der Trilogie – Die Ära Reagan
"Back to the Future" — Eine Abfrage
Amazon.de - Amerikanischer Katalog
IDS Uni Zürich
COPAC
Gesamtkatalog GBV
Library of Congress - 24h
British Library
NEBIS - ETH Zürich
Bibliotheksverbund Bayern
Schottische Nationalbibliothek

1. Einleitung – Das Ziel dieser Arbeit

Die Handlung von Back to the Future ist ebenso schlicht wie phantastisch: 1985 reist der 17-jährige Schüler Marty McFly mit einer Zeitmaschine 30 Jahre in die Vergangenheit und wird dort mit der Aufgabe konfrontiert, seine Eltern miteinander verkuppeln zu müssen, um seine eigene Existenz in der Gegenwart zu sichern. Diese skurrile Geschichte war nicht nur der finanziell erfolgreichste Film des Jahres 1985, sondern auch der erste, der an den amerikanischen Kinokassen mehr als $100 Millionen einspielte.[1] Sein Erfolg veranlasste die Autoren Bob Gale und Robert Zemeckis vier Jahre später zu gleich zwei Fortsetzungen, die sogar parallel gedreht wurden: In Teil II reist Marty 30 Jahre in die Zukunft, in Teil III verschlägt es ihn in den »Wilden Westen« des Jahres 1885.

Schon zuvor hatten sich mehrere Filme mit der Idee der Zeitreise – einem Subgenre der Science fiction – befasst; zum Beispiel Reise in die Urzeit (1955), die Verfilmung von Wells’ Time Machine (1959) oder Das Philadelphia Experiment (1984). Back to the Future war 1985 jedoch der erste Zeitreise–Film, der zu einem Kassenhit wurde (Terminator (1984) gründet zwar auf einem Gedankenspiel des Zeitreise–Genres, macht es aber nicht zum zentralen Thema seiner Handlung). Worin liegt das Erfolgsgeheimnis von Back to the Future ?

Ziel dieser Arbeit ist es, zu untersuchen, inwiefern der Erfolg der Back to the Future– Filme darauf zurückzuführen ist, dass sie in besonderem Maße den Zeitgeist der Dekade wider­spiegeln, in der sie entstanden: der 80er Jahre. Im Zentrum soll dabei speziell die Frage stehen, auf welche Weise die Trilogie die Zeitreise nutzt, um das von Präsident Reagan in seiner First Inaugural Address proklamierte “national renewal” – “With all the creative energy at our command, let us begin an era of national renewal”[2] – durch Rückbesinnung auf die ameri­kanische Geschichte zu exemplifizieren und so die Ideologie der Dekade zu reflektieren. Vorgenommen werden soll diese Untersuchung anhand der Darstellung und Propagierung von Kontinuität und Wandel zentraler amerikanischer Werte innerhalb der Trilogie.

Auf dem Weg dorthin soll zunächst auf die Zeitreise als Subgenre der Science fiction und Träger der Handlung eingegangen werden. Im Anschluss folgen die Betrachtung des amerikanischen Wertesystems und die begründete Auswahl eines Wertekomplexes für die angestrebte Untersuchung sowie die Einbettung der Trilogie in den historischen Kontext ihrer Entstehungszeit. Nach der Untersuchung der ausgesuchten Werte in den drei Filmen soll schließlich über die Rückkehr zum Zeitreise–Motiv und die Diskussion seiner spezifischen Funktionen in der Trilogie die zentrale Fragestellung dieser Arbeit beantwortet werden.

2. Die Handlung der Trilogie

Back to the Future I

Protagonist ist der 17jährige Marty McFly aus Hill Valley. Sein väterlicher Freund, der Wissenschaftler und Erfinder Dr. »Doc« Emmett L. Brown, lädt ihn an einem Oktoberabend des Jahres 1985 ein, seine neueste Erfindung zu testen: eine in einen DeLorean eingebaute Zeit­maschine. Nach dem ersten erfolgreichen Versuch mit seinem Hund »Einstein« will Doc selbst durch die Zeit reisen. Doch bevor er die Fahrt antreten kann, wird er von libyschen Terroristen erschossen: Mit dem Plutonium, das die Zeitmaschine antreibt, hätte er ihnen einen Atombombe bauen sollen. Als die Terroristen auch Marty erschießen wollen, rettet der sich in den DeLorean und ergreift die Flucht. Die Zeitmaschine ist jedoch bereits aktiviert und transportiert Marty in dem Moment, als der DeLorean die nötige Geschwindigkeit erreicht, in das Jahr 1955.

Um wieder zurück zu gelangen, muss er Doc ausfindig machen. Auf der Suche nach ihm trifft er auf seinen Vater George, der 1955 so alt ist wie Marty 1985. Marty bewahrt ihn vor einem Unfall mit einem herannahenden Auto und wird dadurch selber angefahren. Durch diesen Unfall hatten sich jedoch ursprünglich seine Eltern kennen gelernt. Anstatt sich aus Mitleid in den verletzten und in ihrem Elternhaus gesund gepflegten George zu verlieben, verliert Lorraine ihr Herz nun an ihren zukünftigen Sohn Marty. Marty wird dadurch mit der Aufgabe konfrontiert, die Ehe seiner Eltern zu stiften, um die eigene zu Existenz sichern. Die Zeit ist knapp, denn zum einen weiß er aus den Erzählungen seiner Eltern, dass sie sich genau eine Woche nach dem Unfall, auf einer Tanzveranstaltung, zum ersten Mal geküsst hatten. Zum anderen kann nur ein Blitz, von dem Marty weiß, dass er am Abend der Tanzveranstaltung in die Turmuhr des Gerichtsgebäudes von Hill Valley einschlug, die Zeitmaschine mit der nötigen Energie für den Zeitsprung in die Gegenwart versorgen, da das mitgeführte Plutonium aufgebraucht ist.

Doc Brown hatte gerade erst durch Zufall die Vision für den Mechanismus seiner Zeit­maschine, an der er 30 Jahre arbeiten wird: Er ist mit dem Kopf gegen das Waschbecken ge­stoßen. Erst als Marty ihm diese Details schildert, ist Doc überzeugt, dass Marty tatsächlich aus dem Jahr 1985 kommt. Doc wird sich um das technische Problem der Rückreise kümmern, die Umleitung des Blitzes; Marty wird seine Eltern zusammenbringen. Letzteres ist leichter gesagt als getan, da Lorraine nur noch Augen für Marty hat, und George zu schüchtern ist, um Lorraine anzusprechen. Marty bewegt George zur Inszenierung einer »Rettungsaktion«, in der George den Lorraine gegenüber zudringlich werdenden Marty zu Boden schlägt und ihr Herz gewinnt. Doch statt George erscheint zunächst ausgerechnet Biff Tannen, der Schläger der Schule; aus der Inszenierung wird Ernst. George nimmt schließlich all seinen Mut zusammen und schlägt Biff zu Boden. Die Weichen für die gemeinsame Zukunft von George und Lorraine sind gestellt.

Bevor Marty zurückreist, schreibt er Doc einen Brief, in dem er ihn vor dem Attentat der Libyer im Jahr 1985 warnt. Doch Doc zerreißt den Brief. Darauf verstellt Marty die Zielzeit der Zeitmaschine: Statt an den Ausgangszeitpunkt zurückzukehren, will er ein paar Minuten früher eintreffen, um ihn persönlich zu warnen. Der Blitz schlägt ein, der Zeitsprung gelingt, doch als Marty am Ort des ersten Experiments eintrifft, kann er nur noch zusehen, wie sein früheres Ich sich in den DeLorean rettet und unter gleißenden Lichtblitzen verschwindet. Doc liegt wie leblos am Boden. Erstaunt stellt Marty fest, dass Doc lebt: Gewarnt durch Martys Brief, den er später wieder zusammengefügt hatte, trug er »diesmal« eine kugelsichere Weste.

Doc bringt Marty nach Hause und tritt nun selbst seine erste Zeitreise an: 30 Jahre in die Zukunft. Als Marty am nächsten Morgen erwacht, hat sich seine Umwelt überraschend ver­ändert: Sein Vater, vormals kleiner Angestellter, ist ein erfolgreicher Autor von Science fiction–Geschichten; seine Mutter, zuvor eine vom Leben enttäuschte Alkoholikerin, ist eine attraktive Frau, seine älteren Geschwister sind nicht arbeitslos sondern beruflich erfolgreich in erhobenen Positionen. Biff, der Schläger der Schule, zuvor der schikanierende Vorgesetzte seines Vaters, wäscht dessen Auto. Als Marty mit seiner Freundin Jennifer eine Fahrt in seinem Auto (das vorher auch nicht existierte) unternehmen will, kehrt plötzlich Doc aus der Zukunft zurück und nimmt die beiden mit auf eine neue »Mission«: Es muss etwas für ihre Kinder getan werden. Doc hat die Zeitmaschine umgerüstet: Sie kann jetzt sogar mit Haushaltsabfällen betrieben werden.

Back to the Future II

Marty, Doc und Jennifer reisen 30 Jahre in die Zukunft, in das Jahr 2015. Doc erklärt die Mission: Marty muss anstelle seines 17jährigen Sohnes, Marty jr., Biffs Enkelsohn Griff treffen und ihm die Mithilfe bei einem geplanten Einbruch verweigern. Tut er das nicht, wird Marty jr. zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt; seine Schwester, Martys Tochter Darlene, zu 20 Jahren wegen Beihilfe bei einem Ausbruchsversuch. Marty verhindert, dass seine Kinder ins Gefängnis geraten. In der Zwischenzeit wird Jennifer, die wegen »zu vieler Fragen« über die Zukunft von Doc betäubt und in einer Gasse versteckt wurde, von der Polizei aufgegriffen, anhand ihres Fingerabdruckes identifiziert und nach Hause gebracht – in ihr Zuhause von 2015. Als Marty sich als Souvenir einen Almanach mit sämtlichen Sportergebnissen von 1950 bis 2000 kauft, wird er von Biff beobachtet, der mittlerweile 78 Jahre alt ist. Doc nimmt Marty den Almanach ab und wirft ihn weg – er hat die Zeitmaschine nicht zur persönlichen Bereicherung erfunden. Während Marty und Doc beschäftigt sind, Jennifer zurückzuholen, nimmt Biff den Almanach und leiht sich die Zeitmaschine. Als Doc, Marty und Jennifer nach 1985 zurückkehren, finden sie alles drastisch verändert vor: Aus Hill Valley ist der Moloch Hell Valley geworden, der von Biff beherrscht wird, dem reichsten Mann des Landes. Dazu hat Biff George ermordet und Lorraine gedrängt, ihn zu heiraten.

Es stellt sich heraus, dass der alte Biff aus dem Jahre 2015 mit der Zeitmaschine nach 1955 gereist ist, um dort seinem 18jährigen Ich den Almanach zu geben. Dadurch konnte der junge Biff jede Sportwette gewinnen und sich mit dem Geld ein gewaltiges Industrie–Imperium aufbauen. Um die Manipulation aufzuheben, müssen Marty und Doc zurück nach 1955 und dem jungen Biff den Almanach wieder abnehmen, bevor er ihn benutzen kann. Dieser Zeitpunkt fällt exakt zusammen mit der Tanzveranstaltung, bei der sich George und Lorraine zum ersten Mal küssten. Marty erobert den Almanach zurück und verbrennt ihn. Das »ursprüngliche« 1985, von dem er (zu Beginn von Teil II) aufgebrochen war, ist wiederhergestellt.

Bevor Marty zum wartenden Doc in den DeLorean steigen kann, wird der Wagen von einem Blitz getroffen. Die Zeitmaschine hatte schon vorher einen Defekt in der Datumsanzeige. Durch den Energiestoß wird sie aktiviert und befördert Doc in das Jahr 1885. Von dort schreibt er einen Brief und lässt ihn bei einer Kanzlei mit genauen Instruktionen hinterlegen, so dass er Marty in exakt dem Moment im Jahr 1955 erreicht, nachdem Doc verschwunden ist. Doc ist glücklich im jungen Hill Valley von 1885 und will dort bleiben. Mit den Informationen in dem Brief kann Docs Ich von 1955 Marty nach 1985 zurückschicken.

Back to the Future III

Marty erreicht Docs Ich von 1955 gerade in dem Moment, als Martys Ich aus Teil I mit Hilfe des Blitzes entschwunden ist. Der DeLorean, mit dem Doc nach 1885 gereist ist, befindet sich in einer alten Mine nahe Hill Valley. Da die Zeitmaschine seit Docs Ausflug nach 2015 auch mit Haushaltsabfällen betrieben werden kann, brauchen sie für Martys Rückreise nach 1985 nur ein paar Ersatzteile für die Reparatur der Datumsanzeige, die 1955 leicht zu beschaffen sind.

Auf einem verlassenen Friedhof nahe der Mine findet Marty jedoch einen Grabstein, aus dem hervorgeht, dass Doc am 7. September 1885 von einem gewissen Buford Tannen wegen einer Summe von $80 hinterrücks erschossen wurde. Marty entschließt sich, nach 1885 zu reisen und Doc vor diesem Schicksal zu bewahren. Er »landet« mitten in einem Gefecht zwischen Indianern und Kavallerie, versteckt den Wagen in einer Höhle und geht in das noch junge Hill Valley, wo Doc sich mittlerweile als Hufschmied etabliert hat. Da ein Indianerpfeil den Tank durchbohrt hat und das Benzin ausgelaufen ist, kann der DeLorean aus eigener Kraft nicht die erforderliche Geschwindigkeit für den Zeitsprung aufbringen. Doc erarbeitet eine Methode, um die Schubkraft der Eisenbahn, die einmal pro Woche in Hill Valley hält, so stark um ein Vielfaches zu steigern, dass sie den DeLorean auf den Schienen bis zur für den Zeitsprung erforderlichen Geschwindigkeit »anschieben« kann. Marty und Doc wollen so nach 1985 zurückkehren, bevor Tannen Doc erschießen kann.

In der Zwischenzeit rettet Doc das Leben von Clara Clayton, der neuen Schullehrerin, die ohne ihn in eine Schlucht gestürzt wäre, und verliebt sich in sie. Sie erwidert seine Liebe, glaubt ihm aber zunächst nicht, dass er aus der Zukunft kommt. Marty greift in Docs Konfrontation mit Buford Tannen ein, wodurch sogar sein eigenes Leben gefährdet wird. Doch schließlich wird Tannen besiegt und der Staatsgewalt übergeben; Marty und Doc können die Heimreise antreten. Als die Eisenbahn schon so stark beschleunigt hat, dass der Zeitsprung nicht mehr aufgehalten werden kann, bemerken sie, dass Clara, die ihnen nachgeritten war, an Bord geklettert ist. Doc entscheidet sich, bei Clara zu bleiben; Marty reist alleine zurück nach 1985. Dort angekommen, kann er gerade noch aus dem DeLorean springen, bevor der von einem herannahenden Zug überrollt und zerstört wird. Er holt Jennifer und kehrt zu der Stelle zurück. Als er den Verlust seines Freundes betrauern will, erscheint Doc in einer neuen Zeitmaschine, die er in eine Lokomotive eingebaut hat. Bei ihm sind seine Frau Clara und die Söhne Jules und Verne – benannt nach Docs und Claras Lieblingsautor. Nach einem letzten Gruß reist Doc wieder ab, um mit seiner Familie weiter die Epochen zu bereisen. Marty und Jennifer bleiben in der Gegenwart und nehmen von dort Einfluss auf ihre Zukunft.

3. Die Zeitreise als Subgenre der Science fiction – Ursprünge, Grundregeln und Themen

Die Idee, sich in andere Epochen zu begeben (und dort in das Geschehen einzugreifen), steht in einer langen Denktradition, denn sie stützt sich auf zwei archetypische Motive: Die Reise und der Traum von anderen, meist früheren Zeitaltern gehören zu den ältesten Themen überhaupt. Viele klassische Epen erzählen von Heldentaten vergangener Jahrhunderte, beschreiben Götterwelten und berichten über die Abstammung von Geschlechtern. Beispiele sind Ilias und Odyssee, die nordischen und germanischen Sagen, die Geschichten um Artus und die Ritter der Tafelrunde, die Legenden um Robin Hood und auch die Bibel. Gemein ist diesen Erzählungen der »Blick zurück« auf ein kulturelles und religiöses Erbe. Oft entstanden sie durch Vermischen von Historie und Dichtung. (Selbst in Shakespeares History Plays verschmelzen Authentizität und Fiktion.) Nicht selten beinhalten sie die Vorstellung eines Goldenen Zeitalters (Camelot, der Garten Eden), in dem die mythischen Figuren gewirkt haben sollen und auf das man voll Nostalgie zurückschaut. Auch handeln viele Erzählungen von Reisen in Sehnsuchtswelten, die auf keiner Karte zu finden sind aber in ein Zeitalter von Unschuld und Sorglosigkeit zurückzuführen scheinen: ob Alice in Wonderland, das Schlaraffenland oder die Inseln der Glückseligkeit.

Ein bemerkenswertes Beispiel für eine Verschmelzung von Zeitreisen und Reisen in eine mythische Sehnsuchtswelt findet sich innerhalb der amerikanischen Literatur in Mark Twains AConnecticut Yankee at King Arthur’s Court (1889): Hank Morgan, Vorarbeiter in einer Munitionsfabrik in Hartfort, Connecticut, erhält beim Streit mit einem Arbeiter einen Schlag auf den Kopf und fällt in Ohnmacht. Als er wieder erwacht, findet er sich im England des 6.Jahrhunderts wieder, genauer: in König Artus’ Camelot. Binnen kurzer Zeit avanciert er durch sein technisches Wissen des 19. Jahrhunderts zum zweitwichtigsten Mann hinter Artus und erhält den Namen »The Boss«. Er beginnt, das pastorale Camelot nach seinen Vorstellungen in eine moderne Industriegesellschaft umzugestalten. Er eröffnet Schulen, Fabriken und Militärakademien, richtet Telefone, Telegrafen und eine Zeitung ein und überschwemmt den Markt mit den Produkten seiner Firmen. Die Tafelrunde wird als Börse von Camelot zur Handelszentrale. Gleichzeitig macht er sich aber Kirche, Rittertum und Adel, die er ihrer Machtpositionen beraubt hat, zu Feinden. Die Kirche nutzt eine Reise des Bosses nach Frankreich, um den Bann über ihn auszusprechen. An der Börse sorgen Manipulationen für ein Zerwürfnis der Ritterschaft in zwei Lager, die sich schließlich in einer finalen Schlacht gegenüberstehen. Der Boss nutzt seine pyrotechnischen Kenntnisse aus dem amerikanischen Bürgerkrieg und bereitet mit nur 50 treuen Anhängern durch Schützengräben, elektrische Fang­zäune und Kanonen 25.000 angreifenden Rittern eine vernichtende Niederlage. Ihre Leichen bilden jedoch eine unüberwindliche Barriere um den Stützpunkt (Merlins Höhle), die den Sieg entwertet, indem sie den Boss und seine Anhänger ebenfalls zum Tode verurteilt. All seine Errungenschaften sind ausgelöscht. Merlin erscheint und belegt den Boss mit einem Zauber, der ihn 13 Jahrhunderte schlafen lässt. Der Boss erwacht im 19. Jahrhundert und wünscht sich, sterbend, ausgerechnet in das idyllische Camelot zurück, das er selbst zerstört hat.

Es ist kein Zufall, dass Twain sich gerade das im 19. Jahrhundert populäre Camelot ausgesucht hat. Die Romanzen um Artus und die Ritter der Tafelrunde waren besonders bei der „Pflanzeraristokratie“ [Nagler 106] in den Südstaaten der USA sehr beliebt. Twain sah in diesen Erzählungen jedoch den Grund für die Rückständigkeit des Südens und sein Verharren in verkrusteten gesellschaftlichen Formen, wofür er vor allem Sir Walter Scott die Schuld gibt:

In Life on the Mississippi, Clemens blames Scott for retarding the “wave of progress” in the South and for perpetuating “decayed and swinish forms of religion...decayed and degraded system of government ... sham grandeurs, sham gauds, and sham chivalries of a brainless and worthless long-vanished society”
[Das, Anm. 7]

Indirekt machte er Scott und amerikanische Autoren wie Cooper mit ihren romanti­sierenden Beschreibungen sogar mit für den Ausbruch des Bürgerkriegs verantwortlich:

Cooper’s frontier myth was [...] produced, Mark Twain felt, [...] by the effect of obsolete romanticism of England. Cooper in America and Walter Scott in England were responsible in disseminating such myths. [...] He felt that the pervasive influence of Walter Scott, who created in the American mind the idea of romance and chivalry, needed to be countered before fresh examination of American reality be undertaken. Mark Twain at one point remarked that it was Walter Scott who by corrupting the Southern mind by his notion of the romance of the war, indirectly caused the Civil War. Mark Twain felt that the best way to counter these myths [...] was through comic techniques like parody, burlesque and pastiche. [...] Thus his comedy became a tool for serious satire. [Kar 9-10]

Twain nutzt die Form der Satire, um mit einem Grundreiz der Zeitreise zu spielen: “From its first appearance in literature, time travel has been used to highlight the differences between different periods in time” [Russell 11]. Heißt: Zeitreisen werden seit jeher benutzt, um die unter­schiedlichen technologischen, gesellschaftlichen oder politischen Gegebenheiten von Epochen darzustellen. Das bereiste Zeitalter fungiert als Gegenpol zur eigenen Epoche. Twain dreht dieses Konzept um: Er hält seinen Zeitgenossen den Spiegel vor, indem er durch Parallelisierungen andeutet, dass sich das 6. und das 19. Jahrhundert gar nicht wesentlich unterscheiden: Der Yankee belächelt die Ritter, die von ihren wohl übertriebenen »Helden­taten« berichten [“Knights and other professional liars”, ACY 69], vergisst aber anscheinend die in seiner eigenen Zeit populären tall tales, die auf demselben Prinzip aufbauen. Er will Merlins Zauberkünste als Hokuspokus entlarven und bedient sich dabei der technischen Möglichkeiten des 19.Jahrhunderts, klärt aber nie über die Wirkungsweisen auf und ersetzt so nur eine Form von Magie durch eine andere [ ACY XXIII]. Er erklärt den Dorfbewohnern das Prinzip der freien Marktwirtschaft [“It isn’t what sum you get, it’s how much you can buy with it that’s the important thing”, ACY 174] und wird später (in Abwandlung) gemäß diesem Prinzip auf dem Sklavenmarkt verkauft: “[A] man is ultimately worth only what he will bring on the market.” [Berkove, Hoax 37] – Die Frage, die Twain stellt, ist ersichtlich: Warum soll man sich in eine Zeit zurückwünschen, die nicht viel anders war als die eigene?

Trotzdem bestätigt das Ende des Romans den Zeitgeist der Epoche, in der er entstanden ist. Er führt genau jene Möglichkeiten und Gefahren vor Augen, die die Angst vor der unge­wissen Zukunft schürten und die Flucht in ein imaginäres Zeitalter der Unschuld in pastoraler Landschaft bewirkten: “The Science and technology that mark progress, that distinguish forward from backward in time, become the means to annihilate all that humanity has created” [Franklin 170]. Zugleich zeigt er das Dilemma des Fortschritts auf: “Progress as a historical process must ultimately embody not only what is gained but a persistent sense of what has been lost” [Fienberg 166]. Diese Feststellung erscheint fast wie ein zynischer Hinweis auf ein Newtonsches Weltbild, das die Geschichte unerbittlich wie ein Uhrwerk ablaufen lässt und jedem, der sich der Nostalgie hingibt, ein mahnendes »You can’t go back« entgegnet.

Da sich jede (noch so spekulative) Erzählung letztlich dem Weltbild beugen muss, unter dessen Einfluss sie entstand, ist der Schluss von A Connecticut Yankee unausweichlich: Damit die Newtonsche Ordnung erhalten bleibt, müssen alle anachronistischen Errungenschaften des Bosses im 6. Jahrhundert am Ende annulliert werden. Die Unabwendbarkeit des geschicht­lichen Ablaufs deutet sich schon in der Rahmenhandlung zu Beginn an. Bei einer Führung in Warwick Castle in England werden die Besucher auf eine rätselhafte Kuriosität hingewiesen:

“Ancient hauberk, date of the sixth century, time of King Arthur and the Round Table; said to have belonged to the knight Sir Sagramore le Desirous; observe the round hole through the chain-mail in the left breast; can’t be accounted for; supposed to have been done with a bullet since the invention of firearms—perhaps maliciously by Cromwell’s soldiers.” [ ACY 5, meine Hervorhebung.]

Ein Fremder (der sich später als der Boss Hank Morgan erweist) erklärt dem Erzähler der Rahmenhandlung, er selbst habe dieses Loch in die Rüstung von Sir Sagramore geschossen. Später stellt sich heraus, dass der Boss ihn bei einem Ritterturnier mit einem Revolver erschoss, den er bei seiner Zeitreise »mitgebracht« hatte:

I snatched a dragoon revolver out of my holster, there was a flash and a roar, and the revolver was back in the holster before anybody could tell what had happened. Here was a riderless horse plunging by, and yonder lay Sir Sagramore, stone dead. […] There was a whole through the breast of his chain-mail, but they attached no importance to a little thing like that; and as a bullet-wound there produces but little blood, none came in sight because of the clothing and swaddlings under the armor. [ ACY 226]

Das Schussloch ist der einzige »Beleg« für die Geschichte des Yankee, die der Erzähler der Rahmenhandlung in den Notizen des Bosses nachliest – und selbst hierfür findet sich eine Erklärung, die das Newtonsche Weltbild bewahrt: wahrscheinlich waren es Cromwells Soldaten [ ACY 6].

Der Yankee gerät durch einen Schlag auf den Kopf und anschließende Bewusstlosigkeit in das 6. Jahrhundert; Merlins Zauberspruch versetzt ihn am Ende in einen Schlaf, der die Jahr­hunderte »zurück« überbrückt. Der Schlaf ist eine häufige Methode für Reisen durch die Zeit oder in Sehnsuchtswelten, da er die Struktur des Traums ausnutzt [Berkove, Dream, passim]. In Lewis Carrolls Erzählung reist Alice im Traum ins Wunderland, in Charles Dickens’ Christmas Carol wird der Geizhals Ebenezar Scrooge im Schlaf von den drei Geistern der Zeit heim­gesucht. Auch Back to the Future spielt mit diesem Prinzip: Martys eigentliches Abenteuer beginnt, als er von Doc telefonisch geweckt wird; es endet (in Teil I), als er nach der Rückkehr durch das Fenster in sein Zimmer klettert und auf dem Bett einschläft. Andrew Gordon beschreibt Back to the Future I sogar als einen “elaborate daydream” [a377f.]. Nur: Als Marty seine Umgebung am Morgen verändert vorfindet, begreift er, dass er nicht geträumt hat.

Sobald sich die Zeitreise einer »technischen« Methode bedient, die sich dazu auf eine (pseudo-)wissenschaftliche Basis stützt, wird sie interessant für das Genre der Science fiction, das per definitionem abhängig ist vom (pseudo-)wissenschaftlichen Diskurs [Hollinger 205]: Reisen durch die Epochen werden durch Maschinen ermöglicht, deren Mechanismen (auf geheimnisvollen Formeln oder »revolutionären Erkenntnissen« beruhend) oft angedeutet werden, aber letztlich doch ungeklärt bleiben.

Ein berühmtes Beispiel für diese »wissenschaftlichen« Zeitreise–Erzählungen ist H. G. Wells The Time Machine (1895): Ein (anonym bleibender) Zeitreisender baut eine Apparatur, mit der er aus dem England des späten 19. Jahrhunderts in das Jahr 802.701 reist. Dort trifft er auf das Volk der Eloi, eine friedliche, kindlich–naive Rasse, die in vollkommener Park­landschaft (ohne Tiere, dafür reich an vielfältigen Obstsorten) ein scheinbar paradiesisches Dasein ohne Arbeit, Klassengegensätze, Krankheit oder Alter führt. Er sinniert, dass diese Welt das Ergebnis der vollständigen Unterwerfung der Natur unter den Menschen sein muss. Perfektion ist jedoch das erste Stadium des Verfalls, und so musste das Fehlen jeden Ansporns zum Fortschritt, der geringsten Gefahr, zu der zufriedenen Lethargie führen, die das Volk der Eloi zu naiven Kindern werden ließ. Er entdeckt jedoch bald, dass das nur die halbe Wahrheit ist. Als seine Zeit­maschine plötzlich verschwunden ist, trifft er auf der Suche nach ihr auf die im Gegensatz zu den Eloi fleischfressenden Morlocks, eine zweite Rasse von Menschen, die in einem Tunnel­system leben und sich physiognomisch einem Leben unter der Erdoberfläche angepasst haben. Sie sind von affenartiger Gestalt, haben rotgraue Augen und lange, flachsähnliche Haare.

Er erkennt, dass die Eloi und die Morlocks das „Ergebnis einer konsequent fortgeführten Aufspaltung der mensch­lichen Gesellschaft in – wie Disraeli es nannte – ‘zwei Nationen’, die der ‘Haves’ (der Besitzenden) und die der ‘Have–Nots’ (der Besitzlosen)“ [ Kindlers 17: 534], sind. Im Laufe der Zeit haben sich die Herrschaftsverhältnisse zwischen den Abkömmlingen von Aristokratie (Eloi) und Unterschicht (Morlocks) umgekehrt: Die Morlocks versorgen die Eloi immer noch z.B. mit Kleidung, nutzen sie dafür aber als »Schlachtvieh« für die eigene, kannibalische Ernährung. Entsetzt begibt sich der Zeitreisende in seiner von den Morlocks zurück erkämpften Maschine noch weiter in die Zukunft; nur um festzustellen, dass die Mensch­heit schließlich völlig von der Erde verschwunden sein wird. Er kehrt zurück in die viktorianische Ära und berichtet seinen Freunden von seinen Erlebnissen. Dann verschwindet er – niemand weiß, in welcher Zeit er sich befindet.

The Time Machine beschreibt ebenso wie A Connecticut Yankee... die Reise eines tech­nisch »Überlegenen« in eine Zeit pastoraler, fast edenischer Einfachheit – eine Rückkehr ins Paradies. Doch beide Erzählungen enden mit der Erkenntnis, dass das scheinbar (wieder-) gefundene Paradies längst verloren ist. Für Wachhorst [345] bestehen die meisten Zeitreisen indieser Suche nach dem verlorenen Paradies – und gewöhnlich ist die Suche vergebens. Während dabei Reisen in die Vergangenheit Zustände beschreiben, die existiert haben (sollen), handeln Reisen in die Zukunft oft von Utopien erstrebenswerter Gesellschaften, die kommen könnten – oder von Anti–Utopien, die nie Realität werden dürfen. Zeitreisen bedienen also zwei Impulse: Nostalgie (nach der Vergangenheit) und Neugier (auf die Zukunft). Dazu sind Reisen in die Zukunft immer auch Extrapolationen der Menschheitsentwicklung, da sie auf den wissenschaftlichen, technischen, gesellschaftlichen oder politischen Trends der Zeit basieren, in der sie entstanden. In der Back to the Future –Trilogie geht Doc Brown sogar noch weiter: Er will mit Hilfe der Zeitmaschine Antworten auf die fundamentalen Fragen der Menschheit finden:

I didn’t invent the time machine for financial gain. The intent here is to gain a clear perception of humanity: Where we’ve been, where we’re going, the pitfalls and the possibilities, the perils and the promise; perhaps even an answer to that universal question: WHY? [ Back to the Future II, 0:23,20h]

Wells’ Zeitreisender beugt sich fatalistisch seiner Entdeckung über die Zukunft der Menschheit; seine Ergebenheit in die Unausweichlichkeit der Entwicklung verrät offenbar erneut das Newtonsche Weltbild, das keine Änderung des schicksalhaft vorbestimmten Kurses zulässt. Er kann die Zukunft ebenso wenig verändern, wie der Yankee die Vergangenheit beeinflussen konnte. Wells’ Roman deutet das in seinem doppeldeutigen Titel an: Er steht nicht nur für den Apparat, der das Reisen durch die Epochen ermöglicht, sondern auch für die Zeit selber als Maschine, die sich unerbittlich wie ein Uhrwerk weiterbewegt [Hollinger 211]. Doch allein die Tatsache, dass Wells’ Figur mit Hilfe einer Maschine (und nicht »nur im Traum«) durch die Zeit reist, ist schon ein (wenn auch kurzer) Ausbruch aus dem Gefängnis des unveränderlichen geschichtlichen Ablaufs. Dazu beinhaltet die Rahmenhandlung der Erzählung, eine Diskussion über die Möglichkeit der Zeitreise, bereits eine bemerkenswerte Neudefinition des Weltbildes: Das Universum besteht nicht aus drei, sondern aus vier Dimensionen:

“Clearly,” the Time Traveller proceeded, “any real body must have extension in four directions: it must have Length, Breadth, Thickness, and—Duration. […] There are really four dimensions, three which we call the three planes of Space, and a fourth, Time. There is, however, a tendency to draw an unreal distinction between the former three dimensions and the latter […]. There is no difference between Time and any of the three dimensions of Space except that our consciousness moves along it.” [Wells 4]

Wells mute für seinen Zeitreisenden ein neues »Universum« schaffen: “Wells had to separate the subjective time of his Traveller from the objective time by which his temporal perceptions are supposedly determined. Private time breaks free of public time” [Hollinger 210]. Diese Trennung in objektive und subjektive Zeit ahnt sogar die Relativitätstheorie voraus: Der Zeitreisende sieht in seiner Maschine die Jahrhunderte im Zeitraffer an sich vorbei eilen. (Wells weist nicht zufällig in Einsteins Richtung: Er studierte am Imperial College of Science and Tech­nology in London.) Hier zeigt sich aber auch der Unterschied zwischen Newtonscher und Einsteinscher Ordnung: Wells’ Zeitreisender kann die Zeit in Windeseile durchlaufen, sie aber noch nicht »überspringen«. Das Dogma des unveränderlichen Laufs der Zeit bleibt erhalten.

Here is a portrait of a man at eight years old, another at fifteen, another at seventeen, another at twenty-three, and so on. All these are evidently sections, as it were, Three–Dimensional representations of his Four–Dimensional being , which is a fixed and unalterable thing. [Wells 5; meine Hervorhebungen]

Erst Einsteins Relativitätstheorie entwirft ein Weltbild, das dieses Dogma aufhebt. Lawrence M. Krauss, Professor für Physik und Astronomie an der Case Western University in Cleveland/Ohio, gibt eine vereinfachte Erklärung: 1) Geschwindigkeit ist Distanz pro Zeit. 2)Licht bewegt sich mit absoluter (d.h. konstanter) Geschwindigkeit. Da die Lichtgeschwindig­keit konstant ist, müssen die beiden anderen Faktoren der Gleichung variabel sein, Raum und Zeit werden relativ [Krauss 32]. Zeit dehnt sich oder zieht sich zusammen; der Raum ist nicht statisch, sondern krümmt sich. Für Reisen durch den Raum heißt das: „Wenn wirklich ein gekrümmter Raum existiert, so braucht die kürzeste Verbindung zwischen zwei Orten nicht unbedingt aus einer geraden Linie zu bestehen“ [Krauss 48].

Analog verläuft im vierdimensionalen Universum die Zeit nicht linear, sondern in »Schlau­fen«, zwischen denen »Abkürzungen« existieren können, die zu Orten führen, „die den An­schein erwecken, unerreichbar weit entfernt zu sein“ [Krauss 50]. Diese Abkürzungen, »Wurm­löcher« genannt, können »Zeitsprünge« in die Vergangenheit oder Zukunft ermöglichen. (Die Zeitmaschine in Back to the Future, Doc Browns DeLorean, nutzt offenbar diese Methode; Befahren und Verlassen des »Wurmlochs« werden dabei von Lichtblitzen angezeigt.)

Gerade bei der Zeitreise greift die Science fiction oft auf die Relativitätstheorie zurück – nicht nur, weil diese Zeitreisen sogar ausdrücklich zulässt [Krauss 27f.], sondern auch, weil sie den Anspruch der Science fiction, eine »rationale« Dichtung zu sein, zu untermauern scheint. Der Leser kann sich der Illusion hingeben, dass er einen »realistischen« Traum träumt, der den »magischen« Reisen im Schlaf dadurch überlegen ist, dass er eine wissenschaftlichen Basis hat. (Dabei wird gerne unterschlagen, dass selbst in den Theorien der Astrophysiker nur Objekte mit unendlich geringer Masse, die sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, etwaige Reisen durch solche »Wurmlöcher« und deren Schwerkräfte überstehen würden. Für einen Menschen wären diese Passagen eher eine Fahrt durch Dantes Hölle [Hawking 94] als eine Reise ins Paradies.)

Wenn es theoretisch möglich ist, durch derartige Abkürzungen durch die Zeit zu reisen, warum sollten dann nicht auch Eingriffe in deren Ablauf möglich sein? Hier liegt der größte Reiz der Zeitreise, das Spiel mit dem »Was–wäre–wenn?«. Denn wer hegt nicht den Wunsch, etwas Geschehenes rückgängig zu machen, oder Kenntnisse über zukünftige Ereignisse zu haben, um die »richtige« Entscheidung zu treffen? Was wäre, wenn man einen Mord verhindern, oder die nächsten Lottozahlen vorhersagen könnte? Der weitaus häufigere der beiden Wege ist der in die Vergangenheit. Ihn trägt dieselbe Nostalgie, die der Popularität aller Werke zugrunde liegt, die sich mit vergangenen Epochen befassen. Nur schließt die Reise in die Vergangenheit jetzt die Idee mit ein, dass das Glück der Vergangenheit durch deren Manipulation in die Gegenwart hinüber gerettet werden kann. Besonders Filme mit Zeitreise–Themen spielen hiermit:

The majority of recent time-travel films [...] deal [...] with an escape into an idealized past in a desperate attempt to alter the present and the future. They reflect a growing dissatisfaction with a present that is sensed as dehumanized, diseased, out of control, and perhaps doomed. Somewhere along the line, the unspoken feeling goes, something went drastically wrong; if we could only return to the appropriate crossroads in the past and correct things, we could mend history and return to a revised, glorious present or future, the time line we truly deserve.
[A. Gordon a373]

Hier liegt der Ausgangspunkt der Back to the Future Trilogie, die vor allem auf die Nostalgie nach den 50er Jahren setzt: Die »Kreuzung«, an der sich das Schicksal von Martys Familie entschied, war gerade der Zeitpunkt, als seine Eltern in seinem Alter waren und sich ineinander verliebten. Lorraine entschied sich damals jedoch aus dem »falschen« Grund für George: aus Mitleid, weil ihr Vater ihn mit dem Auto angefahren hatte. Martys Eingreifen korrigiert den Fehler: George lernt, um ihre Liebe zu kämpfen und beweist, dass er für sich selbst einstehen und die Frau, die er liebt, beschützen kann. Durch die Auseinandersetzung mit diesen ritterlichen (!) Idealen im Laufe der Back to the Future –Trilogie (und deren abschließende Neubewertung) offenbart sich die Tradition Twains: Marty und Doc sind die Yankees des 20.Jahrhunderts.

Die Logik scheint die Chance einer Manipulation der Vergangenheit zu verbieten. Ein einfaches Beispiel: Man liest von der Ermordung Lincolns (er wurde am 18. 4. 1865 bei einem Theaterbesuch in Washington erschossen), baut sich eine Zeitmaschine, reist zu einem Zeitpunkt kurz vor dem Mord und verhindert ihn. Lincoln bleibt am Leben. Nur: Das Verhindern der Tat löscht auch alle historischen Zeugnisse über sie aus – und mit ihnen das Motiv für die Reise. Der Eingriff in die Geschichte annulliert sich in dem Moment, in dem er passiert [Cook 50] – und wird dadurch, dass er nicht stattfindet, wieder möglich. Dieses Phänomen, das Ursache und Wirkung aus den Fugen geraten last, bezeichnet man als »Zeit–Paradoxon«: “ATime Paradox is a situation in which the effect of an incident contradicts or eliminates the cause of that same incident” [“Back to the Future™ Frequently Asked Questions” [FAQ # 12]]. Das berühmte Grandfather Paradox bedroht sogar die eigene Existenz: Man reist in die Vergangenheit, tötet aus Versehen seinen Großvater (oder einen anderen direkten Vorfahren) und verhindert damit die eigene Geburt. Da man aber nicht geboren wird, kann man nicht in der Zeit zurückreisen und seinen Großvater töten. Resultat ist das Paradoxon: „Wenn man existiert, so kann man nicht existieren; und wenn man nicht existiert, muss man existieren” [Krauss 26].

Doch selbst wenn die eigene Existenz durch die Manipulation nicht gefährdet ist, wie können in einer Erzählung Charaktere in ihren Eigenschaften definiert werden, wenn jede noch so kleine »Korrektur« des geschichtlichen Ablaufs auf sie zurückschlägt und sie verändert, anstatt dass sie sich kontinuierlich weiterentwickeln? Die Lösung liegt in der Einsicht, dass die Zeitreise ein rein gedankliches Konstrukt ist, “a sign without a referent, a linguistic construction originating in the metaphorical spatialization of temporality” [Hollinger 201]. Als solches ist sie nur den Grenzen verpflichtet, die ihr Schöpfer (Autor, Regisseur) ihr gesetzt hat. Bob Gale und Bob Zemeckis, die Autoren von Back to the Future, erklären ihr »Universum« so: “Let’s face it, time travel is fantasy, so there’s no way to ‘prove’ anything. As film makers, we try to create a set of rules for our stories and stick by them, and stay consistent with the little ‘universe’ that we’ve created” [FAQ # 9]. Wenn das Konstrukt innerhalb der gegebenen Grenzen auf logische Hindernisse stößt, werden die Grenzen erweitert. Daher ist eine wichtige Grundregel des Zeitreise–Genres die Immunität des Reisenden gegenüber den Folgen seiner Interventionen für die Dauer der Reise: “A time traveler in transit is a drifting bubble of now-time ripped loose from the matrix of the continuum, immune to the transformations of the paradox” [Silverberg 38].

Damit der Zeitreisende bei seiner Rückkehr nicht doch von einem Paradoxon betroffen wird, verschmilzt die Idee der Zeitreise oft mit der Vorstellung „paralleler Universen“ [Russell 11]: Bei den Filmen Smoking und No Smoking (beide 1993) von Resnais steht z. B. am Anfang jeweils die Alternative, eine auf dem Boden liegende Schachtel Zigaretten aufzuheben (Smoking) oder sie liegen zu lassen (No Smoking). Nach dieser Entscheidung divergieren die beiden Filme in zwei völlig verschiedene Handlungen. Jede dieser Handlungen ist ein mögliches »Universum«, hervorgerufen durch eine einzige Entscheidung. Unendlich viele Entscheidungen erzeugen unendlich viele »parallele« Universen. Als Konsequenz ist jede Realität nur die Summe möglicher Entscheidungen. Ein Zeitreisender kann so von einer Fahrt in die Ver­gangenheit in eine Realität »zurückkehren«, in der er gar nicht existieren würde. Er wird dadurch zur einzigen Konstanten der Erzählung, während sich die Welt um ihn »schlagartig verändert«. Die Zeitreise wird zum “[play] with the sanctity of sequency” [Slusser 168], das die kontinuierliche Entwicklung des Reisenden gegen die Unbeständigkeit der Welt projiziert. Oft jedoch ist der Zeitreisende in der »neuen« Realität ein Fremder, der sich nichts mehr wünscht, als in »sein« Universum zurückzukehren – “an oddly Newtonian desire to go home” [Slusser 166]:

For the time traveler, disengagement from Newtonian time creates new rules, beyond chronology and causality, for human thought and action. Return to any absolute time of origins and ends is now impossible. And yet, by the same token, the traveler is now free to play upon the wish and need for such a return, to create arabesques that flirt with a reentry point that has now become “forbidden” if not impossible. [...] He/she must [...] reject the classical sense of time. This rejection of chronology however creates a tyranny, in the form of a yearning or desire to return to a temporal fixity now known to be impossible in terms of the new rules adopted. [...] Under this new dispensation, classical time is recoverable only to the extent that it becomes an object of play. [Slusser 171]

Auch Marty ist solch ein Fremder: In Back to the Future II landet er bei seiner Rückkehr aus der Zukunft in die Gegenwart in einem »alternativen« 1985: Sein Vater ist tot, seine Mutter hat den Mann geheiratet, vor dem sein Vater sie in Teil I (durch Martys Hilfe) gerettet hatte. Seine Geschwister sind im Gefängnis, sein »alternatives Ich« geht in der Schweiz auf ein Internat. Um in »sein« 1985 zurückzukehren, muss Marty in der Vergangenheit die Manipulation rückgängig machen, die zu dieser »alternativen Realität« führte.

»Vergangenheit« und »Zukunft« werden bei sequentieller Betrachtung des Geschehens zu relativen Begriffen, die sich am »Jetzt« des Zeitreisenden orientieren:

[A]ll of the past and all of the future [...] meet and forever meet, at one single point, now. Furthermore, the now [...] is specifically located, and will never be found in any other place, than here (wherever the observer is at). [Slusser 34]

Ein Zeitreisender kann also in seiner »subjektiven Vergangenheit« Kenntnis über ein Ereignis in der »objektiven Zukunft« haben – und sich diese in der »objektiven Vergangenheit« zunutze machen: Twains Yankee sagt eine Sonnenfinsternis voraus, Marty hilft in Teil I sein Wissen über einen Blitzeinschlag bei der Planung seiner Rückkehr nach 1985. Die »Relativität« der Zukunft wird im Film oft anhand von Objekten dokumentiert, die der Reisende aus der »objektiven Zukunft« der Zeit mitgebracht hat, in der er sich gerade befindet. (Sie sind Manipula­tionen des geschichtlichen Ablaufs gegenüber also nicht immun.) In Back to the Future z. B. ändern sich Schlagzeilen auf Zeitungen, verschwinden Personen von Photos, wechseln Werbeschriften auf Streichholzbriefchen. »Die Zukunft« ist nicht mehr (wie noch bei Wells) fixiert, sondern nunmehr die „logische Extrapolation“ [FAQ # 13] bestehender Trends: “We know this photograph [of a tombstone] represents what will happen if the events of today continue to run their course into tomorrow” [Doc Brown, BttF III, 1:04,11h].

Die letzte Betrachtung innerhalb des Zeitreise–Motivs gilt dem Spiel mit dem Déjà vu: In Teil II muss Marty erneut nach 1955 reisen und dort während derselben Tanzveranstaltung wie in Teil I in die Geschichte eingreifen, um die Manipulation aufzuheben, durch die sein Vater später getötet und seine Mutter gedrängt wird, dessen Mörder zu heiraten. Er beobachtet dabei sein »früheres Ich« aus Teil I, das »zeitgleich« seine Eltern miteinander verkuppeln muss. Hier zeigt sich, dass der Zeitreise weiterhin Grenzen gesetzt sind: Man kann an jeden Punkt von Vergangenheit und Zukunft reisen, aber nie in die eigene Vergangenheit oder Zukunft. Denn da zur selben Zeit immer nur eine Person am selben Ort existieren kann, muss der Zeitreisende entweder sein früheres/zukünftiges Ich von dessen Platz im Geschehen verdrängen oder selbst verzichten und sich mit der Beobachtung aus einer anderen Position begnügen. Aus dieser letzten »Tyrannei« der Zeit kann auch Einstein nicht befreien: Sequenzialität schließt die Erkenntnis ein, dass jedes Erlebnis einmalig ist. Man entwickelt sich immer weg von dem, was man war, und hin auf das, was man sein wird. Der Zeitreisende bleibt immer nur ein Besucher, ein Fremdkörper – und damit ein potentieller Störenfried im natürlichen Lauf der Geschichte.

Insgesamt macht sich die Back to the Future –Trilogie das Zeitreise–Motiv auf vielfältige Weise zunutze. Erstens ist es das Gerüst für eine eigentlich absurde, irrationale Idee, die das Dogma von Ursache und Wirkung auf den Kopf stellt: Nur im fiktiven Rahmen der Zeitreise kann man sich eine Figur vorstellen, die ihre Eltern zusammenbringen muss, um die eigene Geburt zu sichern. In ihrem Verlauf bedient sich die Trilogie nahezu aller Gedankenspiele des Zeitreise–Motivs; von Reisen in die extrapolierte Zukunft über parallele Realitäten bis zum Spiel mit Sequenz und Déjà vu. Zweitens bedient es die Nostalgie. Für Marty wird der uralte Wunsch Wirklichkeit, in vergangene Epochen zurückzukehren, dort Fehlentscheidungen zu korrigieren und tragische Ereignisse rückgängig zu machen. Schließlich lässt die Zeitreise verschiedene Generationen auf einer Altersstufe Stufe aufeinander treffen und erlaubt so einen direkten Vergleich zwischen ihnen. Auf seinen Zeitreisen begegnet der 17jähriger Marty immer wieder Mitgliedern seiner Familie: In Teil I überspringt er einen vollständigen Generationszyklus von 1985 nach 1955 und landet so in der Zeit, als seine Eltern in seinem Alter waren und selbst noch zuhause wohnten. In Teil II macht er analog einen »Generationssprung nach vorn« ins Jahr 2015, wenn wiederum sein Sohn in seinem Alter sein wird. Marty selbst wird dann so alt sein, wie sein Vater 1985 ist. In Teil III gelangt er nach 1885 und trifft wieder auf seine Vorfahren: Der erste McFly, der in Amerika geboren wurde, ist noch ein Baby; dessen Eltern, Einwanderer aus Schottland, sind die ersten McFlys im noch jungen Hill Valley.

Marty und die Figuren der verschiedenen Epochen geraten bei seinen Reisen immer wieder in analog ablaufende Situationen. Als »Kinder« ihrer Zeit wuchsen sie jeweils auch mit den Werten dieser Epochen auf. In den Gemeinsamkeiten und Unterschieden, die Marty (als »Fixpunkt« der Vergleiche) und seine Vorfahren in den wiederkehrenden Situationen erkennen lassen, offenbaren sich so Kontinuität und Wandel dieser Werte über die Epochen hinweg.

4. Die Werte einer Nation – Die amerikanische Ideologie

Die USA sind eine Nation, die sich nicht im »klassischen« Sinne des Begriffs definieren lässt. Sie stellen keine „durch gemeinsame Abstammung verbundene Bevölkerung einer Landschaft oder Stadt“ [Weber-Fas 321] dar, sondern ein Konglomerat von rund 250 Millionen Einwohnern verschiedenster Ethnien und sozialer Schichten, eine »Nation von Einwanderern« und Gruppierungen. Was sie zusammenhält, so Peter Lösche, ist die „amerikanische Ideologie“ [271], ein System von Werten, die sich in der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet haben und die verschiedenen ethnischen, sozialen und regionalen Gruppen in die Nation integrieren. Lösche beschreibt diese Ideologie sogar detailliert als eine „civil religion“ [Kapitel III], die sich in Symbolen wie dem Sternenbanner und Ritualen wie dem pledge of allegiance manifestiert und die Nation begründet und festigt [272].

In der Tat erscheint die »amerikanischen Ideologie« als das Resultat eines engen Zusammenhangs „von Religion und Kirche auf der einen, von Gesellschaft und Politik auf der anderen Seite“ [Lösche 273]. Lösche isoliert drei Faktoren, die zur Herausbildung dieser weltlichen Religion und ihrer Werte beigetragen haben: den englischen Protestantismus, den Kalvinismus des 17. und 18. Jahrhunderts und das Lockesche Verständnis von Erkenntnis und Staat innerhalb der Aufklärung. Diese drei Faktoren, so Lösche, haben in ihrer Kombination zur Herausbildung der genuin amerikanischen Werte geführt, die daher auch nur in einem amerikanischen Kontext zu verstehen sind.

Denn anders als in Europa standen sich z. B. Religion und Aufklärung nicht als Widerparte gegenüber, sondern waren gemeinsam Wegbereiter bei der Gründung der Republik: „Unabhängigkeit des Denkens und Freiheit des Bekenntnisses mussten in der neuen Welt keiner Obrigkeit abgetrotzt werden, in der sich geistliche und weltliche Autorität miteinander verbunden hatten“ [Lösche 273]. Während sich in Europa die feudalen Staats­formen durch das Gottesgnadentum legitimierten, waren die Staat und Kirche in den USA immer strikt getrennt. Die Bestrebungen nach bürgerlicher Freiheit waren daher nicht (wie z.B. in Frankreich) „anti–klerikal oder militant–weltlich“ [Lösche 273], sondern konnten sich sogar durch den Glauben legitimieren: Der Kernsatz der Unabhängig­keitserklärung weist ausdrücklich auf die Gottgewolltheit der bürgerlichen Rechte hin:

We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty, and the pursuit of Happiness. [meine Hervorhebung]

Die strikte Trennung von Staat und Kirche ist sogar im ersten Amendment zur Verfassung verankert; die garantierte Freiheit der Religionsausübung gilt gemeinsam mit der freedom of speech als höchstes Gut:

Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or of the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances.

[Bill of Rights, Amendment No. 1, Ratified Dec. 15, 1791, meine Hervorhebung]

Die Gründe hierfür reichen zurück bis zu den ersten Einwanderern: Die puritanischen Separatisten, die Anfang des 17. Jahrhunderts aus England nach Amerika kamen, erhofften sich in der neuen Heimat vor allem Religionsfreiheit. In den Gründungskolonien wurden sie zur bestimmenden Größe, so dass der englische Protestantismus auch die gesellschaftliche Entwicklung prägen konnte [Lösche 279]. Laut Lösche förderten die „Ansätze zu theokratischer Herrschaft“ [273f.] in den Gründungskolonien (wie die Hexenprozesse in Massachusetts auf dem Höhepunkt der religiösen Strenge) langfristig dialektisch die Erkenntnis, „dass religiöse Toleranz notwendig sei“ [274]: Gegenüber der wirtschaftlichen Entwicklung und der kontinuierlichen Besiedlung des Landes, die durch die nach­folgenden Einwanderer garantiert wurden, wurde die Religionszugehörigkeit als zweitrangig erkannt.

Durch ihre strikte konstitutionelle Trennung konnten Kirche und Politik miteinander in Dialog treten und sich (besonders bei moralischen Fragen) gegenseitig beeinflussen: Die Religionsfreiheit war ein wichtiger Faktor im Kampf um die Lösung vom Mutterland (s.o.); kirchliche Verbände setzten sich z. B. für die Aufhebung der Sklaverei ein, Kirchenvertreter wie Reverend Dr. Martin Luther King kämpften Seite an Seite mit dem Civil Rights Movement. DieTrennungslinie zwischen Religion und Staat war dabei „immer wieder umstritten und wird in jeder Generation neu vermessen“ [Lösche 274]: In staatlichen Schulen darf seit den 70er Jahren nicht mehr gebetet werden, um nicht eine Religionsform öffentlich zu bevorzugen; aus dem gleichen Grund wird das Aufstellen von Weihnachtsbäumen und Krippen vor dem Rathaus auf seine “constitutionality” überprüft [Burns 58f]. Religion kann sogar Einfluss auf den Unterricht nehmen: Je nach Region steht im Biologieunterricht die Evolutionstheorie oder die biblische Schöpfungslehre auf dem Lehrplan. Politik und Religion sind also in den USA kein Gegensatz, sondern oft eine »logische Kombination«. Wie Lösche [275] festhält, haben in den USA gerade die Kirchen zur „Grasverwurzelung der Demokratie“ beigetragen.

Durch ihre strikte Trennung vom Staat auch auf administrativer Ebene auf der einen Seite und ihr starkes politisches Engagement auf der anderen stellen die Kirchen in den USA sowohl geistliche Gemeinden (congregations) als auch weltliche Kommunen (communities) dar. In der amerikanischen Geschichte fanden diese Prinzipien von Selbstverwaltung und Unabhängigkeit vom Staat ihre stärkste Ausprägung an der Frontier, der Grenze der (weißen) Besiedlung nach Westen, „wo spontan und freiwillig Siedler sich zu kirchlichen Gemeinden zusammen­schlossen“ [Lösche 275].

Trotz der ausdrücklichen religiösen Toleranz konnten sich die WASPs, die White Anglo–Saxon Protestants, besonders in der Arbeitsethik durchsetzen: Als Gründerväter der USA formten sie deren gesellschaftliche Ordnung nach ihrem Modell, in das die späteren Einwan­derer integriert wurden. Basis des Modells sind lt. Lösche die schon genannten Grundlagen der „amerikanischen Ideologie“: der englische Protestantismus, der Kalvinismus und die Locke’­schen Philosophien innerhalb der Aufklärung, die untereinander ein komplexes Wechsel­gefüge bilden.

Kennzeichnend für den englischen Protestantismus ist die Auffassung, dass zwischen Gott und Individuum ein persönliches Verhältnis besteht, so dass „dem individuellen Gewissen die höchste Autorität zukommt“ [Lösche 279]. Hierauf gründet der amerikanische Individualismus, der sich unter anderem in Skepsis gegenüber Autorität zeigt – und bis zu jenem zivilen Ungehorsam reichen kann, den Thoreau in seinem Essay “Civil Disobedience” forderte. Die Einflüsse von John Locke sind ersichtlich: Nach seiner Erkenntnis–Theorie ist jedes Wissen und jede Idee abhängig von der persönlichen Erfahrung, die ihrerseits nur über die Sinne möglich ist. Die äußeren Sinneswahrnehmungen (sensations) beeinflussen dabei die inneren Sinneswahrnehmungen (reflections), wie das Denken, Glauben, oder Wollen. Die Gottes­erfahrung wird zu einem höchst individuellen Prozess – selbst wenn Gott, als »übersinnliches« Wesen, nicht direkt erfahren werden kann, sondern nur durch die Zeugnisse (vor allem die Bibel), die seine Werke und seine Präsenz über die Sinne vermitteln.

Daneben hatte auch Lockes Staatsphilosophie großen Einfluss auf die amerikanische Ideologie: Locke geht von einem Naturzustand (mit völliger Freiheit und Gleichheit aller) aus, auf den sich ein Entwicklungsprozess gründet, an dessen Ende der Abschluss eines Gesell­schaftsvertrags steht, in dem die legislative, judikative und exekutive Gewalt zum Wohl der Gemeinschaft in eine höhere Instanz (den Staat) gelegt werden, um die willkürliche Rechtsprechung des einzelnen zu unterbinden. Das Naturgesetz gebietet dabei als oberstes Recht die Erhaltung der von Gott geschaffenen Natur. Zu diesem Gesellschaftsvertrag gehört auch die staatliche Toleranz gegenüber jeglicher Religionsausübung. Die protestantische Skepsis gegenüber der Machtanhäufung einzelner und die Lockesche Staatsphilosophie sind demnach auch die Wurzeln des amerikanischen Demokratieverständnisses, das ins­besondere die Rechtsstaatlichkeit im republikanischen System betont – als bewusste Abgrenzung von den Monarchien in Europa [Lösche 280].

Besondere Beachtung widmet Locke dem Recht auf Privateigentum: Die im Naturzustand herrschende Gütergemeinschaft wird zur Nutzbarmachung und Selbsterhaltung aufgehoben; Naturgüter gehen durch Arbeit in Privateigentum über. Das allgemeine Einverständnis zur Einführung von Geld ermöglicht dann sogar die Aneignung von Gütern über den Verbrauchs­bedarf hinaus – und legitimiert als Konsequenz auch eine ungleiche Verteilung von Besitz, der durch Ansammlung des Geldes erworben wurde [ dtv Atlas Philosophie 119-21].

Hier setzt schließlich der Kalvinismus an. Er gründet auf einer strengen protestantischen Arbeitsethik, nach der sich am Erfolg des einzelnen seine Auserwähltheit vor Gott ablesen lässt. Gemeinsam mit Lockes »Eigentumsbegriff« begründet er eine genuine Betrachtung des Individuums: „Zugespitzt formuliert: Die einzelne Persönlichkeit konstituiert sich überhaupt erst dadurch, dass zu ihr Eigentum gehört“ [Lösche 282] – Eigentum, das Gott wohlgefällig und hart erarbeitet wurde. Hier liegen auch die Wurzeln des kapitalistischen Wettbewerbs – der Konkurrenz der einzelnen auf dem freien Markt [282].

Das Wettbewerbsprinzip beschränkt sich nicht nur auf die Wirtschaft. Der Vergleich von Leistungen und deren Anerkennung zieht sich als Konstante durch alle Gesellschaftsbereiche: Die Höhe des Gehalts, Schulnoten, oder die Position in der Liste der »Top 100« im ausgeübten Beruf werden als Indikatoren für die eigene Leistungsfähigkeit herangezogen und offen zum Vergleich angeboten. „Das ganze Leben“, so Lösche [284], „das Bildungssystem, die Wirt­schaft, die Gesellschaft, so will es manchmal scheinen, ist eine einzige Sportveranstaltung, bei der jeder weiß, an welcher Stelle er selbst und andere in der Kreisliga oder Bundesliga spielen”.

Dieses Leistungsdenken gründet auf der Idee des Manifest Destiny, der Auffassung, als Gottes auserwähltes Volk seine Mission zu erfüllen, in der Neuen Welt (God’s own country) das Himmelreich auf Erden anzustreben und ein Neues Jerusalem zu gründen. In der Mitte des 19.Jahrhunderts war das Manifest Destiny die von Gott gegebene Legitimation für die progressive Besiedlung des amerikanischen Kontinents – auch und gerade gegen den Widerstand der »heidnischen« indianischen Ureinwohner. Die stetige Verlagerung der Grenze dieser Besiedlung, der Frontier, nach Westen beschrieb zugleich die fortschreitende Errichtung dieses neuen Reichs Gottes. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verschmolz das Manifest Destiny mit der Ideologie des Sozialdarwinismus, der Übertragung von Darwins biologischem Prinzip des survival of the fittest auf die menschliche Gesellschaft, zum new Manifest Destiny:

The peculiar metamorphosis of Manifest Destiny through the adaptation of Social Darwinism to America resulted in the new Manifest Destiny. The adaptation of Social Darwinism occurred through the [...] inclusion of providential approval of the natural selection process [...] and the Protestant work ethic. [Oliver 29]

Die erfolgreiche Besiedlung des Kontinents war nun nicht mehr nur Gottes Wille, sondern bewies jetzt auch die Überlegenheit des amerikanischen Systems und seiner Institutionen gegenüber der feindlichen Natur:

The new Manifest Destiny [...] freed the restrictions of the mandate of divine providence and wholeheartedly embraced the scientific justification of Social Darwinism for the superiority of America and its consequent attempts to maintain its superior position among the races of the world. [Oliver 30]

Gestützt durch die protestantisch–kalvinistische Arbeitsethik, ständig nach persönlicher Verbesserung zu streben, bot das New Manifest Destiny sogar eine »wissenschaftliche« Legitimation für den Drang nach Westen: In einer gefahrvollen Umgebung, in der Stagnation der Entwicklung den Untergang bedeutet (Wer aufhört, gegen den Strom zu schwimmen, wird zurückgetrieben oder ertrinkt.), muss selbst die überlegenste Rasse ständig nach Ausweitung ihres Territoriums streben, um ihre Position zu behaupten [Oliver 29/30]. Schlüsselkriterium in dieser »amerikanischen« Form des Sozialdarwinismus war die Intelligenz: Sie bewahrte den Menschen vor den direkten Einwirkungen des darwinischen Prinzips, da sie ihn befähigte, seine Umgebung zu seinen Gunsten zu verändern. Folglich musste der Grad der Intelligenz bzw. ihrer Schulung Indikator für die »Überlegenheit« einer Rasse gegenüber anderen sein und ihren Herrschaftsanspruch rechtfertigen:

John Dewey gave the key to the Americanization of Social Darwinism as education. [...] [He] identified the unique quality of man’s intellect as that which protects him from direct application of Darwin’s theory. Dewey saw the mind as an instrument for solving problems presented to man by his surroundings. [Oliver 29]

Als Beleg für die Popularität des New Manifest Destiny nennt Oliver [29] das Wachstum des Bildungssektors: Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der high school Besucher von 500 auf über 10.000; Yale (1861) und Harvard (1872) führten Graduierten–Programme ein. Hier verrät sich der imperialistische Charakter des New Manifest Destiny. So, wie die Verteidigung eines Territoriums nur durch Expansion möglich war, konnte die Über­legenheit im Bildungssektor (die den Anspruch auf das Territorium legitimierte) nur durch ständiges Lernen und stetigen Wissensausbau aufrecht erhalten werden. So gesehen begründete das New Manifest Destiny auch eine Form von kulturellem und akademischem Imperialismus. Die Frontier wurde zu einer ideologisch überhöhten Markierung des geistigen Horizonts, an der man (durch den Vergleich mit anderen) nun auch seine intellektuellen Fähigkeiten – und damit letztlich wieder sich selbst erkennen konnte.

Neben dem Leistungsprinzip (und einer strengen Moral) betont der Kalvinismus die Einbindung des Einzelnen in die Gemeinschaft zum gegenseitigen Nutzen: “The community stagnates without the impulse of the individual. The impulse dies away without the sympathy of the community” [Oliver 29]. Diese Interdependenz zwischen Individuum und Gemeinschaft bzw. zwischen dem umfassenden Ganzen und seiner vielfältigen Konstituenten erstreckt sich ideologisch überhöht über alle Ebenen der amerikanischen Gesellschaft und politischen Verwaltung, einschließlich der föderalen Staatsform bis zum Motto des Unionswappens, EPluribus Unum, wie in einer amerikanischen Quelle recht glorifizierend dargestellt wird:

Whoever invented the motto E Pluribus Unum (one out of many) has given the best three-word description of the United States ever written. The triumph of America is the triumph of a coalescing federal system. Complex as the nation is almost to the point of insufferability, it interlocks. Homogeneity and diversity—these are the stupendous rival magnets. ... Think of the United States as an immense blanket or patchwork quilt solid with different designs and highlights. But, no matter what colors burn and flash in what corners, the warp and woof, the basic texture and fabric is the same from corner to corner, from end to end. [Burns 169]

Für Lösche [280-284] ergeben sich aus der Kombination von Protestantismus, Kalvinismus und Aufklärung 5 Prinzipien, auf die sich die »amerikanische Ideologie« oder »weltliche Religion der USA« stützt und die es zu verteidigen gilt:

1.) Demokratie, beginnend bei der grass roots democracy auf der lokalen Ebene der Gemeinde, über die Parlamente der Einzelstaaten bis zur Bundesebene, dazu Rechtsstaatlich­keit und die republikanische Staatsform als bewusste Abgrenzung vom monarchischen Europa.
2.) Die in der Unabhängigkeitserklärung als unveräußerliches Recht verankerte Freiheit [“Life, Liberty, and the Pursuit of Happiness”], sowohl als Freiheit der Union vom Mutterland als auch als Freiheit des Individuums gegenüber dem Staat und staatlicher Reglementierung, die auf das Nötigste beschränkt sein soll.
3.) Opposition gegen jede Art von Machtanhäufigung in den Händen einzelner oder weniger, was sich aus dem demokratischen Verständnis, dem Freiheitsverständnis und der Ablehnung der absolutistischen Herrschaftsformen in Europa begründet. (Als Kontrollorgan, das eine Machtanhäufung verhindern soll, nennt Lösche den Aufdeckungsjournalismus [281], der Machtzusammenhänge – wie bei Watergate oder der Iran–Contra–Affäre – veröffentlicht, um sie dem einzelnen (auf der Ebene der grass roots) wieder transparent zu machen. Durch diese »Kontrollfunktion« wird der Presse zuweilen „der Rang einer vierten Gewalt“ [Lösche 281/ Kleinsteuer a555f.] im Gesellschaftsvertrag zugesprochen. Die freedom of speech, insbes.als Presse freiheit, ist daher geheiligtes Grundrecht [Bill of Rights, Amendment No. 1].)
4.) Individualismus nach der Definition, wie sie sich aus der Kombination von Lockeschem Eigentumsbegriff und kalvinistischer Tradition ergibt (Hast Du ‘was, so bist Du ‘was). Hieraus folgt auch, dass das erarbeitete Privateigentum „Teil der persönlichen Sphäre“ [Lösche 282] ist – auf deren freie Entfaltung das Individuum wiederum ein unveräußerliches Grundrecht hat (s.o.). Dessen Schutz geht so weit, dass man in einigen Bundesstaaten sogar per Gesetz befugt ist, sein Grundstück notfalls mit Waffengewalt gegenüber anderen zu verteidigen.[3]

Das Streben des Einzelnen nach Eigentum im freien Wettbewerb mit anderen ist essentiell verknüpft mit dem Schlagwort vom Amerikanischen Traum, dessen Glorifizierung erneut in Burns deutlich wird:

The right to private property is just one of the economic incentives that cement our support for capitalism and fuel the American Dream. We believe that this is the land of opportunity for the enterprising. Here the competitive, practical go-getter can make a fortune or build a dream home. [Burns 129, meine Hervorhebung]

Zum Individualismus gehört auch z. B. die „Personalisierung der Politik“ [Lösche 283]: Statt Parteien mit Kandidatenlisten stehen Persönlichkeiten im Vordergrund; der Präsident wird nicht zuletzt wegen seiner „Telegenität“ [Ostendorf 699] nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt. Der amerikanische Wahlkampf ist ein inszeniertes Medienspektakel, in dem die persönlichen Stärken und Schwächen der Kontrahenten um ein Amt öffentlich diskutiert werden (siehe 3.)).

5.) der Fortschrittsglaube, der sich wiederum aus der protestantisch–kalvinistischen Idee ergibt, nach der man Gottes missionarischen Auftrag (Manifest Destiny) erfüllt, in dem von Ihm ausgewählten Land (God’s own Country) das Himmelreich auf Erden zu errichten. Ausgehend von der ursprünglichen, geographischen Mobilität im 19. Jahrhundert (Go West, young man), beinhaltet dieses Ideal sowohl räumlich–konkreten Fortschritt, der sich sogar bis in den Welt­raum fortsetzt (“Space – The Final Frontier”), als auch sozialen Aufstieg (vom Tellerwäscher zum Millionär) und technologisches sowie intellektuelles und geistiges Streben. „Fortschritt,“ so Lösche [284], „ist [...] entweder quantifizierbar (man bewegt sich nach vorn, stößt zur Spitze vor) oder bedeutet qualitativ und ideologisch überhöht einen Schritt hin auf die Errichtung des Reichs Gottes auf Erde, nämlich hin auf die Verwirklichung der amerikanischen Ideologie.“

Es ist ersichtlich, dass diese 5 Prinzipien ein kompliziertes, von Überschneidungen und Widersprüchen geprägtes Wechselgefüge bilden, in dem sie einander bedingen und sich gegenseitig balancieren. Demokratie und Opposition gegen Machtanhäufung stehen z. B. gemeinsam dem Schutz des Individuums vor staatlicher Reglementierung und seinem Streben nach Eigentum und Einfluss gegenüber. Lösche betont, dass er keinesfalls eine in sich geschlossene, konsistente Theorie beschreibt [284]. Doch, „so verschwommen und unscharf ihre Inhalte auch sein mögen,“ so Lösche, „gerade aufgrund ihrer Schwammigkeit und Allgemeinheit vermag die amerikanische Ideologie Konsens zu stiften, vermag sie die aus­einander driftenden gesellschaftlichen Segmente und das [...] extrem fragmentierte politische System zu verbinden“ [294].

Lösches Modell veranschaulicht die Komplexität und Interdependenz der Werte, auf die sich die amerikanische Nation stützt. Durch ideologische Überhöhung (und damit: Verallge­meinerung) sind die fünf Prinzipien, in wechselnder qualitativer und quantitativer Zusammen­setzung, auf beinahe jede Situation des Lebens anwendbar und bieten so jedem Individuum die Möglichkeit zur Integration in die amerikanische Gesellschaft – und zur Identifikation mit dem zum Schlagwort gewordenen American Way of Life. In Burns findet sich ein anschauliches Beispiel für eine fast schon verklärende Aufreihung solcher Schlagworte, um die “Unity in a Land of Diversity” [Burns 169] zu beschreiben:

Americans have always been united by their shared commitment to liberty. Equally important has been the belief that government should exist to serve the people, rather than the reverse. What shapes our political culture is the persistent commitment to the individual. One author recently concluded that “equality, individualism and openness are the values of American politics [...]” [Alan Ehrenhalt, The United States of Ambition: Politicians, Power, and the Pursuit of Office (Times Books, 1991), p. 275]. Part of the explanation for our unity is the unifying effect of the American dream, the belief that is the land of opportunity for enterprising individuals.
[Burns 169, meine Hervorhebungen]

Despite our diversity, Americans share an important unity. We are united by our shared commitment to democratic values, economic opportunity, the work ethic, and the American dream. Our national experiences like wars, the space program, and a sense of global economic competition have also unified us.
[Burns 171, meine Hervorhebungen]

Diese Ausführungen zeigen zugleich die Schwierigkeit der Auswahl bestimmter Werte aus dem Gefüge zur gesonderten näheren Betrachtung auf: Wenn alle diese Prinzipien (teils stärker, teils schwächer ausgeprägt) praktisch überall anwendbar sind, kann jede Analyse »einzelner« Werte immer nur eine Untersuchung hervorgehobener Schwerpunkte (die zwangsläufig auch wieder Abhängigkeiten untereinander bilden), nie aber von isolierten, absoluten Charakteristika sein.

Ausgehend von diesen Grundlagen sollen bei der Betrachtung der Back to the Future –Trilogie drei ineinander verwobene Werte näher untersucht werden, die McIver [197] als die “cornerstones of the American ways of life” erachtet: Zusammenhalt der Familie, materieller Wohlstand und (technologischer) Fortschritt. Diese ausgewählten Werte stützen sich auf die von Lösche genannten Prinzipien bzw. fassen sie zum Teil zusammen. Zentrum dieses Wertgefüges ist die »Familie«, denn sie fungiert sowohl als Kernzelle der emotionalen oder spirituellen Gemeinschaft als auch der bürgerlich–demokratischen Gesellschaft. Folglich beginnt in der Familie für jeden einzelnen die Auseinandersetzung mit den Gegenpolen von freier Entfaltung der Persönlichkeit auf der einen Seite (»Freiheit«) und ihrer Einschränkung durch die Bedürfnisse des Allgemeinwohls auf der anderen (»Demokratie«, »Opposition gegen Machtanhäufung«). Dadurch wird die Familie zur primären Institution der politischen Sozialisierung: Kinder zitiert Althusser, der die Familie als einen der wichtigsten “Ideological State Apparatuses” ansieht – “i.e., social apparatuses that transmit and reproduce the dominant ideology, not through violent repression like the army or police, but primarily through ideology itself” [Kinder 4].

In der Familie werden die Prinzipien der nationalen Ideologie von Generation zu Generation weitergegeben. Ideologisch überhöht erstreckt sich »die Familie« bis auf die Ebene der Nation – und schließt dann die Institutionen der religiösen Erziehung und der aka­demischen Ausbildung in den Prozess der ideologischen Integration mit ein: “Louis Althusser has argued that under feudalism the church and the family were the two most powerful Ideological State Apparatuses [...]. Under capitalism, he maintains, the church was replaced by education, which then worked with the family as the most effective pair of ISAs” [Kinder 4]. Althusser geht noch einen Schritt weiter und bezieht die Repräsentanten der popular culture, zu denen letztlich auch Back to the Future gehört, in diesen Apparat der Vermittlung nationaler Werte mit ein:

It now seems fairly apparent in our present stage of post-industrial consumer capitalism that the role of education has been taken over by popular culture, especially by television and its dominating discourse of advertising, primarily because the TV set is situated in the home where it can start constructing consuming subjects and positioning them within the market economy even before they acquire language and before they go to school. [Kinder 4]

Althusser beschreibt eine Konsumkultur, in der über die Medien, speziell in der Werbung, die Aneignung materieller Güter propagiert wird, um so den persönlichen wirtschaftlichen Erfolg nach außen zu demonstrieren. Hier setzt der zweite Wert, der »materielle Wohlstand«, an. Er entstammt zunächst dem von Lösche beschriebenen Prinzip des „amerikanischen Individualismus“ (und des darin enthaltenen Amerikanischen Traums), also der Kombination von Lockes Eigentumsbegriff und der – innerhalb der Familie von einer Generation auf die nächste vermittelten – kalvinistischen Ethik, nach der materieller Erfolg die Belohnung für Gott wohlgefällige (harte) Arbeit ist. Unterschwellig geschieht diese Propagierung des Strebens nach Wohlstand noch viel stärker als in der plakativen Werbung in Filmen und Fernsehserien, in denen derartige »Erfolgsstorys« beschrieben werden. Materieller Wohlstand ist dann aber auch wieder eng verknüpft mit der »Familie« der Nation als demokratischer Gemeinschaft: Zum einen wird das Recht auf Privateigentum (auch als Bestandteil der „freien Entfaltung“ des einzelnen) durch den Gesellschaftsvertrag garantiert, zum anderen allerdings auch wieder reguliert, um der Anhäufung von Macht in den Händen einzelner oder weniger entgegen­zuwirken („Opposition gegen Machtanhäufung“).

Materieller Wohlstand wiederum bedingt den dritten Wert, den Fortschritt. Dieser Fortschritt ist sowohl ideologisch überhöht zu verstehen, entsprechend der protestantisch–kalvinisti­schen Arbeitsethik (nach der sozialer Aufstieg auch Annäherung an Gott beinhaltet), als auch in konkreter Hinsicht, da er die finanzielle Basis für weiteres Streben schafft (räumliche Expansion, technologische Entwicklungen etc.).

Der Fortschritt schließlich bestätigt zum einen die Gottgefälligkeit des (materiellen und/oder geistigen) Strebens durch Vergrößerung des Wohlstandes und fällt zum anderen, z.B. in medizinischen Errungenschaften, wieder positiv auf die »Familie« der Gemeinschaft zurück. Vor allem der technologische Fortschritt soll hier im Mittelpunkt des Interesses stehen.

Insgesamt bilden die drei ausgewählten Werte von Familie Wohlstand und (techno­logischem) Fortschritt ein kompliziertes, dynamisches Wechselgefüge gegenseitiger Be­einflussungen. Seine Vitalität wird zum einen gesichert durch die grundsätzliche Konstanz der Werte für sich und die resultierenden positiven (das heißt: verstärkenden) Rückkopplungen zwischen ihnen (was eine fortschreitende Weiterentwicklung zur Folge hat), zum anderen durch seine Flexibilität gegenüber äußeren Einflüssen, also durch die Fähigkeit, sich im Laufe der Zeit zu wandeln und zu verfeinern, um sich verändernden Bedürfnissen und Notwendigkeiten anzupassen.

In der Back to the Future –Trilogie wird zum einen anschaulich die Stabilität dieses Gefüges über die Epochen hinweg beschrieben, zum anderen werden die möglichen Konsequenzen aufgezeigt, die sich für das Gefüge ergeben können, wenn in seine Basis, die Familie, eingegriffen wird. Die Untersuchung dieser Darstellung von Kontinuität und Wandel des Gefüges in der Back to the Future –Trilogie ist Gegenstand dieser Arbeit.

[...]


[1] Patrick Robertson, Das neue Guinness Buch Film, S. 37, S. 121. In den »Top 100« der größten Kassenhits aller Zeiten liegt Teil I der Trilogie derzeit mit ca. $210 Mio. auf Platz 22 [“Movie Guide: The Box Office Leaders”. Mr. Showbiz. 15. 06. 1998.].

[2] First Inaugural Address, 21. Januar 1981, Absatz 17. Der Text wurde der Internetseite Inaugural Speeches of the Presidents of the United States entnommen.

[3] Hier gründet ferner die Macht der Waffenlobby (National Rifle Association): Sie beruft sich auf den zweiten Verfassungszusatz, der u. a. dem einzelnen das ausdrückliche Recht auf das Tragen von Schußwaffen zuspricht: “A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State, the right of the people to bear Arms, shall not be infringed” [Amendment No. 2; meine Hervorhebung]. Daß dieses Recht aus der Zeit der Nachwehen des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs stammt, wird dabei verschwiegen.

Ende der Leseprobe aus 101 Seiten

Details

Titel
Kontinuität und Wandel amerikanischer Werte in der Science–fiction Trilogie "Back to the future"
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Fach Anglistik/Amerikanistik)
Note
2,0
Autor
Jahr
1998
Seiten
101
Katalognummer
V162658
ISBN (eBook)
9783640774180
ISBN (Buch)
9783640774340
Dateigröße
949 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zeitreise, Amerikanistik, Science-fiction, Film
Arbeit zitieren
Claudia Zimny (Autor:in), 1998, Kontinuität und Wandel amerikanischer Werte in der Science–fiction Trilogie "Back to the future", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/162658

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